Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung mit Problemstellung
2. Grundlagen der Untersuchung
2.1 Stand der Berufspädagogik in der betrieblichen Berufsausbildung
2.2 Berufsbild Kaufmann/Kauffrau für Versicherungen und Finanzen
2.3 Das Versicherungsunternehmen als Ausbildender
2.4 Abschlussprüfung
2.4.1 Sinn und Zweck von Abschlussprüfungen
2.4.2 Abschlussprüfung im Berufsbild Kaufmann/Kauffrau für Versicherungen und Finanzen
2.4.3 schriftliche Abschlussprüfung im Berufsbild Kaufmann/Kauffrau für Versicherungen und Finanzen
2.5 Vorbereitung auf die Abschlussprüfung
2.5.1 Sinn und Zweck von Vorbereitungen auf die schriftliche Abschlussprüfung
2.5.2 Möglichkeiten und Formen der Vorbereitung auf die schriftliche Abschlussprüfung
2.5.3 Thesen zur Wirkung ausgewählter Formen zur Vorbereitung auf die schriftliche Abschlussprüfung
3. Untersuchung der Wirkung von Prüfungsvorbereitungsmaßnahmen auf schriftliche Prüfungsergebnisse
3.1 Grundlagen der Forschung im Bezug auf den Untersuchungsgegenstand
3.1.1 Pädagogische Forschung
3.1.2 Begriff der quantitativen und qualitativen Forschung
3.1.3 Verbindung qualitativer und quantitativer Forschung
3.1.4 Ausgewählte Methoden
3.1.5 Vor- und Nachteile der ausgewählten Methoden
3.1.6 Gütekriterien der qualitativen und quantitativen Forschung
3.2 Entwicklung und Fortgang des Forschungsvorhabens (Projekt)
3.2.1 Planung des Forschungsvorhabens
3.2.2 Durchführung des Forschungsvorhabens
3.2.3 Auswertungen des Forschungsvorhabens
3.3 Ergebnisse der Untersuchung
3.3.1 Quantitative Ergebnisse
3.3.2 Qualitative Ergebnisse
4. Bedeutung der Untersuchungsergebnisse
4.1 Abgleich der Untersuchungsergebnisse mit den Wirkungsthesen
4.1.1 Abgleich der quantitativen Ergebnisse mit den Wirkungsthesen
4.1.2 Abgleich der qualitativen Ergebnisse mit den Wirkungsthesen
4.2 Schlussfolgerungen aus den Untersuchungsergebnissen
4.3 Empfehlungen zur Gestaltung von Vorbereitungsmaßnahmen auf schriftliche Prüfungen
5. Wirtschaftliche Aspekte
6. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Gesetzes-/Verordnungsverzeichnis
Linkverzeichnis
Anhang
Anhang A – Zeitplan des Projektes
Anhang B –Ergebnisse der simulierten schriftlichen Abschlussprüfung
Anhang C – Leitfaden zum fokussierten Interview
Anhang D – Transkriptionsregeln
Anhang E – Codierung der Transkripte
Anhang F – Auswertung der kodierten Transkripte (Klassierung und Thesenbildung)
Anhang F.1 – Selbstlerngruppe
Anhang F.2 – Unterrichtsgruppe
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Spezialdisziplinen der Pädagogik
Abbildung 2: Berufsausbildung und Prüfungsvorbereitung im System der betrieblichen Bildungsarbeit
Abbildung 3: Merkmale des formellen/informellen Lernens
Abbildung 4: Anordnung von Lerntheorien
Abbildung 5: Aktivitätsbezogener Behaltensgrad von Wissen
Abbildung 6: Methoden des Selbstlernens
Abbildung 7: Merkmale von Begleitung vs. Beratung
Abbildung 8: Pro und contra Frontalunterricht
Abbildung 9: Struktur der Ausbildung KVF
Abbildung 10: Struktur und Organisation der Ausbildung
Abbildung 11: Ausbildungsnetzwerke
Abbildung 12: Funktionen von Abschlussprüfungen
Abbildung 13: Modell der vollständigen Handlung
Abbildung 14: Gliederung der KVF-Abschlussprüfung
Abbildung 15: Aufgabengewichtung WISO
Abbildung 16: Inhalte Versicherungswirtschaft und Leistungsmanagement
Abbildung 17: Theorieausprägungen der geisteswissenschaftlichen Pädagogik
Abbildung 18: Teildisziplinen der Berufsbildungsforschung
Abbildung 19: Vor- und Nachteile des Experiments
Abbildung 20: Vor- und Nachteile des fokussierten Interviews
Abbildung 21: Gütekriterien quantitativer Forschung
Abbildung 22: Arten der Validität
Abbildung 23: Fehlertypen der Validität bei qualitativer Forschung
Abbildung 24: Statistische Ergebnisse des Experiments
Abbildung 25: Wechselseitige Abhängigkeit von Variablen
Abbildung 26: Qualitative Kernaussagen
