In dieser Hausarbeit soll es um die verschiedenen Arten von epistemischen Ungerechtigkeiten gehen, welchen Frauen – genauer gesagt Vergewaltigungsopfer, im Gerichtssaal ausgesetzt sind. Dafür werde ich einen Fall analysieren, um anhand dieses Beispiels die verschiedenen Arten zu erläutern. Es werden auch die Momente vor dem Gericht, sowie nach dem Gericht mit einbezogen, da sie alle ihre Rolle zu den Ungerechtigkeiten beitragen. Die für diese Analyse wichtigen Begriffe sollen zunächst in einem Grundlagenkapitel erklärt werden. Danach werde ich den zentralen Fall im Groben darstellen. Der Hauptteil ist in drei Teile gespalten, jeweils einer für den Zeitraum vor dem Gericht, währenddessen und nach dem Gerichtstermin. Für den Schlussteil erfolgt erst eine kurze Antwort auf die Fragestellung, bzw. eine Zusammenfassung der epistemischen Ungerechtigkeiten, die in der Fallstudie zu erkennen sind. Abschließend gibt es einen Einblick in Präventionsmaßnahmen gegen solche Geschehnisse.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung:
1.1 Schäden, die durch epistemische Ungerechtigkeiten in solchen Fällen entstehen können:
2. Grundlagen:
2.1 Identitätsmacht:
2.2 Zeugnisungerechtigkeit:
2.3 hermeneutische Ungerechtigkeit:
2.4 hermeneutische Ignoranz:
2.5 Silencing:
3. Hauptteil:
3.1 Vor dem Prozess:
3.2 Während des Gerichtsprozesses:
3.3 Nach dem Prozess:
4. Schluss:
Literaturverzeichnis:
1. Einleitung
In dieser Hausarbeit soll es um die verschiedenen Arten von epistemischen Ungerechtigkeiten gehen, welchen Frauen - genauer gesagt Vergewaltigungsopfer, im Gerichtssaal ausgesetzt sind. Dafür werde ich einen Fall analysieren, um anhand dieses Beispiels die verschiedenen Arten zu erläutern. Es werden auch die Momente vor dem Gericht, sowie nach dem Gericht miteinbezogen, da sie alle ihre Rolle zu den Ungerechtigkeiten beitragen. Die für diese Analyse wichtigen Begriffe sollen zunächst in einem Grundlagenkapitel erklärt werden. Danach werde ich den zentralen Fall im Groben darstellen. Der Hauptteil ist in drei Teile gespalten, jeweils einer für den Zeitraum vor dem Gericht, währenddessen und nach dem Gerichtstermin. Für den Schlussteil erfolgt erst eine kurze Antwort auf die Fragestellung, bzw. eine Zusammenfassung der epistemischen Ungerechtigkeiten, die in der Fallstudie zu erkennen sind. Abschließend gibt es einen Einblick in Präventionsmaßnahmen gegen solche Geschehnisse.
1.1 Schäden, die durch epistemische Ungerechtigkeiten in solchen Fällen entstehen können
Primäre Schäden der Zeugnisungerechtigkeit, zeichnen sich durch ihre Beziehung zum Wissen des “Geschädigten" aus. Der betroffenen Person wird ihr Wissen abgesprochen, oder es wird von vorneherein gar nicht erst wahrgenommen. Somit wird auch die Vernunft des jeweiligen Menschen, also einer der zentralsten Punkte des menschlichen Daseins herabgewürdigt. (Fricker, 2023, S.75-79). Sekundäre Schäden betreffen die praktische und epistemische Dimension der Zeugnisungerechtigkeit. Ein Beispiel für die praktische Dimension wäre die Aussage einer Person vor Gericht, die nicht für wahr genommen wird. Es sind also Handlungen, die sich praktisch abspielen. Epistemisch andererseits, die die Innenwelt und die Überzeugungen von dem Betroffenen selbst verändern. Die Person wird vom Geschehen so weit beeinflusst, dass sie ihr Vertrauen in ihre eignen Überzeugungen, damit ihr Wissen verliert, was ihren folgenden intellektuellen Werdegang stark verändern kann. (Fricker, 2023, S.75-79).
