Tauchen als Sport und Möglichkeit zur Integration von Menschen mit Behinderungen


Mémoire (de fin d'études), 2002

77 Pages, Note: 2,3


Extrait


I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

1. Einleitung

2. Begriffliche Gesichtspunkte und ihre Bedeutung
2.1. Der Begriff Behinderung
2.1.1. Definition
2.1.2. Kurzbeschreibungen zu speziellen Behinderungsarten
2.2. Der Begriff Integration
2.2.1. Definition
2.2.2. Integrationspädagogische Prinzipien
2.2.3. Hindernisse bei der Umsetzung der Integration
2.2.4. Hilfsmittel zur Überwindung der Barrieren
2.2.5. Die Bedeutung von Freizeit für die soziale Integration
2.2.5.1. Der Begriff Freizeit
2.2.5.2. Freizeit als Handlungsfeld der sozialen Integration
2.3. Sport in der sozialen Arbeit
2.3.1. Der Begriff Sport
2.3.2. Behindertensport
2.3.2.1. Der Begriff Behindertensport
2.3.2.2. Wirkungen und Bedeutung des Sports
2.3.2.3. Freizeitsport als Integrationshilfe

3. Tauchen
3.1. Definition
3.2. Die Besonderheiten des Elements Wasser

4. Tauchen mit Menschen mit Behinderung
4.1. Tauchtauglichkeit von Menschen mit einer Behinderung
4.2. Erwerb eines Tauchscheins für Menschen mit Behinderung
4.3. Tauchen ohne Tauchschein
4.3.1. Projekte
4.3.1.1. Integrative Tauchgruppe in Langen bei Frankfurt
4.3.1.2. Projekt mit Schülern der Frankfurter Albert–Griesinger- Sonderschule für Praktisch Bildbare
4.3.1.3. Projekt „Tauchen als Erlebnissport für psychisch kranke Menschen“
4.3.1.4. Behindertensport mit psychologischem Ansatz
4.4. Anforderungen an die Tauchlehrer und Tauchbegleiter
4.5. Spezielle Ausrüstung für Taucher mit einer Behinderung
4.6. Bauliche Voraussetzungen
4.6.1. Geeignete Zugangsmöglichkeiten
4.6.2. Behindertengerechte Tauchplätze
4.7. Besonderheiten des Tauchens für Menschen mit spezifischen Behinderungen
4.7.1. Besonderheiten des Tauchens bei körperbehinderte Menschen
4.7.1.1. Definition: Körperbehinderung
4.7.1.2. Besonderheiten
4.7.2. Besonderheiten des Tauchens bei sehbehinderten und blinden Menschen
4.7.2.1. Definition: Sehbehinderung und Blindheit
4.7.2.2. Besonderheiten
4.7.3. Besonderheiten des Tauchens bei gehörgeschädigten und gehörlosen Menschen
4.7.3.1. Definition: Hörbehinderung, Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit
4.7.3.2. Besonderheiten
4.8. Tauchen als Integrationssport

5. Praktischer Teil
5.1. Die Einrichtung
5.2. Die Durchführung des Projekts
5.2.1. Erstes Projekt
5.2.2. Ergebnisse 2001
5.2.3. Zweites Projekt
5.2.4. Ergebnisse 2002

6.Schlussbemerkungen

Quellenverzeichnis

Erklärung

1. Einleitung

Seit mehreren Jahren arbeite ich haupt- und ehrenamtlich in der Behindertenarbeit, überwiegend in der integrativen Arbeit.

Diese Erfahrungen und mein Interesse am Wassersport führten dazu, dass ich im Februar 2000 Gründungsmitglied eines Wassersportvereins, dem W.A.L. e.V. Wassersport Action Lebensfreude, wurde.

Der Verein fördert den Wassersport für behinderte und nichtbehinderte Menschen. Ich arbeite in diesem Verein seit der Gründung vor über zwei Jahren ehrenamtlich aktiv mit und bin seit Februar dieses Jahres (2002) im Vorstand.

Zur Zeit bieten wir im Verein überwiegend im Motorbootbereich Angebote wie Wasserski, Tube und Wasserscooter an oder bieten die Möglichkeit eine Stadt vom Wasser aus kennen zu lernen und sie dadurch aus einem ganz anderen Blickwinkel zu betrachten.

