Die Zeitreise in Literatur und Film


Mémoire de Maîtrise, 2010

97 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Science-Fiction vs. Fantasy

3. Der 'Genremix' und die Zeitreise innerhalb der modernen Popkultur

4. Das Erklarungsprinzip

5. Die Zeitreise als wissenschaftlicher Prozess vs. die personliche Intention
5.1 Die Wissenschaft
5.2 Die personliche Intention

6. Andern vs. Nicht-Andern

7. Zeitreise als Bestandteil der Gegenwart vs. Schmetterlingseffekt
7.1 Die Bedeutung des Details innerhalb der Zeitreisegeschichte

8. Hilfsmittel und Zeitmaschinen
8.1 Unterschiedliche Methoden der Zeitreise
8.2 Die Technik in Harry Potter and the Prisoner of Azkaban oder 'Warum ein Time Turner in der Zaubererwelt existieren kann'

9. Glaube, Akzeptanz und Skepsis

10. Das GroBvater-Paradoxon vs. die Viele-Welten Theorie

11. Gefangen in der Zeitschleife

12. Der Zeitreisende
12.1 Beziehungen des Zeitreisenden
12.1.1 The Time Machine Der Zeitreisende und Weena
12.1.2 Back to the Future Marty und Doc Brown
Marty und seine Eltern
Marty und sein Vater
Marty und seine Mutter-Das odipale Dilemma
12.1.3 Harry Potter and the Prisoner of Azkaban Harry und Sirius Black
Hermione und Harry
12.1.4 The Butterfly Effect Evan und Kayleigh
12.2 Unter Druck, gehetzt und immer in Eile
12.3 Verlust

13. Schlussbetrachtung

Bibliografie

1. Einleitung

Diese Arbeit soil sich mit der modernen Bearbeitung der Zeitreise in Literatur und Film beschaftigen und dabei von den Grundlagen ausgehen, die von H.G. Wells mit The Time Machine geschaffen wurden. Es soll ausgearbeitet werden, welche Veranderungen das Motiv seitdem durchgemacht hat und welche Gemeinsamkeiten noch heute zu einem Text bestehen, der bereits im Jahre 1895 erschienen ist. Hierbei wird der Fokus nicht auf altbewahrter Analyse der Gesellschaftskritik oder Endzeitversion in Wells' Werk liegen, sondern es soll aufgezeigt werden, wie das Motiv der Zeitreise in der heutigen Zeit bearbeitet wird. Dabei wird sich zum Vergleich primar an Wells' Roman, als auch an J.K. Rowlings Harry Potter and the Prisoner of Azkaban auf literarischer Ebene und Back to the Future sowie The Butterfly Effect auf filmischer Ebene orientiert.

Zusatzlich werden andere aktuelle Beispiele aus beiden Bereichen und dem Fernsehen hinzu gezogen, um ein moglichst zeitgemaBes Bild des Ganzen zu prasentieren und somit eine Zeitspanne abzudecken, die sich bis ins Jahr 2010 erstreckt (Dollhouse, Supernatural).

Aufgrund der Vielseitigkeit der ausgewahlten Texte, Filme und Serienbeispiele wird daher vor allem ein allgemeiner Uberblick geschaffen, der neue Ansatzpunkte der Interpretation bieten soll. Eine derart moderne Betrachtung des Themas wurde bisher noch nicht verfasst und soll deswegen im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen. Hierbei werden grundlegende Konzepte wie das 'GroBvater-Paradoxon' jedoch nicht auBen vor gelassen, sondern vielmehr in einen aktuelleren Kontext gesetzt. Zusatzlich soll aufgezeigt werden, dass Zeitreisegeschichten den Fokus heute mehr auf ihre Protagonisten als auf groBe Effekte richten. Diesem Prinzip soll auch die Struktur dieser Arbeit folgen, welche bei allgemeineren Betrachtungen beginnt und in der textimmanenten Analyse der diversen Protagonisten endet.

Der strenge Unterschied, den Gertrud Lehnert-Rodiek in ihrer Doktorarbeit Zeitreisen zwischen Reisen innerhalb des „eigenen Zeitkontinuums“ (Rodiek, S.22) und jenen zwischen „Parallelwelten“ (Rodiek, S.22) macht, verschwimmt innerhalb der modernen Adaptionen des Zeitreisemotivs immer mehr. Letztendlich ist es nicht immer moglich, zu beantworten, welche Art der Reise denn nun vollzogen wurde und wie sich eine solche Unterscheidung rechtfertigen lasst. So weiB man zum Beispiel nicht, ob Evan in The Butterfly Effect1 verschiedene Parallelwelten besucht oder einzig seine eigene immer wieder verandert. In dem Moment, in dem man diese Frage nicht mehr beantworten kann, wird es schwer, den Film selbst einer der beiden Kategorien zuzuordnen. Aufgrund dieser Unklarheit soll innerhalb dieser Arbeit eine1 gemeinsame Betrachtung vorgenommen werden, die einen weitgreifenderen Uberblick der Zeitreise innerhalb von Literatur und Film bietet.

2. Science-Fiction vs. Fantasy

„Die Gattung Science Fiction ist die Gesamtheit jener fiktiven Geschichten, in denen Zustande und Handlungen geschildert werden, die unter den gegenwartigen Verhaltnissen nicht moglich und daher nicht glaubhaft darstellbar waren, weil sie Veranderungen und Entwicklungen der Wissenschaft, der Technik, der politischen und gesellschaftlichen Strukturen oder gar des Menschen selbst voraussetzen.“

(Suerbaum, S.10)

Ulrich Suerbaum nennt dies in Science Fiction den gegenwartigen Stand der Gattungsentwicklung dieses literarischen Genres und halt damit die grundlegenden Elemente der Gattung fest, auf die sich wohl, trotz unzahliger Definitionsdebatten, die meisten Experten einigen konnten. In Bezug auf Fantasy spricht er von Literatur, „in der die bekannten Naturgesetze uberstiegen werden (etwa durch ubersinnliche Psi-Krafte) oder auBer Kraft gesetzt sind (etwa durch Magie)“ (Suerbaum, S.9).

Bei Science-Fiction und Fantasy handelt es sich um unterschiedliche Genres in Literatur und Film. Ganz der Wortbedeutung entsprechend, besteht Science-Fiction einerseits aus Thematiken der Wissenschaft (Science) und andererseits aus einer Art kreativen Poetik (Fiction), die Einzelheiten dazu erfindet bzw. weiter dichtet2. Hierbei kommt es vor allem auf die Kombination dieser beiden Elemente an, denn ohne die Erklarungsversuche der Wissenschaft bliebe die Poetik wiederum nur eine phantastische Erzahlung (Fantasy). Science- Fiction baut auf wissenschaftlicher Basis auf und treibt das Geschehen und die Moglichkeiten daraufhin weiter in Spharen, die in der tatsachlichen, realen Wissenschaft (noch) nicht erkundet werden konnen. Es werden theoretische Modelle aufgestellt und Vorgange realisiert, die sich nur schwer, oder gar unmoglich, umsetzen lassen wurden. Robert Heinlein erklart: „'Science fiction [...] is not fantasy; it is legitimate - and often very tightly reasoned - speculation about the possibilities of the real world'“ (Suerbaum, S.9). Andere gehen sogar so weit und sprechen der Science-Fiction einen prognostischen Wert zu3.

The Time Machine ist ein Paradebeispiel fur Science-Fiction Literatur4, denn der Roman baut auch in seiner kompletten Erzahlweise auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Zeitreisenden auf, nur um diese dann tatsachlich mittels der Zeitmaschine in die Tat umsetzen zu konnen. Wir erleben den Entwicklungsprozess von 'Science' zu 'Fiction' indem wir im England des 19. Jahrhunderts starten und bis ans 'Ende der Zeit' vom Reisenden mitgenommen werden.

Dem Fantasygenre sind diese Grenzen fremd, denn hier wird ganzlich auf die wissenschaftlichen Restriktionen verzichtet5. Fur die Elemente einer Fantasyerzahlung muss keine rationale Erklarung geliefert werden, um deren Existenz zu rechtfertigen6. So wird zum Beispiel die Magie in den Harry Potter Buchern als gegeben angesehen und es gibt weder kunstliche Hilfsmittel, die den Zauberern zu ihren Kraften verhelfen, noch wird die genetische Grundlage weiter erortert. Zwar wird deutlich, dass sich die Zauberei innerhalb einer Familie weiter vererbt, allerdings gibt es hier auch Beispiele, wie Hermione Granger, die ganzlich von Muggles abstammt. Eine genetische Untersuchung wird innerhalb der Bucher nicht nur auBen vor gelassen, sondern scheint auch uberflussig. Dies und andere Elemente macht die Harry Potter Bande zu einem der prominentesten modernen Beispiele fur Fantasy Literatur mit einer ungeheuer groBen Fangemeinde7.

