Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Klassenbeschreibung und situative Bedingungen
3 Unterrichtsgegenstand
4 Theorien und Fachtermini
4.1 Gesprächsanalyse
4.2 Kennzeichen eines Unterrichtsgesprächs
4.3 Lehrervortrag mit verteilten Rollen
5 Analyse
5.1 Regiefrage
5.2 Lehrervortrag
5.3 Initiation, reply und evaluation
5.4 Redeanteil
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Skizze des Klassenzimmers
Transkription
„Ein Gespräch ist: Kein Dauervortrag, keine Endloserzählung, nicht einseitig nicht ermüdendEin Gespräch hat Seltenheitswert.“
Else Pannek, deutsche Lyrikerin
1 Einleitung
Die vorliegende Gesprächsanalyse wurde im Rahmen einer Einführungsveranstaltung der Universität Lüneburg „Propädeutikum und Orientierung auf Sprache“ für den Studiengang Lehramt für Grund-, Haupt- und Realschule (B.A.) im Fach Deutsch erstellt. Um die Grundlagen der Linguistik, mit der sich das Seminar befasst, zu vertiefen, wurde eine Transkription[1] auf der Basis eines Unterrichtsgesprächs analysiert. Die Aufnahme entstand mittels einer digitalen Videokamera am 15. Dezember 2006. Diese Aufzeichnung fand mit dem Einverständnis der Eltern, der SchülerInnen und der Klassenlehrerin in einer Grundschulklasse der gemischten Eingangsstufe im Unterrichtsfach Deutsch statt. Da die SchülerInnen die letzte Viertelstunde für die selbständige Bearbeitung der Aufgaben im Unterricht nutzten, wurden nur die ersten 30 Minuten, in denen die Lehrkraft aktiv unterrichtete, behandelt.
Sich mit Kommunikation im Allgemeinen und mit Unterrichtskommunikation im Speziellen auseinander zu setzen, ist eine bedeutende Voraussetzung um Unterricht effizient zu gestalten. Angehende Lehrkräfte benötigen ein erhöhtes sensibilisiertes Sprachbewusstsein, um Schülern und Schülerinnen eine adäquate Wissensvermittlung bieten zu können. Die Analyse dieser Unterrichtsstunde auf der Basis einer Transkription ist eine dieser Voraussetzungen, um metalinguistisches Wissen zu vertiefen. Im Unterricht ist die Lehrkraft für die thematische und sprachliche Anleitung verantwortlich. Das Gesprochene im Unterricht hat große Tragweite. „Wie die Forschung zeigt, hat die gesprächsweise Zuwendung von Erwachsenen zu Kindern auch eine immense entwicklungspsychologische und sprachfördernde Bedeutung,“[2] Die Abhängigkeit der SchülerInnen von der Lehrerkommunikation und dem damit einhergehenden Ein- fluss, den die Lehrkraft ausübt, verdeutlicht die Verantwortung, die sie trägt und der sie gerecht werden muss.
Die hier vorliegende Untersuchung der Transkription verfolgt die Fragestellung, auf welche Art von Unterrichtskommunikation die Lehrkraft zurückgreift, um Wissen zu vermitteln. Inwieweit dieses Wissen transferiert wird und welche Erkenntnisse die SchülerInnen dabei gewonnen haben soll nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. Die Analyse des Unterrichtsgesprächs soll klären, ob es sich um einen sog. Lehrervortrag mit verteilten Rollern[3] handelt. Es soll festgestellt werden, inwieweit diese spezielle Vortragsform stattfindet und sich somit von dem übrigen Unterrichtsgespräch unterscheidet. Zuerst werden die wichtigsten Merkmale von Unterrichtskommunikation definiert, insbesondere die des Lehrervortrags mit verteilten Rollen. Im Anschluss werden seine markanten Merkmale in der Transkription untersucht und der Anteil, den der Lehrervortrag mit verteilten Rollen in der Unterrichtsstunde hat, eruiert. Abschließend wird das Ergebnis aufgezeigt und kritisch reflektiert.
