Diese Bachelorarbeit befasst sich mit der Postwachstumsökonomie (PWÖ) als theoretischer Alternative zum aktuellen neoliberalen Wachstumsdogma. Die Arbeit analysiert die Dringlichkeit, sich vom Wirtschaftswachstum loszusagen, und beleuchtet die zu erwartenden sozio-ökonomischen Herausforderungen eines alternativen, ökologischeren Wirtschaftsmodells.
Es wird aufgezeigt, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Hauptindikator für Wachstum eine überschätzte Aussagekraft besitzt, da es negative Ereignisse wie Katastrophen wirtschaftlich positiv erfasst und wichtige gesellschaftliche Beiträge wie ehrenamtliche Arbeit außer Acht lässt. Die Arbeit argumentiert, dass die weltweit wachstumsgetriebene Wirtschaft zu steigenden Emissionen und schwindenden Ressourcen führt, was eine Abkehr von der aktuellen Wirtschaftsweise unausweichlich macht.
Darüber hinaus werden die Herausforderungen einer wachstumslosen Wirtschaft skizziert, insbesondere die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die Ungleichheit und die Staatsverschuldung. Die Arbeit schlussfolgert, dass eine Abkehr vom Wachstumsdogma aufgrund seiner verheerenden Umweltfolgen notwendig ist. Obwohl die Postwachstumsökonomie einen pragmatischen Ansatz zur Lösung vieler Umweltprobleme bietet, stellt sie die Gesellschaft vor Herausforderungen, die noch bewältigt werden müssen.
Inhaltsverzeichnis
Anmerkungen zu dieser Arbeit.
Abkürzungsauflistung und Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die PWÖ als Ausweg aus den Folgen der neoliberalen Wachstumsdogmatik
2.1 Der Indikator für Wachstum: Das BIP
2.1.1 Was das BIP Wachstum abbilden und verbessern soll
2.1.2 Kritik an der Aussagekraft des BIPs
2.1.3 Das BIP heute
2.2 Die Relevanz des Wachstums im Neoliberalismus
2.2.1 Einige Hauptirrtümer neoliberaler Politik
2.2.2 Wachstum statt Gleichheit für Wohlstand?
2.2.3 Weniger Regulierungen und mehr Umweltverschmutzung durch Wachstum
2.2.4 Die Vorgaben der scheinbar mächtigen Finanzwelt
2.2.5 Das neoliberale Wachstumdogma überwiegt Umweltbedenken
2.2.6 Konklusion: Das Wachstumsdogma im Neoliberalismus
2.3 Die Postwachstumsökonomie als Alternative
2.3.1 Das Konzept der Postwachstumsökonomie
2.3.2 Ein Lösungsansatz: Ohne Wachstum mehr Verantwortung
2.3.3 Ausblick der Postwachstumsökonomie
3. Notwendigkeit der Postwachstumsökonomie...
3.1 Emissionen und Wachstum
3.1.1 Rat der Berichte zur Umweltverschmutzung
3.1.2 Die Aufschlüsselung der Treibhausgasemissionen
3.1.3 Mythos der Entkopplung und Ausblick
3.2 Ressourcen und Wachstum
3.2.1 Zusammensetzung des Ressourcenverbrauchs
3.2.2 „Peak Everything“ und Preise nach sinkendem Angebot
3.2.3 Abfall, Elektroschrott und Verschwendung
3.3 Weitere erhoffte Effekte der Postwachstumsökonomie
3.3.1 Zufriedenheit ohne Wachstum
3.3.2 Gerechtere Verteilung von Vermögen und Chancen
3.3.3 Individuelle Freiheit und Autonomie
3.3.4 Ein kurzer Ausblick jenseits des Wachstums
4. Herausforderungen der Postwachstumsökonomie..
4.1 Beschäftigung ohne Wachstum
4.1.1 Beschäftigungsquote ohne Wachstum
4.1.2 Trends der Arbeitszeit
4.1.3 Beschäftigung im Wandel
4.1.4 Abschließende theoretische Überlegungen
4.2 Armut und finanzielle Ungleichheit ohne Wachstum
4.2.1 Ungleichheit ohne Wachstum
4.2.2 Absolute Armut ohne Wachstum
4.2.3 Relative Armut ohne Wachstum
4.3 Staatsverschuldung ohne Wachstum
4.3.1 Schulden wachsen ohne Wachstum
4.3.2 Sozialstaatshaushalt und neue Besteuerung
4.3.3 Ein politisches Ende der Staatsschulden
5. Abwägung der wesentlichen Befunde und Ausblick
5.1 Notwendige Erkenntnisse bringen Herausforderungen mit sich
5.1.1 Ökologische und ökonomische Notwendigkeit der Wachstumsabkehr
5.1.2 Herausforderungen ohne konventionelles Wachstum
5.2 Wachstum oder Umwelt?
5.2.1 Notwendige Abkehr von neoliberalem Wachstumdogma
5.2.2 Ausblick für Umwelt und Wirtschaft
6. Schlussbetrachtung
Anhang
Ein persönliches Schlusswort
Literatur- und Quellenverzeichnis
Anmerkungen zu dieser Arbeit
Die verwendete Sprachform verzichtet im Sinne einer guten Lesbarkeit, grammatikalischen wie orthografischen Korrektheit und den Konventionen einer wissenschaftlichen Arbeit auf genderdiskriminierungsfreie Sprachformen. Es sei aber an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei nicht genderspezifischen Formen und Kontexten generell alle Menschen unabhängig ihrer individuellen Identifikation oder sozialen Zuschreibung gemeint sind.
Temperaturdaten werden in Grad Celsius, Gewichte in (Giga-) Tonnen angegeben.
Einige Anmerkungen in Fußnoten sind aus Formatgründen auf mehrere Seiten aufgeteilt.
Für den direkten Bezug auf wissenschaftliche Befunde und das einfachere Nachvollziehen dargelegter Argumente sind Diagramme und Graphen in den Fließtext eingebaut. Dadurch und aufgrund der Breite der thematisch umfassten Bereiche ist der eigentliche Hauptteil anhand der Seitenzahlen unwesentlich länger als der in der Prüfungsordnung vorgeschlagene Umfang.
Der reine Fließtext misst 51 Seiten (12 pt, Zeilenabstand 1,5).
Abkürzungsverzeichnis
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 Veranschaulichung des jährlichen CO2 Verbrauchs pro Kopf zur Aus- S. 23 gangslage (heute) und zur angestrebten Erreichung des Klimaziels von 450 ppm CO2eq, bzw. 2,7 t CO2 Verbrauch pro Kopf pro Jahr
Abb. 2 Jährliche menschlich beeinflusste Emissionen nach Treibhausgas in S. 24 Gigatonnen CO2eq
Abb. 3 Treiber der CO2 Emissionen von 1970 bis 2010 S. 25
Abb. 4 Trends beim Verbrauch fossiler Brennstoffe und entsprechender S. 27 CO2 Ausstoß bei Einwicklung des Welt-BIPs 1980 bis 2005
Abb. 5 Kalkulierte Nutzungsdauer der bekannten Restbestände ausgewählter S. 30 zum Zeitpunkt 2015
Abb. 6 Preisindizes für Metalle, Erdöl, Nahrung und Agrarrohstoffe 1970 bis 2012 S. 31
Abb. 7 Glück und durchschnittliches BIP pro Kopf einer Nation S. 34
Abb. 8 Soziale Probleme und Nationaleinkommen pro Kopf S. 35
Abb. 9 Soziale Probleme und Ungleichheit eines Landes S. 36
Abb. 10 Ungleichheit (1990) und BIP-Wachstum (von 1990 bis 2013) S. 43 ausgewählter Länder
1. Einleitung
Die Schlagzeilen häufen sich im Sommer deutscher Rekordtemperaturen, grüne Erfolge verzeichnen sich auf Bundes- und EU-Ebene, mit Greta Thunberg rückt die rasante Veränderung des Weltklimas in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit. Die Botschaft: Es kann nicht einfach so weitergehen, die Umwelt hat Vorrang. Es muss sich etwas ändern, wir brauchen eine andere Art zu leben, zu wirtschaften. Diese Forderung ist nicht neu:
„Jeder Tag weiter bestehenden exponentiellen Wachstums treibt das Weltsystem näher an die Grenzen des Wachstums. Wenn man sich entscheidet, nichts zu tun, entscheidet man sich in Wirklichkeit, die Gefahren des Zusammenbruchs zu vergrößern.“
Dennis L. Meadows1
Exponentielles Wachstum2 zulasten des Klimas kann nicht ewig funktionieren: Nicht erneuerbare Ressourcen sind irgendwann erschöpft, die Belastbarkeit der Atmosphäre und der Umwelt an Abgasen und Verschmutzung sind heute bereits arg gereizt. Es scheint, als setze sich der Mensch im Überfluss stur und aus Bequemlichkeit über die Aufnahmekapazitäten der Erde hinweg. Er ignoriert naturgegebene Gesetze und glaubt an menschengemachtes, unendliches Wachstum - und richtet trotz errechneter „Grenzen des Wachstums“ die ganze Wirtschaftskraft auf das Überschreiten ebendieser.
Die aktuelle Relevanz des Themas „Klima und Wirtschaft“ findet täglich Einkehr in die Abendnachrichten, als Schlagzeile in die Tageszeitungen und wird durch erste Fahrverbote auch Realität im Alltag. Die neoliberale Ausrichtung der Wirtschaft auf Wachstum und dessen Treiber nimmt seine Folgen billigend in Kauf und gefährdet den nachhaltigen Umgang mit Rohstoffen und Emissionen die Erde.
Wenn man das Wachstum des BIPs bloß als „gesteigerten Verbrauch“ ansieht, würde man, wenn die ganze Welt so konsumieren würde wie Deutschland, drei Erden benötigen. Beim Verbrauch der USA wären es etwa fünf. Rein rechnerisch beansprucht die Weltbevölkerung mittlerweile 1,75 Erden (Global Footprint Network, 2019). Die Verschärfung daraus resultierender klimatischer Bedingungen entwickelt sich als Hauptfluchtgrund weltweit.
Bei der Ursachenforschung der sich zuspitzendenden Umweltzustände setzen Wachstumskritiker das neoliberale Wirtschaften, Rentenstrukturen und vor allem den Wachstumsdrang in den Fokus. In der Wurzel gefährdet diejetzige Wirtschaftsweise den kapitalistischen Fortschritt, lässt die Massennachfrage außer Acht und erfährt trotz berechtigter Kritik und ökologischen sowie ethischen Bedenken kaum nennenswerte politische Gegenwehr (Adam, 2015, S. 263ff; Elsenhans, 2012, S. 13; Oermann, 2015, S. 15f, 109).
Lassen sich Umwelt und das neoliberale Wachstumsdogma vereinen oder muss die Wirtschaft aufhören zu wachsen? Zunehmend mehr NGOs kämpfen gegen mächtige Lobbyverbände um Gehör, um dahinter stehenden politischen Präventionsmaßnahmen Druck zu verleihen (Elsenhans, 2019, 13f). Auf der Suche nach einer Alternative erscheint die Postwachstumsökonomie (PWÖ) als ökologisch nachhaltiges Wirtschaftskonzept, das mit einer konstanten Produktion auskommen möchte.
Es folgt eine Arbeit, die anhand einer theoretischen Analyse über die Dringlichkeit der Lossagung von Wirtschaftswachstum und dessen potenzieller Folgen, die Idee der PWÖ vorstellt. In welchen planetaren Grenzen müsste sich die Weltwirtschaft bewegen, um ihre Grundlage, die Erde, nicht zu gefährden? Was ist bei Wachstumsverzicht zu erwarten?
Vor dem Hintergrund dieses Dilemmas bearbeitet diese Arbeit die Fragestellung: Warum wird die Abkehr vom neoliberalen Wachstumsdogma notwendig und welche sozio-ökonomischen Herausforderungen ergeben sich durch eine Postwachstumsökonomie?
Für die Untersuchung dieser Thematik beziehe ich mich auf einschlägige Sekundärliteratur, Berichte von Klimaforschung, Nachrichtenseiten und aktuelle Daten.
Diese Arbeit behandelt nicht die politische Herausforderung der Implementierung der PWÖ, sondern soll sich vor allem auf die Auswirkungen eines Wirtschaftskonzeptes, das ohne konventionelles Wirtschaftswachstum auskommen will, konzentrieren. Um eine klare Struktur zu ermöglichen, werden die verschiedenen Themenbereiche in einzelne, übersichtliche Abschnitte unterteilt und anschließend argumentativ verknüpft.
Die Reichweite der getroffenen Aussagen ist aufgrund des Rahmens dieser Arbeit eingeschränkt. Sie wird jedoch die wichtigsten Zusammenhänge skizzieren und in der Tiefe als Basis weiterer Forschung sowie als übersichtlicher Einstieg in die Thematik dienen. Dazu werden Beispiele aktueller Forschung und empirischer Studien zurate gezogen, um die ökologische Lage aufzugreifen und Prognosen ohne Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Der Anhang bietet ergänzend zusätzliche, statistische Daten zur Einordnung der aktuellen Weltlage zu Klima, Wachstum und Weltwirtschaft.
Ich möchte zunächst aufzeigen, welche Stellung das BIP als zu wachsendes Element einer Volkswirtschaft trotz zahlreicher Kritikpunkte genießt und als möglichen Ausweg dazu das Konzept der PWÖ und seine Erwartungen vorstellen. Nach einer intensiven Auseinander-
Setzung mit dem Wachstum im Neoliberalismus werde ich für die weitere Arbeit verdeutlichen, dass essentielle Umweltbedenken das Nachsehen gegen eine kurzsichtige Wachstumspräferenz haben und somit ein Einlenken nötig ist.
Das folgende dritte Kapitel wird den ersten Teil der Fragestellung bearbeiten und für die Untersuchung der PWÖ vor allem ihr zentrales Merkmal, die Abkehr vom Wachstum, analysieren. Die Notwendigkeit der PWÖ wird bedingt durch die aktuelle Ausgangslage und die prognostizierten ökologischen Entwicklungen für Emissionen und Ressourcen, die einen Wirtschaftswandel für eine nachhaltige Umwelt immer dringender machen.
Darauffolgend dient Kapitel 4 als Grundlage für den zweiten Teil der Fragestellung: Es werden die Herausforderungen als mögliche Folgen für den Arbeitsmarkt, die finanzielle Verteilungsfrage und die Staatsverschuldung bei ausbleibendem Wirtschaftswachstum skizziert. Hier soll aufgezeigt werden, dass trotz ökologischer Dringlichkeit ein schlichtes Ausbleiben des Wachstums einer Volkswirtschaft gewisse Anstrengungen abverlangt.
Zum Schluss sollen die wichtigsten Befunde nach einer kurzen Abwägung der Notwendigkeit der Abkehr vom Wachstum und der herausfordernden Folgen davon ein Fazit schaffen.
2. Die PWÖ als Ausweg aus den Folgen der neoliberalen Wachstumsdogmatik
Plakate einer Fridaysfor Future Demo in Berlin skandieren „Wenn ein wirksamer Klimaschutz schlecht für die Wirtschaft ist, dann ist das Wirtschaftssystem falsch“ und „Systemwandel statt Klimawandel“. Der wirtschaftliche Prozess, seine Beurteilung auf Effizienz und Fortschritt, gar die Bewertung „guter“ Regierungsarbeit wird seit Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem Maßstab des BIP-Wachstums gemessen. Seitdem hat das sich ausbreitende kapitalistische Wirtschaftssystem fast den ganzen Erdball erobert, freier Wettbewerb umspannt den Globus mit Containerschiffen und Fertigungsketten von Waren, internationale Dienstleistungen sind durch Internet rund um die Uhr verfügbar und werden immer effizienter hergestellt. Die Welt wächst durch die Wirtschaftsprozesse zusammen (Elsenhans, 2012, S. 184f; Nohlen & Grotz, 2008, S. 618).
Doch stößt ein „immer mehr“ auf einem begrenzten Raum mit begrenzten Ressourcen nicht auf Widerspruch? Die Physik scheint dem Wachstumsparadigma zuwider zu laufen. Wie könnte eine Wirtschaft ohne Wachstum aussehen und funktionieren?
Dieser Abschnitt soll untersuchen, was wirtschaftliches Wachstum ist, welche Rolle die Kennzahl des BIPs dabei spielt, die die heutige Wirtschaftslage und scheinbare Relevanz des Wachstums charakterisiert und, schlussendlich als Gegensatz dazu, mit der PWÖ ein volkswirtschaftliches Konzept vorstellen, das aus ökologischen, nachhaltigen und ökonomischen Gründen bewusst ohne Wachstum auskommen soll.
2.1 Der Indikator für Wachstum: Das BIP
Der wirtschaftliche Erfolg und die generelle Bewertung einer gelungenen Regierungsarbeit werden heute zumeist anhand eines steigenden Wirtschaftswachstums bemessen. Für die Erfassung des Wachstums bezieht man sich allgemein auf die prozentuale Veränderung zur Vergleichsperiode (meist des Vorjahres) des Bruttoinlandprodukts (BIP). Das BIP als Grundlage für die Berechnung der Wirtschaftsleistung und als Veränderungsrate in Form des realen Wirtschaftswachstums umfasst in der Regel den monetären Gesamtwert aller im Inland produzierten Waren und Dienstleistungen eines Jahres und ist damit ein wertefreier Umsatzindikator. Er wird gesamtwirtschaftlich oder als Durchschnittswert pro Kopf angegeben und berücksichtigt jahreszeitliche Schwankungen, Inflation und in der Regel die Kaufkraft (Adam, 2015, S. 56ff; Nohlen & Grotz, 2008, S. 618).
Wirtschaftswachstum wird aus einer Vielzahl von Gründen als erstrebenswert betrachtet und hat eine gesamtgesellschaftlich positive Konnotation - es werden gar ganze Politik- und Regierungsprogramme darauf ausgelegt (Nohlen & Grotz, 2008, S. 169, 281, 618).
Bereits vor dem Zeitalter der industriellen Revolution haben Ökonomen und Soziologen nach Wegen gesucht, die Wirtschaftsleistung gesamter Volkswirtschaften statistisch zu erfassen. Als eine frühe BIP Definition beschreibt Adam Smith in „der Wohlstand der Nationen“, dass das nationale Vermögen nicht durch deren Gold- und Silberreserven, sondern durch die Gesamtheit an produzierten und gehandelten Gütern bestimmt wird (Sturgeon, 2019). Später, im 20. Jahrhundert, konkretisierten sich unterschiedliche Wachstumstheorien unter Einfluss von Keynes, Kuznets und Harrod/Domar. Man wollte die Treiber für wirtschaftlichen, technologischen und damit gesellschaftlichen Fortschritt ausfindig und messbar machen. Zu Zeiten des 2. Weltkrieges war in den USA die Berechnung des BIPs nach Simon Kuznets3 ausschlaggebend für die systematische, statistische Erfassung von Wirtschaftsdaten für eine effiziente Wirtschaftsplanung, in der es galt den Binnenmarkt neben der enormen herzustellenden Kriegsmaschinerie zu überwachen und einen hohen Massenkonsum nicht zu gefährden. Nach der Konferenz von Bretton Woods etablierte sich das BIP als der Parameter für wirtschaftliche Funktionalität und bald auch politischen Fortschritt in der Welt. In den Nachkriegsjahren erreichten hohe Wachstumsraten während des Wiederaufbaus in Europa nach umfangreichen Investitionen und mithilfe institutionalisierter, starker Umverteilungsmechanismen einen neu gewonnenen Wohlstand, der mehrere Bevölkerungsschichten erreichte und bot die Grundlage für das „Wirtschaftswunder“. Der Lebensstandard der westlichen Bevölkerung stieg lange parallel zum BIP pro Kopf (Atkinson, 2016, S. 174f; Fioramonti, 2017, S. 45ff; Nohlen & Grotz, 2008, S. 618).
Über die Zeit hat sich die positive Auffassung und das Vertrauen in die Messgröße BIP manifestiert und bis dato an Relevanz kaum nachgelassen, obwohl internationale Kritik wächst und kleine Reformen an seiner Erfassung, wie mitunter neu erfasster Wirtschaftsbereiche, getätigt wurden (Fioramonti, 2017, S. 45ff; Jackson, 2013, S. 3ff; Meadows, 1994, S. 18ff). Exemplarisch dafür steht die Entscheidung, 1987 für die Berechnung des italienischen BIPs die nationale Schattenwirtschaft mit einzubeziehen. Mit U sorpasso (= das Auf- bzw. Überholen) wuchs das BIP Italiens über Nacht um über 20% und überholte damit schlagartig die Wirtschaftsleistung von Großbritannien, um weltweit auf Platz fünf zu rangieren (Coyle, 2014, S. 106f).
2.1.1 Was das BIP Wachstum abbilden und verbessern soll
Laut den meisten Ökonomen und Politikern soll dauerhaftes Wachstum die Lebensqualität durch mehr Wohlstand fördern, Arbeitsplätze schaffen, Armut und Staatsschulden verringern, Investitionen ankurbeln und sich mithilfe der berechneten Entwicklung des BIPs die gesamtwirtschaftliche Lage verlässlich widerspiegeln. Auf mikroökonomischer Ebene bedeutet dies für einzelne Betriebe und Unternehmer (bei fairem Wettbewerb ohne monopolistische Bedingungen), dass man den eigenen Marktanteil vergrößert, um mehr Absatz zu erwirtschaften und den Anschluss zur Konkurrenz nicht zu verpassen. Somit besteht der Anreiz, Profit in Innovation, neue Maschinen und höhere Löhne zu investieren, was wiederum Nachfrage und Profit, und letztendlich Wachstum auf makroökonomischer Ebene nach sich ziehen soll (Adam, 2015, S. 56ff; Elsenhans, 2012, S. 10, 13ff) .
Bei ausbleibendem Wachstum spricht man von wirtschaftlichem Abschwung (mehr dazu in Kapitel 4. Herausforderungen der PWÖ). Bei einer solchen Rezession sollen beispielweise nach Keynes Staatsausgaben getätigt werden, um die Wirtschaft mithilfe einer starken Mas- sennnachfrage wieder anzukurbeln und letztendlich das schwächelnde Wachstum anzutreiben (Nohlen & Grotz, 2008, S. 281, 352).
