Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Mit Wissensmanagement zur Lernenden Organisation
2.1. Wissen managen - Wissen organisieren
2.2. Qualitative Entwicklung mit der Lernenden Organisation
2.3. Lernen und Wissen
2.3.1. Individuelles und organisationales Lernen
2.3.2. Individuelles und organisationales Wissen
2.4. Bedingungen einer langfristig erfolgreichen Wissensnutzung
3. Gestaltung der drei Ebenen: normativ, strategisch, operativ
3.1. Gestaltungsmöglichkeiten auf der normativen Ebene
3.2. Gestaltungsmöglichkeiten auf der strategischen Ebene
3.3. Gestaltungsmöglichkeiten auf der operativen Ebene
4. Spezielle Rolle der Personalentwicklung: Verquickung von Organisation, Arbeit und Person
5. Fazit
Literaturliste
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Verbindung des individuellen mit dem organisationalen Lernzyklus
1. Einleitung
Angesichts des sich verschärfenden internationalen Wettbewerbs und der zunehmenden Komplexität und Entwicklungstempos von Umwelt und Wissen erkennen immer mehr Unternehmen die Wichtigkeit von Wissen als Ressource an. Forscher und Manager suchen nach neuen Managementmodellen und -instrumenten, die eine verbesserte Gestaltung der vorhandenen Wissensressourcen und eine darauf aufbauende innovative Weiterentwicklung erlauben sollen. Die Popularität von Wissensmanagement steigt und damit die Anzahl der Veröffentlichungen zu diesem Thema (u.a. in Form von Leitfäden[1]). Viele Umsetzungsversuche scheitern jedoch, was meiner Meinung nach auf einem falschen Verständnis des Wesens von Wissen und der Wissensprozesse beruht. Bei der Planung und Einführung von Wissensmanagement wird häufig die Frage nach den Bedingungen einer erfolgreichen Wissensnutzung nicht gestellt, sondern sie wird als selbstverständlich vorangenommen.
Mit Hilfe des Konzeptes der Lernenden Organisation können die Manager ein besseres und realistischeres Verständnis von Wissen entwickeln. Auf der Basis der Vielschichtigkeit der Lernprozesse einer Organisation versucht man seit den 80gern die Bedingungen eines sich selbst kontinuierlich weiterentwickelnden sozialen Systems zu ergründen und diese Lehren für die Umsetzung einer Lernenden Organisation zu gewinnen. Das Konzept ist bisher mehr ein Forschungsprojekt als ein handhabbares Modell für die Praxis, was ihm den Vorwurf einbringt, kein konkretes, praktikables und vollwertiges Instrument für den Management Alltag[2] zu sein. Lernende Organisation und Wissensmanagement können sich somit ergänzen: ihre gemeinsame Basis ist, daß sie beide auf immateriellen Werten, Wissen und Lernen, aufbauen, die außerdem in engem Verhältnis zueinander stehen. Für einen langfristigen Erfolg, der sich in effektiver Wissensnutzung äußern soll, benötigt Wissensmanagement ein umfassendes, theoretisches Veränderungskonzept in Form der Lernenden Organisation, und diese benötigt das Instrument Wissensmanagement für die Organisation der Wissens- und Lernprozesse in der Praxis. In der Folge werden zunächst Wissensmanagement und Lernende Organisation beschrieben, was sie bedeuten und wie sie sich gegenseitig ergänzen können. Ein kleiner Exkurs über Lernen und Wissen an sich, soll die Vorteile einer Kombination der beiden für eine effektive und effiziente Nutzung untermauern. Denn Ziel bleibt, daß das Wissen tatsächlich in die alltägliche Arbeit der Organisation einfließt. Nur wenn dies gelingt, kann man von Wissensmanagement als erfolgreichem Instrument zur Förderung der Lernenden Organisation sprechen. Die Konzentration auf Wissensnutzung bedeutet nicht, daß die anderen Aspekte eines Managements von Wissen - Repräsentation, Kommunikation und Generierung[3] - völlig außer Acht bleiben. Aber deren erfolgreiche Umsetzung bedeutet nicht, daß sie automatisch in Nutzung umschlagen und umgekehrt: Wissen kann trotz einer schlechten Organisation der drei genutzt werden, jedoch wäre dies dann kein Erfolg eines bewußten Managementprozesses, sondern Zufall (z.B. solidarisches Verhalten unter Kollegen). Um dies zu vermeiden, müssen Wissensprozesse bewußt gestaltet werden: anhand der drei Ebenen des St. Gallener Managementmodells[4] (normativ, strategisch, operativ) wird untersucht, wie Arbeitsplätze und die Organisation allgemein gestaltet werden können, um Nutzung nicht nur zu fördern, sondern auch zu ermöglichen. Dies führt mich zum Schluß zu der besonderen Rolle, welche die Personalentwicklung im Rahmen von organisationalen Wissensprozessen übernehmen sollte.