Wird einer Frau vor Gericht nicht geglaubt, dann kann allein diese Tatsache, das eigentliche Trauma, dass ihr widerfahren ist, verschlimmern - wenn nicht sogar zu einer weiteren Traumatisierung führen, wie die Opferanwältin Dr. Doering-Striening (2004, S.10) in ihrer Arbeit erläutert. Weitergehend führt sie aus, dass die Belastung, selbst als “Angeklagte” behandelt zu werden, anstelle des Opfers, schon mehrfach zu solch einem Zusammenbruch geführt habe, infolgedessen die Frau vernehmungsunfähig wurde, während der Mann freigesprochen wird - denn das Hauptbeweismittel stehe ja nicht mehr zu Verfügung (Dr. Doering-Striening, 2004, S.11). Ganz generell jedoch reagieren Frauen häufig mit Schuldgefühlen, da sie durch weitverbreitete Vorurteile eingeredet bekommen, oder sich gar selbst einreden, verantwortlich zu sein. Sie zweifeln an dem, was tatsächlich passiert ist (Frauen helfen Frauen e.V., o.D., S.6). Oft greift der Körper auf Strategien wie "Einfrieren" bzw. "sich-tot-stellen" in traumatischen Situationen zurück - welche das Verarbeiten im Nachhinein jedoch deutlich schwieriger gestalten. Die Erinnerungen an das, was passiert ist, sind nicht wie alle anderen kontrolliert abrufbar, sondern erfolgen oft nur in einzelnen Fragmenten, wird in einer Broschüre des Vereins “Frauen helfen Frauen e.V.” (o.D., S.7) erklärt. Auch diese Tatsache führt dazu, dass das Erinnern an bspw. polizeiliche Fragen schwerer wird - was wiederrum dazu führt, dass die Vorurteile von außen steigen. Beeinflusst von diesem Teufelskreis übernimmt die Frau daraufhin, wie oben angeführt, die Verantwortung und redet sich ein, dass die anderen recht haben. Der Täter, um den es eigentlich gehen sollte, bleibt während all dem ungeschädigt - während die Frau eine lebenslänglich, ungeklärte Wunde davontragen muss. Das ist kein Opferschutz, wenn nicht sogar Opfer Schädigung, stellt Striening (2004, S.8 f.) fest, welche aus den unaufgeklärten Vorgehensweisen derjenigen, auf dessen Hilfe eine Frau angewiesen ist und auf die sie zählt, resultieren. Ich denke, niemand wird sich dagegen aussprechen, dass diese angesprochenen polizeilichen Fragen nicht gestellt werden müssen - aber das sollte auf eine Art und Weise passieren, die nicht noch mehr Schaden anrichtet. Die Fragen sollten mit Verständnis und Vertrauen gestellt werden, nicht von Missgunst und Skepsis gekennzeichnet sein, zumindest nicht in dem direkten Gespräch mit dem Opfer. Die Polizei muss definitiv die Wahrheit der Aussagen prüfen, jedoch leugnet sie die Wahrheit selbst, wenn ihre Vorgehensweise so unaufgeklärt in Fällen der sexuellen Gewalt ist, dass sie die Frau zum Täter macht. Wie bereits gesagt und von Dr.Doering-Striening (2004, S.10) in ihrer Arbeit dargelegt, kann diese unterlassene Hilfe und Schlimmer, dass die Frau zur Verantwortlichen gemacht wird, zu einer weiteren Traumatisierung führen. Einmal in der Hinsicht des Gefühls, selbst die Angeklagte zu sein, die etwas verbrochen hätte, die die Verantwortung tragen muss - und das in Kombination mit der unterlassenen Hilfe vom Staat, was oft auch Unsicherheit und Angst in den eigenen vier Wänden hervorruft, wenn es nicht schon reicht, sich auf der Straße fürchten zu müssen. Letzten Endes bleibt sie also auf sich selbst angewiesen, was ihre Sicherheit und den Umgang mit all der traumatischen Erlebnisse angeht. Die Bewältigung der Flashbacks. Das Misstrauen, welches ihr entgegengebracht wurde und leugnen ihrer Worte. Ihre eigene Wahrnehmung der Situation und ihrer Person. Zweifel, gepaart mit einem abnehmenden Selbstwertgefühl. Die ganze Scham, die sie empfinden muss, verursacht lediglich von den patriarchalen Strukturen. Vielleicht vergräbt sie auch all das Geschehene tief in ihr, redet sich ein, es wäre gar nicht so schlimm gewesen - bis es irgendwann als Krankheit in ihr wieder hervorkommt. “Auch ein verdrängtes Trauma kann nach einiger Zeit wieder an die Oberfläche kommen” (AOK-Gesundheitsmagazin, 2022). “Die Symptome [...] können [...] diffuser sein, den klassischen Stress-Symptomen ähneln und sich wie folgt äußern:
- Bauchschmerzen und Magen- und Darmbeschwerden
- Ein Gefühl von innerer Unruhe in bestimmten Situationen
- Extreme Anspannung, häufig kombiniert mit Kopf- oder Rückenschmerzen
- Schnelle, flache Atmung sowie Herzrasen
- Probleme beim Einschlafen oder Durchschlafen
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Starke oder stark schwankende Emotionen” (FreyMuT Academy GmbH, o.D.).
