Arnold Schönberg - sein Einfluss auf die künstlerische Moderne Wiens


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

29 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das musikalische Leben Wiens um 1900
2.1 Der „Verein schaffender Tonkünstler“
2.2 Musikkritik

3. Schönbergs neue musikalische Wege

4. Adolf Loos als Weggefährte

5. Schönberg und Karl Kraus

6. Der Maler Schönberg
6.1 Schönberg und „Der Blaue Reiter“
6.2 Die Freundschaft zu Kandinsky

7. Schlußbetrachtung

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Inwiefern hat Arnold Schönberg, als Komponist, Maler und Theoretiker die künstlerische Moderne Wiens beeinflusst? Diese Frage möchte ich als Kernfrage über die folgenden Ausführungen stellen.

Der 1874 in Wien geborene Schönberg war ein vielseitiges Genie und dabei in allen Bereichen seiner schöpferischen Aktivität Autodidakt. Neben Gustav Mahler gilt er als die bedeutendste Persönlichkeit im Musikleben der Wiener Moderne. Darüber hinaus zählt er aber auch als Lehrer und Theoretiker zu den einflußreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Besonders interessant ist Schönberg vor dem Hintergrund der Wiener Moderne gerade deshalb, weil er mit der Vielseitigkeit seines schöpferischen Werkes prototypisch für eine Zeit steht, der die akademische und künstlerische Spezialisierung in unserem heutigen Sinn noch weitestgehend fremd war.

Was war kennzeichnend für das künstlerische und damit auch musikalische Leben Wiens um 1900? Die Arbeit zahlreicher künstlerischer Vereine wie dem „Verein der schaffenden Tonkünstler“, dessen Mitbegründer Schönberg war, steht neben Isolation und Vereinsamung einzelner Künstler. Bahnbrechende Einzelleistungen wie die von Schönberg entwickelte Zwölftontechnik stehen neben interessanten schöpferischen Beziehungen wie der Schönbergs zu dem Architekten und Stiltheoretiker Loos.

Der Begriff der Wiener Moderne, der meist als Epochendefinition benutzt wird, umfaßt eine große Anzahl verschiedener, oft sogar widersprüchlicher Tendenzen. Ältere, eher traditionalistisch orientierte Denk- und Kunstelemente standen neben Konzeptionen und Denkweisen, die wir heute als avantgardistisch bezeichnen. Bei der zeitlichen Festlegung des Begriffs der Wiener Moderne möchte ich die Datierung Wunbergs aufgreifen, die auch Dagmar Lorenz ihren Ausführungen zur Wiener Moderne zugrundegelegt hat. Demnach umfaßt die Wiener Moderne die Jahre zwischen 1890 und 1910.[1]

In diesem zeitgeschichtlichen Rahmen möchte ich Schönbergs Wirken und seinen Einfluß näher untersuchen. Bei der Darstellung von Schönbergs musikalischen Neuerungen habe ich aus Gründen der Bedeutsamkeit und Vollständigkeit die Zwölftonmethode mit einbezogen und damit den zeitgeschichtlichen Rahmen bis in die 20er Jahre hinein erweitert. Andere gesamtbiographisch wichtige Themen wie etwa die Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Herkunft, sein Wirken als Lehrer oder die Übersiedlung nach Amerika (1934) müssen unberücksichtigt bleiben.

Um Schönbergs Einfluss auf die künstlerische Moderne darzustellen ist es notwendig, seine künstlerische Auffassung und sein Werk in Wechselwirkung mit anderen großen Künstlern seiner Zeit zu betrachten. Von besonderer Bedeutung sind dabei die engen schöpferischen Beziehungen, die Schönberg mit dem Architekten Adolf Loos und dem Literaten Karl Kraus verband. Auch Schönbergs Schaffen als Maler und seine Verbindung zur Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Freundschaft Schönbergs zu Wassily Kandinsky, die in einer der wichtigsten Schaffensperioden Schönbergs um 1910 eine entscheidende Rolle gespielt hat.