2.1.2 Kritik an der Aussagekraft des BIPs
Allgemeine Kritik am BIP fokussiert sich auf seine überschätzte Aussagekraft, die Erfassung negativer Ereignisse, die ökonomisch als quasi positiv berücksichtigt werden und die systematische Außerachtlassung vieler gesellschaftlich wichtiger Beiträge, die maßgeblich wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichen und fördern,
„Das beste Modell für eine Katze ist eine Katze, Möglichst dieselbe Katze,“ Norbert Wiener4
Dass Modelle zur Veranschaulichung oder einfacheren Handhabung ihren Sachverhalt vereinfachen, ist kein Geheimnis, Welche wichtigen Bereiche das BIP für seine Aussagekraft jedoch systematisch vernachlässigt, soll dieser Abschnitt zeigen, So scherzte der ehemalige US-Justizminister Robert F. Kennedy, dass man für das Wachstum alles messe, „mit der Ausnahme der Dinge, die das Leben lebenswert machen“ (Bregman, 2017, S, 101), In der Tat berücksichtigt das BIP kaum für Gesellschaften ebenfalls essentielle, wertvolle Beiträge wie Heimarbeit, Ehrenämter oder Nachbarschaftshilfe (die kumuliert ein großes ökonomisches Ausmaß haben), Zudem steht in der Kritik solche hauptsächlich von Frauen wirtschaftlich relevanten Beiträge zu diskreditieren (Coyle, 2014, S, 108),
Das Wachstum steigt konsequenterweise, wenn Kriege, Naturkatastrophen oder Unfälle geschehen, da infolgedessen die Nachfrage nach Hilfsgütern, Wiederaufbauprogrammen und Rettungskräften steigt und sich die Menge an abgesetzten Gütern erhöht, Solche Vorfälle haben einen immensen Einfluss auf BIP und Wachstum, zerstören jedoch vorher erschaffenen ökonomischen und immateriellen Wert (Adam, 2015, S, 58f; Jackson, 2013, S, xv ff), Zusätzlich ist bei der simplen Betrachtung des BIPs nicht ersichtlich, ob z,B, Bildungseinrichtungen errichtet oder Kriegsgerät geschaffen wurde (Adam, 2015, S, 59),
Zu seiner statistischen Erfassung kommt hinzu, dass das erste Beschreibungsdokument über die Berechnung des BIPs weniger als 50 Seiten umfasste, 2008 waren es inklusive Anhang bereits über 1,000, sodass mittlerweile viele Wirtschaftswissenschaftler nicht präzise verstehen, wie das BIP konstruiert wird (Coyle, 2014, S, 25), Dazu wird von Kritikern bemängelt, dass die Rate des relativen Wirtschaftszuwachses das eigentliche Ausmaß der absoluten Zunahme verschleiere und somit Konsequenzen unterschätze (Piketty, 2016, S, 109ff; Welzer & Wiegandt, 2014, S, 160, 168ff); siehe dazu bspw, Anhang 1,
Bei Betrachtung des BIPs pro Kopf muss ebenfalls berücksichtigt werden, auf wie viele Einwohner sich der Wert der Güter und Dienstleistungen verteilt. So kann ein niedriges absolutes BIP, wie das der Schweiz, pro Kopf ein höheres Maß haben als das der USA, wo wiederum ein sehr großes BIP auf sehr viel mehr Menschen verteilt wird. Zudem lässt das BIP nicht darauf schließen, in welchem Verhältnis die erschaffenen Güter auf private, gewerbliche und staatliche Unternehmen und Personen verteilt sind. Das Maß an finanzieller Ungleichheit, das eine sehr viel höhere Aussagekraft über relativen Wohlstand, Lebensqualität der Menschen und soziale Umstände besitzt, wird ebenfalls nicht berücksichtigt (Adam, 2015, S. 58f; Jackson, 2013, S. 3ff, 17f).
Viele für einen gesteigerten Umsatz verursachten Umweltfolgen, auch externalisierte Kosten5, erscheinen nicht auf der Rechnung. Damit trägt die Allgemeinheit oder eine andere Region, aus der Güter für die weitere Produktion im Inland importiert werden, die oft zeitlich verschoben auftretenden und schwierig zurück verfolgbaren Kosten. Wegen der weltweiten Handelswege und globalisierten Wirtschaft ist der zentraleuropäische Fleischkonsum ein gutes Beispiel. In Deutschland werden günstige Fleischwaren produziert, für die in Brasilien Regenwald für Soja- und Getreideanbau gerodet wird. Diese Ernte wird in anderen Ländern zu Mastfutter für gehaltene Tiere verarbeitet. Das Weltklima hängtjedoch immens von alten Wäldern ab, das Millionen Tonnen an gespeicherten CO2eq bindet. Die Folgekosten der deutschen Grillsaison verteilen sich damit unverhältnismäßig nicht auf bloß Konsumenten- und Produktionsländer, sondern auf die ganze Welt und werden in später entstehenden Kosten sichtbar, die heute kaum in BIPs und nationalen Wirtschaftsbilanzen berücksichtigt werden (Bardi, 2013, S. 24f, 258f; Brand & Wissen, 2017, S. 101).
2.1.3 Das BIP heute
Zusammenfassend hat sich das BIP in Form seiner Veränderungsrate als die ausschlaggebende Messzahl in einer wachstumsorientierten Wirtschaft international durchgesetzt und ist für die Ausarbeitung der Thematik dieser Arbeit unabdingbar. Das BIP ist ein simpler statistischer Messwert, der mit etablierten Instrumenten routiniert erfasst wird, als gesellschaftlich anerkannt gilt und mit seiner Wachstumsrate lange synonym für gesteigerten Wohlstand und bessere Lebensverhältnisse stand. Trotz zunehmend berechtigter Kritik über seine begrenzte Aussagekraft, das Ausschließen negativer Folgen und seine überschätzte Allheilwirkung bleibt das BIP als Umsatzindikator heute dennoch der wichtigste Indikator für den allumfassenden (wirtschaftlichen) Erfolg einer wachstumsorientierten Volkswirtschaft (Muraca, 2015, S. 10f; Nohlen & Grotz, 2008, S. 281).
Die heutige Relevanz Stellung des Wachstums des BIPs analysiert der nächste Abschnitt.
2.2 Die Relevanz des Wachstums im Neoliberalismus
Dieser Abschnitt wird zeigen, wie widersprüchlich und kurzsichtig der Neoliberalismus langfristig selbst gegen sein verfolgtes Ziel, der Ausrichtung der Wirtschaft auf schnelles Wachstum von Firmen und vor allem des BIPs wirkt. Es wird deutlich, welche hervorgehobene Relevanz das Wachstum gegenüber gesellschaftlicher Verantwortung einnimmt. Der Neoliberalismus verschärft die ökologische Schieflage und zieht in der Tendenz Institutionen auf Kosten wirtschaftlich renditeversprechender Anreize, von schnellen Gewinnen und Rentenstrukturen begünstigt vor. Mit politischer Einflussnahme von Großkonzernen und Vermögenden und abnehmenden Marktinterventionen des Staates erfährt das neoliberale Dogma zunehmend berechtigte Kritik für bspw. tolerierte, kaum sanktionierte Umweltfolgen. Die Analyse/Begutachtung seines Wachstumsparadigmas ist dafür notwendig.
„In jeder Aktienschwindelei weiß jeder, dass das Unwetter einmal einschlagen muss, aber jeder hofft, dass es das Haupt seines Nächsten trifft, nachdem er selbst den Goldregen aufgefangen und in Sicherheit gebracht hat. Nach mir die Sintflut ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation.“
Karl Marx6
Marx hat erkannt, dass die Systemfrage über die der individuellen Akteure hinweg ausschlaggebender ist. Sein Hauptwerk heißt daher „Das Kapital“ und nicht „die Kapitalisten“. Laut seiner Systemtheorie wirken dem Kapitalismus inhärente Zwänge, denen alle zugehörigen Akteure ausgesetzt sind und entsprechend zu ihren Handlungen (und ihrem Handeln) gedrängt, verführt und indirekt gezwungen werden. Solche Marktsituationen veranschaulicht vereinfacht das Gefangenendilemma7, in dem die Protagonisten sich nicht der Marktlogik entziehen und somit selbst nicht frei entscheiden können. Das liegt auch an schwierigen internationalen Absprachen in wirtschaftlicher Konkurrenz zueinander. Im System des Neoliberalismus drängt der diffuse, abstrakte Zwang des dauerhaften Wachstums Regierungen zu kurzsichtigen Strategien und teils drastischen Maßnahmen entgegen der langfristigen Intention, Chancengleichheit, ein Leben in Wohlstand oder demokratische Teilhabe auf Basis einer intakten Umwelt zu ermöglichen (Elsenhans, 2012, S. 12ff; Marx, 2014, S. 258ff; Oermann, 2015, S. 90, 109f).
Der Kapitalismus hat komplexe, multinationale Konzerne hervorgebracht, die heute im Neoliberalismus einen aggressiven Kostendruck im globalen Konkurrenzkampf propagieren. Das Aufsteigen mächtiger Investmentfirmen sollte somit diese Entwicklung durch ihren Einfluss auf Regierungen und supranationale Gremien verschärfen und die propagierte Logik der Märkte, bis hin zum scheinbar unumstürzlichen Wachstumsglauben nachhaltig verändern. Im globalisierten Kapitalismus/Wirtschaft mit einer komplexen Verflechtung aus multinationalen Strukturen, Steuerparadiesen und Briefkastenfirmen können „Verantwortlichkeiten und Zurechenbarkeiten verschwimmen“ (Oermann, 2015, S. 90) und zum Zwecke des eigenen Vorteils jenseits moralischer Richtlinien, Nachhaltigkeitsbestrebungen oder ökologischer Bedenken geschickt ausgenutzt werden (Elsenhans, 2012, S. 208; Kocka, 2013, S. 90, 97f; Oermann, 2015, S. 109f).
Die britische Zeitung The Guardian beschreibt den Neoliberalismus als die „Idee, die die Welt verschlingt“ (Metcalf, 2017) und präsentiert einen Bericht des IWF über die empirisch beobachtbaren Folgen: Die neoliberale Agenda und ihre mächtigen Verfechter drängen Regierungen zu Policys, mit denen sie sich mit Fokus auf striktes Wirtschaftswachstum langfristig in ihr eigenes und das Fleisch aller schneiden. Ein zunehmender Rückzug des Staates und die Öffnung der Finanzmärkte auf Druck internationaler Investmentfirmen beruhten auf einem weit verbreiteten Irrglauben, dass Steuersenkungen, Lohnsenkungen oder umfangreiche Deregulierungen entgegen der Stärkung einer Massennachfrage wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung garantieren und nachhaltiges Leben nicht gefährden. Am Ende seien, selbst im Sinne des Wachstums, gelegentliche präventive Staatseingriffe und ein höherer Umverteilungsgrad nachweislich effektiver (Elsenhans, 2019, S. 4, 9f; Ostry, Loungani, & Furceri, 2016, S. 41). Dieser ökonomische Fehlschluss sollte nicht der letzte bleiben.
2.2.1 Einige Hauptirrtümer neoliberaler Politik
Der neoliberale Vordenker Hayek verstand die Wirtschaft als autonome Sphäre, bei dem ein Geschäft bloß dem egoistisch motivierten Eigenzweck diene, der in jedem Individuum stecke, seinen Besitz und seine Einflusssphäre zu mehren, Der Staat habe einen freien Markt für eine effiziente Allokation von Gütern und Wissen zu schaffen, Der Neoliberalismus verleitet die wirtschaftlichen Entscheidungsträger und Marktteilnehmer mit weniger institutionalisierten Rahmenbedingungen in ebendiesem „freien Markt“ die Priorisierung von nachhaltigem Handeln „freiwillig“ zu vernachlässigen, Für das zu erstrebende Wachstum der Absatzmenge kann moralisch verantwortungsvolles Wirtschaften im modernen globalen Wettbewerb zunächst kontraproduktiv wirken, Beispielsweise kann im Vergleich zu konkurrierenden Betrieben fair gehandelte und ökologisch produzierte Waren herzustellen den Preis der eigenen Güter ohne direkt erkennenswerten Konsummehrwert erhöhen und damit die Nachfrage sowie den eigenen Profit schwächen, Der Markt, wie der Endverbraucher kann somit schwierig unterscheiden, ob ineffizient gearbeitet oder ökologisch nachhaltig und damit gesellschaftlich verantwortungsvoll produziert wurde (Brand & Wissen, 2017, S, 97ff; Elsenhans, 2019, S, 6ff; Kocka, 2013, S, 85ff),
Nach allmählichen Implementierungen dieser neoliberalen Agenda ist ihr Einfluss heute bemerkbar, Das scheinbar vorherrschende Denkmuster der Wirtschaftselite, finanzstarker Netzwerke und Lobbyverbände8 wird bestimmt vom angebotsorientierten, neoliberalen Gedanken: Für eine starke, vor allem wachsende Wirtschaft solle der freie, uneingeschränkte Markt möglichst ohne Staatseingriff sein volles Potenzial entfalten, Am Ende würden davon alle profitieren, Der Sozialstaat soll schrumpfen, staatliche Einrichtungen aus Effizienzgründen privatisiert und die Wirtschaft durch Steuersenkungen und Deregulierungen für Investitionen der internationalen Finanzindustrie und privaten Investoren9 10 attraktiv gemacht werden, Bislang prägten die Umsetzung dieser Maßnahmen nach anfangs (teils) steigenden, wirtschaftlichen Wachstumserfolgen vor allem zunehmende Ungleichheit, verstärkte Rentenstrukturen, höhere Anfälligkeit für Wirtschaftskrisen, widersprüchliche Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt und eine Vermehrung ökologischer Katastrophen (Adam, 2015, S. 264f, 351; Elsenhans, 2012, S. 13, 153; Ostry, Loungani, & Furceri, 2016, S. 38ff).
Nichtsdestotrotz fühlen sich einige Unternehmen und deren (staatliche) Vertreter in ihrem Glauben bestärkt, ihr Profit hänge von niedrigen Löhnen ab - zudem nehmen die meisten (Groß-) Konzerne die rasante Veränderung und exponentielle Zunahme extremer Klimaereignisse als harmlos oder hinnehmbar wahr. Eine Vielzahl an Betrieben, beispielsweise AGs, und deren Entscheidungsträger werden zunehmend von Investoren und der weltweiten Großfinanz abhängig. Wenn von ihnen dogmatisch Kostensenkung und Wachstum durch Absatzsteigerung erwartet wird, steht die gesellschaftliche Verantwortung hinter dem Erreichen dieser Ziele an. Dieser Druck auf mikroökonomischer Ebene zusammen mit weniger Regulierungen auf der Makroebene, spärlichen Anreizen für nachhaltiges Handeln und der staatlichen Subventionierung fossiler Industrien, rücken moralische Aspekte beim Wirtschaften in den Hintergrund. Es wird schlichtweg als Nachteil empfunden, scheinbar teure, nachhaltige Belange zu berücksichtigen oder darauf verwiesen, unfrei nach Logik der Situation handeln zu müssen (Elsenhans, 2012, S. 12, 2019, S. 4f).
Es besteht die Ansicht als gängige Praxis fort, Klimabedenken zu ignorieren und institutionalisierte Marktunvollkommenheit für Rentenaneignung[10] und die Festigung der eigenen elitären Vormachtstellung auszunutzen. Der Neoliberalismus gestattet im inneren Zwiespalt zu eigenen Wachstumszielen das kollektive Verdrängen, dass entfesselte Marktdynamiken, eine spreizende Vermögensschere und zu hohe Renten das kapitalistische Wachstum nicht langfristig fördern, sondern inhärent auf Dauer schaden können. Die agitierte Deutungshoheit des Neoliberalismus toleriert und befördert somit in Teilen die Entwicklung einer kapitalismusschädlichen Rentiersökonomie, zum Zwecke von Mehrproduktion und wachsenden BIPen steigende Emissionen und rücksichtslose Ausbeutung von fossilen und ökologisch schwer zu fördernden Ressourcen (Elsenhans, 2012, S. 204f, 219; Ostry et al., 2016, S. 40f; Piketty, 2016, S. 562ff).
Obwohl Kuznets selbst vor der Überschätzung des BIPs warnte, dass der Indikator kaum Aussagekraft über das Wohlbefinden einer Bevölkerung und für die Beschreibung einer sich ständig entwickelnden Wirtschaft nicht auf Dauer zu nutzen wäre (Coyle, 2014, S. 13f), werden Wachstumszahlen in vielen Nachrichten und Regierungsberichten synonym für Wohlstandsentwicklung verwendet. Tatsächlich ist die Erfassung der BIP Bereiche ideologisch begründet, variiert international und hat keinen naturwissenschaftlichen Anspruch.11 Der Neoliberalismus verweigert sich dieser Erkenntnis, beharrt mit dem eingebildeten Primat der Finanzwirtschaft auf reformbedürftigen Modellen und propagiert das BIP als allgemeingültigen Indikator für Fortschritt und Wohlstand (Atkinson, 2016, S. 127f; Elsenhans, 2012, S. 204ff; Piketty, 2016, S. 25ff, 559).
Wirtschaftswachstum hat im Neoliberalismus und mit der politischen Einflussnahme seiner Vertreter damit auch für Regierungen eine sehr hohe Priorität. So begünstigen neoliberale Policys in einem „freien Markt“ mit wenig gesetzlichen Regulierungen die Monopolbildung. Im Zeitalter der standardisierten Massenherstellung und weltweiten Produktions- und Distributionsketten von Gütern und Dienstleistungen neigt der Neoliberalismus zur Förderung von Rentenstrukturen und macht Nationen von steigendem Wachstum strukturell abhängig (Elsenhans, 2012, S. 107f, 206f, 219f; Jackson, 2013, S. 68f; Kocka, 2013, S. 20f).
2.2.2 Wachstum statt Gleichheit für Wohlstand?
Wachstum führt nicht zwingend für alle zu einer individuellen Lebensqualitätssteigerung, sondern kann arge Folgekosten für die Gemeinschaft mit sich ziehen. Bei wenigen Umverteilungsmaßnahmen bestärkt Wachstum zudem eine zunehmende finanzielle Ungleichheit und die Förderung wachsender Staatsausgaben, die negative wirtschaftliche Folgen (über)kompensieren müssen (Nohlen & Grotz, 2008, S. 618).
Bis zu einem gewissen Grad korreliert Wachstum mit steigender Lebenserwartung, allgemeinem Wohlstand und Regierungs- sowie Demokratiezufriedenheit. Dennoch bedeutet mehr Wachstum nicht zwingend mehr Wohlstand für den Großteil der Bevölkerung. Die individuelle Lebensqualität entkoppelt sich statistisch von bloßem Mehrbesitz an Geld und zusätzlichem Konsum. Das „Easterlin Paradox“ verdeutlichte dies schon in den 1970er Jahren (Adam, 2015, S. 59f; Jackson, 2013, S. 34ff; Welzer & Wiegandt, 2014, S. 166): Ab einem gewissen (nominalen) Einkommen, bzw. Vermögen steigt die subjektiv wahrgenommene Lebensqualität nicht merklich weiter. Vergleichbar ist dieser Effekt in etwa mit dem abnehmenden Grenznutzen für einen stetigen Mehrkonsum eines Produkts. Ein relativer Einkommensgewinn ist ab dieser Schwelle aussagekräftiger (Jackson, 2013, S. 44ff). Wachstum als Lebensqualitätsindikator ist bloß für weniger entwickelte Volkswirtschaften verlässlich (Jackson, 2013, S. 36f; Wilkinson & Pickett, 2012, S. 23).
Das trotz alledem dafür genutzte BIP ist ein äußerst grober Maßstab für das Wohlbefinden einer Nation und deren Bevölkerung. Generell ist die Bemessung der Wirtschaftsfähigkeit einer Volkswirtschaft in einer Kommazahl zwar einfach und übersichtlich, erfährt im Neoliberalismus jedoch eine immense, übergeordnete Bedeutung. Bei jetzigen Vermögens- und Einkommensverhältnissen profitieren aber vor allen Dingen diejenigen, deren Konzerne und Konten mit dem BIP wachsen. Wenn der Kuchen wächst, wachsen die Kuchenstücke mit. Globale Eliten, die durch die Zunahme von internationaler, globalisierter Rentiertendenz zumindest kurz- und mittelfristig profitieren, schauen somit nicht in die Zukunft, in der ihre Erben leben sollen. Das propagierte Ziel, dass sich per Gießkannenprinzip oder dem Trickle Down Effect12 Wohlstand für alle fördern lässt, hat sich zumindest außerhalb der US Regierung als wünschenswert, aber empirisch nicht haltbar erwiesen. Folglich kritisch zu bewerten ist die Annahme, dass nach dem BIP/Kopf alle gleich viel Vermögen besitzen (bzw. alle Menschen den gleichen Warenwert herstellen) oder generell vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren (Elsenhans, 2012, S. 208f; Piketty, 2016, S. 26f, 363ff, 591; Wilkinson & Pickett, 2012, S. 193, 268f). Steigende BIPs geben somit keinen Aufschluss über die Verteilung von Vermögen und Einkommen, die sich im Zuge neoliberaler Agenda nicht egalisiert haben, sondern eher gleich geblieben oder verschärft wurden (Piketty, 2016, S. 325ff, 444, 556). Zudem geriet die öffentliche Daseinsvorsorge in den Hintergrund, während viele konservative Wohlfahrtsstaaten liberalisiert wurden (Wilkinson & Pickett, 2012, S. 268f). Wenn sich das Wachstum exponentiell auf eine ungleiche Menge an Menschen verteilt, profitieren in Zukunft zunehmend weniger Menschen vom nominalen BIP Zuwachs - egal, ob dieser absolut als Durchschnittswert oder gesamtwirtschaftlich angegeben wird. Somit verfestigen sich kapitalismusuntergrabende Ungleichheitsstrukturen mit dem Verweis auf internationale Wettbewerbsfähigkeit. Zudem ist es verwunderlich, dass die Aussage, absolute Kostenvorteile seien gegenüber der ausschlaggebenden komparativen Kostenvorteile wichtiger, von Regierungen nicht abgestritten werden. Wenn also die Ungleichheit zu stark abnehme, sei dies wachstumshemmend und ist somit als Argument vom Tisch (Elsenhans, 2019, S. 9f; Piketty, 2016, S. 558f).
2.2.3 Weniger Regulierungen und mehr Umweltverschmutzung durch Wachstum
Im Neoliberalismus wird das Ausnutzen von deregulierten Marktsegmenten, deren Unvollkommenheiten und mangelnden Staatsinterventionen nicht sanktioniert und kann sich kurzfristig lohnen. Das reine Anhäufen von Renten und Akkumulieren von Ressourcen wirkt jedoch in der Masse regressiv für die Kapitalismusentwicklung. Der Druck des neoliberalen Wachstumsdogmas verfolgt dank mangelnder institutioneller Vorschriften kein langfristiges Ziel, sondern bevorzugt das schnelle Steigen von Quartalszahlen und des BIPs (Oermann, 2015, S. 24f; Piketty, 2016, S. 591f).
Als Indiz dafür, dass die beinahe unbeschränkten Absatzmöglichkeiten von Finanzmarkttiteln zu stark von denen der Realwirtschaft wachsen, stellt sich der Finanzmarkt mitsamt seiner Verantwortung gefährlich über Realökonomie und Gesellschaft. Unternehmen fühlen sich durch abwesende Vorschriften zur Vernachlässigung von Umweltstandards, fairen Be- schäftigungs- und Produktionsverhältnissen im Umfeld globaler, starker Preiskonkurrenz eingeladen. Erneut wird deutlich, dass im Neoliberalismus die Sturheit in gleichem Maße, wie die fehlende Einsicht existiert, dass es langfristig selbst im ökonomischen Interesse ist, einen institutionellen Rahmen und Anreize für nachhaltiges Wirtschaften zu schaffen. Man setzt sich über die keynesianische Erkenntnis hinweg, dass die Massennachfrage für Profit zur Investition (und selbst für weiteres Wachstum) essentiell ist und untergräbt somit eine Hauptvoraussetzung des ohnehin instabilen Kapitalismus (Elsenhans, 2012, S. 13, 180, 208f, 219, 2019, S. 3, 6ff; Kocka, 2013, S. 97f, 127).
