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Symbol, Sichtbarkeit, Selbst. Mode als Medium der Identitätsinszenierung

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Diese Arbeit geht der Frage nach, inwiefern Mode die Selbstinszenierung von Identität beeinflusst und welche Rolle dabei Georg Simmels Modetheorie spielt. Sie verbindet eine klassische soziologische Perspektive mit aktuellen Ansätzen zur Selbstinszenierung und sozialer Sichtbarkeit.
Als theoretische Grundlage dient vor allem Georg Simmels Essay "Philosophie der Mode" (1905), in dem er Mode als soziales Wechselspiel aus Nachahmung und Abgrenzung beschreibt. Ergänzend werden Begriffe der Selbstdarstellung nach Goffman sowie überblicksartige Theorien von Mode und Identität herangezogen.

In einer Welt, in der Identität weniger gefunden als inszeniert wird, wird Kleidung zum Drehbuch des Selbst. Wer Mode trägt, kommuniziert - nicht nur mit anderen, sondern mit der Welt über sich selbst. Kleidung ist längst mehr als Schutz oder Funktion. Sie ist Ausdruck, Zeichen, Spiel, Botschaft, Maske und Medium zugleich. Sie ist eine der wohl durchgängigsten Formen von Kommunikation, in der heutigen Gesellschaft, stets in einem Spannungsverhältnis zwischen Individualität und Anpassung, Sichtbarkeit und Norm.

Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Theoretischer Rahmen
2.1 Georg Simmels Modetheorie
2.2 Selbstdarstellung nach Goffman und der begriff Identität im Sozialen Kontext

3. Selbstinszenierung durch Mode

4 Grenzen, Spannungen und Ambivalenzen der modischen Selbstinszenierung

5. Fazit und Ausblick

6. Literaturverzeichnis

Symbol, Sichtbarkeit, Selbst:

Mode als Medium der

Identitätsinszenierung

„Wie beeinflusst Mode die Selbstinszenierung von Identität - und welche Rolle spielt dabei Georg Simmels Modetheorie?“

1. Einleitung

In einer Welt, in der Identität weniger gefunden als inszeniert wird, wird Kleidung zum Drehbuch des Selbst. Wer Mode trägt, kommuniziert - nicht nur mit anderen, sondern mit der Welt über sich selbst. Kleidung ist längst mehr als Schutz oder Funktion. Sie ist Ausdruck, Zeichen, Spiel, Botschaft, Maske und Medium zugleich. Sie ist eine der wohl durchgängigsten Formen von Kommunikation, in der heutigen Gesellschaft, stets in einem Spannungsverhältnis zwischen Individualität und Anpassung, Sichtbarkeit und Norm.

Diese Arbeit geht der Frage nach, inwiefern Mode die Selbstinszenierung von Identität beeinflusst und welche Rolle dabei Georg Simmels Modetheorie spielt. Sie verbindet eine klassische soziologische Perspektive mit aktuellen Ansätzen zur Selbstinszenierung und sozialer Sichtbarkeit.

Als theoretische Grundlage dient vorallem Georg Simmels Essay "Philosophie der Mode" (1905), in dem er Mode als soziales Wechselspiel aus Nachahmung und Abgrenzung beschreibt.1 Ergänzend werden Begriffe der Selbstdarstellung nach Goffman sowie überblicksartige Theorien von Mode und Identität herangezogen.

2. Theoretischer Rahmen

2.1 Georg Simmels Modetheorie

Georg Simmel beschreibt Mode als eine besondere "soziale Form", die sich durch eine eigentümliche Dialektik auszeichnet: Sie balanciert zwischen Individuation und Sozialisation, zwischen Nachahmung und Abgrenzung. In seinem Essay „Philosophie der Mode“ (1905) legt Simmel dar, dass Mode aus einem grundlegenden sozialen Bedürfnis hervorgeht: dem Wunsch, sowohl dazuzugehören als auch sich abzugrenzen.2 Dieses Spannungsverhältnis ist für ihn konstitutiv für die moderne Gesellschaft und wird in der Mode sichtbar wie in kaum einem anderen sozialen Phänomen. " Jede wesentliche Lebensform in der Geschichte unserer Gattung stellt auf ihrem Gebiete eine besondere Art dar, das Interesse an der Dauer, der Einheit, der Gleichheit mit dem an der Veränderung, dem Besonderen, dem Einzigartigen zu vereinen.“3

