Methoden zur Erforschung des Worterwerbs


Presentation (Elaboration), 2004

12 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Einleitung:

Um die Entwicklung des mentalen Lexikons, den Worterwerb, verstehen zu können,

und die Methoden, die der Untersuchung dessen dienen, wollen wir kurz klären, was der Begriff „mentales Lexikon“ bedeutet:

Das mentale Lexikon ist eine Art Speicher, der einen Großteil aller existierenden Wörter einer Sprache beinhaltet, auf die der Sprecher dieser Sprachgemeinschaft sowohl bei der Sprachproduktion als auch beim Sprachverstehen zurückgreifen kann. Sowohl der aktive als auch der passive Wortschatz des Sprechers sind hier gespeichert. Das mentale Lexikon enthält für jedes verzeichnete Wort Informationen über Phonologie, Morphologie, Semantik, über die Wortklasse, Syntax und Orthographie. Dank des mentalen Lexikons können wir auf gehörte Wörter zugreifen, sie verstehen und im Gegenzug eine Antwort konzeptualisieren, auf unser Lexikon zugreifen, Wörter auswählen, die Antwort formulieren und uns letztlich situativ angemessen äußern.

Benutzt unser Gesprächspartner allerdings ein unbekanntes Wort, dann werden wir es nicht verstehen, weil unser Lexikon hier eine Leerstelle aufweist.

Das mentale Lexikon ist also, grob gesagt, ein wohlstrukturiertes System, das es dem Sprecher ermöglicht, binnen Millisekunden ein bereits gespeichertes Wort zu erkennen oder aus dem Speicher abzurufen.[1]

Aber ab wann begreift ein Kind denn den Zusammenhang zwischen einem Wort und der dazugehörigen Bedeutung? Wann hat es ein Wort tatsächlich erworben?

Um dies herauszufinden, müssen wir uns der Methodik zuwenden. Die verschiedenen Erklärungsansätze von Skinner, Piaget und Chomsky über den Spracherwerb insgesamt ließen zwar heftige Diskussionen aufkommen, brachten die Sprachforscher pragmatisch aber nur bedingt weiter.

Innerhalb der Spracherwerbsforschung unterscheidet man grundsätzlich zwischen vier Erklärungsansätzen:

1. Der Behaviorismus beschreibt den Lernvorgang als Imitation.
Kinder ahmen Laute, Wörter und Sätze ihrer Bezugspersonen nach, die von denen
wiederum korrigiert werden und so den Nachahmungsprozess steuern. Die Vertreter des Behaviourismus beziehen sich vor allem auf B.F. Skinner, der mit seiner Theorie ,,Lernen am Erfolg" die Reiz-Reaktionsprozesse untersucht hat.
Besonders wichtig sind für das Erfolgslernen die positive und negative Verstärkung (Belohnung) nach einem zufällig erfolgreichen Akt. Wird ein Verhalten durch Belohnung verstärkt, so wird es anschließend wahrscheinlich erneut auftreten.
Die sprachlichen Strukturen bilden sich in dem Maße heraus, in dem ein Lerner
das Gehörte übt und dafür gelobt oder getadelt wird.
2. Der Kognitivismus erklärt den Spracherwerb in Abhängigkeit von der kognitiven
Entwicklung des Kindes. Die Frage ist hierbei, wie sehr diese beiden Kriterien voneinander abhängen. Als wichtiger Vertreter des Kognitvismus gilt der Erkenntnistheoretiker Jean Piaget. Ihm zufolge verläuft die Entwicklung nicht kontinuierlich, sondern er unterscheidet zwischen verschiedenen Stadien der Entwicklung, die jedes Kind zur etwa gleichen Zeit durchläuft. Nach Piaget sind vier Phasen zu unterscheiden.
3. Chomsky, als Begründer des Nativismus nimmt an, dass grundlegende sprachliche Strukturen bzw. Kenntnisse über die Strukturierungsprinzipien natürlicher Sprachen in der Form einer Universalgrammatik angeboren sind. Anders sei es kaum vorstellbar, wie Kinder, die hauptsächlich defizitären Input erhalten, in wenigen Jahren eine umfassende sprachliche Kompetenz entwickeln könnten.
4. Heutzutage scheint alles darauf hinzudeuten, dass nicht ein einzelnes Modell den Spracherwerb hinreichend erklären kann, sondern dass die Lösung in einer Kombination verschiedener Ansätze liegen muss. Dem Interaktionismus zufolge werden > kindliche Entwicklungsprozesse durch den Austausch mit der belebten, personalen, sozialen Umwelt[2] < vermittelt. Ein weiterer elementarer Bestandteil ist die Annahme, dass es sich beim Spracherwerb um einen bidirektionalen Ablauf handelt.[3] Als herausragender Vertreter und Gründer des interaktionistischen Ansatzes gilt der