Mit bloßem Fortsetzen neoliberaler Agenda und dem komfortablen Ausblenden der ökologisch sich zuspitzenden Zustände droht eine Rückkehr zu feudalen Wirtschafts- und Herrschaftsstrukturen in Form einer Rentiersökonomie. Bloßes Wachstum auf Kosten zunehmender finanzieller Ungleichheit bestärkt inhärent destruktive, regressive Entwicklungen im Kapitalismus (Elsenhans, 2012, S. 9f, 238; Kocka, 2013, S. 127; Oermann, 2015, S. 27, 90f, 112; Piketty, 2016, S. 445, 562ff, 591f).
Ulrich Brand und Markus Wissen (2017) betiteln das radikale Vorgehen der heutigen Wirtschaftswelt als „Imperiale Lebensweise“. Das Durchsetzen des neoliberalen Wirtschaftsdogmas mit seiner rücksichtslos machiavellistischen Ausrichtung auf jedwede Form von Wachstum beeinflusst weltweit die Art und Weise zu wirtschaften und vernachlässigt Umweltbedenken strukturell. Mit der Priorisierung des Wachstums scheinen langfristige schädliche Maßnahmen gerechtfertigt oder gar wirtschaftlich nützlich (Brand & Wissen, 2017, S. 97ff). Bernard Mandeville wäre mit der Erfassung des BIPs stolz darauf, aus den Lasten anderer Profit zu schlagen und dies als ökonomisch positiv aufzuzeichnen. Zudem erinnert seine Bienenfabel an propagierte Lohnsenkungen. Er schrieb damals, für Länder in denen „Sklavenhaltung verboten ist, ist die beste Grundlage für Wohlstand offenkundig eine große Zahl an arbeitsamen Armen“ (Bregman, 2017, S. 74). Überspitzt formuliert ist die Umweltverschmutzung für das Wachstum des BIPs doppelt lukrativ: Ein Unternehmen verdient durch das Umgehen von Umweltvorschriften mächtig Geld und ein anderes damit, dass es diese Folgen beseitigt. Statt der Prävention von Folgekosten und der Verhinderung ökologischen, menschlichen oder tierischen Leids wird reine Umsatzsteigerung angestrebt. Die Wirtschaft profitiert mit wachsendem BIP vom Laster der Einzelnen. Der Neoliberalismus toleriert und fördert damit indirekt ethisch und ökologisch bedenkliche Maßnahmen, um Wachstum zu generieren.
2.2.4 Die Vorgaben der scheinbar mächtigen Finanzwelt
Die weitere Entfesselung der Kapitalmärkte nach Jahren des niedrigen BIP Zuwachses bescherte den USA im Vorfeld der Bankenkrise 2008 weiterhin hohe Wachstumsraten. Da internationale Bankhäuser hohe Renditen durch Deregulierung ausnutzten, um deren Gewinn, Boni und letztendlich dem BIP neuen Aufschwung zu verleihen, wurde Wachstum „auf Pump“ generiert. Dadurch riskierte man hohe reale Verluste durch neues Buchgeld und schob für mehr Liquidität etwaige Kosten, Hypotheken und Spekulationsverluste auf eine unbestimmte Zeit in die Zukunft. Das ohnehin instabile System wurde gebrechlicher und krisenanfälliger gemacht.
Es griff die Illusion der Berechenbarkeit um sich: Die scheinbare Sicherheit und naturgesetzähnliche Wachstumsprognosen wurden in dem Ausmaß der Krise greifbar. Die strukturelle, politische Abhängigkeit vom Bankensektor und das Primat des Wachstums wollte man nicht gefährden und staatliche Mittel wurden zur Rettung der Finanzhäuser investiert. Einer, der diese Wirtschaftspolitik der Deregulierungen maßgeblich vorantrieb, war Alan Greenspan. Der von großen Verlagshäusern und internationalen Banken als Financial Rockstar gefeierte Lenker der US-Notenbank musste das Erwachen aus seinem neoliberalen Traum bereits vor der Kamera zugeben: Der demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders belehrte ihn bei einer Anhörung13 über keynesianische Grundkenntnisse, die der Neoliberalismus unter Greenspans Einfluss in US-amerikanischen Institutionen durch die Bekämpfung des Mindestlohns, Steuergeschenke für Superreiche und die Deregulierung des Finanzsektors wiederfand. Greenspan verwies auf die durch verfügbare Liquidität hohen Wachstumsraten sowie steigende Umsatzzahlen und gesteht wenige Jahre später einen ungeahnten „Fehler im System“ ein (Jackson, 2013, S. 29, 87). Dieses Beispiel verdeutlicht, wie die durch Wachstum getriebene Finanzwelt sich zunehmend von der Realwirtschaft abzukoppeln droht (Elsenhans, 2012, S. 206f; Kocka, 2013, S. 93ff).
Die angebliche Entkopplung von Wirtschaftswachstum und damit assoziierte verheerende ökologische Folgen werden von der Umweltforschung vehement bezweifelt. Modellrechnungen prognostizieren, dass die dank neoliberaler Aufschiebung der Umstellung einer Wirtschaft hin zu nachhaltigen Prämissen in Zukunft mehr Kosten verursachen als das frühzeitige Einlenken zur Prävention der Konsequenzen (Jackson, 2013, S. 59ff). Allerdings würde dies eine Überarbeitung des Wachstumsbegriffs und damit eine Reform und Abkehr vom Neoliberalismus nach sich ziehen. Die Finanzwelt wird quasi eingeladen, ihren eigenen „Wert“, bzw. Beitrag zur in die Gesellschaft eingebetteten Markt und Wirtschaft zu überschätzen. Der Neoliberalismus wird so, mit bestehenden Entwicklungen ohne Einlenken auf Dauer, an dem Ast sägen, auf dem er sitzt. Dieser rasant gewachsene Baum, den man Kapitalismus nennen kann, würde nach langem, bedrohlich ungleichmäßigem Wachsen seine letzte, fragile Stabilität einbüßen.
2.2.5 Das neoliberale Wachstumdogma überwiegt Umweltbedenken
Wenn es um das große, internationale Geschäft oder Teile der Investmentfinanz geht, werden bei ethischen oder ökologischen Bedenken häufig Argumente für internationalen Konkurrenzdruck, zu schützende Arbeitsplätze oder die volkswirtschaftliche Abhängigkeit einer Branche laut (Vgl. Oermann, 2015, S. 99, 108ff). Stattdessen wird für Subventionen konventioneller Technologien und die weitere Nutzung fossiler Brennstoffe geworben, um aussterbende Arbeitsplätze künstlich am Leben zu halten. Neben der Verweisung der eigenen Verantwortung auf andere Akteure einer globalen Produktionskette geht es auch plakativer: Im Zuge der brasilianischen Präsidentschaftswahlen twitterte die Deutsche Bank beispielhaft für die Präferenz von neoliberalem Wachstum gegenüber Werten der Demokratie, Emanzipation oder Umweltstandards: „Brasilien: Präsidentschaftswahlen gehen in die erste Runde - der neoliberale Jair Bolsonaro ist Wunschkandidat der Märkte“ (Bakir, 2018) vor dem Abbild der brasilianischen Flagge und einer Anzeigetafel mit steigenden Aktienkursen. Aus jetziger Perspektive scheint nicht verwunderlich, dass unter der Regentschaft des später demokratisch gewählten Bolsonaro nicht nur in Brasilien, sondern weltweit Waldsterben, Eisschmelzen und Extremwetterbedingungen auf dem Vormarsch sind (Schneider, 2019; Watts, 2019). Dies bietet ein schaurig anschauliches Exempel für neoliberale Überheblichkeit über Natur und gesellschaftlicher Verantwortung.
Die Ziele des Pariser Klimaabkommens werden bedroht durch den Drang der Wirtschaft und ihrem Wachstumsmantra Vorrang zu lassen. Das geplante Mercorsur Abkommen birgt das Potenzial, den Status Quo an täglich zunehmenden Brandrodungen des Amazonas Regenwalds, der grob ein Viertel des weltweiten CO2eq beherbergt, zu verschärfen: niedrige Zölle für nach Europa importiertes Fleisch oder Soja werden zulasten von Mensch und Umwelt und der Inkaufnahme weiterer Rodungen akzeptiert. Bolsonaro lockert Naturschutzgesetze für das Wachsen der brasilianischen Wirtschaft mit dem Argument, Klimaschutz sei Geldverschwendung (tagesschau.de, 2019a, 2019c). Exemplarisch gilt auch der Versuch der aktuellen US Regierung, mit Mitteln des Framings 14 das Wort „Klimawandel“ aus dem öffentlichen Leben zu verbannen, um die Wirtschaftsausrichtung und das Wachstum nicht zu gefährden (Milman, 2017). Wie diese Beispiele zeigen, setzt die weltweit wachstumsgetriebene Wirtschaft der führenden westlichen Länder eine ressourcenverschlingende und gefährlicherweise emissionsproduzierende Maschinerie in Gang.
2.2.6 Konklusion: Das Wachstumsdogma im Neoliberalismus
Halten wir zusammenfassend fest: Der Neoliberalismus hält trotz offener Widerlegung sein eigenes Werbeversprechen nicht: Er untergräbt seine eigene Wachstumssucht durch kurzfristiges Rekordjagen (Ostry et al., 2016). Der Neoliberalismus züchtet gedopte Sprinter, aber keine gesunden Dauerläufer: Er setzt auf schnelles, starkes Wachstum und kann damit regressiv wirken, Rentenaneignungen begünstigen und seine eigenen Ziele langfristig gefährden. Seine ideologischen Widersprüche machen ihn zu einer gefährlichen Wirtschaftsausrichtung, die stur bereits widerlegte Irrtümer ignoriert und über berechtigte Kritik hinwegsieht. Wegen deregulierter Finanzmärkte und einer scheinbaren Deutungshoheit fällt es in globalen, diffusen Marktstrukturen leichter, bei eigener Verantwortung zur Einhaltung von Umweltstandards oder Nachhaltigkeitsversprechen auf die Wettbewerbsfähigkeit und den Druck der Systemkonkurrenz zu verweisen (Jackson, 2013, S. 59ff). Besonders im Finanzsektor droht die Entkopplung von der Realwirtschaft. Die herausragende Stellung des Wachstumsdrangs zögert über dessen Reformbedürfnis hin zu nachhaltigerem, ökologischerem Welthandel ein rechtzeitiges Einlenken hinaus. Mit schleichender Selbstentmachtung der Politik und der scheinbaren Abhängigkeit von den Finanzmärkten untergraben neoliberale Prozesse zudem legitime, demokratisch gewählte Entscheidungsträger (Elsenhans, 2012, S. 184f, 193; Kocka, 2013, S. 96ff; tagesschau.de, 2019a).
Der Neoliberalismus toleriert interne Widersprüche, aber lässt sich nicht widersprechen: Er erhebt das Wachstum zum übergeordneten Ziel, deren Mittel geheiligt werden. Das Steigern des BIPs setzt sich dank komplexer, globaler Handelsprozesse und dem starken, neoliberalen Einfluss auf das politische Weltgeschehen über all jene beispielhaft beschriebene Kritik als unanfechtbar hinweg. Auf absehbare Zeit scheint somit keine rationale Reform einer ideologisch überschätzten Kennzahl in Sicht. Man bevorzugt die komfortable Illusion, dass alles so bleiben kann und sich nichts und niemand radikal ändern muss (Jackson, 2013, S. 12f, 43). Ökologische Nachhaltigkeit und wachstumsgetriebene Wirtschaftlichkeit lassen sich bei neoliberalen Systemstrukturen, die durch ihre Wirkungsmechanismen die ökologische Schieflage gravierend beschleunigen, schwer vereinbaren.
2.3 Die Postwachstumsökonomie als Alternative
Der letzte Abschnitt zeigt ausführlich, wie sehr sich die Strukturen festfahren und wie schwer es fällt, umzudenken, obwohl dies im Sinne der breiten Masse, der Umwelt und einer nachhaltigen Wirtschaft notwendiger wird. Durch zunehmende Kritik werden jedoch Risse in der schillernden Fassade der Wachstumspredigt tiefer und deutlicher. Die Zukunftsforschung entwickelt Lösungskonzepte für künftige Herausforderungen. Eines davon könnte die PWÖ sein.
„Das Problem sind nicht die neuen Ideen. Das Problem ist, wie wir uns von den alten Ideen lösen können.“
John Maynard Keynes (1883-1946)15
Obwohl der Neoliberalismus überjegliche Kritik hinweg stur an überholten Prämissen festhält, hat er es geschafft, für sich und sein Wachstumsparadigma eine allumfassende, dominante Unanfechtbarkeit zu beanspruchen (Adam, 2015, S. 266ff; Kocka, 2013, S. 127f). Vielleicht fällt es nach Keynes deshalb schwer, alternative Konzepte überhaupt in Erwägung zu ziehen. Um der Marx’schen Sintflut zu entkommen soll die PWÖ die Arche für eine nachhaltige Wirtschaft errichten:
2.3.1 Das Konzept der Postwachstumsökonomie
Anhänger des Postwachstums möchten eine Ära nach dem Primat des Wirtschaftswachstums herbeiführen und stellen das BIP als Kennzahl für ein nachhaltiges Zusammenleben infrage. Ihre Beweggründe sind hauptsächlich ökologischer Natur, sie beziehen aber auch den individuellen Optimierungsdruck und zunehmende Ungleichheitstendenzen mit ein. Die Postwachstumsökonomie soll ohne Wachstum des BIPs über eine stabile, mit vergleichsweise reduziertem Konsumniveau einhergehende Versorgungsstruktur etablieren (Paech, 2019). Die PWÖ oder Steady-State- Ökonomie grenzt sich wegen der langfristig ökologischen Entkopplung von negativen Wachstumsfolgen auf die Umwelt bewusst von wirtschaftlich näheren Konzepten wie Green Growth oder Sustainable Growth Economies ab. Sie ist gekennzeichnet durch eine stabile Bevölkerungsgröße, einen langfristig konstanten Kapitalstock und gering schwankende Verarbeitungsmengen an Materialien und Energie, die in der Produktion von Waren und Dienstleistungen genutzt werden (Daly & Czech, 2004, S. 598f). In einer solchen Volkswirtschaft soll in einem langfristigen Gleichgewicht die Produktion weder wachsen noch fallen, wobei alle gesamtwirtschaftlichen Faktoren sich bestenfalls selbst reproduzieren. Technologischer Fortschritt soll zu effizienter werdenden Verarbeitung, ergo weniger Materialien und genutzter Energie, führen und hochwertige, langlebige Produkte und Dienstleistungen hervorrufen. Dabei darf das Maß an Umweltverschmutzung die Selbstreinigungskraft der Natur nicht übersteigen. Dafür sollen ökologische Steueranreize, die Internalisierung bisher nicht einbezogener, externer Kosten und Verbrauchsobergrenzen seltener oder schädlicher Ressourcen (in Auktionsverfahren, ähnlich dem Emissionszertifikatshandel) institutionalisiert werden (Daly, 1974, S. 15ff). Die Beschäftigungsquote soll konstant hoch und die Reallöhne auf einem stabilen Niveau eines geringen ökologischen Fußabdrucks durch die Nutzung erneuerbarer Energiequellen gehalten werden (Daly & Czech, 2004, S. 601; Paech, 2019).
Konkret setzt die PWÖ dabei auf eine (kontrolliert) stabil bleibende Bevölkerungsgröße16, um hohe Reallöhne für soziale Sicherheit und ein niedriges Renteneintrittsalter zu ermöglichen. Maximal- und Minimaleinkommen sollen für eine angestrebt abflachende finanzielle Ungleichheit festgesetzt und Finanzmarkt und Zentralbank verstaatlicht oder strenger kontrolliert werden. So soll die Unabhängigkeit von der Finanzindustrie und eine demokratisierende Entwicklung angestoßen werden. Dabei soll ein langfristig niedriger Zins helfen. Eingeschränkte Kapitalmobilität soll drohende Kapitalflucht eindämmen. Zudem soll im Sinne Keynes‘ eine suprastaatliche Einrichtung internationalen Handel regulieren, um bspw. extreme Exportüberschüsse zu vermeiden und Ungleichgewichte in nationalen Handelsbilanzen sanktionieren (Daly, 2009, S. 39ff).
2.3.2 Ein Lösungsansatz: Ohne Wachstum mehr Verantwortung
Das Weltwirtschaftsforum zählt unter den zehn wahrscheinlichsten und riskantesten Bedrohungen der Weltwirtschaft allein sechs davon zu den rapide zunehmenden Umweltbelastungen und zeigt deren Verknüpfung mitweltweitem Handel auf (WEF, 2019). Für die Steigerung dessen wurden weltweit über Jahrzehnte mehr Bäume gerodet als nachwachsen, Überfischung und Mikroplastik bedrohen die Weltmeere, es wird zu viel Boden beansprucht, zu viel CO2eq ausgestoßen als wieder aufgenommen werden kann und die Umwelt über ihre
Regenerationskapazität belastet - Kettenreaktionen werden in Gang gesetzt und Klimaabkommen versuchen kollaterale Kippunkte zu vermeiden. Die ökologisch planetarischen Grenzen werden zunehmend durch das Wachstum und die steigende weltweite Verflechtung der Wirtschaftszweige überansprucht (Rockström & Klum, 2015, S. 48ff).
Die PWÖ adressiert offen die Frage der gesellschaftlichen Verantwortung gegenüber ärmeren und direkt betroffenen Erdregionen und künftigen Generationen. Sie will die dem Neoliberalismus inhärente Undurchsichtigkeit nehmen, in dem Verantwortungen in globalen Produktionsketten verschwimmen und aus nachhaltigen Gründen kostspielige Produktionsweise in Konkurrenz um ein massenhaft produzierbares, bezahlbares Angebot durch höhere Preise oder kleinere Margen (ergo weniger Spielraum für Profit oder Rente) zu einem immensen Wettbewerbsnachteil, bis hin zum Marktausscheiden führen können (Oermann, 2015, S. 85, 90; Piketty, 2016, S. 445). Die PWÖ sieht hinter kurzfristigem, egoistischem Handel den Drang zu wachsen und die makroökonomische Ausrichtung des BIPs. Ohne Wachstum sollen Unternehmen zu ökologisch und sozial verantwortlichem Handel angestiftet werden. Als Systemfrage werde die Eigenverantwortlichkeit individueller Akteure ohne neoliberale Wirtschaftszwänge gestärkt und mit gesetzlichem Rahmen vereinfacht (Paech, 2012, S. 103f, 2017, S. 41ff).
2.3.3 Ausblick der Postwachstumsökonomie
Trotz teils konkreter Maßnahmen bleibt die Entwicklung eines makroökonomischen Modells aus. Das Ziel ist, dass Konsum und Handel ökonomisch weitestgehend folgenlos bleiben: Emissionen sollen gesenkt, hauptsächlich erneuerbare Energien genutzt, regionale und kleinere Agrarbetriebe gestärkt, Reparaturen verbilligt, Produktion und Konsum auf ein ökologisch vertretbares Niveau gesenkt werden, wobei der Leitspruch Reduce, Reuse, Recycle (Genügsamkeit, Wiederverwertung, Rohstoffkreislauf) Orientierung für Angebot- und Nachfrageseite bieten soll. Demnach generiert ein lang haltendes Produktdesign weniger Abfall und nutzt regenerative Energien (Paech, 2019).
Erste Forschung nimmt im akademischen Raum Gestalt an, wie bspw. beim DFG Postwachstum an der Universität Jena17. Netzwerkveranstaltungen zu wachstumskritischen Wirtschaftskonzepten wollen wachstumstreibenden Lobbyverbänden auf politischer Ebene die Stirn bieten. Die PWÖ erscheint als radikaler, ökologisch nachhaltiger Ansatz im Vergleich zum Status Quo. Dieser jedoch, hat sich mit Blick auf die ökologische Belastbarkeit ebenfalls schleichend radikalisiert und durch großteilig rücksichtsloses Ausbeuten natürlicher Ressourcen das ökologische Gleichgewicht ins Wanken gebracht. Postwachstumsökonomen argumentieren daher mit institutionalisierten Emissionsgrenzen oder beispielhaften Fischfangkontingenten und zeichnen planetare Leitplanken, die es gilt, nicht zu überfahren, um einen Unfall für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft präventiv zu vermeiden (Jackson, 2013, S. 157ff; Paech, 2019).
Diese quasi anthropologisch positive Zukunftsvision liest sich wie die Blaupause einer Utopie, wie ein perfekter Kreislauf, wie Physik ohne Reibung. Kritiker beschreiben jedoch durch das Entfernen des Paradigmas Wachstum einen kompletten Systemwechsel. Sie befürchten eine dramatische Verschlechterung der volkswirtschaftlichen Situation bei ausbleibendem Wachstum und prognostizieren eine stark steigende Verschuldungsquote und den rasanten Anstieg von relativer Armut durch eine wachsende Arbeitslosigkeit (Jackson, 2013, S. 83ff). Vordenker wie Paech (2019) oder Daly (2009) entgegnen der Kritik mit der sich ohnehin entwickelnden Alternativlosigkeit ihrer PWÖ Konzepte, ähnlich wie Marx‘ den Kommunismus als finale Entwicklungsstufe voraussagte. Ob die größtenteils ökologische Notwendigkeit, das Wachstum auf null (und das BIP auf einem Fixwert) zu stabilisieren größer ist als die damit einhergehenden, zu erwartenden sozio-ökonomischen Herausforderungen soll der Verlauf dieser Arbeit thematisieren. Festzuhalten ist, dass nach ökonomischen Maßstäben eine Wirtschaft ohne Wachstum auf wackeligen Beinen steht.
3. Notwendigkeit der Postwachstumsökonomie
Im Kapitalismus basiert auch die neoliberale Wirtschaft auf ökonomischen und ökologischen Schulden, die vor einigen Monaten sichtbar wurden: Der errechnete „Erdüberlastungstag“18 am 29. Juli 2019 fällt seit Jahren auf einen immer früheren Kalendertag. In den 1970er Jahren, vor dem institutionalisierten Beginn des politischen Neoliberalismus durch Thatcher und Reagan war der menschliche Ressourcenverbrauch im Verhältnis zur Regenerationskraft der Erde noch ausgeglichen. Parallel zur wachsenden Weltwirtschaft beschleunigte sich die Belastung der Umwelt (Global Footprint Network, 2019). Mehr Menschen stellen immer mehr her, trotz effizienterer Produktionsprozesse werden zusätzliche Ressourcen gefördert und durch die Digitalisierung vieler Bereiche deutlich mehr Energie benötigt (Kisters, 2019).
Prof. Dr. Kreibich, Soziologe und Zukunftsforscher, beklagt im Interview mit dem Fluter die „Realitätsverweigerung“ (Kreibich, 2010, S. 5ff) der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger, dass Strategien zu kurzfristig gedacht und die großen Herausforderungen unserer Zeit nicht nachhaltig angegangen werden - wofür aus heutiger Sicht radikal erscheinende Maßnahmen auf lange Sicht mehr Geld sparen, als das Ausbaden der Konsequenzen der bequemen Fortführung des Status Quo kosten würde. Effizienter Klimaschutz bedeute auch (persönlicher) Verzicht anstatt des Wachstumsmantras in einigen Bereichen; Verbote und stärkere Umweltgesetze seien im Vergleich weitaus effektiver. Künstlich kurze Innovationszyklen, bspw. von jährlich erscheinenden Neuauflagen von Smartphones, die marginale Neuerungen mit Mitteln des Marketings aufblasen und für das Wachstum mehr Absatz sowie wachsende Börsenkurse bringen, seien ökologischer Nonsens; es werde „an der gesellschaftlichen Realität vorbeientwickelt“ (Kreibich, 2010, S. 8). Die Erde und die Zivilisation und Technologie entwickle sich eher, als dass sie ständig zu wachsen braucht, es ginge nachhaltig um ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur, gegen den „Wachstumsfetischismus“ (Kreibich, 2010, S. 8), der empirisch nicht mehr mit der Steigerung der globalen Lebensqualität zusammenhinge.
