Die in den siebziger Jahren von Goodman und Smith entwickelte Theorie vom Lesen als
Ratespiel oder Vorhersageprozess wird häufig als das „psycholinguistische Modell“ des
Leseprozesses schlechthin bezeichnet. Dies ist jedoch nicht korrekt, da schon Anfang der
achtziger Jahre neuere Forschungsergebnisse der Psycholinguistik über das Lesen
veröffentlicht wurden, die die Auffassung des Lesens als Prozess der Vorhersage widerlegten.
Die auf dem Gebiet der Leseerforschung sehr engagierte Wissenschaftlerin Madeline
Lutjeharms etwa, fand bei einem Versuch mit intelligenten, über ein bestimmtes Maß an
Fachwissen verfügenden, eine verwandte Muttersprache sprechenden und
fremdsprachenerfahrenen Studenten heraus, dass das kontextuelle Raten “nur auf der
Kollokationsebene und bei sehr bekannten Textinhalten“ meist erfolgreich ist. Der Rateerfolg
blieb aber eher frustrierend. Deshalb suchte und kam sie zu einer anderen Theorie des
Leseprozesses.1 Diese neue Theorie über das Leseverstehen unterstützten in mehr oder
weniger abgewandelter Form auch noch weitere Wissenschaftler und so kam es zu einem
Wandel in der Lesetheorie. In folgendem sollen nun die neuen Erkenntnisse über den
Leseprozess genauer erläutert werden. Des weiteren soll dargestellt werden, welche
Möglichkeiten und Aufgaben der fremdsprachliche Unterricht unter Berücksichtigung der
neuen Theorie über das Leseverstehen hat, dieses besser zu fördern.
1 vgl. Lutjeharms, M. “Auffassungen über das Lesen als psycholinguistischer Prozeß und die Konsequenzen für
Unterrichten und Testen der Lesefertigkeit“, in: ZD (1988) 3, S. 11f.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Leseverstehen im Lichte neuerer psycholinguistischer Forschung
- 1. Der Leseprozess
- 1.1 Die graphophonische Ebene
- 1.1.1 Die optische Wahrnehmung
- 1.1.2 Die phonologische Rekodierung
- 1.2 Die Worterkennung
- 1.2.1 Der lexikalische Zugriff
- 1.2.2 Die assoziative Aktivierung (priming)
- 1.3 Die syntaktische Analyse
- 1.3.1 Das Wettbewerbsmodell
- 1.3.2 Die Valenz
- 1.4 Die semantische Analyse
- 1.1 Die graphophonische Ebene
- 2. Besonderheiten des fremdsprachlichen Leseprozesses und die Förderung fremdsprachlichen Leseverstehens im Unterricht
- 2.1 Besonderheiten des fremdsprachlichen Leseprozesses
- 2.1.1 Die Worterkennung
- 2.1.2 Der phonologische Kode
- 2.1.3 Die syntaktische Analyse
- 2.1.4 Die Sinnentnahme
- 2.2 Das Unterrichten der Lesefertigkeit
- 2.2.1 Die Förderung des stillen Lesens
- 2.2.1.1 Förderung kognitiver und metakognitiver Komponenten des Leseprozesses
- 2.2.2 Aufgabenformen und praktische Hinweise
- 2.2.1 Die Förderung des stillen Lesens
- 2.1 Besonderheiten des fremdsprachlichen Leseprozesses
- 1. Der Leseprozess
- III. Schlussgedanke
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit untersucht den Prozess des Leseverstehens, insbesondere im Kontext neuerer psycholinguistischer Forschung. Ziel ist es, ein aktuelles Verständnis des Leseprozesses darzustellen und die Implikationen für den Fremdsprachenunterricht aufzuzeigen.
- Der Leseprozess auf verschiedenen Ebenen (graphemisch, phonologisch, syntaktisch, semantisch)
- Vergleich zwischen muttersprachlichem und fremdsprachlichem Leseverstehen
- Das "Ratespiel"-Modell des Lesens und seine Widerlegung
- Modularität und Interaktivität im Leseprozess
- Methoden zur Förderung des Leseverstehens im Fremdsprachenunterricht
Zusammenfassung der Kapitel
I. Einleitung: Die Einleitung stellt den Wandel in der Lesetheorie dar, weg vom "Ratespiel"-Modell hin zu einem interaktiven und modularen Verständnis des Leseprozesses. Sie hebt die Bedeutung neuerer psycholinguistischer Forschung hervor und kündigt die detaillierte Erörterung des Leseprozesses und seiner Implikationen für den Fremdsprachenunterricht an. Die Arbeit kritisiert das frühe "Ratespiel"-Modell von Goodman und Smith und präsentiert die Notwendigkeit einer aktualisierten Sichtweise auf den Leseprozess, basierend auf den Erkenntnissen von Wissenschaftlerinnen wie Madeline Lutjeharms, deren Forschung die Grenzen des rein kontextbasierten Lesens aufzeigt.