Die Begeisterung der Teilnehmer mit den unterschiedlichsten Behinderungen, wenn sie eigenständig ein sieben Meter langes Boot steuern oder in einem Reifen sitzend hinter einem Motorboot über die Donau gezogen werden, zeigt mir die Wichtigkeit der Arbeit des Vereins. Wenn sich die Teilnehmenden getraut haben die angebotenen Aktivitäten auszuprobieren, steigt ihr Selbstbewusstsein enorm.

Im September 2000 waren wir mit unserem Wassersportverein als Aussteller auf der Rehabilitationsmesse Rehab in Nürnberg vertreten.

Dort konnte ich feststellen, dass viele behinderte Menschen, vor allem mit einer körperlichen Behinderung, das Tauchen sehr gerne ausprobieren oder lernen möchten und viele Messebesucher Interesse an einem Tauchschein hatten.

Da Tauchen zu den Wassersportarten zählt und die meisten Vereinsmitglieder, wie auch ich, begeisterte Taucher sind, haben wir es uns zum Ziel gesetzt, Tauchen in die Angebotspalette des Vereins mit aufzunehmen.

Nachdem bisher keiner von uns Mitgliedern die entsprechende Ausbildung hat, um behinderten oder nichtbehinderten Menschen das Tauchen zu lernen bzw. den Erwerb eines Tauchscheins zu ermöglichen, sind wir auf der Suche nach einem entsprechenden Referenten für diese Tätigkeit.

Aus diesen Gründen interessiere ich mich sehr für das Tauchen mit behinderten Menschen und habe das entsprechende Thema für meine Diplomarbeit ausgewählt.

Um den Lesefluss nicht zu stören, benutzte ich durchgehend die männliche Sprachform.

2. Begriffliche Gesichtspunkte und ihre Bedeutung

2.1. Der Begriff Behinderung

2.1.1. Definition

Es gibt keinen allgemein anerkannten Behindertenbegriff.

In dem Vierten Bericht der Bundesregierung über die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation (1998) werden als „behindert“ alle angesehen, „die von Auswirkungen einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung betroffen sind, die auf einen von dem für das jeweilige Lebensalter typischen Zustand abweichenden körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht“ (BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALORDNUNG, 1998, S.2).

Diese Definition lehnt sich an die dreistufig aufgebaute Definition zur Beschreibung des Begriffes Behinderung der Weltgesundheitsorganisation WHO (World Health Organization) an:

- Schädigung (impairment)
- Funktionelle Einschränkung (disability)
- Soziale Beeinträchtigung (handicap)

Man spricht von Behinderung, wenn eine physische, psychische oder geistige Schädigung zu funktionellen Einschränkungen führt und deswegen soziale Beeinträchtigungen folgen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Behinderung aufgrund eines Unfalles, einer Krankheit, durch Wehr- oder Ersatzdienst entstanden oder angeboren ist (vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALORDNUNG, 1999, S.9).

Soziale Beeinträchtigungen können persönliche z.B. Einschränkung der Unabhängigkeit, familiäre z.B. Pflegebedarf oder gesellschaftliche Folgen z.B. Fürsorgeanspruch sein (vgl. SCHÜLE, 1987, S.26).

Behinderung ist ein Prozessbegriff, da sie auch wieder verschwinden kann, z.B. durch eine Operation oder durch eine spezielle pädagogische Förderung.

Der Begriff ist sehr vielfältig und vielseitig. Er dient oft nur zur Vereinfachung, um für eine bestimmte Zielgruppe medizinische, pädagogische oder gesellschaftliche Interventionen durchführen zu können. Dabei können die verschiedenen Behinderungen von den einzelnen Spezialisten unterschiedlich beurteilt werden. Auch im Recht gibt es keine einheitliche Definition von Behinderung (vgl. RONGE / SCHÄFER, 1997, S.114). Es muss individuell und unter Berücksichtigung der Umstände je nach Einzelfall entschieden werden, ob eine Behinderung vorliegt oder nicht (vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALORDNUNG, 1999, S.9).

2.1.2. Kurzbeschreibungen zu speziellen Behinderungsarten

Anschließend gebe ich Kurzbeschreibungen zu einigen speziellen Behinderungsarten, die im weiteren Verlauf des Textes vorkommen.

