Die Zeitschrift 'Die Bücherei' diente während der NS-Zeit als zentrales Organ zur ideologischen Ausrichtung des Volksbüchereiwesens. Sie wurde 1920 vom Verein Deutscher Volksbibliotheken (VDV) gegründet, um das deutsche Bibliothekswesen zu modernisieren, und unterwarf sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 zunehmend der NS-Ideologie. Obwohl die Zeitschrift in der bestehenden Forschung oft nur am Rande behandelt wird, bietet sie eine wertvolle Quelle für die Untersuchung der Rolle des Volksbüchereiwesens im Zweiten Weltkrieg. In vielen Arbeiten wird sie kurz erwähnt und zitiert, jedoch nie umfassend analysiert. Diese Arbeit knüpft an eine eigene Diskursanalyse der Jahrgänge 1934-1938 an, die gezeigt hat, dass die Diskussionen sich vor allem auf büchereispezifische Themen konzentrierten, während die moralische Dimension der NS-Ideologie nicht thematisiert wurde sondern eher deren Verbreitung innerhalb des Bibliothekswesens. Während die erste Analyse das büchereispezifische Thema der Zeitschrift bis 1938 fokussierte, erweitert diese Arbeit die Untersuchung auf den Beginn des Zweiten Weltkriegs, in dem sich die Rolle des Volksbüchereiwesens im Krieg zunehmend abzeichnete.
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs stellt sich die Frage, inwiefern das Volksbüchereiwesen für den Kriegsdienst vereinnahmt wurde. Wenn man davon ausgeht, dass die NS-Regierung dem Kriegsdienst alles unterordnete, kann angenommen werden, dass auch das Volksbüchereiwesen davon nicht unberührt blieb und zunehmend in den Dienst der Volksgemeinschaft gestellt wurde. Angesichts der Macht, die Bücher in der Gesellschaft haben, und ihrer Funktion als Informationsquelle, kann davon ausgegangen werden, dass sie auch gezielt für Kriegspropaganda und Volksmobilisierung verwendet wurden. Diese Arbeit untersucht die These, dass sich die Zeitschrift ‚Die Bücherei‘ ab 1939 von einer theoretischen Legitimierung des Krieges hin zu einer praktischen Mobilisierung der Volksbüchereien für die Kriegsführung wandelte – mit dem Ziel, Bibliotheken als aktive Instrumente der NS-Propaganda und psychologischen Kriegsvorbereitung zu positionieren.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Fragestellung, Zielsetzung und Methode
1.2 Forschungsbericht
1.3 Quellenbericht
2. Die Bücherei mobilisiert mit
2.1 Programmatische Weichenstellung
2.2 Militarisierung des Diskurses: Wehrerziehung und Schrifttum
2.3 Totaler Einsatz: Forderung nach Aktualität und Aktivität
3. Das erste Kriegsjahr aus Sicht des Volksbibliothekswesens
3.1 Reaktion auf den Kriegsausbruch
3.2 Der Jahrgang 1940
3.2.1 Bibliothekarische Praxis im Krieg
3.2.2 Expansion in besetzten Gebieten
3.2.3 Kriegsinteresse der Jugend
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
5.1 Quellen
5.2 Forschungsliteratur
1. Einleitung
1.1 Fragestellung, Zielsetzung und Methode
Die Zeitschrift 'Die Bücherei' diente während der NS-Zeit als zentrales Organ zur ideologischen Ausrichtung des Volksbüchereiwesens. Sie wurde 1920 vom Verein Deutscher Volksbibliotheken (VDV) gegründet, um das deutsche Bibliothekswesen zu modernisieren, und unterwarf sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 zunehmend der NS-Ideologie. Obwohl die Zeitschrift in der bestehenden Forschung oft nur am Rande behandelt wird, bietet sie eine wertvolle Quelle für die Untersuchung der Rolle des Volksbüchereiwesens im Zweiten Weltkrieg. In vielen Arbeiten wird sie kurz erwähnt und zitiert, jedoch nie umfassend analysiert. Diese Arbeit knüpft an eine eigene Diskursanalyse der Jahrgänge 1934-1938 an, die gezeigt hat, dass die Diskussionen sich vor allem auf büchereispezifische Themen konzentrierten, während die moralische Dimension der NS-Ideologie nicht thematisiert wurde sondern eher deren Verbreitung innerhalb des Bibliothekswesens. Während die erste Analyse das büchereispezifische Thema der Zeitschrift bis 1938 fokussierte, erweitert diese Arbeit die Untersuchung auf den Beginn des Zweiten Weltkriegs, in dem sich die Rolle des Volksbüchereiwesens im Krieg zunehmend abzeichnete.
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs stellt sich die Frage, inwiefern das Volksbüchereiwesen für den Kriegsdienst vereinnahmt wurde. Wenn man davon ausgeht, dass die NS-Regierung dem Kriegsdienst alles unterordnete, kann angenommen werden, dass auch das Volksbüchereiwesen davon nicht unberührt blieb und zunehmend in den Dienst der Volksgemeinschaft gestellt wurde. Angesichts der Macht, die Bücher in der Gesellschaft haben, und ihrer Funktion als Informationsquelle, kann davon ausgegangen werden, dass sie auch gezielt für Kriegspropaganda und Volksmobilisierung verwendet wurden. Diese Arbeit untersucht die These, dass sich die Zeitschrift ‚Die Bücherei‘ ab 1939 von einer theoretischen Legitimierung des Krieges hin zu einer praktischen Mobilisierung der Volksbüchereien für die Kriegsführung wandelte – mit dem Ziel, Bibliotheken als aktive Instrumente der NS-Propaganda und psychologischen Kriegsvorbereitung zu positionieren.
