This is what we all suffer for being women - Eine Untersuchung über die Frage der Universalität von Vergewaltigung


Tesis de Maestría, 1999

94 Páginas, Calificación: 2,7


Extracto


Inhalt

1 EINLEITUNG

2 FRAGESTELLUNG

3 BISHERIGE THEORIEN
3.1 VERGEWALTIGUNG ALS REPRODUKTIONSSTRATEGIE: DIE SOZIOBIOLOGISCHE SICHT
3.2 DIE MÄNNLICHE HERRSCHAFT UND DIE WIRTSCHAFT: SOZIOKULTURELLE ANSÄTZE
3.2.1 Sandays Ansatz
3.2.2 Schwendinger und Schwendingers Ansatz
3.3 FAZIT

4 ENTWURF EINER THESE
4.1 „DIE IDEOLOGIE DER MÄNNLICHEN HERRSCHAFT“
4.1.1 Machtverhältnisse
4.1.2 Geschlechterkonstruktionen und Wertesysteme
4.2 GEWALT
4.2.1 Gewalt: Natur oder Kultur?
4.2.1.1 Wissenschaftliche Diskurse über die Gewalt
4.2.1.2 Gewaltlose Gesellschaften
4.2.1.3 Alternativen
4.2.2 Gewalt gegen Frauen
4.3 SEXUALITÄT: VON DER KONSTRUKTION DES BEGEHRENS
4.4 WEITERFÜHRENDE ÜBERLEGUNGEN ZUM THEMA VERGEWALTIGUNG

5 ETHNOGRAPHISCHE FALLBEISPIELE
5.1 EINE VERGEWALTIGUNGSFREIE GESELLSCHAFT: DIE CHEWONG
5.1.1 Eine isolierte Gesellschaft
5.1.2 Der Mensch in seiner Umwelt
5.1.3 Menschliche Beziehungen
5.2 IATMUL
5.2.1 Allgemeine Informationen
5.2.2 Die Organisation der Macht
5.2.3 Organisation der Haushalte
5.2.4 Liebe, Sexualität und Ehe
5.2.5 Konfliktregelung
5.2.6 Vergewaltigung

6 AUSWERTUNG

7 SCHLUßWORT

8 LITERATURVERZEICHNIS

1 Einleitung

„This is what we all suffer for being women“ sagten äthiopische Frauen um die Ethnologin zu trösten. Sie war gerade von ihrem Informanten vergewaltigt worden. „As long as we are women we are at the mercy of men. There was no need for me to feel ashamed or unhappy. What had happened to me was horrible and dreadful, but, unfortunately, normal“ (Moreno 1995: 243).

Muß es so sein? Müssen Frauen wirklich immer auf diese Weise leiden? Hat die Natur es so gewollt? Eva Moreno gibt Ansätze um ihre Vergewaltigung zu erklären. Ihr Informant hatte ihr immer wieder gezeigt, wie abhängig sie von ihm war. Für sie geht es dabei um Geschlechterrollen und um Macht: „Rape in any form is about power and male domination“ (Moreno 1995: 236).

Während es weltweit Programme gibt, um die Benachteiligung von Frauen zu verringern und auch speziell die Gewalt gegenüber Frauen zu eliminieren, stellt sich die Frage nach deren Erfolgsmöglichkeiten. Kann gegen die Vergewaltigung, als eine Form der Gewalt gegen Frauen, etwas unternommen werden? Den soziobiologischen Theorien zufolge, liegt Vergewaltigung als eine Reproduktionsstrategie, in der männlichen Natur. In ihrer Logik könnten nur repressive Gesetze etwas ändern.[1] Geht man jedoch von soziokulturellen Theorien aus, sind gesellschaftliche Strukturen und gesellschaftliches Handeln für Vergewaltigung verantwortlich und nicht unser Schicksal. Um Veränderungen zu ermöglichen, müßten die Ursachen und Strukturen erkannt werden. Der erste Schritt zu diesen Fragen ist festzustellen, ob Vergewaltigung eine Universalie ist. Es gibt einige Ethnographien, die vermuten lassen, daß Vergewaltigung nicht universell ist. Wenn das so ist, was zeichnet diese Gesellschaften aus? Welche Strukturen kann man bei ihnen erkennen, die dazu beitragen, daß es keine Vergewaltigung gibt?

Bevor die Eigenschaften, die mit Vergewaltigung korrelieren, weiter untersucht werden können, wäre an dieser Stelle eine Definition von Vergewaltigung angebracht. Vergewaltigung hier zu definieren, halte ich für eine heikle Aufgabe. Nicht etwa aus Prüderie. Nein. Aber wer kann Vergewaltigung definieren? Mit welcher Autorität? Alleine innerhalb unserer Gesellschaft existiert kein Konsens. Die Definition, die in Deutschland letztendlich ausschlaggebend ist, ist eine gesetzliche. Aber bei dieser Definition wurde Vergewaltigung in der Ehe erst vor kurzem mitbeinbezogen. Die schwierige Diskussion, die diesem Gesetz vorangegagen war, zeigt, wie schwer es sein kann, sich auf eine Definition zu einigen.[2]

Die Lage ist hier komplizierter, da es in dieser Arbeit auch um andere Gesellschaften geht, deren Wertesysteme sich von unseren stark unterscheiden. Es kann soweit gehen, daß es für sie keinen Begriff von Vergewaltigung gibt, obwohl sie diese nach unserer Definition erleben.

Hinweise über Vergewaltigung sind in der ethnographischen Literatur spärlich. Ein Überblick über die ethnographische Literatur betreffend der Sexualität sagt leider mehr über die Bedeutung aus, die der Westen und die Wissenschaft der Sexualität beigemessen haben, als über Sexualität in anderen Gesellschaften (vgl. Davis und Whitten 1987; Vance 1991). In den meisten Ethnographien kommen Sexualität und besonders Vergewaltigung kaum zur Sprache. Kein Hinweis darauf ist aber kein Beweis für ein Nicht-Vorhandensein. Und so gestaltete sich die Suche nach vergewaltigungsfreien Gesellschaften schwierig. Es gibt jedoch einige Aussagen über Formen der Vergewaltigung, die vermeintlich anders sind als in unserer Gesellschaft und deshalb Eingang in die Literatur fanden, wie die Gruppenvergewaltigung, als eine Strafform. Aus den Charakteristiken dieser Gesellschaften mit Vergewaltigung mußte ich mir das Bild einer in ihrer Organisation gegensätzlichen Gesellschaft vorstellen, um meine Suche nach vergewaltigungsfreien Gesellschaften fortsetzen zu können. Nach diesem methodisch bedingten Auswahlverfahren entschied ich mich für die Chewong (Malaysia) als Beispiel einer vergewaltigungsfreien Gesellschaft und für die Iatmul (Papua-Neuguinea) als Gegenbeispiel, das heißt als Gesellschaft in der es Vergewaltigung gibt. Diese Auswahl kann nicht repräsentativ sein und dient nur der Anschauung der Probleme, die bei der Untersuchung von Vergewaltigung eine Rolle spielen können.