Down-Syndrom

Das Down-Syndrom, früher auch Mongolismus genannt, ist die bekannteste Chromosomenaberration. Das dreimalige Vorhandensein des Chromosoms Nr. 21 (Trisomie 21) führt zu einer erheblichen geistigen Entwicklungsstörung. Bei betroffenen Menschen findet man „alle Grade der Intelligenzminderung, meistens im Sinne einer geistigen Behinderung“ (REMSCHMIDT, 1997, S.227).

Im Erscheinungsbild auffällig sind z.B. schräg gestellte Lidachsen, kurzer Schädel, Minderwuchs, eine übermäßig große Zunge, kurze Finger usw. Oft leiden Menschen mit Down-Syndrom an Missbildungen der inneren Organe, z.B. Herzfehlern (vgl. REMSCHMIDT, 1997, S.227).

Geistige Behinderung

„Als geistig Behinderte gelten Personen, insofern und solange ihre Denk- und Lernfähigkeit umfänglich und längerfristig extrem hinter der am Lebensalter orientierten Erwartung liegt, was in der Regel bei Intelligenztestwerten im Bereich unterhalb der dritten negativen Standartabweichung (IQ unter 55) anzunehmen ist“ (BACH, 1997, S.378).

Nach einer Definition des deutschen Bildungsrates von 1974 gilt als geistig behindert, „wer infolge einer organisch-genetischen oder anderweitigen Schädigung in seiner psychischen Gesamtentwicklung und seiner Lernfähigkeit so sehr beeinträchtigt ist, dass er voraussichtlich lebenslanger sozialer und pädagogischer Hilfen bedarf. Mit den kognitiven gehen solche der sprachlichen, sozialen, emotionalen und der motorischen Entwicklung einher“ (BILSKI, 2000).

Lernbehinderung

Personen gelten als lernbehindert, wenn und solange ihre intellektuellen Verarbeitungsmöglichkeiten im Umfang und längerfristig wesentlich hinter den am Lebensalter orientierten Erwartungen liegen. Dies ist in der Regel bei IQ-Testwerten von 55-80 zu erwarten. Allgemeine Kennzeichen sind: eine sachliche und quantitative Eingeengtheit der Lernmöglichkeiten, eine reduzierte Abstraktivität, eingeschränkte Gliederungsmöglichkeiten für Lernaufgaben, zeitliche Begrenzung des Lernfeldes oder Verlangsamung.

Oft leiden Menschen mit einer Lernbehinderung an mehr oder weniger stark ausgeprägten Wahrnehmungsschwächen, Sprachstörungen, Auffälligkeiten im Sozialverhalten, Bewegungskoordinationsstörungen, emotionalen Beeinträchtigungen und so weiter.

Nicht selten tritt eine Lernbehinderung zusammen mit Körper-, Sprach- und / oder Sinnesbehinderungen auf, so dass sich eine Mehrfachbehinderung ergibt (vgl. BACH, 1997, S.616).

Para- und Tetraplegie

Diese Formen der Körperbehinderung sind frühkindliche zelebrale Bewegungsstörungen, die durch verschiedene prä-, peri- und postnatale Schädigungen des unreifen Gehirns durch z.B. eine Infektion während der Schwangerschaft, Sauerstoffmangel und Gehirnblutungen bei einer schwierigen Geburt, entzündliche Erkrankungen des Gehirns und der Hirnhäute, entstehen können (vgl. FENGLER / JANSEN, 1987, S.140).

Paraplegie ist eine vollständige Lähmung von zwei symmetrischen Extremitäten. Tetraplegie ist eine vollständige Lähmung von allen vier Extremitäten (vgl. GÖBEL, 2001, S.150).

Schizophrenie

Schizophrenie ist der Oberbegriff für stark in die Persönlichkeit eingreifende psychiatrische Krankheitsbilder. Diese werden zu den endogenen Psychosen gerechnet. Diese Erkrankung kann auf genetische oder psychosoziale Ursachen zurückzuführen sein.

Schizophrenie kann sich in Wahrnehmungsstörungen, z.B. „Stimmenhören“ und Denkstörungen ausdrücken. Ausdruck der verschiedenen Erscheinungsformen ist mangelnde Kontaktfähigkeit bis hin zum autistischen Rückzug, Depersonalisationserlebnisse und die Spaltung in gegensätzliche und normalerweise unvereinbare Persönlichkeits- und Affektkomponenten (vgl. BOSCH / BAUER, 1997, S.795).