1.2 Forschungsbericht
Die Nationalsozialisten passten die Bibliothekspolitik ab 1933 und verstärkt ab Kriegsbeginn 1939 an die Erfordernisse des Krieges an. Wie Dr. Christine Koch feststellt, sollten die Volksbüchereien als Teil der inneren Landesverteidigung dienen, doch Zensur und Bestandslenkung führten zu einem Attraktivitätsverlust, da die Nachfrage nach Unterhaltungsliteratur nicht gedeckt werden konnte. Gleichzeitig mussten sich wissenschaftliche Bibliotheken stärker an den Bedürfnissen von Militär und Wirtschaft orientieren. Koch betont, dass die Zerstörung von Bibliotheken und Buchbeständen während des Krieges viele propagandistische Ziele zunichtemachte. Thauer und Vodosek beschreiben, wie das Volksbüchereiwesen ab 1939 vollständig in den Dienst der Kriegspropaganda gestellt wurde, wobei Ministerien wie das Reichserziehungsministerium und das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda die Unentbehrlichkeit der Bibliotheken betonten. Die Zensurmaßnahmen wurden an kriegspolitische Erfordernisse angepasst, was Engpässe bei der Literaturversorgung verschärfte. Während des Krieges übernahmen Volksbüchereien, wie Thauer und Vodosek darlegen, Sonderaufgaben wie die Literaturversorgung von Lazaretten und die Betreuung von Soldaten an der Front. Trotz Zerstörungen durch Bombenangriffe und Papiermangel versuchte man, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Untersuchungen zur Hitlerjugend haben gezeigt, dass die NS-Propaganda gezielt darauf abzielte, Jugendliche durch die Darstellung des Krieges als 'Abenteuer' zu mobilisieren und ihre Opferbereitschaft zu stärken. Diese Strategie manifestierte sich insbesondere in der gezielten Lenkung der Jugendliteratur. Die Forschung thematisiert vor allem die enge Verknüpfung der Bibliothekspolitik mit den kriegspolitischen Zielen des NS-Regimes und hebt die Spannungsfelder zwischen propagandistischem Anspruch, Zensurmaßnahmen und den praktischen Herausforderungen der Literaturversorgung hervor. Neben der Frage, wie diese Realität konkret ausgestaltet war, gilt es insbesondere zu untersuchen, wie die Zeitschrift die Bücherei und deren Rolle im Krieg definierte. Diese Analyse bildet den zentralen Schlusspunkt der vorliegenden Untersuchung. Gerade hier zeigt sich eine Forschungslücke, die weitere Untersuchungen erfordert – insbesondere zur Deutungsmacht von Bibliotheken in kriegerischen Kontexten.
1.3 Quellenbericht
Die Quellenanalyse der Jahrgänge 1939 und 1940 der Zeitschrift 'Die Bücherei' bildet den Hauptteil dieser Hausarbeit. Der Fokus liegt auf Aufsätzen, die eine Auseinandersetzung mit der Kriegsgegenwart erkennen lassen, insbesondere auf Texten, die die Rolle des Volksbüchereiwesens im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg thematisieren. Besonderes Augenmerk gilt dabei Aufsätzen wie bspw. Friedrich von Cochenhausens 'Wehrerziehung und Schrifttum' (1939) und Willy Pfeiffers 'Aktualität und Aktivität in der Volksbücherei' (1940), die die ideologische Ausrichtung des Bibliothekswesens im Krieg verdeutlichen. Grundlage der Analyse sind die Jahrgänge 1939 und 1940 der Zeitschrift. Diese Eingrenzung dient dazu, das Thema überschaubar zu halten. Der Fokus liegt dabei nicht auf der Reaktion auf einzelne Kriegsereignisse, sondern auf der allgemeinen Ausrichtung des Volksbüchereiwesens im Kontext des Kriegsbeginns und der ideologischen Mobilisierung. Dafür werden innerhalb dieser Jahrgänge alle Kategorien auf Beiträge untersucht, die sich mit der Rolle des Volksbüchereiwesens im Krieg befassen. Besonders berücksichtigt wird die Kategorie 'Aufsätze', da diese den Bibliothekaren Raum gibt, ihre eigene Meinung zu äußern und Themen zu setzen, im Gegensatz zu den sachlichen Kategorien wie 'Amtliche Erlass' oder 'Mitteilungen', die auf offizielle Quellen beschränkt sind. Die 'Aufsätze' bieten daher einen besseren Einblick in die ideologische Ausrichtung und die Rolle des Bibliothekswesens im Krieg. Die Untersuchung folgt einer themenzentrierten Textanalyse, bei der die Beiträge mit den Leitfragen zur Rolle der Bibliothek im Krieg und ihrem Einfluss durch den Krieg ausgewertet werden.
2. Die Bücherei mobilisiert mit
Im Hauptteil dieser Hausarbeit werden Beiträge der Zeitschrift 'Die Bücherei' analysiert, die in der Zeit unmittelbar vor und nach dem Kriegseintritt der Alliierten veröffentlicht wurden. Diese Phase war geprägt von der Anpassung des Bibliothekswesens an die neuen kriegsbedingten Anforderungen. Die letzten drei Ausgaben des Jahres 1939, die nach dem deutschen Angriff auf Polen erschienen, bieten wertvolle Einblicke in die unmittelbaren Reaktionen des Bibliothekswesens auf den Kriegsausbruch. Zunächst wird jedoch ein Blick auf die früheren Hefte des Jahrgangs 1939 geworfen, um zu untersuchen, wie das bereits vollständig ideologisierte Volksbibliothekswesen die NS-Bevölkerung auf den Krieg vorbereitete und welche Rolle die Zeitschrift dabei spielte.