Abbildung 27: BIBB-Modell der Ausbildungs-Kostenarten als Vollkostenrechnung
Abbildung 28: Akzeptanz der Anzahl von Skalenstufen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung mit Problemstellung
Fortschreitende Globalisierung, wachsende Einflüsse der Informations- und Kommunikationstechnologie, zunehmender Dienstleistungscharakter von Arbeit nach außen und insbesondere nach innen sowie verstärkte Lern- und Prozessorientierung moderner Arbeitsorganisationen kennzeichnen in dieser Zeit einen Übergang der Industriegesellschaft hin zu einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft. Dies führt zu Aufgabenintegrationen von Fertigungs- und Dienstleitungsfunktionen wodurch Arbeitsabläufe in Hinsicht auf Aufgabenumfang und –bearbeitung beeinflusst werden und somit in einer ganzheitlichen Facharbeit münden. Für Unternehmen werden also über den Großteil der Belegschaft hinweg Kompetenzen erforderlich, die gewährleisten, dass diese neuen Herausforderungen bewältigt werden können. (vgl. Dehnbostel 2007a, 17f.; vgl. Dehnbostel/Pätzold 2004, 19) Unter Kompetenzen „…sind Fähigkeiten, Methoden, Wissen, Einstellungen und Werte zu verstehen, deren Erwerb, Entwicklung und Verwendung sich auf die gesamte Lebenszeit eines Menschen bezieht. Sie sind an das Subjekt und seine Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln gebunden.“ (Gillen/Dehnbostel 2007, 460)
Die Ansicht, dass die duale Ausbildung, der Beruflichkeit folgend, untrennbar mit der Industriegesellschaft verbunden und somit, genauso wie die Industriegesellschaft selbst, veraltet sei, kann unter dem Hintergrund des anhaltenden Erfolgs der dualen Ausbildung, insbesondere im Hinblick auf ihre Funktionen der Qualifikation, sozialen Integration sowie Arbeitsmarktrelevanz nicht aufrechterhalten werden. Gleichwohl befinden sich die Berufe, bedingt durch den skizzierten Übergang von der Industrie- zur Wissens- und Dienstleitungsgesellschaft, in einer momentan besonders intensiven gesellschaftlich-kulturellen Entwicklung. Hierdurch ist auch eine notwendige Modernisierung der Berufsausbildung begründet. (vgl. Dehnbostel 2010, 3; vgl. Fauler 2009a) Auszubildende sollen durch die Berufsausbildung umfassende Handlungskompetenz und reflexive Handlungsfähigkeit erwerben und so an Souveränität gewinnen. (vgl. Zimmer 2009, 22-23; vgl. Holthausen 206, 83) Die berufliche Handlungskompetenz stellt sich dar „…als Einheit aus den drei Hauptkompetenzen Fach-, Personal- und Sozialkompetenz, die als Voraussetzung für Methoden- und Lernkompetenz verstanden werden.“ (Thillosen 2005, 15; anders z. B.: s. Erpenbeck/Rosenstiel 2007, XXIV) Der Begriff Reflexivität „…meint … die bewusste, kritische und verantwortliche Einschätzung und Bewertung von Handlungen auf der Basis von Erfahrungen und Wissen.“ (Gillen/Dehnbostel 2007, 461) Als Symbiose hieraus zeigt Reflexive Handlungsfähigkeit „…das Vermögen an, durch Reflexion vorgegebene Situationen, Anforderungen und Probleme aus einer gewissen Distanz zum unmittelbaren Arbeitsgeschehen zu erfassen, zu deuten und in handlungsorientierter Absicht zu bewerten.“ (Dehnbostel/Lindemann 2007, 182) Hintergrund dessen ist ein durch die aufkommende Wissens- und Dienstleitungsgesellschaft begründetes Abrücken von einer lebenslangen Berufsausübung hin zum Erwerb des Vermögens, sich an nicht genau prognostizierbare Entwicklungen der Arbeitswelt anpassen zu können. (vgl. Buckert/Kluge 2006, 14; vgl. Dehnbostel 2009, 199) Damit Auszubildende Erfahrungen sammeln können (vgl. Thillosen 2005, 13), die Voraussetzung für den Erwerb einer umfassenden Handlungskompetenz und reflexiven Handlungsfähigkeit sind, ist es notwendig, diesen gewisse Freiheiten im Lernprozess einzuräumen, sprich ihnen die Voraussetzungen für ein aufgabenorientiertes, ganzheitliches, selbst gesteuertes Lernen zu bieten. (vgl. Käppeli 2001, 117; vgl. Zimmer 2009, 33; vgl. Dehnbostel 1996, 62-63) Diese manifestieren sich in den Ausbildungsbedingungen und -infrastrukturen, der Lernbegleitung und den Ausbildungsmethoden/Lernformen. (vgl. Dehnbostel 2008, 6-7) Lernen soll hierbei begriffen sein als „…eine relativ überdauernde Veränderung von Fähigkeiten und Fertigkeiten durch (Konfrontation mit) Erfahrung…“ (Becker 2005, 83; vgl. auch Mertens 2008, 102) Dies erfordert das Verständnis von Lernen als Prozess und Resultat der aktiven Beschäftigung des erkennenden und handelnden Menschen mit seinem äußeren Wirkungskreis. (vgl. Gudjons 2006, 29)