In diese Betrachtung bettet sich auch der Time Turner ein, mit dem Hermione sich selbst und Harry den Sprung zuruck in die Vergangenheit ermoglicht. Naturlich wird dem sanduhrformigen Gegenstand mit Faszination begegnet, aber er gehort nicht in den Bereich des Unmoglichen, weil man seine Funktionsweise nicht rational erklaren kann. In einer Welt, in der man auf Besen fliegen, apparieren und einen Patronus erschaffen kann, wird auch das Zeitreisen schnell akzeptiert. Erklarungen auf wissenschaftlicher Grundlage sind eher Teil der Mugglewelt, deren Mitglieder mehr Schwierigkeiten dabei hatten, den Fahigkeiten des Time Turners Glauben zu schenken. Wenn man allerdings um die Magie weiB, die in der Zaubererwelt existiert, fallt es leichter, den Time Turner zu akzeptieren. Die Faszination Harrys ruhrt eher von der Auflosung um Hermiones Geheimnis und der Frage, wie sie in den Besitz eines solchen Gegenstandes gekommen ist („Where did you get that hourglass thing?“ HPatPoA, S.289). Die Existenz eines Time Turners scheint weniger unwahrscheinlich als das Gluck, in diesem so wichtigen Augenblick ein derartiges Objekt zur Verfugung zu haben. So wundert sich Harry nicht weiter, sondern steigt vielmehr in Hermiones Uberlegungen daruber ein, warum Dumbledore sie um genau drei Stunden zuruckgeschickt hat (vgl. HPatPoA, S.290).

3. Der ’Genremix’ und die Zeitreise innerhalb der modernen Popkultur

Langst wird sich nicht mehr nur in Science-Fiction Literatur und Filmen mit dem Motiv der Zeitreise auseinandergesetzt. Auch Dramen wie The Butterfly Effect legen den Fokus auf das Prinzip des Zeitsprungs, beschaftigen sich jedoch weniger mit dessen Ursprung als den personlichen Konsequenzen, die das Ganze fur die Reisenden und ihr soziales Umfeld hat. Hier findet sich auBerdem das Phanomen des Gendefekts, der beim Protagonisten vorherrscht und fur die mehr oder weniger wahllosen Zeitsprunge verantwortlich ist. Dieser lasst sich nicht mehr so eindeutig in den Bereich Science-Fiction einordnen wie elektrische Zeitmaschinen, die ihren Weg in die Zukunft bzw. die Vergangenheit finden. In dem Moment, in dem man sich der Zeitreise nicht mehr entziehen kann, weil sie Teil des eigenen Korpers und somit der eigenen Existenz ist, konzentriert sich die Geschichte nur noch sekundar auf das 'Wie' und zeigt vielmehr, welche Folgen das Ganze fur den Protagonisten auf personlicher Ebene hat. Wir erleben Charakterstudien und kleine fiktive Lebensausschnitte, in denen der Science-Fiction Aspekt der Zeitreise nur noch zur Rahmenhandlung gehort.

Da die Wurzeln der Zeituberwindung jedoch in diesem Genre liegen, bauen alle bisherigen und zukunftigen Bearbeitungen immer noch darauf auf. Moderne Geschichten, wie jene in The Butterfly Effect, konnen nur aus dem Grund heute erzahlt werden, weil sich das traditionelle Science-Fiction Genre bereits seit unzahligen Jahren mit dem Thema auseinandersetzt. Letztendlich verhalt es sich wie eine Basis, zu der je nach Adaption und alternativer Auseinandersetzung neue Zutaten gemischt werden, um innovative Plots zu schaffen, die Leser und Zuschauer sowohl unterhalten als auch uberraschen.

Der 'Genremix' ist die logische Schlussfolgerung dieser Theorie, denn je mehr neue Elemente hinzu kommen, desto einzigartiger ist das erzahlerische Potential der Geschichte. Back to the Future erweitert Science-Fiction durch Komodie und wurde durch seine Einarbeitung des kulturellen Zeitgeistes der 80er Jahre zu einem weltweit bekannten Kultfilm eben dieses Jahrzehnts8.

Der Ubergang von Literatur zum Film gestaltete sich bezuglich der Science-Fiction fast nahtlos, denn hier „liegt die Umsetzung ins Bild so nahe, daB die Vorgeschichte und die Geschichte der Gattung schon seit dem 19. Jahrhundert von visuellen Adaptionen begleitet wird“ (Suerbaum, S.57). Heutzutage korrelieren die Entwicklungen auf beiden Seiten miteinander und machen hinsichtlich der diversen Genres die gleichen Veranderungen durch9.

Die Zeitreise ist nicht nur innerhalb der Literatur und Filmkunst der vergangenen Jahre ein prominentes Thema, sondern ein allgegenwartiges Motiv innerhalb der modernen Popkultur. Die Verfilmung der Graphic Novel Watchmen prasentiert uns den allmachtigen Dr. Manhattan, fur den zeitliche Restriktionen keinerlei Bedeutung mehr haben (vgl. Jensen, popwatch, „Time Travelers: We'll take (Dr.) Manhattan“), und auch der Serienerfolg Lost spielt mit mysteriosen Zeitsprungen seiner Hauptfiguren, um den verworrenen Plot weiter zu fuhren.

Sind die Grenzen der Zeit einmal uberwunden, gibt es nahezu unendliche Moglichkeiten, Geschichten fort zu spinnen und um kreative Elemente aller Art zu erweitern. Lost Executive Producer Carlton Cuse beschreibt dies passend wenn er sagt: „'Time travel stories are a great type of wish fulfillment^...] The ability to enter a world otherwise closed to us with knowledge no one in that world possesses is always rich in story telling possibilities[...].'“(Jensen, „Let's do the timewarp again“). Sowohl historische Ereignisse als auch beliebige Zeitpunkte in der Zukunft konnen in den Verlauf der Geschichte eingebaut werden und erweitern deren Rahmen bis ins nahezu Unendliche. Figuren konnen ihr Wissen uber die Zukunft nutzen, um gewisse Gegebenheiten zu verandern oder setzen alles daran, gerade keinen Einfluss auf das Geschehen zu nehmen. Dies hangt nicht zuletzt davon ab, ob die Reise aus eigener Intention zu einem bestimmten Zweck erfolgt oder unfreiwillig bzw. ungesteuert.

Das Science-Fiction Genre boomt sowohl in den groBen Kinoproduktionen als auch in der Serienwelt10. Die viel erwartete Fortsetzung der Star Trek Saga, bei der ebenfalls Lost Macher J.J. Abrams Regie fuhrte, spielte mit der Zeitreise, um nahtlos an seine Vorganger anschlieBen zu konnen und wurde mit 257.730.019 Besuchern zu einem der erfolgreichsten Filme des Jahres 2009 (vgl. insidekino). Auch andere aktuelle Serienproduktionen, wie Terminator: The Sarah Connor Chronicles oder Heroes bedienen sich der Zeitreise und fuhren so eine alte Science-Fiction Tradition fort11.

Ein modernes Beispiel der britischen Fernsehwelt ist die Serie Misfits, die 2009 auf dem Sender E4 ausgestrahlt wurde. Die Handlung dreht sich hier um eine Gruppe von Sozialdienst leistenden Jugendlichen, die wahrend eines Sturms vom Blitz getroffen werden. Nach diesem Vorfall bemerken sie, dass sie plotzlich besondere Fahigkeiten haben. Der Sprintstar Curtis, der wegen Drogenbesitzes festgenommen wurde, ist nun in der Lage, die Zeit zuruck zu drehen, und kann daher verhindern, dass der ebenfalls veranderte Bewahrungshelfer sie angreift und totet. In der vierten Folge der ersten Staffel versetzt er sich schlieBlich zuruck zu dem Zeitpunkt, bevor er die Drogen gekauft hat, und versucht nicht nur sich, sondern auch seine damalige Freundin vor den rechtlichen Konsequenzen zu retten, indem er das Ganze verhindert. Nach mehreren Versuchen, die unter anderem darin resultieren, dass der Dealer seine Freundin ersticht, gelingt ihm dies schlieBlich, und er macht sich in der verbesserten Gegenwart auf den Weg zum Gemeinschaftscenter, in dem er die anderen vermutet. Dort findet er jedoch nur Fotos und Blumen, denn weil er nicht da war, als der Bewahrungshelfer die anderen angriff, sind diese gestorben. In diesem Moment trifft er die Entscheidung, seine Karriere als Sprinter wieder aufzugeben und sich bei einem wiederholten Sprung in die Vergangenheit festnehmen zu lassen. Auf diese Weise verhindert er den Tod der anderen und gelangt in die fast identische Gegenwart zuruck, die er vor den Sprungen verlassen hat. Anders als in den USA sind die Serienproduktionen in GroBbritannien kurzer und meist auch nicht so popular wie ihre amerikanischen Pendants. Mit der ersten ausgestrahlten Staffel hat Misfits allerdings von sich reden gemacht und wird als Mischung aus Skins und Heroes propagiert.