Spastiker

Spastiker ist der Begriff, der umgangssprachlich für eine cerebrale Bewegungsstörung benutzt wird. Sie ist eine Form der infantilen Cerebralparese. Betroffene Körperpartien weisen aufgrund der zentralnervösen Fehlsteuerung je nach Ausprägung eine zu starke Muskelspannung auf. Eine weitere Form ist die Athetose, die eine Bewegungsunruhe aufzeigt, d.h. die Bewegungen sind unkontrolliert.

Beim Spasmus ist entweder eine Körperhälfte, die Beine, Arme und Beine oder der ganze Körper betroffen.

Ursache der Spastik ist eine Schädigung des sich noch entwickelnden zentralen Nervensystems vor, während oder kurz nach der Geburt (vgl. MÜLLER-FEHLING, 1997, S.906f).

2.2. Der Begriff Integration

2.2.1. Definition

„Der Begriff Integration wird in der Umgangs- und Wissenschaftssprache verwendet, wobei seine ursprüngliche Bedeutung (Wiederherstellung oder Einfügung in ein größeres Ganzes) variiert wird“ (IBEN, 1993, S.492).

Die Pädagogik verwendete die Bezeichnung Integration anfangs ausschließlich im persönlichkeits- und entwicklungspsychologischen Sinne. Der Begriff „soziale Integration“ bezog sich zuerst auf rassische / ethnische Minderheiten (so hauptsächlich in den USA), später auf Gastarbeiter und erst in jüngerer Zeit akzentuiert auf behinderte Menschen (vgl. EBERWEIN, 1990, S.54).

Im folgenden wird vor allem der soziologische Begriff der Integration beschrieben.

„Soziale Integration wird dabei in der Regel als Anpassung an das Normgefüge einer Gesellschaft oder einer Gruppe verstanden, wobei abweichende Verhaltensweisen und –orientierungen zugunsten einer Assimilation nach und nach aufgegeben werden“ (IBEN, 1997, S.492f).

„Unter sozialer Integration ist die Eingliederung des einzelnen Menschen in bestimmte soziale Gruppen, seine Teilhabe am sozialen Ganzen, die Übernahme sozialer Rollen und die Sicherung der sozialen Zusammengehörigkeit zu verstehen“ (RHEKER, 1995, S.51).

Soziale Integration wird nicht als einseitiger, sondern als wechselseitiger und gegenseitiger Lernprozess verstanden, d.h. es ist ein prozesshaftes Geschehen (vgl. IBEN, 1997, S.493).

Integration richtet sich gegen Isolierung und Ausgrenzung. Der Prozess der Eingliederung in die Gesellschaft ist nicht einseitig, sondern erfordert von beiden Seiten Anpassung. Er ist wechselseitig (vgl. SCHEID, 1995, S.166).

Behinderten Menschen sollen die gleichen Lebensbedingungen und Rechte wie nichtbehinderten Menschen zugestanden werden.

Integration bedeutet keine Aussonderung im physischen, psychischen oder geistigen Bereich, sondern einen „normalen“ Tagesablauf in allen Lebensbereichen zu erlangen.

2.2.2. Integrationspädagogische Prinzipien

Sabine Knauer, Mitarbeiterin von Prof. Dr. Hans Eberwein, stellt in ihrer Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Dr. phil. an der freien Universität Berlin, Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie, einige Grundzüge der Integrationspädagogik vor.

„Wesentliche Grundzüge der (schulischen) Integrationspädagogik, in Abgrenzung insbesondere zur traditionellen Sonderpädagogik, bestehen