2. Grundlagen
Der Begriff der ‘epistemischen Ungerechtigkeit’ umfasst ganz allgemein alle Ungleichheiten im Zugang zu Wissen sowie der Möglichkeit, Wissen zu teilen.
Außerdem geht es darum, wie soziale Machtverhältnisse und Vorurteile mit in diese Thematik hereinspielen. Epistemische Ungerechtigkeit betrifft viele wichtige Punkte in der Diskussion über soziale Gerechtigkeit, Identität und die Dynamiken von Macht und Wissen in der Gesellschaft. Insbesondere wird er von der Autorin Miranda Fricker in die Kategorien ‘Zeugnis-’ und ‘hermeneutische Ungerechtigkeit’ unterteilt, die im Folgenden näher beschrieben werden.
2.1 Identitätsmacht
Identitätsmacht ist eine Form von sozialer Machtausübung. Sie basiert auf geteilten Vorstellungen der “betroffenen” Personen in einer sozialen Interaktion. Diese Vorstellungen beziehen sich, je nach Situation und Individuum, bspw. auf das Geschlecht, das Alter oder den Beruf der Person(en). (Fricker, 2023, S.33 f.). Die Macht manifestiert sich in der Situation dann in der Art und Weise, wie beide Parteien behandelt werden. Ein Beispiel hierfür wäre eine Hausfrau, die von ihrem Mann verboten bekommt zu arbeiten, da er der “Verdiener” sei, während sie für “Kinder und Küche” zuständig ist.
Wenn Identitätsmacht ausgeübt wird, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass alle Beteiligten diese Vorstellungen auch akzeptieren oder als richtig empfinden. In der Situation selbst jedoch manifestieren sich eben diese durch die Auslebung der Identitäten. Wie Fricker (2023) in ihrem Buch darlegt, geschieht die Machtausübung lediglich auf der Grundlage kollektiver sozialer Imagination. (Fricker, 2023, S.3839).
2.2 Zeugnisungerechtigkeit
Wenn Individuen aufgrund von Vorurteilen oder Stereotypen weniger Glaubwürdigkeit zugesprochen bekommen, als ihnen zustehen würde, spricht man von Zeugnisungerechtigkeit. In solchen Fällen wird also dem Wort einer Person oder einer Gruppe zu Unrecht weniger Glaube oder Bedeutung geschenkt, was dazu führt, dass ihre Aussagen an Glaubwürdigkeit verlieren. Man spricht deshalb auch von ‘Testimonial Ungerechtigkeit’. (Fricker, 2023, S.50 f.). Die Folgen von Zeugnisungerechtigkeit sind meist gravierend. Oftmals gehen somit neben den persönlichen Ansprüchen, die rechtlichen Ansprüche der Personen oder Gruppen verloren. Dass die Erfahrungen und Perspektiven der Betroffenen nicht ernst genommen oder gesellschaftlich nicht akzeptiert werden, kann zu einem Gefühl der Isolation bzw., Marginalisierung führen, was wiederum ihre Interaktion sowie ihr Verhalten mit anderen Menschen beeinflusst. Zeugnisungerechtigkeit kann aus jeglichen Gründen, wie z.B. der Herkunft einer Person geschehen. (Fricker, 2023, S.55f.).
2.3 hermeneutische Ungerechtigkeit
Hermeneutische Ungerechtigkeit wird von dem Fehlen, meist begrifflicher Ressourcen charakterisiert. Soziale Erfahrungen können infolgedessen vom Subjekt nicht gedeutet, verstanden oder überhaupt beschrieben werden. Ein Beispiel hierfür wäre sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Bevor es diesen Begriff gab, konnten solche sexuellen Übergriffe weder von den betroffenen Frauen richtig beschrieben werden, noch konnten diese rechtlich dagegen vorgehen. Da der Begriff nicht etabliert war, konnten sie schlechter als es heutzutage möglich ist, einordnen was genau ihnen geschieht und es somit auch schlechter verarbeiten. Auch diese Ungerechtigkeit wird von der Machtlosigkeit der Betroffenen gegenüber der Macht ausübenden Person ausgezeichnet. (Pohlhaus, 2012, S.716 f.).