Fruher wie heute stellt die Zeitreise ein Mysterium dar, das in der Theorie schon vielfach wissenschaftlich bearbeitet wurde. Pseudowissenschaftliche Erklarungen, wie wir sie zum Beispiel in Back to the Future von Doc Brown durch seinen Fluxkompensator geliefert bekommen, versuchen sich an Theorien, die in der realen Welt nicht zum gewunschten Ergebnis fuhren wurden, aber eine zufriedenstellende fiktive Losung bieten.

Ist das 'Wie' geklart, kann sich ganz auf die kreative Freiheit verlassen werden und die Geschichten konnen jedwede Form annehmen. Lost begann mit einem Flugzeugabsturz und der Annahme, es handle sich um eine einfache Abenteuerserie. Jedoch wurden die Zuschauer schnell eines besseren belehrt, denn die geheimnisvollen 'Anderen', der schwarze Nebel und die komplexen miteinander verwobenen Schicksale der verschiedenen Figuren zeigten schon bald, dass es sich bei der Serie von Abrams und Damon Lindelof um eine Zusammensetzung der verschiedensten Genres handelte. Die abenteuerliche Geschichte des Flugzeugabsturzes birgt in den zwischenmenschlichen Beziehungen und den Charakteraufarbeitungen, die wir durch Ruckblicke und Blicke in die Zukunft erlangen, eine typische Dramenstruktur. Der schwarze Nebel, die Dharma Initiative und die Zeitsprunge, die in der funften Staffel hinzu kommen, erinnern an Mysteryserien. Zusatzlich enthalt die groBe Menge an Subplots sowohl typische Krimi und Thriller Aspekte, als auch Fantasy und teilweise sogar Comedyelemente. Lost gilt als Ausnahmeserie, die nicht nur aufgrund ihres komplexen Plots einen so groBen Erfolg genieBt, sondern gerade wegen ihrer Vielseitigkeit auch ein weit gefachertes Publikum anspricht.

Wieder zeigt sich, dass Genreubergriffe heutzutage gerne genutzt werden und es sich hierbei ahnlich verhalt, wie bei der Entwicklung des Zeitreisethemas selbst. Bekanntes will erneuert und erweitert werden. So wie sich die Zeitreise von der technischen Maschinerie entfernt hat, um in vagere, neuere Gebiete wie Genetik oder gar Zauberei einzutauchen, so lebt auch die moderne Unterhaltungsbranche von Innovation und Neuentdeckungen12. Einfach gestrickte Konzepte mogen vielleicht zuverlassig wirken, aber um mit den groBen, eingesessenen Erfolgskonzepten mithalten zu konnen, mussen neue Formate dem Zuschauer auch tatsachlich immer mehr Neues bieten. In seinen Ausfuhrungen zur Harry Potter Saga vergleicht John Granger jenes Mixen der Genres mit postmoderner Architektur, denn auch diese besteht aus Kombinationen verschiedener Baustile, die in ein modernes Bild aus Stahl und Glas einflieBen, um dieses weicher und innovativer zu gestalten (vgl. Granger, S.153). In Bezug auf die Literatur beschreibt er dies treffend als „blurring of genres in stories“ und einen „mix of tone and theme ranging from high art and ideas to popular entertainment“ (Granger, S.153-154). Der Effekt des Ganzen liegt vor allem darin „the reader's preconceived notions of what he or she is reading“ (Granger, S.154) zu dekonstruieren and auf diese Weise Platz fur die kreativen Moglichkeiten zu schaffen, die durch das Mischen und Mixen entstehen.

Auch Wells bot seinen damaligen Lesern dieses Neue13 und verfasste mit seinem Roman eine Bestandsaufnahme der Erkenntnisse des spaten 19. Jahrhunderts in Bezug auf das Verhaltnis der Menschheit zur Zeit14

4. Das Erklarungsprinzip

Das Prinzip des Zeitreisens ist aufgrund seiner Komplexitat immer in eine Art Erklarungsstruktur gebettet, um eine Grundlage zur letztendlichen Akzeptanz des Vorgangs zu bieten. Sowohl Texte also auch Filme arbeiten haufig mit einem Charakter, der entweder den wissenschaftlichen Vorgang selbst erlautert oder zumindest eine Art Erklarung fur gewisse Ereignisse gibt. In Wells' The Time Machine basiert die komplette Erzahlung auf dem Bericht des Zeitreisenden. Dieser erlautert seinen Gasten gleich zu Beginn, aufgrund welches Prinzips die Maschine funktioniert und vermittelt dieses Wissen auf diese Weise auch dem Leser. Hier legt er keinen Wert auf die spektakulare Presentation seiner Erkenntnisse, sondern leitet diese vielmehr Schritt fur Schritt ein („You must follow me carefully. I shall have to controvert one or two ideas that are almost universally accepted.“ The Time Machine, S.1).

Eine detaillierte Beschreibung der technischen Zusammensetzung seiner Zeitmaschine gibt es zwar nicht, aber dies ist nicht zuletzt dem Unterhaltungswert der Geschichte zutraglich. Seitenlange technische Erlauterungen und das notige Fachwissen, um diesen auch folgen zu konnen, wurden den Rahmen eines Romans, der vor allem unterhalten soll, sprengen. Man begnugt sich also mit dem grundlegenden Prinzip, welches die Bewegung durch die Zeit erst ermoglicht, und folgt dem Zeitreisenden schlieBlich mittels eines Ruckblicks auf seine Reise. Als Bericht aller Ereignisse, die sich auf dieser zugetragen haben, besteht die komplette Erzahlung aus einer einzigen groBen Erklarung. Den Gasten und dem Leser wird eine ganzlich neue Welt aufgezeigt, in der sich die Menschheit zu zwei verschiedenen Spezies entwickelt hat, in welcher die Flora auBergewohnlich bluht und die Fauna nahezu ausgestorben scheint („Indeed, I found afterwards that horses, cattle, sheep, dogs had followed the Ichthyosaurus into extinction.“ The Time Machine, S.30). Wir verlassen uns auf die Beobachtungen des Zeitreisenden und folgen den Theorien und Annahmen, die er uns zur ersten Einschatzung der Lage bietet. Obwohl er kurze Andeutungen auf seine Fehleinschatzungen macht („This, I must remind you, was my speculation at the time. Later, I was to appreciate how far it fell short of the reality.“ The Time Machine, S.33) sind wir so in der Lage, seinen Gedankengangen zu folgen und uns in die Geschichte, die er erzahlt, hinein zu versetzen. Das Bild zweier so unterschiedlicher Welten wie unserer eigenen und jener, die der Zeitreisende besucht, gehort zu den Motiven, die Wells sehr haufig in seinen Werken genutzt hat. Neben der gegenwartigen und der zukunftigen Welt in The Time Machine gibt es auch in seinen Kurzgeschichten einige Beispiele, in denen zwei unterschiedliche Welten gegenuber gestellt werden. So befindet sich der Protagonist in „The Remarkable Case of Davidson's Eyes“ zum Beispiel korperlich in London, sieht allerdings nach einem Blitzeinschlag nicht sein Labor, sondern eine Sudseeinsel vor sich. Die Trennung seines Korpers von seiner visuellen Aufnahme bildet einen Gegensatz, der darin fortgefuhrt wird, dass sich die Tageszeiten an beiden Orten unterscheiden. AuBerdem hat er einmal das Gefuhl, sich in den Untergrund zu bewegen, und bekommt Klaustrophobie, nur um in einer anderen Situation Hohenangst zu erleben, weil er das Gefuhl hat, er hange frei in der Luft. Die Geschichte arbeitet ohne wirklichen Plot. Weder in London noch auf der Sudseeinsel spielen sich irgendwelche erzahlenswerten Geschehnisse ab. Wells scheint es einzig und allein darum zu gehen, die Nebeneinanderstellung der beiden Welten aufzuzeigen und die Unterschiede herauszuarbeiten15. Das Prinzip zweier Welten findet sich schlieBlich auch in anderen Werken Wells', wie zum Beispiel „The Crystal Egg“, „The Plattner Story“ oder „Under the knife“ (vgl. Huntington, S.1-2). In The Time Machine geht er ahnlich vor, erganzt das Aufzeigen zweier Welten jedoch durch einen fortlaufenden Plot. Wir erhalten eine Einfuhrung, detaillierte Beschreibungen und folgen dem Protagonisten auf seine Reise in die Zukunft und durch die Ereignisse, die sich seiner Ruckkehr in den Weg stellen. Der Plot der Binnenerzahlung weist das, aus anderweitiger Literatur bekannte, vertraute Muster einer abenteuerlichen Reise auf (vgl. Suerbaum, S.50).