2.1 Programmatische Weichenstellung
Mit dem ersten Beitrag des Jahrgangs 1939 setzte 'Die Bücherei' einen programmatischen Ton für das Volksbibliothekswesen im nationalsozialistischen Deutschland. Verfasst von Karl Taupitz, betont der Aufsatz die ideologische Funktion der Büchereien und grenzt sich bspw. scharf von der zuvor verbreiteten Bücherhallenbewegung ab. Diese wird als zu liberal und unpolitisch kritisiert:
„Auf seinen Leser darf verzichtet werden, alle sollen in liberalster Weise alles, was an Schrifttum der Nationen vorliegt und die Gegenwart erfüllt und beschäftigt, erhalten können. Man will nur eins nicht: Man will nicht politisch sein! Die Literaturauswahl soll ‚tendenzlos‘ sein. Daß man damit auch eine politische Haltung verkörpert, merkt man nicht.“1
Die Vorstellung einer neutralen oder unpolitischen Bibliothek wird damit grundsätzlich zurückgewiesen. Stattdessen wird die nationalsozialistische Neuausrichtung des Bibliothekswesens als notwendige und überfällige Entwicklung dargestellt: „Erst die nationalsozialistische Revolution schuf die Voraussetzungen, auf Grund deren dem gesamten Büchereiwesen die Stelle im Lebensprozeß unseres Volkes zugewiesen werden kann, die ihm zusteht.“2 Die Bücherei sei daher kein neutraler Wissensspeicher, sondern ein Instrument der ideologischen Formung, das aktiv zur Erhaltung und Gestaltung der deutschen Volksgemeinschaft beizutragen habe.3 Damit wird bereits in der ersten Ausgabe des Jahres 1939 deutlich, dass das Volksbibliothekswesen nicht nur als Begleiter der nationalsozialistischen Kulturpolitik fungierte, sondern vielmehr als aktives Werkzeug zur Vermittlung und Durchsetzung der NS-Ideologie begriffen wurde. Diese Zielsetzung stand jedoch vor allem nach Kriegsbeginn im Widerspruch zur gelebten Praxis: Volksbüchereien sollten als Teil der inneren Landesverteidigung erhalten bleiben, erlitten jedoch durch Zensur und Bestandslenkung einen Attraktivitätsverlust, wie Dr. Christine Koch feststellt:
„Die Diskrepanz zwischen Literaturangebot und -nachfrage, die bis Kriegsende bestehen blieb, wie auch die Zerstörung zahlreicher Bibliotheksgebäude, machte das von den Nationalsozialisten bereits 1933 anvisierte Ziel, die öffentlichen Büchereien zur ideologischen Durchdringung des deutschen Volkes zu nutzen, zunichte.“4
Unterhaltungsliteratur, die als zunehmend wichtig galt, konnte nicht ausreichend angeboten werden, was den Verlust an Attraktivität weiter verstärkte. Auch wissenschaftliche Bibliotheken mussten sich stärker an den Bedürfnissen von Militär und Wirtschaft orientieren, was den ideologischen Auftrag weiter verschob. Gleichzeitig waren die massiven Zerstörungen von Bibliotheken und Buchbeständen durch Bombenangriffe und andere kriegsbedingte Faktoren nach Kriegsende ein weiterer schwerwiegender Rückschlag für die propagandistischen Ziele des NS-Regimes.
2.2 Militarisierung des Diskurses: Wehrerziehung und Schrifttum
In diesem Kontext der ideologischen Ausrichtung des Bibliothekswesens ist es besonders bemerkenswert, dass im Sommer 1939 ausgerechnet ein Militär in Gestalt von General Friedrich von Cochenhausen nur wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die ersten Worte im sechsten Heft der Zeitschrift erhält. Diese Tatsache könnte darauf hindeuten, dass die Zeitschrift zunehmend eine militärische Perspektive einnahm, um den Kampfgeist der deutschen Bevölkerung im Hinblick auf die bevorstehende Auseinandersetzung im Zweiten Weltkrieg zu wecken, und der Titel seines Aufsatzes lässt ebendies schon vermuten.
Durch den Eröffnungsaufsatz 'Wehrerziehung und Schrifttum'5 von General der Flieger Friedrich von Cochenhausen nimmt 'Die Bücherei' im sechsten Heft des Jahrgangs 1939 eine dezidiert militärische Perspektive auf die Rolle des Schrifttums in der nationalsozialistischen Erziehungsarbeit ein. Gleich zu Beginn verweist Cochenhausen auf Gerhard von Scharnhorst, den preußischen Militärreformer, der in der Armee eine lebendige Gemeinschaft sah, getragen von Aufopferungsfähigkeit, Initiative und einer Disziplin, die auf Freiwilligkeit beruhte.6 Diese historische Referenz dient ihm als Ausgangspunkt für eine umfassende Darstellung der Wehrerziehung als fundamentalen Bestandteil der nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung. Er zeichnet das Bild einer Wehrmacht, die durch den Liberalismus und die Vernachlässigung der Wehrpflicht im 19. und frühen 20. Jahrhundert geschwächt worden sei. Die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 wird als notwendige Maßnahme zur Wiederherstellung einer auf fester Disziplin und soldatischem Geist aufgebauten Streitmacht dargestellt, die sich gegen die 'hochgerüsteten Feinde in West und Ost' behaupten müsse.7 Dabei hebt er hervor, dass ein junger Soldat nur dann echte Begeisterung für seinen Beruf entwickeln könne, wenn er mit der Geschichte der deutschen Heeresführung und den großen Feldherren vertraut sei. „Für diese Erziehungsarbeit muß das Gedankengut bereitgestellt und vorbereitet werden“8, betont Cochenhausen und sieht das Wehrschrifttum als zentrales Medium zur Formung eines kriegsbereiten Volks. In diesem Zusammenhang unterstreicht er die Rolle des Schrifttums nicht nur als Werkzeug zur Vermittlung von Wehrgeschichte und soldatischer Tradition, sondern auch als Rahmen der geistigen Mobilmachung. Die Literatur müsse die Bedeutung der Volksgemeinschaft im Krieg verdeutlichen und jedem Leser bewusst machen, „daß jeder an seiner Stelle einen verantwortlichen Platz in dem großen, alles umfassenden Apparat der Landesverteidigung einnimmt“9. Dabei warnt er jedoch vor „hurrapatriotischen“10 und realitätsfernen Darstellungen des Krieges, die er als wenig nützlich ansieht. Die Wehrerziehung müsse sich stattdessen auf eine sachliche und ideologisch geschulte Literatur stützen, die in Wehrmacht, Partei und Schule gleichermaßen verbreitet werde. In einer nationalsozialistischen Diktatur, in der Krieg und patriotische Begeisterung stark propagiert wurden, ist es bemerkenswert, dass ein hoher Militär solch eine mahnende Haltung gegenüber übermäßiger Kriegsbegeisterung einnimmt, anstatt diese noch weiter zu schüren. Doch trotz dieser Warnung bleibt die generelle Ausrichtung von Cochenhausen im Einklang mit der nationalsozialistischen Kriegsrhetorik, die den Fokus auf Disziplin, Opferbereitschaft und eine ideologisch geführte Mobilmachung legte, was zeigt, dass seine Kritik an 'hurrapatriotischen' Darstellungen eher die Form, nicht jedoch die Zielrichtung der Kriegspropaganda betraf. Abschließend betont Cochenhausen die Verantwortung des gesamten Verlags- und Bibliothekswesens für die militärische Erziehung. Er fordert, dass das gesamte deutsche Schrifttum – nicht nur ausdrücklich militärische Werke – einen Beitrag zur „unerschütterlichen, zum Äußersten verschworenen Gemeinschaft“11 leisten müsse, um die großen Herausforderungen der Zukunft unter Führung Hitlers zu meistern. Auch Thauer und Vodosek beschreiben, wie die Arbeit der Volksbüchereien ab 1939 vollständig in den Dienst der Kriegspropaganda gestellt wurde. Sie betonen, dass die Zensurmaßnahmen „auf die jeweilige kriegspolitische Situation angepasst“12 wurden, was besonders im Umgang mit der Literatur der Kriegsgegner deutlich wurde:
„Nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22.6.41 kehrte man zur alten Verbotspraxis zurück und verschärfte sie zusätzlich. Generell wurde die Literatur der Feindmächte zunehmend restriktiv behandelt, wodurch sich der Engpaß, der bei der gehobenen Unterhaltungsliteratur ohnehin bestand, noch weiter verschärfte.“13
Diese Forderung spiegelt wider, wie das Bibliothekswesen ab 1939 vollständig in den Dienst der Kriegspropaganda gestellt wurde. Cochenhausens Aufsatz ist ein Beispiel für die zunehmende Militarisierung des öffentlichen Diskurses im Nationalsozialismus und verdeutlicht, wie das Schrifttum zur Vorbereitung auf den Krieg genutzt wurde, was sich im weiteren Kriegsverlauf nur zuspitzte.
