Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Aserbaidschan uns seine Ressourcen
2.1.Geschichtliche Entwicklung
2.2. Rolle der Ressourcen
2.2.1. Das Russische Reich und die Sowjetzeit
2.2.2. Das unabhängige Aserbaidschan
3. "Holländische Krankheit"
3.1. Bezug auf Aserbaidschan
3.2. Vergleich
3.2.1. Venezuela
3.2.2. Gegenbeispiel Norwegen
4. Ausblick: Perspektiven für die Entwicklung Aserbaidschans
5. Fazit: Erdöl - Fluch oder Segen?
6. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
In der heutigen Gesellschaft spielen Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas eine enorm wichtige Rolle. Die drastisch gestiegenen Benzinpreise waren wochenlang Gegenstand einer öffentlichen Diskussion. Gasstreitigkeiten zwischen Russland und der Ukraine sowie der Bau der Baku-Tbilisi-Ceyhan-Pipeline sind längst Probleme, die politisch mehrere Staaten erheblich tangieren. Die Rohstoffknappheit bringt die Fragen nach der Zukunft der Atomkraft und alternativen Methoden der Energiegewinnung auf die Tagesordnung und lässt düstere Szenarien bezüglich der Entwicklung unseres Planeten entstehen. Das sind nur wenige Beispiele für die extrem hohe Bedeutung der Rohstoffe, vor allem des Erdöls, für die Politik.
Gerade in solchen Zeiten könnte man meinen, dass das Rohstoffreichtum die wirtschaftliche Stärke und den Wohlstand des Landes garantieren sowie die politische Stabilität gewährleisten sollte. Doch wenn man das Wirtschaftswachstum der ölexportierenden Länder in den letzten zwanzig Jahren betrachtet, stellt man fest, dass nur wenige von ihnen aus ihrem Ressourcenreichtum Profit schlagen konnten. Die Wachstumsraten sind oft kleiner, als bei den Staaten die kein Öl exportieren, manchmal sogar negativ. In vielen dieser Staaten ist die Ölbranche die einzige, die entwickelt ist, während andere stagnieren und grundlegende Waren importiert werden müssen. Ein Großteil der Ölexportländer leidet an Inflation und Korruption, viele dieser Länder haben eine autoritäre Regierung und der Lebensstandard der Menschen ist erstaunlich niedrig. Doch was sind die Gründe für eine solch paradoxe Entwicklung?
In diesem Zusammenhang sprechen die Wissenschaftler oft vom Fluch der Ressourcen. Konkrete Gründe dafür können die falsche Zielsetzung bei Investitionen und Staatsausgaben, die mangelhafte Regierungsqualität oder rent seeking sein.[1] In dieser Hausarbeit wird aber die wohl wichtigste Ursache für den Fluch der Ressourcen erläutert, nämlich die so genannte Holländische Krankheit (Dutch Disease).
Ein aktuelles Beispiel für ein von der Holländischen Krankheit betroffenes Land ist Aserbaidschan. Aserbaidschan und das Kaspische Meer galten Mitte der 90er Jahre als das letzte unerschlossene Erdölgebiet. Das hohe Interesse der Industrieländer sowie Investitionen waren die Folge. Trotz großer Erdölvorkommen und guter Beziehungen sowohl zu der Russländischen Föderation als auch zur EU und zu den USA ist Aserbaidschan komplett vom Öl abhängig. Industrie, Landwirtschaft und Infrastruktur sind unterentwickelt, ca. 40% der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, das Land leidet unter Inflation, Korruption und dem autoritären Regime des Präsidenten Alijew.
Warum ist die Holländische Krankheit in Aserbaidschan entstanden und welche geschichtliche und politische Faktoren haben zu dieser Entwicklung beigetragen? Aus welchem Grund haben Rohstoffen, die eine Wohlstandsquelle sein können, eine lähmende Wirkung auf die Wirtschaft und führen zur Verarmung? Wie ist die Situation in anderen ölexportierenden Ländern? Wie kann man gegen dieses Phänomen ankämpfen? All diese Fragen spielten eine zentrale Rolle beim Verfassen dieser Hausarbeit.