Dieses Kapitel wird den kausalen Zusammenhang zwischen Wachstum und Emissionen sowie Wachstum und Ressourcen aufzeigen. Die enorme weltweite Produktivität und Ausbreitung des Kapitalismus betitelte bereits Schumpeter als „schöpferische Zerstörung“ (Jackson, 2013, S. 86f). Die sich zuspitzend kritische ökologische Lage ist stark beeinflusst von der weltweit wachstumsgetriebenen Ökonomie. Auswege aus dem neoliberalen Dilemma, wachsen zu müssen, aber nachhaltig Emissionen und Ressourcenverbrauch zu reduzieren, unterstreichen die Notwendigkeit eines Einlenkens (Meadows, 1994, S. 36ff, 163f). Laut Paech (2019) folgt die PWÖ auf lange Sicht als konsequente Entwicklung unvermeidlich pfadabhängig auf das zerstörerische neoliberale Wachstumsdogma.
3.1 Emissionen und Wachstum
Der folgende Abschnitt wird zeigen, welche ökologisch strapazierenden Folgen das Wachstum der Weltwirtschaft durch die dadurch ausgelösten Emissionen hat. Zur Veranschaulichung werden Daten aktueller Berichte genutzt, um damit abzuschließen, dass Wachstum ohne gesteigerte Emissionen empirisch nicht nachweisbar bleibt (siehe Anhang 2 bis 5).
3.1.1 Rat der Berichte zur Umweltverschmutzung
Die aktuelle Ausgangslage wird von aktuellen Berichten nahezu einstimmig als dramatisch bezeichnet. Der Weltklimarat (IPCC), der Deutsche Umweltrat und weitere NGOs warnen davor, die globale Erdtemperatur bis zum Jahre 2100 um 2°C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter (um 1850) zu überschreiten, da sonst irreversible und nicht weiter beeinflussbare Kipppunkte im Ökosystem unumkehrbar werden. Als wesentlichen Bestandteil sehen die Forscher, dass die Treibhausgaskonzentration der Atmosphäre zu diesem Zeitpunkt 450 ppm CÖ2eq nicht übersteigt. Ab 550 ppm CÖ2eq sinkt die Wahrscheinlichkeit, den globalen Temperaturanstieg unter 2°C zu halten auf unter 50%. Sollten sich lediglich die Entwicklungen der jetzigen Ausgangslage ohne zusätzliche Emissionsreduktionsmaßnahmen oder einen stärker institutionalisierten Klimaschutz ceteris paribus fortsetzen, läge die Konzentration um 2100 zwischen 750 und 1.300 ppm CÖ2eq und die globale Temperatur würde um 3.7 bis 4,8°C ansteigen. Der IPCC und weitere Umweltberichte raten, die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht zu unterschätzen und appellieren an ein frühes Einleiten von stärkeren Umweltmaßnahmen, die sich auf das Wirtschaftswachstum auswirken würden.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Veranschaulichung des jährlichen CO 2 Verbrauchs pro Kopf zur Ausgangslage (heute) und zur angestrebten Erreichung des Klimaziels von 450 ppm CO 2 eq, bzw. 2,71CO 2 Verbrauch pro Kopf pro Jahr (Paech 2019)
Ziel sei es, die globalen Treibhausgase bis 2050 auf 41 bis 72% und bis 2100 auf nahezu 0% ihres Niveaus von 2010 zu senken, um die anvisierte Konzentration zwischen 350 und 450 ppm CÖ2eq zu erreichen (EEB, 2019, S. 12f; IPCC, 2014, S. 12f; Rockström & Klum, 2015, S. 33ff, 90).
Der nachhaltige, von der Natur absorbierfähige CÖ2eq pro KopfVerbrauch liegt bei ca. 2,5 bis 2,7 Tonnen (t), der zur Erreichung der Klimaziele notwendig ist (siehe Abb. 1). In Deutschland sind es zur Zeit 11t pro Kopf (Paech, 2019, S. 42). Die Wissenschaft appelliert an die politischen Entscheidungsträger, ökologische Grenzen frühestmöglich zu institutionalisieren, um gefährdende Maximalwerte präventiv zu vermeiden und die Entscheidungskompetenz zu wahren, bevor extremere, katastrophale Zustände akutes Handeln erzwingen. Dazu gehöre auch, das weltweite Wirtschaftssystem mit Blick auf seine Auswirkungen zu reformieren (siehe Prognose bis 2050 in Anhang 5).
3.1.2 Die Aufschlüsselung der Treibhausgasemissionen
Die Politik stellt sich teils schützend vor fossile Industrien mit dem Argument Arbeitsplätze schützen zu wollen und hemmt eigenen Umweltschutz und wettbewerbsorientierte Nachfragemechanismen nach innovativen Energieproduzenten (Jackson, 2013, S, 28ff), Langfristig wird es dennoch notwendig sein, sich von diesen kurzfristig getriebenen Scheinargumenten zu lösen, Der flächendeckende Umbau hin zu erneuerbaren Energiequellen19 steht aus, Die Verbrennung zur Flächen- und Energiegewinnung im Amazonasregenwald und anderen großflächigen natürlichen CO2eq Speichern (wie Kohle und Erdöl) setzen für das Antreiben der weltweiten Wirtschaft Unmengen an Emissionen frei (Brand & Wissen, 2017, S, 102f; Meadows, 1994, S, 128f; Rockström & Klum, 2015, S, 70ff),
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Um zu modellieren, wie sich die weltweiten Treibhausgase zusammensetzen, wird die Wachstumsrate der Bevölkerung, des BIPs pro Kopf und der Energieintensität20 zusammengerechnet (Blodgett & Parker, 2010, S, 5), Zwischen 1970 und 2010 haben sich die jährlichen, anthropogenen Emissionen von 27 auf 49 Gigatonnen21 CO2eq (um 80%) erhöht,
Diese Zunahme wurde zu 78% von industriellen Prozessen und der Verbrennung fossiler Brennstoffe verursacht (siehe Abb. 2) (IPCC, 2014, S. 6f).
Nach Abb. 3 werden die maßgeblichen Treiber für weltweiten CO2eq Ausstoß im Untersuchungszeitraum auf Bevölkerungswachstum (+87%) und Pro Kopf BIP (+103%) zurückgeführt. CO2 Intensität der Energie und die Energieintensität des BIPs (-35%) wirkten abschwächend (IPCC, 2014, S. 365). Bei ungefähr stetigem Bevölkerungswachstum rief das Wachstum der pro Kopf Einkommen von 2000 bis 2010 weitaus mehr Emissionen hervor als in den vorigen Jahren (siehe dazu Anhang 6 und 8).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Eine weitere Untersuchung der globalen Hauptemittenten nach Blodgett & Parker (2010) bestätigt den IPCC Bericht und zeigt auf, dass die Verbesserungen in der Emissionsintensität die weltweiten Bevölkerungs- und Einkommenszuwächse nicht kompensieren konnten. Demnach sind die Effizienzgewinne in entwickelten Volkswirtschaften wie bspw. Frankreich, den USA oder Südkorea mit wenigen Ausnahmen (Deutschland und Vereinigtes Königreich) bislang nicht ausreichend, um die absoluten Emissionen zu senken. Bevölkerung und Einkommen wachsen in allen Entwicklungsstaaten bedeutend schneller als deren Emissionsintensität sinkt (Blodgett & Parker, 2010, S. 7f; Jackson, 2013, S. 60ff).
Fast alle Länder zeigen bei der Untersuchung eine sinkende Emissionsintensität22 auf. Bei Volkswirtschaften mit geringem und mittlerem Einkommen überwiegt das schnelle Wachstum im Vergleich zu technologischem Wandel, der in der Tendenz eine emissionsärmere Produktion und Allokation ermöglicht. Entwickelte Volkswirtschaften wachsen unter stärker wirkendem technologischen Fortschritt langsamer, wobei die Emissionen (wie im Fall Deutschlands) mitunter gesenkt werden können (IPCC, 2014, S. 371ff).
Der notwendige technische Fortschritt der Emissionsintensität für stabile, eher umweltverträgliche Treibhausgasemissionen müsste in etwa doppelt so effizient sein wie aktuell bemessen. Zudem wiegt die Wirkung des wachsenden pro Kopf BIPs schwerer als die enorme Verbesserung des CO2eq intensiven Energiesektors, der 2005 noch für ca. 64% der globalen Emissionen verantwortlich war (Blodgett & Parker, 2010, S. 7, 16).
Folglich korreliert das pro Kopf BIP Wachstum eng mit dem Emissionswachstum einer Volkswirtschaft23, was in nordischen Ländern durch umweltschonende Technologien und Maßnahmen, wie hohen CO2-Steuern, zum Teil kompensiert werden kann (EEB, 2019, S. 24ff; IPCC, 2014, S. 1160; Rockström & Klum, 2015, S. 121, 173).
Neben steigenden Bevölkerungszahlen trägt das Wirtschaftswachstum demnach maßgeblich zu gesteigerten und nur schwierig zu kompensierenden Emissionen von CO2eq bei. Unabhängige wissenschaftliche Berichte regen daher an, Wirtschaftsprozesse zu überdenken, Anreize für ökologische Entwicklung zu etablieren und äußern mit ihren Befunden indirekt Kritik am neoliberalen Wachstumsdogma.
3.1.3 Mythos der Entkopplung und Ausblick
Kuznets prognostizierte modellhaft einen inversen Zusammenhang eines wachsenden pro Kopf BIPs und Emissionen. Seine Environmental Kuznets Curve, die o-förmig verläuft (X- Achse: pro Kopf BIP; Y-Achse: Emissionen), beschreibt die Entwicklungsphasen einer Nation von einer sauberen Agrarwirtschaft (niedriges BIP pro Kopf) über die emissionsstarke Industrialisierung, während die Entwicklung gegenüber Umweltbedenken präferiert wird (stark steigendes BIP pro Kopf), hin zu einer emissionsärmeren und -absorbierenden technologisch entwickelten Dienstleistungsgesellschaft (hohes BIP pro Kopf). Kuznets erwartete von steigenden und hohen pro Kopf BIPen (als Indikator für Wohlstand) somit, dass Wachstum - entgegen der Empirie aus Abschnitt 3.1.2 - zur Lösung der Emissionsproblematik beitrage (EEB, 2019, S. 19). Für eine gesteigerte Umweltqualität habe ein weiter entwickeltes Land mit wohlhabenden Einwohnern mehr Mittel übrig und wirtschafte emissionseffizienter. Regionale Umweltqualitäten (wie Abfallentsorgung, Trinkwasserqualität, Verkehrsaufkommen; ohne internalisierte Kosten) steigen und korrelieren durchaus mit dem zugehörigen Wirtschaftswachstum (IPCC, 2014, S. 373).
Neoliberale Kritiker der PWÖ erhoffen sich ähnliche Effekte von einer ständigen Weiterentwicklung der Technologien, dass auch auf makroökonomischer die Effizienzgewinne ihren Ressourcen- und Emissionsverbrauch einholen werden. Zudem neigen globale Konzernstrukturen bei höheren Umweltauflagen von Produktion (ergo höhere Fixkosten) in Länder mit weniger starken Regulierungen abzuwandern, in denen in der Regel auch Löhne geringer sind (Brand & Wissen, 2017, S. 98ff; Elsenhans, 2012, S. 202ff).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4 Trends beim Verbrauch fossiler Brennstoffe und entsprechender CO 2 -Ausstoß bei Einwicklung des Welt-BIPS 1980 bis 2005(Jackson, 2013, S. 63)
Ähnlich wie das BIP Wachstum seinen Einfluss auf die Realwirtschaft überschätzt, wird versucht, ökologische Zustände vom steigenden Wachstum zu entkoppeln (Elsenhans, 2012, S. 206f; Paech, 2012, S. 71ff). Parallel zu sinkendem Materialverbrauch sollen beim Entkopplungskonzept Produktionsprozesse umgestaltet, Waren und Dienstleistungen neu entwickelt werden (Jackson, 2013, S. 59f). Durch eine absolute Entkopplung24 sollen die in Abschnitt 3.1.2 beschriebenen Grenzen zu gewissen Zeitpunkten trotz steigender BIPe erreicht werden. Trotz umfangreicher Verbesserungen in vielen Volkswirtschaften um den Globus steigt die relative Entkopplung allmählich, während die absolute hingegen weit hinter international vereinbarten Ambitionen zurückbleibt. Bei sinkender Emissionsintensität sind die CÖ2eq Emissionen seit 1970 um 80% angestiegen und heute noch um ca. 40% höher als 1990 (Brand & Wissen, 2017, S. 148ff; Jackson, 2013, S. 62ff). Wie in Abb. 4 erkennbar, steigt das weltweite BIP schneller als der Rohstoffverbrauch (relative Entkopplung), ein Sinken zeigtjedoch keine der Kurven. Ähnliches gilt für Materialverbrauch, der bestenfalls auf einem hohen Niveau stagniert, aber keinesfalls sinkt (Jackson, 2013, S. 63f).
Bislang ist es nicht empirisch gelungen, Wachstum von Umweltschäden zu entkoppeln. Die Ökosphäre wird in vielerlei Hinsicht bei Produktion und Handel beschädigt, jedwede Form neuer Wertschöpfung kommt nicht zum ökologischen Nulltarif (Paech, 2012, S. 71ff). Beobachtete und erhoffte Entkopplungseffekte kommen der zunehmenden Belastung der Umwelt nicht schnell, gründlich oder langfristig genug nach (EEB, 2019, S. 49ff). Es bleibt jedoch aus, dass die umweltbedrohenden weltweiten Emissionswerte allein auf das Wachstum zurückzuführen sind. Dieser Abschnitt kann verdeutlichen, dass das Steigen des globalen BIPs pro Kopf und das der CÖ2eq Werte eng miteinander verkoppelt sind - und damit genau so schwer voneinander zu ent koppeln. Ferner ist ein sinkendes Wachstum im Regelfall mit sinkenden Emissionen verbunden. Somit kann von politischen Akteuren in Erwägung gezogen werden, sich vom neoliberalen Wachstum zu distanzieren, und sich gleichzeitig auf die Förderung anderer Bereiche zu konzentrieren, Wohlstand zu erhalten, Fortschritt zu ermöglichen und die Basis für eine nachhaltige Wirtschaft zu errichten.
3.2 Ressourcen und Wachstum
Mit Fokus auf den globalen Ressourcenverbrauch soll herausgefunden werden,
1. wie knapp die planetaren Rohstoffe sind, bzw. ob ihr Verbrauch durch rechtzeitiges Nachwachsen gedeckt wird,
2. wie energie- und materialintensiv die Herstellung der Produkte ist
3. und ob die Umweltverschmutzung durch Abfall in Schach gehalten werden kann. Die Ergebnisse werden im Hinblick auf den Einflussfaktor Wachstum untersucht.
3.2.1 Zusammensetzung des Ressourcenverbrauchs
Man kann sich die Wirtschaft als ein Subsystem der Umwelt vorstellen, aus dem aus entnommenen Rohstoffen mit Zufuhr von Energie durch Fertigungsprozesse Endprodukte entstehen. Dieser Abschnitt wird zeigen, wie ein großer Anteil der zunehmend weltweit genutzten Ressourcen auf ein gesteigertes BIP zurückzuführen ist.
Steigender Materialverbrauch geht mit höheren Emissionen und einer größeren Abfallproduktion einher. Eine relative Verbesserung in der ökonomischen Nutzung von Ressourcen hat sich über die Jahre entwickelt. Nichtsdestotrotz werden parallel zum BIP Wachstum mehr Rohstoffe weltweit gefördert, die Verwertung dieser Materialien ist bloß effizienter geworden. 2005 wurden ca. 59 Mrd. t Rohstoffe gefördert und für die Weiterverarbeitung genutzt. Das ist eine achtfache Steigerung der Menge im Vergleich zum Jahr 1900. Im gleichen Zeitraum wuchs die Weltbevölkerung auf das Vierfache und die globale Ökonomie wuchs, bemessen am BIP, auf über das Zwanzigfache. In dieser Zeitspanne sind beachtliche Fortschritte in Material- und Energieintensität erbracht worden: 2005 wurde für eine BIP Einheit von 1900 nur noch 30% des Materials und 50% der Energie benötigt. Dieser Effizienzgewinn ist aber rein relativer Natur, die Effekte der gesteigerten ökonomischen Produktion unterlagen dem massiven Anstieg des absoluten Ressourcenverbrauchs deutlich. Die Nutzung erneuerbarer Rohstoffe (Biomasse) war maßgeblich für diesen Fortschritt verantwortlich, Effizienzgewinne und Einsparungen bei nicht-erneuerbaren Rohstoffen (Mineralien) werden erst langsam seit den 1970er Jahren verzeichnet (Krausmann et al., 2009, S. 2696f; Rockström & Klum, 2015, S. 101).
Zudem wird ein starker Zusammenhang zwischen starkem BIP Zuwachs und starkem Materialverbrauch deutlich: Ökonomische Rezessionen und ein Abfall des Ressourcenverbrauchs sind parallel zu beiden Weltkriegen, der Weltwirtschaftskrise (1930er Jahre) und den Ölkrisen (1973 und 1979) zu verzeichnen (Krausmann et al., 2009, S. 2699).
Selbst wenn die Rate des Outputs in Form von Produkten und Dienstleistungen im Vergleich zu eingesetztem Material, wie bspw. in den hochentwickelten Ländern sinkt, sind es gerade aufstrebende Erdregionen, wie China oder Indien, die eine extrem hohe Materialintensität für ein steigendes Wachstum generieren und anteilig zunehmend schwerer wiegen als effizientere Länder. Trotz steigender Materialeinsparungen dank neuer Technologien, bleibt eine langfristige absolute Entkopplung wegen der realen Bedarfssteigerung von Rohstoffen zweifelhaft. Dennoch muss gesagt werden, dass die erhobenen Daten zur Analyse auf skalierten Modellen und Schätzungen beruhen, da der weltweite Ressourcenverbrauch nicht präzise erfassbar ist (Krausmann et al., 2009, S. 2701).
3.2.2 „Peak Everything“ und Preise nach sinkendem Angebot
Die sich langsam verschärfende Ressourcenknappheit wird verdrängt und ertrinkt in der individualistischen See der Verantwortungsverschiebung (Brand & Wissen, 2017, S. 10f). Mit weltweit steigenden BIPen können sich auf der Erde innerhalb der nächsten 50 Jahre viele wichtige Metalle wie Silber, Gold, Zink oder Kupfer arg verknappen (siehe Abb. 5). Hierbei muss festgehalten werden, dass zur Veranschaulichung bei Abb. 5 von konstanten Wachstumsraten ausgegangen wird (und Entdeckung neuer Vorhaben, bzw. Effizienzgewinne außen vor bleiben). Es drohen Erdöl-, Gas- und Phosphorreserven sowie seltene Erden, die für die Produktion von Smartphones, Tablets und neuen Batterien gebraucht werden, zu schwinden. Die Erschließung neuer Quellen und das Extrahieren solcher Rohstoffe wird mehr Energie und umweltmäßig kritische Förderungsprozeduren beanspruchen - und damit an Ökosystemen und Wirtschaft zehren (Wagner, 2019). Sollte sich der jetzige, nicht nachhaltige Verbrauch (extrahieren, nutzen, verschrotten) auf lange Sicht linear fortsetzen, können Preismechanismen und generell die Biosphäre durch das Erreichen unumkehrbarer Kipppunkte ausgereizt werden (Rockström & Klum, 2015, S. 101).
In Gedenken an die Ölkrisen der 70er Jahre nennen einige Wissenschaftler den rasanten, rücksichtslosen Abbau solcher Rohstoffe, über deren sich zuspitzende Preisentwicklungen und ökologische Konsequenzen spekuliert wird, analog das neue „Peak Everything“ (Rockström & Klum, 2015, S. 101ff).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Der Abbau von Vorräten von nicht erneuerbaren Rohstoffen hat Auswirkungen auf seine Preisgestaltung und kann damit zeitlich flexibel Erträge erbringen und bei nicht sinkendem Nutzen durch Verknappung deren Gewinn pro Einheit steigern. Damit liegen Opportunitätskosten vor, die im Sinne der Profitmaximierung bei Abbauentscheidungen berücksichtigt werden. Der globale, neoliberale Wachstumsdruck verleitet konkurrierende Unternehmen und Nationen damit vereinfacht zur umwelttechnisch rücksichtslosen Förderung, bevor die Konkurrenz die Rohstoffpreise durch zeitlich frühere oder quantitativ höhere Mengen drückt. Dies kann eine Förderungsspirale ähnlich einer starken Geldinflation in Gang setzen und nicht erneuerbare Ressourcen zunächst arg verbilligen, bis sich deren Vorkommen extrem verringern.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Laut einer Betrachtung des Weltklimarats (2014) sind bis ca. 2002 die Preise für Erdöl, Metalle oder Agrarrohstoffe kaum gestiegen, seitdem treten (um 2008) extremere Schwankungen und Anstiege der Preise (siehe Abb. 6) auf.
So lange die Weltwirtschaft auf zusätzliche, seltene Metalle angewiesen ist und es durch deren großes Angebot bspw. günstiger ist, ein Gerät neu zu produzieren als Rohstoffe aus elektrischen Altgeräten zu recyceln, werden im Sinne steigender Absatzzahlen die natürlichen Quellen bis zu deren arger Verknappung ausgebeutet (Friedrich, Haupt, & Jaeger- Erben, 2018, S. 26, 28). Es bleibt folglich gewagt zu behaupten, dass der weltweit steigende Materialverbrauch zur Befriedigung der wachsenden ökonomischen Verhältnisse jemals seine absolute Energie- und Materialintensität auf einem Level des Nachwachsens erreicht, bzw. eine technologische Kompensation möglich ist. Es wird damit notwendiger, aus dem neoliberalen „immer mehr“ eine gesellschaftliche Suffizienz (genügsamer Konsum privater Haushalte) und Recycling- und Reuse-Zyklen staatlich massiv zu fördern und im Sinne planetarer Grenzen die Auswirkungen des Wirtschaftswachstums auf die Ressourcenverknappung und deren Konsequenzen neu abzuwägen (Welzer & Wiegandt, 2014, S. 201ff).