Bei der Betrachtung dieser Künstlerfreundschaften sollen Parallelen und Zusammmenhänge in den kunsttheoretischen Auffassungen sowie in der künstlerischen Umsetzung dieser Theorien aufgezeigt werden. Erst vor dem Hintergrund dieser künstlerischen Interaktionen kann ein klares Bild vom Standpunkt und Einfluss Schönbergs auf die künstlerische Moderne Wiens entstehen. Interessant ist, dass solche Wechselbeziehungen wie beispielsweise zwischen Schönberg und Loos, keineswegs nur Einzelfälle oder Randerscheinungen dieser Zeit darstellen, vielmehr können diese künstlerischen Interaktionen als typisches Merkmal der Wiener Moderne betrachtet werden.[2]

2. Das musikalische Leben Wiens um 1900

Schon seit 1880 waren im musikalischen Leben Wiens die Signale unübersehbar für einen beginnenden Umbruch gesetzt. Die Hoffnung beispielsweise ernste Musik und Unterhaltungsmusik gleichwertig als musikalische Ausdrucksgesten zu verstehen schwand rapide.

„Mit dem Tode von Johannes Brahms 1897, im Gründungsjahr der Secession, endet in Wien jene romantische Musikauffassung, die alle Genres musikalischer Ausdrucksweisen umfassen wollte. Sie wird von einer Aufbruchphase der Spezialisten abgelöst, die ihren Werken adäquate Konzertstätten erobern und übergreifende Integration kaum mehr zulassen.“[3]

In den Jahren 1896 bis 1900 bereitete sich dann eine radikale Veränderung des musikalischen Klimas in Wien vor, die für die künstlerische Spätblüte Wiens am Anfang des 20. Jh. mitverantwortlich wurde. In diese Zeit fiel auch die Einberufung Gustav Mahlers an die Wiener Hofoper. Zunächst Kapellmeister, wurde Mahler noch im gleichen Jahr (1897) Direktor der Wiener Hofoper. Unter seiner Führung entwickelte sich die Wiener Hofoper rasch zum führenden Kunstinstitut Europas. Als Dirigent feierte Gustav Mahler besonders in den Jahren 1906 und 1907 rauschende Erfolge. Als Komponist hingegen wurde er vom Wiener Publikum ebenso radikal abgelehnt wie Schönberg.

Mit seinem kompositorischen Schaffen steht Gustav Mahler an der Schwelle zwischen der traditionellen Musik und der „revolutionären“ Musik Arnold Schönbergs. Schönberg selbst hatte Mahlers Musik zunächst nicht sonderlich geschätzt, war später aber tief beeindruckt von der künstlerischen Wahrhaftigkeit und authentischen Deutlichkeit des Ausdrucks, die alle Werke Mahlers erfüllten.[4]

Neben Schönberg und Mahler wurde das musikalische Leben Wiens um die Jahrhundertwende von sehr unterschiedlichen Namen wie Brahms, Wolf, Bruckner und Johann Strauß (Sohn) bestimmt. Eine relative Einheitlichkeit im Schaffen dieser Musiker läßt sich im Gegensatz zur Literatur der Wiener Moderne in der Musik so nicht feststellen. Wagner sieht den Grund hierfür in der zunehmenden Spezialisierung auf die verschiedenen musikalischen Wirkungsstätten:

„Die Arbeitsteiligkeit hält Einzug in das musikalische Wien, verpflichtet den einen mehr der Oper, den anderen dem Konzertsaal, stellt die Komponisten an die Spitze verschiedener Vereinigungen, die keine gemeinsamen Absichten mehr kennen.“[5]

So herrschte in Wien trotz der großen Anzahl an Musikvereinen, Orchestern und Konzerten, zwischen den einzelnen Komponisten beruflich wie persönlich weitestgehend Isolation. Ein Beispiel hierfür geben die Komponisten Johannes Brahms und Anton Bruckner. Obwohl sie in Wien am selben Institut tätig waren, sind sie künstlerisch nur einmal (bei der Einweihung der Orgel) miteinander aufgetreten. Auch privat sollen sie sich nur einmal getroffen haben.[6] Diese Tatsachen lassen auf eine völlige Distanz dieser beiden großen Künstler schließen. Die Isolation einzelner Künstler, von der auch Schönberg betroffen ist, stellt ein typisches Phänomen der Wiener Moderne dar. Die Ursachen hierfür liegen nicht im Fachlichen der Musik begründet, vielmehr bildeten verschiedene ästhetische Weltanschauungen und in deren Folge auch unterschiedliche politische Zielsetzungen die Kluft zwischen den einzelnen Komponisten Wiens.