Simmel zufolge liegt das Wesen der Mode in ihrer sozialen Dynamik. Sie wird nie von der ganzen Gesellschaft getragen, sondern stets von einem Teil, während die anderen auf dem Weg zu ihr sind. Sobald ein modisches Element vom breiten Kollektiv übernommen wird, verliert es seine Differenzierungsfunktion und wird durch neue Formen ersetzt: "Das Wesen der Mode besteht darin, dass immer nur ein Teil der Gruppe sie übt, die Gesamtheit aber sich erst auf dem Wege zu ihr befindet.“4

Diese permanente Bewegung erzeugt einen stetigen Wandel, den Simmel als inhärenten Motor der Mode begreift, vorallem in der Damenmode beschreibt Simmel einen Hass auf das bereits legalisierte der sich in dem drang nach immer neuen Erscheinungsformen ausdrückt. Er vergleicht dieses Phänomen mit einer sozialen Wellenbewegung: ein ständiges Nach- vorne-Streben, bei dem das Neue durch seine Vorläufigkeit attraktiv ist. Die Mode muss dabei stets "neu" erscheinen, um sozial funktional zu bleiben. Sobald sie verallgemeinert ist, verliert sie ihren Wert. Die Mode erlangt ihre Bedeutung somit vorallem dadurch, dass nicht alle sie mitmachen und sie (noch) nicht im sozialen Aspekt „legalisiert“ ist.

Der Mechanismus hinter dieser Bewegung lässt sich als eine frühe Form des später so genannten Trickle-Down-Effekts verstehen: Modische Innovationen entstehen in sozialen Oberklassen oder exklusiven Gruppen und werden von untergeordneten Gruppen nachgeahmt. Dadurch verlieren sie ihren distinktiven Wert und werden durch neue Trends ersetzt. Die oberen Gruppen wiederum entwickeln neue Ausdrucksformen, um sich abermals zu differenzieren.5

Zentral ist dabei die Rolle der sozialen Gruppe. Mode wird laut Simmel nicht aus individuellen Bedürfnissen heraus entwickelt, sondern innerhalb eines sozialen Rahmens, der vorgibt, was als modisch gilt. Der Soziologe Johannes Kepler schreibt dazu: Der Simmel'sche Ansatz, Mode als Produkt sozialer und psychologischer Bedürfnisse zu sehen ist bestimmt noch zeitgemäß. Simmel erkannte den Druck der Gesellschaft auf das Individuum, modisch zu sein, und das Bedürfnis des Individuums, in der Gesellschaft aufzugehen und sich dennoch als Individuum präsentieren zu können. Gerade das Phänomen des sozialen Druckes, des Konformitätszwanges in Sachen Mode ist sicher in unserer Zeit nicht weniger als noch vor hundert Jahren. Immer mehr wird Identität, Status, Zugehörigkeit durch Kleidung und Accessoires, durch Sprache und Musik, sprich mittels der Mode unterworfenen Konsumgüter ausgedrückt."6

Daraus lässt sich schließen das Mode niemals bloß individuelles Ausdrucksmittel, sondern immer auch ein Mittel der sozialen Positionierung ist. Sie erzeugt Zugehörigkeit innerhalb einer Gruppe, indem sie visuelle Codes bereitstellt, über die sich ein kollektives Wir-Gefühl konstituiert. Zugleich ermöglicht sie Abgrenzung nach außen: So lässt sich sagen dass die Mode ein Mittel ist , durch das ein Mensch kommuniziert, dass er zur Welt bzw. Gesellschaft gehört - und gleichzeitig dass er nicht zu jedem gehört.