Es gibt in verschiedenen Ethnographien manchmal implizit und noch seltener explizit Informationen zum Thema Vergewaltigung. Darüber hinaus sind nur wenige Untersuchungen über Vergewaltigung veröffentlicht worden. Während Cathy Winkler (Winkler und Wininger 1994, Winkler, McMullen, Wininger 1994) vor allem anhand ihrer eigenen Vergewaltigung, Thesen über das Trauma aufzustellen versucht, und Eva Moreno hauptsächlich den Kontext der Feldforschung betont, sind der Aufsatz von Peggy Sanday (1981) und das Buch von Julia und Herman Schwendinger (1983) die einzigen Texte, die Vergewaltigung im allgemeinen als Untersuchungsobjekt haben. Letzere stammen aus den 80er Jahren und reflektieren insofern noch nicht die neueren Geschlechtertheorien. Auch wenn ich selber Geschlechtertheorien darstellen werde, ist es mir leider nicht möglich, in der Diskussion meiner Daten genauer darauf einzugehen, da weder in der Sekundärliteratur noch in der Beispielliteratur die Unterschiede zwischen gender und sex [3] reflektiert wurden.

Ob die Tatsache, daß in der Literatur Vergewaltigung nur in der Kombination Mann gleich Täter und Frau gleich Opfer vorkommt, damit zusammenhängt, daß nur diese Formen in der Literatur existieren, oder weil die Ethnologen andere Kombinationen ignoriert haben, ist leider nicht festzustellen. Ich möchte die Kombination Mann gleich Opfer und Frau gleich Täter nicht grundsätzlich ausschließen. Daß Männer andere Männer vergewaltigen steht in unserer Gesellschaft außer Frage. Der Grund, weshalb Männer als Opfer in dieser Arbeit nicht explizit erwähnt werden, liegt nur daran, daß die Erklärungen, die hier vorgeschlagen werden, sich meines Erachtens auf jedwede Kombination von Opfer und Täter anwenden lassen. Wichtiger bleibt immer, welche Bedeutung dem Menschen und der Tat zugeschrieben werden.

2 Fragestellung

Viele halten Vergewaltigung für eine Universalie. Nicht zuletzt aufgrund darwinistischer Theorien und populärer Auffassungen einer instinktgeleiteten Sexualität. Für Soziobiologen ist Vergewaltigung eine Strategie zur Reproduktion. Im Gegensatz dazu versuchten einige Autoren zu zeigen, daß Vergewaltigung nichts ‘Natürliches’, sondern mit bestimmten sozio-kulturellen Charakteristiken einer Gesellschaft zusammenhängt und deshalb auch nicht universell ist.

„The existence of such cultures - even if few in number - stands as proof that violence against women is not an inevitable outgrowth of male biology, male sexuality, or male hormones. It is ‘male conditioning’, not the ‘condition of being male’, that appears to be the problem“

(Heise 1995:128).

Peggy Sanday kam in ihrer Studie zu dem Schluß, daß Vergewaltigung mit drei gesellschaftlichen Charakteristiken zusammenhängt: mit dem Grad von interpersonaler Gewalt, mit männlicher Herrschaft und mit der Trennung der Geschlechter. Dies sind auch die Ausgangsthesen meiner Arbeit.

Trotz oben genannter Schwierigkeiten, werde ich mit einer Definition arbeiten und diese als etische für Vergleiche nutzen. Unter Vergewaltigung verstehe ich die durch Gewalt oder Androhung von Gewalt erzielte Penetration des Opfers gegen seinen Willen, die meistens ein Trauma hervorruft.[4]

Ich halte zwar diese Definition für sehr knapp, nehme aber an, daß sie einen Konsens darstellt und höchstwahrscheinlich dieselbe ist wie bei den meisten Ethnologen. Die hier verwendeten Daten stammen nicht aus eigener Feldforschung. Ich muß die Ethnographien von Anderen benutzen, die sich meist nicht eingehend mit dem Thema beschäftigt haben. Fast immer – und dies besonders im Zusammenhang mit vergewaltigungsfreien Gesellschaften – verlieren sie nur wenige Worte wie zum Beispiel:

„Vergewaltigung oder andere Formen von (sexueller) Gewalt scheinen den Mangyan völlig abwegig zu sein. Das Schlagen von Frauen kommt sehr selten vor und wird als absolut unmoralisches Verhalten verurteilt, das nur Krankheit und Verderben über die eigenen Kinder bringen wird.“

(Andrea Lauser 1994: 138)

Was unter Vergewaltigung verstanden wird, bleibt also zwangsläufig meiner Interpretation überlassen. Haben beispielsweise Margaret Mead, eine Frau, in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, Robert Le Vine, ein Mann, in der Mitte des Jahrhunderts und Andrea Lauser, eine Frau, am Ende des Jahrhunderts, unter Vergewaltigung dasselbe verstanden? Da alle nicht demselben Geschlecht und derselben Zeit angehören, ist eine Diskrepanz mehr als wahrscheinlich. In allen Texten steht aber immer dasselbe Wort.

Sehr oft wird in den Handbüchern der Sexologie die Vergewaltigung als eine Abweichung der normalen Sexualität, als eine krankhafte oder kriminelle Handlung betrachtet. Gehört Vergewaltigung wirklich zu diesen Kategorien der Kriminalität und der Abweichung? Die Frage stellt sich umso dringender, wenn andere Gesellschaften untersucht werden. Auch Ethnologen und Ethnologinnen gehen oft davon aus, daß Vergewaltigung natürlich und unvermeidlich ist oder betrachten sie als eine krankhafte Handlung. Mir fiel auf, daß wenige darin – bis auf rituelle Vergewaltigungen – ein kulturelles Merkmal einer Gesellschaft sehen.