2. Mit Wissensmanagement zur Lernenden Organisation
In der Literatur werden die beiden Konzepte entweder synonym benutzt (z.B. Zink und Steinmetz 2002) oder Wissensmanagement wird als ein Instrument angesehen, das den Entwicklungsweg zu einer Lernenden Organisation ebnen kann, da es sowohl die Lern- als auch die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens fördere[5]. Ein Grund dafür ist die unterschiedliche Auslegung des Begriffs Wissen: wird dieser nur als ein Produktionsfaktor neben anderen angesehen, überwiegt eine materielle Herangehensweise an Wissen, die dessen Wesen nicht gerecht wird. Hier liegt meines Erachtens einer der Hauptursachen, weshalb bisherige Durchführungsversuche von Wissensmanagement gescheitert sind. Denn das Resultat eines solch statischen Verständnisses ist zum Beispiel eine einseitige Ausrichtung der Umsetzung auf Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Die Komplexität und der Prozeßcharakter von Wissen wird verkannt, Nutzung wird als Automatismus suggeriert.
Ein weiteres Problem wird nicht in seinen Ausmaßen erkannt, nämlich daß mit zunehmender Bedeutung von Wissen als Ressource traditionelle Macht- und Hierarchiestrukturen in Frage gestellt werden: durch die Betonung der Wichtigkeit von Wissen wird zum Beispiel der fachliche Wissensarbeiter gegenüber den [6] klassischen Führungskräften aufgewertet Letztere fürchten um ihre Vorreiterposition und versuchen über Schönfärberei oder Falschdarstellung sich besser darzustellen. Damit können wichtige Informationsflüsse in der Organisation gestört werden. Wie man diese systeminternen aber auch -externen Abwehrkräfte erkennt und mit ihnen umgeht, vermittelt die Lernende Organisation: über Förderung einer wissens- und lernfreundlichen Kultur wird langfristig ein kultureller Rahmen für eine Organisation geschaffen, in der die Mitglieder bereit sind, sich für diese Organisation zu engagieren, ihr persönliches Wissen für sie einzusetzen, es für sie und mit ihr weiterzuentwickeln und damit zu ihrem Erfolg beizutragen. Beide Konzepte stimmen darüber ein, daß Wissen und Lernen - sowohl auf individueller als auch organisationaler Ebene - zentral für das Überleben einer Organisation sind. Aber nur Konzepte, welche die Bedingungen menschlicher Lernprozesse, Verhaltens- und Einstellungsänderungen beachten, werden auf Dauer Veränderungen und Innovationen fördern können[7].