2.3 Totaler Einsatz: Forderung nach „Aktualität und Aktivität“
Der Fokus auf die gezielte Erziehung des Volkes zu Opferbereitschaft im Sinne der Volksgemeinschaft prägt auch der pfälzische Hauptmann Willy Pfeiffer in seinem Aufsatz 'Aktualität und Aktivität in der Volksbücherei'14. Pfeiffer beschreibt die Bibliotheken jedoch nicht als Träger des Wehrschrifttums, sondern als zentrale Instrumente der politischen und ideologischen Formung. Pfeiffer definiert Aktualität im Volksbibliothekswesen als ein Prinzip, das „untrennbar mit der politischen Zielsetzung aller Büchereiarbeit verbunden“15 sei – eine Entwicklung, die spätestens mit der Verstaatlichung von Büchereistellen 1936 an Ordnung und Struktur gewann. Die Büchereien müssten sich, so Pfeiffer, am größtmöglichen Erfolg für die „Gestaltung und Volkwerdung der Deutschen“16 orientieren. Damit stellt er klar, dass der gesamte Bibliotheksbetrieb in den Dienst der Volksgemeinschaft zu stellen sei. Eine Vielfalt an Welt- und Lebensanschauungen lehnt er ab, da sie unweigerlich zur „Auflösung und Zerstörung der Gemeinschaft und damit auch zum Untergang des Einzelnen“17 führen müsse – antipluralistische NS-Doktrin in Reinform. Auffällig ist Pfeiffers ambivalente Haltung gegenüber der Unterhaltungsliteratur. Zwar erkennt er an, dass die sogenannte „Aktualitätsflucht“18 – heute wohl eher als 'Eskapismus' zu bezeichnen – eine Herausforderung für die ideologische Lenkung des Lesens darstellt, doch ein striktes Verbot hält er für unrealistisch. Eine Bekämpfung dieser Tendenz könne sich leicht gegen die Volksbücherei selbst richten. Wie bereits in Kapitel 2.1 erwähnt, sollte aber genau diese Zensur gegen Belletristik zu Engpässen im Literaturbestand führen. Dennoch bleibt das politische Prinzip hier oberste Maxime: „Es dürfte außer allem Zweifel stehen, daß eine Neuerscheinung nicht aufgenommen wird, wenn ihr Inhalt mit der Politik der Bücherei nicht vereinbar ist.“19 So konnten bestimmte Bücher, etwa 'Vom Winde verweht', gezielt aus dem Bestand deutscher Volksbüchereien herausgehalten werden, obwohl der Titel einer der beliebtesten der späten 1930er Jahre war. Um diese Eingriffe zu legitimieren, schlägt er vor, ein periodisches Mitteilungsblatt einzuführen, das die Leser darüber aufklären solle, warum bestimmte Bücher nicht erhältlich seien. Dies sei einerseits Mittel, um die Aktualitätsflucht in die richtigen Bahnen zu lenken.20 Andererseits sollte dies den Eindruck erwecken, dass die Zensur im Interesse der Volksgemeinschaft erfolgt.
Besonders deutlich wird Pfeiffers propagandistische Ausrichtung, wenn er die Aufgabe der Volksbücherei als direkte politische Propagandaarbeit beschreibt. Er bezeichnet sie als „bis heute vielleicht noch zu wenig beachtete Aufgabe“21 und fordert eine stärkere Einbindung in die ideologische Formung des Volkes: „Zweifellos hat die Volksbücherei hier einen ihr zukommenden wichtigen Wirkungsbereich zu erkennen.“22 Diese Aufgabe solle „letzten Endes völkische Entscheidungen geschichtlichen Ausmaßes vorbereiten und den Einsatz der Gesamtheit des Volkes stärken helfen“.23 Diese Vorbereitung auf den Krieg zieht sich durch den gesamten Text. Pfeiffer spricht explizit von „Vorbereitungsarbeit“24 und betont, dass die Volksbüchereien rasch und zielgerichtet aktuelle Literatur beschaffen und einsetzen müssten. Propaganda müsse dabei als legitimes und notwendiges Mittel verstanden werden: „Das Wort Propaganda muß in der Volksbücherei jeder Voreingenommenheit entkleidet werden.“25 Er geht sogar so weit zu sagen, dass die Bibliotheken einen direkten Beitrag zur Kriegsvorbereitung leisten sollten:
„Wenn es darum geht, dreieinhalb Millionen Deutsche in das Reich zurückzuführen und unter Umständen dabei letzter Einsatz gefordert werden muß, dann wird die Bücherei ihren höchsten Stolz darin erblicken dürfen, diesen Einsatz mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln beistärkster Propagierung innerhalb ihres Raumes gefestigt geholfen zu haben.“26
Damit plädiert Pfeiffer für eine totale Anpassung des Bibliothekswesens an die Dynamik des Nationalsozialismus. Die Volksbüchereien sollten nicht nur ideologisch geschultes Personal haben, sondern auch organisatorisch flexibel und effizient agieren: „Bei diesem Einsatz wird die Bücherei größte Schnelligkeit und Beweglichkeit entwickeln müssen.“27 Er schlägt vor, im Haushaltsbudget der Büchereien eigene Mittel für Propagandaliteratur zu reservieren und 15–20 % des Budgets für politische Broschüren einzuplanen.