2.4 hermeneutische Ignoranz
Wenn Menschen, ohne sich bewusst dazu zu entscheiden, bestimmte Kontexte nicht richtig deuten oder verstehen können, ist diese Unkenntnis in manchen Fällen hermeneutische Ignoranz. Ein ausschlaggebender Faktor, um es differenzieren zu können, ist, dass diese Art durch Bildung, Dialog oder sonstigen Austausch überwunden werden könnte. Dass Personen bei hermeneutischer Ignoranz die Bedeutung von Handlungen oder Aussagen nicht richtig erfassen können, liegt also an einem Missverständnis oder viel mehr an mangelndem Wissen der einen Seite. Miranda Fricker (2023) hat dieses Phänomen in ihrem Buch, auch unter dem Begriff “hermeneutische Marginalisierung”, noch weiter ausgeführt (Fricker, 2023, S.208 f.).
Darüber hinaus gibt es jedoch noch willentliche hermeneutische Ignoranz. Diese Form tritt auf, wenn die “Blindheit” einer Person in einem bestimmten Sachverhalt eine bewusste Entscheidung, anstatt einen Mangel an Erfahrung oder Bildung darstellt. In Fällen von willentlicher hermeneutischer Ignoranz lehnt die eine Seite also bestimmte Perspektiven ab oder ignoriert sie extra, obwohl sie die Bedeutung versteht oder verstehen könnte, wenn sie eben wollte. Ein Beispiel hierfür wäre, dass ein Kind im Kindergarten gerade von der Erzieherin erklärt bekommen hat, dass es die Leiter der Rutsche benutzen soll, anstatt von der anderen Seite hinaufzuklettern, da es gefährlich ist und andere Kinder es beim Rutschen übersehen und mit ihm zusammenstoßen könnten. Dass Kind hört und versteht die Anweisung, entscheidet sich aber bewusst dagegen, da es unbedingt die Rutsche hinauf klettern will. Nach einem folgenden Unfall mit einem anderen Kind tut es so, als hätte es nichts von der Regel gewusst. (Fricker, 2023, S.211 f.)
2.5 Silencing
Silencing ist ein Konzept, welches Stimmen und Meinungen insofern unterdrückt, als dass sie erst gar nicht gehört werden. Es lässt sich, so wie Fricker selbst in ihrem Buch vorgeht, besonders deutlich mittels eines Beispiels über die Objektifizierung von Frauen in der Pornoindustrie erläutern. In den Inhalten dieses Gewerbes, werden Männern, Frauen oft nur als Sexobjekt dargestellt. Die “Macht” und “Dominanz” der Männer wird so verherrlicht, dass es schlichtweg dafür sorgt, dass sie denken, Frauen hätten sich zu unterwerfen und unterzuordnen. So zeigen Männer, die solche Inhalte konsumieren, schließlich die vermittelten Werte auch im Alltag (Fricker, 2023, S.189/190). Ein “Nein” wird überhört und hat nichts mehr zu bedeuten. So wird beim Silencing das Sprechen zum Schweigen, da die Worte von vorne rein gar nicht erst gehört werden, es wird nicht auf sie reagiert, als hätte (die Frau) gar nicht gesprochen (Fricker, 2023, S.189 f.). Das verdeutlicht die tiefgreifende und schädliche Wirkung dieser Form von Unterdrückung. Die betroffene Person wird systematisch ausgeschlossen, Gleichstellung oder gegenseitiger Respekt gehen verloren.
3. Hauptteil
Der Gerichtsprozess, um den es in dieser Hausarbeit hauptsächlich gehen soll, fand 2018 in Nordirland statt. Schnell sollte aber die ganze Welt dabei zuschauen, später entwickelten sich sogar große Aufstände und Proteste mit dem Thema „I believe her“, auf deutsch „Ich glaube ihr“. (Gallagher, 2018).