2.1. Wissen managen - Wissen organisieren
Es gibt verschiedene Möglichkeiten Wissensmanagement zu interpretieren und umzusetzen. Die Definition von Bullinger, Wörner und Prieto (1998) zum Beispiel - wie sie Mandl und Winkler zitieren[8] - ist sehr allgemein und unspezifisch formuliert: Wissensmanagement bedeute den bewußten, verantwortungsvollen und systematischen Umgang mit der Ressource Wissen, und deren Integration in bereits bestehende Geschäftsprozesse, um diese zu optimieren. Diese Definition kann man unterschiedlich auslegen, aber sie weist bereits darauf hin, daß Wissensmanagement nur ein Managementinstrument neben anderen ist, das parallel zu diesen eingesetzt wird. Weitere Managementstrategien sind zum Beispiel Kundenorientierung und Qualitätsmanagement, die andere Unternehmensressourcen und -prozesse zum Gegenstand haben, und deren spezielle Umsetzungsinstrumente mit denen von Wissensmanagement integriert eingesetzt werden müssen. Jedes Unternehmen muß seine eigene individuelle Lösung finden, in der alle organisationsspezifischen Prozesse berücksichtigt werden. Leider wird dies in der Praxis oft fälschlicherweise mit Unterordnung von Wissen unter die anderen Prozesse interpretiert. Wie wir dem folgenden Auszug aus dem Dialog zwischen Roehl und Romhardt, zwei bekannten Autoren und Beratern, entnehmen können, scheinen die meisten Unternehmen keine klare Vorstellung von einem wissensgerechten Umgang zu haben:
„Roehl : (...) Wahrscheinlich ist das Konzept viel zu unspezifisch, so daß jeder alles damit meinen kann. Ein Vehikel, auf dem meine Wünsche nach Utopia fahren ... ich verliere langsam die Lust, über <Wissensmanagement> nachzudenken.
Romhardt: Mir geht es ähnlich. Doch sollte man den Lenkungsillusionisten, Kompetenzportfolio-Planern und <Schöne-neue-Datenwelt>-Bastlern das Feld überlassen? (...)
Roehl: ... Auf meiner Lieblingsfolie stehen nur drei Worte: Wissen + Gestaltung = Wissensmanagement. Deshalb habe ich den Begriff <Wissensmanagement> in meinen Arbeiten durch <Wissensorganisation> ersetzt, der einen anderen, weitaus kontextuelleren Steuerungshintergrund hat.“[9]
Für eine nachhaltige Wirkung und damit eine systematische Wissensnutzung bedarf es einer professionellen Organisation von Wissen im Sinne der Institution Organisation, welche die nötigen Rahmenbedingungen bereitstellt und der Handlung des Organisierens an sich. Wissensmanagement bleibt eine indirekte Aufgabe, denn man kann niemanden dazu zwingen, sein Wissen zu kommunizieren, zu vermehren oder gar zu nutzen. Nur die innere Einstellung des einzelnen macht eine Entsprechung in Verhalten und Handeln möglich. Romhardt beschreibt dies folgendermaßen:
„Lebendiges Wissensmanagement ist balanciert und fixiert nicht, ist stark innenorientiert, d.h. fordert Wissensmanager zu Selbsterkenntnis auf, akzeptiert unsere letztendliches Nicht-Wissen und hält nicht an ewigen Wahrheiten fest, setzt bei Problemen an und klammert sich nicht an Instrumente, schaut erst auf den Menschen, die Wissensgemeinschaft und dann auf die Computer (und verknüpft beides zu einem lebendigen System), basiert auf ethischen Prinzipien im Umgang mit Wissen und postuliert keine Wissensneutralität, kann intensiv zuhören und schweigen und durchbricht somit das Dauergerede in vielen (Wissens) Meetings und anderen Kommunikationszusammenhängen, setzt auf interne Kooperation und nicht auf internen Wettbewerb.“[10]
Jede Organisation bestimmt für sich eigene Wissensziele, die in geltende Unternehmensziele einzubinden sind. Sie dienen der gemeinsamen Orientierung, müssen aber Spielraum für die individuelle Umsetzung gewähren. In Anlehnung an das St. Gallener Managementkonzept unterscheiden Probst, Raub und Romhardt (1999) zwischen normativen, strategischen und operativen Wissenszielen, die unter- und miteinander korrespondierend in die Umsetzung einfließen. Sie müssen auf einem klaren Verständnis, was Wissen eigentlich ist[11] basieren und klar verständlich für alle Mitglieder in einer gemeinsamen Unternehmenssprache formuliert sein.