Auch Back to the Future liefert durch Doktor Emmet Brown eine pseudo-wissenschaftliche Erklarung fur das Zeitreisen, die mit den Worten „Come here, I show you how it works.“ (BttF, 0:23:37) beginnt und mit der Presentation des Fluxkompensators fortgefuhrt wird. Dass dieser in Wirklichkeit weder existiert noch funktioniert, ist hierbei nur von sekundarer Bedeutung. Innerhalb des Filmes wird uns und auch Marty Mcfly eine zufriedenstellende wissenschaftliche Erklarung geliefert, die das Zeitreisen mit genugend Fakten untermauert. Hier bleibt zu bemerken, dass es in den meisten Fallen auch ein 'Publikum' gibt, dem der Sachverhalt erklart wird. Bei Wells ist es der Kreis seiner Gaste, in Back to the Future ist es Marty McFly, und auch in Harry Potter and the Prisoner of Azkaban wird Harry von Hermione erklart, dass sie nur durch den magischen Time Turner in der Lage war, ihren uberfullten Stundenplan einzuhalten. Es sollte in diesem Zusammenhang betont werden, dass das Zeitreisen als Teil einer magischen Welt zwar auch mit fehlender wissenschaftlicher Erklarung leichter akzeptiert wird, aber dennoch einer Art einfuhrender Erlauterung bedarf (vgl. HPatPoA, S.289). Harry, der als Neuling in der Zaubererwelt immer wieder Dinge erklart bekommt, hilft auf diese Weise auch dem Leser, der diese Neuigkeiten mit ihm aufnimmt. Dieses Prinzip machen sich die Harry Potter Bucher von Anfang an zunutze, denn die Einfuhrung einer komplett neuen Welt innerhalb einer Erzahlung wird vereinfacht, wenn man eine Figur hat, fur die das Ganze genau so neu ist wie fur den Leser. Regeln, Gegebenheiten und Phanomene konne auf diese Weise im Erzahlfluss erklart werden und werden zum Beispiel in Dialoge eingebunden. Diese lassen sich flussiger und angenehmer lesen, als seitenlange Erklarungen und kommen der Dynamik der Geschichte zugute. Aus diesem Grund wird das Ganze auch aus der Perspektive Harrys geschrieben. So lernen wir nicht nur, was er lernt, sondern folgen auch seinen Beobachtungen, Bemerkungen und Einschatzungen der Lage16. Die komplette Harry Potter Reihe beschreibt eine Entwicklung ihres Titelhelden und mit dieser gehen die Informationen einher, die er sich mit den Jahren, auf mehr oder weniger muhsame Weise17, aneignet. Als konstante Wissensquelle dient auBerdem die Figur der Hermione, die ruhigen Gewissens als wandelndes magisches Lexikon beschrieben werden kann. Auf diese Weise kann man immer wieder interessante Fakten in den Text einbauen und sich als Autor offen lassen, ob man die eine oder andere diffizile Situation mithilfe des nutzlichen Wissens einer Figur lost oder einen anderen Weg wahlt.

Das Erklarungsprinzip ist der Harry Potter Saga also in vielerlei Hinsicht nicht fremd und findet sich zum Beispiel auch in den Erklarungen wieder, die uns in den meisten Fallen am Ende eines Bandes von Dumbledore geliefert werden18. Dies andert sich erst in den letzten Banden und unterstreicht auf diese Weise wiederum die Entwicklung, welche die Gesamterzahlung durchlauft. Letztendlich zeugt im letzten Band nur noch wenig von den Dingen, welche die Bucher vor allem zur Kinderliteratur zahlen lieBen. Es geht nicht mehr um Schule, die erste Liebe oder SuBigkeiten, sondern vielmehr um wahre Opfer und den Kampf auf Leben und Tod. Die Einleitung zu diesen Ereignissen bildet The Prisoner of Azkaban und erfullt so eine ganz eigene Form der Erklarung bzw. Erlauterung. Dustere Elemente werden vorgestellt und „for the first time Harry is in mortal peril and a mass murderer seems to be planning to kill him“ (Fenske, S.89). Dementsprechend bezeichnet Claudia Fenske diesen dritten Band als „turning-point“ (Fenske, S.89) der Serie.

In The Butterfly Effect haben wir ebenfalls eine Erklarungsstruktur. Diese wird vor allem dadurch unterstrichen, dass fast die komplette Geschichte in einem Ruckblick erzahlt wird. Uns wird die Situation am Anfang des Filmes gezeigt (vgl. TBE, 0:00:36 ff) und wir erhalten dann Stuck fur Stuck eine Erklarung daruber, wie es so weit kommen konnte. So haben wir hier zwar nicht die typische Erzahler- und Zuhorer-Situation, werden jedoch aufgrund des Ruckblicks mit einer Art Begrundung versorgt. Wieder lernt man, inwiefern das Zeitreisen thematisiert wird, und erlangt im Laufe der Ereignisse den gleichen Wissensstand wie der zeitreisende Evan selbst. Hierbei erfahren wir jedoch nicht, warum er zeitreisen kann, erhalten aber jede andere Information durch den Ruckblick.

So mag es zwar Unterschiede in der Erklarungsart geben und auch die Dinge, die erklart werden, sind nicht immer dieselben, aber eine Erklarungsstruktur gibt es bei einem so komplexen Thema wie der Zeitreise immer. Es erfolgt sowohl beim Leser bzw. Zuschauer ein Lernprozess, wie in der Regel auch bei einem oder mehreren der Protagonisten, denn Zeitreisen sind nur sehr selten bereits bestehender Teil der Handlung und werden meist neu in die jeweiligen Geschichten eingefuhrt.

5. Die Zeitreise als wissenschaftlicher Prozess vs. die personliche Intention

5.1 Die Wissenschaft

Das Zeitreisen wird sowohl in der Literatur als auch in Film und Fernsehen oftmals als rein wissenschaftlicher Prozess beschrieben. Jenes wissenschaftliche Denken und Handeln innerhalb der erzahlten Geschichten, gehort seit jeher zu den beliebtesten Themen der Science- Fiction (vgl. Broich, S.79). Das beste Beispiel hierfur ist Wells' The Time Machine.

Gleich zu Beginn der Geschichte erklart der Zeitreisende seinen Gasten seine Theorie, die besagt, dass Zeit im Grunde nichts anderes sei als eine vierte Dimension. Hierbei unterstreicht er, dass der Mensch falschlicherweise dazu tendiert, einen Unterschied zwischen den Dimensionen Lange, Breite, Masse auf der einen und Zeit auf der anderen Seite zu machen (vgl. The Time Machine, S.2). Er erklart diese Differenz fur nichtig und erlautert, dass auch die Zeit einen Bewegungsraum darstellt und sich das menschliche Bewusstsein, durch dessen Fahigkeit sich zu erinnern, an der Zeitachse entlang bewegt. So wie man sich im Raum bewegen kann, gibt es also auch eine Bewegung in der Zeit. Durch Fotos eines Mannes, der sich in verschiedenen Altersklassen befindet, macht er deutlich, dass in diesen Fotografien auf dreidimensionale Weise dessen vierdimensionale Gestalt festgehalten ist. Seine dreidimensionale Darstellung wird also quasi durch eine vierte Dimension erganzt.

Aufgrund dieser recht einfachen, nachvollziehbaren Erklarung, die Wells uns durch den Zeitreisenden vermittelt, fallt es auch dem Leser leichter, dem Protagonisten und der Geschichte selbst eine gewisse Glaubwurdigkeit zu zusprechen19. Die letztendliche Uberzeugungsarbeit wird schlieBlich durch den Reisebericht selbst geleistet. Wahrend der Leser jedoch quasi auf fiktionaler Ebene uberzeugt werden muss und sich eher die Frage nach einem logischen, linearen Plot und glaubwurdigen Charakteren stellt, sind die Gaste des Zeitreisenden verstandlicherweise etwas skeptischer. Da sie sich auf der gleichen 'Ebene' wie der Zeitreisende befinden und daher mit ihm die Realitat teilen, die fur uns nur eine auf Papier geschriebene Geschichte ist, sind sie im gleichen MaBe skeptisch, wie wir es wohl waren, wenn uns wirklich jemand eine Zeitmaschine prasentieren wurde („I THINK that at that time none of us quite believed in the Time Machine.“ The Time Machine, S.12).

Die wissenschaftlich fundierte Basis, auf der das Geschehen in The Time Machine aufbaut, leistet also eher eine Art kreative Uberzeugungsarbeit fur den Leser, wahrend es fur die Figuren im Buch eine so existentielle, innovative Entdeckung darstellt, dass sie dieser nur schwerlich Glauben schenken konnen. Wo der Leser also nur in Bezug auf den Handlungsverlauf der Geschichte uberzeugt werden muss, ohne an seinem Weltbild zu zweifeln, mussen die Gaste des Zeitreisenden genau dies tun. Interessant ist auch die Tatsache, dass er sich keine unwissende Menge an 'Sensationsdurstigen' eingeladen hat, sondern das Publikum unter anderem aus solch angesehenen Personlichkeiten wie dem stadtischen Burgermeister, einem Mediziner, einem Herausgeber und einem Psychologen besteht. Diesen Mannern spricht man eine gewisse Glaubwurdigkeit zu und erwartet das MaB an Skepsis, mit dem sie dem Zeitreisenden letztendlich auch begegnen.