3.2.3 Abfall, Elektroschrott und Verschwendung
Die Schumpetersche „schöpferische Zerstörung“ ermöglicht bislang ungeahnte Effizienz durch Skaleneffekte, günstige globale Transportwege und neue Technologien. Ungeachtet dessen ist sie im Verbrauchen der effizienten Förderung auf ähnlichem Niveau verschwenderisch: Während weltweit Millionen Menschen Hunger leiden und sterben, landet um den Globus die Hälfte aller Lebensmittel im Müll; in Deutschland ist es ca. ein Drittel (Welzer & Wiegandt, 2014, S. 71). Der neue UNO-Bericht zur weltweiten Ernährung zeigt auf, dass auf jede weltweit hungernde Person beinahe drei Übergewichtige kommen (UNICEF, FAO, IFAD, WFP, & WHO, 2019, S. 134ff). Abgesehen von all den „umsonst“ mobilisierten Rohstoffen und freigesetzten Emissionen ist diese Praxis sowohl ethisch verwerflich als auch ökologisch schädlich und großenteils vermeidbar. Fraglich erscheint, dass es sich ökonomisch eher lohnt, mehr zu produzieren und nicht abgesetztes, Verderbliches zu entsorgen, als im Vorfeld kurzfristig kostenaufwändiger eine bessere Verteilung zu garantieren oder den Abbau zu reduzieren (Jackson, 2013, S. 80, 86f).
Ähnlich ist der Trend bei der weltweiten Abfallentstehung, auf die sich ganze Industriezweige und -länder spezialisieren. Wenn immer mehr (teils mit bewusst kurzer Nutzungsdauer) produziert wird, ein Neukauf für Kunden relativ ökonomischer ist als eine langwierige und aufwendige Reparatur, entstehen gigantische Mengen an Abfall, die zum Großteil CO2eq-aufwendig zerstört und nicht weiterverwertet werden. Nicht bloß die Gewinnung von Ressourcen, sondern auch die Verwertung von entstehendem Abfall trägt somit zum BIP Wachstum bei (Bardi, 2013, S. 242f; Brand & Wissen, 2017, S. 99f).
Wenn im Zuge grünen Wachstums das aktuelle Konsumverhalten nicht eingeschränkt wird, werden absehbar Solar- und Windanlagen repariert oder entsorgt werden, da diese nicht für ewig die gleiche Leistung bringen oder überhaupt nutzbar sind. Zudem sind neu hergestellte Elektrofahrzeuge aufgrund ihrer schlechten Ökobilanz in der Herstellung25 noch nicht ausgereift genug und holen erst nach tausenden Kilometern einen gebrauchten Diesel ein (Brand & Wissen, 2017, S. 141ff). Dabei ist noch unberücksichtigt, welchen Anteil erneuerbare Energien beim Tanken haben.
Um besonders auf gesättigten Märkten einen wachsenden Absatz ihrer Produkte zu erzielen, nutzen Firmen zunehmend Marketingmethoden26, die eine emotionale Verbindung zwischen Produkt und Kunden herzustellen versucht (Friedrich et al., 2018, S. 21ff; Kreibich, 2010, S. 8). International erfolgreiche Firmen schaffen somit bewusst Zwang, befördern Kaufsucht mit dem Zweck, die Identität von Menschen mit ihren Produkten zu verknüpfen. Das soll Anfälligen beim Kauf kurzweiliges Glück verschaffen, um durch verkürzte Produktzyklen trotz weniger Neuerungen neue Ware an den (verunsicherten) Mann zu bringen (Friedrich et al., 2018, S. 21). Bregman überspitzt dazu in seinem populärwissenschaftlichen Bestseller: „Psychische Krankheiten, Fettleibigkeit, Umweltverschmutzung, Verbrechen - wenn wir die Kriterien des BIP anwenden, kann es gar nicht genug davon geben“ (Bregman, 2017, S. 108). Es geht aus Konzernsicht nunmehr eher um den Erwerb, nicht primär um den Nutzen, bzw. den Konsum (von lateinisch consumere = verbrauchen) eines Produkts. Vor allem die Mode- oder Elektronikbranche erhoffen sich von schnellen Neuerscheinungen steigende Umsatzzahlen und profitieren von neoliberalen Rahmenbedingungen, die Kauf- und Konsumsucht belohnen (Friedrich et al., 2018, S. 21f). Schnelllebige Produkte, deren Neuanschaffung marginal teurer ist als deren Reparatur, werden in der Logik des Wachstumsdogmas präferiert. Langlebiger Elektroschrott belastet die Umwelt auch nach seiner aufwendigen Produktion sehr. 3,5 Millionen t Abfall wurden 2010 weltweit produziert, 2025 soll sich diese Masse bei gleichbleibender Wirtschaftsausrichtung verdoppelt, 2100 bereits verdreifacht haben (Friedrich et al., 2018, S. 24ff).
Es sammeln sich ca. 2,35 t (Tonnen) Gold, 24,7 t Silber und 900 t Kupfer in Form von geschätzt 100 Millionen ungenutzter Althandys in deutschen Haushalten. Das Recycling oder die Wiederverwertung dieser wertvollen und nützlichen Ressourcen ist vergleichbar mit gehorteten Geldmengen in Steueroasen, die sich dem Kreislauf in Form von Rente den Innovationsmechanismen entziehen (Elsenhans, 2012, S. 18f; Friedrich et al., 2018, S. 26). Dabei entsteht trotz Wachstum eine große Menge ungenutzter, verschwendeter Rohstoffe und Industrieabfall, der weltweit verschifft wird und maßgeblich zu lokaler Umweltverschmutzung in Form gigantischer Plastikinseln auf dem Meer, die Vergiftung von Wasserquellen und unfruchtbare Böden27 hervorruft (Bardi, 2013, S. 242ff).
Die Kosten der heute billigen Entsorgung zahlen Ökosysteme, daran gestorbene Tiere und kommende Generationen. Weltweites Wachstum und neue Technologien rufen trotz relativ sinkender Energieintensitäten einen gewaltigen Umfang an Rohstoffen für Produkte, die nicht ewig genutzt werden und teils zu schnell als Schrott enden. Schneller Konsum, Einwegplastik und schwer recyclebare Elektronik sind zusätzlich zu ihrer Entstehung in Form von Abfall eine erhebliche Belastung für die globale Biosphäre (Bardi, 2013, S. 245).
3.3 Weitere erhoffte Effekte der Postwachstumsökonomie
Der Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und der Ausbreitung der Landnutzung ist in 2.2 nur teilweise über Brandrodung thematisiert. Dass die letzten Jahrzehnte eines seit des Einschlags eines kilometergroßen Asteroiden ungekanntes Massenaussterben an Spezies hervorgerufen haben, ist darüber hinaus zu nennen. Ökologische Grenzen werden täglich überschritten. Dessen Konsequenzen und Kosten sind wegen der aktuell eher präferierten abzuwendenden ökonomischen Herausforderungen ausgelagert oder in die Zukunft geschoben (Carstens, 2019). Neben positiven ökologischen Auswirkungen der PWÖ sollen hier einige Aspekte genannt werden, die man sich zusätzlich von einer Wirtschaft ohne Wachstum erhofft und damit eine Implementierung notwendiger machen.
3.3.1 Zufriedenheit ohne Wachstum
Zahlreiche Studien belegen, dass der Grenznutzen jedes weiteren Euros mit zunehmendem Wohlstand deutlich abnimmt, die Kosten von Wachstum hingegen steigen. Ab einem bestimmten Einkommensniveau - und dieses haben die meisten Menschen in westlichen Ländern in den 1980er Jahren erreicht - wird die Korrelation undeutlich (siehe Abb. 7): Trotz Wirtschaftswachstums stagniert die Lebenszufriedenheit oder sie sinkt sogar (Adam, 2015, S. 60; Jackson, 2013, S. 36f). Ähnlich verhält sich die steigende Lebenserwartung zum durchschnittlichen pro Kopf Einkommen (Wilkinson & Pickett, 2012, S. 21).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7 Glück und durchschnittliches BIP pro Kopf einer Nation (.Jackson, 2013, S.37)
Die PWÖ möchte Suffizienz und lokale Selbstversorgersysteme bestärken, um das Wachstum zu dämpfen und kürzere Transportwege und weniger Emissionen zu ermöglichen (Muraca, 2015, S. 68f). Durch Entnahme des Wachstumsdrangs soll ein Zufriedenheitsindikator an Relevanz gewinnen, der bereits schon in Island, Schottland oder Neuseeland als Ergänzung zum BIP eingeführt wird (Muraca, 2015, S. 70f; Samuel, 2019; Sturgeon, 2019).
Adam Smith beschrieb in „Theorie der ethnischen Gefühle“, dass die Bewertung einer Regierung daran zu messen ist, in welchem Ausmaß sie ihre Bevölkerung glücklich und zufrieden macht (Sturgeon, 2019). Das BIP verliere seinen Status als Wohlstandsindikator und setze den Fokus auf aussagekräftigere Indikatoren wie den Gini-Koeffizienten28, der relevanteren, relativen Wohlstand besser abbildet.
3.3.2 Gerechtere Verteilung von Vermögen und Chancen
Die Einführung von stärkeren Umverteilungsmechanismen soll soziale Mobilität und Aufstiegschancen steigern und damit präventiv den Einfluss von wirtschaftsmächtigen Einzelpersonen und Unternehmen verhindern, die mitunter Treiber der Wachstumsagitation sind (Paech, 2012, S, 103f), Das BIP sei als Wohlstandsindikator oder als Barometer für die generelle Zufriedenheit einer Bevölkerung ab einem gewissen Niveau nicht aussagekräftig,
Health and social problems are not related to average income in rich countries
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8 Soziale Probleme und Nationaleinkommen pro Kopf (Wilkinson & Pickett, 2012, S. 35)
Für staatlich kostenaufwändige Aufgaben, wie die Bekämpfung und Prävention gesundheitlicher oder sozialer Probleme, erweist sich eine egalitärere Einkommens- und Vermögensverteilung weitaus erfolgreicher (siehe Abb. 9) als der Indikator eines hohen BIP Durchschnittswertes (siehe Abb. 8).
Wohlstand ist damit eine Verteilungsfrage und ab einem gewissen Niveau weniger an das BIP (pro Kopf) gebunden (Jackson, 2013, S. 39f; Wilkinson & Pickett, 2012, S. 23, 41ff).
Zudem kreieren Menschen mit hohem Einkommen durch ihren Verbrauch weitaus mehr CO2eq als niedrigere Einkommensschichten. Studien zeigen, dass generelle Einspareffekte bei einer größeren Umverteilung zu erwarten sind (IPCC, 2014, S. 125f).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9 Soziale Probleme und finanzielle Ungleichheit eines Landes (Wilkinson & Pickett, 2012, S. 34)
3.3.3 Individuelle Freiheit und Autonomie
Durch die Abkehr vom Wachstum beabsichtigt die PWÖ auch das Ende des Materialismus. In Deutschland betiteln 94% die Gesellschaft, in der sie leben, als „Wegwerfgesellschaft“ (Friedrich et al., 2018, S. 28). Reine Konsumkritik der einzelnen Konsumenten greift zu kurz. Der Trend ist dem in der Tendenz zu Neukauf manipulierenden neoliberalen System inhärent. Die Philosophen der Frankfurter Schule bezeichneten schon in den 60er Jahren die neue Konsumkultur mit ihrer Scheinwelt aus Waren als manipulativ und sollten recht behalten, dass Konsum und Identität empirisch belegt miteinander verknüpft sind und als Kennzeichen der Gegenwart gelten (Friedrich et al., 2018, S. 36f). Damit möchte die PWÖ durch neue Institutionen und das Verbot manipulativer Werbung das Gewissen der Menschen entlasten und ihnen mehr Verantwortung und Entscheidungsspielraum für Wesentlicheres ermöglichen. Damit gäbe es zunehmend Produkte und Dienstleistungen, die weder ethisch noch ökologisch fragwürdig und häufig regional entstanden und verarbeitet worden sind (Jackson, 2013, S. 133, 136; Muraca, 2015, S. 68).
Demokratisierende, emanzipatorische Entwicklungen und die Angleichung von Lebensstandards sollen zusätzlich durch die PWÖ verstärkt werden. Ohne Wachstumsdruck würde sich der Mensch entschleunigen und vom Zwang erlöst, sich ständig und unnötiger Optimierung auszusetzen. Preisgekrönte Dokumentationen wie „Tomorrow - die Welt ist voller Lösungen“29 zeigen Wege auf, wie dezentrale Projekte sich vom Wachstumsdrang trennen und selbst versorgende Strukturen errichten oder erwarten mit dem Ende des Wachstums einen Segen für den Planeten und die Regeneration der Umwelt30. Mit dieser Suffizienz soll sich die psychische Gesundheit der Menschen mit einer rapiden Senkung von Burnout und Depressionsdiagnosen verbessern (Paech, 2012, S. 113ff).
3.3.4 Ein kurzer Ausblick jenseits des Wachstums
Die Wissenschaft ist sich einig: der Klimawandel ist eine noch nie da gewesene Bedrohung für das menschliche Leben auf diesem Planeten und damit auch die Wirtschaft. Dass sich das Klima in den letzten Jahrhunderten so erhitzt hat, ist auf das globale menschliche Leben zurückzuführen und die Art, wie Ressourcen verbraucht und Schadstoffe, die in der Erde lagerten, emittiert werden. Ein über die Jahrhunderte erfolgter BIP Zuwachs, der mehr und mehr Ressourcen aus immer weiter entfernten Quellen benötigte, trug maßgeblich zu den wärmsten je gemessenen Temperaturen seit Wetteraufzeichnungen bei. Ein Umdenken ist dringend notwendig. Dafür kann eine Abkehr vom neoliberalen Wachstum eine ausschlaggebende Maßnahme zur Bewältigung der weltweiten Mammutaufgabe sein (Elsenhans, 2019, S. 7; Foth et al., 2012, S. 33; IPCC, 2014).
Die Kosten, die gerade durch ausbleibendes Handeln vermieden werden, sind größer, als die heute zu erwartenden gewaltigen Investitionen, die zum Umbau unserer Wirtschaft nötig sind, um nachhaltig nicht bloß Handel, sondern auch Leben und Frieden auf diesem Planeten zu ermöglichen (Elsenhans, 2019, S. 7f; Meadows, 1994, S. 17ff, 164; Rueter, 2017). Im Gegenzug ermutigt die PWÖ Entscheidungsträger, früh klimatische Herausforderungen kontrolliert anzugehen und selbst zu steuern, um im Nachhinein nicht akut aus Zwang handeln zu müssen (Muraca, 2015, S. 10f).
Man kann dem Wirtschaftswachstum nicht alle Übel der Welt in die Schuhe schieben. Studien zeigen jedoch auf, dass weltweite Probleme, wie Unterernährung, Verknappung von Ressourcen, rapide Zunahme von Umweltverschmutzung, Zerstörung von Lebensraum und das Anhäufen von irreversiblen Naturbedingungen durch steigende BIP Wachstumsraten gefördert werden und zumindest stark korrelieren. Notwendig ist ein Umdenken.
4. Herausforderungen der Postwachstumsökonomie
Obwohl Kritiker das Wirtschaftswachstum gerne als Wachstum zum Selbstzweck verteufeln, bringt ein steigendes Wachstum auch positive Auswirkungen mit sich. Bislang hielt sich das BIP als verlässliches Indiz für einen wirtschaftlich produktiven Weg und eine stabile Gesellschaft - was sich als offizielles Ziel der OECD oder im Stabilitätsgesetz in Deutschland 1967 institutionalisierte (Nohlen & Grotz, 2008, S. 281, 364).
„Hinter den Forderungen nach radikalen Lösungen steckt nicht der Wunsch nach mehr Klimaschutz. Der eine oder andere spricht es auch ganz offen aus: Es geht gegen unsere freiheitliche Lebensweise, um die Zerstörung der marktwirtschaftlichen Ordnung“
Friedrich Merz31
Ob als Reaktion auf die Klimaproteste eine beispielhafte Abkehr vom neoliberalen Wachstumsdogma diese befürchteten oder andere Auswirkungen auf unsere Freiheit oder marktwirtschaftliche Ordnung eintreffen, soll dieses Kapitel aufzeigen.
Gegenargumente der PWÖ zielen mit innovativer Wirtschaft und dem Erfinden neuer Technologien auf die schwierige absolute Entkopplung von Wachstum und dadurch verursachte ökologische Folgen (Paech, 2017, S. 41). Die vielfältigen, schweren Herausforderungen einer PWÖ bedingen nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaft. Abgesehen von den heute unwahrscheinlichen politischen Herausforderungen der Implementierung einer solchen Wirtschaftsordnung soll dieses Kapitel mögliche Folgen der PWÖ zu Beschäftigung, finanzieller Verteilung und Staatsverschuldung aufzeigen.
4.1 Beschäftigung ohne Wachstum
Produktionswachstum und Beschäftigung bedingen sich. Die Arbeitslosenquote beschreibt den Überschuss des Arbeitsangebots relativ zu seiner Nachfrage. Sie zeigt demnach an, wie groß der prozentuale, erfasste Anteil von Menschen ist, die arbeitsfähig sind aber keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgehen (Nohlen & Grotz, 2008, S. 16f). Weniger strittig als das BIP ist die Arbeitslosenquote seitjeher ein wichtiges Maß für gelungene Arbeitsmarktpolitik. Da beide Faktoren in einer Wechselbeziehung stehen, wirkt sich wirtschaftliche Stagnation auf eine Erhöhung der Arbeitslosenquote aus, bei Einbrüchen auf dem Arbeitsmarkt sinkt wiederrum das Wachstum. Wie genau sich Produktionswachstum auf die Beschäftigungsquote auswirkt ist nicht eindeutig belegt (Adam, 2015, S. 132f).
4.1.1 Beschäftigungsquote ohne Wachstum
Zunächst fällt es schwer, den Sachverhalt von exogenen Faktoren zu isolieren, Als Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum soll nach keynesianischem Denkmuster Vollbeschäftigung herrschen, da die Verknappung des Arbeitsangebots eine Steigerung ihrer Verhandlungsmacht und der Reallöhne und damit einen gesteigerten Massenkonsum nach sich zieht, Dieser Profit bringt wiederum Investitionen für Firmen in Gang, fördert technischen Fortschritt und Effizienzgewinne (Elsenhans, 2012, S, 12f), Es entsteht ein Wachstumskreislauf, der Konjunkturzyklen unterliegt,
Wenn technologischer Fortschritt zu Innovationen führt, die Effizienzgewinne und eine Produktivitätssteigerung nach sich ziehen, kann diese Form von Wachstum auch Arbeitsplätze gefährden, Generell hat die wirtschaftliche Situation und ihre Freiheit über Produktionshöhe, technischer Ausstattung und Lohnkosten Auswirkung auf die Beschäftigung (Adam, 2015, S, 135), Wenn bei wachsender Wirtschaft (und konstanter Bevölkerung), Einkommen und Nachfrage eine steigende Produktion nachfragen, sind Unternehmen durch die Überschüsse (Profite) in steigenden Absatzzahlen dazu verleitet, mit Investitionen neue Mitarbeiter einzustellen, um der Nachfrage hinterher zu kommen, Mehr Investitionen führen zu mehr Wachstum, ergo höherer Produktionsauslastung und einer größeren Nachfrage nach Arbeitskräften (Adam, 2015, S, 278; Elsenhans, 2019, S, 4ff),
Da Kapitalismus in der Regel nach einer höheren Arbeitsproduktivität32 strebt, kann diese Effizienz (weniger Rohstoffe, Energie und Arbeitskraft) als einer der Treiber für Wachstum und Innovation verstanden werden, So werden die Herstellungskosten und die Preise geringer, was die Nachfrage stimuliert und weitere Produktion und Wachstum anregt, Der technische Fortschritt reduziert Faktorkosten, erhöht die Produktionsleistung und den Verbrauch der Güter (Jackson, 2013, S, 84ff),
Die PWÖ will, aber kann sich nicht allen Wirtschaftsabläufen folgenlos entziehen, Wenn dabei Kapitalstock und Bevölkerung in etwa konstant sein sollen, würde bei einer stationären Wirtschaft nicht die Arbeitslosenquote stabil, sondern auf Dauer steigen, bzw, sich einem weitaus höheren Niveau annähern (Daly & Czech, 2004, S, 598f), Weil eine PWÖ auf andere Besteuerungs- und Umverteilungsmechanismen setzt und den Arbeitsbegriff an sich neu gestalten möchte, bleibt zu spekulieren inwiefern eine gewisse Arbeitslosenquote ähnlich negativ betrachtet wird wie in einer konventionell kapitalistischen Wirtschaft,
Fest steht, dass eine PWÖ durch den prinzipiellen Verzicht auf Wachstum mit Problemen auf dem Arbeitsmarkt rechnen kann, was ihr Grundgerüst ebenfalls fragil macht.
4.1.2 Trends der Arbeitszeit
Arbeitszeit kann als Teil der Lebensdauer oder als bspw. wöchentliche Arbeitszeit gesehen werden. Ersteres will die PWÖ senken, letzteres ermöglichen. Keynes prognostizierte optimistisch nach Entwicklungen der damaligen Wirtschaft und Gesellschaft eine effizientere Arbeitswelt im Jahre 2030. Die 15-Stunden-Woche sollte in entwickelten Volkwirtschaften Alltag sein und Keynes hoffte auf die Befreiung von „Wachstumsschmerzen“ (Keynes, 1930, S. 1). Eine drastisch kürzere Wochenarbeitszeit wäre eine pragmatisch sehr wirksame Reduktion der weltweiten Treibhausgase und hätte deutliche Auswirkungen auf das BIP; allerdings nicht linear in dem Ausmaß zur prozentualen Wochenarbeitszeitverkürzung (Adam, 2015, S. 319f; Frey, 2019, S. 6ff).
Normale Arbeitszeit, wie sie heute definiert ist, ist über die Jahrhunderte gesunken. Durch Automatisierung wird sie das auch in Zukunft tun und sich dem konventionellen Arbeitsbegriff einer Reform unterziehen müssen (Adam, 2015, S. 319ff; Kocka, 2013, S. 111f).
Bei Vermeidung von Wachstum und angestrebter Suffizienz (weniger Privatkonsum) muss im makroökonomischen Modell die generelle Arbeitszeit sinken (Elsenhans, 2019, S. 8f).
4.1.3 Beschäftigung im Wandel
Technischer Fortschritt und Arbeitsproduktivität haben Einfluss auf die Beschäftigungsquote. Nach der Feststellung, dass eine Wirtschaft ohne Wachstum unzweifelhaft Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hätte, lohnt der Blick in die Zukunft. Da vor allem in hoch entwickelten Ländern, die weniger Handarbeit verrichten und eher Dienstleistungen anbieten, die Digitalisierung und Trends der KI33 den Arbeitsweltwandel vorantreiben, ist anzunehmen, dass konventionelle Arbeitsverhältnisse auf dem Rückmarsch sind.
Klassische Erwerbsarbeit weicht schon heute europaweit atypischer Beschäftigung, Automatisierung und ein rückläufiger Privatkonsum besitzen das Potenzial, dass langfristig für eine konstante, zunehmende Effizienz, weniger Menschen arbeiten oder mehr Menschen weniger arbeiten müssen (Adam, 2015, S. 278f; Atkinson, 2016, S. 129, 174ff).
Der Arbeit sbegriff verändert sich in der PWÖ. Andere gesellschaftliche Beiträge sollen an Bedeutung gewinnen, die nicht direkt monetär erfassbar sind, aber ökonomisch relevant (Welzer & Wiegandt, 2014, S. 166, 176ff). Arbeit und Arbeitsverhältnisse stehen im Wandel. 40% der Jobs in den USA laufen Gefahr, durch technischen Fortschritt obsolet zu werden. Branchen, die zwischenmenschliches Handeln, wie im Bildungs- und Gesundheitswesen, erfordern, werden (und sollten) auf Dauer ihre Arbeitsproduktivität nicht steigern (Atkinson, 2016, S. 129; Rueter, 2017; Welzer & Wiegandt, 2014, S. 177).