2 Klassenbeschreibung und situative Bedingungen
Die Schule befindet sich im Bundesland Niedersachsen. Es gibt rund 160 Schülerinnen und zehn Lehrerinnen, die in vier gemischte Eingangsstufen, zwei dritte Klassen und zwei vierte Klassen, aufgeteilt sind.
Im Klassenraum befinden sich drei Tische, an denen jeweils unterschiedlich viele Schülerinnen sitzen. Die Tische sind zur Tafel und zum Lehrerpult im angedeuteten Halbkreis aufgestellt. Des Weiteren ist eine Leseecke in diesem Raum eingerichtet, die atmosphärisch einen wohnlichen, kindgerechten Charakter aufweist. Verstärkt wird dieser Eindruck durch viele Bastelarbeiten, Bilder, Plüschtiere, Pflanzen, usw., die sich im Klassenraum befinden. Die Regale sind mit Arbeitsmaterialien, Büchern und sog. Werkstattkästen gefüllt. Die Klassenlehrerin ist selbst Mutter von vier Kindern und seit zehn Jahren in diesem Beruf tätig. Die Schülerschaft setzt sich aus vierzehn Mädchen und sieben Jungen zusammen. Davon sind sechs Mädchen und zwei Jungen Erstklässlerinnen. Am Tag der Aufzeichnung nehmen 19 von 21 Schülerinnen am Unterricht teil. Die Lehrerin stellt sich zu Gunsten des Aufzeichnungsgerätes vor die Tafel. Diesen Standort verlässt sie bis zur Arbeitsphase der Schülerinnen nicht. Ihre Präsenz wirkt sehr professionell und strukturiert, was für ein entspanntes und freundliches Klassenklima sorgt. Die Kinder sind während der Unterrichtseinheit aufmerksam und konzentriert. Trotz des Unterrichtsbesuches wirken die Kinder natürlich und scheinen den technischen Utensilien kaum Beachtung zu schenken.
3 Unterrichtsgegenstand
Das Unterrichtsthema ist das Backen von Plätzchen in der Adventszeit. Als Unterrichtsgegenstand wird ein Arbeitsbuch mit dem Titel „Lara und ihre Freunde“[4] für die Schülerinnen benutzt. Das Kapitel trägt den Titel: Lara backt. Jedes Kapitel nimmt eine Doppelseite in Anspruch, auf der eine illustration zu sehen ist, die eine Alltags- oder Schulsituation des Mädchens „Lara“ zeigt. Die Geschichten von Regina Reichen sind als Parallele zum alltäglichen Leben der Schülerinnen zu betrachten. Das didaktische Ausgangsmaterial soll den Kindern hel- fen, ihre Lese- und Schreibkompetenzen zu festigen. Der Unterrichtsaufbau besteht aus fünf Arbeitsphasen. Zur Eröffnungsphase des Unterrichtsthemas nutzt die Klassenlehrerin zunächst die Abbildung, nach der die SchülerInnen ihnen bekannte Figuren nominieren und deskribieren sollen. Dann liest sie die dazugehörige Geschichte vor. Zu dieser Geschichte folgen zwei Aufgaben. Die erste Aufgabe besteht aus zwölf Fragen, die vorgelesen werden und anschließend mittels einer Lochkarte (Denktrainer) selbst evaluiert werden. Die Aufgabe intendiert das konzentrierte Zuhören. Die zweite Aufgabe besteht ebenfalls aus einem Fragenkatalog. Es handelt sich um ein Worträtsel. Die Lehrerin fragt nach ganz spezifischen Begriffen, die auf dem Bild zu finden sind. Diese müssen aber exakt nominiert werden, da die Anfangsbuchstaben ein Lösungswort ergeben. Die beiden letzten Aufgaben, die in den verbleibenden sechzehn Minuten des Unterrichts gelöst werden, sind selbständige Arbeiten der SchülerInnen und werden nicht zu Analysezwecken herangezogen.