Teilweise über die bereits aufgezeigten Auswirkungen der Megatrends hinaus, liefern
- neuere Ergebnisse der Kognitionspsychologie und die Berücksichtigung des Konstruktivismus
- entscheidende Veränderungen in den Bedingungen, unter denen junge Menschen heute aufwachsen, welche eine gewandelte Kulturaneignung zur Folge haben (z. B. Medienkultur, veränderte Zugangsmöglichkeiten zu Informationen, Handlungsarmut) sowie
- gegenwärtig gravierende Veränderungsprozesse der Gesellschaft,
weitere Argumente für eine methodische Umorientierung zur Gestaltung von Lernmethoden. (vgl. Gudjons 2006, 26)
Die duale Ausbildung endet mit dem Bestehen der Abschlussprüfung, die somit ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung ist. Die Abschlussprüfung beinhaltet immer einen schriftlichen Teil. Hierauf bereiten viele Unternehmen ihre Auszubildende vor. Eine Vorbereitung auf die schriftliche Abschlussprüfung ist gut im Prozess der Ausbildung zu isolieren. Außerdem sind ihr bereits vielfältige Lerngelegenheiten vorangegangen. Das macht sie zu einem besonders interessanten Untersuchungsgegenstand im Hinblick auf verschiedene Lernmethoden bzw. Prüfungsvorbereitungsmethoden. Um verschiedene Wirkungsweisen von Methoden zur Vorbereitung auf die schriftliche Abschlussprüfung untersuchen zu können, ist ein Zugang in die Empirie erforderlich. Dieser wird vorliegend von einem Versicherungsunternehmen geliefert. Eine Berücksichtigung der ‚Lerngewohnheiten’, die von der Organisation beeinflusst sind, erscheint notwendig:
Bei dem Versicherungeunternehmen nehmen Auszubildende neben der Berufsschule an einem Innerbetrieblichen Unterricht mit einem Umfang von 500 Unterrichtseinheiten (á 45 Minuten) teil. Darüber hinaus finanziert das Versicherungsunternehmen einen externen Prüfungsvorbereitungskurs beim Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV). Hausintern erfolgt zusätzlich eine Zwischen- und Abschlussprüfungsvorbereitung in Form von Unterricht/Repetitorien. Insgesamt ergibt sich also eine stark schulisch ausgerichtete Begleitung der Auszubildenden hin zur schriftlichen Prüfung. Die praktische Ausbildung findet in Fachabteilungen sowie im Außendienst statt. Hinsichtlich des enormen traditionellen Unterrichtsanteils (Frontalunterricht, Unterrichtsgespräch, Gruppenunterricht, Partnerarbeit, Alleinarbeit), (vgl. Bonz 2006, 333f.) wobei der Schwerpunkt auf dem Frontalunterricht liegt, stellt sich auch für das Versicherungsunternehmen die Frage, ob andere Methoden besser wirken als der traditionelle Frontalunterricht.
Dies soll an dem gut heraus lösbaren Element der internen Prüfungsvorbereitung untersucht werden. Hinzu kommt, dass traditioneller Frontalunterricht einer starken, mannigfaltigen Kritik unterliegt, so z. B. dass er auf einem didaktischen Kurzschluss basiere, undemokratisch sei, sich an einem imaginären Durchschnittsschüler, den es überhaupt nicht gibt, orientiere, Selbstverantwortung im Lernen verhindere, Lernen im Gleichschritt vermittle, eine rezeptive und passive Lernhaltung fördere und schließlich überwiegend Überwachungs- und Kontrollbedürfnisse der Lehrenden diene, (vgl. Gudjons 2006, 91) was einen entsprechenden Handlungsbedarf zur Überprüfung dessen Wirkung im Vergleich mit der Wirkung alternativer Vorbereitungsmethoden deutlich macht.