- auf der ethischen Ebene in konsequenter Gemeinsamkeit und unbeschränkter Teilhabemöglichkeit aller Menschen, d.h. Verantwortung des einzelnen für sich selbst und die Menschen vs. begrenzt zugewiesenen oder zugestandenen Aktionsradien;
- auf teleologischer Ebene in der permanenten Erschließung von Möglichkeitsräumen vs. definierten (Lern-)Zielkatalogen;
- auf systemtheoretischer Ebene in Offenheit vs. Geschlossenheit;
- auf erziehungswissenschaftlicher Ebene in dem nicht bloß akademisch-diskursiven Respektieren der Beziehungsebene, sondern der Metakommunikation über sie, d.h. dem Einbeziehen des Imaginären (vgl. REICH 1996, 60ff. u. 91ff);
- auf der räumlichen und zeitlichen Ebene in Prozeßhaftigkeit vs. Statik;
- auf der Ebene des Lernbegriffs in der Betonung der spezifischen Lernfähigkeiten eines jeden Menschen vs. der Annahme eingeschränkter Lernfähigkeit (vgl. EBERWEIN 1999a, 58f);
- auf der interaktiven Ebene in Normalisierung der Prozesse vs. Orientierung an der Durchschnittsnorm;
- auf institutioneller Ebene in Inklusion vs. Separation;
- auf didaktisch-methodischer Ebene in Vielfältigkeit der Angebote und der Art ihrer Bewältigung vs. reduktionistischer (Sonder-) Didaktik;
- auf der interpersonalen Ebene in direkter, empathischer Kommunikationsregularien;
- auf der personalen Ebene der Schüler/innen in Ganzheitlichkeit vs. partikularistisch verkürztem Kognitivismus;
- auf der personalen Ebene der Lehrer in umfänglicher pädagogischer Professionalität vs. fachspezifischer Wissensvermittlung“ (KNAUER, 2000, S.83f).

Diese Grundzüge richten sich an die allgemeine Pädagogik, um neue Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten herauszufinden.

2.2.3. Hindernisse bei der Umsetzung der Integration

Die Erfahrung zeigt, dass es weitgehend von der Umwelt abhängt, inwieweit sich eine Behinderung auf das tägliche Leben eines Menschen auswirkt. Die Behinderung wird bemerkbar, wenn eine Person, die in der Gemeinschaft allgemein angebotenen Möglichkeiten und Einrichtungen, die für sehr wichtige Lebensbereiche, wie z.B. der Freizeit- oder Arbeitsbereich, notwendig sind, nicht nutzen kann.

Solange sich Menschen mit einer Behinderung vom Leitbild eines „normalen“ Menschen abheben, abweichen und anders definiert werden, sind sie in ihrer Würde und in ihrem Lebensrecht bedroht.

Das Leben eines behinderten Menschen ist oft geprägt von einem gewissen Maß an Abhängigkeit, das über das normale Maß hinausgeht. Sie sind sehr oft auf eine geeignete Umgebung angewiesen (vgl. METZLER / WACKER, 2001, S.130f, 138).

Es fehlen rollstuhlgerechte Rahmenbedingungen oder technische Hilfsmittel, die es vielen Menschen mit Behinderung, vor allem körperbehinderten Menschen, unmöglich machen, sich eigenständig zu bewegen.

Schon jeder Ausflug in die Stadt und somit das Verlassen der gewohnten Umgebung bringt Hindernisse mit sich und ist ohne Hilfe kaum zu bewältigen. Der Zugang zu Häusern bleibt verschlossen, wenn Treppen vorhanden sind oder die Türrahmen zu eng sind. Der Gang zur Toilette wird unmöglich, wenn keine behindertengerechte Toilette in der Nähe ist.

Ein nicht abgesenkter Bordstein, zu enge Toilettentüren, unüberwindbare Treppen und Stufen wirken sich z.B. auf die Lebensgestaltung eines Menschen, der auf den Rollstuhl angewiesen ist, aus. Diese technisch-materiellen Barrieren beeinträchtigen oft eine spontane zwischenmenschliche Kommunikation und Geselligkeit (vgl. WILKEN, 1990, S.460).

Behinderte Menschen, eine Randgruppe unserer Gesellschaft, werden in speziellen Einrichtungen (Tagesstätten, Wohnheimen, Werkstätten für behinderte Menschen...) bestens versorgt und gefördert (vgl. MICHL, 5/ 1994, S.5). Dies führt jedoch zu einer Abgrenzung und Aussonderung. Das Leben vieler behinderter Menschen findet außerhalb des sonstigen gesellschaftlichen Lebens statt. Sie haben einen eigenen Arbeits-, Wohn-, und Freizeitbereich, mit eigens dafür geschaffenen Einrichtungen, die sich häufig auch am gleichen Ort befinden.

Oft werden Menschen mit Behinderung auch als Erwachsene kindlich behandelt, fremdbestimmt und viele Entscheidungen werden von anderen Personen getroffen.