Abschließend erweitert Pfeiffer den Begriff der Aktualität auch auf innenpolitische Themen. Hier nennt er etwa den Vierjahresplan, also die Transformation zu einer deutschen Kriegswirtschaft, als Beispiel für eine Dauerfrage, die kontinuierlich propagandistisch begleitet werden müsse. Die Bibliothekare hätten daher keine rein verwaltende Funktion, sondern seien „politische Kämpfer des Großdeutschen Reiches“28, die aktiv an der ideologischen Lenkung des Volkes mitzuwirken hätten.
Die Aufsätze von Pfeiffer und Cochenhausen verdeutlichen, wie das Bibliothekswesen im Nationalsozialismus gezielt zur Kriegsvorbereitung eingesetzt wurde. Während Pfeiffer die Verbreitung von Propagandaliteratur forderte, betrachtete Cochenhausen das Schrifttum als Mittel zur Wehrertüchtigung und geistigen Mobilmachung.
3. Das erste Kriegsjahr aus Sicht des Volksbibliothekswesens
3.1 Reaktion auf den Kriegsausbruch
Mit der Veröffentlichung des 9. Heftes im Jahrgang 1939 reflektierte die Zeitschrift 'Die Bücherei' den Beginn des Zweiten Weltkriegs und die damit verbundenen Anforderungen an das Bibliothekswesen. In den ersten Kriegsmonaten musste sich das Volksbibliothekswesen schnell an die neuen kriegsbedingten Anforderungen anpassen. Die folgenden Ausgaben der Zeitschrift propagierten die Rolle der Bibliotheken als aktive Stützen der nationalsozialistischen Kriegs- und Ideologiepolitik.
Heiligenstaedts Einleitungstext29 im ersten Heft nach Kriegsausbruch zeichnet ein Bild eines Deutschlands, das sich nicht nur im Verteidigungskrieg sieht, sondern diesen als Teil einer größeren historischen Mission begreift: „Zu einem Kriege gezwungen […] baut das deutsche Volk […] auf die unüberwindliche Tapferkeit seines Heeres, bereit, alles zu tragen und zu wagen, um seiner gerechten Sache den Sieg zu sichern“30. Er stilisiert den Krieg als notwendigen Kampf für eine neue politische Ordnung und legitimiert ihn mit der vermeintlichen Selbstbestimmung der Völker, was ihn eng an die Ideen des Nationalsozialismus bindet. Die Volksbüchereien werden in diesem Kontext nicht nur als Bewahrer geistiger Werte beschrieben, sondern als zentrale Institutionen zur Aufrechterhaltung der „seelischen und volkhaften Kräfte“31, was ihre propagandistische Funktion unterstreicht. Die direkte Ansprache an die Bibliothekare als Teil einer nationalen Gemeinschaft unterstreicht die Erwartung, dass sie ihren Beitrag zur Inneren Front leisten – ein Narrativ, das im Jahrgang von 1940 in verstärkter Weise vorangetrieben werden wird. Die feierliche Sprache und der Appell an Opferbereitschaft gipfeln in einer offenen Führerverherrlichung, die den politischen Charakter des Textes unmissverständlich macht.
Walter Abendroths Beitrag 'Die Volksbüchereien und die Innere Front'32 (Heft 11) konkretisiert die Aufgaben der Bibliotheken im Krieg und führt die Linie Heiligenstaedts weiter. Während Heiligenstaedt die Bibliotheken allgemein als Stützen beschreibt, betont Abendroth ihre Rolle als direkte „Stützpunkte [...] zur Stärkung der Inneren Front“33. Die Verwendung solcher Schlagworte wie bspw. 'Innere Front' und 'Innere Landesverteidigung' sind typisch für NS-Propaganda war und auch die Zeitschrift bedient sich dieser Rhetorik, um die Dringlichkeit und Bedeutung der Volksgemeinschaft aufzuladen. Die Bibliotheken sollten gezielt entweder zur politischen Willensbildung oder Ablenkung genutzt werden, wobei Abendroth im Kontext der Unterhaltungsliteratur besonders der Einsatz von Broschüren betont34 – ein Konzept, das in Form von Tagesbroschüren, etwa nach den Ideen Willy Pfeiffers, nun umgesetzt wurde. Abendroth betont, dass sich 'Die Bücherei' in Form und Inhalt vollständig den kriegsbedingten Anforderungen anpassen müsse. Neben praktischen Arbeitsmitteln und Fachaufsätzen wird auch die propagandistische Funktion der Büchereien hervorgehoben, insbesondere in den 'befreiten Gebieten' von Polen und Tschechien – in NS-Terminologie Warschau, Böhmen und Mähren, wo sie nach der gewaltsamen Besetzung neu etabliert wurden. Diese Anpassung zeigt sich auch in der nationalsozialistischen Bibliographie, die gezielt Schrifttum zur politischen und militärischen Lage empfiehlt. Besonders hervorgehoben werden Werke, die die Legitimität des deutschen Expansionskrieges als 'Lebensraum'-Erweriterung vermitteln oder generell Bücher zur Wehrmacht. Auch die ideologische Ausrichtung der Volksbüchereien wird geschärft: Franz Schriewers Vorstellung einer Bücherei, die nicht mehr individuell-bildend, sondern völkisch-politisch geprägt ist, wird in Abendroths Argumentation konsequent weitergeführt.
Damit wird deutlich, dass die Zeitschrift schon im Ausklang ihres Jahrgangs die Marschrichtung vorgab. Bibliotheken sollten nicht nur an der 'Inneren Front', sondern auch zur Festigung der NS-Ideologie im besetzten Europa eine zentrale Rolle spielen.
3.2 Der Jahrgang 1940
Der Jahrgang 7 der Zeitschrift aus dem Jahr 1940 steht im Mittelpunkt dieses Abschnitts. Das Thema 'Aufbauarbeit von Volksbüchereien' spielte zu dieser Zeit eine zentrale Rolle, wobei verschiedene Regionen vergleichend betrachtet werden, was interessante Vergleiche nach sich ziehen kann. Die Berichte zeigen, wie die bibliothekarische Arbeit trotz des Krieges fortgesetzt wurde, teils mit staatlicher und militärischer Unterstützung, teils durch lokale Initiativen. Außerdem bieten auch die behandelten Themen des Grenzbüchereidienstes und der Kriegsbücher für die Jugend spannende Einblicke in die bibliothekarische Arbeit.
