Das Bild der mittelalterlichen Witwe ist in der Forschung lange von Vorstellungen der Passivität, Trauer und religiösen Zurückgezogenheit geprägt. Dieses Essay widerspricht diesem Stereotyp am Beispiel Eleonore von Aquitaniens und zeigt, wie königliche Witwenschaft im Hochmittelalter zu einer eigenständigen Form politischer Macht werden konnte. Als doppelt verwitwete Königin von Frankreich und England sowie Mutter zweier Könige verstand es Eleonore, ihren Status gezielt zu nutzen: Sie agierte als De-facto-Regentin während des dritten Kreuzzugs, als diplomatische Vermittlerin, als religiöse Stifterin und als Symbolträgerin dynastischer Kontinuität.
Die Analyse legt dar, wie Eleonore Handlungsspielräume innerhalb patriarchaler Strukturen nicht nur nutzte, sondern selbst formte. Dabei wird ihre Witwenschaft nicht als Phase des Rückzugs, sondern als politische Ressource begriffen. Eleonores Aktivitäten in der zweiten Lebenshälfte – etwa ihre Stiftungen in Fontevraud oder ihre Repräsentationsformen als „regina Anglorum“ – stehen exemplarisch für eine machtbewusste Selbstinszenierung im Spannungsfeld von Religion, Erinnerungspolitik und dynastischer Legitimität. Der Text plädiert dafür, die Kategorie der königlichen Witwenschaft neu zu denken – als eigenständige politische Position innerhalb mittelalterlicher Herrschaftsordnung.
- Citar trabajo
- Miro Ilic (Autor), 2025, Keine stille Witwe, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1588117