Diese Beschützung und Überbehütung hat zur Folge, dass Menschen mit Behinderung kaum Erfahrungen oder Erlebnisse mit Risiko, Wagnis und Abenteuer gemacht haben und machen können.

Ebenso haben sie kaum die Möglichkeit die Natur kennen zu lernen oder zu erleben. Dadurch fehlen ihnen oft körperliche und geistige Erfahrungen oder Erlebnisse über das eigene Können. Sie bekommen sehr wenig Gelegenheit ihre Lebenswelt aktiv handelnd und erlebend zu erfahren.

Es kommt vor, dass auf eine Frage, die ein behinderter Mensch gestellt hat, der anwesenden Begleitperson geantwortet wird und nicht dem Fragesteller. Dieses Verhalten ist Ausdruck dafür, dass behinderte Menschen oft nicht als vollwertige Menschen angesehen werden (vgl. WILKEN, 1990, S.460).

Behinderte Menschen wollen und sollten aber ebenso gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft sein.

Es sollte nicht jeder Einzelne gesellschaftlichen Leistungskriterien unterworfen sein, sondern seine speziellen Fähigkeiten sollten Anerkennung bekommen. Für die meisten behinderten Menschen besteht kaum die Möglichkeit sich individuell zu entfalten und unter den verschiedenen Angeboten auszuwählen und ihre eigene Lebensplanung zu gestalten. Es besteht keine Chancengleichheit oder Gleichberechtigung (vgl. GLITTENBERG, 1999, S.22ff).

Sprach- und Hörschwierigkeiten aber auch Abweichungen des körperlichen Erscheinungsbildes und der Bewegungsart, wegen einer geistigen oder psychischen Erkrankung, wirken störend oder verunsichernd auf ein zwangloses Miteinander (vgl. WILKEN, 1990, S.460).

2.2.4. Hilfsmittel zur Überwindung der Barrieren

Es werden Fachleute und Organisationen benötigt, die die Interessen und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen vorantreiben. Um Menschen mit Behinderung zu integrieren, müssen Barrieren abgebaut werden, auch solche, die in den Köpfen bestehen.

Die Aufnahme des Diskriminierungsverbotes gegenüber Menschen mit Behinderungen in das Grundgesetz 1994 und anschließend in die Länderverfassungen sowie die Verankerung in erziehungs- und ausbildungsrechtlichen Gesetzen und Bestimmungen führten bereits zu einem gesellschaftlichen und juristischen Bewusstseinswandel (vgl. KNAUER, o.J., S.2).

Beide Seiten, behinderte und nichtbehinderte Menschen, müssen sich bewusst machen, dass Vorurteile, die zu Blockaden, zu Kontaktvermeidungen und Ablehnung führen, meist auf Unsicherheiten im Umgang miteinander zurückzuführen sind (vgl. WILKEN, 1990, S.461).

Um sichtbare Barrieren zu überwinden, sollten behinderungsspezifische Bedingungen mitbedacht werden. Hierzu gehören barrierefreie Räumlichkeiten oder Zugangsmöglichkeiten zu Gebäuden, z.B. Aufzüge für Rollstuhlfahrer, Rampen oder eine bewusst gestaltete Umgebung mit Orientierungshilfen (vgl. WILKEN, 1990, S.466).

2.2.5. Die Bedeutung von Freizeit für die soziale Integration

2.2.5.1. Der Begriff Freizeit

Die Freizeit ist ein Produkt der Moderne. Durch die Einführung des 8-Stunden Tages und den bezahlten Jahresurlaub sowie die erhöhte Lebenserwartung ist die Freizeit im Gegensatz zu früher enorm angewachsen (vgl. WEGENER-SPÖHRING, 1997, S.358).

„Die Gewinnung von Lebenssinn und Findung der eigenen Identität wird also nicht mehr allein, wie Jahrhunderte vorher, über die Arbeit möglich sein. Für einen gesellschaftlichen Wertewandel, weg von Arbeitstugenden wie Leistungsstreben und Pflichterfüllung hin zur Freizeitorientierung wie Lebensfreude und Spontaneität, gibt es Anzeichen“ (WEGENER-SPÖHRING, 1997, S.358).