Zuerst soll ein Überblick zur Geschichte Aserbaidschans gegeben werden. Bevor die aktuelle Lage thematisiert wird, erfolgt eine Darstellung der Rolle des Erdöls in der Vergangenheit. Auf das Phänomen der Holländischen Krankheit wird im dritten Abschnitt eingegangen. Nach einer allgemeinen Erläuterung wird die Entwicklung in Aserbaidschan im Bezug auf die „Symptome“ der Holländischen Krankheit untersucht. Anschließend wird eine Gegenüberstellung zur anderen ölexportierenden Staaten vorgenommen – zuerst steht Venezuela im Mittelpunkt, das ähnliche Probleme wie Aserbaidschan hat, dann wird das Musterbeispiel Norwegen behandelt. Es folgt ein Ausblick bezüglich der zukünftigen Entwicklung Aserbaidschans. Am Ende wird ein Fazit gezogen, in dem Risiken und Schwierigkeiten des Umgangs mit dem Erdöl zusammengefasst werden.
Die Literaturlage kann als ziemlich gut bezeichnet werden. Eine aktuelle und sehr übersichtliche Darstellung nicht nur zu Aserbaidschan, sondern auch zu Kaukasus allgemein, bietet das Sammelband „Der Kaukasus. Geschichte – Kultur – Politik“ von Marie-Carin von Gumppenberg und Udo Steinbach (München 2008). Interessant scheint auch das Buch „Der neue Kalte Krieg: Kampf um die Rohstoffe“ von Erich Follath (Hrsg.) (München 2008) zu sein, das leider nicht für diese Hausarbeit verwendet werden konnte. Von den Zeitschriftenaufsätzen ist der Artikel von Hubertus Bardt „Zwischen Sowjetlasten und Ölboom: Aserbaidschan in Transformationsprozess“ (Veröffentlicht in: Osteuropa Wirtschaft 2/2004) hervorzuheben. Internetauftritte internationaler Organisationen, wie die OSZE, Auswärtiger Amt oder Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, sind ebenfalls sehr hilfreich und bieten stets aktuelle und meist unabhängige Informationen und Zahlen zu diesem Thema.
2. Aserbaidschan und seine Ressourcen
2.1.Geschichtliche Entwicklung
Nach einer wechselhaften Geschichte, während deren Aserbaidschan Teil der Safawiden-Reiches war, dem Osmanischen Reich angehörte sowie in türkische Khanate, Sultanate und kleinere staatsähnliche Gebilde unterteilt war, wurde das Land 1803 unter russische Herrschaft gestellt. Endgültig erfolgte die Teilung des aserbaidschanischen Siedlungsgebiets zwischen Russland und Persien 1828 nach persisch-russischen Kriegen (1804-1813 und 1826-1828).[2] Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgebeuteten Erdölvorkommen trugen zu einer raschen Entwicklung der Region bei.[3]
Infolge der Oktoberrevolution entstand die Demokratische Republik Aserbaidschan, die allerdings 1920 durch die Rote Armee zerschlagen wurde. Im selben Jahr entstand die Aserbaidschanische Sozialistische Sowjetrepublik, die zwei Jahre später erst Teil der Transkaukasischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik wurde (mit Armenien und Georgien) und dann 1936 zu einer der unabhängigen Unionsrepubliken wurde.[4]