Allerdings bleibt zu betonen, dass man zwar eine ausfuhrliche Erklarung der Theorie erhalt, auf die der Zeitreisende seine Erfindung basiert, jedoch keine Erlauterung der technischen Funktionsweise der Zeitmaschine erfolgt20. Im Grunde prasentiert Wells eine Art Zusammenfassung der Erkenntnisse Einsteins, die er unter anderem in seiner 1917 erschienenen Arbeit Kosmologische Betrachtungen zur allgemeinen Relativitatstheorie (vgl. Buttlar, S.39) beschreibt, denn seit ihm „wird Zeit als die vierte Dimension betrachtet, die zusammen mit den drei Dimensionen des Raumes ein einziges homogenes Raum-Zeit Kontinuum bildet“ (Rodiek, S.13). Die Zeitmaschine wird in ihrer Zusammensetzung nur zu Teilen beschrieben, und man kann sich kein genaueres Bild von ihr machen, als dass sie im Ansatz an eine Art Fahrrad erinnert. Als Leser ist man vor allem auf seine Vorstellungskraft angewiesen, die mithilfe der wenigen Fakten ein Modell zusammenbaut, das man sich selbst als derartige Maschine vorstellen kann. Wells reiht vielmehr Begriffe aneinander, die sich zwar hoch wissenschaftlich anhoren und in ihrer Masse an eine Erklarung grenzen, sich jedoch zu keinem genauen Gesamtbild zusammenfugen lassen (vgl. Rodiek, S.106). Die Tatsache, dass man bei dem Wort „saddle“ (The Time Machine, S.8) als Leser an ein Fahrrad denkt, vereinfacht einerseits die Aufgabe des Autors, weil mit dieser Assoziation gewisse vorgepragte Bilder einher gehen, schrankt ihn jedoch auch in seinen Moglichkeiten ein. Letztendlich ist er in der Kreation seiner Maschine nicht ganz so frei, wie man bei einer Gattung wie der Science- Fiction vielleicht denken wurde. Auch wenn es um das spektakulare, unglaubliche und vor allem eigentlich unmogliche21 Phanomen der Zeitreise geht, so muss er seinem Leser doch zumindest irgendwelche 'irdischen' Anhaltspunkte fur das Aussehen seiner Maschine geben. Die Konstruktion beginnt also bei Basiselementen, mit denen der Mensch etwas anfangen kann (in Wells' Fall das Fahrrad) und wird dann durch besondere Ausstattung und Abanderung zur mysteriosen Zukunftsmaschinerie. Es verhalt sich also auch hier so, wie in der Definition von Science-Fiction als Gattung: Man starlet bei Fakten (Wissenschaft/Fahrrad) und formt das Ganze schlieBlich uber die Grenzen des Bekannten hinaus (Fiktion/Zeitmaschine aus Kristall und Elfenbein). Letzterer Teil, die 'Ausschmuckung' erfolgt immer durch das Mittel der Sprache und spricht den Autor wiederum davon frei, dass seine Konstruktion tatsachlich funktionieren muss. Letztendlich beschreibt er nur, was er muss und was notig ist, um dem Leser ein ungefahres Bild zu vermitteln22.

Ein anderes Merkmal fur die forschende und wissenschaftliche Note, die Wells' Erzahlung vermittelt, ist die Tatsache, dass die Reise so ungemein weit in die Zukunft geht. Der erste Stopp im Jahre 802701 A.D. erfolgt 'spontan', denn durch die offene Form der Zeitmaschine ist der Reisende dazu in der Lage, die Veranderungen um sich herum zu beobachten:

„The dim suggestion of the laboratory seemed presently to fall away from me [...] I saw trees growing and changing like puffs of vapour, now brown, now green; they grew, spread, shivered, and passed away. I saw huge buildings rise up faint and fair, and pass like dreams.“ (The Time Machine, S.21)

Dieses Phanomen ist nicht bei allen Bearbeitungen der Zeitreisethematik gegeben. Oftmals wird sich in einen festen Apparat begeben, die Reisenden springen von einem Moment zum nachsten, oder es gibt eine Art Tunnel oder Zwischenraum, der durchquert wird. Die Tatsache, dass der Zeitreisende in seiner Maschine sitzt und die Veranderungen der Zukunft an sich vorbei ziehen sieht, ist gerade fur die Erforschung der Zeit sehr praktisch. So wie jeder Text innerhalb einer Interpretation in seinen zeitgeschichtlichen Kontext eingeordnet werden muss, so ist es auf diese Weise fur ihn ebenfalls moglich die verschiedenen Stationen der Zeitreise miteinander in Verbindung zu setzen. Man bekommt nicht nur vereinzelte Ausblicke in die Zukunft, sondern erhalt zumindest einen groben Gesamtuberblick. Dies gilt jedoch nur fur die Person, die sich selbst in der Maschine befindet, denn sich eine derart vorbei rauschende Menge an Eindrucken zu merken und in ihrer Fulle wiedergeben zu konnen, grenzt an Unmoglichkeit.

Was er bei seinem ersten Zwischenstopp schlieBlich vorfindet, ist der Verfall der gesellschaftlichen Ordnung, so wie er sie kennt und der Verlust des kompletten sozialen Wertesystems. Die Menschheit gibt es nicht mehr. Aus ihr sind zwei neue Spezies entstanden, die nach ganzlich anderen Regeln leben. Mit der Menschheit sind hochstwahrscheinlich auch die meisten Tiere ausgestorben, denn der Zeitreisende trifft einzig auf Schmetterlinge und Spatzen. Obwohl seine Umgebung nur aus Waldern und Wiesen zu bestehen scheint und er sich damit im ursprunglichen Lebensraum der Tierwelt aufhalt, begegnet er sonst keinerlei Spezies. Es erscheint vielmehr, als habe sich der Mensch zu einer Art animalischem Zustand zuruck entwickelt. Die Eloi als friedliche Waldbewohner und die Morlocks als unterirdische Raubtiere.

Die zweite Station, die sich etwa 30 Millionen Jahre in der Zukunft befindet, legt schlieBlich nahe, dass der Zeitreisende Zeuge vom Verfall der Erde wird. Er gelangt an einen roten Strand und trifft auf die letzte lebende Spezies, in Form von riesigen krabbenahnlichen Wesen. In kleineren Sprungen reist er schlieBlich noch weiter und beobachtet, dass die Rotation der Erde langsam stoppt und sie in einen abgestorbenen, gefrorenen Zustand verfallt.

Gerade dieser letzte Teil seiner ersten Zeitreise unterstreicht die existentielle Idee der Erzahlung, denn wir gelangen an das zeitliche Ende der Welt. Nachdem wir im Jahre 802701 A.D. uber den Verfall der Menschheit und ihrer Werte informiert worden sind, erfahren wir, welchen Kurs das weitere Leben in der fernen Zukunft einschlagen wird und wann es endet.

Interessant ist hierbei, dass die vom Zeitreisenden als vierte Dimension beschriebene Zeit in der Lage ist, einen so bedeutungsschweren Punkt, wie das 'Ende der Welt', zu erreichen. Aufgrund der runden Form der Erde entdeckte schon Columbus, dass diese weder einen Anfangs- noch einen Endpunkt hat. Lange, Breite und Masse sind nicht in der Lage das 'Ende der Welt' in geografischer Form zu beschreiben, weil es nicht existiert. Die Zeit hingegen, die sich vom Raum unabhangig bewegt, ist dazu fahig an das Ende der Welt zu reichen. Dieses hat zwar immer noch keine geografische Form, ist jedoch der Punkt in der Zukunft, an dem alles Leben ausgestorben ist und der Planet verfallt. Auch wenn beide 'Enden' offensichtlich anders zu definieren sind, ist der aufkommende Vergleich doch bemerkenswert und lasst viel Interpretationsspielraum. Die Zeit, die zu Beginn der Erzahlung uberhaupt nur schwer als Dimension angenommen wird, ist letztendlich die Einzige, die einen Punkt beschreiben kann, der sich geometrisch nicht festhalten lasst.

