Schule im Rückspiegel


Sammelband, 2010

77 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

Schule und Recht
1. Sonntagsruhe und Kleiderordnung
2. Die Schule als Rechtsraum
3. Recht und Rechtskunde als Unterrichtsfach und AG
4. Zur Affinität von Philologie und Jurisprudenz
5. Rechtsfragen im Literaturunterricht
6. Rechtsfragen im Geschichtsunterricht
7. Ausblick

Facharbeiten in der gymnasialen Oberstufe – Ein Erfahrungsbericht
1. Grundsätzliches
2. Facharbeiten: Rechtlicher Rahmen und pädagogische Freiheit
3. Facharbeiten aus der Sicht des Schülers
4. Erfahrungen und Perspektiven

Der Heerdter Hof unter’m Hammer – Von der fremdsprachlichen Quelle zur lokalgeschichtlichen Facharbeit

Beratung in der differenzierten Oberstufe – Bilanz und Perspektiven

Aspekte des Fremdsprachenunterrichts am Beispiel des Französischen

Französischunterricht in der katholischen Schule unter besonderer Berücksichtigung literarischer Texte in der Oberstufe
1. Prolegomena zum Selbstverständnis der katholischen Schule
Die Fragestellung
Zur Legitimation der katholischen Schule
Die Rolle der Unterrichtsinhalte
Die Mittlerfunktion des Lehrers
Zu den Kriterien für die Auswahl literarischer Texte
Exkurs: Das Bedürfnis nach religiöser Fragestellung
2. Die Frage nach dem „Christlichen“ in der französischen Literatur und im Oberstufenunterricht
Was ist „christliche“ Literatur?
„Christliche“ Autoren aus Frankreich
Das „christliche“ Jahrhundert
„Christliche“ Literaturgattungen
„Christliche“ Themen, Stoffe, Motive und Symbole
„Christliche“ Strömungen in der Literatur
Ideengeschichte und Christentum
Zur Frage nach der „Christlichkeit“ literarischer Texte
3. Eine literarische Reihe zum Motiv der Heimkehr des verlorenen Sohnes
Maupassant, Mon oncle Jules
Prévert, Le retour au pays
Gide, Le retour de l’enfant prodigue
Cesbron, L’enfant prodigue revient toujours trop tôt
Camus, Le Malentendu

Albert Camus’ Vortrag La Crise de l’homme in seiner Zeit

„Jetzt sind wir auch verfassungsmäßig die Herren des Reiches.“ Verfassungsrechtliche und verfahrenstechnische Aspekte der Einbringung und Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes

Zur Interpretation von Ambivalenzen - Zwei Texte und ihre Affinitäten

Vorwort

Nach 33jähriger Tätigkeit am St.-Ursula-Gymnasium Düsseldorf darf man wohl Bilanz ziehen: Man blickt zurück und lässt die Jahre Revue passieren. Diese Rückschau erleichtern verschiedene Instrumente wie z.B. ein „rétroviseur“: In diesem französischen Wort spiegeln sich beide Elemente dieser Tätigkeit wider – das „Zurück“ und das „Sehen/Schauen“. Der analoge deutsche Begriff geht weniger vom menschlichen Handeln („sehen“) als vielmehr von einem optischen Phänomen („spiegeln“) bzw. einem Gegenstand („Spiegel“) aus, der zeitgleich mit dem Vorgang des Sehens das Gesehene selbst „abbildet“, und zwar nicht für die Ewigkeit, sondern nur für einen in der Tat flüchtigen Moment, einen Augenblick. In den Rückspiegel schaut man in der Regel weniger häufig als nach vorne durch die Windschutzscheibe. Man will ja – in jeder Beziehung – vorwärts kommen. Aber oft ist es gut zu wissen, wo man steht – nicht nur, wenn es im Verkehr nicht weitergeht. Der Blick nach vorne und zur Seite und der Rück-Blick ergänzen sich notwendigerweise wie Koordinaten eines Systems: Der Frage „Wo gehst Du hin?“ entspricht die (Gegen-)Frage „Wo kommst Du her?“

So kann vielleicht der Blick zurück auf das, was mich fachbezogen und fach-unabhängig eine lange Zeit in unserer Schule – die nun 325 Jahre alt wird -beschäftigt hat, an der einen oder anderen Stelle die Frage nach dem „Wo stehen wir eigentlich?“ und „Wo wollen wir hin?“ zu beantworten helfen. Möge Schule im Rückspiegel mehr sein als das, was man in einem Augen-Blick zu erfassen in der Lage ist!

Schule und Recht

1. Sonntagsruhe und Kleiderordnung

„(1) Als Gouverneur hat er alle legislative und exekutive Gewalt über die gesamte Insel einschließlich ihrer Gewässer, und zwar in dem Sinne und mit den Mitteln, wie sie ihm von seinem inneren Licht befohlen werden. (...) (2) Freitags wird gefastet. Am Sonntag ruht die Arbeit. Samstags abends, um 19 Uhr, muss jegliche Arbeit auf der Insel eingestellt werden; die Einwohner müssen zum Abendessen ihre besten Kleidungsstücke anlegen. Am Sonntag Morgen um 10 Uhr versammeln sie sich zu einer religiösen Meditation über einen Text aus der Heiligen Schrift im Tempel. (...) (3) Die Verstöße gegen die Charta werden mit folgenden beiden Strafen geahndet:...“ Dieser – zugegeben unvollständige – Text erinnert selbst den juristischen Laien an bestimmte Arten von Gesetzestexten, wenn ihn auch vor allem der Abschnitt (2) zuerst sehr befremden mag. Ist die intellektuelle Neugier einmal geweckt, dann möchte man natürlich wissen, um welche Insel (und damit Inselbewohner) es sich handelt, wer die in Abschnitt (1) genannte Person ist und vor allem, mit welchem Autor und Werk wir es hier zu tun haben.

Nach einer ersten Textanalyse scheint zumindest folgendes festzustehen: Abschnitt (1) hat verfassungsrechtlichen Charakter, werden hier doch fundamentale Aussagen über zwei klassische Staatsgewalten gemacht, deren Nennung zwar an Locke und Montesquieu erinnert, deren Verhältnis zueinander aber gerade nicht im aufklärerisch-demokratischen Geiste geregelt ist. Sie sind nämlich in unserem Text in einer Hand, nämlich der des „Gouverneurs“, vereint. Abschnitt (2) verlässt tendenziell die Ebene des Verfassungsrechts und begibt sich in den Bereich zivil- und arbeitsrechtlicher Regelungen. Der Verfasser des Textes belässt es aber nicht dabei, sondern zitiert antiquiert erscheinende Kleidervorschriften. Der Schlusssatz dieses zweiten Abschnitts läuft darauf hinaus, dass es neben der weltlichen auch eine religiöse Ordnung gibt, die nicht nebeneinander existieren, sondern quasi deckungsgleich sind, wie dies typisch ist für eine Theokratie; „Heilige Schrift“ und „Tempel“ spielen dabei auf den christlichen Charakter dieses Inselstaates an. Der letzte Abschnitt ist eindeutig dem Strafrecht zuzuordnen und verweist somit auf die dritte der drei klassischen Staatsgewalten. Da im Verlauf des hier nur gekürzt zitierten Textes nichts Weiteres zum (Straf-)Rechtssystem gesagt wird, soll vorläufig – und zwar bis zu einer entsprechenden Verifizierung bzw. Falsifizierung – mit der Hypothese gearbeitet werden, dass auch die Judikative in der Hand dessen liegt, der eingangs bereits alle legislative und exekutive Macht innehatte. Damit hätten wir es hier mit einem autoritären, absolutistischen oder diktatorischen System zu tun, das wir noch nicht näher bestimmen können, aber auf das wir unter Punkt 6 dieses Beitrags in einem völlig anderen Zusammenhang noch einmal eingehen werden.

In der Tat stammen der erste und der zweite Abschnitt aus einer „Charta“, deren Redaktion am „1000. Tag des örtlichen Kalenders“ begonnen wurde; Analoges gilt für das Strafgesetzbuch, aus dem der dritte Abschnitt zitiert wurde. Der Verfassungsgeber oder das verfassungsgebende Gremium scheint selbst vom vorläufigen bzw. nicht abgeschlossenen Charakter dieser Gesetzestexte auszugehen, legt er (oder es) doch Wert darauf festzustellen, dass man die Redaktion (und wohl auch das Inkrafttreten) der Gesetze am Tag X „begonnen“ (d.h. implizit: und eben nicht abgeschlossen) habe. Hinweise auf die Fortführung der Verfassungs- bzw. Gesetzesarbeit oder – was zumindest den Abschnitt (1) betrifft – auf Verfahren, die eine Verfassungsergänzung oder/und –änderung regeln, fehlen völlig. Der juristische Fachmann wird entsetzt sein und das Ganze als Unsinn, Utopie oder Fiktion abtun. Mit letzterem liegt er sogar richtig, handelt es sich doch bei dem zitierten Text um Rechtssetzungen, die Robinson Crusoe vornimmt. Und wir wissen alle, dass es da wohl einen realen historischen Hintergrund als Anlass für den weltberühmten Roman gab, der als solcher aber unbeschadet seiner außerliterarischen Bezüge in den Bereich der „schönen“ und damit der fiktionalen Literatur gehört.