Das didaktische Begleitbuch, das die Lehrerin verwendet, enthält verschiedene Arbeitsmaterialien zu den unterschiedlichen Kapiteln. Welche Aufgabenelemente und Methoden die LehrerInnen in einer Unterrichtseinheit anwenden wollen, bleibt ihnen überlassen, wie bereits der Untertitel des Buches (,,Methodische Empfehlungen und Tipps für die Praxis“) erkennen lässt. Der Autor von „Lara und ihre Freunde“ schlägt vor, dass die Lehrpersonen ihre Arbeitsweise eigenständig gestalten sollen. Seine Vorgaben seien nur Vorschläge, wie man mit den SchülerInnen arbeiten könne[5].
4 Theorien und Fachtermini
4.1 Gesprächsanalyse
Die Gesprächsanalyse ist eine linguistische Teildisziplin, die im deutschsprachigen Raum seit den 1970er Jahren erforscht wird. Sie bezieht sich ausschließlich auf die gesprochene Sprache und untersucht verschiedene sprachliche Verhaltensweisen. Dazu gehören die meist unbewussten Regeln und Automatismen, die es den Kommunikationspartnern ermöglichen, Gesprächsbeiträge aufeinander abzustimmen und den Überblick über den Gesprächsverlauf zu behalten[6].
Mit folgenden Fragen beschäftigt sich die gesprächsanalytische Forschung:
1. Wie kommt man in einem Gespräch zu Wort?
Der Gesprächsbeitrag (turn[7] ) wird durch Selbst- oder Fremdwahl[8] initiiert. Wenn eine Person einem Kommunikationspartner das Wort erteilt, so nennt man dies Fremdwahl. Im Gegensatz dazu zeichnet sich die Selbstwahl dadurch aus, dass ein Sprecher sich selbst das Wort nimmt. Hierbei kann es zum Sprecherwechsel[9] kommen.
2. Was ist ein Sprecherwechsel?
Der Sprecherwechsel wird auch turn-taking genannt. Hierbei wechseln die Rollen von Hörer und Sprecher. Der ursprüngliche Hörer wird nun zum Sprecher und der ehemalige Sprecher zum Hörer.
3. Wann ist ein Gesprächsbeitrag beendet?
Wenn es zu einer Sprecherpause (gap[10] ), sich überschneidenden Gesprächsbeiträgen (overlap[11] ), zu einem Sprecherwechsel mit längeren Pausen bzw. Schweigen, einer Frage mit Anhängsel, wie z.B. „ne?“, sog. tag questions („’tag’ bedeutet etwa [...] 'Anhängsel' [auch:] 'Schlusswort'“[12] ) oder zu einer Unterbrechung kommt'[13].
4.2 Kennzeichen eines Unterrichtsgesprächs
Im Gegensatz zum nicht planbaren Verlauf von Alltagsgesprächen weist die Unterrichtskommunikation mehr Struktur und Richtung auf. Die Unterrichtskommunikation setzt sich von Alltagsgesprächen insofern ab, als sie zielgerichtet ist, das Gesprochene eine große Tragweite hat, die SchülerInnen zum Unterricht verpflichtet sind, Abschweifungen vermieden werden und es keine Gleichberechtigung der Gesprächspartner gibt. Da es um Wissensvermittlung in der Institution Schule geht, stehen sich Lehrende und Lernende komplementär gegenüber[14]. Durch diese institutionelle Gegebenheit unterliegen die Lehrkräfte und die Schülerinnen einem bestimmten Regelwerk: Das Unterrichtsgespräch ist nicht öffentlich, Ort und Zeit sind festgelegt. Die Lehrperson bestimmt die Inhalte und die Vermittlungsverfahren im Unterricht und ist für den Sprecherwechsel im Klassenverband verantwortlich, was häufig durch explizite oder implizite Fremdwahl geschieht. Weitere Merkmale von Unterrichtskommunikation sind:
a) Asymmetrie [15]
Asymmetrie in Unterrichtskommunikation kommt zustande durch die Expertenrolle des Lehrers und die daraus resultierende Wissensdifferenz. Im Gegensatz dazu ist die Symmetrie die Gleichberechtigung in Kommunikation von Gesprächsbeiträgen. Diese Form wird allerdings im Unterricht seltener verwendet und begegnet uns häufiger im Alltagsgespräch. Durch die feste soziale Rolle, die dem Lehrer zuteil wird, ist es auch er, der das Rederecht erteilt[16]. Der Redeanteil der Lehrperson liegt nach den Untersuchungen von Brinker/Sager (1996) bei durchschnittlich 68 %, der der Schüler bei 20 %, die restlichen 12 % wird geschwiegen'[17].
