Die Gesundheitreform unter Präsident Obama und ihre Auswirkungen auf das System der Krankenversorgung


Bachelor Thesis, 2010

85 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhalt

1 Gesundheit als Privileg oder als zu schutzendes Gut?

2 Charakteristik des US-Gesundheitswesens
2.1 Moglichkeiten der Krankenversicherung
2.1.1 Staatliche Krankenversicherungsprogramme
2.1.1.1 Medicare
2.1.1.2 Medicaid und S-CHIP
2.1.1.3 EMTALA Notfallversorgung
2.1.2 Private Krankenversicherungsprogramme
2.1.2.1 Versicherung uber den Arbeitgeber
2.1.2.2 Individualversicherung (Indemnity insurance)
2.1.2.3 Managed Care Organizations (MCO)

3 Strukturprobleme im US-Gesundheitswesen
3.1 Keine Versicherungspflicht - hohe Anzahl Nicht-und Unterversicherter
3.1.1 Risikoselektion und „Cherry Picking" - zur Problematik der Vorerkrankungen (pre-existing-conditions)
3.2 Ausgabenexpansion - teuerstes Gesundheitswesen der Welt
3.2.1 Kostentreibende Faktoren
3.3 Qualitatsdefizite des US-Gesundheitswesen
3.3.1 Ineffizienz mangels koordinierter Versorgung
3.4 Starken des amerikanischen Gesundheitssystems
3.5 Zwischenfazit

4 Die Gesundheitsreform unter President Obama
4.1 Das Reformkonzept von Obama
4.2 Die Gesundheitsreform in der Offentlichkeit
4.3 Der Reformprozess im Kongress
4.4 Wichtige beschlossene Anderungen
4.4.1 Anderungen, die ab 2010 greifen
4.4.2 Anderungen, die ab 2011-2014 greifen
4.4.3 Anderungen, die ab 2014 gelten
4.4.4 Anderungen, die ab 2018 gelten
4.5 Wichtige nicht beschlossene Anderungen
4.6 Finanzierung der Reform

5 Auswirkungen der Gesundheitsreform
5.1 Verringerung der Nichtversicherten
5.2 Auswirkungen auf die Krankenversorgung
5.2.1 Finanzielle Entlastung der Geringverdiener und „working poor"
5.2.2 Starkung der Rechte chronisch Kranker und Personen mit pre-existing conditions
5.2.3 Deckelung der Eigenbeteiligung - Auswirkungen der Gesundheitsreform auf die Unterversicherten
5.2.4 Gunstigere Versicherungsbeitrage und Starkung der Patientenrechte Auswirkungen der Gesundheitsreform auf Kinder, junge Erwachsene und Familien
5.2.5 Schlie&ung von Versorgungslucken und Regulierung der Versicherungsbeitrage - Auswirkungen der Gesundheitsreform auf altere Versicherte und Rentner
5.3 Unzureichende Ma&nahmen zur Reduktion der Gesundheitsausgaben Auswirkung der Gesundheitsreform auf die Kostenentwicklung
5.4 Gute Ansatze zur Qualitatsverbesserung - Auswirkungen der Gesundheitsreform auf die Qualitat
5.5 Gewinner und Verlierer der Gesundheitsreform
5.5.1 „Gewinner" der Gesundheitsreform
5.5.2 „Verlierer" der Gesundheitsreform
5.5.3 Gewinner oder Verlierer? Der amerikanische Staat
5.6 Zusammenfassende Beurteilung der Auswirkungen auf die Krankenversorgung

6 Historische Gesundheitsreform, die nicht alle Probleme des US Gesundheit als Privileg oder als zu schutzendes Gut?

Abkürzungsverzeichnis

Quellenverzeichnis

1 Gesundheit als Privileg oder als zu schutzendes Gut?

„I am not the first President to take up this cause, but I am determined to be the last”,1 sagte US-Prasident Barack Obama in seiner Rede vom 9. September 2009 vor dem amerikanischen Kongress.

Mit dieser Ausfuhrung wurde nicht nur die historische Tragweite der Initiative zur Reformierung des amerikanischen Gesundheitswesen deutlich, sondern auch das Engagement und die Zu- versicht, mit dem Obama seine Reformvorhaben vorantrieb.

Die Gesundheitsreform war Obamas wichtigstes innenpolitisches Projekt. Schon im Wahlkampf zur Prasidentschaftswahl im Jahre 2009, stand die Gesundheitsreform ganz oben auf der politi schen Agenda Obamas.2

Dabei ist die Liste der US-Prasidenten, die fur eine Reformierung des amerikanischen Gesund- heitswesens pladierten, uberaus lang. Nahezu jeder demokratische US-Prasident hat sich in der Vergangenheit dieser Herausforderung gestellt.3

Fast 75 Jahre ist es her, als US-Prasident Theodore Roosevelt, erstmals zu einer umfassenden Reformierung des Gesundheitssystems aufrief.4 Im Jahre 1945 griff Harry S. Truman diesen Vorschlag auf und legte einen detaillierten Plan zur Reformierung des US-Gesundheitssytems vor.5

Der letzte Prasident, der sich an einer umfassenden Reformierung des Gesundheitswesens versuchte, war Bill Clinton im Jahre 1993/94. Zusammen mit seiner Frau Hillary arbeitete er einen uber 2.000 seitig umfassenden Reformentwurf aus. Dabei wurden weder Pharmakonzer- ne, noch die Versicherungsbranche oder Kongressabgeordnete mit einbezogen. Das erwies sich als folgenschwerer Fehler. Clinton verlor den Kampf um die Gesundheitsreform und oben- drein noch die Wahlen zum Reprasentantenhaus.6

Beherrscht wird diese seit Jahrzenten gefuhrte Debatte von einer ideologischen, moralischen und ordnungspolitischen Grundsatzrage: Ist es Aufgabe des Staates, eine adaquate und er- schwingliche Krankenversorgung fur seine Burger sicherzustellen?