Anfang der 1990er Jahre kam die kommunistische Herrschaft allerdings in Bedrängnis, als erste klare Forderungen nach Unabhängigkeit entstanden. Im Konflikt um Berg Karabach, eine aserbaidschanische Provinz mit armenischer Mehrheit, gab es eine Eskalation, hinzu kamen Demonstrationen und das darauffolgende brutale Vorgehen der sowjetischen Armee im Januar 1990. Diese Situation in Verbindung mit einer schlechten wirtschaftlichen Lage führte zu einer Destabilisierung in der Region.[5]
Daraufhin wurde die KP-Führung ausgetauscht und im Januar 1990 kam der ehemalige Vorsitzende des Ministerrates Ajaz Mutalibow an die Macht. Er wurde am 8. September 1991 mit 98,5% der Stimmen zum ersten Präsidenten Aserbaidschans gewählt, nachdem das Land infolge des Zerfalls der Sowjetunion die Unabhängigkeit gewann.[6] Seine Herrschaft endete allerdings im Jahr 1992 als bewaffnete Gruppen der Opposition ihn zur Flucht zwangen. Anschließend kam Abulfas Eltschibei an die Macht, der ein „Experiment der Opposition“ einleitete. Aufgrund einer fragwürdigen Sprachreform sowie einer betont pro-türkischen und anti-russländischen Ausrichtung wurde er schnell unbeliebt. Als weitere Niederlagen im Konflikt um Berg Karabach hinzukamen, wurde er infolge einer Militärrevolte gestürzt und Heidar Alijew wurde zum neuen Präsidenten Aserbaidschans.[7]
Der ehemalige KGB-Offizier Alijew war bereits zwischen 1969 und 1982 an der Macht, als er Erster Sekretär des ZK der aserbaidschanischen Kommunistischen Partei war.[8]
Beim erneuten Machtantritt Alijews im Jahr 1993 war die soziale und wirtschaftliche Situation des Landes infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion, innenpolitischer Turbulenzen sowie des Karabach-Konflikts schlecht, zudem behinderten diese Faktoren die sowieso schon zögerlich geführte Privatisierung. Erst 1996 begann sie nicht ohne Druck seitens des Internationalen Währungsfonds langsam voranzukommen.[9] Trotz schwerer Lage gelang es Heidar Alijew, die prekäre innenpolitische Lage zu stabilisieren und die Protestversuche der Opposition im Keim zu ersticken. Anschließend begann Alijew mit dem Ausbau eines starken Machtapparats und riss alle Polizei- und Militärbefugnisse an sich. Nach und nach beseitigte er alle seine Gegner und baute sein System in ein starkes Präsidialregime um. Seine Partei zog im November 1995 in das neue Parlament ein und es wurde eine neue Verfassung verabschiedet.[10] Seine Macht nahm weiter autoritäre Züge an – Einschüchterungen und willkürliche Verhaftungen von Journalisten und Oppositionellen waren die Folgen. Im Jahr 1998 kam es zu massiver Kritik von Seiten der internationalen Beobachter, die die Wahlen als unfrei und manipuliert einstuften.[11]
Außenpolitisch schaffte es Aliejew, den Abzug der russischen Grenztruppen aus dem Grenzgebiet zum Iran und zur Türkei zu erzwingen und auch jegliche andere militärische Präsenz von Seiten Russlands zu verweigern.[12] Ihm ist es gelungen, eine unabhängige Position zwischen Russland auf der einen und Europa und USA auf der anderen Seite zu finden. Den Höhepunkt außenpolitischer Erfolge brachte 2001 die Aufnahme in den Europarat.[13]