3.2.1 Bibliothekarische Praxis im Krieg
Die Berichte der Volksbibliothekare verdeutlichen, dass der Krieg nicht als Hindernis für den Ausbau der Büchereien gesehen wurde, sondern im Gegenteil als Anlass, ihre Bedeutung zu unterstreichen. Besonders im Saarland wurde frühzeitig darauf geachtet, Buchbestände zu sichern. Dr. Walther Koch beschreibt in seinem Bericht zur Aufbauarbeit im Saarland , wie er die Bücher „einen Stockwerk tiefer in die Bunker“35 verlegte, um sie sowohl vor der Zerstörung zu bewahren als auch einer „kriegswichtigen Verwendung“36 zuzuführen. Seine Darstellung der Kriegsumstände weist eine kognitive Dissonanz auf, die fast satirisch wirkt. Ein Beispiel hierfür sind die humorvoll anmutenden Schilderungen des Lebens an der Front:
„Es war schon mitunter ein tolles Leben da draußen, das die gewohnten bibliothekarischen Ordnungsarbeiten in der angenehmsten Weise unterbrach! In den ersten Wochen konnte man in den Wetterwinkeln des Vorfeldes vor dem Westwall fast jedesmal Ohrenzeuge lebhafter Artillerietätigkeit oder Augenzeuge von Fliegerkämpfen sein“37
Doch dann folgt die Schilderung der Zerstörung durch die Feinde, die als weitaus schlimmer und grausamer dargestellt wird. Die 'Kulturnation', so wird es beschrieben, habe in ihren besetzten Gebieten 'sinnlos zerstört' und alles „von unten nach oben gekehrt und besudelt“38. Dieser Kontrast dient der Beschönigung der eigenen Rolle und der Dämonisierung des Gegners. Die Strategie erinnert an Goebbels Propagandamethoden, wie sie später nach der Bombardierung Dresdens eingesetzt wurden. Hierbei wird die Zerstörung von Bibliotheken und Kulturstätten im besetzten Gebiet als eine Manifestation der 'Wilden' dargestellt, während das eigene Handeln als verantwortungsvoll und kultiviert präsentiert wird. Auch Harden-Rauch beschreibt die Kriegszustände in Baden vorort und hebt hervor, dass selbst in Orten „im direkten Schussfeld des Gegners“39 die Büchereien nicht nur weitergeführt, sondern gezielt für die Soldaten nutzbar gemacht wurden; er führt dies aber nicht weiter aus. Auch Willy Pfeiffer hebt die gestiegene Bedeutung von Volksbüchereien in der Pfalz hervor und verweist auf die finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite. Die Vorgaben von Ministerien und der Gauleitung sicherten nicht nur die Finanzierung, sondern verstärkten auch die Kontrolle über das Schrifttum, was sich in den festgelegten Buchgruppen widerspiegelt, die in beiden behandelten Jahrgängen in den Bücherverzeichnissen zu finden sind. Während Walther Koch im Saarland eine Mischung aus Unterhaltung, Nationalsozialismus und Weltkriegsliteratur als notwendig erachtete, berichtet Dr. Ludwig Langenfeld in Trier im Zuge des Bestandsaufbaus von einer engen Zusammenarbeit mit der NSDAP, um gezielt Soldaten- und Schülerbüchereien aufzubauen. Diese Koordination zeigt sich auch in Harden-Rauchs abschließendem Appell: „Jeder Gemeinde ihre Volksbücherei!“40 – ein Leitsatz, der selbst unter den Bedingungen des Krieges als oberstes Ziel bestehen blieb.
3.2.2 Expansion in besetzten Gebieten
Auch in den besetzten Gebieten diente das Bibliothekswesen als politischer Hebel, um die NS-Weltanschauung zu verankern und konkurrierende kulturelle Einflüsse zu unterdrücken.
In seiner Ansprache bei der Eröffnung der neuen Stadtbücherei in Chomutov, die gleichzeitig der Einführungsaufsatz von Heft 11 ist, betonte Gauhauptmann Dr. Anton Kreißl am 14. September 1940 die Bedeutung des Ausbaus des Volksbüchereiwesens als wesentlichen Bestandteil der Erziehung zum NS. Im Sudetengau sei dieses System besonders effektiv, da hier jede Gemeinde ihre eigene Bücherei habe, was andernorts im Reich nicht in diesem Maß verwirklicht werden konnte.41 Kreißl kritisiert die damals vorherrschende tschechische Strategie, durch das Volksbüchereiwesen einen neuen Typus von Deutschen zu schaffen, der sich vom 'Muttervolk' abkapseln solle, wie es etwa in der Schweiz geschehen sein soll. Er stellt aber fest, dass man diesem Versuch aktiv Widerstand geleistet habe.42 Trotz des Verbots von NS-Literatur in der Tschechoslowakei versuchten die Deutschen, durch die Büchereiarbeit „zur Erhaltung, Vertiefung und Stärkung des Volkstums“43 beizutragen. Im Zuge der gegenwärtigen Aufgaben des Volksbibliothekswesens erwähnt er die Bücherspende in Form der Rosenbergsammlung für die Wehrmacht und die Einrichtung von Lazarettbüchereien, was die enge Verbindung zwischen Front und Heimat unterstrich.44. Kreißls Ausführungen verdeutlichen, dass das Volksbüchereiwesen im Sudetengau durch seine flächendeckende Struktur besonders effektiv für die NS-Ideologie genutzt werden konnte, bereits vor der Annexion gezielt auf eine völkisch-deutsche Ausrichtung hingearbeitet wurde und sich im Krieg durch Maßnahmen wie die Rosenbergsammlung direkt in die Unterstützung der Wehrmacht einfügte. Diese reichsweite Spendenaktion dürfte die umfassendste konkrete Maßnahme des Bibliothekswesens zur Kriegsunterstützung sein – und ist damit ein zentraler Beleg für die praktische Involvierung des Berufsstands in die NS-Kriegsführung. Während das Volksbüchereiwesen im Reich zur ideologischen Festigung und Unterstützung der Kriegsführung diente, übernahm es auch im Grenzbüchereidienst eine wichtige Funktion, insbesondere im Kontext der Inneren Front.