Dieses Kontextwissen erlaubt uns nun die Beantwortung der offen gebliebenen Fragen: Robinson als – zumindest vorläufig – einziger Inselbewohner ist zugleich Subjekt und Objekt seiner gesetzlichen Bestimmungen. Er könnte gar kein demokratisches System einführen, weil es keine Menschen gibt, mit denen er die drei Gewalten teilen könnte. Auch die Verwirklichung aller anderen Komponenten eines in unserem Sinne demokratischen Systems (Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit usw.) scheitert am Mangel an Trägern staatlicher Gewalten mit all ihren üblichen Kontrollmechanismen. Zieht man die klassische Souveränitätslehre zu Rate und fragt nach Robinsons Rechtsquellen, dann könnte man – welch Gipfel der Absurdität! – sagen, dass hier Volks- und Fürstensouveränität identisch sind. Sinnvollerweise ist jedoch der Ein-Mensch-Staat in der klassischen politischen Theorie nicht vorgesehen. Und dass Robinson jederzeit seine „Verfassung“ und seine „Gesetze“ ergänzen, ändern oder auch verwerfen kann, ist ebenso unbestritten. Für den Juristen dürfte mit diesem Textkommentar die Arbeit beendet sein, aber der Philologe wird nach dem Sinn solcher Rechtsregelungen im Kontext eines Romans einige Fragen stellen. Und zu ihrer Beantwortung wird er herausarbeiten müssen, welche verschiedenen Einstellungen zu seinem Schicksal Robinson seit seiner Ankunft auf der Insel eingenommen hat. Die zitierten Gesetzestexte stammen – wie man weiß – nicht aus der Anfangsphase seines Inseldaseins, sondern wurden von ihm etwa zwei Jahre und neun Monate („am 1000. Tag“) nach seiner Landung als Strandgut verfasst. Nach seinem ursprünglichen und letztlich gescheiterten Versuch, die Existenz der Insel zu leugnen und sie möglichst schnell wieder zu verlassen, beginnt für Tourniers1 Held – denn wir haben es hier nicht mit dem klassischen Text von Daniel Defoe, sondern mit einer modernen Version aus dem Jahr 1967 zu tun – „eine Zeit frenetischer Geschäftigkeit, die Phase der île administrée. Robinson sucht Halt und Schutz vor seiner Verzweiflung, indem er die verlorene Zivilisation deckungsgleich auf die Insel überträgt. (...) Konkret bedeutet dies: Beherrschung der Zeit, Arbeit, Gesetzgebung. (...) Die ideelle Rechtfertigung für sein Tun findet er in der Bibel und in der Arbeits- und Anhäufungsethik des Puritanismus, von dem seine Erziehung geprägt war.“ Hinzu kommt seine „Identifikation mit kolonialistischen Bestrebungen“, aus deren Geist heraus der weiße Mann ganz fraglos sich zum „Gouverneur“ ausrufen und Menschen und Länder unterwerfen zu dürften glaubte. In Tourniers Roman spielt dieser letzte Gesichtspunkt eine weniger große Rolle, geht es Robinson mit seiner Gesetzgebung in der Phase der „Aneignung“ der Insel doch viel mehr um eine Selbst- als um eine Fremddisziplinierung, zumal er zu diesem Zeitpunkt noch nichts vom späteren Auftauchen eines „Wilden“ ahnt. „Das scheinbar perfekt funktionierende System erweist sich jedoch auf die Dauer als unzulänglich. (...) In seinen Tagebucheintragungen beschäftigen ihn mehr und mehr Fragen existenzphilosophischer Natur, auf die er keine Antwort findet. Der tiefe Grund für seine Zweifel ist die Abwesenheit jeder menschlichen Gesellschaft“2 Im Rahmen dieses Beitrags muss auf eine Interpretation des Romans, der bereits in seinem Titel nicht mehr Robinson, sondern Freitag die Hauptrolle zuweist, verzichtet werden, genügen doch die bisherigen Ausführungen, um das Verhältnis Schule und Recht wie folgt zu hinterfragen: Welchen (insularen) Rechtsraum stellt die Institution Schule dar? Wie ist das Rechtsverhältnis der am Schulleben Beteiligten geregelt? Inwieweit wird „Recht“ – explizit oder implizit – Gegenstand des Unterrichts?

2. Die Schule als Rechtsraum

Im Unterschied zum fiktiven Inseldasein bei Michel Tournier wird das schulische Leben täglich von vielen realen Menschen geprägt und gestaltet. Man kann also nicht wie in seinem Roman von der Sinnlosigkeit bzw. von einer fehlenden Notwendigkeit, Rechtsregelungen zu erlassen und einzuhalten, ausgehen. Im Gegenteil! Robinsons Insel hätte – zumindest bis zur Ankunft von Freitag – ein rechtsfreier Raum bleiben können, die Schule jedoch nicht. Und dies bezieht sich sowohl auf das Abstraktum „Schule“ als Institution wie auch auf die konkrete Einzelschule mit ihren am Schulleben beteiligten Menschen, ihren Gebäuden und Einrichtungsgegenständen. Wenn wir auf nationaler Ebene bleiben, so wird der weiteste Rahmen durch Grundgesetz und Landesverfassung gebildet. Dieser Raum wird vom Land NRW gefüllt durch zahlreiche Gesetze und Rechtsverordnungen/Erlasse, deren Sammlung seit vielen Jahren nicht nur die äußere Form, sondern auch den Umfang des Telefonbuchs einer deutschen Großstadt wie Düsseldorf angenommen hat.3 Für den täglichen Gebrauch muss man nach meinen langjährigen Erfahrungen vor allem die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen für die Sekundarstufen I und II, die Schulmitwirkungsordnung und die Allgemeine Schulordnung4 heranziehen. Für Ersatzschulen im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung kann der Schulträger eigene Verordnungen erlassen, die in ihrem Kerngehalt analoge Formulierungen wie die vom Land vorgeschriebenen Regelungen haben, aber im Einzelfall doch signifikante Abweichungen aufzeigen. Die Existenz von Ersatzschulen hat ihrerseits die Konsequenz, dass der Staat sein Verhältnis zu diesen Schulen in besonderer Weise regeln muss; dies geschieht in NRW im wesentlichen durch das Ersatzschulfinanzgesetz und die Ersatzschulverordnung. Adressat aller dieser Rechtstexte sind – wenn es nicht gerade der Schulträger ist, der mit einem entsprechenden juristischen Apparat und Fachwissen ausgestattet ist – die vielen Tausend Lehrer, die eine fachwissenschaftliche und eine pädagogische, aber keine juristische Ausbildung haben. Nun könnte man einwenden, dass die Urheber der Rechtstexte diesen Umstand bei der Rechtssetzung und ihrer sprachlichen Gestaltung bereits berücksichtigt haben, dass es umfangreiche Kommentare mit konkreten Hinweisen und Beispielen gebe und dass sich nicht jeder Lehrer täglich mit der ihm fremden Rechtsmaterie herumzuschlagen brauche: Wofür hat er eine entsprechend kompetente Schulleitung? Ich will in diesem Zusammenhang nur das Stichwort „Kommentare“ aufgreifen. Zur Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die gymnasiale Oberstufe – die sich im übrigen seit der Einführung der reformierten Oberstufe im Schuljahr 1974/75 mit der damaligen 11. JgSt, die also 1977 ihr Abitur abgelegt hat, unzählige Male geändert hat – liegen zwei gängige und in der Praxis des Schulalltags auch herangezogene Kommentare vor, die einschließlich Abdruck des Verordnungstextes und der Verwaltungsvorschriften in der einen Fassung – von einem Philologen (!) verfasst – 189 Druckseiten umfasst, in der anderen genau 80 Seiten mehr.5 Nun wird man meinen, dass man auf diese Weise besonders gründlich recherchieren und zu einem fundierten Urteil gegenüber Schülern, Eltern und auch Kollegen gelangen kann. Dies ist in vielen Fällen nicht möglich, da sich die Kommentare inhaltlich zwar weitgehend überlappen, z.T. aber auch ganz unterschiedliche Problemaspekte beleuchten und ggfs. den Verordnungsgeber kritisieren oder gar seine Verordnung bzw. Verwaltungsvorschrift juristisch anzweifeln: Da fühlt sich auch der Lehrer6, der sich fast 30 Jahre lang intensiv mit der Materie befasst hat, gelegentlich ein wenig allein gelassen7

