Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zum Begriff der Korruption
3. Empirische und experimentelle Korruptionsforschung
4. Stand der Korruptionsforschung
4.1. Einfluss von Eigennutz, Reziprozität, Fairness und Moral
4.2. Gender- und Kultureffekte
4.3. Korruptionsbekämpfung
5. Ursachen und Folgen von Korruption
6. Schlussbetrachtung
Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Einleitung
So alt und so abwechslungsreich wie die Menschheit ist auch die Korruption. Nicht nur in der Tagespresse ist dieses Thema kaum mehr wegzudenken. Fälle wie der Schmiergeldskandal bei Siemens oder das allgemein hohe Korruptionsniveau in Verwaltung, Politik und Wirtschaft des sich aktuell in Finanznöten befindlichen EU-Staates Griechenland1 werden umfangreich diskutiert. Das Ausmaß der Korruption scheint allerdings von Land zu Land bzw. von Kultur zu Kultur zu differenzieren. So weisen bspw. Entwicklungsländer tendenziell eine höhere Korruptionsrate auf als Industrienationen (Vgl. Transparency International 2010a). Zu hinterfragen ist allerdings, welche Faktoren dafür ursächlich sind. Des Weiteren wird Korruption unterschiedlich empfunden. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie ein Wahrnehmungsphänomen ist (Vgl. von Alemann 2005, S. 14, 23 und Moroff 2005): Entscheidend ist insofern, was eigentlich als Korruption aufgefasst wird und was eben nicht, und nicht nur, wie viel von dem tatsächlich korrupten Verhalten aufgedeckt und wahrgenommen wird.
Zu hinterfragen bleibt außerdem, wie es eigentlich zu korruptem Verhalten kommen kann und welche gesamtwirtschaftlichen Effekte diese Art des „abweichenden Verhaltens“ haben können. Welchen Erklärungsbeitrag vermag die Korruptionsforschung dazu zu liefern? Ist es der Forschung überhaupt möglich, dieser Verhaltensweise auf den Grund zu gehen? Denn nur wenn die Entstehungsursachen bekannt sind, ist auch eine effektive Korruptionsbekämpfung möglich.
Der Begriff Korruption wird alltäglich gebraucht, ohne im Grunde eindeutig zu wissen, welcher Sachverhalt damit umrissen wird. Um dem zu entgegnen, wird im zweiten Kapital der Begriff näher erläutert. Im darauf folgenden dritten Abschnitt werden die empirische und die experimentelle Korruptionsforschung vorgestellt und auf die jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen eingegangen. Das vierte Kapitel stellt letztlich den Schwerpunkt dieser Ausarbeitung dar. In diesem wird der aktuelle Stand der Korruptionsforschung wiedergegeben, indem größtenteils aktuelle experimentelle Studien vorgestellt werden. Dieser 4. Abschnitt ist weiterhin unterteilt in den jeweiligen Gegenstand der Untersuchung (Effekte). Warum korruptes Verhalten überhabt vorkommt und welche möglichen Auswirkungen diese Handlungsweise hat, wird im vorletzten Kapitel durchleuchtet. Eine kritische Schlussbetrachtung rundet diese Ausarbeitung ab.
2. Zum Begriff der Korruption
Das Wort „Korruption“ wird in der Literatur auf vielfache Weise umschrieben. Dem Ursprung nach lässt sich dieses aus der lateinischen Vokabel corruptio bzw. corrumpere ableiten und bedeutet soviel wie „Verderben“. Wird hingegen auf die Wurzel des Verbs rumpere abgestellt, so offenbaren sich Ausdrücke wie „brechen, zerreißen und stürzen“, insofern zugleich „zusammenbrechen, -stürzen und zerbrechen einer Ordnung“ (Vgl. von Alemann 2005, S. 16).
Gleichwohl soll an dieser Stelle auch die klassische, vielfach zitierte Definition nach Senturia aufgeführt werden. Demnach wird unter Korruption „the misuse of public power for private profit“ (Senturia 1931, S. 449) verstanden. Findet also der Missbrauch öffentlicher Macht zur Stiftung eines privaten Nutzens statt, dann liegt Korruption vor. Folgerichtig führt von Alemann (Vgl. 2005, S. 20) aus, sei dies eine zu kurz gedachte Definition. Die Fokussierung auf öffentliche Macht klammere die wirtschaftliche Macht aus, wobei in der gegenwärtigen Zeit große Wirtschaftskonzerne gleichfalls korrupte Beziehungsgeflechte aufweisen. Die wohl bekannteste internationale Non-Profit-Organisation Transparency International, die weltweit die Bekämpfung von Korruption bestrebt, lehnt sich in ihrer Definition stark an Senturia an: Unter Korruption sei operativ der „Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Nutzen“ (Transparency International 2010b) zu verstehen. Damit wird sowohl die privatwirtschaftliche als auch die öffentliche Machtausnutzung zum eigenen Vorteil eingefangen.
Ein alternativer Ansatz zur Erklärung von Korruption ist der Vergleich zu gewöhnlichen Prinzipal-Agent-Beziehungen (Vgl. Frank 2004, S. 184f. und die dortige Quelle). Der Agent (z.B. Beamter) ist angehalten nach den Erwartungen des Prinzipals (z.B. Staat) zu handeln, wobei das Problem im Informationsvorsprung und der Handlungs- und Entscheidungsfreiheit des Agenten liegt. Dieser könnte die ihm anvertraute Macht dahingehend einsetzen, als dass er im eigenen Interesse (persönliche Nutzenmaximierung) agiert. Bei Korruption kommt eine dritte Partei (z.B. Firma) hinzu, die die Interessen des Agenten zu Gunsten der eigenen wendet, indem sie den Agenten besticht. Den Schaden daraus trägt eine weitere Person (z.B. Steuerzahler), die allerdings von ihrem Verlust nichts merkt, weil alle direkt Mitwirkenden ein großes Interesse an der Verschleierung dieser Tauschbeziehung haben.
Korruption zeichnet sich somit dadurch aus, dass sie stets eine beidseitig ausgehandelte Nutzenmaximierung darstellt und zwischen dem Nachfragen (z.B. nach Lizenz, Auftrag) und dem Anbieter (z.B. als Lizenzgeber, Auftragszuteiler) hohes Vertrauen erfordert. Kommt eine Einigung zwischen dem Korrumpierenden und dem Korrumpierten zustande, so können beide enorme Vorteile daraus ziehen, denn die Geschädigten erkennen ihren Verlust zumeist erst gar nicht, weil er in den verwegenen Rechtsbeziehungen eines Wirtschaftskonzerns, den Subventionsregeln oder eben in den Gefilden eines Staatshaushaltes untergeht. Da ein spezifischer Schaden nicht eindeutig auszumachen ist, erlaubt korruptes Verhalten die Möglichkeit einer Win-Win-Situation (Vgl. von Alemann 2005, S. 29). Korruption stellt stets einen Austauschprozess zwischen Personen bzw. Gruppen dar. Sind folgende sieben Eigenschaften kumulativ erfüllt, so liegt Korruption vor (Vgl. von Alemann 2003):
1. Der Korrumpierende will
2. ein knappes Gut (z.B. Lizenz, Auftrag),
3. das der Korrumpierte (Entscheidungsträger innerhalb einer Organisation oder Behörde) vergeben kann.
4. Als Gegenleistung empfängt der Korrumpierte einen heimlichen Zusatzanreiz (Geld bzw. geldwerte Leistung) für die Zuteilung oberhalb des Normalpreises und
5. verletzt dadurch öffentlich geltende Normen und
6. fügt zudem Dritten, Konkurrenten und/oder dem Gemeinwohl Schaden zu.
7. Aus diesem Grund wird Korruption im Verborgenen vollzogen.
3. Empirische und experimentelle Korruptionsforschung
Im Grunde lässt sich die Erforschung des Korruptionsverhaltens von Wirtschaftssubjekten auf zweifache Weisen durchführen: Zum einen empirisch und zum anderen experimentell. Bei der ersten Verfahrensweise werden Erkenntnisse bzw. Erfahrungen über real stattgefundene korrupte Verhaltensweisen gesammelt, systematisiert und letztlich auf den Gegenstandsbereich der jeweiligen Wissenschaft angewendet. Empirisch heißt insoweit auf Erfahrungen basierend. Die empirische Korruptionsforschung analysiert mittels internationaler Querschnittstudien die makroökonomische Wirkung von Korruption. Die Daten solcher Studien gestatten den Test einer Fülle denkbarer Hypothesen zur Korruptionswirkung, wie z.B. auf Investitionsquote, Wachstum des BIP, Inflationsrate oder Einkommensverteilung. Querschnittdaten ermöglichen zwar die Erforschung von Korruptionsfolgen, gleichwohl lassen sich damit keine Rückschlüsse auf Korruptionsursachen ziehen, deren Kenntnis zur Bekämpfung dieses Problems nötig ist.
