In Schellings "System des transcendentalen Idealismus" liegt uns der erste philosophisch relevante Versuch der Ideengeschichte vor, die Kunst als den privilegierten Zugang zum Absoluten zu denken. Zuvor galt, dass die Kunst, wenn sie überhaupt Thema philosophischen Nachdenkens wurde, von außen zu betrachten sei, als etwas nur Gegenständliches, das keine eigene Wahrheit beanspruchen darf. Der Wert eines Kunstwerks wurde daran gemessen, inwiefern es ein Ding adäquat repräsentierte. Das Kunstwerk hat sich nach dieser Auffassung an einem ihm äußerlichen Gegenstand auszurichten und sich an ihn anzugleichen. Es wird a priori unter den Voraussetzungen einer Logik der Repräsentation verstanden. Welterschließende Impulse werden der Kunst also abgesprochen. Ihre Aufgabe soll in der Kopie faktisch gegebener Dinge, nicht in der Kreation neuer Sichtweisen bestehen. Solange die Philosophie in diesem Denkmuster befangen ist, kann sie die Kunst nicht nur nicht als eigenständige Größe begreifen, sondern muss sie sogar radikal verneinen. Denn die Kunst bildet in diesem Verständnis den genauen Gegensatz zur Philosophie, der es darum zu tun ist, das Wahre vom Scheinhaften, das Urbild vom Abbild zu trennen. Erst durch die Exklusion der Kunst gewinnt die Vernunft ihr Selbstverständnis, den ihr eigenen Raum eines vermeintlich reinen logos. Sie muss Mythos und Kunst aus sich ausschließen, um sich selbst zu konstituieren. Durch diese Beschränkung auf logos und ratio behauptet sie ihre Unabhängigkeit.
Diese Unabhängigkeitserklärung der Vernunft wird in der Frühromantik rigoros kritisiert. Aus der Kunst als einem Gegenstand, auf den die traditionelle Philosophie souverän und fast verächtlich
herabgeblickt hatte, wird bei Schelling eine eigenständige Erkenntnisweise. Die ästhetische Anschauung steht dabei mit der logisch-diskursiven Denkbewegung nicht nur auf gleicher Augenhöhe, sondern bildet deren notwendige Ergänzung und eigentlichen
Abschluss, den Schlussstein, welcher der eigentümlichen Architektonik des transzendentalphilosophischen Systems erst Halt gibt. Insofern die Kunst in der Lage ist, ihre Gegenstände nicht nur, wie das Denken, zu reflektieren, sondern auch konkret im
Werk zu verwirklichen, ist sie der Philosophie sogar einen entscheidenden Schritt voraus. In Schellings romantischer Philosophie bildet sie den eigentlichen Königsweg zur Wahrheit, das "Organon der Philosophie".
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Ich und Natur
- Intellektuelle Anschauung
- Ästhetische Anschauung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Schellings Konzept der ästhetischen Anschauung im Kontext seines "Systems des transcendentalen Idealismus". Ziel ist es, die Bedeutung dieser Anschauung für Schellings Philosophie aufzuzeigen und ihre Rolle im Verhältnis von Subjekt und Objekt zu beleuchten.
- Die ästhetische Anschauung als privilegierter Zugang zum Absoluten
- Die Überwindung des traditionellen Kunstbegriffs als bloße Repräsentation
- Die Rolle der Kunst als "Organon der Philosophie"
- Die Erweiterung des Fichteschen Ich-Begriffs durch die Einbeziehung des Objektiven
- Das Verhältnis von Bewusstsein und Unbewusstsein in der ästhetischen Anschauung
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung führt in das Thema ein und erläutert die Bedeutung von Schellings "System des transcendentalen Idealismus" für die Philosophie der Kunst. Sie stellt dar, dass Schelling die Kunst als den privilegierten Zugang zum Absoluten begreift und damit die traditionelle Philosophie kritisiert, die die Kunst als bloße Repräsentation des Seienden sieht.
Ich und Natur
Dieses Kapitel analysiert Schellings Verhältnis von Ich und Natur und stellt die Verbindung zwischen der Fichteschen Wissenschaftslehre und Schellings Erweiterung des Ich-Begriffs dar. Es wird deutlich, dass Schelling das absolute Ich als sowohl Subjekt wie auch Objekt begründendes Prinzip versteht und damit den Dualismus von Subjekt und Objekt überwinden möchte.
Intellektuelle Anschauung
Dieses Kapitel widmet sich der intellektuellen Anschauung, die Schelling als Grundlage für die ästhetische Anschauung begreift. Es erläutert die Bedeutung der intellektuellen Anschauung für das Erkennen des Absoluten und legt die Basis für die folgende Analyse der ästhetischen Anschauung.
Ästhetische Anschauung
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Kernstück der Arbeit: der ästhetischen Anschauung. Es untersucht die Besonderheiten der ästhetischen Anschauung, die sich von der intellektuellen Anschauung unterscheidet. Es wird dargestellt, wie die ästhetische Anschauung den Zugang zum Absoluten ermöglicht und welche Rolle die Kunst in diesem Zusammenhang spielt.
Schlüsselwörter
Die zentralen Begriffe dieser Arbeit sind ästhetische Anschauung, transzendentaler Idealismus, absolute Ich, Kunst, Natur, Bewusstsein, Unbewusstsein, Fichte, Schelling.
- Quote paper
- Andreas Müller (Author), 2010, Der Begriff der ästhetischen Anschauung in Schellings „System des transcendentalen Idealismus“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161087