2.2.5.2. Freizeit als Handlungsfeld der sozialen Integration

Die Freizeit hat für die soziale Integration behinderter Menschen einen sehr hohen Stellenwert und große Bedeutung. Dies gilt auch in der Fachliteratur als unumstritten (vgl. RHEKER, 1995, S.38).

Betrachtet man die Gestaltungsmöglichkeiten von Freizeit, haben behinderte und nichtbehinderte Menschen in der Regel die gleichen Bedürfnisse.

Freizeit soll Abwechslung bringen, die Möglichkeit zum Ausspannen geben und den Wunsch, Neues kennen zu lernen, erfüllen. Diese Bedürfnisse stehen nicht im Widerspruch, auch wenn bestimmte Personen dabei einer individuellen und behinderungsspezifischen Differenzierung und Ausgestaltung bedürfen (vgl. WILKEN, 1990, S.463).

Da die Erwartungen, die an die Freizeit gestellt werden, bei allen Menschen ähnlich sind, ist gerade dieser Bereich gut geeignet, um wechselseitige Kontakte anzubahnen und gemeinsam Freizeitaktivitäten zu unternehmen. Der Leistungsdruck ist in diesem Bereich auch nicht so stark wie im Arbeitsbereich und erleichtert daher auch eine Annäherung zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen.

„Neben der im engeren Sinne körperlichen Regeneration mit ihrem gesundheitsfördernden und Lebensfreude ermöglichenden Auswirkungen, ergeben sich folgende erstrebenswerte Ziele rehabiltativer Freizeit- und Urlaubsanimation:

- sich selbst, die eigenen Bedürfnisse und Interessen entdecken bzw. wiederentdecken,
- zu sich selbst kommen, Aktivität und Initiative wiedererlangen und Selbstbestimmung ermöglichen,
- soziale Kontaktfähigkeit anbahnen und verstärken“ (WILKEN, 1990, S.467).

2.3. Sport in der sozialen Arbeit

2.3.1. Der Begriff Sport

Sport ist keine sozialpädagogische Einrichtung. Man schreibt ihm aber etliche Aufgaben und Funktionen sozialer Erziehung zu. Es gibt vielfältige Möglichkeiten sozialen Lernens im und durch den Sport (vgl. KRÜGER, 2001, S.1813).

Sport bietet „... ein weites Feld sozialer Erfahrungsmöglichkeiten und symbolischer Interaktionsmuster, durch die soziales Rollenlernen eingeübt werden kann. Sport stellt somit nicht nur ein Feld körperlichen, sondern auch sozialen Trainings dar; im Sport kann soziale Kompetenz erworben werden. Dabei muss es sich nicht unbedingt um pädagogisch wünschenswerte Lernprozesse handeln. Je nach Art und Ausprägung des Sports und nach der Intensität der Erfahrungsmöglichkeiten kann Sport dazu beitragen, Regeln und deren Bedeutung für das Zusammenleben und Funktionieren in einer Gruppe zu lernen; dazu gehört auch das Aushandeln und Verändern von Regeln. Sport kennt keine Grenzen von Herkunft, Rasse, Religion oder Weltanschauung, im Grunde auch nicht des Geschlechts. Sport, sportliches Spiel und sportlicher Wettkampf stellen so gesehen ein geeignetes Lernfeld für soziales Verhalten dar. Auf vergleichsweise natürliche und unverkrampfte Art und Weise kann das Verhalten in Gruppen gelernt und damit einer gesellschaftlichen Entwicklung entgegengewirkt werden, die zum Individualismus und Egoismus geht und sich nach Lemp (1996) auch in Formen des Autismus äußert.

Die sozialpädagogischen bzw. sozialtherapeutischen Möglichkeiten des Sports werden in den letzten Jahren gezielt im Rahmen spezifischer Handlungsfelder und Projekte sozialer Arbeit im Sport genutzt“ (KRÜGER, 2001, S.1816).

Sport hat in unserer Gesellschaft große Bedeutung entwickelt und ist zu einem sehr bedeutenden Faktor unserer Freizeitkultur geworden (vgl. RHEKER, 1995, S.42). Sportereignisse werden uns stündlich über die Medien präsentiert. Warum sollte Sport und die Teilnahme am sportlich geprägten gesellschaftlichen Leben für behinderte Menschen nicht genauso wichtig sein (vgl. SOWA / TAPPE, 1999, S.6, 11)?