Hinzu kam, dass die allgemeine künstlerische Situation Wiens um 1900 alles andere als offen oder gar fortschrittlich war. Es herrschte ein starkes Philistertum. Alles Neue war von vorn herein verdächtig. Das führte dazu, dass die modernen Strömungen in der Musik, aber auch in Kunst, Literatur und Architektur nie von der Mehrheit der Wiener Bevölkerung, ja nicht einmal vom gebildeten Mittelstand akzeptiert wurden.[7] Infolgedessen konnten junge Komponisten, die zu den Modernen zählten, ihre neuen Werke nur sehr selten einem Publikum vorstellen. Elsa Bienenfeld, die erste Musikkritikerin des Neuen Wiener Journals, beschreibt die Situation in Wien wie folgt:

„Die Orchesterkonzerte und Kammermusikvereinigungen führen im besten Fall neue Werke bereits anerkannter Komponisten oder höchstens als Novitäten Epigonenmusik auf, bei der die Mühe des Einstudierens ebenso gering ist wie die Mühe des Hörens.“[8]

Auch Schönberg hatte schon frühzeitig erkannt und auch persönlich erfahren, wie das konventionell erstarrte Kulturleben des Wiener Bürgertums künstlerische Entwicklungen und Neuerungen auf allen Gebieten hemmte. Die Situation der Komponisten schätzte er wie folgt ein:

„Konformität mit dem konservativen Geschmack, überfeinerte Instrumentierung, Betonung publikumswirksamer musikalischer Effekte waren die Kriterien, die kein erfolgsuchender Komponist ignorieren durfte.“[9]

Aber Schönberg ignorierte diese Kriterien ganz bewusst, denn sie widersprachen seinem künstlerischen Selbstverständnis.

„Ich glaube: Kunst kommt nicht von können, sondern vom Müssen.“[10]

So beschreibt Schönberg selbst seine schöpferische Handlungsmotivation. Die innere Notwendigkeit wird zum bestimmenden Faktor seiner künstlerischen Entwicklung und gleichzeitig auch zur zentralen Kategorie seiner Theorien. Den Preis, den er wie viele seiner jungen Künstlerkollegen Wiens dafür zahlen musste, ist die langjährige Inakzeptanz und fehlende Anerkennung seiner schöpferischen Leistungen. Janik/Toulmin bemerken dazu:

„Wenige Städte haben Männer, die sie nach deren Tod als Kulturgrößen, ja Genies, proklamierten, vorher so verständnislos behandelt, wie es Wien tat.“[11]

Schönberg selbst kritisiert an seiner Heimatstadt Wien insbesondere den herrschenden Ästhetizismus und die Wiener Künstlichkeit:

„Alles ist Kompromiß, überall Vorsicht, Vornehmheit. Alles muß -nach etwas aussehen-, gleichviel ob es etwas ist oder nicht; das Äußere entscheidet!“[12]

2.1 Der „Verein der schaffenden Tonkünstler“

Um das Wirken und die Leistungen Schönbergs im Wien der Jahrhundertwende zu verstehen, ist es wichtig, die konfliktbeladene Atmosphäre dieser Zeit zu berücksichtigen. Wie bereits erwähnt, war es eine Zeit der konkurrierenden Ideologien. (Liberalismus, Klerikalismus, Sozialismus, Zionismus ...) Jede dieser nach Vormacht strebenden Gruppen verfügte in Wien über eine eigene Organisation. Entsprechend mussten auch die innovativen Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler innerhalb der Avantgarde nach Verbündeten suchen, um ihre Positionen zu verteidigen.[13]