Bekannt ist der Prozess als „Belfast Rugby Rape Trial“, auf deutsch „Belfast Rugby Vergewaltigungs-Prozess“, welcher gänzlich von Gallagher (2018) in der IrishTimes festgehalten wurde. 4 Männer wurden angeklagt wegen Vergewaltigung und sexuellen Übergriffes, 2 von ihnen waren bekannte Rugby Spieler. Generell ist Rugby ein hoch gefeierter Sport in Irland, weshalb der Fall allein schon durch den Bekanntheitsgrad der beiden Spieler große Aufmerksamkeit auf sich zog. Außerdem kamen massivst degradierende Chats zwischen den Angeklagten an die Öffentlichkeit, die sich an die Anklagestellerin, sowie Frauen im Allgemeinen richteten. Der gesamte Gerichtsprozess zog sich über 9 Wochen. 8 Tage lang dauerte der Zeugenstand der Frau, welche die Anklage gestellt hatte. Sie durfte, zum Schutze ihrer Identität, ihre Aussagen vor bzw., hinter einem Vorhang machen, sodass sie lediglich den Richter, die Geschworenen und die Anwälte sehen konnte. Dennoch konnte jeder die Frau sehen, da eine Kamera vor der Loge ihre Aussagen auf eine Videoleinwand übertrug, die vor der Anklagebank und der Zuschauertribüne aufgestellt war. Da die Öffentlichkeit bei dem Prozess zugelassen war, dauerte es also trotz dessen nicht lange, bis ihr Name in den sozialen Medien verbreitet wurde. (Gallagher, 2018).
Letztendlich stand das Wort einer Frau gegen das Wort eines Mannes - bzw. der Männer. Auch wenn es in diesem Fall zumindest ein paar Zeugenaussagen, DNASpuren und sogar die Textnachrichten gab, wies jedoch keines der Beweismittel eindeutig auf ihre Schuld oder Unschuld hin. Nach drei Stunden und 40 Minuten Verhandlung über das in den 9 Wochen präsentierte Beweismaterial wurden die Urteile verkündet. Die Männer wurden als „Nicht schuldig in allen Anklagepunkten“ gesprochen (Gallagher, 2018, deutsch übersetzt). (Gallagher, 2018).
3.1 Vor dem Prozess
Schon bevor die Anklagestellerin beschließt ihre Aussage zu machen, ist sie epistemischer Ungerechtigkeit ausgesetzt. MacKenzie (2022) beschreibt in einem Artikel über den Fall, wie nicht nur die Betroffene selbst, sondern Frauen generell (ob bewusst oder unbewusst) tagtäglich die hochgradige Männer-Zentrierung Nordirlands erleben müssen, nicht zuletzt durch die Glorifizierung des Sports Rugby. Durch seine Popularität wird in dem Land größtenteils das männliche Geschlecht glorifiziert, einhergehend mit den Attributen Dominanz, Aggressivität, Assertion und Heterosexualität. Auf gleichem Wege rufen diese Werte Frauenfeindlichkeit und Homophobie hervor. (MacKenzie, 2022). “Kavanagh (2019) stellt in einer Fallstudie über Sektierertum, Männlichkeit und Rassismus in einem nordirischen Rugby-Club fest, dass Darbietungen „übermäßiger Männlichkeit“ fast ein Synonym für Rugby-Clubs sind[...]”(MacKenzie, 2022, deutsch übersetzt).
Doch nicht nur die dadurch vermittelten Ansichten und Umgangsweisen stellen ein Problem dar. Die Betreiber und Spieler des Sports sind öffentlich so hoch anerkannt und gefeiert, als dass sie mit Straftaten einfacher “davonkommen” (MacKenzie, 2022). Sie haben die besseren Anwälte und die Unterstützung all der Fans, sodass noch bevor sich jemand über sie beschwert, derjenige lieber doch nichts sagt - aus Angst, dass man diesen Kampf nur verlieren kann (MacKenzie, 2022). So lässt sich hier das klassische “Silencing” erkennen. Ausdrücke ihrer sexistischen Ansichten werden, wenn es doch einmal zur Konfrontation kommt, abgetan - man solle es nicht wörtlich, oder lediglich als Spaß nehmen. So kann es keinen Vorwurf geben, denn dieser wird als Fehlinterpretation beiseitegelegt. (MacKenzie, 2022). Auch zeigt dieses Phänomen bereits Teile der Identitätsmacht, die von den Rugby Mitgliedern ausgeht.