b) Responsivität[18]
Es gilt die Fragen des Lehrers zu beantworten. Man kann nach Lin- ke/Nussbaumer/Portmann[19] Antworten auf einen initiierten Gesprächsbeitrag in drei Kategorien unterteilen: Die Responsivität ist gegeben, wenn die Intention als auch der Inhalt des turns berücksichtig sind. Von Teilresponsivität [20] spricht man, wenn nur ein Teil des Inhalts berücksichtigt wird oder thematisch von der Frage abweicht. Dies ist ein häufiges Kennzeichen von Unterrichtskommunikation, erkennbar durch Nachfragen seitens des Lehrers. Nonresponsivität [21] meint, weder Inhalt noch Intention werden berücksichtigt. Responsivität ist nicht mit dem Begriff Respondierung[22] zu verwechseln. Dies meint die Verpflichtung zur gesprächsweisen Reaktion auf einen initiierenden Beitrag des Vorredners.
c) Struktur einer Unterrichtsstunde
Eine Unterrichtsstunde gliedert sich in die Eröffnungsphase, in der die Themen vorgestellt werden, die Instruktionsphase, in welcher der wesentliche Teil der Wissensvermittlung stattfindet, und die Abschlussphase, die zur Ergebnissicherung und Reflektion des Gelernten dient. Der Lehrer arbeitet in der Instruktionsphase mit der interaktionalen Sequenz[23]. Diese besteht aus initiation (Frage), reply (Antwort) und evaluation (Bewertung). Nach Mehan sind initiation und reply sog. adjacency pairs (angrenzende Paare), die zu einer evaluation führen. Bei einer teil- oder nonresponsiven Antwort kann sich die evaluation durch Schleifen des initiation-reply-Paares hinauszögern[24].
d) Lehrerecho[25] und Partikeln[26]
Um Schüleräußerungen allgemein gültig zu machen, wiederholt die Lehrkraft deren Aussagen (Lehrerecho) für die Klasse. Ein weiteres Merkmal von Unterrichtskommunikation ist die Verwendung von tag questions und Partikeln (Pausenfüllwörter ohne syntaktische Funktion).
e) Sanktions- /Reaktionsmöglichkeiten[27]: (lat. sanctio: Billigung, geschärfte Verordnung)
Da die Sprecherwahl vom Lehrer initiiert wird, nutzt er seine verschiedenen Möglichkeiten um auf Regelverstöße zu reagieren. Nach Mehan finden sich vier solcher Alternativen: Der Lehrer ignoriert den Regelverstoß, in dem er der Schüleräußerung keine Beachtung schenkt. Der Lehrer führt auch bei ausbleibenden Antworten den Unterricht fort und versucht durch Hinweise zur gewünschten Antwort zu gelangen. Eine weitere Reaktionsmöglichkeit ist die stillschweigende Rederechterteilung, bei welcher der Lehrer die richtige Antwort eines nicht autorisierten Sprechers nach einer falschen Antwort des autorisierten Sprechers akzeptiert. Des Weiteren hat er die Möglichkeit, auf Äußerungen von nicht autorisierten Sprechern einzugehen.