Simmel begreift Mode als symbolische Praxis, durch die soziale Strukturen sichtbar und verhandelbar werden. Kleidung dient nicht primär dem Schutz oder der Funktion, sondern ist eine objektiv gewordene Unterscheidung - ein sichtbares Zeichen von sozialer Differenz und Identität. Gerade durch Social Media und globale Modetrends verschärft sich das Spannungsverhältnis, das Simmel beschreibt: Die ständige Suche nach Originalität und

Differenz bei gleichzeitiger Integration in ein kollektives System von Zeichen macht Mode auch im 21. Jahrhundert zu einem sozialen Schlüsselphänomen.7

2.2 Selbstdarstellung nach Goffman und der begriff Identität im Sozialen Kontext

Die Begriffe Selbstdarstellung und Identität sind zentral für das Verständnis der Rolle von Mode im sozialen Raum. In der soziologischen Perspektive sind sie untrennbar miteinander verknüpft: Selbstdarstellung ist die praktische Ausführung oder Performanz von Identität, während Identität das Ergebnis eines fortlaufenden sozialen Aushandlungsprozesses ist. Kleidung und Mode nehmen in dieser Beziehung eine besondere Stellung ein, da sie als sichtbarstes Ausdrucksmittel Identität inszenieren, stabilisieren oder bewusst verändern können.8

Die dramaturgische Perspektive: Goffmans Theorie der Selbstdarstellung

Erving Goffman prägte in seinem Werk The Presentation of Self in Everyday Life (1959) die sogenannte dramaturgische Soziologie. Er betrachtet das soziale Leben als Bühne, auf der Individuen Rollen spielen, Requisiten nutzen und sich auf "Vorderbühne" und "Hinterbühne" unterschiedlich verhalten. Die zentrale These lautet: "All the world is not, of course, a stage, but the crucial ways in which it isn’t are not easy to specify."9

Goffman sieht soziale Interaktion als eine Form der Eindruckssteuerung. Individuen versuchen, über ihr Verhalten und ihr Äußeres bestimmte Eindrücke bei anderen zu erzeugen. Diese Eindrücke sind nicht zufällig, sondern an Kontexte und Erwartungen gebunden.

Kleidung spielt dabei eine zentrale Rolle als "Darstellungsmittel": "It is sometimes convenient to divide the stimuli which make up personal front into "appearance" and "manner," according to the function performed by the information that these stimuli convey. "Appearance'' may be taken to refer to those stimuli which function at the time to tell us of the performer's social statuses."10

Mode ist damit ein wesentliches Instrument der Rollenpräsentation. Sie signalisiert Gruppenzugehörigkeit, Status, Geschmack, kulturelle Referenzen und emotionale Zustände.

Durch Kleidung lassen sich sowohl Rollen internalisieren als auch soziale Normen spiegeln oder bewusst brechen. Das Subjekt zeigt sich nicht nur, sondern inszeniert sich bewusst.

In Goffmans Modell ist Identität kein festes inneres Wesen, sondern eine soziale Leistung die er als Performance beschreibt: Sie wird durch performative Akte in konkreten Situationen hergestellt und wahrgenommen.11 Die Kleidung wird somit zur Bühnenausstattung, das Ich zum Darsteller.

Identität als soziale Konstruktion

Parallel zur dramaturgischen Theorie entwickelte sich in der Soziologie die Einsicht, dass Identität sozial konstruiert ist. Sie entsteht nicht im Inneren des Individuums, sondern in einem permanenten Wechselspiel zwischen Selbstbild und Fremdbild. George Herbert Mead, einer der Begründer des Symbolischen Interaktionismus, beschreibt Identität als Produkt sozialer Rollenübernahme: “ The self, as that which can be an object to itself, is essentially a social structure, and it arises in social experience.”12

Spätere Theoretiker wie Stuart Hall differenzieren weiter: "Identities are never unified and, in late modern times, increasingly fragmented and fractured; never singular but multiply constructed across different, often intersecting and antagonistic, discourses, practices, and positions. They are subject to a radical historicization, and are constantly in the process of change and transformation Identities are therefore constituted within, not outside

representation.”13

Hall betont, dass Identität kein festes, inneres Wesen ist, sondern ein kulturell konstruierter Prozess: Identität entsteht durch Repräsentation und ist immer in Bewegung - ein "werdendes", nicht ein "seiendes" Subjekt.14 Kleidung und Mode fungieren in diesem Zusammenhang als symbolische Formen, durch die Individuen Bedeutungen aushandeln, aneignen und zurück in den sozialen Raum spiegeln. Mode ermöglicht es, Identität performativ und visuell auszudrücken - ohne auf Sprache angewiesen zu sein.