Wells schuf mit seiner ersten groBen Bearbeitung der Zeitreise gleich einen Meilenstein in der Science-Fiction Literatur und arbeitete frei nach dem Motto 'wenn schon, denn schon'. Seine Erzahlung umfasst sowohl die Entstehung der Zeitreise, die Namensgebung der Zeitmaschine selbst, sowie auch deren Ausreizung bis zum final erreichbaren Punkt. Diesem wird in anderen Bearbeitungen des Motivs eher selten Beachtung geschenkt. Die Zeitreise dient meist weniger dazu, das Schicksal der Menschheit zu erkunden, als vielmehr innerhalb des eigenen Lebenszeitraums umher zu reisen und mehr oder weniger viel Einfluss auf das eigene Leben zu nehmen. AuBerdem ziehen die Figuren haufig Lehren aus den Dingen, die sie in der eigenen Vergangenheit oder Zukunft sehen. Der wissenschaftlichen Betrachtung steht hier also die personliche Bedeutung der Zeitreise gegenuber, die von Charles Dickens' A Christmas Carol bis hin zum Film Groundhog Day reicht.

5.2 Die personliche Intention

Wie bereits erwahnt, besteht die Intention der Zeitreise haufig darin, das eigene Schicksal bzw. das uns nahestehender Personen, andern zu wollen. Gerade in Actionfilmen wie Terminator oder Timecop wird auBerdem das Zeitreisen zum Wohle der Menschheit und deren Rettung thematisiert. Verbrechen konnen so vereitelt werden bevor sie geschehen und es besteht die Moglichkeit aus einer Art post-apokalyptischen Zukunft (vgl. Gordon, S.3) zuruck in die Vergangenheit zu reisen, um deren Entstehung zu verhindern.

Bei den meisten Beispielen, die Grundlage dieser Arbeit sein sollen, geht es eher weniger um die Rettung der Menschheit, als vielmehr um die bereits genannte personenbezogene Veranderung. GroBe Effekte, die keinen Platz fur einen charaktergebundenen Plot haben, rucken in den Hintergrund und widerlegen heutzutage Stanislaw Lems Aussage daruber, dass die eigentlichen Ideen der Geschichten nur zweitrangig sind23.

Evan andert durch seine Zeitsprunge in The Butterfly Effect hauptsachlich das Leben der Personen, die zu seinem direkten Umfeld gehoren und sein eigenes. Uns werden unterschiedliche Gegenwarten prasentiert, die sich je nach seinem Eingreifen verandern. Letztendlich aber kann er seine genetische Veranlagung dazu nutzen, die Dinge gerade zu rucken, seine anderen Eingriffe ruckgangig zu machen und die schrecklichen Ereignisse, die er wahrend seiner Sprunge erlebt, zu umgehen. Der Ausloser fur Evans wiederholte Zeitsprunge ist Kayleighs Selbstmord, den er durch eine Veranderung der Vergangenheit verhindern will. Von diesem Moment an bringt er eine Kettenreaktion ins Rollen, welche immer wieder dafur sorgt, dass sich die Alternativgegenwarten zum Negativen wenden. Letztendlich versucht er nicht mehr nur Kayleigh zu retten, sondern auch Tommy, Lenny und seine Mutter. Der Kreis der Personen, die er beeinflusst, scheint sich mit jedem Sprung zu vergroBern und es dauert eine Weile bis Evan begreift, dass jeder Sprung das Leben jedes Einzelnen verandert. Uberfordert und oftmals trotz seiner Fahigkeiten machtlos, sieht er sich mit einer Verantwortung konfrontiert, die sich nur schwer tragen lasst. Letztendlich schafft er es jedoch durch eine Reise in seine fruheste Kindheit (vgl. TBE, 1:40:32), die Verbindung zu Kayleigh gleich von Anfang an zu unterbinden und verhindert auf diese Weise, dass die schrecklichen Dinge, die er und die Menschen in seinem Umfeld erleben mussten, je passieren.

Harry und Hermione machen nur einen einzigen Zeitsprung und andern wahrend diesem mehrere Ereignisse. Sie retten nicht nur den Hippogreif Buckbeak, sondern schaffen es auch, Sirius und ihre eigenen Vergangenheitsversionen vor den Dementoren zu retten. Interessant ist hier, dass wir im Grunde keine Alternativrealitat prasentiert bekommen. Die Zeitreisenden sind bereits beim ersten Durchgang anwesend, allerdings folgt der Leser noch deren Gegenwartsversionen. Die Eingriffe der beiden werden erst im zweiten Durchgang deutlich denn sie stehen nun im Mittelpunkt der Erzahlung. Auch hier erfolgt der Zeitsprung nicht aus wissenschaftlichem Forschungsdrang, sondern aufgrund eines personlichen Anliegens. Im Zentrum steht die Rettung von Sirius, die mit der vorherigen Rettung Buckbeaks einhergeht. Wissenschaftliche Grundlagen haben entsprechend der typischen Fantasyerzahlung kein Gewicht und auch Regeln werden nur zum Teil befolgt. So halten sich die beiden zumindest die meiste Zeit daran, dass sie niemand sieht, auch wenn Harry am Ende eingreifen muss, um sie vor den Dementoren zu retten (vgl. HPatPoA, S.301).

Fakt ist jedoch, dass sie einen Gegenstand, der nur gegen Antrage vom Ministerium ausgegeben wird, zum personlichen Vorteil nutzen und einem verurteilten Morder zur Flucht verhelfen. Auf diese Weise verletzen sie bereits jegliche Grundregel und man kann davon ausgehen, dass sie ebenfalls aus personlichen Grunden darauf achten, nicht gesehen zu werden und weniger, weil sie damit irgendwelche Gesetze des Ministeriums befolgen. Letztendlich hat Professor McGonagall Hermione vor den personlichen Folgen gewarnt, die ein Zusammentreffen mit ihren Gegenwartsversionen haben konnte („Professor McGonagall told me what awful things have happened when wizards have meddled with time...loads of them ended up killing their past or future selves by mistake!“ HPatPoA, S.292).

In Bezug auf die Harry Potter Reihe bleibt anzumerken, dass sich nicht nur im dritten Band mit der Zeitreise beschaftigt wird. Im Laufe der Saga macht Harry diverse Reisen in die Erinnerungen anderer, um mehr uber vergangene Ereignisse zu erfahren (vgl. Fenske, S.74). In Harry Potter and the Order of the Phoenix hat er schlieBlich Visionen uber zukunftige Geschehnisse und kann Arthur Weasley so in letzter Sekunde retten. Jedoch macht er diese 'Reisen' nur als eine Art Gast und kann nicht aktiv ins Geschehen eingreifen. Er ist ein Beobachter und erlangt durch die Moglichkeiten, die sich ihm auf diese Weise eroffnen, neue Informationen. Letztendlich tragen sie auch zu der psychologischen Entwicklung seines Charakters bei (vgl. Fenske, S.74), wenn er zum Beispiel durch Snapes Erinnerungen erfahrt, warum dieser so einen Groll gegen Sirius und seinen Vater hegt. Er nimmt all diese Dinge auf, verarbeitet sie, wendet sie an und erweitert so auch den Uberblick, den wir als Leser uber das Gesamtbild der kompletten Reihe haben. Die einzige 'korperliche', wahrhaftige Zeitreise erfolgt jedoch in Harry Potter and the Prisoner of Azkaban.

In Back to the Future hat die Zeitreise ebenfalls personliche Konsequenzen, wird aber nicht aus personlichem Vorsatz angetreten, sondern ist ein ganz einfacher Unfall. Eigentlich sollte Marty den Zeitsprung von Doc Brown nur mit der Videokamera dokumentieren und es war nicht geplant, dass er sich selbst in die Vergangenheit begibt. Die Spontanitat, aus der die Reise also letztendlich fur Marty erfolgt, setzt sich im kompletten Film fort, weil dieser quasi von einer unvorhersehbaren Situation in die nachste gerat. Dies kommt vor allem der Dynamik und dem humoristischen Ton des Ganzen zugute24. Obwohl Marty also nicht unter dem Vorsatz verreist, etwas andern zu wollen, ist er letztendlich dazu gezwungen, sein ungewolltes Eingreifen durch bewusstes Entgegenwirken ruckgangig zu machen. Die Dinge, die er aus Versehen durcheinanderbringt, muss er bewusst wieder in Ordnung bringen, um eine Gegenwart sicher zu stellen, in die er schlieBlich wieder zuruckkehren kann. Sein Eingreifen bedingt sich also gegenseitig, indem er versucht, Ersteres durch Letzteres nichtig zu machen.

Interessant ist hier, dass der Weg zum Zeitpunkt von Martys Reise eher ein wissenschaftlicher war. Letztendlich hat Doc Brown viel Zeit und Aufwand investiert, um die Maschine zu bauen und prasentiert sie als seine groBte Errungenschaft („Welcome to my latest experiment. This is the big one. The one I've been waiting for all my life.“ BttF, 0:18:40). Er machte Berechnungen, konstruierte den DeLorean und baute den Fluxkompensator. Dementsprechend war die Zeitmaschine das Ergebnis seines wissenschaftlichen Schaffens. Auch der Probedurchgang, den er seinen Hund Einstein durchlaufen lasst, zeugt von seiner generell wissenschaftlichen Vorgehensweise. Dies ahnelt dem Prototyp des Zeitreisenden in Wells' Roman. Dem Zweck der Erkundung der Zukunft, aus dem der Doc die Maschine gebaut hat („I've always dreamed of [...] seeing the progress of mankind.“ BttF, 0:26:45), wird sie jedoch durch Martys 'zufallige' Zeitreise entfremdet und durch dessen Konfrontation mit seinen Eltern in einen personlicheren Kontext gestellt.