3. Recht und Rechtskunde als Unterrichtsfach und AG

Die Landesregierung hat in der oben erwähnten BASS per Verordnung sowohl den Rechtskundeunterricht in Klasse 10 (als Arbeitsgemeinschaft) als auch für die Sekundarstufe II Recht als Fach des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes eingeführt und hinsichtlich der entsprechenden Inhalte, Ziele und Methoden geregelt. Auf diesen Hinweis soll sich meine oben gestellte Frage nach dem Recht als explizitem Unterrichtsgegenstand beschränken, zumal ich weder auf eigene theoretische Fachkenntnisse noch auf praktische Erfahrungen Dritter an unserer Schule zurückgreifen kann.8

4. Zur Affinität von Philologie und Jurisprudenz

Für den Philologen ist die Beschäftigung mit der Frage nach den impliziten juristischen Inhalten seiner Materie viel naheliegender und interessanter. Dass Rechtsfragen verhältnismäßig häufig in den Fächern des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes (Geschichte, Sozialwissenschaften, Erdkunde, Philosophie, Pädagogik) vorkommen, wird weiter unten an ausgewählten Beispielen gezeigt. Aber auch die sprachlich-literarischen Fächer kennen diese Thematik, während rechtliche Gesichtspunkte in der Mathematik, den Naturwissenschaften und den künstlerisch-musischen Fächern wohl eher eine untergeordnete Rolle spielen, soweit wir uns auf den schulischen Alltag, und hier vornehmlich auf die gymnasiale Oberstufe, beschränken. Neben inhaltlichen Überschneidungen mit juristischen Gesichtspunkten, Aspekten und Problemen gibt es methodische Affinitäten zwischen Philologie, Theologie und Jurisprudenz und zwischen den entsprechenden hermeneutischen Zirkeln, auf die naturgemäß hier nicht eingegangen werden kann.9 Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich Fachgelehrte der genannten Disziplinen immer wieder mit klugen Beiträgen auf das nachbarliche Terrain begeben. Unlängst hat der Rechtswissenschaftler Michael Stolleis10 mit seinem Auge des Gesetzes die Geschichte einer Metapher nachgezeichnet und damit ein fachübergreifendes Büchlein vorgelegt, das nicht nur Juristen, sondern auch Geisteswissenschaftler, Historiker und Politologen anspricht. Auf der anderen Seite kommt der über die Grenzen unseres Landes hinaus bekannte Sprach- und Literaturwissenschaftler Harald Weinrich11 im Rahmen seines neuesten Opus Knappe Zeit. Kunst und Ökonomie des befristeten Lebens detailliert auch auf Fristen im Recht zu sprechen, erläutert dort Verjährungs-, Straf- und Ausschlussfristen und interpretiert diese unter dem Aspekt der „grundsätzlichen Äquivalenz von Zeit und Geld“. Neben zivilrechtlichen Fragen beschäftigen ihn solche des Arbeitsrechts, in dem es Bestimmungen gibt, die dem Arbeitnehmer Rechtsschutz gewähren. Dieser Schutz ist eine „wichtige Errungenschaft des Sozialstaates. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass diese Schutzbestimmungen ihrerseits wieder Fristen mit sich bringen, die so zahlreich, so kompliziert und oft so pedantisch überreguliert sind, dass sich sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber leicht in ihnen verstricken und verheddern können. Darin liegt eine problematische Eigenart des heutigen Fristenwesens, die wir die sozialstaatliche Fristenironie nennen können. Sie besteht darin, dass die sozial Schwachen sich im Prinzip mit kleinen und kleinsten Fristen vor den großen und manchmal bedrohlichen Fristen der sozial Starken schützen können, aber dabei das Risiko eingehen müssen, dass es am Ende doch immer die auf Fristen spezialisierten Anwälte sind, die sich in diesem Fristengewirr am besten auskennen und daher ihren Klienten mit relativ leichter Mühe zum Erfolg verhelfen können. Denn „Fristen sind Fristen“, sagen sie.“ Einen mutigen Schritt weiter geht der Altphilologe Manfred Fuhrmann12 mit seinem Kommentar zur eigenmächtigen Besitzentziehung wegen einer Vertragsverletzung nach § 858 BGB in der Sache „Adam gegen Gott“. Der Germanist Eberhart Lämmert13 ist in der Reihe Funkkolleg/Literatur zuständig für die Auslegung von Gesetzestexten. Dasselbe gilt für das ebenfalls zweibändige Werk Literaturwissenschaft/Ein Grundkurs, in dem Lämmert14 für das Kapitel Zum Auslegungsspielraum von Gesetzestexten verantwortlich zeichnet. Es ist nicht zu erwarten, dass ein Jurist, der zumindest das erste Semester seines Studiums erfolgreich absolviert hat, hier Neues erfährt, läuft doch Lämmerts Beitrag im wesentlichen auf die Darstellung und Exemplifizierung der vier klassischen Auslegungsmethoden (grammatische, systematische, historische bzw. genetische, teleologische Auslegung) hinaus. Aber für den Philologen und den Historiker sind dies schon wichtige Erkenntnisse, auf die er gegebenenfalls – wie die beiden folgenden Abschnitte nahe legen - zurückgreifen kann.

5. Rechtsfragen im Literaturunterricht

Das Verhältnis von Literatur und Jurisprudenz ist – wie Fontane sagen würde – „ein weites Feld“. Nicht wenige Dichter und Schriftsteller waren bzw. sind Juristen; es sei nur an das aktuelle Beispiel Bernhard Schlink (Der Vorleser) erinnert. Trotzdem muss der Gegenstand des literarischen Werkes nicht unbedingt juristische Bezüge haben, wie dies offensichtlich in Schillers Räubern, in Kafkas Prozess, in Kleists Zerbrochenem Krug, in Büchners Woyzeck oder bei Fausts Pakt mit dem Teufel der Fall ist. In Albert Camus’ Romanen, Erzählungen und Dramen tauchen häufig an zentraler Stelle Staatsanwälte, Verteidiger und (Buß-)Richter auf; der Gerichtssaal ist nicht selten der Raum der Handlung (z.B. Der Fremde). Juristische Probleme werden mit ethischen oder existenzphilosophischen Fragestellungen verknüpft wie z.B. in der Pest, in den Gerechten, im Fall und im Missverständnis: Hier geht es immer um die Frage von Schuld und Sühne, von Terror und Gewalt, aber auch um die politisch-moralische Rechtfertigung von Mord und um das Sterben unschuldiger Kinder. Das literaturwissenschaftliche und sicherlich auch fachdidaktische Interesse an diesen und vergleichbaren Fragestellungen ist groß, wie z.B. die jüngste Veröffentlichung zum Thema Schiller und das Recht zeigt.15 Wie weit juristische Aspekte in den sprachlich-literarischen Oberstufenunterricht einfließen dürfen oder sollen, kann nicht generell gesagt werden. Aber wenn man das Beispiel Camus nimmt, dann ist bei der Textinterpretation ein völliges Aussparen seiner zahlreichen juristischen Bezüge, Hinweise, Themen und Personen letztlich genau so undenkbar wie z.B. bei der Lektüre von Michael Kohlhaas. Auf der anderen Seite wäre es verständlich und nachvollziehbar, wenn im Unterricht Robinsons eingangs zitierte „Charta“ und sein Strafgesetzbuch nicht weiter Beachtung finden, weil – wie angedeutet – ihr textimmanenter Funktionswert durch andere Passagen des Romans ebenso gut und vielleicht sogar besser – auf jeden Fall nicht fachfremd – erarbeitet werden kann. Hinzu kommt, dass Tourniers Roman ohnehin als Ganzschrift in unserem Oberstufenunterricht keine Chance hat, im Original gelesen zu werden. Allenfalls wird der Lehrer die verkürzte und sprachlich vereinfachte Version für die Jugend heranziehen. Wenn er dabei überrascht feststellt, dass dort Robinsons „Charta“ – jedoch nicht sein Strafgesetzbuch – abgedruckt ist, dann ist er vielleicht bereit und in der Lage, mit seinen Schülern eine entsprechende Analyse, Interpretation und Bewertung dieses – wie oben gesagt – „befremdlichen“ Textes vorzunehmen.16