Soziale Sichtbarkeit durch Mode

In einer zunehmend visuellen und medial geprägten Gesellschaft rückt die Sichtbarkeit von Identität in den Vordergrund. Mode fungiert als Kommunikationsmittel, das nonverbal Bedeutungen transportiert. Dabei ist Mode kein bloßes Abbild innerer Zustände, sondern ein aktives Mittel der Identitätskonstruktion. Es lässt sich unterstellen das Identität, vorallem in der heutigen, digitalen Zeit nicht einfach da ist, - sondern aktiv entworfen, angezogen und gezeigt wird. Ein Ähnliches Konzept präsentiert Gertrud Lehnert sie hebt hervor, dass Mode die Möglichkeit bietet, Identität kreativ, widersprüchlich und situativ zu gestalten. Sie schreibt: " Mode funktioniert als soziales Zeichensystem und entzieht sich zugleich als Spiel mit ästhetischen Möglichkeiten der Festschreibung von Bedeutungen. Sie ist unabdingbar für die Konstitution von kulturellen und individuellen Identität und insofern alles andere als eine Oberflächlichkeit."15

In diesem Kontext wird Mode zur Projektionsfläche und zum Spiel mit den visuellen Möglichkeiten: Wer wir sind oder sein wollen, wird über Kleidung verhandelt, sie beschreibt Kleidung dabei als zweite Haut, sprich einen unabdingbaren Teil seiner selbst. Dabei ist die Darstellung sowohl von sozialen Erwartungen, symbolischen Strukturen wie auch der Darstellung eines ästhetischen Artefakts durchzogen welches sich am 3 dimensionalem Körper ausdrückt. Kleidung zeigt nicht nur, wer jemand ist, sondern vorallem auch, wer er sein will und wie er gesehen werden möchte. Konkret beschreibt Sie Mode als Spielraum des Möglichen16. Basierend auf der bisherigen Ausarbeitung lässt sich Mode als ein Spielraum für die Konstruktion der eigenen Identität unter dem Einfluss und Druck sozialer Gegebenheiten verstehen

Erneut wird die These untermauert das eine Identität nicht gegeben, sondern gemacht ist und Mode dabei eine Schlüsselrolle spielt: Sie ist Medium, Maske, Spiegel und Ausdruck zugleich. Sie erlaubt die sichtbare Inszenierung eines Ichs, das in der sozialen Interaktion permanent erzeugt, geprüft und verändert wird. Es lässt sich sagen dass die Identität die vorallem über die Mode ausgedrückt wird in einem sich stetig wandelnden Prozess befindet, eine Transformation ohne Ziel und eine Evolution ohne konkreten Anlass. Die Identität ist somit situativ und entsteht aus der Struktur des sozialen Spiels in sich selbst.

3. Selbstinszenierung durch Mode

Nachdem im vorherigen Kapitel die theoretischen Grundlagen zu Selbstdarstellung und Identität im sozialen Kontext gelegt wurden, widmet sich dieses Kapitel der praktischen Umsetzung dieser Konzepte. Anhand konkreter Beispiele aus Alltag, Subkultur und digitaler Medienrealität wird gezeigt, wie Mode zur Bühne der Selbstinszenierung wird. Dabei wird die Rolle von Georg Simmels Modetheorie ebenso mitgedacht wie die performative Identitätsauffassung nach Goffman oder die diskursive Fragmentierung bei Hall.

Ein klassisches Beispiel für modische Selbstinszenierung findet sich im Wechsel der Kleidung zwischen Alltagssituationen. Eine Person, die tagsüber im konservativen Business­Anzug im Büro auftritt und abends in Streetwear mit Cap und Sneakers unterwegs ist, zeigt zwei Rollen, die jeweils bestimmte Erwartungen bedienen. Die Kleidung dient dabei nicht nur der Anpassung, sondern auch der sichtbaren Markierung sozialer Zugehörigkeit.

Goffman beschreibt genau dieses Verhalten als Teil der "Performance": „ I have been using the term "performance" to refer to all the activity of an individual which occurs during a period marked by his continuous presence before a particular set of observers and which has some influence on the observers."17

In dieser Inszenierung ist Mode mehr als Hülle: Sie wird zum Werkzeug der Kontextanpassung, zur sozialen Übersetzungsleistung. Sie macht Identität verhandelbar, wandelbar, kontextabhängig. In diesem Sinne erfüllt sie - im Sinne Simmels - eine doppelte Funktion: Nachahmung (Anpassung an die Norm) und Abgrenzung (individuelle Akzentuierung, Stilwahl).18

Mode kann ebenso Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen markieren - etwa in Jugendkulturen oder Szenen. Skater, Gothic-Anhänger, Hip-Hop-Communities oder Minimalisten definieren sich nicht nur über Musik oder Ideologie, sondern ganz wesentlich über visuelle Codes.