2.3.2. Behindertensport

2.3.2.1. Der Begriff Behindertensport

Unter Behindertensport versteht man alle sportlichen Aktivitäten, die auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse behinderter Menschen ausgerichtet sind und unter ärztlicher Aufsicht erfolgen. Der Sport wird von ausgebildeten Fach-Übungsleitern durchgeführt. Der Behindertensport kann als Breiten-, Leistungs- und Rehabilitationssport stattfinden.

Der organisierte Behindertensport entstand nach dem zweiten Weltkrieg aus dem Versehrtensport. Der Deutsche Behindertensportverband zählt derzeit ca. 1500 Vereine mit über 130.000 aktiven Mitgliedern (vgl. KRÜGER, 2001, S.1817).

Mittlerweile ist der Behindertensport ein sehr weit gefasster Begriff geworden.

„Er reicht von sporttherapeutischen Maßnahmen mit asthmakranken Kindern, Rheuma-, Osteoporose- und Gefäßkranken, Herzpatienten, in der Krebsnachsorge, über Sport mit geistig Behinderten, Epileptikern, Suchtkranken, HIV-Patienten bis zum Sport mit Körperbehinderten einschließlich des Behinderten-Leistungs-, Wettkampf-, Hochleistungssports, wie er beispielsweise in den sogenannten Paralympics, den Olympischen Spielen behinderter Menschen, seinen sichtbarsten, auch medienwirksamsten Ausdruck findet“ (KRÜGER, 2001, S.1816f).

Behindertensport ist die sportliche Betätigung, die behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen als Therapie oder als vorbeugende Maßnahme ausüben.

Eine Behinderung schließt die Teilnahme am Sport nicht aus. Die Bedingungen dafür sind verändert. Sport ist eine sehr wichtige Möglichkeit behinderte Menschen in die Gesellschaft zu integrieren und zu rehabilitieren. Er kann diesen Prozess unterstützen und die soziale Isolierung überwinden (vgl. BROCKHAUS, 1989, S.56).

Das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (Rehabilitationsangleichungsgesetz) soll allen Personen mit Behinderung garantieren, dass die Ausübung des Behindertensports die Wiedereingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft unterstützt (vgl. WEBER / KULKE, 1997, S.117).

2.3.2.2. Wirkungen und Bedeutung des Sports

Sport bietet verschiedene Möglichkeiten:

- Verbesserung und Erhaltung der physischen Konstitution
- Erweiterung der Bewegungserfahrung
- Qualitative Verbesserung der Motorik
- Das Erlernen elementarer sozialer Verhaltensweisen
- Beitrag zur Persönlichkeitsentfaltung (Eigeninitiative und Verantwortungs-bewusstsein)
- Körpererfahrung
- Materialerfahrung (vgl. PUSCH / FRITZ, 1986, S.48f)

Ziele des Behindertensports sind zusätzlich zum sozialen und körperlichen Wohlbefinden sowie der körperlichen Leistungsfähigkeit die Steigerung des Selbstbewusstseins und des Selbstvertrauens (vgl. KRÜGER, 2001, S.1817). Ein weiteres Ziel ist die Stärkung der Selbständigkeit und der Handlungsfähigkeit.

Sportliche Aktivitäten sind für Menschen mit einer Behinderung genauso wichtig, wie auch für nichtbehinderte Menschen. Sie tragen zur Erhaltung und Steigerung der Leistungsfähigkeit bei, dienen der Vorbeugung von Folgeschäden und der Verbesserung der Gesundheit. Sport fördert die Kraft, Koordination und Geschicklichkeit (vgl. HAEP, 1988, S.14).

[...]

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Résumé des informations

Titre
Tauchen als Sport und Möglichkeit zur Integration von Menschen mit Behinderungen
Université
University of Applied Sciences Nuremberg  (Sozialpädagogik)
Note
2,3
Auteur
Année
2002
Pages
77
N° de catalogue
V15895
ISBN (ebook)
9783638208871
Taille d'un fichier
914 KB
Langue
allemand
Mots clés
Tauchen, Sport, Integration, Menschen, Behinderungen
Citation du texte
Sabine König (Auteur), 2002, Tauchen als Sport und Möglichkeit zur Integration von Menschen mit Behinderungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15895

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