Psychologe Jerome S. Bruner. Ihm zufolge ist es ist nicht nur der Erwachsene, der

dem Kind etwas beibringt, sondern es ist auch das Kind, das lautlich, mimisch und

gestisch Antworten und Erklärungen einfordert.[4]

Um den Wahrheitsgehalt der einzelnen Theorien beurteilen zu können, müssten wir uns u.a. auch mit Methoden zur Überprüfung des Syntaxerwerbs auseinandersetzen. Doch hier wollen wir uns darauf beschränken, zusammenzustellen, welche Paradigmen geeignet sind, um den kindlichen Worterwerb zu erfassen. Dabei beziehen wir uns auf zwei von drei Basisbereichen des Spracherwerbs: die Sprachproduktion und das Sprachverstehen.

Die Sprachwahrnehmung können wir hier außen vor lassen. Sie übernimmt zwar ganz am Anfang des Spracherwerbsprozesses grundlegende Aufgaben, ist aber für das spätere Wortlernen von geringerer Bedeutung.

Methoden zur Untersuchung von spontaner Sprachproduktion

Transkription:

Das Führen von Tagebüchern ist wohl die älteste Methode bei der Verlaufsbeobachtung der Sprachentwicklung eines Kindes[5]. Bereits Ende des 19.Jh. begannen Psychologen, Pädagogen und Philosophen, die Entwicklung (meist) ihrer eigenen Kinder zu dokumentieren. Taine, Preyer und Familie Stern gehörten zu diesen Vorreitern. Obwohl ein großer Vorteil der ist, dass man seine Kinder gut kennt, viel Zeit mit ihnen verbringen und Fortschritte umgehend registrieren kann, liegen doch die Nachteile ebenso auf der Hand: Neben der fehlenden Distanz werden diese Tagebücher oftmals von Laien und nicht regelmäßig geführt. Die Beobachtungen sind noch unsystematisch, zu wenig spezifisch in der Auswahl der beobachteten Kriterien und sie berücksichtigen häufig den Kontext einer Äußerung nicht ausreichend.

In den 60er Jahren wurde verstärkt mit Kassettenaufnahmen gearbeitet. Roger Brown

erarbeite mit seinen Studenten eine Langzeitstudie, die drei verschiedene Kinder von der ersten Wortäußerung bis zum Ende des dritten Lebensjahres regelmäßig besuchten.[6]

Dabei aufgenommene Aspekte der Sprachdokumentation waren der Kontext, in dem die Äußerung gemacht wurde, die Intonation, Pausen, Irrtümer und Selbstverbesserung.

Die Studenten konnten zeitlich gut eingrenzen, wann es zu ersten ein-Wort-Äußerungen kam und wann zur Einführung grammatischer Elemente wie Präpositionen, Pluralmarkierungen, Substantiven usw. Die dichte Dokumentation der Fortschritte im Spracherwerb wies auch eine lineare Abnahme der Fehlerquote aus.

Die genauestmögliche Transkription liessen später dann Videotapes zu, denn hierbei konnten Mimik und Gestik in die Untersuchung einbezogen werden.

Aber die Dauer der Auswertung solch exakter und umfassender Videoaufnahmen ist immens: Aus einer Stunde VHS Aufnahme können 20 Stunden Transkriptionsarbeit werden. Ausserdem hat diese Variante lange Zeit noch einen zweiten Nachteil: Es gab lange keine einheitlichen Standards, die eine Vergleichbarkeit von Videostudien zugelassen hätten.

Childes: Child Language Data Exchange System, http://atila-www.uia.ac.be/childes[7]

[...]


[1] Vgl. Aitchison, a.a.O., S.7

[2] KLANN-DELIUS, a.a.O., Grundzüge interaktionistischer Erklärungsmodelle, S.136

[3] vgl. ebd.

[4] vgl. BRUNER, a.a.O., Die Entwicklung des Bedeutens, S.54 ff.

[5] vgl. KARMILOFF/ KARMILOFF-SMITH, a.a.O, Observing And Transcribing Spontaneous Language Output,
S.18 f.

[6] vgl. BROWN, a.a.O.

[7] vgl. KARMILOFF/ KARMILOFF-SMITH, a.a.O., Experimental Paradigms For Studying Language Acquisition, S.19 ff.

Excerpt out of 12 pages

Details

Title
Methoden zur Erforschung des Worterwerbs
College
Free University of Berlin  (Germanistische Linguistik)
Course
Proseminar 16627 „Das mentale Lexikon“
Grade
1,3
Author
Year
2004
Pages
12
Catalog Number
V158327
ISBN (eBook)
9783640743278
File size
491 KB
Language
German
Notes
Keywords
Mentales Lexikon, Preferential Looking Paradigm, Transkription, Childes Database
Quote paper
Babette Ruppel (Author), 2004, Methoden zur Erforschung des Worterwerbs, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/158327

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