Kleidung, Farben, Schnitte, Markenwahl - all das wird zum Identitätscode, der anderen signalisieren soll: "Ich gehöre dazu." Gleichzeitig grenzt sich die Gruppe über diese visuelle Sprache nach außen ab.

Mode wirkt hier als sozialer Filter. Wer sich anpasst, wird akzeptiert; wer die Codes nicht beherrscht, bleibt außen vor. Diese Logik ist in Szenen ebenso wirksam wie im Beruf (Dresscode), in Milieus (z. B. Bildungsbürgertum vs. urbane Streetwear) oder in der Queer­Community, wo Mode auch politische und kulturelle Statements übernimmt (z. B. genderfluide Kleidung oder Drag-Kultur).19

In den sozialen Medien wird Mode zur hyperinszenierten Form der Identitätsarbeit. Auf Instagram oder TikTok etwa präsentieren Menschen kuratierte Outfits, die auf Likes, Reposts und algorithmische Sichtbarkeit abzielen. Der Körper wird zur Leinwand, das Outfit zum Narrativ, das Profil zur Bühne. Stuart Hall schreibt: "Identities are constructed within, not outside, discourse."20

Das bedeutet: Was als "Identität" wahrgenommen wird, entsteht nicht im Inneren des Subjekts, sondern durch sichtbare, erzählbare Zeichen - etwa durch Mode. Mode-Influencer inszenieren ihr Ich in Serien von "Looks", "Drops", "Hauls". Was zählt, ist nicht Authentizität, sondern Wiedererkennbarkeit und visuelle Zugehörigkeit zu einem digitalen Milieu. Auch hier funktioniert Simmels Mechanismus: Was einmal "in" war, wird durch massenhafte Reproduktion entwertet und durch neue Trends ersetzt.21 Die digitale Modewelt produziert damit keine festen Identitäten, sondern fluide, wandelbare Images. Der "Look" wird zur Übersetzung von Identität in eine konsumierbare Bildsprache. Die Performanz wird dokumentiert, geteilt, geliked. Identität wird sichtbar - und damit zur Ware.

In all diesen Beispielen zeigt sich: Mode ist nicht lediglich Ausdruck von Identität, sondern ihr Material, ihre Sprache, ihre Grammatik. Sie erlaubt es, Zugehörigkeit auszudrücken, Differenz zu markieren, Wandel zu vollziehen. Im Sinne Simmels fungiert sie als soziale Form, die ständig zwischen Konvention und Individualität oszilliert. Bei Goffman wird sie zur Requisite der sozialen Rolle, bei Hall zur diskursiven Projektionsfläche.

In einer Welt, in der Sichtbarkeit über soziale Teilhabe entscheidet, wird Mode zum entscheidenden Medium der Selbstinszenierung von Identität. Ihre Kraft liegt nicht in ihrer Substanz, sondern in ihrer Funktion: zu zeigen, wer man ist, wer man sein will - und wie man gesehen werden möchte.

4. Grenzen, Spannungen und Ambivalenzen der modischen Selbstinszenierung

Die bisherigen Kapitel haben gezeigt, wie Mode als Ausdrucksform und Medium der Identitätsinszenierung fungiert. Doch gerade in ihrer Funktion als Kommunikationsmittel und soziales Symbolsystem liegt auch eine Reihe von Spannungen, Widersprüchen und Begrenzungen, die es zu reflektieren gilt. Selbstinszenierung durch Mode ist nicht frei von Zwängen, sie bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Anpassung, Ausdruck und Erwartung, Sichtbarkeit und Kontrolle.

In einer mediatisierten Welt wird Sichtbarkeit zur Voraussetzung von Teilhabe. Der Soziologe Andreas Reckwitz spricht in diesem Zusammenhang von einer "Ästhetisierung des Sozialen bzw. dem Kreativitätsimperativ", in der das Subjekt permanent aufgefordert ist, sich ästhetisch bzw. kreativ zu inszenieren.22 Mode wird dabei nicht mehr nur als Mittel der Selbstentfaltung verstanden, sondern als soziale Verpflichtung zur Darstellung des eigenen Geschmacks, Körpers und Lebensstils. Die Individuen werden so zu Unternehmern ihres eigenen Selbst - sie müssen sich in Szene setzen, sich darstellen, sich erfinden um eine soziale Sichtbarkeit zu bewahren.