II. Leseverstehen im Lichte neuerer psycholinguistischer Forschung: Dieses Kapitel bietet eine umfassende Analyse des Leseprozesses basierend auf aktuellen psycholinguistischen Erkenntnissen. Es differenziert zwischen verschiedenen Ebenen der Verarbeitung (graphemisch, phonologisch, syntaktisch, semantisch) und diskutiert die Interaktion zwischen datengeleiteten und erwartungsgeleiteten Prozessen. Der Fokus liegt auf der Komplexität des Lesens und der Schwierigkeit, ein einheitliches Modell zu definieren. Der Abschnitt beleuchtet die noch spärliche Forschung zum fremdsprachlichen Lesen und betont die Relevanz von Erkenntnissen zum muttersprachlichen Lesenlernen für das Verständnis des fremdsprachlichen Leseprozesses. Das Kapitel widerlegt die These des Lesens als reinen Vorhersageprozess und betont die Bedeutung automatisierter und paralleler Informationsverarbeitung. Es diskutiert die Modularität des Leseprozesses, die von der Interaktionstheorie abweicht und die Trennung von formaler und semantischer Verarbeitung betont. Schließlich werden die einzelnen Verarbeitungsebenen detailliert beschrieben.
Schlüsselwörter
Leseverstehen, Psycholinguistik, Leseprozess, Fremdsprachenunterricht, Wort- und Satzerkennung, phonologische Rekodierung, semantische Analyse, kognitive und metakognitive Prozesse, Lesestrategien, interaktive und modulare Verarbeitung.
Häufig gestellte Fragen zur Hausarbeit: Leseverstehen im Lichte neuerer psycholinguistischer Forschung
Was ist der Gegenstand dieser Hausarbeit?
Die Hausarbeit untersucht den Prozess des Leseverstehens, insbesondere im Kontext neuerer psycholinguistischer Forschung. Sie beleuchtet den Leseprozess auf verschiedenen Ebenen (graphemisch, phonologisch, syntaktisch, semantisch) und vergleicht muttersprachliches und fremdsprachliches Leseverstehen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von Methoden zur Förderung des Leseverstehens im Fremdsprachenunterricht.
Welche Theorien des Lesens werden behandelt?
Die Arbeit kritisiert das veraltete "Ratespiel"-Modell des Lesens und präsentiert ein aktuelles, interaktives und modulares Verständnis des Leseprozesses basierend auf Erkenntnissen der psycholinguistischen Forschung. Sie diskutiert die Modularität des Leseprozesses und die Interaktion zwischen datengeleiteten und erwartungsgeleiteten Prozessen, widerlegt die These des Lesens als reinen Vorhersageprozess und betont die Bedeutung automatisierter und paralleler Informationsverarbeitung.
Welche Ebenen des Leseprozesses werden detailliert beschrieben?
Die Hausarbeit analysiert den Leseprozess auf graphophonischer Ebene (optische Wahrnehmung, phonologische Rekodierung), der Ebene der Worterkennung (lexikalischer Zugriff, assoziative Aktivierung), der syntaktischen Analyse (Wettbewerbsmodell, Valenz) und der semantischen Analyse. Dabei wird besonders auf die Besonderheiten des fremdsprachlichen Leseprozesses eingegangen.
Wie wird der fremdsprachliche Leseprozess beschrieben?
Die Arbeit untersucht die Besonderheiten des fremdsprachlichen Leseprozesses im Vergleich zum muttersprachlichen Lesen, betont die Relevanz von Erkenntnissen zum muttersprachlichen Lesenlernen für das Verständnis des fremdsprachlichen Leseprozesses und diskutiert die Herausforderungen bei der Worterkennung, dem phonologischen Kode, der syntaktischen Analyse und der Sinnentnahme im Fremdsprachenkontext.
Welche didaktischen Implikationen werden für den Fremdsprachenunterricht gezogen?
Die Hausarbeit behandelt Methoden zur Förderung des Leseverstehens im Fremdsprachenunterricht, einschließlich der Förderung des stillen Lesens und der Förderung kognitiver und metakognitiver Komponenten des Leseprozesses. Es werden auch verschiedene Aufgabenformen und praktische Hinweise für den Unterricht gegeben.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Leseverstehen, Psycholinguistik, Leseprozess, Fremdsprachenunterricht, Wort- und Satzerkennung, phonologische Rekodierung, semantische Analyse, kognitive und metakognitive Prozesse, Lesestrategien, interaktive und modulare Verarbeitung.
Welche Kapitel umfasst die Hausarbeit?
Die Hausarbeit gliedert sich in drei Kapitel: Einleitung, Leseverstehen im Lichte neuerer psycholinguistischer Forschung und Schlussgedanke. Kapitel zwei bietet eine detaillierte Analyse des Leseprozesses auf verschiedenen Ebenen und im Vergleich zwischen Mutter- und Fremdsprache. Die Einleitung stellt den Wandel in der Lesetheorie dar und die Schlussgedanken fassen die Ergebnisse zusammen.
- Arbeit zitieren
- Daniela Kilper-Welz (Autor:in), 2002, Der Prozess des Leseverstehens im Lichte neuerer psycholinguistischer Forschung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15924