Wenn diese Prognosen aufgehen, würden die beschriebenen Auswirkungen einer PWÖ auf den Arbeitsmarkt milder ausfallen. Im Gegenzug wird die Besteuerung von Einkommen folgerichtig einen Paradigmenwechsel hin zur verstärkten Vermögens- und Kapitalbesteuerung vollziehen, um Staatsaufgaben weiterhin finanziell zu gewährleisten. Dies hätte ebenfalls ein Neudenken der Definition von gesellschaftlichem Beitrag und einer Neueinordnung von Arbeit zur Folge.
4.1.4 Abschließende theoretische Überlegungen
Im Feld der Beschäftigung hat die PWÖ ihre Herausforderung damit, Wert zu generieren ohne selbstgesetzte und ökologische Grenzen zu überschreiten (Adam, 2015, S. 85ff). Dabei bleibt spekulativ, wie aussichtsreich dies gelingen soll, ohne technischen Fortschritt und soziale Stabilität bei einer voraussichtlich steigenden Arbeitslosenquote zu gefährden.
In der PWÖ soll technischer Fortschritt die effizientere Produktion hochwertiger, langlebiger und recyclebarer Güter ermöglichen (wobei bezweifelt werden kann, ob diese unendlich qualitativ zu optimieren sind). Die sparsame Herstellung kann kurzfristig eine stabile Arbeiterschaft beschäftigen, aber über Lernprozesse längerfristig Arbeiter obsolet machen. Die produzierten Güter, die kumuliert gesamtwirtschaftlich nicht die natürliche Belastbarkeit überstrapazieren, müssen konsumiert werden. Bei kürzerer Lebens- und Wochenarbeitszeit muss in einem ökonomischen Gleichgewicht der Massenkonsum, in Form angestrebter Suf- fizienz (privater Genügsamkeit) sinken (Elsenhans, 2019, S. 6f, 12f).
Mit Blick auf das Arbeitsentgelt sollten Reallöhne normalerweise mit der Produktivität steigen und Wachstum ankurbeln. Der Beschäftigungsstand und die Höhe der Löhne haben maßgeblichen Einfluss auf das Wachstum durch deren Massennachfrage und Konsumvolumen. Die PWÖ hält die Reallöhne jedoch (wie den Kapitalstock) konstant, obwohl Produktivität mithilfe technischen Fortschritts wächst. Die Arbeit ist effizienter und benötigt weniger Beschäftigung, was durch Verknappung der Arbeit auch kostspielig werden kann, da Realeinkommen um Produktivitätszuwachs steigen (Elsenhans, 2012, S. 20f). Weitere Auswirkungen auf Einkommen werden in Abschnitt 4.2.1 dargelegt.
Die kürzeren Arbeitszeiten und Ausfälle in Konsumsteuern durch die Obergrenzen der umweltbelastenden Produktion hätten zudem Ausfälle bei den Staatseinnahmen und damit mögliche Staatsausgaben zur Folge. Wie die PWÖ in dieser Auslegung bei einer tendenziell steigenden Lebenserwartungen die zu erwartenden gesundheitlichen Kosten bewältigt, bleibt mitsamt negativer Auswirkungen auf die Beschäftigungsquote eine kritische Herausforderung, dessen Ausmaß schwer zu quantifizieren ist (Welzer & Wiegandt, 2014, S. 177).
4.2 Armut und finanzielle Ungleichheit ohne Wachstum
Dieser Abschnitt soll die Auswirkung ausbleibenden Wachstums auf die Verteilung des Geldes, bis zum Extremfall Armut untersuchen.
4.2.1 Ungleichheit ohne Wachstum
Abbildung 7, 8 und 9 von Wilkinson und Pickett (2012) zeigen bereits, dass finanzielle Ungleichheit ab einem gewissen BIP Niveau nicht mehr mit dessen bloßem Zuwachs einhergeht. Was individuelles Wohlbefinden und Zufriedenheit angeht liegt eine egalitärere Gesellschaft vorne. Diese Ziele hat die PWÖ. Finanzielle Ungleichheit meint, je nach Fokus, den Grad der Verteilung von Einkommen oder Vermögen. Die wirtschaftliche Situation und politische Struktur eines Landes haben maßgeblichen Einfluss auf die Ungleichheit und ihre Folgen. Damit ist Wachstum nicht frei von Auswirkungen auf die Ungleichheit (Wilkinson & Pickett, 2012, S. 19ff).
Bei Einkommensungleichheit kann damit untersucht werden, in welchem Verhältnis Wachstum den Menschen mit Einkommen zugute kommt, bzw. wie der wirtschaftliche Zugewinn verteilt wird. Hier ist die Ausgangslage einer Wirtschaft ausschlaggebend. In gleicheren Gesellschaften profitieren mehr Menschen von Wachstum, in weniger gleichen wiederum bloß zu einem gewissem absoluten Level bis hin zu keiner Reduktion der Geldverteilung (Atkinson, 2016, S. 330ff).
Eine PWÖ kann selbst bei finanziell egalitärer Ausgangslage nicht auf ungleichheitsbekämpfende Effekte des Wachstum hoffen. Da sie gleichheitsfördernde Institutionen implementieren will, versucht sie, jedweden Zweifel vorwegzunehmen. Sie will sich so die Kosten für die negativen Auswirkungen, die Wilkinson und Pickett (2012) detailliert auf eine finanzielle Ungleichverteilung zurückführen, sparen und kann durch die Milderung von Armut in kompensatorische Maßnahmen für dem Klimaschutz oder die Stärkung sozialer Sicherungssysteme investieren (Paech, 2012, S. 43, 68ff; Welzer & Wiegandt, 2014). Generell ist Ungleichheit, wenn man die enormen Wachstumsraten der Welt und speziell der reichen Länder betrachtet, politisch gewollt oder zumindest toleriert34. Bei einem immensen BIP leisten sich bspw. die USA rekordähnliche Ungleichheit trotz jahrelang hoher Wachstumsraten (siehe Abb. 7, 8).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10 Ungleichheit (1990) und BIP-Wachstum (von 1990 bis 2013) ausgewählter Länder (Atkinson, 2016, S. 332)
Abb. 10 zeigt bei einer gewissen Streuung der Daten (wobeijeweilige, nationale Umstände nicht zu vernachlässigen sind), dass reines Wachstum nicht zwingend zu mehr Gleichheit (in Form eines geringeren Gini-Koeffizienten) führt. Jedenfalls zeigt die Empirie, dass ein zu hohes Maß schädlich für Gesellschaft und Wirtschaft sein kann und durch Institutionen zu bekämpfen ist. Ähnlich dem Klimaschutz gestalten sich Präventiv- statt Schadensbekämpfungsmaßnahmen effektiver und günstiger (Atkinson, 2016, S. 388f; Wilkinson & Pickett, 2012, S. 47ff). Wachstum hat demnach eine diffuse Verbindung zur Ungleichheit.
4.2.2 Absolute Armut ohne Wachstum
Unterschieden werden muss zwischen relativer und absoluter Armut. Erstere wird im Verhältnis zu nationalen Vermögens-, bzw. Einkommensverteilung bemessen, letztere sei von der Weltbank auf das verfügbare Vermögen einer Person von unter 1,90 US$/Tag beschrieben. Parallel zur weltweiten Wachstumsentwicklung ist die Quote an absoluter Armut weltweit in den erfassten Daten auf unter 10% gesunken (UNICEF et al., 2019, S. 86).
Ein steigendes BIP pro Kopf hilft nicht zwangsnotwendig aus absoluter Armut (UNICEF et al., 2019, S. 58, 79f). Starkes Wachstum ist dennoch parallel zum Abbau von Armutsquoten ein Einflussfaktor. Beispielweise brachte bei 14 Ländern zwischen 1990 und 2003 ein Anstieg von 1% BIP pro Kopf einen durchschnittlichen Abbau von 1,7% der Armutsquote.
Wichtiger sei beim positiven Zusammenhang zwischen Wachstum und schrumpfender Armutsquote die Ausgangslage der finanziellen Ungleichheit und die Einkommensverteilungsentwicklungen über einen längeren Zeitraum. Mali reduzierte zwischen 2001 und 2017 trotz geringem Durchschnittswachstum von 1,9% pro Jahr seinen Gini-Koeffizient von 39.9 in 2001 auf33 im Jahr2011 (UNICEF et al., 2019, S. 81, 84).
Der UN Bericht deutet an, dass (aufgrund seiner Beschaffenheit) trotz seines großen Einfluss, nicht der Zustand von BIP-Zuwachs allein Armut und Hunger lindern kann (siehe dazu Abschnitt 2.1.2). In aufstrebenden Volkwirtschaften können demnach Investitionen (bei schwachen Rentenstrukturen) zu Wachstum und langfristig zur allgemeinen Lebensstandardangleichung führen (Piketty, 2016, S. 118ff; UNICEF et al., 2019, S. 81).
Die Wachstumsfrage ist somit eine Herausforderung der weltweiten Lebensstandardangleichung, die im Rahmen dieser Arbeit kaum behandelt werden kann. Die Befunde zeigen zudem, dass eine PWÖ zunächst bloß für entwickelte Länder eine Option wäre, in denen absolute Armut quasi nicht existiert. Kapitalistisches Wachstum kann dafür in Schwellenländern für die volkswirtschaftliche Entwicklung enorme Potenziale entfalten.
4.2.3 Relative Armut ohne Wachstum
Die EU definiertjemanden als arm, dessen Einkommen monatlich unter 60% des nationalen Medianeinkommens liegt (Nohlen & Grotz, 2008, S. 20f). Es soll gezeigt werden, welche Auswirkungen Wachstum auf die Entwicklung relativer Armut hat: Wie werden Gewinne aus dem Wirtschaftswachstum auf die Einkommensgruppen verteilt?
Abschnitt 4.2.1 konnte bereits zeigen, dass durch Wachstum nicht notwendig die Ungleichheit, und damit die relative Armutsquote eindeutig bestimmbar zusammenhängt. Manche Studien weisen auf eine distributionsneutrale Wirkung des Wachstums auf Einkommen hin, andere beschreiben Wachstum als ungeeigneten Lösungsansatz zur Bekämpfung von finanzieller Ungleichheit. Die jeweilige Verteilungssituation und länderspezifische Voraussetzungen können mithilfe des Wachstums jedoch relative Armut verringern. Wie in 4.2.1 beschrieben, können starke Institutionen des Wohlfahrtsstaats in entwickelten Volkswirtschaften Ungleichheit viel pragmatischer in den Griff bekommen als das Warten auf ungewiss positive Effekte des BIP Zuwachses (Wilkinson & Pickett, 2012, S. 32f, 199ff). Dies gilt zudem für die politische Machbarkeit zur Verringerung von relativer Armut, die durch progressive Reform der sozialen Sicherungssysteme und die Schaffung neuer Erwerbsmöglichkeiten für Arme gesenkt werden kann (Atkinson, 2016, S. 388ff).
Die Umverteilungsmaßnahmen sind fester Bestandteil der PWÖ und würden, sollte sich die Wirkweise als tauglich erweisen, relative Armut ohne Wachstum in Zaum halten. Es bleibt zudem spannend, ob in Zukunft Maßnahmen wie das Grundeinkommen nicht ohnehin Veränderungen in Arbeit- und Verteilungsfragen vorantreiben.
4.3 Staatsverschuldung ohne Wachstum
Fast alle großen Volkswirtschaften sind verschuldet. Die absoluten Staatsschulden sind die Verbindlichkeiten gegenüber Dritten. Die Schuldenstandquote eines Landes wird in der Regel im Verhältnis zum absoluten BIP eines Landes angegeben (Piketty, 2016, S. 737f).
Besonders dieser Teilaspekt hat bereits ganze Bücher gefüllt und kann daher in diesem Rahmen sowie die Entstehung von Staatsschulden nur oberflächlich behandelt werden.
4.3.1 Schulden wachsen ohne Wachstum
Staatsschulden haben viele Entstehungsgründe: Sie können langfristig aufgrund übermäßigen Sparens, bzw. weniger öffentlicher Investitionen steigen (Elsenhans, 2015, S. xi f), generell Ergebnis zu hoher Ausgaben (in ertragslose Bereiche) oder zu geringer Einnahmen in Form von Steuern sein (Piketty, 2016, S. 738ff).
In einer Rezession nimmt der Staat in der Regel mehr Schulden auf und hofft auf künftige Mehreinnahmen zur Tilgung dieser. Wenn ein Staat bei Wachstum durch die Besteuerung des Mehrkonsums und Steigerungen der Beschäftigungssteuern mehr Geld einnimmt, kann dies zur Schuldentilgung genutzt werden (Jackson, 2013, S. 24).
Eine Schuldenreduktion korreliert häufig mit höherem Wachstum und niedrigen Zinsen. Um 1975 sanken die weltweiten Wachstumsraten stark im Vergleich zum Zeitraum ab 1950, was eine hohe Akkumulation staatlicher Schulden nach sich zog. Länder, die die größten Wachstumseinbußen verzeichneten waren zudem diejenigen mit den am stärksten ansteigenden Verschuldungsquoten (Piketty, 2016, S. 131ff).
Es ist historisch zu beobachten, dass bei Wachstum in der Regel die Staatsverschuldung oder zumindest ihre weitere Aufnahme sinkt. Dabei kommt es darauf an, welcher Anteil vom BIP Zuwachs in die Staatskasse gespült wird (Adam, 2015, S. 144ff, 157).
Eine PWÖ will ein stabiles BIP. Wenn man die Schuldenquote, ergo die absoluten Staatsschulden im Verhältnis zum nominalen BIP misst, man in einer PWÖ einen BIP Wert (Nenner) quasi fixiert, hängt der Wert dieser öuote ausschließlich von der Entwicklung der Schulden (Zähler) ab. Es bleibt zu erwarten, dass ewig zu verzinsende Staatsschulden ohne exponentielles Wachstum nicht in Zaum zu halten sind, wie es wachstumsstarke Volkswirtschaften durch Steuereinnahmen und Anlageinvestitionen versuchen.
Die Frage ist auf lange Sicht, wie die Staatsschulden ohne Wachstum ansteigen, bis sie sich stabilisieren oder gar sinken. Die meisten Volkswirtschaften in Europa verzeichnen im Vergleich trotz Wachstum (leichte) Anstiege ihrer Schuldenberge (Piketty, 2016, S. 132, 737f).
Wachstum senkt nicht zwangsnotwendig Staatsschulden, dennoch hätte eine Implementierung der PWÖ erhebliche Reibungen im Wirtschaftsablauf, den Staatshaushalt und ein weitreichendes Umdenken der Gesellschaft zur Folge (Adam, 2015, S. 87).
4.3.2 Sozialstaatshaushalt und neue Besteuerung
Ohne Wachstum und Einnahmen aus dessen Besteuerung, Einkommenssteuereinnahmen aus steigenden Löhnen oder dem Kürzen eigener ertragsarmer Investitionen sinkt der Spielraum für Staatsausgaben, um gegebenenfalls negative Folgen der steigenden Wirtschaft zu kompensieren (Nohlen & Grotz, 2008, S. 618).
In Zukunft werden vor allem das Gesundheitswesen und die Rentensysteme finanzielle Anstrengungen erfordern. Mehr Gemeingüter werden den sinkenden Privatkonsums abfedern, Staatsausgaben zur Prävention und Behebung von Umweltschäden sowie öffentliche Investitionen in neue klimaschützende Technologien oder klimabewussten Güter notwendig machen. Der sich zuspitzende ökologische Wettbewerb um die institutionell beförderte Produktion dieser Güter hätte damit auch das Potenzial, schädliche Rentenstrukturen einzudämmen (Elsenhans, 2019, S. 6ff, 14f).
Einnahmen des Staates und soziale Sicherungssysteme sind bislang eng mit konventioneller Erwerbsarbeit verbunden. Wissenschaftler prognostizieren mit Blick auf die umfassenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt (siehe 4.1.3) einen Wandel der Steuerpolitik, um den Staatsaufgaben in Zukunft gerecht zu werden. Dabei schlagen Piketty (2016) und Atkinson (2016) eine stärkere, progressive Kapitalbesteuerung vor, um ruhendes Vermögen zu mobilisieren und Ungleichheiten inklusive seiner negativen Auswirkungen abzufedern. Diese sei zudem unabhängiger von Wachstums- oder Beschäftigungsschwankungen (Piketty, 2016, S. 639ff, 778f). Zudem sollen Bildung, Infrastruktur, Umweltschutzmaßnahmen usw. durch eine Besteuerung von Digitalkonzernen und das Schließen von Steuerschlupflöchern Kapital frei machen (Welzer & Wiegandt, 2014, S. 88).
Der Blick auf düstere Umweltprognosen35 und Bestrebungen, die Klimakipppunkte zu vermeiden, werden die Entscheidungsträger dazu verleiten, viele Maßnahmen in Betracht zu ziehen. Dazu müssen immense Summen (öffentlicher) Investitionen, möglicherweise in Form von Schulden, getätigt werden, um kollaterale Schäden abzuwenden.
4.3.3 Ein politisches Ende der Staatsschulden
Wie auch die Armut (siehe 4,2) sind Staatsschulden in reicheren Ländern eine Sache der politischen Ideologie und des Willens, sich an bestehendes Geld zu trauen, bzw, Neuinvestitionen anzuregen, Ein Großteil der „hohen Staatsverschuldung besteht deshalb, weil die Politiker es nicht gewagt haben, ihren gut verdienenden Bürgern höhere Steuern zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben aufzuerlegen“ (Adam, 2015, S, 159), Je reicher und entwickelter eine Gesellschaft wird, desto ineffektiver wird der Arbeitsmarkt allein den Wohlstand verteilen, Pikettys Werk36 erregte ähnliche Debatten: Zur Bekämpfung von Armut, hoher Staatsschulden und (wenn gewollt) als Basis für neues Wachstum ist die zunehmende progressive Besteuerung von brach liegendem Kapital ein mächtiges Werkzeug (Piketty, 2016, S, 740f), Er empfiehlt Einnahmen aus einer starken Kapitalsteuer oder Inflation und Sparmaßnahmen zur Konsolidierung der Schulden zu kombinieren, Dazu sei kein neues Wachstum notwendig, eine gerechtere Verteilung dessen kann dabeijedoch nützlich sein,
5. Abwägung der wesentlichen Befunde und Ausblick
Die zahlreichen Unterpunkte zeigen, dass Gesellschaft und Wirtschaft von vielfältigen Faktoren beeinflusst werden und tiefgreifende Veränderungen viele mögliche Auswirkungen haben. Schon vor Beginn dieser Arbeit stand fest, dass durch ihren begrenzten Rahmen bloß einige ausgewählte Aspekte untersucht werden, um die Notwendigkeit des Einlenkens der Wirtschaft deutlich zu machen und welche Konsequenzen ein vehementer Wachstumsstopp in Form einer PWÖ m it sich bringen könnte. Die potenziellen Auswirkungen wachstumsfreien Wirtschaftens bilden selbstverständlich nicht alle sozio-ökonomischen Bereiche wie Inflation, Innovation, Demok ratiezufriedenheit oder andere ab.
Fest steht: Das exponentielle Wachstum führt neben ökologischen Konsequenzen zu erheblichen sozialen Veränderungen (Meadows, 1994, S. 17ff, 157f). Diese Arbeit behandelt somit das Dilemma, wie man notwendigem Wandel begegnen soll und welche Herausforderungen man dafür zu berücksichtigen hat. Es bleibt damit abzuwarten, ob sich der Mensch und der Kapitalismus rechtzeitig flexibel der klimatischen Veränderung anpassen kann.
„Es ist nicht die stärkste Spezies, die überlebt, auch nicht die intelligenteste, es ist diejenige, die sich am ehesten dem Wandel anpassen kann,“ Charles Darwin37
Unbestreitbar ist, dass sich die Menschheit, ihr Wirtschaften und Lebensstil (vor allem in den westlichen Ländern) dem ökologischen Wandel beugen muss, um ein friedliches Zusammenleben und ihre Lebensgrundlage, die Erde, nicht zu gefährden.
5.1 Notwendige Erkenntnisse bringen Herausforderungen mit sich
Wachstumskritiker Tim Jackson beschreibt in seinem Hauptwerk, dass man nach „Aus- wege[n] aus der größten Zwickmühle unser Zeit [suchen muss, um] unser Streben nach einem guten Leben mit den Grenzen eines endlichen Planeten zu versöhnen.“ (Jackson, 2013, S. 2). Die wichtigsten Befunde sollen folgend eine kurze Abwägung der Notwendigkeit und Herausforderungen der PWÖ als Basis für die Schlussbetrachtung schaffen.
5.1.1 Ökologische und ökonomische Notwendigkeit der Wachstumsabkehr
Die in Kapital 3 behandelten Auswirkungen des Wirtschaftswachstums auf gesteigerte Emissionen, globale Umweltverschmutzung und die Überbelastung der Biosphäre, sowie die Verknappung endlicher Ressourcen und Abfallproduktion, zeigen, wie rabiat die PWÖ die Menschheit und die Umwelt ins Gleichgewicht bringen möchte und welche zusätzlichen gesellschaftlichen Vorteile bei einer Abkehr von Wachstum erhofft werden.
Die Berichte aus der Klimaforschung geben klare Obergrenzen der Belastbarkeit der Umwelt an, die nicht die nötige Aufmerksamkeit, bzw. Priorität bei Entscheidungsträgern genießen. Sollte es die Weltbevölkerung nicht schaffen, ihre Wirtschaftsweise und als dessen Treiber das neoliberale Wachstumsdogma grundlegend zu ändern, werden bis 2050 errechnete Klimakipppunkte erreicht, dessen Folgen unumkehrbar sind (IPCC, 2014, S. 12f).
Wachstum war und ist der größte Treiber globaler Emissionen38 und stärkster Antrieb für die Ausbeutung der endlichen Ressourcen (siehe 3.1 und 3.2). Trotz rapider technologischer Effizienzgewinne sind die absoluten Schadstoffausstöße, die auf den BIP Zuwachs zurückzuführen sind, nicht einzuholen. Ein Umbau zur PWÖ wäre zumindest in reichen und entwickelten Volkswirtschaften eine radikale, effektive Maßnahme, um ein ökologisches Gleichgewicht herzustellen und die Priorität des Wirtschaftens (als Grundlage für Wohlstand) in seine natürliche Position hinter die Instandhaltung der Umwelt (als Grundlage für Leben) zurückzubringen.
Zusätzliche Erkenntnisse aus der Wirtschaftswissenschaft entzaubern den Wachstumswahn des Neoliberalismus und bestärken eine dringende Abkehr davon. Der Neoliberalismus ignoriert den Wandel der Nachfragestruktur und verhilft der Ausweitung fortschrittsfeindlicher Rentenstrukturen (Elsenhans, 2019, S. 1, 14f). Zudem hat reines BIP Wachstum laut Wilkinson und Picket (2012) als Wohlstandindikator in entwickelten Ländern ausgedient. Mit einer Verschiebung von Verantwortung und die Exklusion externalisierter Kosten in der Preisgestaltung werden Kosten auf die Gesellschaft umgewälzt. Sollten Umweltfolgen im Preis auftauchen, wären diese Produkte teurer für Verbraucher und Hersteller und würden nach der kapitalistischen Wettbewerbslogik vom Markt verschwinden. So behindert bspw. politisches Festhalten an geschützten fossilen Industrien den schnelleren Umschwung hin zur flächendeckenden Versorgung über erneuerbaren Energiequellen (Brand & Wissen, 2017,S. 102f; Rueter, 2017).