f) Sprachliche Handlungsmuster
„Der zentrale Begriff der funktionalen Pragmatik ist der des sprachlichen Handlungsmusters“[28]. Die Funktionale Pragmatik untersucht die sprachlichen Handlungsmuster auf gesellschaftlicher und institutioneller Ebene. Auf Grund dieser Untersuchung können wieder auftretende kommunikative Probleme in der Unterrichtskommunikation durch standardisierte sprachliche Handlungsmuster gelöst werden. Ehlich/Rehbein nennen vier solcher sprachlichen Muster, die Parallelen zur alltäglichen Praxis der Kinder aufweisen[29]:
1. Aufgaben stellen / Aufgaben lösen (Problemlösungen im Alltäglichen)
2. Rätselraten (im freizeitlichen Spiel)
3. Lehrervortrag mit verteilten Rollen (alltägliche Muster der Frage)
4. Begründen
Im Folgenden wird ausschließlich der Lehrervortrag mit verteilten Rollen[30] untersucht.
4.3 Lehrervortrag mit verteilten Rollen
Zu den bekanntesten Formen der mündlichen Wissensvermittlung gehört der Vortrag. Eine speziell für den Unterricht entwickelte Form ist der Lehrervortrag mit verteilten Rollen. Bei dieser Diskursform dominiert die monologische Redeart und es herrscht eine ungleiche Verteilung des Rederechts. Der Redner strukturiert seinen Vortrag, um den komprimierten Lerninhalt innerhalb kürzester Zeit zu vermitteln. Dabei arbeitet er vor allem mit einer „Verkettung von überwiegend assertiven Sprechhandlungen“[31]. Diese Form erfordert auf Hörerseite ein hohes Maß an Motivation, Konzentration und Bereitschaft, dem Inhalt zu folgen und diesen aufzunehmen. Für die Aufrechterhaltung nutzen die Lehrenden Präsentationstechniken wie Bilder und Metaphern zur Veranschaulichung ihrer Lerninhalte. Charakteristisch für den Lehrervortrag mit verteilten Rollen ist die sog. Regiefrage[32]. Diese wird zur Steuerung der Schüler genutzt, indem sie in den mentalen Prozess der Schüler eingreift[33] und nur Antworten auf Fragen der Lehrkraft zulässt, die seinen bereits im Kopf formulierten Antworten entsprechen. Im Vordergrund steht hierbei die Hörersteuerung, nicht der Wissenstransfer. Eine vielfach geäußerte Kritik am Lehrervortrag mit verteilten Rollen ist laut Ehlich/Rehbein die, dass das Ziel der Unterrichtskommunikation, Wissen von einem Kopf in einen anderen zu transferieren, durch die lückentextartig ge- stellten Regiefragen der Lehrerinnen nicht erreicht wird[34]. Die thematisch eng gefassten Fragen erlauben den Schülerinnen nur eingegrenzte Antworten, die sie in den Vortrag des Lehrers einbauen müssen. Somit fungieren sie als Stichwortgeber[35]. Die Satzinhalte der Regiefrage bestehen in der Regel aus zwei Teilen: Thema und Rhema.[36] Der Lehrer orientiert sich an dem Wissensdefizit der Schüler und darauf, dieses auszufüllen. Er erfragt dabei immer wieder bestimmte rhematische, d.h. inhaltlich neue Elemente. Das Thema ist das inhaltlich den Schülern bereits Bekannte, wobei das Rhema hingegen das vom Lehrer gesuchte Unbekannte ist. Ein selbständiges Denken ist damit unzulässig und ist auch nicht gewünscht.
5 Analyse
Wie in der Einleitung beschrieben, folgen nun einige Ausschnitte der Transkription, um die These belegen oder widerlegen zu können, ob es sich um einen Lehrervortrag mit verteilten Rollen handelt.
5.1 Regiefrage
Der erste Ausschnitt der Transkription, der kommentiert und analysiert wird, zeigt die Einstiegsphase des Unterrichts:
So! Wer schon die Seite aufgeschlagen hat, [++] ohne dass wir die Geschichte kennen, wen entdeckt ihr denn [++] von unseren alten Bekannten im Buch? [+++] Lennart. Erzähl mal.
Mhm, Lara.
Kannst du bitte so beschreiben, denn es kennen nicht alle hier im Raum, wer Lara ist. Da müsstest du einmal genau sagen, wo Lara überhaupt ist.