6. Rechtsfragen im Geschichtsunterricht

Innerhalb des Oberstufenunterrichts sind mir Primär- und Sekundärtexte mit juristischem Hintergrund am meisten in den Fächern Sozialwissenschaften und Geschichte begegnet. Wenn man die Richtlinien und Lehrpläne SII des Landes NRW von 1999 – hier für das Fach Geschichte – durchgeht, dann ist man erstaunt, sehr häufig Hinweise empfehlenden Charakters oder gar solche, die bestimmte Begriffe, Sachverhalte oder Ereignisse der Obligatorik zuweisen, anzutreffen. Da geht es um das „europäische Rechts-, Staats- und Freiheitsdenken“ und um die „Menschen- und Bürgerrechte“ als „unverzichtbare historische Gegenstände“, um die „Ausbildung“ bzw. „Entstehung moderner Verfassungen“, um „Widersprüche zwischen Kodifikation und Verfassungswirklichkeit“, um „Strukturen totalitärer Herrschaftsformen“ (am Beispiel der NS-Herrschaft). Als Themen für Facharbeiten werden u.a. empfohlen: „Die Umsetzung des Art. 3 II GG“ oder „Bürgerrechte und Bürgerpflichten im antiken Athen“. Folgende Begriffe bzw. Inhalte sind den Lernenden zu vermitteln: „polis“, „volonté générale“, „Rechts- und Verfassungsstaat“, „pacta sunt servanda“, „Grund- und Menschenrechte“, „bellum iustum der Römer (gegen Karthago)“, „Menschen- und Bürgerrechte 1776/1789“, „Atlantik-Charta von 1941“ usw.17 In der Regel wird selbst der juristisch unkundige Historiker diese Aufgabe sachgerecht und adäquat meistern, auch wenn er primär Geschichte unterrichten soll und nicht Jura. Und er wird dabei mit intellektueller Redlichkeit seine fachlichen Grenzen erkennen und ggfs. thematisieren. Er wird weder als Fachlehrer noch als Schulleiter, weder subjektiv noch objektiv – auch nicht nach mehreren Jahrzehnten der praktischen Arbeit – zum Juristen; und das dürfte auch nicht sein. Aber es kann schon von ihm verlangt werden, dass er sich so weit in die Materie einliest und einarbeitet, dass er im Rahmen des Oberstufenunterrichts auf fundierte Aussagen Dritter zurückgreifen bzw. sie sich sogar zu eigen machen kann.18 Die Alternative wäre, z.B. auf die Darstellung des römischen Verfassungsrechts und des Übergangs von der Republik zur Monarchie unter Augustus oder auf den Verfassungswandel zu Beginn und während der Französischen Revolution zu verzichten. Die Klassiker der Sekundärliteratur, die es zu diesen beiden nur exemplarisch genannten Themen gibt und die damit auch dem Geschichte unterrichtenden juristischen Laien zur Verfügung stehen, können hier nicht aufgezählt werden. Soll er über die Erörterung der Problematik der Bundestagsauflösung per Vertrauensfrage des Kanzlers, über die präsidiale Entscheidung einschließlich ihrer verfassungsgerichtlichen Überprüfung – 1982/83 und 2005 – hinweggehen, auch wenn er die in der Öffentlichkeit geführte juristische Diskussion nicht oder nicht vollständig nachvollziehen kann? Wie ist es z.B. mit dem Potsdamer Abkommen, mit der Frage nach der staats- bzw. völkerrechtlichen Kontinuität des Deutschen Reiches nach 1945, mit dem deutsch-deutschen Grundlagenvertrag und mit dem Berlin-Abkommen der vier Alliierten, mit Verträgen mit dem Ausland oder mit dem europäischen Verfassungsvertrag? Schwierigkeiten bereiten den Schülern erfahrungsgemäß Rousseaus fiktive Konstrukte „volonté générale“ und „contrat social“ und der Legitimationsrückgriff auf seine Staatstheorie in der zum Totalitarismus neigenden Terrorphase der Revolution, besonders bei Robespierre. Aber solche besonders anspruchsvollen Unterrichtsstunden habe ich – zumal in Leistungskursen – als „Highlights“ erlebt. Gleiches gilt von der intensiven Erarbeitung der Jahre 1930-1934 der deutschen Geschichte, die als Übergang von der Demokratie zur Diktatur ein historisches und pädagogisches Lehrbeispiel ganz besonderer Art darstellen. Niemals ist es mir besser gelungen, den Schülern die „Stufen der Machtergreifung“ (K.D.Bracher) im Zusammenhang mit der für das III. Reich so typischen „Verführung und Gewalt“ (W.Thamer) nahezubringen. Und dabei kann man nach meiner tiefen Überzeugung nicht auf eine eingehende Analyse der Reichstagsbrandverordnung vom 28.2.1933 und des Ermächtigungsgesetzes vom 24.3.1933 – vor allem in ihrem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Reichstagsauflösung und –neuwahl – verzichten. Die Erfahrung lehrt, dass es zur unterrichtlichen Vorbereitung selbst dieses komplexen politischen und verfassungsrechtlichen Phänomens nur weniger Hilfsmittel bedarf: der einen oder anderen klassischen Studie von Karl Dietrich Bracher – der im übrigen die Reichtagsbrandverordnung mit ihrer Grundrechtsaufhebung für einen bedeutsameren Schritt zum Aufbau der NS-Diktatur hält als die Aufhebung der Gewaltenteilung durch das Ermächtigungsgesetz -, des Textes der Weimarer Reichsverfassung, des entsprechenden Quellenheftes von Rudolf Morsey und eines fachwissenschaftlichen Aufsatzes, der – zuerst 1953 erschienen – mehrfach an unterschiedlichen Stellen nachgedruckt wurde.19 Wenn dann noch die Rundfunkmitschnitte aus den beiden Reden Hitlers, die er am 23.3.1933 im Reichstag bei der parlamentarischen Beratung des von den Regierungsfraktionen eingebrachten Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich gehalten hat, abgespielt werden, erzielt man den nachhaltigen intellektuellen und affektiven Lernerfolg, den man sich immer wünscht, aber doch selten genug erreicht.

7. Ausblick

„Schule und Recht“ – ein gefährliches Gelände? Die vorstehenden Überlegungen und Erfahrungen sollen nur ein erster Schritt sein, sich mit dieser Thematik vertieft auseinanderzusetzen; bis jetzt geschah dies selten genug. Sie sollen die Möglichkeiten und Grenzen aufzeigen, die der juristisch nicht vorgebildete Lehrer im Rahmen seiner pädagogischen Freiheit (und Verantwortung!) hat bzw. einhalten muss. Sie sollen aber auch Mut machen, sich in begründeten Einzelfällen und mit dem nötigen geistigen Rüstzeug ausgestattet auf das schwierige Terrain zu wagen. Es kann lohnend, lehrreich und spannend für alle Beteiligten sein.20 In einer Gesellschaft, deren Mitglieder tendenziell ein abnehmendes Rechtsempfinden und –bewusstsein haben, Recht primär als eigenen Anspruch definieren und eine Korrespondenz von Rechten und Pflichten – wie sie noch im Titel des zweiten Hauptteils der Weimarer Reichsverfassung gegeben war – durchweg nicht mehr erkennen bzw. akzeptieren, kann die schulische Erarbeitung von Rechtsfragen in der exemplarisch vorgestellten Weise ein wertvolles pädagogisches und politisches Ziel sein.

Facharbeiten in der gymnasialen Oberstufe – Ein Erfahrungsbericht

1. Grundsätzliches

Wer vermag schon zu sagen, zum wievielten Mal seit ihrer Einführung die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die gymnasiale Oberstufe (APO-GOSt) mit Beginn des Schuljahres 1999/2000 – aufsteigend ab Jahrgangsstufe (JgSt) 11 – geändert wurde? Zum einen brachte sie als Novum die von uns Lehrern sofort und einhellig als Unsinn deklarierte – auch für die Sekundarstufe I eingeführte – „Zusatzprüfung“, die dann bereits nach einem Schuljahr von der verantwortlichen Ministerin fallen gelassen wurde; zum andern etwas zumindest für NW Neues, das viele als sinnvolle Einrichtung begrüßt haben und auch beibehalten möchten: die Facharbeit (FA). Die zitierte Verordnung und ihre Verwaltungsvorschriften setzten nur fest, dass „in der Jahrgangsstufe 12 nach Festlegung durch die Schule eine Klausur durch eine Facharbeit ersetzt wird.“ „Über das Verfahren entscheidet die Lehrerkonferenz.“1 Die Schulleitung2 war sich nach Bekanntwerden dieser Erlassvorgabe schnell darüber im klaren, dass im laufenden Schuljahr 1999/2000 alle schulinternen Voraussetzungen für einen fachlichen und pädagogischen Erfolg mit den ersten Facharbeiten im folgenden Schuljahr geschaffen werden mussten. Es lag nahe, dass Frau Krieger mich, da ich auch Projektleiter der Oberstufe war, mit der Koordination dieser Aufgabe betraute. In drei Lehrerkonferenzen des genannten Schuljahres und in einem von mir geleiteten Arbeitskreis sondierten und entschieden wir, welche pädagogischen und organisatorischen Rahmenbedingungen wir bezüglich der FA anstrebten. In besonderer Weise waren für die Vorbereitung einer grundsätzlichen Entscheidung der Lehrerkonferenz zuerst einmal die Fachkonferenzen zuständig. Deren Ergebnisse verarbeitete der genannte Arbeitskreis zu einer Beschlussvorlage für die letzte Lehrerkonferenz des Schuljahres 1999/2000, auf der das Gesamtkonzept FA angenommen wurde. Entsprechende mündliche und schriftliche Informationen ergingen an die Schüler der 11. JgSt, die im Folgejahr zusammen mit ihren Fachlehrern erstmals den Start in die FA bewältigen sollten, was dann auch – wohl wegen der gründlichen Vorbereitung und des nötigen Ernstes und Eifers aller Beteiligten bei der Durchführung – voll gelang. Es war nur konsequent, dass auf der Basis dieses Informations- und Erfahrungsstandes vorerst keine neue Grundsatzdiskussion notwendig wurde. Jeder Fachlehrer konnte sich zu jeder Zeit durch von mir gesammelte und zur Verfügung gestellte Informationen, Empfehlungen, Erfahrungsberichte und Literaturhinweise auf den neuesten Kenntnisstand bringen. Laufend wurden die Titellisten mit den bei mir eingegangenen (unkorrigierten!) Dubletten der Originalfacharbeiten ergänzt und im Lehrerzimmer veröffentlicht; und Lehrer und Schüler konnten sich bei mir die entsprechenden Exemplare zur Anschauung ausleihen. Die Zusammenarbeit mit den für die Organisation in der jeweiligen Stufe zuständigen Beratungslehrern verlief auch in den folgenden Jahren reibungslos.