Das Soziale unterliegt also einem kreativen bzw. ästhetischen Imperativ. Dieser Imperativ erzeugt Performanz-Druck im Sinne von Goffman. Wer sich nicht zeigt, verschwindet aus der Wahrnehmung.23 Die Freiheit zur Inszenierung wird zur Pflicht zur Sichtbarkeit - ein Prozess, den bspw. Byung-Chul Han als "Transparenzgesellschaft" beschreibt: „... jedes Subjekt sein eigenes Werbeobjekt, Alles bemisst sich an seinem Ausstellungswert. Die ausgestellte Gesellschaft ist eine pornografische Gesellschaft. Alles ist nach außen gekehrt, enthüllt, entblößt, entkleidet ”24 In diesem Kontext wird Mode nicht mehr freiwillig gewählt, sondern muss strategisch inszeniert werden.

Das Ich wird zur Marke, der Körper zur Werbefläche. Überspitzt lässt sich formulieren, „was als Selbstentwurf erscheint, ist heutzutage oft Reaktion auf algorithmisch erzeugte

Sichtbarkeitsnormen“. Mode erschafft einen Effekt, spielt mit dem Verlangen jemand zu sein der man niemals sein kann und trägt die Spannung der ständigen abgehungert in sich.25

Obwohl Mode oft als Mittel der Individualität gefeiert wird, zeigt sich in der Praxis häufig das Gegenteil: Standardisierung. Trends verbreiten sich rasend schnell und erzeugen neue Konformitätszwänge. Die Sozialpsychologin Eva Illouz weist darauf hin, dass in modernen Konsumkulturen vermeintliche Individualität häufig standardisiert sei, da sie sich aus vordefinierten, massenmedial produzierten Optionen speise.26

In sozialen Netzwerken führt dies zu einer sichtbaren Paradoxie: Je mehr sich Nutzer über Mode inszenieren wollen, desto mehr gleichen sich ihre Codes an. Die scheinbare Vielfalt ist in Wirklichkeit algorithmisch homogenisiert: bestimmte Farben, Schnitte, Körperformen und Marken dominieren den Diskurs.

Die ständige Inszenierung von Identität bringt auch Verunsicherung und Entfremdung mit sich. Wenn Identität über Mode veräußert wird, droht das Subjekt in der Sichtbarkeit zu verschwinden. Judith Butler beschreibt Identität in Kontext des Geschlechtes als performativen Akt, der nie abgeschlossen, sondern immer wieder neu erzeugt werden muss (vgl. Butler 1991). „ Gender is always a doing, though not a doing by a subject who might be said to preexist the deed. ”27

Übertragen auf die Mode lässt sich unterstellen: Identität ist nie einfach da, sondern muss permanent dargestellt, angepasst, überprüft werden. Was als Ausdruck beginnt, endet nicht selten in Selbstbeobachtung und Anpassungsdruck. Das Subjekt wird zum Produzenten und Konsumenten seiner selbst.

Mode erlaubt die Inszenierung von Identität aber sie begrenzt sie auch. Sie schafft Sichtbarkeit - aber auch neue Unsicherheiten. Sie verspricht Individualität - und erzeugt Normen. Die Selbstinszenierung über Mode ist daher immer auch eine Spannung zwischen Freiheit und Anpassung, zwischen Gestaltungsmacht und Symbolzwang.

Diese Ambivalenz macht Mode so wirkungsmächtig: Sie ist ein Raum kultureller Kreativität und gleichzeitig ein Feld sozialer Kontrolle. Genau hierin liegt die Aktualität von Georg Simmels Modetheorie: Die Dynamik zwischen Nachahmung und Abgrenzung spiegelt sich nicht nur in Modezyklen wider, sondern auch in den sozialen Bedingungen ihrer Aneignung und ihrer Darstellung, besonders auch im Digitalen Raum. Mode bleibt damit ein ambivalentes Symbolsystem: Die Mode zeigt, wer wir sind - und was wir nicht sein können.