In der Regierungszeit Alijews konnte die Wirtschaftlage zwar stabilisiert, Wachstum verzeichnet und das Investitionsklima verbessert werden, aber auf den Lebensstandard der Bevölkerung hatte dies wenig Auswirkung. Von der Privatisierung von klein- und mittelständischen Betrieben profitierte nur ein kleiner Kreis aus der Elite, v. a. aus der Präsidentenfamilie. Die Arbeitsmigration nach Russland, Iran und in die Türkei aufgrund schlechter Lebensverhältnisse war die Folge - bereits 2 Mio. Menschen fühlen sich gezwungen, ihr Geld im Ausland zu verdienen.[14]
2003 kam der Sohn von Heidar Alijew Ilham an die Macht, nachdem er von seinem Vater systematisch als Nachfolger aufgebaut wurde. Zudem begleiteten die Präsidentschaftswahlen im Jahre 2003 Bedrohungen und Einschüchterungen gegen Opposition (vor allem gegen den Oppositionsblock „Freiheit“, der für eine Farbrevolution plädierte) und kritische Presse sowie Zusammenschlagungen von Demonstrationen. Heidar Alijew stellte seine Kandidatur ebenfalls zur Wahl, um diese wenige Wochen vor dem Gang an die Urnen zurückzuziehen und seinen Sohn als einen würdigen Nachfolger darzustellen. Seit 2003 ist Ilham Alijew Präsident Aserbaidschans.[15]
Nach den Präsidentschaftswahlen 2003, bei denen westliche Beobachter erhebliche Verstöße und Fälschungen festgestellt haben, kam es zu harten Machtkämpfen innerhalb der Regierung. Infolgedessen griff Alijew im Oktober 2005 durch, indem er viele hochrangige Staatsmänner und Oligarchen wegen Angeblicher Vorbereitung eines Staatsstreichs sowie Finanzierung der Opposition aus ihren Ämtern entlassen hatte und verhaften ließ. Der bis zu diesem Zeitpunkt als schwach geltende Ilham Alijew hatte offensichtlich Angst vor dem Kapital und Ansehen besitzenden Politikern und Oligarchen aus der „Alten Garde“. Nach diesen Maßnahmen konnte er seine Macht stabilisieren.[16]
[...]
[1] Vgl. Bardt, Hubertus: Rohstoffreichtum – Fluch oder Segen? In: www.iwkoeln.de/Portals/0/pdf/trends01_05_3.pdf. Letzter Zugriff: 05.09.2009, 16:45, S. 6-8. Als rent seeking bezeichnet man (illegale) Aktivitäten von Gruppen oder einzelnen Personen, die auf den politischen Prozess Einfluss nehmen, um Gewinn zu erzielen oder andersartig davon zu profitieren.
[2] Vgl. Sidikov, Bahodir: Aserbaidschan – Machtpoker um die Petrodollars. In: von Gumppenberg, Marie-Carin; Steinbach, Udo (Hrsg.): Der Kaukasus. Geschichte – Kultur – Politik. München 2008, S. 50-51.
[3] Vgl. von Oppeln, Philine; Hübner, Gerald: Aserbaidschan: Unterwegs im Land der Feuer. Berlin 2009, S. 39.
[4] Vgl. Sidikov, S. 51.
[5] Vgl. Sidikov, S. 52.
[6] Vgl. Sidikov, S. 53.
[7] Vgl. Sidikov, S. 55-59.
[8] Vgl. Sidikov, S. 51-52.
[9] Vgl. Herzig, Edmund: The New Caucasus. Armenia, Azerbaijan and Georgia. New York 2000. Vielleicht noch Transport/Pipelines, Ökonomische Entwicklung seit dem Zerfall der Sowjetunion, S. 130.
[10] Vgl. Sidikov, S. 55-59.
[11] Vgl. Sidikov, S. 59-60.
[12] Vgl. Scholl-Latour, Peter: Das Schlachtfeld der Zukunft: zwischen Kaukasus und Pamir. Berlin 1996, S. 365.
[13] Vgl. von Oppeln, S. 45.
[14] Vgl. Sidikov, S. 61.
[15] Vgl. Sidikov, S. 60.
[16] Vgl. Nuriyev, Elkhan: Wahlen in Aserbaidschan. Innenpolitische Machtkämpfe und strategische Interessen der Großmächte. In: Stiftung Wirtschaft und Politik-Aktuell 55/2005. Berlin 2005, S. 2-3.