Grofttenteils herrscht in den USA die Uberzeugung vor, dass jeder Burger fur seine eigene Vor- sorge verantwortlich ist. Gesundheit und Krankenversicherungsschutz wird als eine Ware unter vielen begriffen. Staatliche Eingriffe und somit eine Einmischung in das Selbstbestimmungs- recht der Burger, werden in der Regel mit Skepsis betrachtet.7

Wahrend Gesundheit und Krankenbehandlung in Deutschland im Gesetz verankert sind8, gibt es in den Vereinigten Staaten von Amerika kein Recht auf eine Krankenbehandlung. Viel- mehr wird es als ein Privileg angesehen, das nicht alien Menschen vorbehalten ist.9

Ein Gesundheitssystem soll nicht nur durch effizientes Wirtschaften einen Nutzen erzeugen. Es soll auch dafur sorgen, dass die Verteilung dieses Nutzens von der Bevolkerung als gerecht empfunden wird.10

Als Grundlage fur die Organisation und Finanzierung von Gesundheitssystemen werden oft zwei gegensatzliche Grundpositionen verwendet, die vereinfacht als die egalitare Position und die libertare Position bezeichnet werden.11

Kernpunkt des egalitaren Standpunktes ist, dass allen Burgern unabhangig von ihrer Zahlungs- willigkeit und -fahigkeit eine von der Gesellschaft akzeptierte medizinische Versorgung garan- tiert werden soll. Dabei wird die medizinische Versorgung von der gesamten Gesellschaft finan- ziert.

Im Gegensatz zur egalitaren Position betont die libertare Position das eigenverantwortliche Handeln, in Abhangigkeit der Zahlungswilligkeit und -fahigkeit des Einzelnen. Charakteristisch fur ein solches System ist, dass wirtschaftlich Schwachere oft benachteiligt werden.12

Bei der Ausgestaltung von Gesundheitssystemen hat sich in Europa mehrheitlich die egalitare Position durchgesetzt. Jahrelang wurde dem Aspekt der Gerechtigkeit ein hoherer Stellenwert eingeraumt als jenem der Effizienz und Effektivitat. Erst unter dem Druck rapider wachsender Gesundheitsausgaben, wurde sich mit der Frage beschaftigt, wie effizient die medizinische Versorgung im jeweiligen Land ist.

Wahrend Vertreter der egalitaren Position die Losung in der Ubernahme als offentliche Auf- gabe sahen, die durch eine Starkung staatlicher Kompetenzen im Rahmen eines planwirt- schaftlich organisierten Gesundheitssystems erreicht werden sollten, sahen Vertreter der liber- taren Position den Schlussel zur Losung dieses Problems im Spiel der Marktkrafte. Nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten sollte das „Gut Gesundheit“ in die Hande des Einzelnen gelegt werden, der seine Entscheidungen und die damit verbundenen finanziellen Konsequen zen selbst zu verantworten hat.13

Das Gesundheitssystem der USA ist nach den vorgenannten libertaren Gesichtspunkten aufge- baut. Die USA haben im Vergleich zu anderen Nationen der ersten Welt14 keine staatliche Krankenversicherung fur alle Burger, wie es beispielsweise in Deutschland oder Groftbritannien der Fall ist. Vielmehr wird Gesundheit als private Sache betrachtet und der Gesundheitsmarkt als Markt wie jeder andere angesehen15. Das spiegelt auch die Tatsache wider, dass private Anbieter von Gesundheitsleistungen den Markt pragen. Solche privaten Anbieter verfolgen, wie auch andere kapitalistische Groftunternehmen, als oberstes Ziel, Gewinne zu erwirtschaften.16

Am 23. Marz 2010 kam es unter dem 44. Prasident der Vereinigten Staaten, Barack Obama zu einer Gesundheitsreform, die im Allgemeinen als die umfassendste Sozialreform seit uber 45 Jahren gilt.17

Im Zusammenhang mit der verabschiedeten Gesundheitsreform eroffnen sich jedoch auch grundlegende Fragen. Mit welchen Bestimmungen wird versucht, die Kernprobleme des ameri- kanischen Gesundheitssystems einzudammen? Sind diese Bestimmungen uberhaupt geeignet, die Probleme im amerikanischen Gesundheitswesen nachhaltig zu losen? Mit welchen Proble- men hat sich das amerikanische Gesundheitssystem uberhaupt auseinanderzusetzen? Wie beeinflusst die Gesundheitsreform unter Obama die Krankenversorgung in den USA? Welche Auswirkungen hat die Gesundheitsreform auf die verschiedenen Bevolkerungsgruppen? Wer profitiert von der Gesundheitsreform?

Mit diesen Fragen setzt sich die vorliegende Arbeit auseinander. Da es sich bei dieser Thematik um ein aktuelles Thema handelt, wird uberwiegend auf Quellen zuruckgegriffen, die sich vor- wiegend auf das Internet und aktuelle Tageszeitungen stutzen. Dabei stehen die Auswirkungen der Gesundheitsreform auf die Krankenversorgung im Vordergrund der Untersuchung. Unter- stutzend wird der politische Werdegang der Reform dargestellt.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel. Um den Reformprozess und die Plane Obamas besser einordnen zu konnen, erfolgt zunachst ein Uberblick uber das Gesundheitssys­tem der Vereinigten Staaten (Kapitel 2). Zur Notwendigkeit einer Gesundheitsreform erfolgen Erlauterungen im dritten Kapitel, bezuglich der Kernprobleme des amerikanischen Gesund- heitswesens. Hier werden wichtige Grundlagen fur das Gesamtverstandnis gegeben. Das vierte Kapitel befasst sich explizit mit der Gesundheitsreform unter Prasident Obama. Dabei wird auf das Zustandekommen der Reform und auf die wichtigsten beschlossenen Bestimmungen ein- gegangen.

Der zentrale Schwerpunkt der Auswirkungen der Reformbestimmungen auf die Krankenversor­gung, ist Gegenstand des funften Kapitels. Hier werden die Bestimmungen der Gesundheitsre- form und ihre Auswirkungen auf die Hauptprobleme des US-Gesundheitssystems untersucht. Im Anschluss daran wird anhand einzelner Bevolkerungsgruppen dargestellt, inwieweit sich die beschlossenen Anderungen auf deren Krankenversorgung auswirken. Nachfolgend werden die Profiteure und Verlierer der Reform benannt. Im Rahmen dieser Untersuchung wird die Gesundheitsreform unter Obama kritisch betrachtet.

Im sechsten und letzten Kapitel dieser Untersuchung werden die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst und es wird ein Fazit gezogen.

2 Charakteristik des US-Gesundheitswesens

Im Folgenden wird ein knapper Uberblick uber das US Gesundheitswesen, wie es gegenwartig existiert, gegeben.

Es werden die wichtigsten offentlichen und privaten Versicherungsprogramme beschrieben. In diesem Rahmen wird auch auf die Versicherungsoptionen eingegangen, die Burger der Verei- nigten Staaten haben, um Krankenversicherungsschutz zu erlangen. Da in diesem Zusammen- hang des Ofteren Managed Care Konzepte thematisiert werden, wird zum Ende des Kapitels auf die beiden wichtigsten Modelle von Managed Care Organisationen eingegangen.