2. Facharbeiten: Rechtlicher Rahmen und pädagogische Freiheit

Die oben zitierte und sehr knapp gehaltene grundsätzliche Regelung zur FA hat die einzelnen Lehrerkollegien nicht in einen ansonsten grenzenlosen pädagogischen Freiraum entlassen, sondern durch Bezugstexte einen verbindlichen Rahmen abgesteckt, den es anschließend von uns Lehrern zu füllen galt. So hat die Bezirksregierung Düsseldorf Vertreter aller Fächer der gymnasialen Oberstufe, die überhaupt für die Abfassung von Facharbeiten in Frage kommen, zu Fortbildungsveranstaltungen eingeladen, so dass die Fachkollegen den jeweiligen Fachkonferenzen an den Schulen anhand von z.T. umfangreichen „Materialien“ bzw. „Handreichungen“ Bericht erstatten und Fachkonferenzbeschlüsse vorbereiten konnten. Zeitgleich mit der Veränderung der APO-GOSt hat das zuständige Landesministerium 1999 neue Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II des Gymnasiums bzw. der Gesamtschule herausgegeben, die grundsätzlich im Zusammenhang mit dem Thema „Arbeitsformen“ und vor allem im Rahmen des Abschnitts 4.2 – „Beurteilungsbereich Klausuren“ – „fachspezifische Hinweise zur Aufgabenstellung, Korrektur und Bewertung von Klausuren/Facharbeiten“ geben, die rechtsverbindlich sind.3 Wie wenig ausgereift diese fachbezogenen Erlasse in ihrer ersten Auflage z.T. noch waren, zeigt das Beispiel Französisch: Hier wird in Abschnitt 4.2.3 nur die „Korrektur und Bewertung der Klausuren“ behandelt, ohne dass explizit die Facharbeiten mit einbezogen werden. Auch die Beispiele für Facharbeiten im Fach Französisch sind nur selten praktikabel. In den Richtlinien und Lehrplänen für das Fach Geschichte sind die entsprechenden Ausführungen zur FA fundierter und überzeugender. Leider wird in der Praxis des Schulalltags die folgende, mir sehr wichtig erscheinende Vorschrift zu wenig umgesetzt: „Es ist zu beachten, dass die Themenstellung problemorientiert erfolgt, damit die Schülerinnen und Schüler Leistungen in allen Anforderungsbereichen erbringen können“, d.h. Leistungen auf den Ebenen 1. der Reproduktion von Kenntnissen, 2. des Transfers und 3. des problemlösenden Denkens bzw. des Bewertens. Dies gilt letztlich für alle Lernerfolgsüberprüfungen, in besonderem Maße jedoch für Klausuren der Qualifikationsphase (JgSt 12 und 13). Und da eine Klausur(-note) durch die entsprechende Facharbeit(-snote) zu ersetzen ist, sind Klausur und FA grundsätzlich gleichwertig: Diese essentielle Aussage muss sich damit auch auf Anforderung an und Bewertung von Facharbeiten beziehen. Die Erfahrung lehrt, dass Facharbeiten, deren Themen nicht problemorientiert gestellt werden, in der Regel nur die Anforderungsbereiche I und II widerspiegeln. Letztlich ist aber, wie der Kommentar von Böhm/Hahn zurecht explizit unterstreicht, der Fachlehrer für die Themenstellung verantwortlich. Es wäre nun sehr hilfreich gewesen, wenn die Autoren der Geschichtsrichtlinien in ihrer umfangreichen und durchaus lobenswerten Sammlung von Themenbeispielen sich stärker auf die problemorientierte Fragestellung eingelassen hätten. Stattdessen machen sie „Vorschläge für Gegenstandsbereiche von Facharbeiten“ und weisen lakonisch darauf hin, dass „die Spezifizierung und Festlegung konkreter Einzelthemen durch die Fachlehrer(-innen) in Absprache mit den Schülerinnen und Schülern erfolgt.“ Um die Problematik, die hier thematisiert wird, zu verdeutlichen, seien einige Beispiele dieser „Gegenstandbereiche“ zitiert: „Stellung und Rolle der Frauen in der DDR“, „Abitur auch für Mädchen? Zur Geschichte der höheren Mädchenbildung“, „Der Kinderkreuzzug“ usw. Es ist leider nicht auszuschließen, dass der eine oder andere Fachlehrer anstelle einer problemorientierten Formulierung zum „Gegenstandsbereich“ greift und sich – vielleicht – bei der Lektüre der FA wundert, letztlich ein Referat in der Hand zu halten, das sich im wesentlichen nur in quantitativer und formaler Hinsicht von den üblichen Schülerreferaten, die durch diese Bemerkung nicht abgewertet werden sollen (!), unterscheidet. Eine FA aber ist ein wissenschaftspropädeutisches Werk, gegebenenfalls eine kleine Forschungsarbeit, die einer konkreten Fragestellung nachgeht und ein bestimmtes Problem systematisch, methodenbewusst, überzeugend und kritisch darstellt und im Idealfall löst bzw. bewertet. Daher stellen die Verfasser der Geschichtsrichtlinien konkrete Kriterien für die Bewertung des Arbeitsprozesses, der Methodenanwendung und des Inhalts auf, die den Fachlehrer überzeugen und für ihn eine große Hilfe bei seiner fachlichen und pädagogischen Arbeit sind; letztlich erinnern sie aber noch einmal daran, dass sich „die Benotung der Leistung nach den Vorgaben der drei Anforderungsbereiche richtet.“4

Selbst wenn Lehrer- und Fachkonferenzen sich grundsätzlich und zumeist mit vielen Detailregelungen, die in zahlreichen Arbeitspapieren und Protokollen nachzulesen sind, zum Thema FA geäußert haben, dann ist der einzelne Lehrer, der mit dem Wunsch des Schülers konfrontiert wird, in seinem Fach eine FA zu schreiben, letztlich doch auf weitere Hilfen angewiesen, wie sie z.B. von den Eltern- und Lehrerverbänden, in den Fachzeitschriften und vom Landesinstitut für Schule und Weiterbildung5 angeboten werden. Gerade die Vorschläge dieses Instituts waren Grundlage für den weiter oben erwähnten Arbeitskreis und für seine auch auf der Basis der Auswertung aller Fachkonferenz-Beschlüsse verabschiedeten Empfehlungen an die Lehrerkonferenz vom 12.5.2000, deren Beschlüsse eine unmittelbare Auswirkung für die beteiligten Lehrer und Schüler hatten.