Dieses Konzept unterstützt eine ganzheitliche Sicht auf die Unternehmensprozesse und -strukturen und will damit naiven Umsetzungsversuchen entgegenwirken. In Anlehnung an das Bausteine-Konzept zum ganzheitlichen Problemlösen[12] hat die Gruppe um Probst ein Phasenmodell für die Umsetzung von Wissensmanagement entwickelt, das zu einem besseren Verständnis der komplexen Wechselbeziehungen aller Kräfte der Wissensprozesse untereinander und damit zu rechtzeitigem Erkennen von möglichen Widerständen führen soll. Machbarkeitsgrenzen müssen von Anfang an bewußt in die Planung mit einfließen. Auch das Münchner Modell[13] der Gruppe um Mandl setzt am Schweizer Konzept an, jedoch mit stärkerem psychologischen Schwerpunkt. Der Mensch steht als eigentlicher Träger relevanten Wissens und Hauptakteur kontinuierlicher Lernprozesse im Mittelpunkt der Betrachtung[14]; die Organisation hat die Aufgabe, umfassende Rahmenbedingungen für den Wissensaustausch und die Umsetzung zu schaffen; die Technik dient letztlich nur für die konkrete Durchführung. Phasenmodelle des Wissensmanagements dienen der Unterstützung bei der Umsetzung, der Analyse der Prozesse mit dem Zweck, isolierte Wissensprozesse zu integrieren und besser Störungen im Wissensfluß zu erkennen und zu verstehen; sie bedeuten nicht, generelle Machbarkeit von Wissensmanagement![15]
Über das, was auf den verschiedenen Ebenen geschehen soll, welche spezifischen Ziele bedacht werden müssen, stimmen beide Modelle weitgehend überein: Auf der normativen Ebene werden die unternehmenspolitischen und -kulturellen Aspekte entschieden, welche die Grundlage und die Voraussetzung für eine generelle Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Wissen bilden. Sie bauen auf einer Anerkennung von Wissen als zentrale Größe für das Unternehmen auf und erfordern Einsatz und Überzeugung des Top-Managements.[16] Die wichtigsten Gestaltungselemente auf dieser Ebene[17] sind wissensbewußte Organisationskultur und -leitbild, die auf das Verhalten aller Mitarbeiter einwirken sollen.
Auf der strategischen Ebene werden langfristige Programme und Maßnahmen zur Erreichung dieser normativen Ziele geplant; entsprechende Wissensziele definieren ein für die Zukunft angestrebtes Fähigkeitsportfolio. Aufgrund dieser inhaltlichen Bestimmung des organisationalen Kernwissens werden Organisationsstrukturen, - prozesse und Managementsysteme entsprechend strategisch ausgerichtet.[18] Diese Ebene ist in Bezug auf einen nachhaltigen Erfolg von Wissensnutzung besonders wichtig, denn hier fallen die zentralen Entscheidungen für die konkrete Kontextgestaltung der Arbeit. Die Programme dürfen nicht zu abstrakt und einseitig ökonomisch konzipiert werden, da sie für die Praxis übertragbar bleiben müssen. Die geplanten Strukturen und Prozesse sollten mit den normativen Werten harmonieren, um die Glaubwürdigkeit der Entscheidungsprozesse zu untermauern.[19] Mit den Kernkompetenzen wird auch darüber entschieden, welches Wissen für das Unternehmen wichtig ist und welche Fähigkeiten aufgebaut oder verstärkt werden sollen.