Da! Die ist da bei die, da wo die, auf der Seite hier. [++]
Sag mal rechts oder links?
Auf der linken Seite. Und [+++] da isn, da fegt Lara grad Mehl auf. Woher weißt denn du, dass das Mehl ist oder woher wissen die anderen auch, ob das überhaupt Mehl ist? Olek.
Weil, weil, [+] da ist ja schon Mehl so umgekippt.
Ja, aber woher weißt denn du, dass das Mehl ist? Es könnte ja auch Zucker sein? [+++] Laura.
Weil da steht Mehl drauf.
(überrascht) Das hast du schon gelesen einfach? Aha! [++] Gut, also Lara ist da. Wen sehen wir noch? Chris. [++] Chris!
Da ist eine Gruppe von Laras [++], aber, die haben da Farbe, die ist auch auf dem linken Bild da, da wo die zwei Shirts liegen, da oben drauf. [***]
Anna.
Erika.
Woher weißt denn das?
Das ist ähm, auf dem Bild. [++]
Aber guckt mal, aber wenn ihr auf das T-Shirt von Erika guckt, Sabine.
E - Da isn E drauf. So wie Erika.
Ganz genau! Gut, jetzt haben wir Erika und Lara entdeckt. Clara, ähm, Manuel, ich hab nichts verstanden, was Clara gesagt hat. Sag noch mal!
Die erste Verkettung von Regiefragen beginnt direkt mit dem Einstieg in das Hauptthema. Die Lehrerin fordert einen Schüler durch das Fragewort „wen“ auf, eine ihm bekannte Person auf dem Bild zu entdecken (Zeile 24). Der Schüler benennt in Zeile 26 den Namen Lara, welche die Hauptfigur des Buches ist. Von diesem Augenblick an ist Lara das Thema und in der Folgezeile fordert die Lehrerin ihn auf, das Rhema, den Standort von Lara, zu beschreiben. Da die Antwort von Lenni teil-responsiv ist, folgt eine weitere Regiefrage, die nur eine Alternative zulässt. Sie formuliert ihm die Antwortalternative vor, indem sie ihm mitteilt, welche beiden Optionen er habe (Zeile 31: „Sag mal rechts oder links“). Der Schüler antwortet nun responsiv, dabei beschreibt er zusätzlich unaufgefordert Laras Tätigkeit (Zeile 32: ,,[...] da fegt Lara grad Mehl auf“). Dieses nutzt die Lehrkraft umgehend für eine weitere Regiefrage, indem sie wissen will, woran festzumachen sei, dass es sich um Mehl handle. Olek, ein Erstklässler, erkennt nicht auf Anhieb, welches die im Kopf der Lehrerin vorformulierte Antwort sein soll. Dreimal benutzt die Lehrerin das Fragewort „woher“ und nachdem dieser nicht sofort responsiv antwortet, erweitert sie ihre Frage, warum es nicht Zucker sei und will damit verdeutlichen, dass die Schüler erlesen könnten, „was“ auf der Verpackung steht. Die Tatsache, dass der Begriff „Mehl“ auf der Verpackung geschrieben steht, entdeckt Laura, ebenfalls eine Erstklässlerin, im Anschluss an Olek. Die Lehrerin evaluiert die Antwort mit einem überraschten „das hast du schon gelesen?“. Mit dem Wort „gut“ (Zeile 39) beendet sie diese Frage-Antwort-Schleife und stellt die nächste Frage, wen die Kinder denn noch kennen. Chris äußert sich teil-responsiv. Diese Antwort ist der Lehrerin nicht ausreichend genug, woraufhin sie unkommentiert die nächste Schülerin dran nimmt. Die gewählte Schülerin Anna antwortet lückentextartig nur mit dem ei¬nen Wort „Erika“. Auch hier fragt die Lehrkraft nach, woran Anna das festma¬che. Die Schülerin äußert sich teil-responsiv, woraufhin die Lehrerin die Regie¬frage in Zeile 46 stellt „Woher weißt denn das?“ und eine andere Schülerin ant¬worten lässt. Mit der Bewertung „ganz genau“ (Zeile 51), betont sie die Responsivität von der Antwort der Erstklässlerin Sabine.