3. Facharbeiten aus der Sicht des Schülers

Nun konnte die eigentliche Arbeit beginnen, nämlich die allgemeine Vorbereitung der Schüler der 11. JgSt auf die Facharbeit durch die Deutschlehrer und die schriftliche und mündliche Information durch die Schulleitung im Rahmen der regelmäßigen Informationsveranstaltungen am Ende der 11. und zu Beginn der 12. Jahrgangsstufe. Da wir beschlossen hatten, dass für alle Schüler die erste Klausur in 12.2 (in einem Fach) durch die Facharbeit ersetzt wird, dass die Bearbeitungszeit der FA sechs Wochen beträgt und der Abgabetermin unmittelbar vor den Studienfahrten (die in der letzten Woche vor den Osterferien stattfinden) liegt, musste man die Schüler fachspezifisch (kursintern) während des 1. Halbjahres der 12. JgSt vorbereiten. Themenfindung und Themenwahl waren unmittelbar vor bzw. nach den Weihnachtsferien, spätestens aber Ende Januar abgeschlossen. Da niemals ein ganzer Kurs sich in dem entsprechenden Fach für eine FA entscheidet, müssen die Fachlehrer in der Planungs- und Durchführungsphase mit den einzelnen Schülern Sondertermine vereinbaren, um die FA angemessen betreuen zu können. Dies und weitere Formalia (besonders die Termine der Themenvergabe, der Arbeitsabgabe usw.) wurden in einem vom Schüler jeweils zu unterschreibenden Protokollbogen festgehalten. Die Frage des Schülers, in welchem Fach er seine Facharbeit schreiben soll, kann hier nicht differenziert beantwortet werden. Neben taktischen Gesichtspunkten (Erwartung einer „guten“ Note in einem Fach, in dem man gerade mit Klausuren seine liebe Not hat) hat das Interesse am Fach bzw. an einer bestimmten Thematik (bzw. Problemstellung) – oft aus dem Unterricht erwachsen – sicherlich Vorrang. Die erste JgSt 12, die an unserer Schule Facharbeiten geschrieben hat, hat dies überwiegend in den Gesellschaftswissenschaften getan (53% der Schüler dieser Stufe); 22% haben sich für das sprachlich-literarisch-künstlerische und 25% für das mathematisch-naturwissenschaftliche Aufgabenfeld entschieden. Wenn man noch die Frage stellt, ob sich die Schüler eher für einen ihrer beiden Leistungskurse (LK) oder für einen Grundkurs (GK) entschieden, so gab dieses sicherlich höchst untypische Einzelergebnis insofern keinen Aufschluss, als in dieser JgSt 51% der Schüler für einen LK und 49% von ihnen für einen GK votierten.6

4. Erfahrungen und Perspektiven

Die mir vorliegenden Erfahrungen mit den ersten „Jahrgängen“ der Facharbeiten – von denen ich auch als Lehrer eines LK Französisch betroffen war - sind durchweg positiv. Dies bezieht sich sowohl auf die z.T. veränderte, individualisierte Arbeit von Lehrer und Schülern als auch auf die erzielten Leistungen; es sei aber auch auf den gerade für Facharbeiten notwendigen Kommunikationsprozess und Organisationsaufwand hingewiesen. Ein wie oben angedeuteter Informationsaustausch zwischen dem Koordinator und dem Lehrerkollegium muss auf Dauer angelegt sein. Dazu gehört die laufende Bereitstellung von Materialien, die im engeren und auch weiteren Sinn das Phänomen FA tangieren: die schulinterne Sammlung der Zweitexemplare und die Veröffentlichung der Titel der Facharbeiten, Hinweise auf Publikationen, die Zusammenstellung der Beschlüsse der maßgeblichen Gremien (Lehrerkonferenz, Fachkonferenzen) usw. Gelegentlich brauchen Kollegen bei schwierigen Einzelfragen Hilfen, wenn z.B. das Grenzgebiet zwischen pädagogischen und rechtlichen Aspekten betreten wird. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn die rechtzeitige Abgabe der FA aus welchen Gründen auch immer versäumt und der Termin erheblich überschritten wird. Gelegentlich kommt es vor, dass man an der Selbständigkeit der FA oder einzelner Teile Zweifel hat und den Fachkollegen oder gar die Schulleitung konsultiert. Seit einiger Zeit gibt es u.a. im Internet umfangreiche und sehr dezidierte Lehrerhilfen für die „Aufdeckung von Plagiaten“. Das Hauptproblem in der Praxis ist die Nicht-Kenntlichmachung von Zitaten oder zitatnahen eigenen Formulierungen oder Zusammenfassungen aus der benutzten Print- oder Internetliteratur. Dies hat mich in einem konkreten Fall veranlasst, dem Kollegium eine differenziertere Formulierung für die sogenannte „Selbständigkeitserklärung“ als die bisher benutzte vorzuschlagen, die an das Ende jeder Facharbeit gehört und vom entsprechenden Schüler eigenhändig unterschrieben werden muss. Abschließend möchte ich festhalten, dass ich unter dem Gesichtpunkt der „Studierfähigkeit“ die FA als ein wichtiges Übungsfeld ansehe, das noch deutlicher ins Bewusstsein der Lehrer, Eltern und Schüler rücken sollte.

[...]


[1] Michel Tournier, Vendredi ou les limbes du Pacifique, Paris : Gallimard (coll. Folio 959) 1995, S. 71-73 (eigene Übersetzung).

[2] Eva Winisch, Michel Tournier. Untersuchungen zum Gesamtwerk, Bonn: Romanist. Verlag 1997, S. 19-21.

[3] Bereinigte Amtliche Sammlung der Schulvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen – BASS 2004/2005 – vom 15. Juli 2004, Düsseldorf/Frechen 2004.

[4] Für die Schulen des Ezbtm Köln ist zum 1.8.2006 ein eigenes Kirchliches Schulgesetz in Kraft getreten.

[5] Die mir vorliegende 3. Auflage der Verordnung über die Ausbildung in der Sekundarstufe I umfasst einschließlich Verwaltungsvorschriften, Kommentar und Anhang 332 (!) Druckseiten. – Praktische Bedeutung für die jeweilige Schule haben noch a) die von der Schulleitung erarbeitete und von der Lehrerkonferenz in Kraft gesetzte Hausordnung und b) die von der Schülervertretung (SV) verabschiedete SV-Satzung.

[6] Klaus Bahners, Beratung in der differenzierten Oberstufe – Bilanz und Perspektiven, in: 300 Jahre Ursulinen in Düsseldorf 1681-1981, hrsg. von der Ursulinenkongregation Düsseldorf e.V., Düsseldorf 1981, S. 141-145.

[7] Thomas Böhm bemüht sich in seinem Buch Schulrechtliche Fallbearbeitungen für Pädagogen, Neuwied: Luchterhand 1991, „Barrieren zwischen Pädagogen und Juristen abzubauen“. Sein Opus „hilft dem um eine Klärung der rechtlichen Aspekte seines Handelns bemühten Pädagogen, gezielter zu suchen und zu fragen und Antworten sicherer einzuordnen.“ (ebd. S. X) Lesenswert ist auch die Einführung in das Erziehungs- und Schul-recht von Hans Heckel, die in 2. Aufl. 1986 in der Wissenschaftl. Buchgesellschaft (Darmstadt) erschienen ist.

[8] Als Zeitschrift für Rechtskunde wurde 1971 im Verlag Beck (München) die Zeitschrift Recht und Gesellschaft gegründet, die Aufsätze aus der Gerichtspraxis, einen sogenannten Rechtskurs, Berichte über die Rechtsreform, den Abdruck von Gesetzestexten und Gerichtsurteilen und Arbeitsbögen – „Lehr- und Lernanleitungen“ – enthielt. Daneben zeichnete sich jedes Heft durch bestimmte Leitthemen wie z.B. Pressefreiheit, Arbeitsvertrag, Vermögensdelikte, Lehrer und Schüler, Vertragsfreiheit, Gleichberechtigung usw. und durch die sukzessive Anlage eines Rechtslexikons aus. In seinem Geleitwort klagte der damalige Bundesjustizminister, „dass die Schule es bis in die Gegenwart hinein versäumt hat, den jungen Menschen an die Rechtsordnung heranzuführen und ihm die Kenntnisse seiner Rechte – aber auch der der anderen Mitbürger – zu vermitteln.“ (Ich würde dies noch um die „Kenntnisse seiner Pflichten“ ergänzen und darf feststellen, dass auch 35 Jahre später dieser Satz noch aktuell ist.) Leider mussten Herausgeber und Verlag dieses Unternehmen bereits 1974 einstellen, weil der „Kreis der Abonnenten kleiner geblieben war als sie erwartet hatten.“ - Für die Oberstufe gibt es für das Fach Recht Richtlinien und Lehrpläne; für die SI werden seit dem Schuljahr 2003/2004 umfangreiche Informationen unter dem Dach des Internetportals des Justizministeriums frei geschaltet; außerdem bietet das Heft 6 des 54. Jahrgangs der Zeitschrift Wochenschau (S I) mit dem Titel Recht im Alltag viele unterrichtspraktische Hilfen.

[9] Grundsätzlich sei dazu verwiesen auf Hans-Georg Gadamer, in dessen Wahrheit und Methode, Tübingen: Mohr 1986, sich auf den Seiten 330-346 auch ein lesenswertes Kapitel über Die exemplarische Bedeutung der juristischen Hermeneutik befindet.

[10] Michael Stolleis, Das Auge des Gesetzes. Geschichte einer Metapher, München: Beck 2004.

[11] Harald Weinrich, Knappe Zeit. Kunst und Ökonomie des befristeten Lebens, München: Beck 2004, S. 178-185; Zitate S. 180 und S. 185.