Obwohl in vielen Untersuchungen von Vergewaltigung die Geschlechterverhältnisse zentral sind, behaupte ich, daß sie für eine Analyse der Vergewaltigung nicht ausreichend ist. Wichtiger scheint es, dem jeweiligen Verständnis von Vergewaltigung auf die Spur zu kommen. Diese relativistische Herangehensweise erschwert interkulturelle Vergleiche, in der Art wie sie Gwen Broude und Sarah Greene (1976) oder Peggy Sanday unternommen haben. Denn um vergleichen zu können, müssen Handlungen oder Denkweisen auf eine gemeinsame Ebene gebracht werden. Dementsprechend fanden Kulturvergleiche nur auf der Ebene der Normen statt. Die kulturspezifischen Empfindungen wurden dabei immer ignoriert.

Kann man trotzdem überall von Vergewaltigung sprechen? Die Infragestellung einer universellen Definition gilt auch für die Teilgebiete, die Vergewaltigung betreffen, wie Gewalt, Geschlechterverhältnisse und Sexualität.

Ich werde im nächsten Kapitel zuerst die soziobiologischen Theorien und in einem zweiten Schritt die Thesen von Peggy Sanday darstellen. Vor allem letztere sind Ausgangsthesen dieser Arbeit.

In dem darauf folgenden Kapitel bemühe ich mich die Schwächen der Ausgangsthesen aufzudecken und sie mit neueren Geschlechter- und Gewalttheorien und Gedanken über die Sexualität weiterzuentwickeln. Die Analyse von Peggy Sanday fand überwiegend auf der Normenebene statt. Die von Gesellschaft zu Gesellschaft – und auch innerhalb einer Gesellschaft – unterschiedlichen Konstruktionen der Geschlechter oder der Emotionen fand wenig Berücksichtigung. Es wurde von der eigenen Definition von Vergewaltigung ausgegangen, ohne einen Unterschied in der Wertung dieser Handlung, zum Beispiel zwischen den Männern und den Frauen, zu berücksichtigen. Wir können nicht einfach unsere Definitionen auf andere Gesellschaften übertragen. Die Analyse muß eher auf der Ebene der Ideen und Einstellungen als auf der Normenebene stattfinden.

Um diesen Entwurf zu überprüfen, werden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, zwei Beispiele herangezogen. Damit möchte ich auch zeigen, daß vor allem das Verständnis, das die Menschen von sich und ihren Körpern, von der Gewalt, von den Geschlechtern, von der Sexualität, oder von der Macht haben, wohl wichtiger sind als eine ethnozentrische Definition, die keine Emotionen oder kognitiven Erfahrungen wiedergeben kann.

3 Bisherige Theorien

3.1 Vergewaltigung als Reproduktionsstrategie: Die soziobiologische Sicht

„Human rape can be considered as an evolved facultative behavior that is condition dependent in that it is employed by men who are unable to compete for ressources and status necessary to attract and reproduce successfully with desirable mates“ (Thornhill und Thornhill 1983: 137-138). So läßt sich die These über Vergewaltigung aus soziobiologischer beziehungsweise evolutionsgeschichtlicher Sicht zusammenfassen. Männer müssen sich reproduzieren, und wenn sie nicht erfolgreich sind, werden sie nicht von Frauen gewählt. Ihre einzige Möglichkeit bleibt dann, die Frauen zu vergewaltigen. Mit Vergewaltigung meinen Randy und Nancy Thornhill: „Rape is forced copulation of a female by a man. By forced copulation we mean copulation without the female's explicit or implicit consent; it need not involve physical force“ (Thornhill und Thornhill 1983: 140).

Dieser Theorie zugrundeliegend ist die Annahme, daß die meisten Gesellschaften polygyn und die wenigen restlichen monogam[5] sind. Das heißt (eben aus evolutiongeschichtlicher Sicht), daß nicht alle Männer eine Frau bekommen. Denn zwischen den Männern besteht Konkurrenz um Status und Ressourcen, und wer dies besitzt, ist für Frauen attraktiver. Die Übrigen müssen andere Alternativen entwickeln, um sich reproduzieren zu können. Vergewaltigung ist eine Alternative, die in Frage kommt, wenn der Nutzen (Nachkommenschaft) die Kosten (Aufwand, den ein Mann betreiben muß) übersteigt. Die Grundpfeiler dieser Theorie sind also die Reproduktion und der Konkurrenzkampf zwischen den Männern. Folgende ihrer Thesen, die sie zu Untermauerung ihrer Theorie, sind hier die relevantesten.[6]

1. Der Vergewaltiger bevorzugt Frauen in den Jahren ihrer höchsten Fruchtbarkeit. (142-148).
2. Männer werden eher in einem Alter vergewaltigen, in dem der Konkurrenzkampf um die Frauen am größten ist. Dieses Alter stimmt mit dem Heiratsalter überein (148-150).
3. Männer mit den größten Schwierigkeiten, die soziale Leiter zu erklimmen, werden eher zu Vergewaltigern (150-154).
4. Vergewaltiger haben ein schwaches Selbstbewußtsein und wenige soziale Beziehungen. Sie sind weniger konkurrenzfähig, unabhängig, selbstsicher und weniger dominant als Nicht-Vergewaltiger (154).

Der Vollständigkeit halber muß der Aufsatz von William und Lea Shields erwähnt werden, deren Theorie die von Randy und Nancy Thornhill ergänzt. Genau wie letztere sehen sie in der Vergewaltigung eine Reproduktionsstrategie der Männer. Es ergeben sich für den Mann drei mögliche Reproduktionsstrategien: die erste honest courtship, die zweite deceitful or manipulative courtship, und letztlich noch die Vergewaltigung (Shields und Shields 1983: 117-118). Auch hier spielt das Kosten-Nutzen Verhältnis eine große Rolle. Begriffe wie honest oder deceitful stellen meines Erachtens ein Problem dar, da sie moralische Werte beinhalten und nicht ohne weiteres eine ‘natürliche’ Strategie beschreiben können. Näher auf weitere soziobiologische Literatur einzugehen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen

Wie bereits bemerkt, sind die Grundvoraussetzungen beider Theorien Reproduktion und Konkurrenz um die Frauen (oder um die Mittel, die Frauen ‘anlocken’). So als ob alle Eigenarten der Menschen einzig und allein mit Reproduktion erklärt werden könnten! Bei der Frage, ob Vergewaltigung ein sexueller Akt oder ein Akt der Gewalt ist, argumentieren Randy und Nancy Thornhill unter anderem mit folgendem Beispiel. In nur 83,4% der Fälle von untersuchten Vergewaltigungen war es zu einer Penetration gekommen. „Cunnilingus, rectal intercourse, and acts of penile-labial contact without vaginal penetration were rare [ca. 17%]“ (1983: 163). Sollten fast ein Fünftel der Männer gar nicht daran interessiert sein, sich zu reproduzieren? Dies läßt daran zweifeln, ob wirklich die Reproduktion an erster Stelle bei Vergewaltigung steht. Ebenso spricht die Tatsache, daß auch Männer Opfer sein können, gegen eine Reproduktionsstrategie. Ihre sehr knappe Definition – „Rape is forced copulation of a female by a man.“ – verfälscht die Tat.