2.1 Moglichkeiten der Krankenversicherung

Prinzipiell gibt es fur einen Burger der Vereinigten Staaten drei Wege, um Krankenversiche­rungsschutz zu erhalten. Zum einen uber die von Prasident Johnson, im Rahmen des "Social Security Act", eingefuhrten staatlichen Gesundheitsprogramme Medicare, (s. 2.1.1) und Medicaid (s. 2.1.2), im Jahre 1965.18

Zum anderen erhalt der Groftteil der Bevolkerung Versicherungsschutz uber den Arbeitgeber (employer sponsored insurance). Mehr als 159 Mio. Burger, was rund 53% der Gesamtbevolke- rung entspricht, waren im Jahre 2008 uber Ihren Arbeitgeber versichert19 Die besondere Attrak- tivitat dieses Modells begrundet sich vor allem durch die steuerliche Abzugsfahigkeit der Beitra ge, sowohl bei dem jeweiligen Unternehmen als auch bei den Arbeitnehmern.20

Burger, die weder in eines der beiden staatlichen Versicherungsprogramme fallen noch Versi­cherungsschutz uber den Arbeitgeber erhalten, konnen sich freiwillig bei einer privaten Kran­kenversicherung versichern (indemnity insurance)21. Es ist jedoch niemand gezwungen, sich privat gegen Krankheit zu versichern. In diesem Fall tragt der Einzelne das finanzielle Risiko der Kosten fur die Gesundheitsversorgung (out-of-pocket-payment).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Verteilung der verschiedenen Krankenversicherungsformen auf die Bevol- kerung der Vereinigten Staaten22

2.1.1 Staatliche Krankenversicherungsprogramme

Medicare und Medicaid bilden zusammen die beiden gro&en Teilsysteme der offentlichen Kran­kenversicherung.

Uber ein Viertel der US-Bevolkerung fallt in eines dieser Programme. Beide Programme waren im Laufe der Jahre, einer Vielzahl von Reformen unterworfen, um vor allem den Zugang zur Gesundheitsversorgung fur Rentner, Behinderte und Benachteiligte zu verbessern.23 Haupt- sachlich unterscheiden sich diese beiden Programme hinsichtlich ihrer Zielgruppe, sowie dem Grad der Organisation.24

Daneben existieren noch weitere staatliche Versicherungsprogramme wie State Children's Health Insurance Program (S-Chip) fur Kinder, sowie Veterans Administration (VA) fur Kriegs- veteranen25.

2.1.1.1 Medicare

Nach jahrelangen Diskussionen konnte sich in diesem Jahr die Idee einer obligatorischen Kran- kenversicherung, fur die gesamte Bevolkerung, durchsetzen. Entgegen der allgemeinen An- nahmen besteht eine solche schon seit 1965 mit Medicare, allerdings ausschlieftlich fur die Rentner.

Medicare ist ein von der Regierung initiiertes Versicherungsprogramm fur alle Amerikaner ab dem 65. Lebensjahr. Ferner erstreckt sich der Versicherungsschutz auch auf jungere Burger mit einer anerkannten Behinderung26 sowie Personen mit akutem Nierenversagen.27 Insgesamt sind ca. 45 Mio. Amerikaner, darunter 6 Mio. Behinderte, uber Medicare versichert.28

Fur die Koordinierung und Steuerung ist das Center for Medicare and Medicaid Services (CMS) zustandig. Mit einem Jahresbudget in Hohe von 800 Milliarden US-Dollar ist diese staatliche Behorde der groftte Nachfrager nach Gesundheitsleistungen in den Vereinigten Staaten.29

Bis 2003 erstreckte sich der Leistungsumfang von Medicare auf zwei Hauptbereiche: Hospital insurance, auch Medicare Part A genannt sowie Supplementary Insurance, Medicare Part B. Inzwischen gliedert sich Medicare in folgende vier Bereiche:30

- Hospital Insurance (Part A)
- Supplementary Insurance (Part B)
- Medicare Advantage Plan (Part C)
- Medicare Prescription Drug (Part D)

Medicare Part A umfasst die stationare Versorgung in Kliniken, die anschlieftende Krankenpfle- ge in Pflegeheimen sowie Hospizdienste.

Finanziert wird Medicare Part A zum groftten Teil aus Lohnsteuern, die paritatisch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt werden. Es handelt es sich hierbei um eine Sozialver- sicherung, da der Beitrag vom Gehalt einbehalten wird.31

In der Regel zahlen Personen dieser Versicherungsform keine zusatzliche monatliche Pramie. Das setzt allerdings voraus, dass die jeweilige Person (oder ihr Ehepartner) Medicare Steuern, wahrend der Erwerbstatigkeit, gezahlt hat. Anderenfalls kann die Versicherung auch kauflich erworben werden.32

Bei Medicare Part B (Supplementary Insurance), handelt es sich um eine freiwillige Zusatzver- sicherung, die fur die ambulante Behandlung aufkommt und einige preventive Leistungen, wie Darmkrebs-Screening, miteinschlieftt.33

Die Kosten fur diese freiwillige Versicherung beliefen sich fur den Versicherungsnehmer im Jahre 2009 auf $135 pro Jahr, wobei die Versicherung 80% der anfallenden Behandlungskos- ten abdeckt. 20% der Behandlungskosten tragt der Versicherte selbst.34

Im Rahmen des Medicare Modernization Act of 2003, unter der damaligen Bush Administration, kam es zu einer Reform des Medicare Programms. Demzufolge wurde Medicare um das "Medicare Advantage Program" (Part C) sowie Medicare Prescription Drug Coverage (Part D) erweitert.35

Beim Medicare Advantage Plan konnen Versicherte, die Leistungen uber Medicare Part A und Medicare Part B beziehen entscheiden, ob sie ihre Versicherungsleistungen uber koordinierte Versorgungsplane erhalten wollen. Diese koordinierte Versorgung wird durch private Managed Care Organisationen (s. Kapitel 2.1.2.3) gesteuert.36 Die Hohe der monatlichen Pramie hangt von der Wahl des Versorgungsplans ab. Wobei, bei gleicher Pramie, zusatzliche Leistungen den ublichen Leistungsumfang erweitern oder sonst ubliche Zuzahlungen wegfallen konnen.37

Mit dem Medicare Modernization Act of 2003, konnen seit Anfang 2006 rezeptpflichtige Medi- kamente uber das Programm Medicare Prescription Drug (Part D) bezogen werden.38 Auch hierbei handelt es sich um eine freiwillige Zusatzversicherung, die anfallende Kosten fur verschreibungspflichtige Medikamente, gegen die Zahlung einer monatlichen Pramie uber- nimmt.

Da weder Medicare Part A noch Medicare Part B Kosten fur verschreibungspflichtige Medika­mente ubernehmen, galt diese Tatsache als besonders diskussionswurdig. "Angesichts der hohen und stetig steigenden Arzneimittelpreise in den USA war die enorme Belastung der Rentner ein gro&es Thema".39

Der damalige Prasident Bush hatte seinerzeit die Prasidentschaftswahl 2000 u.a. wegen seines Versprechens gewonnen die Rentner von den hohen Medikamentenausgaben zu entlasten. Zudem hatte der Wahlkampf fur die Prasidentschaftswahlen 2004 schon begonnen. Vor dem Hintergrund, dass jeder vierte Wahlberechtigte ein Rentner ist war der Handlungsdruck fur Bush, diese Versorgungslucke zu schlieften, relativ groft. 40

Diese Zusatzversicherung wird aufterhalb von Medicare angeboten und kann nur von privaten Versicherungsgesellschaften bezogen werden. Fur das Jahr 2010 belaufen sich die Pramien im Schnitt auf $39 pro Monat je Versicherungsnehmer. Zusatzlich fallen Selbstbeteiligungen an, die sich je nach Hohe der jahrlichen Gesamtkosten fur Arzneimittel berechnen.41

In der Offentlichkeit wird Medicare Part D kontrovers diskutiert, da jene Senioren von der Selbstbeteiligungsregelung am starksten profitieren die entweder, nur maftige oder extrem hohe Arzneimittelausgaben haben. Hinsichtlich der Absicherung mittlerer Arzneimittelausgaben klafft dagegen eine Versorgungslucke, die im Volksmund als "doughnut- hole"42 bezeichnet wird. Des Weiteren sind die Selbstbeteiligungen der Senioren, fur Arzneimittel, unbegrenzt.43

Insbesondere fur chronisch Kranke ist diese Versorgungslucke ein wirkliches Problem, da sie in besonders hohem Mafte auf Medikamente angewiesen sind.

2.1.1.2 Medicaid und S-CHIP

Das seit 1966 bestehende Gesundheitsprogramm Medicaid kommt fur Kosten der medizini- schen Versorgung fur die „armen“ Teile der Bevolkerung auf. Das Programm wird dual finan- ziert, einerseits durch Subventionen der Bundesregierung und andererseits aus Geldmitteln der Bundesstaaten. Weitestgehend stammen die Mittel aus Steuergeldern.44

Im Gegensatz zu Medicare, ist Medicaid dezentral organisiert. Den einzelnen Bundesstaaten ist es grofttenteils selbst uberlassen, wer leistungsberechtigt und wie die Versorgung gestaltet ist.

Generell richtet sich das Programm aber an folgende Zielgruppen:45

- Familien mit Kindern, die unter der Armutsgrenze46 leben
- Familien mit Kindern unter 6 Jahren, sowie Schwangere deren Einkommen 33% uber der Armutsgrenze liegt sowie
- spezielle Personengruppen, z.B. Blinde.

Das Kriterium Armut allein, qualifiziert also nicht dazu, dass Personen unter Medicaid fallen. Uberdies mussen auch andere sozialpolitische Kriterien erfullt sein, um zugangsberechtigt zu sein.47

Die Organisation der Medicaid Programme differiert in den verschiedenen Bundesstaaten. Eini- ge Staaten beauftragen beispielsweise private Versicherungsunternehmen, die im Rahmen von Managed Care, (s Kapitel 2.1.2.3) die Umsetzung ubernehmen.48 Der Leistungsumfang er- streckt sich u.a. auf die ambulante und stationare Behandlung, Labor- und Rontgenuntersu- chungen, Vorsorgeuntersuchungen, medizinische Versorgung fur Schwangere und Vorsorgeun- tersuchungen fur Personen unter 21 Jahren.49

Im Gegensatz zu Medicare oder privaten Versicherungsprogrammen ist die Vergutung der Leis- tungserbringer bei Medicaid niedriger. Aufgrund dieser Tatsache sind Medicaid Versicherte nicht besonders beliebt bei den Arzten. Beispielsweise wurde im Jahre 2001 eine Arzt Konsulta- tion im Bundesstaat Kalifornien fur Medicare Patienten mit $ 55 vergutet. Im Vergleich dazu wurden fur Medicaid Patienten durchschnittlich $24 gezahlt. Das geht sogar so weit, dass man che Leistungserbringer die Behandlung Medicaid Versicherter verweigern.50

Der Versicherungsschutz wurde durch S-CHIP im Jahre 1997 erweitert. S-CHIP sollte Familien mit Kindern absichern, deren Einkommen zu hoch war um unter das Medicaid Programm zu fallen, allerdings zu niedrig um sich eine private Krankenversicherung leisten zu konnen. In dem policy paper vom Congressional Budget Office (CBO) heiftt es: “States have considerable flex­ibility in designing their eligibility requirements and policies for S-CHIP“51

So wurde die Ausgestaltung dieses Programms den Bundesstaaten uberlassen. Die meisten Staaten erweiterten den Personenkreis der zu versichernden Kinder, indem Sie die Zugangsvo- raussetzung, ausgehend von dem Einkommen der Familien, welches 33% uber der Armuts- grenze lag, um 75% erhohten. Somit fielen Familien mit Kindern unter S-Chip, die das Doppel- te an Einkommen der Armutsgrenze zur Verfugung hatten.52

Unter strikten Regierungsauflagen wurde der Kreis versicherbarer Kinder somit erweitert. 6,7 Mio. Kinder und 670.000 Erwachsene waren im Jahre 2006 zusatzlich uber S-CHIP versi- chert.53

Circa 6,5 Mio. Burger sind gleichzeitig Mitglieder in Medicaid als auch in Medicare, da sie die Voraussetzungen fur beide Programme erfullen.54 Im Jahre 2008 waren ca.42 Mio.55 Personen bei Medicare versichert.

2.1.1.3 EMTALA Notfallversorgung

1986 wurde der Emergency Medical Treatment and Labor Act (EMTALA) verabschiedet. Dem- nach sind alle Krankenhauser, die Medicare oder Medicaid Patienten behandeln gesetzlich verpflichtet, Unversicherte kostenlos zu behandeln. Da es sich faktisch kein Krankenhaus leis ten kann, Medicare-bzw. Medicaid Patienten nicht zu behandeln, gilt diese Regelung fur nahezu alle Spitaler. Bei Gesundheitsproblemen, die (noch) nicht die Stufe eines medizinischen Notfalls erreichen, durfen solche Patienten aber abgewiesen werden. Laut EMTALA Gesetz ist ein Not- fall, durch akute, sehr schwerwiegende Symptome gekennzeichnet, die ohne medizinische Be- handlung eine ernste Beeintrachtigung korperlicher Funktionen oder Organe erwarten lassen. Darunter fallen auch Geburten.56

Mehr als die Halfte aller Patienten, die in der Notfallambulanz (Emergency Room) behandelt werden, fallen unter EMTALA und werden de facto nicht vergutet.57

Das Krankenhaus kann aber die Aufwendungen fur EMTALA Patienten als Spenden steuerlich geltend machen. Allerdings steht die Steuergutschrift als indirekte Entlohnung in keinem Ver- haltnis zu den tatsachlich entstandenen Kosten der Versorgung. 58

2.1.2 Private Krankenversicherungsprogramme

Im Jahre 2008 empfing mit knapp 60% der groftte Teil der US-Bevolkerung Krankenversiche- rungsschutz uber eine private Krankenversicherung.59 Nachfolgend wird auf die beiden Haupt- strange privater Versicherungsprogramme eingegangen. Die privaten Versicherungen teilen sich in die Versicherung uber den Arbeitgeber und die individuelle private Versicherung auf. Um diese besser zu verstehen, wird im Anschluss daran, auf die dafur eingesetzten Managed Care Programme eingegangen.

2.1.2.1 Versicherung uber den Arbeitgeber

Die meisten Burger der USA erhalten Krankenversicherungsschutz uber ihren Arbeitgeber. Fast 54% der Amerikaner waren im Jahr 2008 uber den Arbeitgeber versichert.60 Somit ist die Versicherung uber den Arbeitsplatz die zentrale Saule der Krankenversicherung in den USA. Es handelt sich hierbei um eine freiwillige Sozialleistung des Arbeitgebers, die keinen obligatorischen Charakter hat und per Gesetz nicht vorgeschrieben ist.61

Die besondere Attraktivitat dieses Modells ist in den zum Teil erheblichen steuerlichen Anreizen fur Arbeitgeber als auch fur Arbeitnehmer begrundet.62 Fast alle Arbeitgeber mit 200 oder mehr Angestellten stellen diese Art des Krankenversicherungsschutzes zur Verfugung.63

In der Regel kommt es zu einer Aufteilung der Krankenversicherungspramie zwischen Arbeit- geber und Arbeitnehmer, wobei der Arbeitgeber mit rund 83% der Versicherungspramie fur seine Angestellte sowie mit 73% fur die Familienmitglieder des Angestellten, den "Lowenanteil" der Pramie tragt. Die restliche Pramie wird vom Arbeitnehmer finanziert.

2009 betrug die durchschnittliche jahrliche Pramie $4.824 je Versicherungsnehmer, wobei der Angestellte $1.302 bezahlte. Fur eine Familie betrugen die Kosten im Jahr $13.375, wovon der Arbeitnehmer $3.611getragen hat.64 In den vergangenen Jahren konnte allerdings beobachtet werden, dass der vom Arbeitnehmer zu tragende Anteil kontinuierlich erhoht wurde sowie die Versicherungspramien drastischen Beitragssteigerungen unterworfen waren. "Since 1999, average premiums for family coverage have increased 131%"65

Vor allem groftere Unternehmen konnen aufgrund hoher Mitarbeiterzahlen Krankenversiche- rungs-Gruppen-Vertrage zu vergunstigten Konditionen abschlieften. Dazu kommt, dass bedingt durch diese Risikopoolbildung eine weniger strenge individuelle Risikoselektion (s. Kapitel 3.1.1 „pre-existing-conditions) stattfindet, da die Unternehmen fur eine Vielzahl von Versicherten ver- handeln. So handelt beispielsweise der Konzern General Electric, zusammen mit anderen In- dustriekonzernen, fur insgesamt 5 Mio. Beschaftigte Versicherungsleistungen aus. Durch diese Steigerung der Marktmacht gegenuber Anbietern von Gesundheitsleistungen, hat General Electric erheblichen Einfluss auf Qualitat und Preise der Versorgungsleistungen.66

Dieses "Druckmittel" gegenuber Anbietern von Gesundheitsleistungen haben kleinere Unter­nehmen weniger, so dass die Pramien haufig erheblich teurer sind als bei Groftunternehmen. So verwundert es nicht, dass im Jahre 2007, 41% der Kleinunternehmen67 ihren Angestellten keinen Krankenversicherungsschutz anboten. Daruber hinaus variiert der Leistungsumfang der Versicherung, je nach Typ der Krankenversicherung, da in den USA kein verbindlicher Leis- tungskatalog existiert.68

Als Versicherungstrager treten oftmals Managed Care Organizations (MCOs) wie beispielswei­se die Health Maintanance Organizations (HMOs) oder auch Preferred Provider Organizations (PPOs) auf. Versicherungstarife dieser Modelle sind zum Teil erheblich gunstiger als herkomm- liche private Versicherungen, bieten allerdings dafur einen eingeschrankten Leistungsumfang.69

Bei einem Verlust des Arbeitsplatzes erlischt in der Regel auch der Krankenversicherungs­schutz. Zwar hat der Versicherte die Option bei Verlust des Arbeitsplatzes unter bestimmten Voraussetzungen sich bis zu 18 Monate uber seinen bisherigen Arbeitgeber weiter versichern zu lassen, er muss jedoch dann die gesamte Pramie zzgl. einer Verwaltungsgebuhr von 2% ubernehmen. Die meisten Arbeitslosen konnen sich diese Art der Fortfuhrung der Krankenver- sicherung nicht leisten. 70

Ferner besteht noch die Moglichkeit, nach einer Bedurftigkeitsprufung, eines der staatlichen Versicherungsprogramme in Anspruch zu nehmen, sich individuell privat zu versichern oder komplett auf Krankenversicherungsschutz zu verzichten.

2.1.2.2 Individualversicherung (Indemnity insurance)

Im Jahre 2008 waren 15 Mio. Burger der USA bei einer privaten Krankenversicherung versi- chert.71 Der Versicherte bezahlt monatlich einen Beitrag an das Versicherungsunternehmen. Die Hohe des Beitrages wird aus dem Alter des Versicherten, dem Geschlecht, der bestehen- den Vorerkrankungen (pre-existing-conditions), der Region sowie dem Leistungsumfang be- stimmt. Im Gegenzug ubernimmt der Versicherer das Risiko bei einem Versicherungsfall fur die Behandlungskosten aufzukommen. Dieses Risiko kann allerdings durch Entschadigungsgren zen, Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen begrenzt werden.72

Dabei kann der Burger unter einem vielfaltigen Angebot unterschiedlichster Versicherungstypen wahlen, die sich vor allem bei der Hohe der Versicherungspramie, dem Leistungsumfang und der Flexibilitat der Leistungsinanspruchnahme unterscheiden. Allerdings konnen sich die meis ten Burger ohne Arbeitgeberzuschuss keine private Krankenversicherung leisten.73

Beispielsweise hatte eine Frau im Bundesstaat Colorado bei einem angenommenen Jahresein- kommen in Hohe von $30.000, Anspruch auf $1.385 Arbeitslosengeld pro Monat. Eine Kran­kenversicherung wurde pro Monat durchschnittlich $1.078 fur sie und ihre Kinder oder $400 fur sie allein kosten.74

Unter diesem wachsenden Kostendruck waren alle Zahler im amerikanischen Gesundheitswe- sen gezwungen nach kostengunstigeren Versicherungsprogrammen zu suchen. Die anhaltende Kostenexplosion begunstigte die Entstehung von Managed Care Organisationen.

2.1.2.3 Managed Care Organizations (MCO)

Seit den achtziger Jahren ist in den USA die Einfuhrung neuartiger Versicherungsmodelle zu beobachten, die den Namen Managed Care Organizations (MCO's) tragen. Managed Care bedeutet die bewusste Steuerung der medizinischen Versorgung durch die Kostentrager, d.h. durch die Versicherungsgesellschaften. Die Versicherungstrager versuchen direkt das Verhal- ten der Leistungserbringer als auch das Verhalten der Versicherten durch Sparanreize zu be einflussen. Ziel ist es unter okonomischen Gesichtspunkten die Kosten fur Gesundheitsleistun- gen zu begrenzen.75

Prinzipiell wird zwischen MCOs und Indemnity76 Versicherungsmodellen unterschieden. Da im Gegensatz zu den Indemnity Modellen die MCOs in der Arztwahl beschrankt und im Leistungs- umfang eingeschrankt sind, mussen hierfur auch geringere Pramien aufgebracht werden. Auf- grund geringerer Regulierung sind bei den Indemnity Modellen hohere Pramien zu zahlen. Die- se Gestaltung von Versorgungsstrukturen und Steuerung von Versorgungsablaufen kann im Rahmen unterschiedlichster Organisationsformen erfolgen. Die beiden gangigsten sind die Health Maintanance Organization (HMO) und die Preferred Provider Organization (PPO).77

Bei der HMO zahlen die Versicherungsnehmer an die Versicherer eine fixe Pramie fur ein vorab genau definiertes Leistungspaket. Die HMO schlieftt im Vorfeld Versorgungsvertrage mit grofte- ren Arztegruppen oder Krankenhausern ab. Als Entlohnung werden sogenannte Capitations78 an die Leistungserbringer gezahlt.

Die Versicherungsnehmer konnen sich nur von diesen, von der Versicherung festgelegten Leis- tungserbringern, behandeln lassen. Nur bei Behandlung innerhalb dieses Netzwerkes wird volle Kostenubernahme durch die HMOs garantiert. Mochten sie aufterhalb des Arztnetzes behandelt werden, mussen die Versicherten die Kosten in der Regel selbst tragen. Zudem mussen be- sonders kostenintensive Behandlungen oder diagnostische Maftnahmen von der HMO geneh- migt werden. Charakteristisch fur dieses Modell ist, dass bei einem Krankheitsfall als erste An- laufstelle ein vorher festgelegter Arzt dient, der die weitere Behandlung steuert („Gatekeeper“). Bei diesem Modell sind die Pramien im Vergleich zu allen anderen Modellen am niedrigsten, die Steuerungsintensitat allerdings am hochsten.79

Weitaus flexibler gestalten sich die PPOs. Im Gegensatz zu den MCOs sind die Versicherten in der Wahlmoglichkeit der Arzte freier. Hier haben die Versicherten auch die Moglichkeit, Arzte aufterhalb des Arztnetzes der PPO aufzusuchen. Hierfur wird allerdings eine Zuzahlung ver- langt. Des Weiteren mussen nur noch bedingt Genehmigungen fur kostspielige Behandlungen von den Versicherungen eingeholt werden. Allerdings sind durch die hohere Flexibilitat die Pramien, im Vergleich zu den HMOs, etwas hoher.80

In den neunziger Jahren wurde in den USA eine Abkehr von den restriktiven HMO Modellen, hin zu den flexibleren PPO Modellen, beobachtet. Unter dem wachsenden Kostendruck gewin- nen die HMO Versicherungsmodelle allerdings heute wieder zunehmend an Bedeutung.81 2009 waren 60% aller Personen, die uber ihren Arbeitgeber versichert waren in PPOs und 20% in HMOs eingeschrieben.82

Laut einer Studie der Kaiser Family Foundation betrug die durchschnittliche Versicherungspra- mie einer Familie im Jahre 2009 fur HMOs $13.470 und fur PPOs $13.719.83

3 Strukturprobleme im US-Gesundheitswesen

Im offentlichen Diskurs und in politischen Debatten besteht weitestgehend Einigkeit uber den Zustand des Gesundheitssystems in den Vereinigten Staaten.84

Es wird im Allgemeinen als moral morass85 zu teuer, ineffizient, und ungerecht bezeichnet.86 Die gesundheitspolitische Beraterin von President Obama, Robin Osborn charakterisiert die Gesundheitsversorgung als unkoordiniertes System, mit zu wenig staatlicher Regulierung. Da- neben fehle es an Dokumentation und Qualitatskontrollen.87

Bei nahezu allen Diskussionen uber das amerikanische Gesundheitssystem, werden vor allem zwei Kernprobleme immer wieder hervorgehoben. Zum einen die hohe Anzahl Nichtversicherter und zum anderen die exorbitanten Kosten, die das System verursacht.88

In einer internationalen Vergleichsstudie der WHO schnitten die USA mit einem 37. Platz als schlechtestes Gesundheitssystem unter allen Industriestaaten ab. Als Maftstab dieser Evaluie- rung wurden das Gesundheitsniveau der Bevolkerung, die gerechte Verteilung der finanziellen Lasten sowie der Umgang mit Patienten angelegt.89 Andere internationale Studien kommen zu einem ahnlichen Ergebnis. Dabei ist das US-Gesundheitswesen in seinen Strukturen komplexer und vielschichtiger als allgemein angenommen. Unter den 50 Bundesstaaten sind zum Teil erhebliche Unterschiede bezuglich der Gesundheitsausgaben, sowie der Nutzung von Gesund- heitsleistungen festzustellen.90

Um die Gesundheitsreform unter Prasident Obama besser verstehen und deren Auswirkungen auf die Krankenversorgung besser nachvollziehen zu konnen, wird nachfolgend auf die Kern­probleme im amerikanischen Gesundheitswesen und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Krankenversorgung eingegangen.

Da das amerikanische System zweifelsohne auch enorme Starken vorzuweisen hat, werden diese anschlieftend erlautert. Am Ende des Kapitels wird ein Zwischenfazit gezogen.

3.1 Kerne Versicherungspflicht - hohe Anzahl Nicht-und Unterver- sicherter

Die Vereinigten Staaten sind die einzige Nation der ersten Welt, mit Ausnahme Sudafrikas, die nicht all ihren Burgern Krankenversicherungsschutz zur Verfugung stellt.91

Wahrend die meisten erwerbstatigen Amerikaner uber ihren Arbeitgeber versichert sind, die Rentner sowie einige bedurftige Burger Anspruch auf Versicherungsschutz uber Medicare ha- ben, besitzen 15,4% der US-Bevolkerung keine Krankenversicherung.

Laut dem US Census Bureau92 waren im Jahre 2008 46,3 Millionen93 US-Burger nicht versi­chert.

Andere Studien kommen auf weitaus hohere Zahlen. So beziffert eine Studie der Families USA die Anzahl der Nichtversicherten auf 86,7 Millionen. Allerdings untersuchte diese Studie die Anzahl der Menschen, die im Jahr 2008 fur mindestens einen Monat keinen Versicherungs­schutz hatten.94

Die hohe Anzahl Nichtversicherter hat 3 Hauptgrunde.95

1. Sie verdienen auf der einen Seite zu viel, um sich uber Medicare abzusichern, auf der anderen Seite zu wenig, um sich eine private Krankenversicherung leisten zu konnen. (working poor)96

2. Sie werden aufgrund von Vorerkrankungen (pre-existing-conditions) von den privaten Versicherungen abgelehnt. (s. Kapitel 3.1.1)

3. Sie wollen die Kosten einer privaten Krankenversicherung sparen und nehmen vor die- sem Hintergrund das Risiko in Kauf, im Krankheitsfall die Kosten der medizinischen Behandlung selbst zu tragen (out of pocket) oder verlassen sich auf die Notversorgung EMTALA.

Auffallig ist, dass es sich bei der Struktur der Nichtversicherten nicht um die armsten Schichten der Bevolkerung handelt, da diese Personengruppe oft in ein staatliches Versicherungspro- gramm fallt. Meist handelt es sich um „middle class Americans".97 Dazu gehoren Personen, die einer Erwerbstatigkeit nachgehen, aber zu wenig verdienen, um sich eine Krankenversicherung leisten zu konnen. Charakteristisch fur diese Personengruppe ist auch, dass sie in kleineren Unternehmen beschaftigt sind. Oft bieten diese Unternehmen ihren Beschaftigten keinen Versi­cherungsschutz an, da die Versicherungspramien zu hoch sind.98

[...]


1 Vgl. Obama, B. (2009), o.S.

2 Vgl. Lammert, C. (2010), S. 33

3 Vgl. Obama, B. (2009), o.S.

4 Vgl. New York Times (2010a), o.S.

5 Vgl. New York Times (1948), o.S.

6 Vgl. Schreyer, S. (2000), S. 32

7 Vgl. Pieper, C. (2010), o.S.

8 Vgl. Sozialgesetzbuch (SGB) Funftes Buch (V) Gesetzliche Krankenversicherung [SGB V]. §1 Solidaritat und Eigenverantwortung (2010)

9 Vgl. Reinhardt & Cheng, (2007), o.S.

10 Horizontale Gerechtigkeit betrachtet unterschiedliche Lebensverhaltnisse von Personen oder Lebens- gemeinschaften in der gleichen Einkommens-, Berufs-oder Bildungsgruppe. Vertikale Gerechtigkeit be­trachtet die Unterschiede zwischen den Lebenslagen und Lebenschancen Reicher und Armer Menschen. Vgl. Gabler Verlag (2007), o.S.

11 Vgl. Sommer, J.H. (1999), S. 85ff

12 Vgl. ebenda, S. 87f

13 Vgl. ebenda, S. 90f

14 Die Erste Welt bezeichnet Industrienationen, also reichere Lander mit hohem Lebensstandard. Dazu gehorten die G-8-Lander und Australien, Neuseeland, Argentinien, Chile, der Stadtstaat Singapur, Sudko- rea, Taiwan und die meisten anderen westeuropaischen Lander. Vgl. Hamburger Abendblatt (2007), o.S.

15 Vgl. Emmert, M. (2008), S.78.

16 Vgl. Behrens, J. (1996), S.56 ff

17 Vgl. New York Times (2010b), o.S.

18 Vgl. Emmert, M. (2008), S. 20

19 Vgl. Chua, K. (2009), o.S.

20 Vgl. Reimers, S. (2007), S. 366

21 Vgl. Emmert, M. (2008), S. 20

22 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Kaiser Commission on Medicaid and the Uninsured/Urban S. 63

23 Vgl. Braverman, J. (2010),

24 Vgl. Amelung, V (2008), S.

25 Vgl. Chua, K. (2009), o.S.

26 Als anerkannt behindert gelten Menschen, die auf Grund von Arbeitsunfahigkeit seit mehr als zwei Jahren Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen haben. Vgl. Reimers, L (2007), S. 366

27 Akutes Nierenversagen inkludiert eine dauerhafte Dialyse oder Burger, die auf eine Nierentransplanta- tion warten. Vgl. Spiegel Online (2010), o.S