Aus Rücksicht auf den Umfang dieser Arbeit sei lediglich eine weitere Methode zum Vergleich mit dem gesetzten, da bisher praktizierten, traditionellen Frontalunterricht herangezogen. Hierzu bietet sich ein begleiteter Selbstlernprozess an, da sich, wie bereits ausführlich dargestellt, zukunftsorientierte Ausbildung u. a. dadurch auszeichnet, dass sie fachliche und fachübergreifende Kompetenzen für das Ziel der beruflichen Handlungsfähigkeit auf der Grundlage des selbstständigen Weiterlernens verbindet. Dem trägt eine einseitige Orientierung auf Input, ein instruktives und kognitiv dominiertes Lernen nicht Rechnung. (vgl. Dehnbostel 2007, 153f.; vgl. Dehnbostel 2005, 7-10; vgl. Arnold 1996, 2 und 12)
Vorliegend soll also untersucht werden, wie sich die Prüfungsvorbereitung in Form eines begleiteten Selbstlernprozesses im Gegensatz zur bisherigen Prüfungsvorbereitungsmethode in den Prüfungsergebnissen der Auszubildenden auswirkt und welche Ursachen dies hat. Ziel ist es auch zunächst in einem geschützten Raum zu erproben, welche Prüfungsvorbereitungsmethode auf welche Weise wirkt, bevor eine Entscheidung dazu getroffen wird, wie künftig die Auszubildenden des Versicherungsunternehmens auf die Abschlussprüfung vorbereitet werden sollen.
Zum Vergleich dieser beiden Lehrmethoden/Abschlussprüfungsvorbereitungsmethoden hinsichtlich ihrer Wirkung auf schriftliche Abschlussprüfungsergebnisse soll ein Experiment, also eine quantitative empirische Untersuchung durchgeführt werden. (vgl. Klauer 2005, 14 ff.) Um Erklärungsansätze für Ursachen möglicher differierender Erfolge in der simulierten Abschlussprüfung bei den Probandengruppen zu gewinnen, schließt sich eine qualitative Untersuchung in Form von fokussierten Interviews an.
Um das Ziel dieser Arbeit zu erreichen, werden zunächst berufs- und arbeitspädagogische Gesichtspunkte betrachtet, wobei auch eine Verortung der Thematik in den wissenschaftlichen Kontext der Betrieblichen Bildungsarbeit erfolgt. Das Berufsbild „Kaufmann/Kauffrau für Versicherungen und Finanzen“ wird näher beleuchtet sowie der Sinn und Zweck von Abschlussprüfungen erörtert als auch Möglichkeiten und Notwendigkeiten aufgezeigt, Auszubildende hierauf vorzubereiten. Auch das VU, das die Empirie für das Forschungsvorhaben liefert, wird als Ausbildende kurz vorgestellt. Auf dieser Grundlage fußt dann eine kurze Analyse pädagogischer Forschungsmethoden als Basis für die Anlage des konkreten Forschungsvorhabens. Dieses wird anschließend in seiner Planung, Durchführung und Auswertung dokumentiert, bevor die Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt werden. Danach erfolgt eine kritische Diskussion zur Bedeutung der Untersuchungsergebnisse, um so zu einer Empfehlung für eine Prüfungsvorbereitungsgestaltung zu gelangen. Darauf folgend werden auch wirtschaftliche Aspekte gewürdigt, die bei unternehmerischen Entscheidungen, zu denen auch die Frage der Prüfungsvorbereitungsgestaltung gehört, eine wesentliche Rolle spielen. Letztlich bietet die Schlussbetrachtung eine Zusammenfassung im Hinblick auf das Ziel der zugrunde liegenden Arbeit.
2. Grundlagen der Untersuchung
2.1 Stand der Berufspädagogik in der betrieblichen Berufsausbildung
Als Spezialdisziplin der Pädagogik positioniert sich die Berufspädagogik, auf der diese Arbeit basiert. Einen Überblick zur Verortung der verschiedenen berufsbezogenen Spezialdisziplinen der Pädagogik bietet Abbildung 1:
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Abbildung 1: Spezialdisziplinen der Pädagogik (vgl. Arnold 1996, 14)
Die durch ein Unternehmen durchgeführte oder initiierte Vorbereitung auf eine schriftliche Abschlussprüfung im Rahmen der Berufsausbildung ist der betrieblichen Bildungsarbeit zuzuordnen, denn unter „… betrieblicher Bildungsarbeit sind prinzipiell alle Trainings-, Qualifizierungs- und Berufsbildungsmaßnahmen zu verstehen, die unmittelbar im Unternehmen stattfinden oder von diesem durchgeführt, veranlasst oder verantwortet werden. Den Kern der betrieblichen Bildungsarbeit stellt die berufliche Aus- und Weiterbildung dar, die in wesentlichen Teilen mit dem Bildungs- und Berufsbildungssystem verbunden und verschränkt ist.“ (Dehnbostel 2010, 2) Die Aufgabenvielfalt der Betrieblichen Bildungsarbeit kann in verschiedene Teilbereiche aufgegliedert werden. Eine ihrer wichtigsten Dimensionen ist, wie bereits angeklungen, die Berufsausbildung. Sie „…umfasst alle zielgerichteten, systematisch und methodisch geplanten, realisierten und evaluierten Maßnahmen der Ausbildung im Beruf“, (Becker 2005, 163) also auch Prüfungsvorbereitungsmaßnahmen. Wie sich die Berufsausbildung und die damit verbundene Prüfungsvorbereitung im Gesamtsystem der Betrieblichen Bildungsarbeit einordnet und welche Zusammenhänge dort bestehen, zeigt folgende Abbildung:
Abbildung 2: Berufsausbildung und Prüfungsvorbereitung im System der Betrieblichen Bildungsarbeit (angelehnt an Dehnbostel 2008, 5 und Ruschel 2008, 7-12)
Die Berufsausbildung wird hier als ein Teilbereich der Berufsbildung verstanden, die wiederum Bestandteil der Betrieblichen Bildungsarbeit ist. Anders als nach Becker (vgl. Becker 2005, 163) wird die Berufsbildung in dieser Arbeit als ein neben der PE gleichberechtigter Teilbereich aufgefasst.
„Lernen zeichnet sich heute dadurch aus, dass Antworten auf Probleme durch die Auszubildenden … selbst analysiert und gefunden werden.“ (Holthausen 2006, 83) Dabei ist Lernen nicht schlicht machbar. (vgl. Bontruo/Pulte 2001, 218) Fraglich ist also, wie überhaupt gelernt wird. Dafür kann man zunächst eine bipolare Unterscheidung in formelles und informelles Lernen treffen, wobei das informelle Lernen weder organisiert noch geplant wird. Es geschieht, ohne es von Beginn an bezweckt zu haben. Im Gegensatz dazu ist formelles Lernen sehr wohl geplant und organisiert und auch absichtlich auf ein Lernergebnis gerichtet. (vgl. Dehnbostel 2010, 38) Eine differenzierte Betrachtung des formellen und informellen Lernens bietet Abbildung 3:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Merkmale des formellen/informellen Lernens (Dehnbostel 2010, 41)
Rein informelles Lernen scheidet für Prüfungsvorbereitungsmaßnahmen naturgemäß aus, da diese aufgrund ihres Wesens nicht zufällig passiert und sehr wohl ein konkretes Ziel verfolgt. Mischformen sind jedoch grundsätzlich denkbar.
Von der lerntheoretischen Seite her betrachtet, kann man im Wesentlichen die instruktivistische und die konstruktivistische Lerntheorie unterscheiden (vgl. Käppeli 2001, 136), die sich vor allem im Aktivitätsgrad des Lernenden differenzieren. Während der Lernende im Instruktivismus eher als passives Objekt angesehen wird, so fasst ihn der Konstruktivismus als aktiv lernenden Menschen auf. (vgl. Mertens 2008, 103) Bontrup/Pulte führen an, dass passives Zuhören Langeweile beim Lernenden auslöst, wohingegen besser gelernt wird, wenn der Lernende die Gelegenheit hat, Informationen selbst zusammen zu tragen und Probleme eigenständig zu überwinden, anstatt Wissen lediglich vorzutragen und zu repetieren. (vgl. Bontrup/Pulte 2001, 225) Auch Schuster spricht sich für einen höheren Aktivitätsgrad von Lernenden aus, indem er konstatiert, dass bloßes Üben und Wiederholen bei der Informationsaufnahme fast keine Wirkung erzielt, während die Wiedergabe und das Abrufen der Informationen eine viel einprägsamere Wirkung hat. (vgl. Schuster 2001, 33f.) Küppers führt an, dass ein hoher Eigenaktivitätsanteil der Lernenden in Lernsituationen das Beobachtungs- und Wahrnehmungsvermögen fördert. (vgl. Küppers 2001, 315)
Dies scheint auf den ersten Blick dafür zu sprechen, die Prüfungsvorbereitung ausschließlich konstruktivistisch auszurichten. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass Wissen die Basis für Kompetenzen und damit für ihre Entwicklung bildet. (vgl. Bergmann 2000, 21) Empirisch belegt ist gerade dem Instruktivismus, dass er für die Vermittlung von Faktenwissen gut geeignet ist. Er kann insofern als sinnvolle Vorbereitung auf einen konstruktivistischen Ansatz verstanden werden, der dann besonders für kompetenzförderliche Lernprozesse angebracht ist. (vgl. Käppelin 2001, 136-151; vgl. Bergmann 2000, 23)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Anordnung von Lerntheorien
(Fauler 2009, 9)
Die vorstehende Abbildung stellt dar, dass durch eine Wissensbasis, die mit Hilfe des Instruktivismus vermittelt werden kann, ein konstruktivistischer Ausbildungsansatz aufgesetzt wird, mittels dessen die Bereitstellung von Erfahrungsmöglichkeiten erfolgt, die dann zum Ziel der umfassenden Handlungskompetenz führt. (vgl. Thillosen 2005, 13). Dafür ist ein freiheitsgeleiteter Lernprozess erforderlich, etwa ein aufgabenorientiertes, ganzheitliches, selbst gesteuertes Lernen. (vgl. Käppeli 2001, 117; vgl. Zimmer 2009, 33; vgl. Dehnbostel 1996, 62-63) In den Bedingungen und der Infrastruktur der Ausbildung, der Begleitung des Lernens sowie die Lernformen/-methoden manifestiert sich dies. (vgl. Dehnbostel 2008, 6-7)
Geht es in einer Prüfung ausschließlich um Faktenwissen, so scheint der instruktivistische Ansatz auch alleine als geeignet, um Auszubildende darauf vorzubereiten. Allerdings ist ausschließlich mit dem Instruktivismus und den damit verbundenen herkömmlichen Ausbildungsmethoden das Ziel der umfassenden Handlungskompetenz, deren Notwendigkeit in der Einleitung dargelegt wurde, nicht zu erreichen. (vgl. Buckert/ Kluge 2006, 13) Auch Wissen zu behalten, so verweist Ott, ist von unterschiedlichen Aktivitäten, die eben auch verschieden starke Aktivitätsniveaus implizieren, abhängig:
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Abbildung 5: Aktivitätsbezogener Behaltensgrad von Wissen (vgl. Ott 2007, 16f.)