Das Ignorieren von Faktoren wie Begierde und Lust stellt meiner Ansicht nach ein Problem dar. Randy und Nancy Thornhills ganzer Aufsatz beruht lediglich auf einer Reihe von statistischem Material aus den USA der 70er Jahre, das zum großen Teil aus den von Frauen erstatteten Anzeigen stammt. Ist es vorstellbar, daß diese Frauen, bei der Erstattung der Anzeige hauptsächlich an die reproduktive Seite der Vergewaltigung gedacht haben? Es ist anzunehmen, daß andere Kriterien wie die Entwürdigung oder der Schmerz dabei eine Rolle gespielt haben müssen. Das würde bedeuten, daß Randy und Nancy Thornhill bei einer etwaigen Benutzung dieser Statistiken auf jeden Fall die sexuelle Lust beziehungsweise Unlust miteinbeziehen müßten. Denn die Benutzung der genannten Statistiken und die gleichzeitige Leugnung der Parameter, die für eine Vergewaltigung heute in den USA beziehungsweise bei einer Anzeige eine Rolle spielen können, stellen einen Widerspruch dar.

Es handelt sich bei dieser Theorie um eine evolutionsgeschichtliche und sollte demnach nicht nur eine soziologische Sicht bieten, denn „[e]volutionary explanations address causes that operated during evolutionary history to lead to present biological phenomena“ (Thornhill und Thornhill 1983: 137). Auch ohne mit den Methoden der Soziobiologie vertraut zu sein, kann man sich darüber wundern, daß das meiste Material aus modernen Statistiken, aus den USA stammt. Wie kann eine einzige heutige Gesellschaft die Menschheitsevolution erklären? Hinzu kommt, daß die Theorie mehr ökonomische als biologische Züge zeigt. So lautet auch die Hauptkritik von Julia und Herman Schwendinger: „They provide detailed explanations of choice-making behavior resulting in rape. These explanations are drawn from simple utilitarianism and classical economic theory – not biology“ (1985: 91).[7]

Randy und Nancy Thornhill behaupten zwar nicht, daß alle Männer Frauen vergewaltigen, aber da es sich um ein Verhalten handelt, das der biologischen Anpassung dient, sollten und müssen also alle Männer jederzeit darauf zurückgreifen können, wenn sie nicht in der Lage sind, eine Partnerin zur Reproduktion zu finden. Demnach läge dieses Verhalten in der ‘Natur’ des Menschen und wäre Bestandteil unseres Erhaltungstriebs (wenn man es genau nimmt: nur der einen Hälfte der Menschheit). Trotz allen ihren Versuchen zu relativieren (sprich: es ist von den Umständen, von der Umwelt abhängig), bleibt es für sie eine Universalie. „Rape is probably cross-cultural and universal. Its prevalence varies across societies: this variation seems explicable only in terms of evolutionary theory.“ (Thornhill, Thornhill, Dizinno 1989: 116). Im Gegensatz dazu möchte ich hier nicht nur zeigen, daß soziokulturelle Theorien eine Erklärung bieten können, sondern auch die Universalität von Vergewaltigung in Frage stellen. Als nächstes folgt deshalb die Darstellung der in der Ethnologie vorhandenen Erklärungsansätze.

3.2 Die männliche Herrschaft und die Wirtschaft: Soziokulturelle Ansätze

Bis Anfang der 80er Jahre war das Thema Vergewaltigung vor allem ein Thema, das, während es in großem Maße die Soziologen und Psychologen bereits beschäftigte, noch wenig Eingang in die Ethnologie gefunden hatte. Peggy Sanday versuchte 1981 einen interkulturellen Vergleich aufzustellen. Ihre zwei Haupthypothesen waren, daß die Häufigkeit von Vergewaltigung von einer Gesellschaft zur anderen variiert, und daß diese Variationen im Zusammenhang mit der kulturellen Konfiguration stehen. Auch Julia und Herman Schwendinger[8] stützten sich 1983 auf ethnologisches Material, um ähnliche Hypothesen zu überprüfen.

3.2.1 Sandays Ansatz

Peggy Sanday versucht in ihrem Aufsatz die populäre Meinung, Vergewaltigung läge in der Natur des Mannes, zu widerlegen. Ihrer Ansicht nach ist Vergewaltigung ein Ausdruck kultureller Zusammenhänge (1981: 5). Sie versucht durch interkulturellen Vergleich die Verbreitung, die Bedeutung und die Funktion von Vergewaltigung herauszuarbeiten. Dafür geht sie zwei Hypothesen nach: Die Häufigkeit variiert zwischen den Kulturen und diese Variation steht im Zusammenhang mit der kulturellen Konfiguration.

Peggy Sanday stellt drei traditionellen Herangehensweisen zur Ätiologie von Vergewaltigung vor. Die erste versucht, Vergewaltigung im großen sozialen Zusammenhang zu sehen (sozio-kulturell). Die zweite Herangehensweise beinhaltet den Sozialisationsprozeß sowie psychoanalytische Variabeln (psycho-kulturell)[9]. Die dritte geht davon aus, daß die männliche Sexualität von Natur aus ‘explosiv’ ist, wenn sie sich kein heterosexuelles Ventil schafft. Letzteres würde bedeuten, daß Vergewaltigung in allen Gesellschaften existiert – dies widerspricht demnach Peggy Sandays Hypothesen (Sanday 1981: 18-22).

Anhand ihrer verwendeten Literatur, die die beiden ersten Perspektiven vertritt, war es Peggy Sanday möglich, vier Punkte aufzuzeigen, die als Thesen für den soziokulturellen Erklärungsansatz dienen können. Anhand ihres Beispiels der Gusii[10] (Kenia) fiel ihr auf, daß die Art der Beziehungen zwischen den Gruppen mit der Art der heterosexuellen Beziehungen und der Verbreitung von Vergewaltigung korreliert. Aus Susan Brownmillers Werk (1975) leitete sie die Parameter von Macht und Männlichkeit her:

„In societies where males are trained to be dominant and interpersonal relations are marked by outbreaks of violence, one can predict that females may become the victims in the playing out of the male ideology of power and control.“

(Sanday 1981: 19)

Aus einer in Philadelphia gemachten Studie hat Peggy Sanday hergeleitet, daß körperliche Aggression ein Beweis von Männlichkeit und Härte sein sollte (1981: 19-20).