6. Andern vs. Nicht-Andern

Beschaftigt man sich mit der Thematik des Zeitreisens, wirft sich schnell die Frage auf, in wie fern man vergangene Ereignisse durch einen Sprung in der Zeit andern kann und viel wichtiger, ob man dies uberhaupt versuchen sollte.

In Literatur und Film gibt es viele Beispiele, die zeigen, dass keine Einmischung des zeitreisenden Protagonisten zum Wunschergebnis fuhrt. So gelingt es Alexander Hartdegen in der filmischen 2000er Adaption von H.G. Wells' The Time Machine nicht, seine Geliebte vor dem Tod zu bewahren. Zwar verandern sich dessen Umstande, aber letztendlich muss er unzahlige Male mit ansehen, wie die Frau, die er liebt, stirbt. Dies unterstreicht nicht nur die Tatsache, dass es nicht in seiner Macht liegt, sie zu retten, sondern hat auch einen tief deprimierenden emotionalen Effekt auf den Protagonisten selbst. Es ist schmerzhaft genug, einen Menschen einmal zu verlieren. Unter normalen Umstanden wissen wir allerdings, dass wir im Nachhinein nichts mehr daran andern konnen. Man ist aufgrund der eigenen Machtlosigkeit dazu gezwungen weiter zu leben und lernt, den Verlust zu verarbeiten.

Mit der Fahigkeit durch die Zeit zu reisen, keimt jedoch eine neue Hoffnung auf. Es besteht, zumindest theoretisch die Moglichkeit, Vergangenes zu andern und Einfluss auf den Lauf der Dinge zu nehmen25. Die Lektion, dass dies trotzdem nicht moglich ist, obwohl man das groBte Hindernis mit dem Zeitsprung im Grunde uberwunden hat, ist in diesen Fallen nur schwer zu lernen und fuhrt oftmals zu einem schmerzhaften Prozess der Erkenntnis, der vom Protagonisten durchlaufen wird. Nachdem der wissenschaftliche Teil bewaltigt scheint, fallt es schwer, etwas so ungreifbares, wie das Schicksal als unveranderlich hinzunehmen.

Dies bildet jedoch auch einen interessanten Kontrast zu der wissenschaftlichen Basis auf der einige Zeitreiseerzahlungen grunden. Nachdem Formeln gelost und physikalische Gesetze befolgt wurden, ist die allgemeine Bedeutung des Schicksals eher eine spirituelle und stort das auf Fakten basierende Konzept. Weder Rechenaufgaben noch Experimente konnen dabei helfen das Schicksal zu ergrunden. Es bietet keinen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, sondern muss einfach hingenommen werden.

Allerdings gibt es auch ein Gegenbeispiel, welches gerade darauf aufbaut, dass der Protagonist durch sein Eingreifen, Einfluss auf die Zukunft hat. Besonders in komodiantischen Filmproduktionen, wie Back to the Future, entsteht das unterhaltsame Chaos erst durch die Veranderungen, die der zeitreisende Protagonist auslost. Dem Genre entsprechend endet Back to the Future, nach aller Aufregung, ausnahmslos positiv fur den Protagonisten Marty McFly. Dessen Eltern sind glucklich, erfolgreich und seine ganze Familie scheint zufriedener (vgl. BttF, 1:43:00 ff). Hier bleibt ganz klar zu betonen, dass ein solches Happy End meist nur in Komodien oder anderer 'leichtfuBiger' Form auftritt, die sich klar kategorisieren lassen. Handelt es sich um einen dramatischeren Stoff, tendieren sowohl Literatur als auch Film zu einem nicht so geradlinigen Ende.

In Harry Potter and the Prisoner of Azkaban gelingt es Harry und Hermione mit Hilfe des Time Turners zwar, Sirius und auch den Hippogreif zu retten, allerdings wird Harrys Hoffnung auf ein Zusammenleben mit seinem Patenonkel zerstort, weil dessen Unschuld durch den entkommenen Peter Pettigrew, nicht bewiesen werden kann. Einer der anruhrendsten Momente in den Harry Potter Buchern, der dem Waisen wieder ein Stuck Familie versprechen soll, wird nicht nur dem Protagonisten selbst, sondern auch dem Leser wieder genommen. Obwohl man bei Harry Potter von Kinderliteratur spricht, fallt doch auf, dass gerade ab dem dritten Band ein dusterer Ton herrscht, zu welchem das 'nicht ganz so Happy End' beitragt. Azkaban26, die Dementoren und die wiederholte Thematisierung des Todes, sind erste Anzeichen fur die Ernsthaftigkeit der folgenden Bande.

Obwohl der Time Turner ein Produkt der magischen Welt ist, bringt dessen Gebrauch gewisse Regeln mit sich, die befolgt werden mussen. Sowohl Professor McGonagall, als auch Dumbledore machen wiederholt darauf aufmerksam, dass niemand die Zeitreisenden sehen darf („ You must not be seen. Miss Granger, you know the law - you know what is at stake...you - must - not - be - seen “ HPatPoA, S.288), wenn sie sich in die Vergangenheit begeben. Dies ist nicht nur gesetzlich verboten, sondern kann auch zu tragischen Vorfallen fuhren, in denen man sein zukunftiges Ich angreift, weil man dessen Existenz nicht versteht (vgl. HPatPoA, S.292). Trotz dieser Warnung und Hermiones konstante Erinnerung an eben jene, ist Harry wahrend der Zeitreise immer wieder versucht, in das Geschehen einzugreifen. Er will nicht verstehen, warum sie Peter Pettigrews Flucht nicht verhindern konnen oder warum sie Snape nicht davon abhalten konnen, den Tarnumhang zu finden. Ihm erscheinen diese Dinge wie Kleinigkeiten, die keinen groBeren Schaden anrichten konnen. Ein Moment der Schwache fuhrt daraufhin fast dazu, dass er Hagrid uber den Weg lauft Letztendlich kommt es aber doch dazu, dass Harry ins Geschehen eingreift, weil er versteht, dass es von vornherein sein eigener Patronus war, der Hermione, Sirius und ihn selbst vor den Dementoren gerettet hat („And then it hit him - he understood. He hadn't seen his father - he had seen himself -“ HPatPoA, S.300). Es erfolgt ein Regelbruch, der notwendig ist, um die Geschichte zu ihrem letztendlich glimpflichen Ende zu bringen27. Dies sieht sogar die sehr regelkonforme Hermione ein, die nur Worte der Bewunderung fur Harry ubrig hat, als dieser ihr von seinem Patronus erzahlt („Harry I can't believe it - you conjured up a Patronus that drove away all those Dementors! That's very, very advanced magic..."HPatPoA, S.301). Hier zeigt sich auBerdem, dass Hermione zwar ein prinzipientreuer Mensch ist, jedoch auch einsieht, dass diverse Regeln in gewissen Situationen auch gebrochen werden durfen. So erfullt sie innerhalb des Trios zwar immer wieder den Part der Vernunft, ist jedoch auch bereit jene Prinzipien dem Allgemeinwohl zu opfern.

In diesem Falle bestatigt die Ausnahme wohl die Regel, denn obwohl das Eingreifen verboten war, war es andererseits selbst Teil der Vergangenheit. Harry hat diese also durch sein Handeln paradoxerweise nicht verandert, sondern beibehalten und somit war sein Regelbruch nicht nur berechtigt, sondern auch notwendig28.

Auch The Butterfly Effect vermittelt eine recht dustere Atmosphare. Sowohl die Story als auch die visuelle und audiovisuelle Umsetzung in Farben, Bildern und Musik, verleihen dem Film den Tenor eines Science-Fiction Dramas. Grausamkeit, Gewalt und Themen wie Kindesmissbrauch werden aufgegriffen und machen den Film zu einem Gegenbeispiel zu Produktionen wie Back to the Future, die das Zeitreisen vor allem unterhaltsam und amusant prasentieren29. LeichtfuBigkeit und Humor sind hier nicht zu finden. Das Chaos, welches der Hauptdarsteller zu entwirren versucht, scheint sich kontinuierlich fortzusetzen und erst seine finale Erkenntnis, die Beziehung zu Kayleigh erst uberhaupt nicht entstehen zu lassen, bringt die richtige Veranderung. Er rettet sie dadurch jedoch nicht nur, sondern muss auch das groBe Opfer bringen, auf die gemeinsame Kindheit zu verzichten. Eine optimistische Note findet sich dann in der Endsequenz, in der sich die beiden zufallig auf der StraBe begegnen und dem Zuschauer suggeriert wird, dass vielleicht doch noch die Moglichkeit eines Happy Ends besteht (TBE, 1:42:52). Dies lasst sich zwar nur schwer mit der kompletten Auflosung in Back to the Future vergleichen, zeugt aber so auch von der stetigen, grundlegenden Veranderung, die der Plot durchlauft. Dazu passt, dass sich das Treffen nicht in ihrer alten Heimatstadt ereignet, sondern in den StraBen von New York, an einem sonnigen Tag. Die Szene ist optimistisch jedoch immer noch emotional intensiv mit Oasis' Stop cryin'your heart out unterlegt und auch Kayleighs strahlend weiBes Kostum tragt dazu bei, dass sich die Endsequenz vom Rest des Filmes abhebt.