Strategische Ziele müssen sowohl realitätsnah formuliert sein, als auch genügend Spielraum für kreative Wege der Umsetzung lassen. Denn je wichtiger das Wissen für die Organisationstätigkeit ist, umso weniger funktioniert die klassische Logik von Zielen im Sinne einfacher Lösungen. Auch das Nichtwissen der Organisation muß deshalb mit in die strategische Planung einfließen.[20]
Ein klassisches Gestaltungsinstrument hier ist, wie von Probst bereits erwähnt, das Fähigkeitsportfolio. Aber gerade solche Portfolios reduzieren die komplexe Wirklichkeit und versuchen aus diesem vereinfachten Abbild eine Zwangslogik abzuleiten, die oft zu abstrakt und unflexibel ist und oft auf gegenwärtiges Wissen beschränkt bleibt.[21] Um dies zu vermeiden, ist es unumgänglich, ethische Grundsätze auch für die Art der Umsetzung mit in normative Grundsätze aufzunehmen.
Die Umsetzung der strategischen Programme in die tägliche Arbeit erfolgt auf der operativen Ebene; damit soll eine systematische Steuerung und Kontrolle des Wissens erreicht werden. Operative Wissensziele sollen sicherstellen, daß Wissensmanagement auf keiner Ebene verkümmert. Sie übersetzen normative und strategische Ziele in konkrete, operationalisierbare Teilziele, optimieren die Infrastruktur des Wissensmanagements und sichern die Angemessenheit der Interventionen.[22]
Die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Wissensmanagement sind also zunächst An- und Erkennen von Wissen als zentrale Ressource der Organisation, ein Verständnis des echten Wesens von Wissen und eine entsprechende Sensibilisierung der gesamten Organisation für den Umgang damit. Auf der anderen Seite fördert die Kenntnis der eigenen Organisation - ihre Geschichte, Entwicklung sowie ihr aktuelles Leben - aus der Wissensperspektive eine integrative und transparente Sicht auf die Organisation und ermöglicht damit langfristiges Engagement des Managements und der Mitarbeiter.
Modelle, sei es die oben genannten Phasenmodelle, sei es reine technokratische Umsetzungen[23] oder solche wie das Wissensmarkt- Konzept von North[24] sind aus diesem Grund kritisch zu betrachten. Das Kleben an Modellen birgt die Gefahr des Scheiterns, denn damit wird die Dynamik der immanenten individuellen und organisationalen Wissenskräfte unterschätzt. Deshalb sollte Wissensmanagement sich an der Lernenden Organisation und ihrem ganzheitlichen Anspruch auf eine langfristige, auf Wissen und Lernen basierenden Entwicklung orientieren. Sie bietet zwar keine fertige Lösung für Fragen der Kontrollier- und Steuerbarkeit, der Quantifizier- und Meßbarkeit von Wissen, aber sie hilft, Widerstände zu erkennen, zu verstehen und ermöglicht somit mit ihnen zu arbeiten anstatt sie zu bekämpfen.
2.2. Qualitative Entwicklung mit der Lernenden Organisation
„Während traditionelle Unternehmen Managementsysteme erfordern, die das Verhalten der Mitarbeiter kontrollieren, investieren lernende Unternehmen in die Qualität des Denkens, in die Fähigkeit zu Reflexion und zum Team-Lernen, in den Aufbau gemeinsamer Visionen und in die gemeinsame Erkenntnis von komplexen Unternehmensfragen. Es sind diese Fähigkeiten, die der lernenden Organisation eine stärkere dezentrale Kontrolle und eine besserer Koordination ermöglichen werden als ihren hierarchischen Vorgängern.“[25]
Bereits diese Beschreibung von Senge zeigt, weshalb der Lernenden Organisation vorgeworfen wird, kein vollwertiges Managementkonzept zu sein: Die Konzentration auf Lernprozesse, die Infragestellung der traditionellen Hierarchie und die Neubestimmung der Rolle der Führungskräfte als „Designer, Stewards und Lehrer“[26] der organisationalen und individuellen Lernprozesse dürften nicht auf Gegenliebe bei klassischen Unternehmensführern gestoßen sein.
Die Literatur zur Lernenden Organisation ist vielfältig; man hat sich auf wesentliche gemeinsame Punkte geeinigt, die eine allumfassende Innovationsfähigkeit von Organisationen erklären und ermöglichen können[27]. Argyris faßt sie folgendermaßen zusammen: „Dieses Ideal umfaßt Begriffe wie organisationale Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Vermeidung von Stabilitätsfallen, Experimentierneigung, Bereitschaft zum Überdenken von Mittel und Zweck, Untersuchungsorientierung, Verwirklichung der Möglichkeit des Menschen zum Lernen im Dienste von Organisationszielen und die Schaffung von Organisationsumfeldern als Rahmen für die menschliche Entwicklung.“[28] Eine kontinuierliche Selbstreflexion aller Mitglieder wird angestrebt, um die Gesamtorganisation, ihre Strukturen, Wissen, Verhalten und Problemlösungsfähigkeit qualitativ verbessern zu können. Damit Organisationen Veränderungsprozesse (heil) bestehen können, müssen sich einige grundlegende Bedingungen herkömmlicher Unternehmensführung ändern. Lernprozesse dürfen nicht mehr zufällig „passieren“, sie sind nicht mehr auf den Menschen begrenzt (auch wenn er Hauptagent bleibt), sondern beziehen auch das Lernen in der Gruppe und das Lernen der Organisation mit ein. Die Lernfähigkeit einer Organisation basiert zwar auf ihren Mitgliedern, aber organisationales Lernen entwickelt eine eigene Qualität. Andererseits bedeutet das individuelle Lernen einzelner Mitglieder noch lange nicht, daß auch die Organisation lernt.
In ihrem Leitfaden greifen Reinmann-Rothmeier, Mandl, Erlach und Neubauer (2001) die Idee einer Kombination von Lernender Organisation und Wissensmanagement auf; ihre These basiert auf einem Konzept von Senge, das die Verbindung zwischen dem individuellen und dem organisationalen Lernzyklus aufgreift. Dabei wird das Individuum zum <Ort des Wandels>[29], ohne das es keine Veränderung geben kann. Das individuelle Lernen ist durch die aktive Rolle des Lernenden bestimmt: der einzelne eröffnet sich über seine Kompetenz mit Wissen umzugehen, die Möglichkeit, neue Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erwerben, die er wiederum in neues Denken und Handeln umsetzen kann. Wichtig ist dabei, daß dem Lernenden dieser Prozeß bewußt wird, daß er die innere Logik seiner Lernprozesse versteht und für deren Bedingungen sensibilisiert wird, und sie somit nach und nach selbst gestalten vermag. Er lernt, seine Einstellungen zu überprüfen, zu verändern, neue Überzeugungen und Haltungen anzunehmen. Wenn wir die Erkenntnisse über den individuellen Lernprozeß mit der Organisation und ihren Prozessen verbinden, können wir bestimmte Logiken in den organisationalen Entwicklungsprozessen wiedererkennen. Der individuelle Lernzyklus[30] bewegt sich nicht im Vakuum, er benötigt ein Umfeld, das ihm diese Veränderungen ermöglicht und wo er sie umsetzen kann - die Organisation den <Ort des Handelns>[31]. Diese Wechselbeziehung zwischen Individuum und Organisation ermöglicht organisationales Lernen: der Mensch bleibt Hauptakteur des Lernens, aber er braucht einen Kontext, in dem er das Gelernte umsetzen kann.
Die Elemente, welche die Organisation zum <Ort des Handelns> machen und die mit ihren Wechselbeziehungen untereinander den organisationalen Lernzyklus bilden, sind auch Bestandteil des St. Gallener Managementkonzepts: Leitgedanke auf der normativen, Organisationsstruktur auf der strategischen, Konzepte, Methoden, Werkzeuge auf der operativen Ebene.[32] Folgende Abbildung verdeutlicht die Interaktionen zwischen organisationalem und individuellem Lernzyklus:
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Abbildung 1: Verbindung des individuellen mit dem organisationalen Lernzyklus (aus: ReinmannRothmeier, Mandl, Erlach, Neubauer 2001, S. 76.)
Die Grenzen der Lenkbarkeit einer Organisation und insbesondere ihrer Mitglieder hin zu einer aktiven Wissensnutzung liegen in den Widersprüchlichkeiten zwischen dem menschlichen Tun, Glauben und Wollen begründet, die nicht immer den an sie gestellten Erwartungen entsprechen.
[...]
[1] Vgl. Probst, Raub, Romhardt 1999, Reinmann-Rothmeier, Mandl, Erlach, Neubauer 2001 oder Wiesenbauer 2001.
[2] Vgl. Zink, Steinmetz 2002, S. 98. Diese Kritik wird sowohl von Managern als auch von Managementforschern geäußert.
[3] Diese Vierereinteilung des Wissensmanagementprozesses basiert auf dem Modell der Münchner Gruppe um Mandl.
[4] Nicht nur Probst, Raub, Romhardt 1999 orientieren sich an diesem Modell, sondern auch die Münchner Gruppe.
[5] Vgl. Reinmann-Rothmeier, Mandl, Erlach, Neubauer 2001, S.70; Mandl, Winkler 2004, S.85; Probst, Raub, Romhardt 1999, S.33.
[6] Vgl. u.a. North 2002; dieses Thema wird auch weiter unten im Rahmen des Gestaltungsinstrumentes Karriereplanung noch einmal angesprochen.
[7] Vgl. Schubert 2004, S. 73.
[8] Vgl. Mandl, Winkler 2004, S.3.
[9] Roehl 2002, S. 211.
[10] Ebenda, S. 212.
[11] Vgl. weiter unten unter 2.3. Wissen und Lernen.
[12] Vgl. Gomez, Probst 1997.
[13] Mandl, Winkler 2004 und Reinmann-Rothmeier, Mandl, Erlach, Neubauer 2001.
[14] Als psychologisch orientierter Ansatz konzentriert sich das Münchner Modell stärker auf den Menschen.
[15] Vgl. Romhardt, ohne Veröffentlichungsdatum, S. 16 und 21.
[16] Vgl. Probst, Raub, Romhardt 1999, S. 72.
[17] Unter dem Kapitel 3 <Gestaltung der 3 Ebenen> werden diese erneut aufgegriffen, ebenso wie die Gestaltungsinstrumente der strategischen und operativen Ebene.
[18] Vgl. Probst, Raub, Romhardt 1999, S. 81.
[19] Vgl. hierzu Mandl, Winkler 2004, Reinmann-Rothmeier, Mandl, Erlach, Neubauer 2001.
[20] Vgl. zu dieser Problematik v.a. Roehl 2002.
[21] Vgl hierzu auch die Kritik an Portfolios in dem oben zitierten Ausschnitt aus der Diskussion Roehl- Romhardt.
[22] Probst, Raub, Romhardt 1999, S. 87.
[23] Die auf Informations- und Kommunikationstechnologien als Allheilmittel setzten.
[24] Vgl. North 2002: Die Herangehensweise von North ist widersprüchlich, denn obwohl er selbst das Objekt-Wissensverständnis von anderen kritisiert, bleibt sein Marktkonzept selbst in der traditionellen Warenwelt befangen. Ein nachfrage- und angebotsorientiertes WM-Modell setzt, wenn auch unbewußt, Wissen mit materieller Ware gleich; es entsteht der Eindruck Wissen sei managebar.
[25] Senge 2001, S. 351.
[26] Ebenda, S. 411.
[27] Vgl. Krämer-Stürzl 2003, u.a. S. 35f.
[28] Argyris 1999, S.190.
[29] Reinmann-Rothmeier, Mandl, Erlach, Neubauer 2001, S. 72.
[30] Ebenda, S. 71.
[31] Ebenda, S. 73.
[32] Vgl. die Ausführungen unter 2.1. Wissensmanagement und unter 3. Gestaltung der drei Ebenen.