Aus der Literatur formulierte sie vier Thesen, die sie anhand einiger Beispiele überprüfte.

1. Vergewaltigung hängt mit Unterdrückung der Sexualität (sexual repression)[11] zusammen. Wobei sie die Unterdrückung der Sexualität mit folgenden Variablen messen wollte: die Dauer des post partum Sextabus, ob vorehelicher Sex erlaubt oder nicht erlaubt ist, das Heiratsalter und die Anzahl von Tabus, die die männliche Meidung der weiblichen Sexualität widerspiegeln. Die erste These ließ sich schwer überprüfen, da Unterdrückung der Sexualität kaum zu messen ist. Trotz ‘Meß’schwierigkeiten stellte sie keine bedeutsame Korrelation zwischen Vergewaltigung und dem, was sie unter Unterdrückung der Sexualität versteht, fest.
2. Eine starke Korrelation fand sie mit dem Grad der zwischenmenschlichen Gewalt und der Gewalt zwischen Gruppen. (Variablen: Ehefrauen aus Überfällen auf andere Gruppen, Grad der interpersonalen Gewalt, Ideal von männlicher Härte, Krieg).
3. Die Art der Eltern-Kinder Beziehungen hat Einfluß auf männliche sexuelle Gewalt. (Variablen: Art der Vater-Tochter Beziehung, Art der Mutter-Sohn Beziehung, Nähe des Vaters bei der Sorge um die Kleinkinder). In geringem Ausmaß gibt es einen Zusammenhang von sexueller Gewalt mit der Art der Vater-Tochter Beziehung aber keinen mit der Mutter-Sohn Beziehung.
4. Vergewaltigung ist der Ausdruck einer Ideologie von männlicher Herrschaft. (Variablen: politische und ökonomische Macht der Frauen, Einfluß der Frauen bei öffentlichen Entscheidungen, Verhalten gegenüber Frauen als Bürgerinnen (Respekt oder Verachtung), Orte für Männer, Orte für Frauen). Diese letzte Kategorie erwies sich als stark korrelierend mit dem Vorkommen von sexueller Gewalt.

Peggy Sanday faßt es so zusammen, daß Vergewaltigung mit interpersonaler Gewalt, männlicher Herrschaft und einer Trennung der Geschlechter zusammenhängt (Sanday 1981: 22-25).

Sie beschreibt Gesellschaften, die zur Vergewaltigung ‘neigen’ (rape-prone) als Gesellschaften, in denen die Vergewaltigung von Frauen durch Männer entweder kulturell erlaubt ist oder aber ignoriert wird. Oft besteht bei ihnen ein Antagonismus zwischen den Geschlechtern. Bei manchen werden Frauen als Eigentum betrachtet, wie zum Beispiel bei den Azande (Zentralafrika), die den Vergewaltiger einer verheirateten Frau zum Tode verurteilen.

Vergewaltigung dient auch dazu, eine Frau in ihre Schranken zu verweisen und durch diese Strafe daran zu erinnern, wer entscheidet, mit wem sie eine sexuelle Beziehung aufnehmen darf. Vergewaltigung hat auch den Zweck, Frauen von dem abzuschrecken, was die zeremonielle Integrität einer Männergruppe gefährden könnte. Sie kann auch zu einem Ritual gehören. Jedoch: „This is not to say that rape exists in all societies in which there is a ceremonial induction into manhood, male secret societies, or compensation for adultery“ (Sanday 1981: 15).

Den bisherigen Anmerkungen zufolge ist eine vergewaltigungsfreie Gesellschaft ist demnach eine Gesellschaft, in der die Frauen eine zeremonielle Rolle spielen, ihnen mit Respekt begegnet wird und die politisch-ökonomische Macht zwischen Mann und Frau ausgewogen verteilt ist. Man kann also in einer solchen Gesellschaft eine Komplementarität der Geschlechter[12] (complementarity of the sexes) und sexuelle Gleichheit (sexual equality) sowie ein geringes Ausmaß an interpersonaler Gewalt erwarten (Sanday 1981: 17-18).

Peggy Sandays Beispiel einer solchen Gesellschaft sind die Mbuti (Zentralafrika).[13] Sie kennen keine Gewalt, auch nicht zwischen den Geschlechtern. Sie besitzen keine Führungsinstanzen und Entscheidungen beruhen auf allgemeinem Konsens. Bei Auseinandersetzungen wird versucht, schnell zu schlichten, um die Harmonie wiederherzustellen. Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ist gering (Sanday 1981: 17).

„In rape free societies women are treated with considerable respect, and prestige is attached to female reproductive and productive roles. Interpersonal violence is minimized, and a people's attitude regarding the natural environment is one of reverence rather than one of exploitation.“

(Sanday 1981: 16-17)

Peggy Sanday versuchte ihre Thesen anhand einer Auswahl von 156 Ethnien zu überprüfen und aufzuzeigen, daß im Gegensatz zu den Schlüssen (sozio-)biologischer Theorien, Vergewaltigung nicht überall extistiert. Auch Gwen Broude und Sarah Greene (1976) hatten schon einen Versuch unternommen, die menschliche Sexualität interkulturell zu vergleichen. Beiden Aufsätzen liegt das „Standard cross-cultural sample“ von George Murdock und Douglas White aus dem Jahre 1969 zugrunde. Mit ein und derselben Auswahl an Ethnien kommen sie aber zu unterschiedlichen Erlebnissen. Gwen Broude und Sarah Greene finden Informationen über die Häufigkeit von Vergewaltigung bei nur 34 Gesellschaften (davon 23,5% „rape absent“), während Peggy Sanday der Meinung ist, die Ethnienauswahl gäbe Informationen darüber bei 95 Gesellschaften (davon 47% „rape free“) (Broude und Greene 1976: 417; Sanday 1981: 9). Es ist hier unwichtig zu wissen, wer Recht haben mag. Die Diskrepanz macht uns auf ein anderes Problem aufmerksam: Das auch für diese Arbeit bereits erwähnte Problem der Definition von Vergewaltigung. Peggy Sanday schließt die Vergewaltigung von feindlichen Frauen in Kriegszeiten ein, ebenso Vergewaltigungen, die Teil eines Zeremoniells (zum Beispiel Initiation) sind und letztlich auch die Androhung von Vergewaltigung. Gwen Broude und Sarah Greene „appear to have excluded such incidents from their coding and to have focused only on the intrasocietal incidence of uncontrolled rape“ (Sanday 1981: 7).[14]

Ein Beispiel ihrer Uneinigkeit sind die Azande. In der Azande Gesellschaft ist für Gwen Broude und Sarah Greene Vergewaltigung selten (Broude und Greene 1976: 419), für Peggy Sanday ‘neigen’ sie zur Vergewaltigung. Sie überfallen andere Gruppen auf der Suche nach Ehefrauen, was Peggy Sanday unter Vergewaltigung faßt (Sanday 1981: 8).

Was die Definition einschließt ist nicht das einzige Problem. Eine solche Ethnienauswahl mit Daten in tabellarischer Form, wie sie bei Gwen Broude und Sarah Greene zu finden ist kann quantitative und keine qualitativen Daten berücksichtigen können. Es bleibt dann jedem offen, wie er sie interpretieren will.

Nicht nur das Lesen quantitativer Daten erfordert eine geeignete Interpretation, es ist genauso wichtig, die qualitativen Informationen mit kritischem Blick zu betrachten. Peggy Sanday ordnet zum Beispiel die Mongolen unter rape free ein. Auf die Frage: „[W]hat punishment is here imposed for rape?“, antwortete der Informant von Maiskii „We have no crimes of this nature here. Our women never resist“ (Maiskii 1921; zit. bei Sanday 1981: 16). Ich halte es zumindest für fragwürdig, diese Gesellschaft als vergewaltigungsfrei zu klassifizieren. Sie gehört höchstens in eine Kategorie nicht einzuordnen (Bei Broude und Greene steht für die Mongolen keine Information. 1976: 421). Nach Möglichkeit sollte auf die Datenerhebung besonders acht gegeben werden. Wenn in einer Männerrunde von Vergewaltigung gesprochen wird, kommen ganz andere Ergebnisse, als wenn eine Ethnologin Frauen befragt hätte.[15]

Trotz ihren unterschiedlichen Zahlen sind sie sich darin einig, daß es Gesellschaften gibt, die Vergewaltigung gar nicht kennen oder zwar kennen aber nicht praktizieren. „[S]exual assault is not a universal characteristic of tribal societies[[16] ]. The incidence of rape varies cross-culturally.“ (Sanday 1981: 9; bei Broude und Greene steht nur die Statistik: acht Gesellschaften, in denen Vergewaltigung nicht vorhanden, absent, ist)

Abschließend verbindet Peggy Sanday, ganz im Sinne materialistischer Theorien, Vergewaltigung mit ökonomischen Faktoren.

„Considerable evidence suggests that this configuration [i.e. interpersonal violence, male dominance and sexual separation] evolves in societies faced with depleting food ressources, migration or other factors contributing to a dependence on male destructive capacities as opposed to female fertility.“

(Sanday 1981: 25)

Ihrer Meinung nach besteht also ein kausaler Zusammenhang zwischen Vergewaltigung und der Schwierigkeit an Ressourcen zu kommen, da Ressourcenknappheit und Zwang zum Wettbewerb das Prestige der Männer erhöht, und umgekehrt ist Vergewaltigung eher unbekannt, wenn Männer in Harmonie mit ihrer Umwelt leben (ebd.)

3.2.2 Schwendinger und Schwendingers Ansatz

Die materialistischen Faktoren beschäftigen vor allem Julia und Herman Schwendinger. Sie beschäftigen sich mit der Ungleichheit der Geschlechter, höhere Gewaltakzeptanz und Konkurrenz und schließen sich weitgehend Peggy Sanday an. Sie sehen aber in der Ungleichheit der Geschlechter[17] den wichtigsten Kausalfaktor für Vergewaltigung (Schwendinger und Schwendinger 1985: 95). Nicht nur die Vergewaltigung, sondern die allgemeine Gewalt gegen Frauen erklären sie mit der Hierarchie zwischen Geschlechtern. Diese Ungleichheit der Geschlechter erklären sie wiederum mit den ökonomischen Verhältnissen.

Die Beobachtung, daß diese Ungleichheit nicht in allen Gesellschaften zu finden ist, brachte sie dazu, die Gründe solcher Unterschiede zu untersuchen. Anhand einer Studie von Karen Sacks (1975), die verschiedene Stufen der Geschlechter(un)gleichheit dargelegt hatte, kommen sie zu dem Schluß, daß bestimmte sozio-ökonomische Verhältnisse geschlechtsegalitäre Gesellschaften kennzeichnen: vereinfacht kann man sagen, deren Ökonomie basiert oft auf Jagen und Sammeln, sowie aufGartenbau für den eigenen beziehungsweise kollektiven Gebrauch und nicht zu Handelszwecken.

„Such societies tend to be characterized by little or no sexual violence because, under these socioeconomic conditions, relations between women and men are cooperative and compassionate.“

(Schwendinger und Schwendinger 1985: 96)

Die Geschlechtergleichheit ist aber nicht allein auf das Jagen und das Sammeln oder den Gartenbau zurückzuführen. Wenn dies so einfach wäre, wären auch die Yanomami (Amazonas) geschlechtsegalitär und würden demnach keine Vergewaltigung kennen.

Karen Sacks Einteilung der Produktionsweisen hauptsächlich in gebrauchsorientierte und tauschorientierte Ökonomien finden Julia und Herman Schwendinger unzureichend. Diese Konzepte haben den Nachteil, überwiegend die sozialen Beziehungen zu berücksichtigen, die im Zusammenhang mit dem Umlauf und dem Konsum von Gütern stehen und vernachlässigen die sozialen Aspekte bei den Produktionsbeziehungen. Wie wird und wer produziert, wer ist der Besitzer der Produktionsmittel oder, wie gerade angedeutet, basiert die Produktion auf Kooperation oder auf Ausbeutung (Schwendinger und Schwendinger 1983: 148)? Hinzu kommt, daß eine Gesellschaft durchaus mehrere Produktionsweisen haben kann. Hier ist es wichtig, die dominante Produktionsweise herauszufiltern (149).[18]

Julia und Herman Schwendinger beschränken die Analyse von Vergewaltigung nicht auf das Privateigentum. Sie halten Susan Brownmillers (1975) Aussage, daß die Gesetzgebung betreffend Vergewaltigung nur eine Erweiterung von Eigentumsgesetzen sei, für zu allgemein. Denn Privateigentum ist nicht gleich Privateigentum. Es kommt auch hier auf die dominante Produktionsweise an (Schwendinger und Schwendinger 1983: 91-93). Privateigentum an sich ist nicht zwangsläufig ein Mittel zur Frauenunterdrückung. Es kann die Unterdrückung fördern, wenn der Besitz der Produktionsmittel, der Produkte und der Arbeitskraft ungleich verteilt ist. Wenn eine Frau nichts davon besitzt oder besitzen kann, wirkt es sich auf ihren Status und ihre Möglichkeiten aus, ein gewisses Maß an Unabhängigkeit zu haben (Schwendinger und Schwendinger 1983: 150).

Die Produktionsfaktoren und das Privateigentum erklären nicht nur die Geschlechterungleichheit, Julia und Herman Schwendingen halten sie auch für wichtige Parameter zur Erklärung von Gewalt. Einige Ethnien im Amazonasbecken oder im Hochland Papua-Neuguineas bedienen sich der Vergewaltigung als Unterdrückungsmittel gegen Frauen, wenn andere Unterdrückungsmechanismen nicht mehr ausreichend sind. Daraus schließen Julia und Herman Schwendinger, daß der Grad an Gewalt im allgemeinen auch eine Rolle in der Erklärung von Vergewaltigung spielt. Aber auch Gewalt hat eine ökonomische Funktion: Überfälle und Kriege dienen dazu, Reichtümer, natürliche Ressourcen oder auch Frauen zu ‘tauschen’ (Schwendinger und Schwendinger 1983: 141-142). Auch Gewalt wird von Julia und Herman Schwendinger durch die ökonomischen Verhältnissen erklärt. Das führt dazu, daß Vergewaltigung nur durch sozio-ökonomische Verhältnisse erklärt werden kann.

Veränderungen innerhalb einer Gesellschaft lassen die Rolle der sozio-ökonomischen Verhältnisse noch einmal deutlich werden. Das Beispiel der !Kung (Süd-Afrika) verdeutlicht Unterschiede zwischen den traditionell lebenden und den im Dorf lebenden Menschen. In diesen neuen Dorfstrukturen, die Lohnarbeit für Männer und mehr Besitztum beinhalten, entwickelte sich mehr Gewalt in der Familie, mehr Geschlechterungleichheit und mehr Wettbewerb (Schwendinger und Schwendinger 1985: 103-105).

3.3 Fazit

Für die Soziobiologie ist Vergewaltigung eine Reproduktionsstrategie. Man kann sagen, daß alle Männer potentielle Vergewaltiger sind, wenn durch die Umstände der Nutzen die Kosten dieser Reproduktionsstrategie übersteigt. Männer konkurrieren um Frauen und um Macht.

Auch für Peggy Sanday stellt Vergewaltigung eine Machtfrage dar, und zwar eine Frage der männlichen Herrschaft. Allerdings mit dem Unterschied, daß die männliche Herrschaft in den soziobiologischen Ansätzen wohl ‘naturgegeben’ zu sein scheint, während sie im sozio-kulturellen Ansatz eine Frage der sozio-kulturellen Konstellation ist. Für Peggy Sanday sind also männliche Herrschaft, interpersonale Gewalt und Trennung der Geschlechter die Hauptfaktoren einer Ätiologie der Vergewaltigung.

Eine vergewaltigungsfreie Gesellschaft kennt Respekt gegenüber Frauen und Komplementarität der Geschlechter. Die Macht zwischen den Geschlechtern ist dort ausgewogen und Gewalt kommt selten vor.

Julia und Herman Schwendinger erklären ferner die Ungleichheit der Geschlechter und die Gewalt, die sich daraus ergibt, aus den Produktionsverhältnissen. Insgesamt tendieren sie in die gleiche Richtung wie Peggy Sanday, da sie als Hauptfaktor die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern sehen.

Julia und Herman Schwendinger und Peggy Sanday sind die einzigen, die die Vergewaltigung an Männern erwähnen, wobei beide Aufsätze ausdrücklich nur die Vergewaltigung an Frauen analysieren wollen (Schwendinger und Schwendinger 1983: 11; Sanday 1981: 6). Für Randy und Nancy Thornhill scheint dies gar nicht zu existieren. Leider stellt dieses Phänomen die ganze These in Frage. Denn wenn Männer auch Opfer sein können, kann die Reproduktion als Erklärung nicht an erster Stelle stehen. Der Faktor Macht könnte da eher eine Erklärung liefern. Auch Peggy Sanday sieht in erster Linie Probleme zwischen den zwei Geschlechtern. Die Vergewaltigung an der Frau erklärt sie unter anderem mit einer Männlichkeitsideologie, die von Männern sexuelle Eroberung und Aggressivität verlangt. Hier könnte man ansetzen, um die Vergewaltigung an Männern zu erklären: Welche Konstruktion von Männlichkeit fördert Vergewaltigung (an Männern oder Frauen)? Die Konstruktion von Weiblichkeit sehe ich als genauso ausschlaggebend. Sie zu vernachlässigen, würde fast bedeuten, daß Frau mit Natur gleichgesetzt wird und deshalb keiner Konstruktionserklärung bedarf.

Alle vier Ansätze haben noch gemeinsam, daß sie die Sexualität vernachlässigen – wenn sie überhaupt erwähnt wird. Die Sexualität ist in den soziobiologischen Texten auf die Reproduktion beschränkt, während Peggy Sanday sie nur unter dem Aspekt der Unterdrückung der Sexualität untersucht. Ich denke, daß die Relevanz von Sexualität durchaus wichtiger ist, nicht nur unter dem Aspekt von Reproduktion oder Repression, sondern auch von Begehren. Hinderlich dabei bleibt nur, daß es dazu wenig qualitatives Material gibt. Julia und Herman Schwendinger gehen vom Primat der Ökonomie aus und lassen der Sexualität gar keinen Platz.

Wirtschaftliche Aspekte kann man aber bei allen finden. Auch die Soziobiologie bedient sich der wirtschaftlichen Theorien und ist, wie bereits gesehen, eher utilitaristisch als biologisch.

