Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Überblick über die Geschichte des Islams auf dem Balkan
3. Islam und Islamismus in Bosnien-Herzegowina
3.1 Merkmale des bosnischen Islams
3.2 Die Bedeutung Bosniens für internationale islamistische Organisationen
3.3 Alija Izetbegović und seine „Islamische Deklaration“
3.4 Der Bosnienkrieg (1992-1995) und die Rekrutierung ausländischer Muğāhidūn
3.5. Der Islam nach dem Bosnienkrieg: Europäischer vs. fundamentalistischer Islam
3.5.1 Allgemeine Entwicklungstendenzen und deren Einschätzung
3.5.2 Die Etablierung islamistischer und wahhabistischer Organisationen
3.5.3 Ziele und Zielgruppen der islamistischen und wahhabistischen Aktivisten
3.5.4. Methoden islamistischer und wahhabistischer Aktivisten, um an Einfluss zu gewinnen
3.4.5.1 Finanzierung neuer Moscheebauten
3.4.5.2 Rekrutierung junger, gebildeter Muslime in den Städten
3.4.5.3 Eingriff in und Kontrolle des Alltagslebens der muslimischen Bevölkerung
3.4.5.4 Einsatz ausländischer islamischer NGOs
3.5.5 Reaktionen der bosnischen Muslime auf den Einfluss islamistischer und wahhabistischer Gruppierungen
4 fazit und ausblick
5 Quellen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Auf der diesjährigen Berlinale war „Na Putu“ (engl. Titel „On the Path“) zu sehen, ein Film der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanić von 2010. Es geht um Luna und Amar, ein bosnisches Paar, das einer schweren Belastungsprobe unterzogen wird, als Amar wegen Trunkenheit seine Arbeit verliert. Auch der gemeinsame Kinderwunsch lässt sich nicht verwirklichen, da Amar aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit zeugungsunfähig geworden ist. Durch einen Veteranen aus dem Bosnienkrieg, den er zufällig wiedertrifft, findet Amar schließlich eine neue, gutbezahlte Arbeit in einer muslimischen, einer wahhabitischen Gemeinde. Diese beeinflusst ihn so stark, dass er sein ganzes bisheriges Leben in Frage stellt und sich der radikalen islamischen Doktrin des Wahhabismus zuwendet. Luna erkennt Amar nicht wieder und hegt erst Misstrauen, dann große Abneigung gegenüber dem Einfluss, den die wahhabistischen Fundamentalisten auf Amar ausüben (vgl. Berlinale. Internationale Filmfestspiele Berlin 2010: 70).
Der Film zeigt einen Aspekt des bosnischen Islam, der seit dem Bosnienkrieg (1992-1995) immer mehr an Bedeutung gewonnen hat: Der zunehmende Einfluss ausländischer islamistischer und wahhabistischer Gruppierungen in dem noch immer wirtschaftlich und sozial geschwächten Land. Seit dem Kriegsende hat Saudi-Arabien beispielsweise etwa 3000 Projekte in ganz Bosnien-Herzegowina[1] finanziert. Somit gelangte nicht nur eine beträchtliche Summe an wirtschaftlicher Aufbauhilfe ins Land, sondern auch die fundamentalistische wahhabistische Doktrin der Saudis (vgl. Flottau/ Kraske In: Spiegel Online 2004).
Das aggressive Vorgehen islamistischer und wahhabistischer Aktivisten in Bosnien, aber auch in anderen Balkanstaaten, resultiert in internen Streitigkeiten und Schismen innerhalb der muslimischen Gemeinschaften (vgl. Deliso 2007: xii), die traditionellerweise einen moderaten, toleranten und westlich orientierten Islam vertreten (vgl. Asmuth In: Qantara 2005). Von den Wahhabisten werden sie deswegen als „Ungläubige“ angesehen und verfolgt (vgl. Deliso 2007: 21).
Mit der vorliegenden Arbeit soll zunächst ein kurzer Überblick über die Etablierung und die Charakteristika des Islams auf dem Balkan, speziell in Bosnien, gegeben werden. Im Folgenden stehen islamistische und wahhabistische Gruppierungen im Fokus, die in Bosnien aktiv sind. Insbesondere geht es um die Darstellung der Methoden, mit denen sie versuchen, Einfluss auf die bosnische muslimische Bevölkerung auszuüben.
2 Überblick über die Geschichte des Islams auf dem Balkan
Der Islam hielt mit den Eroberungsfeldzügen des Osmanischen Reiches im 14. Jahrhundert Einzug auf dem Balkan (vgl. Bremer 2003: 23). In diesem Zusammenhang spielte insbesondere die Schlacht auf dem Amselfeld 1389 auf dem Gebiet des heutigen Kosovo eine entscheidende Rolle. Dort konnten die Osmanen das aus Serben und Bosniern bestehende Heer schlagen und nach bulgarischem auch deren Territorium einnehmen (vgl. Heuberger In: Heuberger 1999: 106). Bis zur osmanischen Eroberung hatte die Bosnische Kirche, ein Zweig des Christentums, der sich unabhängig von Rom und Konstantinopel etabliert hatte, das religiöse Leben Bosniens geprägt. Mit dem Einzug des Islams jedoch verschwand diese Religion recht schnell aus dem Gebiet (vgl. Bremer 2006: 21f.). Insbesondere in Bosnien konvertierten zwei Drittel der christlich geprägten Bevölkerung zum Islam, praktizierten aber häufig ein Kryptochristentum[2] im Verborgenen weiter. Muslime nämlich wurden im Osmanischen Reich eindeutig Angehörigen anderer Religionen gegenüber bevorzugt behandelt – daher die große Zahl an Konvertiten (vgl. ebd.: 24f.).