[12] Manfred Fuhrmann, Zum Pachtvertrag Gott/Adam und zur eigenmächtigen Besitzentziehung wegen einer Vertragsverletzung (1. Mose 2,8 – 3,24), in: M.Fuhrmann / H.R.Jauss / W.Pannenberg, Text und Applikation. Theologie, Jurisprudenz und Literaturwissenschaft im hermeneutischen Gespräch, München: Fink 1981, S. 37-52.

[13] Eberhard Lämmert, Auslegung von Gesetzestexten, in: H.Brackert / E.Lämmert, Funk-Kolleg Literatur I, Frankfurt: Fischer (6326) 1977, S. 271-284.

[14] ders., Zum Auslegungsspielraum von Gesetzestexten, in: H.Brackert / J.Stückrath, Literaturwissenschaft Grundkurs 1, Reinbek: Rowohlt (6276) 1981, S. 90-105.

[15] Klaus Lüderssen, „ Daß nicht der Nutzen des Staats Euch als Gerechtigkeit erscheine.“ Schiller und das Recht, Frankfurt/Leipzig: Insel 2005. Lt. Alexander Košenina „erhellt ein neuer Quellenfund den spektakulärsten Rechtsfall unserer Literaturgeschichte“: Woyzecks Todesurteil, nach „collegialer Berathung“, in: FAZ vom 28.03.2006. - In der von Thomas Vormbaum herausgegebenen Schriftenreihe „Juristische Zeitgeschichte“ gibt es eine „Abteilung 6“ mit dem Titel „Das Recht in der Kunst“, in der es mehr als ein Dutzend Veröffentlichungen zu dieser Thematik gibt, z.B. Theodor Storm – Dichter und Richter; Recht und Kriminalität im literarischen Widerschein; Kommentare zu Fontanes Unterm Birnbaum oder zu Kleists Michael Kohlhaas usw.

[16] Michel Tournier, Vendredi ou la vie sauvage, Paris: Gallimard (folio junior 30) 1982, hier S. 38-39. Auf kleinere Abweichungen vom ursprünglichen Text und damit auf inhaltliche und sprachliche Vereinfachungen kann hier nicht eingegangen werden ; sie explizit zu thematisieren sei dem Unterrichtenden vorbehalten. – Bei Elisabeth Frenzel, Motive der W eltliteratur, Stuttgart: Kröner 1976, wird man hinsichtlich rechtlicher Themen in der Weltliteratur schnell fündig.

[17] In den Richtlinien für das Fach Geschichte in der gymnasialen Oberstufe von 1982 waren diese Aspekte noch deutlicher vertreten. Da gab es für die schriftliche Abiturprüfung ein Aufgabenbeispiel zur Verfassung der Stadt Straßburg im Mittelalter mit zwei entsprechenden Materialien zum kommunalen Verfassungsrecht, die miteinander verglichen und unter den Aspekten „Demokratisierung“ und „Herrschaftssicherung“ beurteilt werden sollten.

[18] Der Bayerische Schulbuchverlag München hat in den 70er Jahren in seiner Reihe Studienmaterial ein Arbeitsbuch für den Oberstufenunterricht herausgegeben, in dem journalistische, ökonomische, politische, juristische und wissenschaftliche Texte analysiert werden sollen: Rolf Eigenwald (Hg.), Textanalytik, 3. Aufl. 1978. Die Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht veröffentlicht seit 1987 in unregelmäßigen Abständen eine Bausteine für die Unterrichtspraxis genannte Reihe, in der in der Regel eine historische Quelle abgedruckt und interpretiert wird. Diese Bausteine wenden sich vornehmlich an die Fachlehrer der gymnasialen Oberstufe, denen damit für ihre tägliche Arbeit eine große Hilfe angeboten wird. Es fällt bei den rd. 40 mir vorliegenden Quellen (-interpretationen) auf, dass doch etwa ein Viertel von ihnen explizite Rechtstexte sind. Dabei kann es sich z.B. um die Problematik des Mundraubs durch Pferdefüttern am Wegesrand (Sachsenspiegel), um die Völkerbundsatzung, um die 12 Artikel der Bauern, um die Federalist Papers, um das Pariser Vietnamabkommen von 1973, um Frauen in Kölner Kriminalfällen des 16. Jahrhunderts, um die Unabhängigkeitserklärung der USA, um die 1. Haager Friedenskonferenz von 1899, um den Grundvertrag mit der DDR oder um das preußische Edikt über die Judenemanzipation handeln. Der Göttinger Verlag Vandenhoeck und Ruprecht hat in seiner Reihe Historische Texte zum Mittelalter und zur Neuzeit Quellen veröffentlicht, die im wesentlichen juristische Texte sind; dennoch wendet sich diese Reihe explizit an Historiker.

[19] Karl Dietrich Bracher, Stufen der Machtergreifung, Frankfurt: Ullstein 1974; ders., Die deutsche Diktatur, Frankfurt: Ullstein 1979; ders., Die Auflösung der Weimarer Republik, 6.Aufl. Königstein/Düsseldorf 1978; Horst Hildebrandt (Hg.), Die deutschen Verfassungen des 19. und 20. Jahrhunderts, 12. Aufl. Paderborn: Schöningh 1983, S. 69-111; Rudolf Morsey (Hg.), DasErmächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1976; Hans Schneider, Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, in: Gotthard Jasper (Hg.), Von Weimar zu Hitler 1930-1933, Köln 1968, S. 405-442. Dem Unterrichtenden sei als eine Art Schlussresümee zum Thema Nationalsozialismus das Tondokument der Rede empfohlen, die Bracher am 30.1.1983 aus Anlass des 50. Jahrestages der sogenannten Machtergreifung im Bundestag gehalten hat. Bei entsprechender Unterrichtsvorbereitung wird er eine dankbare Zuhörerschaft haben. Leider ist es im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich, alle Aspekte der Einbringung, Beratung und Verabschiedung und der politischen, historischen und verfassungsrechtlichen Bedeutung des Ermächtigungsgesetzes zu beleuchten. Dazu würde auch die Korrektur der zahllosen Fehler gehören, die in der Fach- und fachdidaktischen Literatur oder gelegentlich bei Lehrproben zum Ermächtigungsgesetz (selbst der offizielle Titel dieses Gesetzes wird gelegentlich noch falsch zitiert) zu beobachten sind. Der Verfasser hofft, in einem anderen Zusammenhang die Gesamtproblematik detailliert erörtern zu können. Es versteht sich von selbst, dass neben Inhalt und Bedeutung dieses Gesetzes und der problematischen Verfahrensprozedur bei seiner Einbringung, Lesung und Verabschiedung auch die entsprechenden Redebeiträge und die internen Fraktionsberatungen gehören. Auch die Reichstagsbrandverordnung und die Lex van der Lubbe (Rudolf Beyer (Hg.), Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, Leipzig: Reclam 1939, S. 202) müssten mit einbezogen werden, um mit den Schülern konkret und ganz exakt die verschiedenen Aspekte der Thematik methodisch sauber zu erarbeiten. Dabei muss das Spannungsverhältnis zwischen der weitgehend „korrekt“ scheinenden formalen Rechtsänderung („Legalitätstaktik“) – und dies noch bis zur letzten Verlängerung der Gültigkeit des Ermächtigungsgesetzes am 10. Mai 1943 - und dem tiefen materiellen Verfassungswandel in Richtung Diktatur deutlich werden. Dann könnte – une fois de plus - für Lehrer und Schüler die alte Forderung „Non scholae, sed vitae discimus“ eingelöst werden.

[20] Man darf dabei nur nicht – wie es dem Doyen der Rhetorik Walter Jens bei seiner Analyse von Goethes „Vor Gericht“ in der „Frankfurter Anthologie“ der FAZ vom 28.3.1987 passiert ist – die Protagonistin als „Angeklagte“ eines Strafprozesses ansehen und sie dann in einem allzu gewagten Interpretationsschritt zur „Richterin“ umfunktionieren, ist sie doch ausschließlich Zeugin bei einer gerichtlichen Nachforschung über die Vaterschaft ihres unehelichen Kindes. - Ein zweites genau so wenig empfehlenswertes Beispiel: Bevor der Romanist Jürgen von Stackelberg sich in seinem FAZ-Artikel „Zweierlei Wortlaut. Zur Präambel des europäischen Verfassungsvertrags“ vom 20.10.2004 kritisch zum französischen Text und zur deutschen Übersetzung äußert, hätte er sich zuerst einmal durch die verschiedenen Phasen der Brüsseler Gesetzesmaschinerie durcharbeiten müssen um festzustellen, dass die von ihm zitierte französische Fassung der Präambel gar nicht der Basistext der von ihm monierten deutschen Übersetzung ist: „Zweierlei Wortlaut“ ist dann kein Vorwurf an die Väter der Verfassung, sondern zwangsläufige Folge unzulänglicher Recherchen. – Wenn sich andererseits Juristen auf das literaturwissenschaftliche Feld begeben, ist dies nicht minder riskant. So erhebt Martina Yadel in ihrem Aufsatz Schuld oder Verhängnis? ‚Der Fremde’ und ‚Der Fall’( in: Heinz Robert Schlette / Markwart Herzog (Hg.), „Mein Reich ist von dieser Welt“. Das Menschenbild Albert Camus’, Stuttgart: Kohlhammer 2000, S. 39-70) „vehement Einspruch“ (S. 53) gegen die Interpretation der Reaktion des Protagonisten Meursault aus Albert Camus’ Der Fremde durch Eberhard Schmidhäuser (Vom Verbrechen zur Strafe. Albert Camus’ ‚Der Fremde’. Ein Weg aus der Absurdität menschlichen Daseins, Heidelberg: C.F. Müller Juristischer Verlag 1992) auf das vom Tribunal gegen ihn ausgesprochene Todesurteil: „Eine solche Deutung wie die von Schmidhäuser krankt an der ebenso verbreiteten wie falschen Annahme, bei Camus’ Philosophie der Revolte handele es sich um ein Folgekonzept, mit dem das Denken des Absurden überwunden worden sei.“ (Yadel, a.a.O., S. 54)

