Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Forschungs- und Quellenlage
2. Was sind Stammzellen?
3. Methoden und Chancen der Stammzellenforschung
4. Das ethische Dilemma
5. Religiose und ethische Grundlagen aus judischer Perspektive
5.1 Der Stellenwert eines Embryos im gottlichen Gesetz
5.2 Das hochste Gebot im Judentum
6. Die juristische Auslegung anhand von zwei Beispielen
7. Der Standpunkt der judischen Glaubensgemeinschaften
8. Der aktuelle Stand der Forschung und Perspektiven
Zusammenfassung und Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die Stammzellenforschung erregt die Gemuter vieler Wissenschaftler: Die einen erwarten durch sie revolutionare Erfolge fur die Behandlung bislang unheilbarer Krankheiten, die anderen weisen wegen ethischen Bedenken die Forschung am ungeborenen Leben zuruck.
Das Beispiel der deutschen Debatte um ein Stammzellengesetz im Forschungsausschuss des Bundestags am 9. Mai 2007 zeigt, wie umstritten das Thema ist. Rund funf Jahre nach dem muhsam gefundenen KompromiB fur die Forschung Embryonen zu verwenden, die bis zum 1. Januar 2002 erzeugt wurden, werden potenzielle Heilungen von Krankheiten wie Diabetis, Parkinson oder Krebs mittels einer Ausweitung der Embryonenforschung weiter diskutiert. Hans Scholer vom Max-Planck-Institut spricht sich fur Forschungen in grofierem Umfang aus: “Wenn Sie sehen, wie ein kranker Junge von Treffen zu Treffen weniger wird, und Sie wissen, da sind diese ganzen ungenutzten Stammzellen im Ausland, dann habe ich damit ein Problem.”[1]
Doch die ethischen Bedenken gegen eine Lockerung der Gesetzeslage wiegen schwer. SPD-Ethikexperte Rene Rospel halt nichts von emotionalen Appellen. Es sei “vollig unverantwortlich”[2] den Eltern eines unheilbar kranken Kindes Hoffnungen auf die Stammzellentherapie zu machen, da die Forschung auch in vielen Jahren noch nicht so weit sei. Auch der Wiener Krebsforscher Lukas Kenner halt die Stichtagsregelung fur ein “ethisches Minimum”[3]. Anderen geht sie nicht weit genug, da auch die vor dem Stichtag erzeugten Embryonen dieselbe Menschenwurde besafien.
In neun von 15 Landern der Europaischen Union ist die Forschung an embyonalen Stammzellen verboten. In Israel gibt es kein Gesetz, das die Stammzellenforschung reguliert. Deswegen gilt die israelische Forschung als eine der am weitesten fortgeschrittene: Im Januar 2007 gelang es dort zum ersten Mai aus embryonalen Stammzellen Herzzellen wachsen zu lassen.[4]
Die Instanz, an der ethische Fragestellungen zur Stammzellenforschung in Israel gemessen werden, ist das gottliche Gesetz. Dieses gottliche Gesetz wird von Rabbinern, die juristische Instanzen sind, nach ethischen, geschichtlichen, sozialen und politischen Kriterien interpretiert, so daB Gerechtigkeit fur das Wohl menschlichen Lebens auf der Erde verwirklicht werden kann. Aus diesem Grund sind die ethische und religiose Dimension in der israelischen Stammzellforschung eng miteinander verwoben.
Ziel dieser Ausarbeitung ist es, die Methoden und Chancen der Stammzellenforschung darzustellen, die ethischen Einwande zu skizzieren und die religiosen und ethischen Grundlagen der Stammzellenforschung aus judischer Perspektive herauszuarbeiten.
1. Forschungs- und Quellenlage
Uber Moglichkeiten und Verfahren der Stammzellenforschung aus medizinischer Sicht wurde besonders in den letzten zwei Jahrzehnten viel publiziert. Mit der Forschung am “ungeborenen Leben” wurde von Anfang an die ethische Dimension des Themas diskutiert.
Als Quellen fur die judische Perspektive bieten sich die aktuellen Diskussionen in den USA an, fur die das Internet eine unentbehrliche Quelle ist. Appelle judischer Glaubensgemeinschaften fur die Stammzellenforschung grunden sich auf Passagen judischer heiliger Schriften, in denen das Gut des menschlichen Lebens als das hochste gilt und es die Pflicht eines jeden Arztes ist, menschliches Leben zu erhalten. Traktate aus dem Talmud und Respona von Rabbinern, die das Gesetz Gottes interpretieren, sind ebenso Grundlage dieser Ausarbeitung.
2. Was sind Stammzellen?
Stammzellen sind undifferenzierte, hochgenerative Korperzellen, die noch nicht auf eine Funktion im Organismus spezialisiert sind. Sie sind in der Lage neue, organspezifische Tochterzellen zu erzeugen und sich dabei selbst zu erhalten. Dazu befahigt sie ein noch nicht geklarter Mechanismus asymetrischer Zellteilung, der einerseits Zellen mit Stammzelleigenschaften generiert, andererseits Zellen, die eine spezielle Funktion haben, beispielsweise Haut-, Leber- oder Muskelzellen.
Stammzellen werden durch ihr Entwicklungsstadium vom Embryo bis zum Erwachsenen und durch ihr damit verbundenes Differenzierungspotenzial unterschieden. Die in einer befruchteten Eizelle zuerst entstehenden Zellen sind die embryonalen Stammzellen. Diese totipotenten Zellen bilden im Embryo die Vorlaufer far samtliche Korperzellen, aus denen der Organismus entsteht. Bis zum dritten Tag nach der Befruchtung einer Eizelle sind die Zellen fur keinen bestimmten Zelltyp „programmiert“. Nach etwa vier Tagen hat sich eine Blastozyste, eine Art Hohlkugel aus Zellen entwickelt. Aus dem Inneren dieser Blastozyste lassen sich embryonale Stammzellen gewinnen. Die Zellen nach dem vierten Tag sind nicht mehr totipotent, sondern pluripotent, da sie bereits Aufgaben ubernommen haben bestimmte Gewebetypen im Embryo zu bilden.[5]
Stammzellen nach der zwolften Schwangerschaftswoche im Organismus eines Saugetiers werden postembryonale Stammzellen genannt. Je nach Entwicklungsstufe wird von fotalen, neonatalen und adulten Stammzellen gesprochen, die in ihren Fahigkeiten zur Bildung von Gewebe genetisch beschrankt sind und nur noch Zellen etwa der Haut oder der Leber hervorbringen konnen. Sie werden daher nicht mehr als pluripotent, sondern nur noch als multipotent bezeichnet. Aus diesen Zellen werden wahrend der gesamten Lebensdauer des Organismus neue, spezialisierte Zellen gebildet.[6]
[...]
[1] Sost, Ann Kathrin, Hoffnung auf Heilung, Sorge um Menschenwurde, in: epd-Wochenspiegel Ausgabe Hessen Nr. 20 (2007) S. 11.
[2] ebd.
[3] ebd.
[4] Vgl. http://robby.nstemp.com/photo6.html
[5] Vgl. http.//www.dhgp.de/deutsch/ethik/index.html
[6] Vgl. http://robby.nstemp.com/photo6.html