Dies deutet wiederum darauf hin, dass es gerade nicht angeraten ist, Wissen und Können über konventionelle Lehr- und Instruktionsmethoden zu vermitteln; stattdessen sollte u. a. nach Ansicht von Dehnbostel zum Selbstlernen bzw. weitgehend selbstständigen und selbst gesteuerten Lernen übergegangen werden, das mit der Zielsetzung der Handlungsorientierung und Kompetenzentwicklung ohnehin in den Mittelpunkt der betrieblichen Bildungsarbeit gerückt sei. (vgl. Dehnbostel 2007, 155; vgl. Ott 1996, 22; vgl. Ott 2007, 140; vgl. Arnold 1996, 13)
Aber was genau ist eigentlich unter selbst gesteuertem Lernen zu verstehen? Der allgemeinere Begriff des Selbstlernens bedeutet nach Ruschel, dass das Lernen in der aktiven Auseinandersetzung des Lernenden mit einem Lerngegenstand stattfindet, wobei kein Lehrender benötigt wird. Dabei kommt Selbstlernen als eine Form des selbstständigen aktiven Wissens- und Könnenserwerbs insbesondere den Lernenden entgegen, da durch sie das Tempo und der Umfang des Lernens im Hinblick auf ihren persönlichen Lerntyp abgestimmt werden kann. Um dabei erfolgreich zu sein, sind folgende Voraussetzungen notwendig (vgl. Ruschel 2008, 235-236):
- Lernende müssen zum selbstständigen Lernen fähig und motiviert sein
- Lernende verfügen über geeignete und Erfolg versprechende Lerntechniken
- Es sind die erforderlichen Lernmittel und Lerngelegenheiten gegeben
- Der Selbstlerner muss bewusst gesteuert, kontrolliert und bewertet werden.
Mit der durch Ruschel angeführten letzten Voraussetzung widerspricht er sich insofern selbst, dass er einerseits anführt, dass kein Lehrender für das Selbstlernen erforderlich sei und andererseits angibt, dass der Selbstlerner bewusst gesteuert, kontrolliert und bewertet werden muss. Möglicherweise stützt er sich dabei auf Spitzfindigkeiten in den Begrifflichkeiten, indem er die Person, die diese Aufgabe übernimmt eben nicht als Lehrenden bezeichnet. Deutlich wird aber, dass er keineswegs ein völlig autonomes Lernen meint. Mögliche Methoden des Selbstlernens stellt die folgende Abbildung dar:
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Abbildung 6: Methoden des Selbstlernens (vgl. Ruschel 2008, 236)
Unter diesem allgemein gehaltenen Oberbegriff des Selbstlernens subsumieren sich u. a. die Begriffe des selbst gesteuerten Lernens und des selbst organisierten Lernens, die hier entgegen der Auffassung von Gudjons nicht als Synonyme, (vgl. Gudjons 2008, 30) sondern als Begriffe mit einer jeweils eigenen Ausprägung des Selbstlernens verstanden werden: Der Begriff des selbst gesteuerten Lernens deutet an, dass Lernprozesse vom Lernenden selbstständig und selbst bestimmt gesteuert werden, was wesentliche Entscheidungen über Ziele, Inhalte, Durchführung und Bewertung des Lernens umfasst oder beeinflusst. Dies betrifft auch Hilfsmittel, Methoden und Instrumente zur Lernregulierung. Allerdings ist dabei ein Handlungsrahmen gegeben, der die Lernsituation strukturell einordnet; dies wird gerade nicht durch den Lernenden organisiert und definiert. D. h. selbst gesteuertes Lernen stellt kein autonomes Lernen, sondern die Auswahl und Bestimmung von Lernmöglichkeiten und –wegen durch Einzelne oder Gruppen von Lernenden dar. Somit findet ein formell angelehntes, selbst gesteuertes Lernen statt. (vgl. Dehnbostel 2007, 155f.; vgl. Dehnbostel 2010, 50) In Abgrenzung zum selbst gesteuerten Lernen werden beim selbst organisierten Lernen von den Lernenden auch institutionelle und organisatorische Rahmenbedingungen des Lernens festgelegt und sind gerade nicht von außen determiniert. (vgl. Dehnbostel 2010, 50)