[1] Während im Kommentar zur APO-GOSt Acker kurz auf den Sinn der Facharbeit (Förderung der methodischen Selbständigkeit der Schüler) eingeht und praktische Hilfen zusammen mit Verfahrensregelungen anbietet, meint der Kommentar von Böhm/Hahn, dass aufgrund der zitierten Formulierung offen bleibe, „ob je Fach mit schriftlichen Arbeiten oder nur je Schülerin oder Schüler eine Klausur durch eine Facharbeit zu ersetzen ist.“ Im ersten Fall würde dies z.B. bedeuten, dass bei einer Belegung der Leistungskurse Englisch und Deutsch und bei schriftlichen Grundkursen in den Fächern Mathematik, Biologie und Geschichte von dieser Schülerin oder diesem Schüler fünf Facharbeiten zu schreiben wären. Diese eigenwillige, sehr enge Auslegung nach dem Wortlaut der Vorschrift ohne Berücksichtigung der anderen klassischen juristischen Auslegungsmethoden erstaunt und irritiert den Leser, wird doch in derselben Ausgabe des Kommentars von Böhm/Hahn der entsprechende Einführungserlass zu dieser Verordnung (vom 24.11.1998) zitiert, in dem zur Vermeidung jeglichen Missverständnisses in dem Ausdruck „...wird eine Klausur...“ aus dem möglicherweise als unbestimmten Artikel gelesenen Wort „eine“ durch Fettdruck das Zahlwort „eine“ wird. Hätte man „eine Klausur“ pro Fach mit schriftlichen Arbeiten gemeint, wäre diese Ergänzung zur Eindeutigkeit des Textes notwendig gewesen. So zweifeln Böhm/Hahn selbst an ihrer wirklich einmaligen – ich habe sie in der Tat an keiner anderen Stelle auch nur ansatzweise gefunden – These und fahren fort: „Es wird davon ausgegangen, dass es genügt, wenn jede Schülerin und jeder Schüler während der Jahrgangsstufe 12 in einem Fach ihrer oder seiner Wahl eine Facharbeit erstellt.“ Die weitere juristische Kommentierung der zitierten Vorschrift durch Böhm/Hahn braucht hier nicht referiert zu werden; die gesellschaftspolitische und pädagogische Begründung der Einführung der FA zur Förderung des Erwerbs von Schlüsselqualifikationen (kognitive und kommunikative Kompetenzen, Verbreiterung des Basiswissens und Ausbildung der Persönlichkeit) sucht man hier ohnehin vergebens. Vgl. Detlev Acker (Hg.), Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die gymnasiale Oberstufe, 5., überarbeitete Auflage Stuttgart: Kohlhammer/Deutscher Gemeindeverlag 1999; Günter Böhm / Klaus Hahn (Hg.), Verordnung über den Bildungsgang und die Abiturprüfung in der gymnasialen Oberstufe, 6., überarbeitete Auflage Essen: Wingen 2000; Harro Honolka (Hg.), Schlüsselqualifikationen – Das Plus eines universitären Studiums, 1. Aufl. München 2003, S. 7.

[2] Frau Krieger war Schulleiterin am St.-Ursula-Gymnasium von 1983 bis 2000; ich war dort Lehrer von 1971 bis 2004, seit 1989 als stellvertretender Schulleiter.

[3] Exemplarisch seien genannt die Richtlinien und Lehrpläne für Geschichte von 1999, S. 92 ff., und für Französisch von 1999, S. 101 ff., beide erschienen im Ritterbach-Verlag in Frechen.

[4] Eine andere methodische Schwäche von Facharbeiten ist die zu weite Themenstellung, die oft dazu führt, dass umfangreiches Sekundärmaterial und Informationen im Internet existieren, die der Schüler aufarbeiten und resümieren zu müssen glaubt. So werden der Nachweis der Selbständigkeit und das Erreichen der Anforderungsbereiche II und III vernachlässigt bzw. nur begrenzt überprüfbar.

Bei der Aufgabenstellung für Klausuren tragen die Richtlinien für Geschichte einen interessanten Gedanken vor: „Möglich sind auch Interpretationen von Quellentexten, die in der ersten oder zweiten Fremdsprache der Schüler und Schülerinnen abgefasst sind. Der fremdsprachlichen Textvorlage muss dann aber eine Übersetzung beigegeben werden.“ (a.a.O., S. 92) Dies halte ich weniger bei Klausuren als gerade bei Facharbeiten für eine sinnvolle Aufgabenstellung, zumal dann die entsprechende Übersetzung der Quelle ins Deutsche eine eigenständige Schülerleistung – neben ihrer Interpretation – sein könnte. Im Ansatz habe ich ein solches Denkmodell in den ersten Teilen meines Aufsatzes Der Heerdter Hof unter’m Hammer, in: Bürgerverein Heerdt (Hg.), Heerdt im Wandel der Zeit VI, Düsseldorf 2005, S.102-112 vorgestellt: Dort geht es um eine in französischer Sprache abgefasste Urkunde und um ihre Übersetzung, historische Einordnung und Interpretation; methodologische Überlegungen nehmen explizit einen auf das Zielpublikum ausgerichteten breiten Raum ein.

[5] Empfehlungen und Hinweise zur Facharbeit in der gymnasialen Oberstufe, hg. vom Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, 1. Aufl. Soest 1999; Gottfried Strobl / Jörn Stückrath, Hinführung zur Facharbeit, in: Förderung selbständigen Lernens in der gymnasialen Oberstufe, hg. vom Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, 1. Aufl. Soest 2000, S. 120-133. Die Zeitschrift Der fremdsprachliche Unterricht / Französisch hat sich z.B. in den Heften 2 und 3-4 des Jahres 2003 in einer neu geschaffenen Rubrik „Extra Facharbeit“ dieser Thematik angenommen. Zuerst (Heft 2) schreibt Klaus Sturm über „Facharbeit à la bavaroise – ein persönlicher Bericht aus der Unterrichtspraxis“, und danach (Heft 3-4) gibt Wolfgang Pohl Tipps zur „Internetrecherche für die Facharbeit Französisch“.

[6] Neben Kopien aus den zitierten Soester Empfehlungen, die die nicht zu unterschätzenden „formalen Vorgaben“ und die Hinweise zum „Umgang mit neuen Medien“ betreffen, erhielten die Schüler noch zwei wichtige Literaturempfehlungen: Werner Braukmann, Die Facharbeit für alle Fächer, 1. Aufl. Berlin: Cornelsen Scriptor 2001; Jürg Niederhauser, Die schriftliche Arbeit – Ein Leitfaden zum Schreiben von Fach-, Seminar- und Abschlussarbeiten in der Schule und beim Studium, 3., völlig neu erarbeitete Aufl. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: Duden o.J. Inzwischen liegt auch Thomas Möbius, Die Facharbeit, 1. Aufl. Hollfeld: Bange 2001 vor .– Das von mir für die Schüler erarbeitete Papier „Thema Facharbeit“, das ich in den entsprechenden Informationsveranstaltungen vorgetragen und erläutert habe, wurde freundlicherweise von der von Herrn Jägers geleiteten Internet-AG ins Netz gestellt. Im übrigen hatten Schülerinnen und Schüler der JgSt 11 und 12 im Schuljahr 2003/2004 Gelegenheit, an meiner AG „Einführung in die wissenschaftliche Arbeit am Beispiel der Facharbeit“ teilzunehmen.

Ende der Leseprobe aus 77 Seiten

Details

Titel
Schule im Rückspiegel
Autor
Jahr
2010
Seiten
77
Katalognummer
V159655
ISBN (eBook)
9783640735624
ISBN (Buch)
9783656207764
Dateigröße
872 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schule, Rückspiegel
Arbeit zitieren
Klaus Bahners (Autor:in), 2010, Schule im Rückspiegel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/159655

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Schule im Rückspiegel



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden