Ist der Dandy tot?


Essay, 2010

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Es schein als bedarf der Begriff Dandy heute kaum einer Erklärung. In Feuilletons und Modezeitschriften wird das Wort automatisch verwendet, häufig zur Kennzeichnung gut gekleideter, leicht feminin wirkender Männer, die sich durch besondere Eleganz auszeichnen. Diesem Eindruck nach gibt es ihn noch, den Dandy. Zumindest scheint er ein Comeback zu erleben. Oder ist der moderne Dandy nicht mit der Dandy -Gestalt aus dem 19. Jahrhundert zu vergleichen? Lassen die neuen Medien und unsere Zeit noch einen echten Dandy zu? Scheint doch die triviale Beschränkung auf das Aussehen, ein oberflächlicher Umgang mit dem Dandy -Begriff. Dem geistigen Habitus wird bei einer Verwendung in der Modewelt kaum Bedeutung beigemessen. Eine begriffliche Klärung scheint vonnöten, bevor die Beantwortung der Frage erfolgen kann, ob der Dandy ausgestorben ist.

Der Begriff Dandy ist eindeutig nicht deutsch. Wann aber tritt dieses Lexem in den deutschen Sprachgebrauch ein? In Jakob und Wilhelm Grimms Deutsches Wörterbuch (1860) findet sich der Dandy nicht, jedoch in Daniel Sanders Wörterbuch der deutschen Sprache aus dem gleichen Jahr, ist die Bedeutung „Stutzer, Modeherr“[1] vermerkt. Neuere Nachschlagewerke folgen dieser Richtung: „modisch herausgeputzter Mann, Geck“[2] schlägt der zweibändige Brockhaus von 1977 vor und 1988 erklärt die Brockhaus Enzyklopädie den Dandy als „allg. Modenarr“[3]. 1990 definiert Meyers großes Taschenlexikon den Dandy als „heute allg. im Sinne von Stutzer, Geck, Modenarr gebraucht“[4]. Daneben fügen die ausführlicheren Enzyklopädien nach Nennung von einigen Vertretern, „Extravaganz der Kleidung u. Exklusivität der Lebensführung“ als Merkmale des Typus hinzu.[5] Durch die Umschreibung als „Geck“ wird die Definition des Dandys über seine Selbstdarstellung und sein Modebewusstsein eher negativ konnotiert. Dass der Begriff auch positiv belegt werden kann, zeigt der Große Herder von 1932: Der Dandy zeichnet sich hiernach aus durch „Sonderung von der Menge u. ihrem Verhalten, auch in Kleidung u. ästhet. Haltung (Vorliebe für außergewöhnl. erlesene Genüsse, Geckentum)“.[6] Doch es wäre fatal würde man den Begriff Dandy nur unter rein linguistisch-semantischen Gesichtspunkten betrachten. Das Wort ist auch untrennbar mit einem vielfältigen sozialen, kulturellen und auch literarischen Umfeld verbunden.

„Es ist mithin ein Wort, das sich erst aus seinem kulturellen Kontext erschließt, der sich wiederum in seinem literarischen Niederschlag manifestiert. In dieser Hinsicht kann der Transfer des Begriffs und seiner kulturellen Konnotationen als ein Aspekt der Literaturvermittlung behandelt werden. Der Transfer ist zeitbedingt und wird nur vor dem Hintergrund seiner spezifischen historischen Situation verständlich.“[7]

Die historische Situation ist folgende: Die Dandy -Literatur ist eine Erscheinung des 19. Jahrhunderts, die am stärksten in England und Frankreich verbreitet war.[8] Als englischer Urdandy wird George Bryan Brummell bezeichnet. Im 18. Jahrhundert lehnten die Engländer die französische Hofkultur zunehmend ab und das neue Körperbewusstsein, hervorgerufen durch die Beschäftigung mit antiker Plastik, zeichnete sich vor allem in der Schneiderei ab. Diese Einflüsse ließen den modernen Herrenanzug entstehen, der körperbetont geschnitten die V-Silhouette des Mannes hervorhob. Dieser Anzug im schlichten Schnitt, aus festem Stoff und in gedeckten Farben, wurde von Brummell auf die Spitze getrieben. Er propagierte bereits die neue Schlichtheit als in adlige Kreise noch Protz und Prunk ­– gepuderte Perücken, üppige Mäntel und Juwelen – in Mode waren. Viele Legenden ranken sich um seine Person. Stunden brauchte er, heißt es, um sich anzuziehen, wechselte, entgegen den Gepflogenheiten seiner Zeit, mehrmals täglich seine Wäsche, dabei verachtete er Schmuck und Parfüm. Angeblich hatte er drei Frisöre, einen für die Stirn, einen für die Seiten und einen für den Hinterkopf. Den Aufwand, den er trieb, sah man ihm nicht auf den ersten Blick an, seine Kleidung war geradezu dezent. Umso argwöhnischer wurde er von Zeitgenossen betrachtet. Brummell wurde zum Prototypen für den Dandy, der seine Persönlichkeit zu einer Kunstfigur erschaffen hatte und gute Manieren mit geistreicher Konversation zu verbinden wusste. Nachdem er sein geerbtes Vermögen verbraucht hatte und von Gläubigern verfolgt wurde, endete er im Irrenhaus von Caen.[9] Als französische Theoretiker des Dandytums sind etwa Jules Amédée Barbey d’Aurevilly, Honoré de Balzac oder Charles Baudelaire zu nennen. In der romantischen Restauration nach der Französischen Revolution existierte der Dandy in der reinsten Ausprägung. Durch die Schriftsteller Jules Barbey d'Aurevilly und Charles Baudelaire kommt es zu einer typisch französischen Akzentverschiebung in der Bedeutung des Wortes Dandy:

„Das Element der Revolte, die ethischen und spirituellen Eigenschaften werden stärker betont, sogar auf Kosten der äußeren Eleganz. Zum aristokratischen Formalkult tritt die weltschmerzliche Erfahrung existentieller Isolation.“[10]

Oscar Wilde, Max Beerbohm, Aubrey Beardsley und andere Vertreter des Ästhetizismus propagierten gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen neuen Dandy -Stil: Kniehosen und Westen aus Samt und niederliegende Hemdkragen wurden zu ihren äußerlichen Kennzeichen. Die Ästhetizisten öffneten die von bürgerlicher Enge und vom Moralismus geprägte viktorianische Gesellschaft für eine neue Sinnlichkeit in Farben und Formen. Sie bekämpften den herrschenden Geschmack des mainstream mit ritualisierter Ästhetik. Dandyismus ist eine Lebenseinstellung, zu der Selbstinszenierung und ein eher ungezwungenes Verhältnis zum Geld gehörten. Wichtig war ihnen die Unabhängigkeit von bürgerlichen Zwängen wie Brotberuf oder Ehe.

Für die deutschsprachige Literatur, in der der Dandy weitaus weniger verbreitet ist, hat Richard Schaukals Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser, eines Dandy und Dilettanten eine herausragende Position eingenommen.[11] Schaukal setzte sich intensiv mit der Dandy -Literatur auseinander und übersetzte 1909 Barbey d’Aurevillys Essay Vom Dandytum und von G. Brummell (1844) ins Deutsche. In dem Aufsatz „-denn Begriffe begraben das Leben der Erscheinungen“ Über einen Versuch, den Dandy in die deutsche Literatur einzubürgern geht Autor Knobb der Frage nach, warum der Dandy in der deutschsprachigen Kultur und Literatur erst so spät Einzug gefunden hat. Den Grund sieht er in Schaukals Balthesser, der erst 1907 erschien.

Daß sich Schaukals des Dandy-Thema bemächtigte, beweist, daß das Motiv in der Luft lag. Die Anverwandlung des Dandy ist Teilaspekt der Aneignung so vieler französischer Anregungen in der Kultur und Literatur der Jahrhundertwende.“[12]

Der Balthesser bietet zwar eine Novität im Bereich der deutschen Literatur, entstand aber zu einer Zeit, in der das Dandytum bereits überholt war und wirkt daher eher zusammenfassend und abschließend als zukunftsweisend und innovativ. Einen weiteren Grund sieht Krobb im Fehlen einer Metropole wie London oder Paris, „in der die moderne Befindlichkeit (etwa akzeptierter sozialer Wandel, Vermassung, Komplexität der Wirtschafts- und Lebens-verhältnisse) besonders intensiv erfahrbar wird und besonders auffällige Reaktionen provoziert […].“[13]

Der Weg des Dandytums in die deutsche Kultur und Literatur ist also einem zweifachen Vermittlungsprozess zu verdanken, über die Zeit- und über die Sprachgrenzen hinweg. Die Gestalt des Dandys ist mit diesen deutschen Äquivalenzbegriffen und der Geschichte jedoch bei weitem nicht gebührend beschrieben. Daher sollen hier noch weitere Merkmale über den Dandy zusammenfassend angeführt werden:

„Er vertritt einen dekadent überfeinerten Lebensstil, ist überlegen, lässig und elitär. Ennuyiert und hybrid kritisiert er mit äußerster Schärfe die Gesellschaft, den Fortschritt, vor allem die Kunst. Im Mittelpunkt seines Interesses steht seine äußere Erscheinung. Mehrere Stunden täglich werden für die Rasur, die Frisur, die Auswahl und das Binden der richtigen Krawatte sowie die perfekte Kleidung - Schal, Robe, Weste, Hut, Spazierstock, Monokel, Schuhe etc. – verwandt.“[14]

Gut gekleidet sein, heißt beim Dandy aber nicht, dass er auffällig gekleidet ist. Extravaganzen so genannter Künstler lehnt der Dandy ab. Gnüg spricht in ihrer Monographie vom „Raffinement der Einfachheit“.[15] Die originelle, aber jederzeit passende elegante Kleidung, kombiniert mit den formvollendeten Manieren eines Gentleman, wird zum einzigen Lebenszweck erhoben. Erbe nennt ihn sogar „einen Heros stilvoller Eleganz“[16]. Daher passen auch die Niederungen anstrengender Erwerbsarbeit nicht zum echten Dandy. Anders formuliert: „Der Dandy hat keinen anderen Beruf als die Eleganz.“[17] Er ist ein passionierter Müßiggänger und eine notorische Spielernatur. Das Dandytum ist eine Ideologie.[18] Was den Dandy maßgeblich auszeichnet, sind seine natürliche Grazie und seine selbstverständliche Eleganz, er beherrscht die Kunst der Selbstinszenierung so perfekt, dass er niemals unnatürlich wirkt. Somit hat der Dandy keine Angriffsfläche.

Der Dandy benötigt als Lebensraum, die Gesellschaft, die er gleichwohl verachtet. Er bewegt sich zwar innerhalb der feinen Gesellschaft, grenzt sich aber gleichzeitig von dieser ab. „Dandytum ist der passive Kampf des Individuums gegen die kollektive Saturiertheit des bürgerlichen Zeitalters. Passiv ist dieser Widerstand, da er niemals argumentativ wird, sich nicht engagiert und nie revoltierend eingreift, sondern lediglich durch eine hypertrophierte Ästhetik provoziert.“[19] Der Dandy ist ein radikaler Individualist und duldet keine anderen Individuen neben sich. Er sieht in den anderen nur Gruppen und Kollektive. Das schlägt sich auch in seiner Sprache nieder. Er neigt zu einer typologischen Begriffswahl.[20] Die Sprache wird zu seiner Waffe: Sein sarkastischer Scharfsinn provoziert das Gegenüber ohne es jedoch zu beleidigen.

[...]


[1] Sanders, Daniel. Wörterbuch der deutschen Sprache. Band I. Leipzig. 1860. S. 263

[2] Brockhaus. Band I. Wiesbaden: Brockhaus. 1977. S. 241

[3] Brockhaus Enzyklopädie. Band V. Wiesbaden: Brockhaus. 1988. S. 112

[4] Meyers großes Taschenlexikon. Band V. Mannheim: BI-Taschenbuchverlag. 1990. S. 69

[5] Brockhaus Wahrig deutsches Wörterbuch. Band II. Wiesbaden: Brockhaus. 1981. S. 148

[6] Der große Herder. Band III. Freiburg: Herder. 1932. Sp. 638

[7] Krobb, Florian. „-denn Begriffe begraben das Leben der Erscheinungen“ Über einen Versuch, den Dandy in die deutsche Literatur einzubürgern. In: Krobb Florian und Sabine Strümper-Krobb (Hrg.). Literaturvermittlung um 1900. Fallstudien zu Wegen ins deutschsprachige kulturelle System. Amsterdam und New York: Rodopi. 2001. S. 75-76

[8] Zur Geschichte des Dandy in der Literatur vgl.: Gnüg, Hiltrud. Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur. Stuttgart: Metzler. 1988.

[9] Anekdoten und Aufsätze über Brummell sind von Baudelaire, Beerbohm und Virginia Woolf überliefert. Vgl. u.a.: Beerbohm, Max. Dandys. Ausgesuchte Essays und Erzählungen. Zürich: Haffmans. 1989.

[10] Erbe, Günter. Der moderne Dandy - Aus Politik und Zeitgeschichte. Bundeszentrale für politische Bildung. (B 46/ 2004) < http://www.bpb.de/publikationen/YEJ0WG,0,Der_moderne_Dandy.html >

[11] Vgl.: Schaukal, Richard. Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser, eines Dandy und Dilettanten. Stuttgart: Klett-Cotta. 1986.

[12] Krobb, Florian. „-denn Begriffe begraben das Leben der Erscheinungen“ Über einen Versuch, den Dandy in die deutsche Literatur einzubürgern. In: Krobb. 2001. S. 82-83

[13] Krobb, Florian. „-denn Begriffe begraben das Leben der Erscheinungen“ Über einen Versuch, den Dandy in die deutsche Literatur einzubürgern. In: Krobb. 2001. S. 84

[14] Vgl.: Wicke, Andreas. Der paradoxe Dandy. Richard Schaukals Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser. In: Helmes, Günter (Hrg.). Literatur und Leben. Anthropologische Aspekte in der Kultur der Moderne. Tübingen: Gunter Narr. 2002. S. 151

[15] Gnüg, Hiltrud. Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur. Stuttgart: Metzler. 1988. S. 27

[16] Erbe. 2004. < http://www.bpb.de/publikationen/YEJ0WG,0,Der_moderne_Dandy.html >

[17] Erbe. 2004. < http://www.bpb.de/publikationen/YEJ0WG,0,Der_moderne_Dandy.html >

[18] Vgl.: Wicke, Andreas. Der paradoxe Dandy. Richard Schaukals Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser. In: Helmes. 2002. S. 151

[19] Vgl.: Wicke, Andreas. Der paradoxe Dandy. Richard Schaukals Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser. In: Helmes. 2002. S. 155

[20] Vgl.: Wicke, Andreas. Der paradoxe Dandy. Richard Schaukals Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser. In: Helmes. 2002. S. 155

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Details

Titel
Ist der Dandy tot?
Hochschule
Technische Universität Dresden
Veranstaltung
Deutsche Literatur und Kultur in raum-zeitlicher Diversität
Note
2,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
14
Katalognummer
V160525
ISBN (eBook)
9783640741106
ISBN (Buch)
9783640741120
Dateigröße
464 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dandy, George Bryan Brummell, Jules Barbey d'Aurevilly, Charles Baudelaire, Der moderne Dandy
Arbeit zitieren
BA Antje Schoene (Autor:in), 2010, Ist der Dandy tot?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/160525

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