Lindemann postuliert, dass Selbstständigkeit beim Lernen in der Berufsausbildung nur dann zu verantworten sei, wenn das Selbstlernen immer wieder durch korrektes Expertenwissens kontrolliert würde. (vgl. Lindemann 2007, 24) Nach Gudjons setzt selbst gesteuertes Lernen voraus, dass Lernende über Wissen, wie man lernt, also über Lernstrategien und –techniken, verfügen, für deren Erwerb sie im Vorfeld eines Selbstlernprozesses und währenddessen qualifiziert werden müssten. (vgl. Gugjons 2008, 30f.) Mit einer empirischen Untersuchung belegt Mandel, dass eine Lernbegleitung, getragen von Unterstützungsmaßnahmen, um eine Überforderung der Lernenden zu vermeiden, angeraten ist. (vgl. Bontrup/Pulte 2001, 219)
Insgesamt ist damit eine veränderte Rolle des Lehrenden impliziert. Diese neue Rolle definiert sich offensichtlich in der Begleitung oder Beratung der Lernenden in ihren Lernprozessen. Zunächst ist also die Unterscheidung der Begriffe Begleitung und Beratung vorzunehmen: Während der Begleitungsbegriff von Anfang an auf ‚Hilfe zur Selbsthilfe’, Reflexion und Selbstständigkeit im Rahmen eines längerfristig angelegten kontinuierlichen Prozesses gerichtet ist, weist eine Beratung einen eher eingeschränkten Verlauf auf uns stellt sich punktuell dar. (vgl. Dehnbostel 2010, 103) In Abbildung 7 werden die Merkmale der Begleitung und Beratung im Lernprozess gegenübergestellt.
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Abbildung 7: Merkmale von Begleitung vs. Beratung (Dehnbostel 2010, 108)
Die Beratung stellt den komplexeren Begriff dar, der viele Differenzierungen aufweist und die Begleitung oft subsumiert. Eine konzeptionelle Verbindung von Beratung und Begleitung ist dabei möglich. (vgl. Dehnbostel 2010, 102f.) Demnach hat der Ausbilder vor allem die Funktion, die Selbstlernkompetenz der Lernenden zu stärken, sowie das Gelernte mit den Lernenden zu reflektieren und einzuordnen als auch über einzuschlagende Lernwege im Hinblick auf Prüfungen zu unterstützen. In einer selbst gesteuerten Lerngruppe tritt der Ausbilder erst dann in Aktion, wenn er gefragt wird oder wenn er feststellt, dass die Aufgaben oder Gruppenkonflikte nicht selbstständig von der Gruppe gelöst werden können; darüber hinaus vereinbart er mit der Gruppe oder mit einzelnen Lernenden feste Zeitpunkte, zu denen er sich mit der Gruppe zusammen setzt. (vgl. Dehnbostel 2007, 155 – 159)
Es wird also deutlich, dass Voraussetzung dafür, dass auch tatsächlich eine Begleitung oder Beratung zustande kommt oder gar ein selbst gesteuertes Lernen stattfinden kann, insbesondere in der Person des Ausbilders begründet liegt. Speziell muss vom Ausbilder sein neues Rollenverständnis erlernt werden. (vgl. Dehnbostel 2008, 7-8; vgl. Becker 2005, 180-181; vgl. Noß 2000, 79-80; vgl. Straka 1996, 61; vgl. Thillosen 2005, 33-35) Wer als Ausbilder bestellt werden kann, ist im BBiG geregelt. (vgl. §§ 14, 28, 29 BBiG, § 30 BBiG i. V. m. § 2 AEVO) Neben der persönlichen und fachlichen Eignung hat der Ausbilder seit 1. August 2009 auch wieder die berufs- und arbeitspädagogische Eignung nachzuweisen. Hierunter fällt u. a. die Kompetenz des Ausbilders, „selbstständiges Lernen in berufstypischen Arbeits- und Geschäftsprozessen handlungsorientiert zu fördern.“ (§ 3 Abs. 3 AEVO) Dies deutet darauf hin, dass Ausbilder, die künftig die Ausbildung der Ausbilder nach dieser neuen AEVO absolvieren, eine entsprechende Qualifizierung erhalten. Ob dies entgegen der Befürchtung von Becker ausreicht, um den Ausbildern die notwendigen Kompetenzen zu vermitteln, wird sich schlicht im Zeitverlauf zeigen. (vgl. Becker 2005, 180-181) Schwerwiegender ist der Umstand, dass der derzeit tätige Kreis an Ausbildern gerade nicht nach dieser neuen AEVO ausgebildet wurde. Weiterhin gibt es mannigfaltige Ausnahmen, die den Nachweis der berufs- und arbeitspädagogischen Kenntnisse auf andere Weise als der AEVO-Prüfung ermöglichen. (vgl. §§ 6, 7 AEVO) Darüber hinaus ist eine Vielzahl weiterer Personen, wie beispielsweise Ausbildungsbeauftragte, an der Berufsausbildung beteiligt, die auch künftig nicht die berufs- und arbeitspädagogische Eignung nach der AEVO nachweisen müssen. (vgl. Becker 2005, 181)