[...]
[1] Die vollständige Transkription befindet sich im Anhang.
[2] Linke, Angelika; Nussbaumer, Markus; Portmann, Paul R.: Studienbuch Linguistik. 5., erweiterte Auflage. Hrsg.: Burkhardt, Armin; Linke, Angelika; Wichter, Sigurd. Tübingen 2004, S. 297
[3] Becker-Mrotzek/Vogt greifen hier auf die Begrifflichkeit des „Lehrervortrag mit verteilten Rollen“ nach Ehlich/Rehbein (1986) zurück, wonach dies eine „spezifische Aufteilung des Vortrags auf Lehrer und Schüler [ist], die im Wesentlichen durch einen bestimmten Fragetyp, die sog. Regiefrage, erreicht wird.“ Becker-Mrotzek, Michael; Vogt, Rüdiger: Unterrichtskommunikation. Analysemethoden und Forschungsergebnisse. Tübingen, 2001 (Germanistisches Arbeitsheft 38), S. 60
[4] Jürgen Reichen: Lesen durch Schreiben A2k. 1. Teil: Methodische Empfehlung und Tipps für die Praxis. 2. Teil: 48 Geschichten von Regina Reichen. Heinevetter-Verlag Hamburg, 2003. iSBN 3-87474-683-6 Vertrieb Schweiz: Scola Verlag Zürich. iSBN 3-908256-674 Nachdruck 2005/2006
[5] Jürgen Reichen 2003
[7] Linke; Nussbaumer; Portmann 2004, S. 294ff.
[8] Linke; Nussbaumer; Portmann 2004, S. 300
[9] Linke; Nussbaumer; Portmann 2004, S. 301
[10] Linke; Nussbaumer; Portmann 2004, S. 302
[11] Ebd.
[12] Ebd.
[13] Linke; Nussbaumer; Portmann 2004, S. 304
[14] Ebd.
[15] Becker-Mrotzek; Vogt 2001, S. 5ff.
[16] Becker-Mrotzek; Vogt 2001, S. 8
[17] Linke; Nussbaumer; Portmann 2004, S. 327
[18] Brinker, Klaus; Sager, Sven Frederik: Linguistische Gesprächsanalyse : eine Einführung. 2., durchges. und erg. Aufl. Berlin 1996 (Grundlagen der Germanistik; 30)
[19] Linke; Nussbaumer; Portmann 2004, S. 316
[20] Ebd.
[21] Linke; Nussbaumer; Portmann 2004, S. 317
[22] Linke; Nussbaumer; Portmann 2004, S. 317
[23] Linke; Nussbaumer; Portmann 2004, S. 315
[24] Becker-Mrotzek; Vogt 2001, S. 28
[25] Becker-Mrotzek; Vogt 2001, S. 28ff.
[26] Becker-Mrotzek; Vogt 2001, S. 78
[27] Linke; Nussbaumer; Portmann 2004, S. 306ff.
[28] Becker-Mrotzek; Vogt 2001, S. 31
[29] Ehlich/Rehbein 1979a, 1986; in: Becker-Mrotzek; Vogt 2001, S. 33
[30] Ehlich/Rehbein; in: Becker-Mrotzek; Vogt 2001, S. 43
[31] Ehlich/Rehbein 1986; in: Becker-Mrotzek; Vogt 2001, S. 60ff.
[32] Becker-Mrotzek; Vogt 2001, S. 59
[33] Ehlich/Rehbein 1986; in: Becker-Mrotzek; Vogt 2001, S. 60f.
[34] Ebd.
[35] 4 Ehlich/Rehbein 1986; in: Becker-Mrotzek; Vogt 2001, S. 60
[36] Ehlich/Rehbein 1986; in: Becker-Mrotzek; Vogt 2001; S. 71
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- Bettina Freude-Schlumbohm (Autor), 2007, Sprachliche Analyse eines Unterrichtsgesprächs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/158232
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