28 Vgl. New York Times (2010) o.S.

29 Vgl. Braverman, J. (2010), S.277

30 Vgl. Bodenheimer, T.S., Grumbach, K. (2009), S.10

31 Vgl. Amelung, V. (2008), S. 24

32 Vgl. Medicare (2010a), o.S.

33 Vgl. Center for Medicare and Medicaid Services (2010), S. 25

34 Vgl. Braverman, J. (2010), S. 281

35 Vgl. Bodenheimer, T.S., Grumbach, K. (2009), S.10

36 Vgl. Braverman, J. (2010), S.284

37 Vgl. Medicare (2010b), o.S.

38 Vgl. Kaiser Family Foundation (2009), o.S

39 Vgl. Nadolski, H. (2001), S. 34

40 Vgl. Nadolski, H. (2004), S. 20

41 Vgl. Kaiser Family Foundation (2009), o.S.

42 Vgl. Braverman, J. (2010), S.292

43 Fur die ersten anfallenden $250 tragt der Versicherte komplett die Arzneimittelkosten. Ab $251 bis $2.250 tragt der Versicherte 25%; die Versicherung 75% der anfallenden Kosten. Fur die nachsten $2.251 bis $5.100 muss der Versicherte zu 100% aufkommen. Ab $ 5.100 kommt dann wieder die Versicherung zu 95% auf; der Versicherte kommt immerhin noch auf 5% Eigenbeteiligung. Vgl. Emmert, M. (2008), S. 22f

44 Vgl. Braverman, J. (2010), S. 64

45 Vgl. Center for Medicare and Medicaid Services (2010a), o.S.

46 Wer als arm gilt, wird von der Regierung des jeweiligen Bundesstaates festgelegt. Im Jahr 2005 lag die bundesweite Armutsgrenze fur eine dreikopfige Familie bei einem Jahreseinkommen von $16.900, Vgl. Emmert, M. (2008), S. 23

47 Vgl. Center for Medicare and Medicaid Services (2010a), o.S.

48 Vgl. Spiegel Online (2010a)

49 Vgl. Health.New York (2010), o.S.

50 Vgl. Finlayson, T. A. ( 2010), S. 47

51 Congressional Budget Office (2007), S. viii

52 Vgl. O'Shaughnessy (2009), S. 1

53 Vgl. Congressional Budget Office ( 2007), S. vii

54 Vgl. Social Security (2009), S. 56

55 Vgl. U.S. Census Bureau (2009) o.S.

56 Vgl. Fosmire,S. (2009), o.S.

57 Vgl. American College of Emergency Physicians (2010), o.S.

58 Vgl. Fosmire,S. (2009), o.S.

59 Vgl. Kaiser Commission on Medicaid and the Uninsured/Urban Institute (2009)

60 Vgl. Stoltzfus, J. ( 2008), o.S.

61 Vgl. Stoltzfus, J. ( 2008), o.S.

62 Die starke Bedeutung dieses Modells hat geschichtliche Wurzeln. Wahrend des II. Weltkrieges gab es seitens der Regierung einen staatlich festgelegten Lohnstopp. Davon waren allerdings die betrieblichen Sozialleistungen nicht betroffen, so dass die Unternehmen hier die Moglichkeit sahen individuelle Lohner- hohungen durchzusetzen. Dieser Trend setzte sich nach 1945 weiter fort. Vgl. Bodenheimer & Grumbach

63 Vgl. Collins, White, Kriss, (2007), S.1

64 Vgl. Kaiser Family Foundation (2008), S. 4

65 Kaiser Family Foundation (2009a), S.1

66 Vgl. Amelung, V. (2008), S. 24f

67 als Kleinunternehmen gelten Organisationen von 3- 199 Beschäftigte. Vgl. Kaiser Family Foundation (2009a), S. 4

68 Vgl. Emmert, M. (2008), S. 26

69 siehe Kapitel 3.1.2.2 Managed Care Organizations

70 Vgl. Kaiser Family Foundation (2008), S. 2

71 Vgl. Kaiser Commission on Medicaid and the Uninsured/Urban Institute (2009)

72 Vgl. Kaiser Family Foundation (2009a), S. 4

73 Vgl. Emmert, M. (2008), S. 26

74 Vgl. Kaiser Family Foundation (2009a), S. 3

75 Vgl. Kaiser Family Foundation (2008), S. 4

76 Als Indemnity Versicherungen gelten die traditionellen Versicherungsunternehmen, die als entschei- dendstes Merkmal eine freie Arztwahl und Einzelleistungsvergutung gewahrleisten.

77 Vgl. Emmert, M. (2008), S. 28

78 Die Leistungserbringer erhalten eine vorher festgelegte Pro-Kopf-Pauschale pro Versicherte. Die Hohe dieser Pauschale kann nach Alter, Geschlecht oder Vorerkrankung variieren.

79 Vgl. Sommer, J.-H. (1999), S. 127ff

80 Vgl. Bodenheimer & Grumbach (2009), 75ff

81 Vgl. Pieper, C. (2004), o.S.

82 Vgl. Kaiser Family Foundation (2009), S. 76

83 Vgl. Kaiser Family Foundation (2009), S. 37

84 “moral morass" bedeutet so viel wie moralisch verwerflich oder moralisch nicht vertretbar. Vgl. New York Times (2007), o.S.

85 Vgl Reinhardt & Cheng (2007), o.S.

86 Vgl Lammert, C. (2010), S. 33

87 Vgl Der Gelbe Dienst (2009), S.10

88 Vgl Stoltzfus Jost,Z. (2008), o.S.

89 Vgl WHO (2000), S. 155

90 Vgl OECD (2009), S.1 ff

91 Vgl. the University of Maine (2001), S. 3

92 Das U.S. Census Bureau ist eine Bundesbehorde der Vereinigten Staaten. Diese ist verantwortlich fur die Volkszahlung sowie fur die Erhebung anderer okonomischer und wirtschaftlicher Daten. Vergleichbar ist das U.S. Census Bureau mit dem Statistischen Bundesamt in Deutschland. Vgl. U.S. Census Bureau,

93 Vgl. U.S. Census Bureau (2009), S. 20

94 Vgl. Families USA (2009), S. 6

95 Vgl. Bailey, K. (2009), S. 8

96 Vgl. Nellen, B. (2008), S. 37

97 Vgl. Obama, B. (2009), S. 1

98 Vgl. Pieper, C. (2004), S. 31f

Excerpt out of 85 pages

Details

Title
Die Gesundheitreform unter Präsident Obama und ihre Auswirkungen auf das System der Krankenversorgung
College
University of Applied Sciences Magdeburg
Grade
1,0
Author
Year
2010
Pages
85
Catalog Number
V159771
ISBN (eBook)
9783640729548
ISBN (Book)
9783640729944
File size
2963 KB
Language
German
Keywords
Gesundheitsreform, USA, Vereinigte Staaten, Obama, Barack Obama, US-Gesundheitswesen, Medicare, Medicaid, EMTALA, Managed Care Organizations, Amerikanisches Gesundheitssystem, pre-existing-conditions
Quote paper
Christoph Hart (Author), 2010, Die Gesundheitreform unter Präsident Obama und ihre Auswirkungen auf das System der Krankenversorgung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/159771

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