Wird das Korruptionsverhalten empirisch analysiert, so sieht sich der Forschende unweigerlich mit drei Problemfeldern konfrontiert, die die Erforschung erschweren (Vgl. von Alemann 2005, S. 24): Zum einen sind der Korrumpierende und der Korrumpierte bestrebt ihr Handeln zu verbergen; zum anderen ist eine Quelle, die dann doch aufgemacht wird, aufgrund Vertraulichkeit nicht zitierbar; zuletzt mangelt es oft an Glaubwürdigkeit, wenn sie dennoch zitiert wird. Eine weitere Problematik mit den Datenquellen der empirischen Korruptionsforschung ist darin zu sehen, dass unaufgedeckte Delikte keine Berücksichtigung finden und einzig faktisch angezeigte bzw. aufgedeckte Sachverhalte in die Datenbasis einfließen. Es kommt aus dem Grund kaum zur Anzeige durch die Geschädigten des Korruptionsdeliktes, weil sich Korruption generell als ein Täter-Täter-Delikt offenbart, bei dem das Opfer (z.B. das Allgemeinwohl, die] Öffentliche Hand) nur mühsam auszumachen ist. Aus diesem Grund sind die Zahlen der Kriminalstatistik nicht vollumfänglich, denn das Dunkelfeld ist äußerst hoch und nur schwierig abzuschätzen (Vgl. von Alemann 2005, S. 24). Deshalb lässt sich die faktische Wirkung von Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen empirisch kaum überprüfen, denn korruptes Verhalten ist direkt nahezu nicht beobacht- oder messbar, weil die beteiligten Personen ihr Handeln zu verschleiern bestreben (Vgl. Renner 2004, S. 292). Seit einiger Zeit greifen Forscher deshalb auf die alternative empirische Methode experimentelle Korruptionsforschung zurück: Hierbei erfolgt die methodische Erforschung menschlicher Verhaltensweisen unter kontrollierten Bedingungen (Vgl. Renner 2004, S. 293). So haben sich in jüngerer Zeit Laborexperimente als eine alternative empirische Methode der Korruptionsforschung etablieren können, mittels derer die Ursachen von Korruption untersucht sowie die Wirkung von Anti-Korruptionsmaßnahmen kontrolliert werden können (Vgl. Renner 2004, S. 292).
Laborexperimente sind insbesondere deshalb zur Korruptionsforschung geeignet, weil sie es erlauben, die unterschiedlichen Anreize, die zu korruptem Verhalten führen, zu analysieren. Sie bieten entgegen der Untersuchung von Felddaten die Vorteile, dass zum einen die Handlungsweisen der Akteure unmittelbar beobachtbar sind und zum anderen die Forscher die Kontrolle über die Entscheidungsbedingungen2 haben. Mittels der Fokussierung auf lediglich die essentiellen Entscheidungsgrößen sowie der systematischen Modifikation des Versuchsaufbaus soll eine Separierung der Ursachen bewirkt werden (Vgl. Renner 2004, S. 293).
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1 Beim jährlich ausgewiesenen Corruption Perception Index, der von 0 (vollkommen korrupt) bis 10 (vollkommen korruptionsfrei) reicht und die Ausprägung politischer Korruption wiedergibt, weist Griechenland für 2009 einen Wert von 3,8 aus (Platz 71 von 180 untersuchten Ländern). Zum Vergleich: Im selben Zeitraum hat Dänemark einen Wert von 9,3 zu verzeichnen (Platz 2) (Vgl. Transparency International 2010a).
2 Entgegen der realen Welt ist es im Labor möglich, den Rahmen der Entscheidungsbedingungen zu implementieren, zu manipulieren und auch zu kontrollieren, wodurch ermöglicht wird, die Effekte einzelner Faktoren auf das Entscheidungsverhalten zu separieren. So ist es bspw. real nahezu unmöglich festzustellen,