Auch der Grenzbüchereidienst erhält in Heft 9 einen Einleitungsartikel – ein Hinweis auf die wachsende Bedeutung dieses Themas. Wilhelm Scheffen beschreibt den langjährigen Einsatz des deutschen Buches im Grenzkampf und betont, dass die Erweiterung des Reichsgebiets nach 1938 auch eine Ausweitung des Bibliothekswesens bedeutete45 – was im Umkehrschluss bedeutet: mehr Bibliotheken auf deutschem Boden, mehr Arbeit und größere Möglichkeiten für das Büchereiwesen. Die NS-Führung nutzte die Expansion des Bibliothekswesens, um das eroberte Gebiet ideologisch zu durchdringen und zu festigen. Gleichzeitig wurde die bibliothekarische Arbeit auf das gesamte Reich ausgedehnt, um die 'geistig-seelischen Widerstandskräfte' der Bevölkerung zu stärken. Bernhard Payr, Leiter des Hauptamt Schrifttum in Rosenberg, formulierte dies als erste Aufgabe im Krieg: Die Volksbüchereien sollten zur politischen Willensbildung beitragen, weltanschauliche Erziehung fördern und die Bevölkerung mit der 'notwendigen Wissensgrundlage' ausstatten, um ein sicheres Urteil im 'Schicksalskampf' zu ermöglichen.46 Payr fasst die Aufgaben des Volksbibliothekswesens in vier Bereiche zusammen: Stärkung der Inneren Front, Gründung einer Schriftenreihe der NSDAP, Tätigkeit der Ausstellungsabteilung und die Herausgabe kriegswichtiger Kataloge. Diese Einordnung zeigt nur abermals, wie sehr sich das Bibliothekswesen von einer Bildungsinstitution zu einem mobilisierten Propagandaapparat der NS-Kriegsführung gewandelt hatte.
Einen zusätzlichen Aufgabenbereich sieht der Leipziger Bibliothekar Gustav Dröscher in seinem Aufsatz 'Der politische Einsatz des kolonialen Schrifttums'47, der den deutschen Volksbüchereien eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung kolonialpolitischer Literatur andichtet. Da es kaum noch lebende Kolonialpioniere gebe, müsse die Bibliothek das koloniale Schrifttum vermitteln, um das Bewusstsein für Deutschlands „Recht auf Kolonien“48 zu schärfen. Das Thema Kolonialismus war im NS eng mit der Lebensraum-Ideologie verbunden und wie bereits bei Abendroth in Kapitel 3.1 herausgearbeitet, diente die Betonung dieser Thematik dazu, dem deutschen Volk sein vermeintliches Recht auf Expansion zu vermitteln. Bei Betrachtung der Jahrgänge bis einschließlich 1940 zeigt sich, dass das deutsche Kolonialwesen zwar in Berichten und Verzeichnissen regelmäßig erwähnt wurde, jedoch kaum eigene Aufsätze erhielt. Dröschers Appell lässt sich also auch vermutlich als interner Aufruf an die Zeitschrift verstehen, dieses Thema stärker zu behandeln. Doch auch im folgenden Jahrgang blieb eine intensivere Auseinandersetzung aus. Ein Blick auf die reale Umsetzung der Literaturvermittlung wäre an dieser Stelle aufschlussreich, würde jedoch den Rahmen sprengen. Stattdessen soll nun ein weiterer Aspekt betrachtet werden, der in der Zeitschrift thematisiert wurde: das gesteigerte Lesebedürfnis der Jugend im Krieg und die gezielte Lenkung ihrer Lektüre.
3.2.3 Kriegsinteresse der Jugend
Die Einbindung von Kriegspropaganda zeigte insbesondere in der Jugendausleihe früh Wirkung. Irene Graebsch beschreibt, dass nach dem Polenfeldzug ein starkes Lesebedürfnis bei Kindern und Jugendlichen einsetzte, insbesondere für Bücher über Kriegsschauplätze, Luftwaffe und Kriegsmarine. Die Jugendbüchereien verzeichneten im vergangenen Kriegswinter von 1939 einen außergewöhnlichen Anstieg der Nutzung: „Daß die Jugendbüchereien während des vergangenen Kriegswinters einen Zuspruch hatten, der über den normalen Anstieg der winterlichen Lesezeit bei weitem herausging, ist eine Erfahrung, die an vielen Orten gemacht wurde“49. Besonders nach dem Polenfeldzug entwickelte sich bei Kindern und Jugendlichen ein ausgeprägtes Lesebedürfnis, das sich vor allem auf kriegsbezogene Themen richtete. Bücher über Kriegsschauplätze, die Luftwaffe und die Kriegsmarine waren besonders gefragt, wobei das Interesse zunehmend auf reale Details des Krieges gelenkt wurde: „aber nun richtete sich das allgemeine Interesse […] auf besondere Einzelheiten des Krieges oder der Kriegstechnik“50. Die Diskrepanz zwischen dem propagierten Kriegsbild und den tatsächlichen Leseinteressen ist auffällig: Während die offizielle Jugenderziehung den Konflikt bewusst als heroisches Abenteuer inszenierte, zeigt die konkrete Nachfrage nach militärtechnischen Inhalten ein eher sachliches Interesse der Jugendlichen – was auf die begrenzte Steuerbarkeit jugendlicher Lesebedürfnisse trotz ideologischer Lenkung hindeutet. Bereits Zehn- bis Zwölfjährige äußerten nach Graebsch einen dringenden Wunsch nach entsprechender Literatur, etwa nach dem Buch 'In Ost und West – Wir stehen fest', das „sehr begehrt bei der Jugend“51 war. Dieses Interesse wurde gezielt genutzt, indem die Reihe 'Kriegsbücherei der deutschen Jugend' ins Leben gerufen wurde, die mit größtem Erfolg verbreitet wurde, so Graebsch.52 Um die Nachfrage zu bedienen und das Interesse wachzuhalten, galt die Vorsorge für den nächsten Winter als „eine selbstverständliche Forderung für alle Jugendbüchereien“53. Der Verbreitung von NS-Literatur innerhalb der deutschen Jugend widmet die Zeitschrift 'Die Bücherei' im Jahrgang 1940 mit „Neue Jugendbücher“ ein eigenes Verzeichnis, in dem v.a. Literatur zum Thema Krieg und Volkstum vorgeschlagen wird. Diese gezielte Steuerung des Leseverhaltens verdeutlicht, wie das Regime selbst spontane Jugendinteressen in sein Propagandasystem integrieren und büchereiorganisatorisch absichern wollte – ganz im Sinne des Aktualitätsprinzips von Pfeiffer.