Rein materiell unterschätzt die neoliberale Logik die Auswirkungen eines exponentiellen Wachstums (Meadows, 1994, S. 18ff, 73). Weitere Kritik drückt sich in alternativen Steuermodellen aus, die den Wandel der Arbeitswelt durch Besteuerung von Vermögen anstelle von Einkommen präferiert (Atkinson, 2016, S. 311f, 388ff; Piketty, 2016, S. 596, 639f).
Eine Abkehr vom neoliberalen Wachstumsdogma ist aus oben genannten Gründen überfällig. Ein reines Verzögern durch bequeme Prokrastination oder Ignoranz von (wirtschaftlicher und ökologischer) Verantwortung wird den Wohlstand nächster Generationen, das Leben weiterer Spezies sowie den langfristigen Frieden der Menschheit gefährden.
5.1.2 Herausforderungen ohne konventionelles Wachstum
Kapitel 4 fasst einige Hauptauswirkungen einer Wirtschaft ohne Wachstum zusammen und zeigt, dass eine implementierte PWÖ ohne Weiteres mit erheblichen makroökonomischen Anstrengungen rechnen darf, die teils durch Institutionen abgemildert werden können.
In einer Wirtschaft, die eine stabile Produktionsmenge und eine Verkürzung von Arbeitszeit anstrebt, sind enorme Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt zu erwarten. Durch die gedämpfte gesamtwirtschaftliche Nachfrage, langlebigere Produkte und die Verteuerung von Waren durch die Internalisierung von Folgekosten werden mittelfristig Arbeitsplätze wegfallen. Damit wird ein umfassender Wandel von Beschäftigungsverhältnissen erwartet, der die Besteuerung von Einkommen mindert und höhere Abgaben von Vermögen und Kapital einplant. Dies hat wiederum Einflüsse auf Profite von Unternehmen, den technologischen Fortschritt sowie eine riskante Entwicklung der Staatsverschuldung.
Die Umsetzung einer PWÖ bei fester Wirtschaftsgröße kann planwirtschaftliche Züge annehmen, in denen „Produktionskontingente“ unter privaten und staatlichen Firmen zu verteilen sind, ohne den Verlust der positiven Aspekte von Wettbewerb und Innovation zu riskieren. Dieses Szenario kann in dieser Arbeit nicht behandelt werden.
Zusätzlich müssen bei ausbleibendem Wachstum verstärkt institutionelle Umverteilungsmechanismen die finanzielle Ungleichheit und Armutsbekämpfung bewältigen. Dafür benötigt es nach Piketty (2016) eine umfangreiche Steuerreform mit Fokus auf progressive Kapitalsteuern, um die Aufgaben der sozialen Sicherungssysteme stemmen zu können.
Die Abkehr, bzw. Reform von konventionellem Wachstum (als die bloße Steigerung des BIPs) wurde bereits in 2.1 und 2.2 angeregt. Neue Maßstäbe für die Wirtschaft und alternative Barometer als Richtwert für Gesellschaft und Politik werden zudem Umgewöhnung, Zeit und Geld durch gewaltige Umstrukturierungsprojekte kosten.
Ob sich im Umkehrschluss bloß ohne Wachstum die korrelierenden Probleme in Luft auflösen (und nicht neue, ähnlich relevante Herausforderungen mit sich bringen), bleibt zu untersuchen. Zusammenfassend sind es vor allem menschliche Herausforderungen für Politik und eine Wandelfähigkeitsprobe der Wirtschaft. Sie sind weniger greifbar und abstrakter als der drängende Appell der Umweltberichte mit naturwissenschaftlichen Modellrechnungen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Herausforderungen und sozioökonomischen Auswirkungen einer PWÖ zu unterschätzen sind.
5.2 Wachstum oder Umwelt?
Was wiegt stärker: wirtschaftliche Befürchtungen ohne Wachstum oder ökologische Notwendigkeit des Wandels? Es ist Unsinn, wie sich über Henne oder Ei zu streiten, ob das Wirtschaftswachstum oder eine heile Umwelt wichtiger ist. Man kann nicht quantifizierbar sagen, ob Notwendigkeit oder Herausforderungen der PWÖ überwiegen. Die Erkenntnis des dringenden Wandels und seine Umsetzung sind eher notwendig. Die Wirtschaft ändert sich und die Wachstumsausrichtung wird reformiert werden müssen. Die Herausforderung besteht neben den genannten Punkten in Kapitel 4 darin, den Diskurs über den Elefanten im Raum, wie man in Zukunft leben will und welche konkreten Maßnahmen dafür eingeleitet werden müssen, zu führen. Dafür bieten essentielle Punkte der PWÖ Hinweise für eine ökologische Nachhaltigkeit, und werfen den Schatten ihrer Herausforderungen voraus. Solche müssen angegangen werden, um einen wirtschaftlich und gesellschaftlich vertraglichen Wandel zu gestalten. Ein potenzielles Zukunftskonzept darf nicht ideologisch, sondern muss wissenschaftlich rational gestaltet sein.
Schon 1992 warnte die „erste Greta“ namens Severn Suzuki mit zwölf Jahren bei der ersten UN Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro emotional vor den ökologischen Entwicklungen, die die Kinder der Zukunft bedrohen würde. Aber das „Mädchen, das die Welt zum Schweigen brachte“39 sah keinen Wandel: Das BIP stieg weiter, die C02eq Emissionen und weitere Umweltbelastungen sollten in Folgejahren zunehmen. Weil sich das BIP-Wachstum wie ein Naturgesetz im Neoliberalismus manifestiert hat, als Voraussetzung für intakte Gesellschaften und gesunde Volkswirtschaften steht, fällt es nicht bloß in der Öffentlichkeit schwer, das Thema kritisch zu betrachten und an notwendigen Lösungsansätzen zu arbeiten. Nichtsdestotrotz scheitert diese Debatte an der Erkenntnis, dass menschen gemachte Konstrukte (wie Wirtschaft und Wachstum) nicht über den natur gegebenen Gesetzen stehen können. Geld ist ein Schulden-Konstrukt, eine Illusion, die man nicht infrage stellt. Die ökologischen Schulden sind zu diffus und nicht direkt sichtbar. Dennoch sind diese ökologischen Schulden vom evolutionären Standpunkt aus zu priorisieren. Um es mit Al Gores40 Worten zu sagen: „Wenn wir keinen Planeten mehr haben, geht es der Wirtschaft nicht gut“. Jegliches Handeln undjeglicher Handel wird sich den Umständen der Natur beugen müssen, da sie ein eigenes Gleichgewicht anstrebt - egal ob mit oder ohne Wirtschaft.
5.2.1 Notwendige Abkehr von neoliberalem Wachstumdogma
Mithilfe einer biologischen Analogie kann ewiges, exponentielles Wirtschaftswachstum als nimmersatter Virus verstanden werden, der seinen Wirt (den Planeten) zu viel abverlangt und mit ihm zugrunde geht. Die Notwendigkeit an tiefgreifender Kritik des neoliberalen Dogmas, vor allem deren priorisierte Wachstumsauslegung, ist überfällig . Die größten Herausforderungen bietet damit ein radikaler Bruch eines radikal gewordenen Systems. Das möchte die PWÖ durch schlichten Verzicht aufWachstum erreichen.
„In den nächsten 200 Jahren werden voraussichtlich alle unsere Gletscher diesen Weg gehen. Diese Gedenktafel soll deutlich machen, dass wir wissen, was passiert und was getan werden muss. Nur ihr wisst, ob wir es getan haben.“
Inschrift an dem Gletscher Okjökull41 in Island
Aus erlangtem Wissen müssen Taten folgen. Der Diskurs über die Ausrichtung auf ausnahmslose Steigerung des BIPs als allerklärendes Maß der Dinge ohne den Einbezug anderer Indikatoren muss daher an Reichweite gewinnen. Es birgt zwar ein ungewisses Risiko, eine Wirtschaft ohne Wachstum oder BIP zu implementieren,jedoch besteht ein gewisses Risiko, dies nicht zu tun. Wenn man zumindest abschätzen kann, gegen welche Katastrophen man sich aus Bequemlichkeit wappnen kann, zeugt dies von politischer Ohnmacht. Da die Wissenschaft zur Genesung der Erde ökologische Grenzen aufzeigt und nahezu einstimmig an die Entscheidungsträger appelliert, einzulenken, ist das Zögern bloß als Abhängigkeitsgefühl der Politik von der Wirtschaft zu erklären, die im Neoliberalismus vor Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung den Ton angibt. Piketty (2016) wie Elsenhans (2015) warnen daher vor dem Rückfall zu tributären, feudalzeitähnlichen Strukturen mit mahnenden Worten an Rentiers und Entscheidungsträger: „Wir müssen den Kapitalismus von den Kapitalisten retten“ (Bregman, 2017, S. 197; Elsenhans, 2015, S. 194ff). Die internationale Finanzindustrie propagiert ihren Glauben der Vormachtstellung, als sei sie selbst Schöpfer der Wohlstandssteigerung. Feudalherren waren diesem Irrtum im Gegenzug nicht erlegen. Institutionelle Mechanismen könnten Rentiers von ihren Illusionen heilen.
Ein Hauptproblem der Umsetzung von Maßnahmen zur Prävention gegen prognostizierte Umweltkatastrophen kann neben der immensen politischen eine simple geografische Komponente haben: Die Notwendigkeit des Einlenkens ist hauptsächlich eine globale Anstrengung; dafür konzentrieren sich die Herausforderungen des Umbaus auf eher nationale und regionale Auswirkungen, die damit greifbarer, direkt spürbar und zu bezahlen wären.
So lange der Neoliberalismus die Oberhand behält, bleibt es eine Herausforderung, allein durch eine zunächst kostenintensive, nachhaltige Wirtschaftsweise gegen kurzfristige Gewinne unter dem Vorbehalt nötigen Wachstums und den damit ausgeübtem Druck der Großkonzerne auf die Schaltstellen der Politik in seine Schranken zu weisen. Bereits der IWF betitelt den Neoliberalismus als „überverkauft“ (Ostry et al., 2016), denn er halte seine indoktrinierten Werbeversprechen nicht. Für eine flächenmäßige Konkurrenzfähigkeit und ein Wiedererstarken der Realwirtschaft bräuchte es Spielregeln und Anreize, die institutionalisierte Rahmenbedingungen für alle Wirtschaftsteilnehmer rechtlich bindend oder zumindest profitabler machen. Als Folge dessen können sich ökologische, ethische und nachhaltige GüterundDienstleistungenlangfristigetablieren(Elsenhans, 2012, S. 10, 176f).
Die extensive Analyse und teils ethische Bemängelung des Wachstums im Neoliberalismus (in Abschnitt 2.2) zeigt, wie schwer sich die Entscheidungsträger mit dem Gedanken tun, die Droge Wachstum aus dem Wirtschaftskreislauf in einer Art Entziehungskur nach einem rasanten Dauerrausch zu entziehen. Befürchtete Nebenwirkungen von exponentiellem Wachstum wecken Skepsis von wirtschaftsliberalen Vordenkern und wird als Irrsinn eingestuft. Wachstum als Selbstzweck gerätjedoch neben der Wissenschaft auch von Ökonomen zunehmend in Kritik. Es solle stimulieren, nicht kapitalismusgefährdend mehr Renten einfahren und oligarchische Strukturen stärken (Kocka, 2013, S. 90f, 94ff).
Eine Abkehr vom neoliberalen Wachstumsdogma und seiner vermeintlichen Vormachtstellung ist daher auf Dauer unausweichlich. Diese Kritik in ihrer radikalsten Form ist die PWÖ.
5.2.2 Ausblick für Umwelt und Wirtschaft
Diese Arbeit hätte zur Verdeutlichung der Lage auch Notwendigkeit und Herausforderungen des Neoliberalismus heißen können. Die künftigen eklatanten Herausforderungen der aktuellen Wirtschaftsweise hätten ihre „legitime“, bzw. notwendige Daseinsberechtigung schnell in die Schranken verwiesen. Eine große Herausforderung scheint, sich im globalen Norden aus der Bequemlichkeit heraus überhaupt Gedanken über Alternativen machen zu müssen. Viele Entscheidungsträger prokrastinieren wie ein Student beim Schreiben seiner Abschlussarbeit, während andere die Folgen dieses Zögerns ausbaden, weil die Konsequenzen in Europa und Nordamerika (wie externalisierte Kosten) verspätet eintreffen und schwierig auf die eigene Lebensweise oder das Wachstum zurückzuverfolgen sind.
Business as usual können wir uns nicht länger leisten. Das neoklassische Laisser Faire ignoriert die notwendige Installation von strikten Institutionen, um die Klimaziele zu erreichen. Für einen rosigen Zukunftsausblick für die Umwelt geben verhärtete Fronten der Debatte Grund zur Sorge: Es wird mitunter nicht um Lösungen gerungen, sondern ideologisch und subjektiv an alten Meinungen und bequem an gewohnten Prozessen festgehalten.
Die törichte Ignoranz von ökologischen Rahmenbedingungen, empirischer Wissenschaft oder keynesianischen Erkenntnissen sind kein valides Argument gegen ebendiese. Der Neoliberalismus erschwert ökologische Entwicklungen und ebnet den Weg für einen sich zuspitzendenden Klimawandel, der es nötig macht, das (heutige) Primat der Wirtschaft mit Vorherrschaft des Wachstumsparadigmas anzugehen, um seine Lebensgrundlage nicht weiterhin wahllos zu gefährden. Dass die PWÖ radikal erscheint für ein System, das mittlerweile selbst radikal und nicht mehr zeitgemäße Antworten für eine rasante Zukunft bietet, bestärkt notwendiges Einlenken und Umdenken.
Einstein soll gesagt haben, dass man Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen könne, durch die sie entstanden sind. Als Lehre dieser Arbeit können neue Denkweisen in Form alternativer Indikatoren den Weg für ein nachhaltigeres Wirtschaften weisen (Welzer & Wiegandt, 2014, S. 169ff). Man sollte die Ergebnisse der Klimaforschung über das neoliberale Wachstumsdogma priorisieren, da sie absoluten Vorrang hat. Dieses diffuse, schwer sichtbare Problem und deren Beschleunigung geht maßgeblich auf mehr menschlichen Handel zurück und erzwingt globale Anstrengungen. Es besteht die Hoffnung, dass politische Klimawandelleugner, Hinauszögerer von Präventionsmaßnahmen und Beschwichtigungsversuche von Wachstumsfetischisten, wie die ersten Gletscher, zusehends verschwinden.
Man wird sich den Herausforderungen der unbequemen Wahrheit stellen müssen, alte Parameter und Indizes neu zu evaluieren und durch konsequente Maßnahmen die Wirtschaft umzugestalten. Trotzdem wäre es spekulativ zu prognostizieren, ob sich der Kapitalismus nach Erholung von neoliberalen Wachstumsschmerzen noch als rechtzeitig flexibel erweist, um seine ökologische Grundlage im Sinne eines Kasinokapitalismus nicht aufs Spiel zu setzen. Die Zukunft ist, wie der Kapitalismus, unsicher.
Zudem regt sich zusehends Widerstand gegen die ewige Wachstumslogik in einigen Etagen, auf die neoliberale Anhänger bislang setzen konnten. Der Business Roundtable[42] distanziert sich nach über 20 Jahren vom sogenannten Shareholder-Value -Prinzip, bloß im Sinne des zu steigernden Profits ihrer Anlieger zu wirtschaften. US Unternehmen bezögen nun für ihr Wirtschaften verstärkt soziale und ökologische Verantwortung ein und man hat zumindest bekundet, nicht mehr umjeden Preis wachsen zu wollen (Murray, 2019).
Andere interessante Beiträge für einem Wirtschaftsmodellumbau bieten das Gemeinwohlökonomie-Konzept nach Christian Felber oder die Doughnut-Economics nach Kate Ra- worth43. Mit der Umsetzung von Green Growth Konzepten wäre bereits eine große Entlastung der Umwelt und ein immenser Fortschritt weg von neoliberaler Toleranz gegenüber der Außerachtlassung von Natur und Mensch geschaffen (Elsenhans, 2019, S. 6ff). Ob diese eine PWÖ nach Paech (2012) pfadabhängig ablösen könnte, bleibt zu abzuwarten.
6. Schlussbetrachtung
Ziel war es herauszufinden, aus welchen Gründen die Abkehr vom neoliberalen Wachstumsdogma notwendig ist und welche sozio-ökonomischen Herausforderungen die Postwachstumsökonomie mit sich bringen würde.
Die Arbeit beschreibt dazu zunächst die Konzepte von BIP, Wachstum und der PWÖ. Die anschließend präsentierten Handlungsmechanismen des neoliberalen Wachstumsdogmas verdeutlichen, welch unanfechtbare Stellung das Wachstum gegenüber Umweltbedenken oder gesellschaftlicher Verantwortung für sich beansprucht. Diese Überheblichkeit gefährdet den kapitalistischen Fortschritt und die Umwelt durch massive strukturelle Vernachlässigung von Nachhaltigkeitsbedenken. Fehlende Institutionen bieten zudem reizvolle Freiräume zum Ausnutzen von Marktunvollkommenheiten und erleichtern das Verschleiern von
Verantwortung in einem globalen Wirtschaftsraum, wobei mit Druck auf politische Schaltstellen fälschlicherweise der internationale Wettbewerb als Scheinargument von der Notwendigkeit des Umdenkens ablenken soll. Auf absurde Weise wirkt der Neoliberalismus gegen selbst ernannte Ziele und drängt konsequenterweise zu notwendigen Reformen, um zunehmend gefährliche Umweltzustände nicht weiter eskalieren zu lassen. Exponentielles Wachstum wird als Haupttreiber hinter den weltweit absolut steigenden CO2eq Emissionen und schwindenden Ressourcen identifiziert. Das aktuelle Wachstum wirkt als Beschleuniger klimaschädlicher Prozesse und lässt die dazu konträr stehende PWÖ als zunächst reizvollen Ausweg erscheinen.
Die Herausforderung einer wachstumslosen Wirtschaft konzentrieren sich auf ihre makroökonomische Umsetzbarkeit. Mit Blick auf den Staatsschuldenstand bietet Wachstum eine sichere Tilgungsquelle, die kompensiert werden müsste. Dies strebt die PWÖ durch stärkere Besteuerung von Vermögen an, da die Arbeitszeiten kürzer ausfallen und weniger Abgaben fällig werden. Zudem werden eine sinkende Massennachfrage und längere Produktlebenszyklen oder eine Regionalisierung der Wirtschaft zu Anfang gesellschaftliche Anstrengungen abverlangen. Durch progressive Umverteilungsmaßnahmen will die PWÖ eklatante finanzielle Ungleichheiten und relative Armut eindämmen. Wachstumsloses Wirtschaften eignet sichjedoch ausschließlich für bereits entwickelte und wohlhabendere Volkswirtschaften und könnte weltweite absolute Armut vorerst bloß konventionell durch finanzielle Unterstützung und Programme bekämpfen.
Die Einschätzung der Folgen einer PWÖ auf wichtige sozio-ökonomische Bereiche verdeutlicht sinnbildlich den Zwiespalt ihres Wesens: Einerseits drängt die ökologische Ausgangslage aufgrund neoliberalen Vernachlässigens der Umwelt mit verheerenden Folgen zu dringenden, umfassenden Reformen und Paradigmenwechseln der Weltwirtschaft. Die PWÖ will mit ihrer Struktur als Antwort darauf den Planeten nicht gefährden und Entscheidungsträgern ermöglichen, im Vorfeld pro-aktiv einzulenken, als im Katastrophenfall reagieren zu müssen. Andererseits ist nicht umstritten, dass eine wachstumslose Volkswirtschaft erhebliche Nebenwirkungen und Umstellungen mit sich bringt.
Die Recherche zu diesem umfassenden Thema zog einen großen Lernprozess mit sich, der mit Leichtigkeit weitere Seiten füllen könnte. Die Quintessenz nach all den Kapiteln soll nicht auf „Wirtschaft oder Planet“ reduziert werden, wie manche Demoplakate überspitzen, sondern vielmehr die Notwendigkeit der Abkehr des bloßen BIP Wachstums im Neolibera- lismus unterstreichen und zur Diskussion über die Frage „Welche Wirtschaftsweise inner- halb planetarer Grenzen?“ anregen. Meine Arbeit soll im Gegensatz zum BIP nicht die Wirt- schaftswelt erklären, sondern als Einstieg in die PWÖ-Thematik weitere Untersuchungen anregen und sich der Kritik stellen. Sie bietet einen Überblick über ökologische Zustände und dahinter liegende ökonomische Wirkungsmechanismen für Impulse einer notwendigen Diskussion über ein Thema, das in Zukunft mehr Momentum gewinnen wird.
Zur Beantwortung der Fragestellung deutet die Einordnung der diskutierten Befunde daraufhin, dass eine Abkehr vom neoliberalen Wachstumsdogma aufgrund seiner verheerenden Umweltfolgen und umfangreicher wirtschaftswissenschaftlicher Kritik notwendig ist. Ob die PWÖ der Weisheit letzter Schluss ist, sei dahingestellt. Sie bietetjedoch bei der Beseitigung vieler Umweltprobleme einen pragmatischen, effizienten Ansatz, kommt aus wirtschaftlicher Sicht aber mit Herausforderungen teils ungewissen Ausmaßes.
Meine argumentative Herleitung auf Basis empirischer Befunde der Klimaforschung und theoretischer Erkenntnisse der Wirtschaft kommt bestärkt zu dem Entschluss, dass die mit Wachstum assoziierten verheerenden Folgen eine existenzielle Bedrohung darstellen. Die dargestellten Befürchtungen der Umweltberichte drängen das Wachstumsdogma des Neoliberalismus mit den Lehren der PWÖ zu einer Reform. Das schließt nicht aus, dass sich Elemente mit dem heutigen Wirtschaftssystem kombinieren lassen. Kapitalismus ist sehr wandlungsfähig und kann sich weiteren staatlichen Institutionen anpassen. Nichtsdestotrotz werden baldmöglich vehemente Herausforderungen angegangen werden müssen.