Bis ins 19. Jahrhunderte hinein beeinflusste der Islam Südosteuropa bis das Osmanische Reich schließlich aufgrund politischen und wirtschaftlichen Verfalls, sowie aufkommender Nationalbewegungen südslawischer Völker seinem Ende entgegenging. So erklärten Griechen, Serben, Rumänen und Bulgaren Ende des 19. Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit und Bosnien, sowie die Herzegowina wurden 1878 von Österreich-Ungarn zunächst besetzt, dann 1908 annektiert, also rechtlich eingegliedert (vgl. Heuberger In: Heuberger 1999: 107f.). Von nun an mussten die Muslime in einem christlichen Staat leben, wobei sich die österreichische Verwaltung relativ tolerant gegenüber dem bosnischen Islam zeigte. Sie versuchte außerdem durch gezielte Konstruktion einer „bosniakischen“ Identität den äußeren Einfluss katholischer Kroaten und christlich-orthodoxer Serben auf das eingegliederte Gebiet zu begrenzen. Mit dem Attentat eines bosnischen Serben auf das österreichische Thronfolgerpaar am 28. Juni 1914 in Sarajewo jedoch war dieser Plan gescheitert und der Erste Weltkrieg brach aus (vgl. Bremer 2006: 25). Nach dessen Ende entstand im Dezember 1918 das sogenannte „erste Jugoslawien“, das christlich geprägte „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“, dem auch das Gebiet von Bosnien angehörte. Die (bosnischen) Muslime hatten in diesem Staat mit Zuordnungsproblemen zu kämpfen, denn sie wurden sowohl von Serben als auch Kroaten gedrängt, sich mit der jeweiligen Nation zu identifizieren, sich demnach entweder als muslimische Serben oder muslimische Kroaten zu begreifen. Für ihre eigene Identität als muslimische Bosnier war offensichtlich kein Raum vorgesehen, wie es bereits aus der Staatsbezeichnung hervorging. So kam es, dass hunderttausende Muslime in die Türkei in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen auswanderten (vgl. ebd.: 26).
Im Zweiten Weltkrieg gehörten der größte Teil Kroatiens und Bosniens dem „Unabhängigen Staat Kroatien“ an, ein mit deutscher und italienischer Unterstützung gegründeter Marionettenstaat der Nazis unter dem faschistischen kroatischen Ustaša-Regime (vgl. ebd.: 31). Kroaten verübten während dieser Zeit mit Hilfe muslimischer Bosnier Massaker an der serbisch-orthodoxen Bevölkerung (vgl. ebd.: 33), gleichzeitig aber fielen auch die Muslime Bosniens Vertreibungen und Massakern von Serben zum Opfer (vgl. Heuberger 1999: 111, vgl. Lopasic In: Hawkesworth/ Norris 2006: 153).
1945 entstand unter Tito ein „zweites Jugoslawien“, die „Föderative Volksrepublik Jugoslawien“, bestehend aus den sechs sozialistischen Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro und Mazedonien, die bis 1980 existieren sollte (vgl. Hoffmann In: NLPD 2004: 42). Während dieser Zeit wurden alle Religionen staatlich unterdrückt bzw. politisch instrumentalisiert. So machte sich Tito auf der einen Seite die Existenz des Islams in seinem Staat nützlich, um wirtschaftliche und politische Beziehungen zu islamischen, „blockfreien“ Staaten aufzubauen. Auf der anderen Seite jedoch setzte er die muslimische Bevölkerung Repressionen aus, indem z. B. Moscheen in Lagerhallen umgewandelt wurden oder ganz verfielen oder indem Gläubige öffentlicher Demütigung ausgesetzt waren. Des Weiteren ließ er das religiöse Leben scharf kontrollieren, um die Entstehung islamischen Fundamentalismus‘ zu verhindern. In den 1980er Jahren führte man zudem viele Gerichtsprozesse gegen politisch aktive Muslime wie den späteren bosnischen Präsidenten Izetbegović, aus Angst davor, dass diese Muslime politische Beziehungen zu anderen islamischen Staaten aufnehmen und so ihre Position stärken könnten (vgl. Lopasic In: Hawkesworth/ Norris 2006: 154). Trotzdessen blieb der Islam weiterhin ein wichtiges soziokulturelles Phänomen in Jugoslawien, z. B. hielten die Gläubigen ihre Gebete in aller Heimlichkeit ab und auch das Derwischwesen blieb trotz Auflösung seiner Ordenshäuser weiterhin bestehen (vgl. Heuberger In: Heuberger 1999: 111f.).
Gegen Ende seiner Amtszeit nahm die Religionspolitik Titos, der 1980 starb, sogar eine erstaunliche Entwicklung hin zu mehr Liberalität (vgl. Popović In: Brunner/ Kappeler/ Simon 1989: 277), was sich während der gesamten 1980er Jahre z. B. in verstärktem Moscheeneubau zeigte (vgl. Perica 2002: 81).
[...]
[1] Im Folgenden wird der Einfachheit halber statt „Bosnien-Herzegowina“ nur „Bosnien“ geschrieben.
[2] Die Bevölkerung bekannte sich zwar formal zum Islam, praktizierte aber im Verborgenen christliche Bräuche weiter (vgl. Bremer 2006: 25).