Da, wie bereits erwähnt, im musikalisch betont konservativen Wien das Neue in der Musik kaum Gehör fand, fühlten sich auch die jungen Komponisten gezwungen, einen eigenen Verein zu gründen, um die musikalische Situation in Wien zu verbessern. Schönberg und sein Freund und Lehrer Zemlinsky ergriffen dafür die Initiative und gründeten im März 1904 den „Verein der schaffenden Tonkünstler“. Dieser Vereinigung gehörten neben Arnold Schönberg, Alexander von Zemlinsky, Posa, J.v. Wöss, Karl Weigl und Rudolf Hoffmann an. Den Ehrenvorsitz des Vereins hatte Gustav Mahler übernommen, der zu diesem Zeitpunkt Direktor der Wiener Hofoper war.[14]

Der „Verein der schaffenden Tonkünstler“ setzte sich in erster Linie für die Aufführung zeitgenössischer Kompositionen ein. Darüber hinaus sahen die Mitglieder in der Gründung des Vereins aber auch die Möglichkeit, einen engeren Kontakt zum Publikum herzustellen, ihre zeitgenössische Musik zu pflegen und gleichzeitig das Publikum auch über den aktuellen Stand ihres musikalischen Schaffens zu unterrichten. Diese Bemühungen um eine Neuorganisation des künstlerischen Schaffens waren mit dem Wunsch verbunden, durch eine Änderung der Formen von Vermittlung zugleich auch eine Änderung der Kunst anzustreben.

Die Tätigkeit dieser Vereinigung war sehr kurzlebig und reichte über die Saison 1904/1905 nicht hinaus. Trotzdem hatte der „Verein der schaffenden Tonkünstler“ Erfolg, denn eine ganze Reihe bedeutender Werke, die exemplarisch für die Wiener Moderne stehen, wurden in diesem Rahmen in Wien uraufgeführt. So zum Beispiel die Kindertotenlieder und die Lieder aus Des Knaben Wunderhorn von Gustav Mahler, die Sinfonia Domestica von Richard Strauß und Pelleas und Melisande von Schönberg.[15]

2.2 Musikkritik

Seine grundlegenden Gedanken zur Musikkritik im späten habsburgischen Wien hat Schönberg in einem längeren Aufsatz unter dem Titel „Über Musikkritik“ niedergelegt. Dieser Aufsatz erschien im Oktober 1909 in der von Richard Specht herausgegebenen Musikzeitschrift „Der Merker“. Darin äußert Schönberg:

„Um einen Kunsteindruck empfangen zu können, muß die eigene Phantasie schöpferisch mitwirken. Nur die Wärme, die man selbst abzugeben imstande ist, gibt das Kunstwerk, und schließlich ist eigentlich fast jeder Kunsteindruck ein von der Phantasie des Zuhörers Geschaffenes. Allerdings ausgelöst durch das Kunstwerk; aber nur dann, wenn man über einen dem Absendeapparat gleichgestimmten Empfangsapparat verfügt.

[...]


[1] Vgl. Lorenz, (1989) S.2

[2] Vgl. Timms, (1993) S.129

[3] Wagner, (1985) S.403

[4] Vgl. Janik/Toulmin, (1985) S.146

[5] Marchetti, (1985) S.403

[6] Vgl. Wagner, (1985) S.404

[7] Vgl. Timms, (1993) S.135

[8] Bienenfeld, (1981) S.600

[9] Janik/Toulmin, (1985) S.135

[10] Schönberg, (1976) S.165

[11] Janik/Toulmin, (1985) S.42

[12] Schönberg, (1976) S.164

[13] Vgl. Timms, (1993) S.128

[14] Vgl. Wellesz, (1985) S.28

[15] Vgl. Wellesz, (1985) S.28

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Arnold Schönberg - sein Einfluss auf die künstlerische Moderne Wiens
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Neuere Deutsche Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Wiener Moderne
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
29
Katalognummer
V15651
ISBN (eBook)
9783638207065
ISBN (Buch)
9783638644075
Dateigröße
552 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arnold, Schönberg, Einfluss, Moderne, Wiens, Wiener, Moderne
Arbeit zitieren
M.A. Uta Ziegler (Autor:in), 2001, Arnold Schönberg - sein Einfluss auf die künstlerische Moderne Wiens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15651

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