5. Fazit und Ausblick

Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass Mode weit mehr ist als oberflächliche Kleidung oder temporärer Stil. Sie ist ein zentrales Medium sozialer Kommunikation und Identitätsarbeit, das sich in komplexen Wechselwirkungen zwischen Individuum, Gesellschaft und Kultur entfaltet. Anhand der Frage, wie Mode die Selbstinszenierung von Identität beeinflusst und welche Rolle dabei Georg Simmels Modetheorie spielt, wurde herausgearbeitet, dass Mode in ihrer sozialen Funktion sowohl Zugehörigkeit als auch Abgrenzung sichtbar macht - und gerade dadurch ein effektives Instrument der Selbstinszenierung darstellt.

Georg Simmel hat mit seiner Analyse des Spannungsverhältnisses zwischen Nachahmung und Differenz einen theoretischen Rahmen geschaffen, der bis heute hochaktuell ist. Seine Beschreibung von Mode als "soziale Form" hilft zu verstehen, warum Kleidung stets Ausdruck kollektiver wie individueller Strukturen ist. Im Zusammenspiel mit Goffmans dramaturgischer Soziologie und dem sozialkonstruktivistischen Identitätsbegriff nach Stuart Hall wurde gezeigt, dass Identität im sozialen Raum nicht einfach da ist, sondern permanent erzeugt, angepasst und performativ dargestellt wird.

Die Analyse praktischer Beispiele von Alltagssituationen über Szene-Codes bis hin zur digitalen Modepraxis verdeutlichte, dass Mode ein hochgradig funktionales Mittel der Selbstverortung ist. Sie macht Identität sichtbar, lesbar und verhandelbar. Dabei wurde ebenso deutlich, dass diese Sichtbarkeit immer mit einer Performance des Individuum, Normierungen und Ambivalenzen einhergeht. In der durchperformten Sichtbarkeit unserer Gegenwart droht das Subjekt zwischen Selbstinszenierung, algorithmischer Optimierung und Konsumidealen aufgerieben zu werden.

Gleichzeitig zeigt sich in der Dynamik modischer Selbstinszenierung auch das ungelöste Spannungsverhältnis zwischen Identität und Inszenierung. Wer sind wir, wenn wir uns ständig über wechselnde Codes ausdrücken müssen? Was bedeutet „echt“, wenn Identität zunehmend kuratiert, bearbeitet und gefiltert wird? Diese Fragen eröffnen neue Forschungsperspektiven, insbesondere im Zusammenspiel mit Branding, Konsumkultur und Marketing.

Weiterführende Forschungsfragen könnten daher sein:

- Wie beeinflussen Markenidentitäten (Brand Identity) die Selbstinszenierung von Konsument*innen - und inwiefern suggerieren sie Authentizität?
- Welche Rolle spielen Marketingstrategien bei der Konstruktion von Identitätsversprechen durch Mode?
- Inwiefern wird „Authentizität“ zur Ware - und wie verändert das die Beziehung zwischen Individuum, Produkt und Selbstbild?

Mode bleibt ein Spiegel gesellschaftlicher Prozesse - aber sie ist mehr als das. Sie ist aktiver Bestandteil der Verhandlung von Identität in der Spätmoderne. In ihr verbinden sich Ästhetik, Macht, Zugehörigkeit und Widerstand. Gerade darin liegt ihre analytische wie gesellschaftliche Relevanz. Die Mode Philosophie Simmels kann - im Lichte neuer Theorien und digitaler Praktiken dabei helfen, diese komplexe Symbolsprache weiterhin kritisch zu deuten und als soziales Dispositiv der Selbstverhandlung zu verstehen.

Mode zeigt nicht nur, wer wir sind - sie zeigt, wer wir bereit sind zu sein und niemals ganz werden können.

6. Literaturverzeichnis

Abels, H. (2017). Identität. Springer.

Butler, J. (1990). Gender Trouble. Suhrkamp.

CLO, S. (15. Juni 2023). SIOIS. Von https://statsclo.com/blog/was-ist-subkulturen-und- wie-wirkt-sie-sich-auf-die-mode-aus abgerufen

Goffman, E. (1956). The Presentation of Self in Everyday Life. New York: Doubleday.

Hall, S. (1996). Who Needs 'Identity'? In S. Hall, Questions of Cultural Identity. SAGE Publications Ltd. .