Green Growth und andere ähnliche Wirtschaftsbestrebungen legen zusätzlich nahe, die alte Arbeitswelt aufzubrechen, Steuersysteme zu überdenken, Anreize für Investitionen in Kompensationsmaßnahmen der Umwelt und Institutionen entgegen des illusorischen, kurzfristigen Schutzes der Arbeitsplätze fossiler Industrien zu etablieren. Die Maßnahmen zur CO2eq Vermeidung der OECD Länder nehmen bislang einen zu geringen Anteil ihrer Staatshaushalte ein, auch das neue „Klimapaket“ der Bundesregierung setzt den CO2 Preis selbst aus Sicht der Industrie zu gering an (Wagner, 2019). Diese Maßnahmen müssten für eine stärkere Wirksamkeit verschärft werden und sind nicht die endgültige Lösung. Langfristig wird man auf öffentlichen Druck, gestützt von wissenschaftlichen Prognosen, die politischen Schaltstellen zu Reformen drängen und Wachstum auf Dauer überdenken. Einige Aspekte der PWÖ können zur Inspiration dienen. In gewisser Zukunft wird zudem der Privatkonsum in den entwickelten Regionen mehr Genügsamkeit anstreben müssen, um die ökologischen Grenzen durch die globale Wirtschaft nicht zu überschreiten und den Planeten, seine Ressourcen und Emissionsaufnahmefähigkeit eine Erholung zu ermöglichen. Dazu suggeriert meine Arbeit neben einer Reform zumindest eine Ergänzung des BIPs mithilfe alternativer Indikatoren für eine stärkere Aussagekraft über die sozioökonomische Lage und eine stärkere Berücksichtigung von Umweltaspekten und realer Wertschöpfung.
Bislang sind die Kompensationskonzepte der Wirtschaft und politische Präventionsmaßnahmen zu zaghaft. Der neoliberale Anpassungsdruck lähmt den nötigen Entscheidungsprozess der Politik und lässt sie träge erscheinen. Die politische Führung lässt sich daher teils zurecht vorwerfen, sich zu lange nicht entschieden genug gegen die Beschwichtigungsversuche oder den Wachstumsdruck der Wirtschaft gewagt zu haben. Ein umfassender Anfang hätte längst getan werden müssen. Damit diese Weichen noch rechtzeitig für eine nachhaltige Zukunft umgestellt werden, gehen überall auf der Welt die Kinder auf die Straße. Mit den Haupterkenntnissen dieser Arbeit dürfen sie in ihrer Lebenszeit (nach Einsicht der Entscheidungsträger über die ökologische Realität) auf das Ende des neoliberalen Wachstumsdogmas hoffen und sich für die daraus folgenden Herausforderungen wappnen.
Schlussendlich möchte ich nach all den weisen Zitaten von Männern vergangener Tage zukunftsgerecht die Debatte um Wachstum mit den scharfen Worten eines jungen Mädchens gegen die zuständige Politik ebendieser alten Männer anregen:
„Wir befinden uns im Anfang eines Massenaussterbens, und alles, woran ihr denken könnt, sind Geld und Märchen von ewigem Wachstum. Wie könnt ihr es wagen!“
Greta Thunberg44
Anhang
Zur Einordnung der heutigen Ausgangslage und weiterer, wichtiger Zusatzinformationen zum Verständnis des Sachverhalts folgen anbei ausgewählte aktuelle Daten zur klimatischen Entwicklung prognostizierte Wachstumsdaten der größten Volkswirtschaften.
Anhang 1: Reales und absolutes BIP der Volksrepublik China von 1952 bis 2008
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Der Unterschied zwischen einem gering wachsenden relativen BIPs (Kurvenverlauf) und deren absoluten Ausmaßes (Säulendiagramm) wird bei zeitgleichen Daten ersichtlich und zeigt das enorme Potenzial exponentiellen Wachstums.
Anhang 2: Die stärksten Emittenten von fossilen CO2 Emissionen und deren prozentualer
Anteil in der Welt 2017
Anmerkung: Graph und Tabelle zeigen dieselben Daten in unterschiedlicher Ansicht
Largest producers of territorial fossil fuel CO2 emissions worldwide in 2017, based on their share of global CO2 emissions
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Germanwatch (2018)
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
https://www.statista.com/statistics/271748/the-largest-emitters-of-co2-in-the-world/
Anhang 3: Weltweite pro Kopf CO2 Emissionen in ausgewählten Ländern in 2016 Anmerkung: Graph und Tabelle zeigen dieselben Daten in unterschiedlicher Ansicht
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: IEA (2018)
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung und Übersetzung nach IEA (2018)
https://www.statista.com/statistics/270508/co2-emissions-per-capita-by-country/
Anhang 4: Jährliche weltweite CO2 Emissionen in Mio. Tonnen 1757 bis 2017
https://www.statista.com/statistics/264699/worldwide-co2-emissions/
Anhang 5: Weltweite pro Kopf CO2 Emissionen von 2010 bis 2050 in Tonnen
Per capita CO[2] émissions worldwide in 2010 and 2050 (in metric tons)
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: OECD (2011).
Wie die Daten prognostizieren, wird die Menschheit die selbst gesteckten Klimaziele verfehlen und erforschte Grenzwerte von ca. 2,7 t Verbrauch pro Kopf überschreiten.
https://www.statista.com/statistics/242874/co2-emissions-per-capita-by-region/
Anhang 6: Veränderung der CO2 Emissionen und des BIPs ausgewählter Länder von 2000 bis2014
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: WIR (2016)
https://www.statista.com/statistics/532558/change-in-co2-emissions-and-gdp-worldwide- by-select-country/
Anhang 7: Scorecard des Klimaperformace Index für Deutschland 2019
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Germanwatch (2018)
https://www.climate-change-performance-index.org/country/germany-2019
Anhang 8: CO2 Intensität in g CO2/US$ BIP pro Kopf im Jahr 2013 im Vergleich zur erforderlichen CO2 Intensität von 450 ppm CO2eq im Jahr 2050
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Jackson (2013, S. 71)
Anhang 9: CO2-Intensität des BIPs ausgewählter Regionen von 1980 bis 2006
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Ein persönliches Schlusswort
Das Schreiben und die Recherche zu dieser Arbeit stimmen mulmig: Einerseits nehmen beschleunigte klimatische Veränderungen, die das menschliche Leben auf diesem Planeten bedrohen, rasant zu; ein eigener Beitrag zum Klimaschutz erscheint schwierig, unbequem und international irrelevant. Es verhärtet sich der Eindruck, dass sich möglichst schnell etwas grundlegend ändern muss (wenn man den zahlreichen Berichten der Klimaforschung Glauben schenkt). Andererseits ist die Frage nach dem „wie“ durch die hypothetische Bearbeitung der Herausforderungen eines vermeintlich ökologisch nachhaltigen Alternativkonzepts mit berechtigten Sorgen um globale wirtschaftliche, und gesellschaftliche Auswirkungen keine patentierte Blaupause für die Zukunft.
Mir bleibt Grund zur Sorge, dass dem Dilemma der radikalen Systemumstellung lieber eine bequeme, reformgetriebene Symptomschlichtung vorgezogen wird und etwaige Veränderungen wegen der diffusen Problematik zu lange in die Zukunft verschoben werden - um am Ende doppelt zu bezahlen. Ich erwarte, dass in 20 Jahren mehr Schulden zur Beseitigung der heute nicht rechtzeitigen massiven Investitionen in Präventionsmaßnahmen (und damit die Inkaufnahme einer kurzen Rezession durch die Wirtschaftsumstellung) auf uns warten, dass liebgewonnene Tierarten, Urlaubsorte, Gemüse- und Obstsorten dem Klimawandel weichen, sich Rentenstrukturen sowie größere Ungleichheiten und sich starker, rückwärtsgewandter Eliteneinfluss auf die Politik die Verhältnisse verhärten.
Ich beanstande, dass die größte CO2 Bank, der Amazonasregenwald, das zunehmend vermüllte Meer, ausgedörrte Regionen, Bienen- und Insektensterben, Wasserknappheit und weitere gravierende Zustände im Vergleich zu den Bankenrettungen zu wenig Aufmerksamkeit und Investitionen erhalten und gegen nordamerikanische oder europäische Bequemlichkeiten wie Fleischkonsum, Flugreisen, giftige Technik oder Billigimporte aus entfernten Ländern kaum eine Chance haben.
Der Meeresspiegel ist von 1902 bis 2015 um 16 cm gestiegen, das Schmelzen der Polkappen beschleunigt sich rasant. Der neue IPCC BerichtüberWeltmeere, immer noch brennende Regenwälder und hungernde Menschen auf der Flucht scheinen bloß vorübergehend mitleidserregende Schlagzeilen in der privilegierten Illusion des alltäglichen Überflusses der entwickelten Welt zu füllen. Das Übel anderer findet sich in den billigen Preisen für unser täglich Brot. Ich hoffe, dass sich externali- sierte Kosten nicht auf Dauer halten, weil man sich diese ökologisch nicht leisten kann und wegen ihrer destruktiven Form an anderer Stelle als Gesellschaft nicht aus Bequemlichkeit leisten sollte.
Diese Gedanken entspringen aus der Sicht eines deutschen Studenten, der in diesem Jahr mehrere Flugreisen hinter sich hat und diese Zeilen an einem in der Ferne produzierten Computer, dessen Firma sich ihrer Steuerlast entzieht, tippt. Bei meinem Privileg schwingt ein zwiegespaltenes Gewissen beim Blick in die prognostizierte Zukunft der Umweltberichte mit. Neben der Deckung materieller Bedürfnisse braucht es dringend verbindliche Regeln für alle - erst recht Sanktionen für rücksichtsloses Wirtschaften und Preise, die den wahren Warenwert und keinen kurzsichtigen ökonomischen Preis widerspiegeln, sowie Löhne für Arbeit, die ihrer gesellschaftliche Relevanz entsprechen. Ich verzweifle an der Tatsache, dass es zum Thema Umwelt keine Meinung gibt. Die Politik liegt in der Verantwortung, sich diese zuzutrauen und Institutionen zu schaffen.
Ich hoffe, dass damit Klimaziele erreicht und die Einsicht sowie konsequentes Handeln bald die Politik bewegt, endlich unsere falschen Privilegien auf die Probe zu stellen, man uns bequeme und lieb gewonnene Illusionen nimmt und die Profiteure dieser Misere, die Rentiers, ihren Einfluss zunehmend verlieren. Ich will mir trotz der gravierenden Umstände und düsteren Prognosen meine Resthoffnung nicht nehmen lassen, dass demokratiefeindliche Strukturen, Rententendenz und Ausländerfeindlichkeit durch die Umstrukturierung nicht zunehmen. Eigentlich weißjeder, dass es nicht so weitergehen kann. Ich frage mich, wann nach all den Erkenntnissen, eine solche Politik und die Gesellschaft den Mut packt, sich ihres Verstandes zu bedienen.
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Zitationen und Literaturverzeichnis erstellt mit ZoteroforMac
[...]
1 Aus: „Die Grenzen des Wachstums“ (Meadows, 1972, S. 164)
2 Wenn in dieser Arbeit nicht explizit darauf hingewiesen wird, meint Wachstum das Wirtschaftswachstum, die prozentuale Erhöhung des BIPs im Vergleich zu vorigen Zeiträumen (siehe Abschnitt 2.1).
3 Simon Kuznets promovierte an der Columbia Universität in New York City und arbeitete darauf am National Bureau ofEconomic Research, um ein modernes System zur Berechnung des Volkseinkommens zu entwickeln. Er erhielt 1971 den Nobelpreis für die Schaffung und Analyse des modernen Wirtschaftswachstums und arbeitete an einer der ersten umfassenden Studien zur Vermögens- und Einkommensungleichheit in den USA (Fioramonti, 2017, S. 47; Piketty, 2016, S. 27f).
4 Norbert Wiener (1894-1964) war US-amerikanischer Philosoph, Mathematiker sowie Begründer der Kybernetik (siehe https://de,wikipedia,org/wiki/Norbert Wiener),
5 „Externalisierte Kosten“ werden vom (ersten) Produzenten verursacht, aber von anderen Parteien oder der Gesamtgesellschaft getragen. Man profitiert davon, dass verursachte Produktionskosten nicht sofort auftreten oder aufgrund diffuser Produktionsketten nicht explizit zurückzuverfolgen sind. Vereinfacht kann ein Konzern Abwässer kostenfrei in einen Fluss leiten. Weiter flussabwärts muss die Lokalverwaltung zu einem anderen Zeitpunkt das verschmutzte Wasser reinigen. Kosten, die die Fabrik verursacht, aber (mit Ausnahme einiger Steuern) nicht trägt, werden auch im Produktpreis dieser Firma nicht berücksichtigt. Produkte tragen somit einen „ökologischen Rucksack“ an versteckten Umweltfolgekosten (Brand & Wissen, 2017, S. 99f; Welzer & Wiegandt, 2014, S. 80f).
6 Karl Marx‘ „Das Kapital Band 1“ zitiert die Worte von Marquise de Pompadour aus dem Französischen .Apres nous le deluge !“, um den kapitalistischen Systemzwang zu kritisieren, egoistisch kurzfristige Gewinne einzustreichen, ohne an die Zukunft oder andere zu denken (Marx, 2014, S. 263).
7 Aus der Spieltheorie: Zwei Gefangene müssen unabhängig und ungesehen voneinander über ihr gemeinsames Schicksal entscheiden und dabei auf die Handlung des anderen spekulieren.
8 Als Beispiel für deren Reichweite werben aktuell große Lobbyverbände von Vermögenden und der Großindustrie für die Abschaffung des Solidaritätszuschlags als inszenierte Vertreter der gesellschaftlichen Mitte, Siehe bspw, https://www,lobbycontrol,de/2017/11/kampf-um-den-soli-wie-lobbyisten-versu- chen-eine-reichensteuer-zu-begraben/?fbclid=IwAR1F9f--5T8ImvJ0OVyGLEIWsrSxD2lQF3NvicOt- J63hN1WJiCD7gB6nK8,
9 Der IWF publizierte in Kooperation mit der Universität Kopenhagen einen Bericht nachdem fast 40% der weltweiten Investitionen der Steuerflucht und „keinerlei echtem, produktivem Zweck dient“ (Vogel, 2019), Diese Renten entziehen dem Wirtschaftszyklus zukunftsgerichtete Investitionen für die Erforschung erneuerbarer Energien, nachhaltiger Zukunftskonzepten oder umweltfreundlicher Technologien,
10
11 Rente ist der angeeignete Teil des wirtschaftlichen Überschusses, der (anders als Profit) nicht als Investition genutzt wird, bspw. für die Entwicklung neuer Technologien (Elsenhans, 2012, S. 238f).
12 Dabei handelt es sich um eine wirtschaftlich neoliberale Annahme, dass bei steigendem Wirtschaftswachstum und Entlastung der oberen Einkommens- und Vermögensschichten, der volkswirtschaftlich (neu) errungene Wohlstand automatisch auf untere und einkommensschwache Bevölkerungsschichten verteilt und somit allen Schichte zugute kommt (Welzer & Wiegandt, 2014, S. 87).
13 Ein Zusammenschnitt der Auseinandersetzung der beiden Politiker ist abrufbar unter https://www,youtube,com/watch?v=2LSARQXv7k0,
14 Framing bedeutet einen Assoziations- und damit Deutungsrahmen für genutzte Begriffe zu steuern: Wer bspw. „Zitrone“ hört, assoziiert damit wahrscheinlich „gelb“ oder „sauer“. Diese gedanklichen Heuristiken lassen sich politisch und öffentlich instrumentalisieren (Milman, 2017).
15 Zitat von John Maynard Keynes (Bregman, 2017, S. 229)
16 Dabei wird eine egalitäre Rate zwischen Neugeburten und Zuwanderung zu Sterbefällen und Abwanderung angestrebt. Die Wachstumsrate der Weltbevölkerung soll sich bis 2100 0% annähern (Piketty, 2016, S. 113).
17 Zusammen mit Hartmut Rosa baute Klaus Dörre das DFG Postwachstumsgesellschaften an der Universität Jena auf (siehe http://www.kolleg-postwachstum.de/). Zudem finden zunehmend mehr Studiengänge wachstumskritische und pluralökonomische Tendenzen, siehe bspw. eine Auflistung solcher auf https://www.plurale-oekonomik.de/studiengaenge/.
18 Der Earth Overshoot Day bezeichnet rechnerisch den Tag, an dem die Welt ihr Budget an natürlichen Ressourcen für ein Kalenderjahr aufgebraucht hat. Demnach lebt die Erdbevölkerung ab diesem Datum ökologisch „auf Pump“, da bereits mehr natürliche Rohstoffe verbraucht wurden als im selben Kalenderjahr noch nachwachsen können (Global Footprint Network, 2019).
19 Digitaltechnik ist laut einem Bericht der Deutschen Welle für heutzutage 3,7% der weltweiten CO2eq Emissionen (300 Mio, t) verantwortlich, Im Vergleich dazu liegt ziviler Luftverkehr bei 2%, Alleine Video-Streaming-Dienste wie Netflix verursachten 2018 Jahr so viel CO2eq Emissionen wie Spanien (siehe https://www,dw,com/de/co2-ausstoß-von-online-video-streaming-als-klima-killer/a-49469109),
20 Energieintensität meint die benötigte Menge an Energie pro Einheit BIP,
21 Eine Gigatonne (Gt) wiegt 1,000,000 Tonnen,
Siehe dazu bspw. Anhang 6.
22 Eine Gigatonne (Gt) wiegt 1,000,000 Tonnen,
Siehe dazu bspw. Anhang 6.
23 Zur Ansicht verschiedener Länder zeigt der Klimaperformance-Index den durchschnittlichen Wert von CO2eq Emissionen pro Einheit BIP (in t CO2eq pro 1.000 US$ BIP). Siehe dazu Anhang 7 für ein Beispiel der Werte für Deutschland, bzw. https://www.climate-change-performance-index.org/country-results- 2019.
24 Relative Entkopplung meint eine Abnahme der ökologischen Intensität pro Einheit des BIPs, ergo eine effizientere Nutzung von Umweltressourcen bei weniger Emissionen (Jackson, 2013, S. 59f).
25 Giftiger Lithiumabbau für die Akkus aktueller Elektrofahrzeuge fördert bspw. das Austrocknen ganzer Regionen in Chile und vergiftet langfristig ehemals fruchtbare Böden (Brand und Wissen, 2017, S. 1431).
26 Der US-Elektronikkonzern Apple hat solche Marketingstrategien perfektioniert: Eine Studie zur neurowissenschaftlichen Untersuchung von Kaufsucht hat herausgefunden, dass bei Apple-Kunden das bloße Vorzeigen von Apple-Produkten Hirnareale, die normalerweise bei zwischenmenschlichen Emotionen und religiösen Gefühlen aktiv sind, aktiviert werden. Eine Kontrollgruppe zeigte bei Bildern von Sams- ung-Produkten keine solche Reaktion (Friedrich, Haupt, & Jaeger-Erben, 2018, S. 21).
27 Durch die Art, kurzfristig maximalen Gewinn aus Böden zu erwirtschaften setzt sich ein Prozess der „Desertifikation“ in Gang: Die Überbeanspruchung fruchtbarer Flächen für dazu, dass diese zunehmend zu unbenutzbaren und klimaschädlichen Wüstengebieten werden. Diese bilden bereits 35% der Erdober- fläche,jedes Jahr kommt eine Fläche von Irland hinzu (IPCC, 2014).
28 Der Gini-Koeffizient misst die finanzielle Ungleichheit: Bei einem Wert von 1 besitzt eine Person alles, bei 0 besitzen alle Personen gleich viel (Piketty, 2016, S. 349). Häufige Werte für Volkswirtschaften liegen zwischen 0,3 und 0.5 (Wilkinson & Pickett, 2012, S. 32).
29 Siehe https://www.tomorrow-derfilm.de.
30 Der Dokumentarfilm „System Error - wie endet der Kapitalismus“ (2018) von Florian Opitz über die verheerenden ökologischen Folgen des weltweiten Wirtschaftswachstums weckte das erste Interesse an dieser Arbeit. Bei Interviews mit Tim Jackson, Umweltexperten und neoliberalen Profiteuren, sowie aktuellen Beispiele über das schnelle Aussterben des Amazonas Regenwalds, Börsenverhalten und Digitalisierungsszenarien wird die wirtschaftliche und politische Ausrichtung auf das BIP kritisch analysiert (siehe http://www.systemerror-film.de).
31 Dies ließ Merz (Vizepräsident des CDU Wirtschaftsrates) am 22.09.2019 aufTwitter veröffentlichen.
32 Eine höhere Arbeitsproduktivität meint vereinfacht, dass weniger Menschen für die gleiche Arbeit benötigt werden (Jackson, 2013, S, 85),
33 KI meint Künstliche Intelligenz (englisch AI, artificial intellicence). Das Konzept beinhaltet u.a. Machine Learning, also Prozesse, bei denen durch Algorithmen programmierte Maschinen sich stetig in ihren Aufgaben verbessern und neue Fähigkeiten dazulernen können.
34 An dieser Stelle sei an Artikel 14, Satz 2 GG verwiesen: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“.
35 Siehe Anhang 5: Prognosen der pro Kopf CO2 Emissionen sollen bis 2050 im Vergleich steigen statt fallen zu den angestrebten 2,7 t / KopfVerbrauch durch Paech (2019). Weitere Entwicklung von Ressourcen, Abfall oder Temperaturanstieg sind dabei noch nicht inbegriffen.
36 Eine gleichnamige Dokumentation über „Das Kapital im 21, Jahrhundert“ (2016) erscheint Mitte Oktober in den Kinos und will Pikettys Erkenntnissen populärwissenschaftlich mehr Reichweite verleihen, Im Rahmen der Filmkunstmesse Leipzig konnte ich bereits einen persönlich guten Eindruck gewinnen,
37 Charles Darwin (1809-1882) war britischer Naturforscher und Begründer der modernen Evolutionstheorie, Das Zitat stammt aus seinem Werk „The Origin of Species“ (1859),
38 Zu diesem Ergebnis kommt auch eine neue Studie der IEA (International Energieagentur). Im letzten Jahr verursachte demnach weltweites Wachstum weitaus mehr Emissionen (ca. 1,3 Gt), als durch neue Technologien eingespart werden konnte (ca. 0,7 Gt) (siehe https://www.iea.org/geco/emissions/).
39 So titelten die Medien über die sechsminütige Rede bei der Versammlung. Ein Mitschnitt ist abrufbar unter https://www.youtube.com/watch?feature=player detailpage&v=1h7Can3tPEc.
40 Demokratischer Präsidentschaftskandidat gegen George W. Bush (2000), Vizepräsident unter Clinton, Friedensnobelpreisträger und Mitinitiator des Films „Eine unbequeme Wahrheit“ (2006).
41 Dies war der erste Gletscher in Island, der dem Klimawandel zum Opfer fiel. Die Gedenktafel ist eine Mahnung an die Menschheit, mit der Erde nachhaltiger umzugehen (tagesschau.de, 2019b).
42 Der Business Roundtable kann als Lobbyorganisation und Versammlung der CEOs der größten US Unternehmen verstanden werden (siehe https://opportunity.businessroundtable.org/ourcommitment/).
43 Dieses Wirtschaftsmodell nach soll einen (Mindest-) Standard an menschlicher Würde garantieren und eine Obergrenze an planetarer Belastung aufzeigen. Zwischen diesen zwei Kreisen spielt sich der ethische und nachhaltige wirtschaftliche Prozess auf der Fläche eines Doughnut s ab.
44 Diese wütenden, verzweifelten Worte adressierte die 16 jährige Schwedin, die den alternativen Nobelpreis erhält, auf dem Climate Summit der Vereinten Nationen in New York City (am 23.09.2019) an die vor ihr versammelt sitzenden politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger der Welt.
- Quote paper
- Thomas Lorenz (Author), 2019, Die Notwendigkeit und Herausforderungen der Postwachstumsökonomie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1610893