Das größte Problem bleibt die Frage der Definition. Es zeigt, wie schwierig es ist, seine eigene Sicht nicht auf alle Menschen zu projizieren, nicht nur in der Definition an sich, sondern auch in der Erklärung von Vergewaltigung. Von einer westlichen Gesellschaft ausgehend generalisieren zum Beispiel Randy und Nancy Thornhill, ein Vergewaltiger habe ein schwaches Selbstbewußtsein. Kann dies wirklich von allen Gesellschaften behauptet werden? Haben in Gesellschaften, die mit Gewalt Ansehen verknüpfen, Vergewaltiger wirklich so wenig Selbstbewußstsein oder kann nicht gerade auch das Gegenteil der Fall sein? Auch unsere Definition von Macht muß bedacht werden, wenn die Machtgleichstellung der Geschlechter untersucht werden soll. Das Material sollte demnach mehr qualitativ als quantitativ betrachtet werden. Statistiken werden uns wenig über Vergewaltigung sagen können, da sie Nuancen in der Definition nicht berücksichtigen können.

Wie Peggy Sanday später meines Erachtens richtig feststellte: „The data of cross-cultural research are too thin to provide more than an outline of the parameters associated with rape“ (Sanday 1986: 85). An diesen Entwurf sowie an die weiteren drei dargestellten Ansätze will ich anknüpfen, um eine neue These zu entwerfen.

[...]


[1] So auch die Meinung von William und Lea Shields: „We predict, on the basis of these evolutionary models, that punishing rape surely and severely might be the most effective in minimizing the frequency of rape.“ (Shields und Shields 1983: 132). Durch die Bestrafung würden die Kosten steigen und der Nutzen vermindert werden (siehe Seite 8).

[2] Nicht zuletzt aufgrund der verschiedenen Geschlechter der Gesetzgeber, die eindeutig mindestens zwei verschiedene Auffassungen und Wertesysteme haben.

[3] Wenn nicht anders vermerkt, stehen in dieser Arbeit Geschlecht und Sex für das englische gender und sex.

[4] Ausführlich ist zum Beispiel die Definition, die Lori Heise bei den Untersuchungen für ihre Studie benutzt hat: „All of the studies use legally-grounded definitions of rape; thus, forms of penetration other than penile-vaginal are included and women were not instructed to exclude rape by husbands. Questions were typically framed to define explicitly the behaviors that should be included in the definition. For example: ‘has a man made you have sex by using force or threatening to harm you? When we use the word ‘sex’ we mean a man putting his penis in your vagina even if he didn't ejaculate (come)?’ This is followed by: ‘If he did not try to put his penis in your vagina, has a man made you do other sexual things like oral sex, anal sex, or put fingers or objects inside you by using force or threatening to harm you?’ “ (Heise 1995: 134, Anm.3)

[5] So Randy und Nancy Thornhill: „In the relatively few human societies in which polygynous marriages are not permitted (...)“ (1983: 138). Der restliche Text läßt keine Zweifel aufkommen, daß mit nicht-polygyn nur noch monogam gemeint ist. Das heißt also, daß die polyandren Gesellschaften hier ignoriert werden.

[6] Weitere Thesen beschäftigen sich mit der Anpassung der Opfer und deren Mitmenschen nach der Vergewaltigung. Dies läßt sich meines Erachtens nur schwer interkulturell, geschweige denn historisch feststellen! Sie gehen mehr in eine psychologische und weniger in eine biologische oder evolutionsgeschichtliche Richtung.

[7] In den folgenden Auszügen aus Randy und Nancy Thornhill wird besonders deutlich, wie sehr utilitaristische und ökonomische Thesen der hier dargestellten soziobiologischen Theorie zugrundeliegen: „a ‘ big winner’ alternative will usually exist that will be more reproductively profitable than other alternatives.“ (1983: 139); „On reaching adulthood, he [the human male] is expected to shift from alternatives of lower reproductive return to alternatives of higher reproductive return depending on available opportunities.“ (1983: 164) (Hervorhebungen von J.B.)

[8] Eine Kriminologin und ein Soziologe.

[9] Für diese Herangehensweise müßte näher auf ethnopsychologische Theorien eingegangen werden. Dies würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

[10] Nach Le Vine, Robert A. (1959).

[11] Sandays Begriff sexual repression habe ich mit Unterdrückung der Sexualität übersetzt, weil unter sexuelle Unterdrückung eher die sexuelle Unterdrückung der Frau verstanden wird, als die der Sexualität im allgemeinen.

[12] Obwohl im Allgemeinen in dieser Arbeit Geschlecht für das englische gender steht, steht es in diesem Kapitel für sex, da Sanday zwischen sex und gender noch keinen begrifflichen Unterschied macht.

[13] Nach Turnbull, Colin (1965).

[14] Gwen Broude und Sarah Greene haben Vergewaltigung nicht definiert. Der Begriff steht nur als Titel einer Tabellenspalte. Peggy Sanday gibt zwar eine Definition: „In most societies for which information on rape was available, rape is an act in which a male or a group of males sexually assaulted a woman“ (Sanday 1981: 6). Es ist aber aus ihrem Text nicht ersichtlich, inwiefern sie diese Definition bei ihren Quellen wiederfinden konnte oder, ob sie nur angenommen hat, daß die Anderen dasselbe darunter verstehen.

[15] Weitere Kritik zu unkritischem Lesen der Quellen findet man bei Craig Palmer (1989). Er setzt sich auseinander mit Beispielen, die u.a. bei Sanday, Gwen Broude und Sarah Greene sowie Randy und Nancy Thornhill genannt werden.

[16] Die Thesen meiner Arbeit sind meines Erachtens auch auf komplexe Gesellschaften anwendbar, auch wenn ich fast nur Beispiele aus Stammesgesellschaften nehme.

[17] Hier ist wieder gender gemeint.

[18] ‘Modes of production’ beinhaltet: productive forces (darin enthalten die means of production) und die relations of production. „Finally the mode of production also refers to economic and political processes that are called ‘objective laws of social development’.“ (Schwendinger und Schwendinger 1983: 92)

Final del extracto de 94 páginas

Detalles

Título
This is what we all suffer for being women - Eine Untersuchung über die Frage der Universalität von Vergewaltigung
Universidad
University of Göttingen  (Institut für Ethnologie)
Calificación
2,7
Autor
Año
1999
Páginas
94
No. de catálogo
V15628
ISBN (Ebook)
9783638206884
Tamaño de fichero
617 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
This, Eine, Untersuchung, Frage, Universalität, Vergewaltigung
Citar trabajo
Joëlle Blache (Autor), 1999, This is what we all suffer for being women - Eine Untersuchung über die Frage der Universalität von Vergewaltigung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15628

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