Da zwei der Angeklagten Rugby Spieler waren, hätte also allein diese Tatsache dazu führen können, dass die Betroffene des Falles schweigt. Doch auch in Anbetracht der Tatsache, dass sie sich dazu entschieden hat ihre Aussage zu machen, schützte sie das nicht davor, dass sie noch während des im folgenden behandelten Prozess zum Schweigen gebracht wurde.
3.2 Während des Gerichtsprozesses
Während im Gericht der Austausch erfolgt, können deutlich die Strukturen von Identitätsmacht, Zeugnisungerechtigkeit und Silencing gegenüber der Anklagestellerin, sowie von (willentlicher) hermeneutischer Ungerechtigkeit und Ignoranz, erkannt werden.
Das Geschehene aus der Sicht der Frau im Detail zu erläutern, würde für diese Hausarbeit zu umfangreich sein. Ihre Aussage umfasst jedoch im Allgemeinen, dass als sie eine private Feier verlassen und dafür ihre Tasche aus dem
Schlafzimmer holen wollte, in eben diesem von “dem ersten” der vier Angeklagten vergewaltigt wurde. Der zweite Angeklagte, der noch währenddessen das Zimmer betrat, setzte die Vergewaltigung fort. Erst bei dem dritten der Angeklagten, welcher bereits entblößt in das Zimmer kam, konnte sie die Flucht, mit Hilfe des 4. Angeklagten, ergreifen. Insgesamt dauerte ihre Aussage vor der Staatsanwaltschaft einen Tag. Anschließend erhielt die Verteidigung der Angeklagten die Gelegenheit zum Kreuzverhör. Letztendlich saß die Anklagestellerin dabei acht Tage lang im Zeugenstand, jedoch war nicht jeder dieser acht Tage voll besetzt. (Gallagher, 2018).
Zuerst wurde sie von dem Anwalt Brendan Kelly, insgesamt für drei Tage, ins Kreuzverhör genommen. Dieser war für den ersten Angeklagten, Jackson, zuständig. Brendan Kelly stellte es so dar, als hätte die Anklagestellerin genau gewusst, dass Jackson ein prominenter Rugby Spieler sei, und dass sie deshalb hinter ihm her gewesen wäre. Sie hingegen erwiderte, dass sie gar nicht gewusst hätte wer Jackson und seine Kollegen sind (Gallagher, 2018). Mittels mehrdeutiger “Beweise” konnte Brendan Kelly sich jedoch seiner Identitätsmacht, sowie der von Jackson, bedienen, um bei den Richtern die nötigen Vorurteile gegenüber der Anklagestellerin zu initiieren. Dabei legte er außerdem dar, sie hätte nur behauptet, vergewaltigt worden zu sein, aus Scham, dass ihre Freunde darüber reden würden, dass sie Gruppensex hatte (Gallagher, 2018). Auch die blutverschmierte Kleidung der Frau sollte nicht als Wiederspruch reichen. Seiner Ansicht nach hätte sie schon davor geblutet (Gallagher, 2018). All die Anschuldigungen wies die Frau zurück, doch der vom Anwalt losgelösten Kette von Vorurteilen und somit Zeugnisungerechtigkeit gegenüber ihrem Wort, konnte nicht einmal die ärztliche Bestätigung, dass die Anklagestellerin durch die Vergewaltigung einen inneren Riss erlitten hatte, standhalten. (Gallagher, 2018).
Als nächstes nahm der Anwalt Frank O'Donoghue von dem zweiten Angeklagten, Stuart Olding, sie ins Kreuzverhör. Er griff überwiegend die gleichen Punkte wie Brendan Kelly auf, hob jedoch bei seiner Verteidigung hervor, sein Mandant hätte nur oralen Verkehr an ihr verübt (was die Anklagestellerin zwar zurückwies, doch auch hier wurde sie zum Schweigen gebracht), und dass dies im Widerspruch zu dem stehe, was sie dem Arzt in der Klinik erzählt hätte (Gallagher, 2018). Außerdem ließ er noch weitere Vorurteile entstehen, da er die Richter darauf hinwies, dass die Frau während der ärztlichen Untersuchung unter Schlafmangel gestanden hätte, daher in einem emotionalen Zustand war (Gallagher, 2018). Auch hieran sieht man, wie der Anwalt die Anwesenden in eine völlig andere Sicht auf die Geschehnisse “gaslightet”. Durch seine Identitätsmacht und Darstellung der angeblichen Vergewaltigung löst er weitere Vorurteile bei den Richtern aus, die Zeugnisnungerechtigkeit welche die Anklagestellerin erfährt wird mit jedem Satz tiefgreifender. Dafür, dass beide der hier genannten Angeklagten zu dem Zeitpunkt der Vergewaltigung hinter der Frau standen und sie deshalb, nach eigener Aussage, nicht einmal sehen konnte, wer sich gerade an ihr vergeht, interessierte sich niemand (Gallagher, 2018). Erneut handelt es sich in diesem Kreuzverhör um eine schwerwiegende Form von Zeugnisungerechtigkeit und Silencing gegenüber ihrem Wort und Wissen.