Han, B.-C. (2012). Transparenzgesellschaft. Matthes & Seitz Berlin.

Illouz, E. (2011). Emotionen, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe. Suhrkamp.

Lehnert, G. (2013). Mode: Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis. transcript.

Mead, G. H. (1934). elf and Society. From the standpoint of a social behaviorist. London: University of Chicago Press: Chicago.

Müller, E. (2003). Georg Simmels Modetheorie. Zürich: Soziologisches Institut der Universität Zürich.

Pilsl, K. (2004). Georg Simmels Modetheorien. Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Soziologie.

Reckwitz, A. (2012). Die ErfindungderKreativität. Suhrkamp.

Schnierer, T. (1995). Die (Ir-)Rationalität der Mode und ihre theoretische Bewältigung.

Nomos Verlagsgesellschaft mbH.

Simmel, G. (1905). Philosophie der Mode. Moderne Zeitfragen, Nr. 11, S. 21.

[...]


1 Georg Simmel, Philosophie der Mode, in: Moderne Zeitfragen Nr. 11, S. 4

2 Georg Simmel, Philosophie der Mode, in: Moderne Zeitfragen Nr. 11, S. 11ff.

3 Georg Simmel, Philosophie der Mode, in: Moderne Zeitfragen Nr. 11, S. 2ff.

4 Georg Simmel, Philosophie der Mode, in: Moderne Zeitfragen Nr. 11, S. 6ff.

5 Pilsl, Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Soziologie, LVA 231385 Kultur- und Mediensoziologie: Ausgewählte Aspekte (Prof. Ingo Mörth), „Georg Simmels Modetheorien“, S. 9 ff.

6 Pilsl, Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Soziologie, LVA 231385 Kultur- und Mediensoziologie:

Ausgewählte Aspekte (Prof. Ingo Mörth), „Georg Simmels Modetheorien“, S. 8

7 Georg Simmel, Philosophie der Mode, in: Moderne Zeitfragen Nr. 11, S. 12

8 Goffman, The Presentation of Self in Everyday Life, S. 12.

9 Goffman, The Presentation of Self in Everyday Life, S. 72.

10 Goffman, The Presentation of Self in Everyday Life, S. 25.

11 Goffman, The Presentation of Self in Everyday Life, S. 22 ff.

12 Mead, Mind, Self, and Society, S. 140

13 Hall, Introduction: Who Needs 'Identity'?, S. 4.

14 Hall, Introduction: Who Needs 'Identity'?, S. 222-237.

15 Lehnert, Mode, S. 8.

16 Lehnert, Mode, S. 8 ff.

17 Goffman, The Presentation of Self in Everyday Life, S. 22.

18 Simmel, Philosophie der Mode, 1905, 4 (21)

19 Sios, What Is Subculture and How Does It Reflect on Fashion?

20 Hall, Who Needs 'Identity?, S. 4.

21 Georg Simmel, Philosophie der Mode, in: Moderne Zeitfragen Nr. 11, S. 6 ff.

22 Reckwitz 2012, Die Erfindungder Kreativität, S. 16 f

23 Reckwitz 2012, Die ErfindungderKreativität, S. 39f

24 Han, Transparenzgesellschaft, S. 19.

25 Georg Simmel, Philosophie der Mode, in: Moderne Zeitfragen Nr. 11, S. 21

26 Illouz, Emotions, Imagination and Consumption, S. 389-391.

27 Butler 1991, „Gender Trouble“, S. 25.

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Titre: Symbol, Sichtbarkeit, Selbst. Mode als Medium der Identitätsinszenierung

Texte Universitaire , 2025 , 15 Pages , Note: 1,5

Autor:in: Simon Derks (Auteur)

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Titre
Symbol, Sichtbarkeit, Selbst. Mode als Medium der Identitätsinszenierung
Université
AMD Akademie Mode & Design GmbH  (AMD Hamburg)
Cours
Fashion Design
Note
1,5
Auteur
Simon Derks (Auteur)
Année de publication
2025
Pages
15
N° de catalogue
V1606271
ISBN (PDF)
9783389151310
ISBN (Livre)
9783389151327
Langue
allemand
mots-clé
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Citation du texte
Simon Derks (Auteur), 2025, Symbol, Sichtbarkeit, Selbst. Mode als Medium der Identitätsinszenierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1606271
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