4. Fazit
Die Analyse bestätigt die zentrale These dieser Arbeit: Mit Kriegsbeginn 1939 wandelte sich die Funktion der Zeitschrift 'Die Bücherei' grundlegend. Stand zuvor die theoretische Legitimierung des Krieges im Vordergrund, so wurde nun seine praktische Umsetzung durch das Volksbüchereiwesen zum zentralen Anliegen. Dieser Funktionswandel manifestierte sich auf mehreren Ebenen.
Zum einen militarisierte sich der bibliothekarische Diskurs deutlich. Anstelle abstrakter NS-Geschichtsdeutungen traten nun konkrete Handlungsanweisungen, wie etwa Cochenhausens Forderungen nach Wehrschrifttum oder Pfeiffers Umdeutung des Begriffs „Aktualität“ zum Propagandainstrument. Zum anderen wurden die Bibliotheken selbst aktiv in Besatzungspolitik, Jugendlenkung und die sogenannte „Innere Front“ eingebunden – sie sollten nicht länger bloße Bildungsstätten, sondern kriegswichtige Einrichtungen sein.
Doch gerade dieser totale Mobilisierungsanspruch offenbarte die systemischen Grenzen nationalsozialistischer Steuerung. Während die Zeitschrift die Büchereien als unverzichtbare „Kriegswaffen“ inszenierte, führten Zensurmaßnahmen und Literaturknappheit paradoxerweise zum Gegenteil: einem deutlichen Attraktivitätsverlust. Diese Diskrepanz zwischen propagandistischem Anspruch und institutioneller Realität markiert vielleicht die wichtigste Erkenntnis dieser Untersuchung. Künftige Forschungen könnten die Jahre 1941-1944 in den Blick nehmen, um zu analysieren, wie die Büchereien auf die Kriegswende reagierten - etwa ob sich unter dem Eindruck militärischer Niederlagen der propagandistische Duktus der Zeitschrift veränderte.
5. Literaturverzeichnis
5.1 Quellen
Die Bücherei. Zeitschrift für deutsche Schrifttumspflege. Leipzig, Jg. 6 (1939) – Jg. 7 (1940).
5.2 Forschungsliteratur
Koch, Christine: Das Bibliothekswesen im Nationalsozialismus. Eine Forschungsstandanalyse anhand der Fachliteratur. Stuttgart: Tectum Verlag 2003.
Thauer, Wolfgang / Vodosek, Peter: Geschichte der öffentlichen Bücherei in Deutschland. 2., erw. Aufl. Wiesbaden: Harrassowitz 1990.
[...]
1 Taupitz, Karl: Über den Begriff der Volksbücherei. In: Die Bücherei 6 (1939), H.1, S. 1-8, hier S. 4.
2 Ebd., S. 5.
3 Vgl. ebd.
4 Koch, Christine (2003): Das Bibliothekswesen im Nationalsozialismus. Eine Forschungsstandanalyse anhand der Fachliteratur. Tectum Verlag, Stuttgart, S. 22.
5 Cochenhausen, Friedrich von: Wehrerziehung und Schrifttum. In: Die Bücherei 6 (1939), H.6, S. 347-354.
6 Vgl. ebd., S. 347.
7 Vgl. ebd., S. 349.
8 Ebd., S. 350.
9 Ebd. S. 353.
10 Ebd. S. 351.
11 Ebd. S. 353.
12 Thauer, W., & Vodosek, P. (1990): Geschichte der öffentlichen Bücherei in Deutschland (2., erw. Aufl.). Harrassowitz. S. 154.
13 Ebd.
14 Pfeiffer, Willy: Aktualität und Aktivität in der Volksbücherei. In: Die Bücherei 6 (1939), H.7, S. 428-436
15 Ebd., S. 428
16 Ebd.
17 Ebd., S. 430.
18 Ebd., S. 431.
19 Ebd., S. 431.
20 Vgl. ebd., S. 432.
21 Ebd., S. 434.
22 Ebd.
23 Ebd.
24 Ebd.
25 Ebd.
26 Ebd. S. 434-435.
27 Ebd., S. 345.
28 Ebd., S. 436.
29 Heiligenstaedt, Fritz: [Ohne Titel]. In: Die Bücherei 6 (1939), H.9, S. 499.
30 Ebd.
31 Ebd.
32 Abendroth, Walter: Die Volksbüchereien und die Innere Front. In: Die Bücherei 6 (1939), H.11, S. 569-571.
33 Ebd., S. 569.
34 Vgl. ebd., S. 570.
35 Koch, Walther: Wie Büchereien im Saarland sichergestellt wurden. In: Die Bücherei 7 (1940), H.6, S. 170-175, hier S. 170.
36 Ebd., S. 172.
37 Koch, Walther: Wie Büchereien im Saaland sichergestellt wurden. In: Die Bücherei 7 (1940), H.6, S. 170-175, hier S. 174
38 Ebd.
39 Harden-Rauch, Philipp: Die Aufbauarbeit im ersten Kriegsjahr in Baden. In: Die Bücherei 7 (1940), H.6, S. 176-178, hier S. 176
40 Ebd., S. 178
41 Vgl. Kreißl, Anton: Bedeutung und Aufgaben der öffentlichen Büchereien an der Volkstumsgrenze. In: Die Bücherei 7 (1940), H.11, S. 325-329, hier S. 326.
42 Vgl. ebd.
43 Ebd., S. 327.
44 Vgl. ebd., S. 329.
45 Vgl. Scheffen, Wilhelm. Zwanzig Jahre Grenzbüchereidienst. In: Die Büchrei 7 (1940), H.9, S. 257-263, hier S. 261.
46 Vgl. Payr, Bernhard: Das Amt Schrifttumspflege. In: Die Bücherei 7 (1940), H.7, S. 217-221, hier S. 220
47 Dröscher, Gustav: Der politische Einsatz des kolonialen Schrifttums. In: Die Bücherei 7 (1940), H.1, S. 31-34.
48 Ebd., S. 32.
49 Graebsch, Irene. Aus der Praxis der Jugendausleihe im Kriege. In: Die Bücherei 7 (1940), H.9 S. 274-276, hier S. 274
50 Ebd.
51 Ebd., S. 275.
52 Vgl. ebd.
53 Ebd., S. 276.
- Quote paper
- Dennis Münnich (Author), 2025, Die Bücherei im Zweiten Weltkrieg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1611434