Der dritte Angeklagte, Blane McIlroy, wurde von dem Anwalt Arthur Harvey, wegen seiner Entblößung vertreten (Gallagher, 2018). Genau wie die vorherigen beiden Anwälte lenkte er die Aufmerksamkeit auf meiner Ansicht nach belanglose Unstimmigkeiten. So führte er bspw. an, dass die Anklagestellerin erst gesagt habe, Blane McIlroy sei schon nackt ins Zimmer gekommen, wobei sie später wiederrum angab, er hätte die Hosen erst in dem besagten Raum ausgezogen (Gallagher, 2018). Tatsächlich sollten diese Anschuldigungen, wenn nicht eher Ablenkung und damit Stiftung weiterer Vorurteile gegen die Anklagestellerin, genügen, um ihr Wort und ihre, meiner Meinung nach aussagekräftigeren Beweise, ungesehen zu machen. Unter anderem auch die frauenfeindlichen Textnachrichten zwischen den beiden ersten Angeklagten Jackson und Olding, welche sie sich noch in der Nacht des Geschehens in Bezug auf die Anklagestellerin hin und her schrieben. Sie wurden von den Medien, der Verteidigung und den Unterstützern von Jackson und Olding als „Geplänkel“, „unreife Prahlerei“ und „Jungs, die Jungs sind“ abgetan, was uns erneut die Identitätsmacht und hermeneutische Ignoranz dieser Partei aufzeigt (Gallagher, 2018, deutsch übersetzt)
Dass der 4. “Angeklagte” vor Gericht erscheinen musste, geschah lediglich aufgrund der Polizei, welche ihm, Harrison, vorwarf, die Ermittlungen zu behindern, indem er Informationen zurückhielt. Gegen ihn hatte die Anklagestellerin selbst jedoch nichts Negatives ausgesagt. (Gallagher, 2018).
Es lässt sich also nach meiner Sichtweise, ein Konglomerat an epistemischen Ungerechtigkeiten erkennen. So erlebt die Frau tiefgreifende Zeugnisungerechtigkeit und Silencing, da ihr Wort und Wissen über das, was ihr wiederfahren ist, wegen ihrer Rolle als Frau nicht gehört, sondern als Lüge abgetan wird. Dies geschieht mit unter durch die Identitätsmacht, welche von den Anwälten und angeklagten Rugby Spielern ausgeht, sowie deren willentlicher hermeneutischer Ignoranz des eigentlichen Vorfalls gegenüber und letztendlich der hermeneutischen Ungerechtigkeit der Richter, welche entweder blind sein wollen oder durch die Verteidigung der Angeklagten blind gemacht werden. Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei um ein vielschichtiges Versagen.
3.3 Nach dem Prozess
Die Identitätsmacht der Verteidiger und Rugby Spieler führte dazu, dass sie solch gravierenden Vorurteile gegenüber der Anklagestellerin schaffen konnten, welche ihre Glaubwürdigkeit und somit auch ihr Wissen, herabsetzten. Außerdem kontrollierten die Anwälte somit auch die Zuhörer, hier vor allem die Richter, da sie durch die geschaffenen Vorurteile und dem gezielten gaslighting, Einfluss auch auf dessen Glaubwürdigkeitsbeurteilung nehmen konnten. Am Ende führte dies zum Freispruch der in meinen Augen, Schuldigen. Jedoch kann dieser Machtmissbrauch, all die Kreuzverhöre denen sich die Frau stellen musste, sowie das abschließende Urteil, dazu geführt haben, dass sie selbst stark durch das Gaslighting beeinflusst wird und sich ihre eigene Sicht auf das Geschehene verfälscht. Wie in der Einleitung beschrieben könnte sie im Nachhinein doch die Verantwortung über das was ihr wiederfahren ist übernehmen, sich ihr eigenes Wissen absprechen. Dieser Schaden könnte sich dann, (wenn dies nicht bereits unsere Realität ist) wiederrum auf unsere Gesellschaft auswirken, sodass auch weitere Opfer zum Schweigen gebracht werden - oder gar nicht erst reden, beschreibt MacKenzie (2022) in ihrem Artikel.