Evan lernt schnell, dass er das Leben der Menschen um sich herum und auch sein eigenes durch die kleinsten Eingriffe zerstoren kann, obwohl er eigentlich nur versucht alles richtig zu machen. Die Warnung seines Vaters („You can't play God, son. [...] Just by being here, you may be killing your mother.“ The Butterfly Effect, 1:18:00), die er zunachst nicht ernst nimmt, gewinnt schmerzlich an Bedeutung und es stellt sich die Frage, ob Evan es je schaffen wird, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Dabei geht es ihm jedoch nicht darum, in seine eigene Ausgangsgegenwart zuruck zu kommen, denn diese hat er bewusst 'verlassen', um Kayleigh vor ihrem eigenen Selbstmord zu bewahren.

[...]


1 Bezuglich The Butterfly Effect bleibt anzumerken, dass die Kinofassung Gegenstand dieser Arbeit ist und nicht der Director's Cut. Dieser besteht nicht nur aus zusatzlichen Szenen, sondern hat auch ein anderes Ende, welches jedoch hier nicht bearbeitet werden soll.

2 „[...] das Syndrom SF hat etwas mit 'Science' zu tun - und mit 'Fiction'. Diese beiden Worter fugen an sich Unvereinbares ineinander: Wissenschaft [...] beruht auf nachprufbaren und rational faBbaren Voraussetzungen und Einsichten; Fiktion ist nicht nur 'Roman' sondern auch Annahme, unbewiesene Behauptung, eine Welt im Konditional, Ausdruck des Irrealen.“ Salewski, S.19

3 „Science Fiction von heute als Realitat von morgen.“ Suerbaum, S.9

4 „Well's work was [...] an invitation to writers of action-adventure fiction enthusiastic to work on wider stages in a more spectacular manner than naturalistic fiction would ever permit [...].“ The Cambridge Companion of Science Fiction, S.25

5 „A text is fantastic when the events it relates contradict the common consensus of what is 'real'. The illogical and inexplicable defy logic.“ Fenske, S.376

6 „'The essential ingredient of all fantasy is 'the marvellous", regarded as 'anything outside the normal space­time continuum of the everyday world'.“ Cornwell, S.34

7 „[...] like no other genre, fantastic material tends to have regular adept meetings and fan club congregations.

We can see this in the enormous number of fanclubs dedicated to Harry Potter [...] as well as the numerous 'conventions' at which members appear in appropriate costumed attire.“ Fenske, S.381

8 „[...]Back to the Future is regularly mentioned by theorists as an epitome of 1980s American culture

[...].“ Wittenberg, S.3

9 „Genres of literature and film overlap. Each do gangster, detective, war, horror, romance, science fiction and western stories, the spy thriller, the propaganda story or documentary, the comic and the tragic mode very well. „ Dean,

10 „[...] the genre commonly (if imprecisely) called science-fiction is big business, invading and filling the culture’s escapist landscape like tribbles, replicants, bunches of alien-hatching pods [...].“ Jensen, popwatch, „Let's do the timewarp again“

11 „[...] despite its narrative difficulty, time travel has become one of the most familiar science-fiction topoi. Moreover, its popularity has spiked in the last twenty years, transcending the generic boundaries of science fiction and cropping up in mainstream novels, blockbuster movies, and computer games.“ Gomel, S.3

12 „John G. Cawelti hat gezeigt, daB sich Genres durch verschiedene 'modes of generic transformation' erneuern und den 'imaginative needs of our time' anpassen. Dazu wurden dann auch die immer wieder beobachteten 'generic crossovers' gehoren, wobei ein Genre ganze Strukturen und ikonografische Versatzstucke aus einem anderen Genre borgt [...].“ Petzold, S.18

13 „But by the time you get to Wells [...] you begin to see the modern world as we recognize it — mechanistic and scientific and God-subtracted — displacing the old.“ Jensen, popwatch, „Time travelers: We'll take (Dr.) Manhattan“

14 „Late nineteenth-century biology, working with the extended temporal scale provided incrementally by astronomers and geologists from the Renaissance on, had radically revised humanity's temporal place in nature.“ Ruddick, S.4

15 „Clearly the fascination of the story, for author and for reader, lies in the juxtaposition itself, the superimposition of one world on the other. Wells's imaginative energy has gone to bringing together two discrepant worlds.“ Huntington, S.1

16 „Our story forms a community of perception between reader and narrator. Harry's point of view is dominant throughout the series.“ Fenske, S.34

17 „[...] for Harry Potter, knowledge which is crucial to his survival, must always be acquired slowly,

painfully, and over a period of time.“ Hopkins, S.25

18 „The headmaster explains to Harry what he knows about the background of what hast just happened.

Dumbledore is nearly omniscient.“ Fenske, S.74

19 „Wells plays a [...] game of 'possible-impossible' with the reader, suggesting to him a plausible explanation of strange, almost miraculous events [...].“ Chernysheva, S.36

20 „Well's particular method of presentment is [...] applied to its best advantage. This method consists of being vague in things that cannot be explained, and circumstantial and scientific things, problems and situations everyone can grasp. His description of the Time Machine [...] is so vague that no one is much wiser for it.“ Raknem, S.394

21 „Die Zeitmaschine ist [...] Unmoglichkeit.“ Salewski, S.124

22 „Die fiktiven Gerate [...] brauchen nicht bis ins letzte durchdacht zu sein; sie brauchen weder vollstandig noch funktionsfahig zu sein. Science Fiction benotigt nur Attrappen aus Sprache“ Suerbaum, S.20

23 „An idea is permitted in SF if it is packaged so that one can barely see it through the glitter of the wrapping.^ Lem, S.86

24 „[...] the film [...] has a sure comic sense, employing a whole range of comic devices, including physical humor such as farce and slapstick, situational humor, irony, comedy of character, and verbal wit. The movie exhilarates audiences because it glories in its own outrageousness and plays almost everything for laughs.“ Gordon, S.5

25 „'Every one of us spends thousands of hours of our lives regretting mistakes that we’ve made and wondering what would have happened had we not made them. The opportunity to go back and prevent those mistakes is a level of wish fulfillment only transcended by the desire to fly [...].'“ Jensen, popwatch, „Let's do the time warp again“

26 „The prison of the wizarding world alludes to complete isolation (ban') and, by repeating the vowel [a] and the konsonant [k], to the notorious American prison island of Alcatraz.[...] Azkaban represents nameless fear, madness and a loss of sense." Fenske, S.137

27 „Had he stuck to the rule not to interfere with the past he would have died. This kind of rule-breaking shows Harry's 'sense of civic responsibility'; if some higher good is at stake, than clinging to rules is secondary." Fenske, S.163

28 „Hermione hat hohe moralische Anspruche. Regeln durfen ihrer Meinung nach nur in Notsituationen gebrochen werden, trotzdem aber ist sie keine gefuhlskalte Prinzipienreiterin und ebenso wenig ein hoffnungsloser Bucherwurm [...].“ Burvenich, S.77-78

29 „Tom Shales notes 'The [...] one to hit it really big was Back to the Future, a phrase that almost sums the Eighties up, and that's partly because the movie made time travel a joke, a gag, a hoot.[...]'.“ Gordon, S.3

Fin de l'extrait de 97 pages

Résumé des informations

Titre
Die Zeitreise in Literatur und Film
Université
University of Bonn
Note
2,0
Auteur
Année
2010
Pages
97
N° de catalogue
V156671
ISBN (ebook)
9783640699186
ISBN (Livre)
9783640699346
Taille d'un fichier
1181 KB
Langue
allemand
Mots clés
Zeitreise, Back to the Future, Zurück in die Zukunft, Butterfly Effect, Anglistik, Magisterarbeit, Literatur, Film, Harry Potter, Azkaban, Marty McFly, Zemeckis, H.G. Wells, Time Machine, Zeitmaschine, Zeitschleife, Schicksal, Zeitreisender, Vergangenheit, Zukunft
Citation du texte
Tanja Wittrien (Auteur), 2010, Die Zeitreise in Literatur und Film, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/156671

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