Ganz deutlich fand hier im Gerichtsverfahren also auch, trotz all ihrer Aussagen, ein “Silencing” statt. Denn sie wurde nicht gehört, ihre Worte bedeuteten nichts. Nur die darauffolgenden Protest-Aktionen konnten das Silencing glücklicherweise brechen. Auch wenn es leider längst nicht bei all diesen Arten von Vorfällen zu solch sozialer Aufmerksamkeit und Gegenwehr kommt, konnte so zumindest für mehr Bewusstsein und auch Stärkung der Frau gesorgt werden.
4. Schluss
Wie sich anhand der in dieser Hausarbeit bearbeiteten Fallstudie erkennen lässt, sind Frauen bei Sexualdelikten vor Gericht verschiedensten epistemischen Ungerechtigkeiten ausgesetzt. Nicht zuletzt liegt dies auch an weit verbreiteten Mythen und Vorurteilen gegenüber Vergewaltigung. Auch Alltagssexismus und sonstige Frauenfeindlichkeit, wie es beispielsweise in den Männer-zentrierten Strukturen Nordirlands vorgekommen ist, tragen ihren Teil dazu bei. Nachhaltige Lösungen für dieses Problem zu finden, würde leider über den Rahmen dieser Hausarbeit hinausgehen. Wichtig ist aber trotzdem, dass künftige Opfer und Anklagestellerinnen weiterhin mehr Aufklärung und Unterstützung erfahren, auch in Bezug auf die Existenz dieser epistemischen Ungerechtigkeiten. Je mehr die Thematik verbalisiert wird, je mehr Frauen und auch Männer ihre Aufmerksamkeit auf diese Themen lenken, desto mehr Verbesserung kann erzielt werden. Keiner sollte das Gefühl haben, besser zu Schweigen, um der Erniedrigung, Demütigung oder Traumatisierung vor Gericht aus dem Weg zu gehen.
Literaturverzeichnis
• AOK-Gesundheitsmagazin. (2022). Trauma: Wenn die Seele verletzt wird. Psychologie. Körper und Psyche. https://www.aok.de/pk/magazin/koerper- psyche/psychologie/trauma-wenn-die-seele-verletzt-wird/
• Dr. Doering-Striening. (2004). Gedanken einer Opferanwältin. https://www.rue94.de/downloads/opferreader.pdf
• Frauen helfen Frauen e.V. (o.D.). Vergewaltigung - Information und Hilfe. https://www.frauenhelfenfrauenmoers.de/uploads/Vergewaltigung InfoHilfe Moers x3.pdf
• FreyMuT Academy GmbH. (o.D.). So erkennst du verdrängtes Trauma und seine Symptome. Methoden und Therapie. https://freymut- academy.com/so-erkennst-du-verdraengtes- trauma/#:~:text=Die%20Symptome%20von%20verd r%C3%A4ngtem%20Tr auma,kombiniert%20mit%20Kopf%2D%20oder%20R%C3%BCckenschme rzen
• Fricker, Miranda. (2023). Epistemische Ungerechtigkeit. Macht und die Ethik des Wissens. (1. Aufl.). C.H.Beck. [englische Originalausgabe: “Epistemic Injustice. Power and the Ethics of Knowing” (2007)].
• Gallagher, Conor. (2018). Inside Court 12: the complete story of the Belfast rape trial. Crime & Law. The Irish Times. https://www.irishtimes.com/news/crime-and-law/inside-court-12-the- complete-story-of-the-belfast-rape-trial-1.3443620
• MacKenzie, Alison. (2022). Why didn't you scream? Epistemic injustices of sexism, misogyny and rape myths. Journal of Philosophy of Education, Volume 56, Issue 5, Oct 2022, Seiten 787-801, https://doi.org/10.1111/1467- 9752.12685
• Pholhaus, Gaile. (2012). Relational Knowing and Epistemic Injustice: Toward a Theory of "Willful Hermeneutical Ignorance". Wiley on behalf of Hypatia, Inc. Vol. 27, No. 4 (FALL 2012), pp. 715-735. https://www.jstor.org/stable/23352291
[...]
- Quote paper
- Sophia Otto (Author), 2025, Epistemische Ungerechtigkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1606390