Berücksichtigt man, dass das Ausbildungspersonal durch ihre eigene Bildungsbiographie, die, je weiter sie zurückreicht, i. d. R. eben nicht auf der für ein selbstgesteuertes Lernen stehenden Rahmenbedingungen und Auffassungen basieren, in ihren Grundhaltungen geprägt sind, wird deutlich, dass es sinnvoll ist, sie entsprechend zu sensibilisieren. (vgl. Käppeli 2001, 30-31) Demzufolge ist es als entscheidende Voraussetzung für die Sicherstellung eines selbst gesteuerten Lernprozesses dringend angeraten, das vorhandene Ausbildungspersonal darauf ausgerichtet zu professionalisieren. (vgl. Zimmer, 2009, 30; vgl. Severing 2004, 110-111)
„Es stimmt zwar, dass die Konzepte der Selbsttätigkeit … historisch weit zurückliegende Wurzeln aufweisen …, sie wurzeln jedoch – bis auf ganz wenige Ausnahmen – in einem Boden eines lehrerzentrierten Unterrichts.“ (Arnold 2006, 362) Pätzold führt eine Studie zur Erfassung und Analyse vorherrschender Lehrmethoden in berufsbezogenem Unterricht der Universität Dortmund in Kooperation mit der Universität Oldenburg an, nach der der lehrerzentrierte Frontalunterricht als Lehr-Lern-Arrangement bei weitem überwiegt. (vgl. Pätzold 2003, 128) Frontalunterricht, so Ott, dominiert in Berufsschulen als Sozialform von Unterrichtsverfahren mit 76,86 %. (vgl. Ott 2007, 143) Es scheint also so zu sein, dass der Frontalunterricht nach wie vor eine bedeutende Rolle einnimmt. Gleichzeitig stellt er neben dem begleiteten Selbstlernprozess die andere Prüfungsvorbereitungsmethode, die in dieser Arbeit zu untersuchen ist. Insofern sei der Frontalunterricht an dieser Stelle näher beleuchtet:
„Unterricht vollzieht sich typischerweise in einem hierfür vorgesehenen besonderen Raum (außerhalb des Arbeitsplatzes/training –off-the-job), behandelt den jeweiligen Unterrichtsstoff vorzugsweise in systematischer Form, bedarf eingehender Vorbereitung (Unterrichtsplanung) einschließlich der Festlegung möglichst konkreter Lernziele, ist in erster Linie auf den Erwerb von (Fach-)Kenntnissen bzw. auf das Gewinnen von (theoretischen) Erkenntnissen und Einsichten gerichtet und kommt nur für die Gruppenausbildung in Betracht.“ (Küppers 2001, 319) Betrieblicher Unterricht kann dabei klassifiziert werden als: § darbietend-erklärender Unterricht
- fragend-entwickelnder Unterricht
- findend-entdeckender Unterricht. (vgl. Küppers 2001, 322-324)
Der Begriff Frontalunterricht wird von Ott so verstanden, dass der Lehrende die Lerninhalte vorstellt bzw. gemeinsam mit den Lernenden zentrale Wissenselemente erarbeitet bzw. entwickelt. (vgl. Ott 2007, 143) Hier scheint es also in der Tat um die Erarbeitung von Wissen/Fachwissen zu gehen, was nach Heyse/Erpenbeck den klassischen Bereich der Berufsausbildung ausmacht. (vgl. Heyse/Erpenbeck 2009, 393) Gudjons zieht eine ausführlich dargestellte Bilanz von Pro und Contra des Frontalunterrichtes, die nachfolgend stark zusammengefasst dargestellt wird:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Pro und contra Frontalunterricht (vgl. Gudjons 2007, 28-36 und 47-50)
Küppers verweist außerdem darauf, dass Passivität im Lernprozess bequemer als Aktivität ist, die sehr anstrengend und auch zeitraubender sein kann. Das bedeutet, dass es beim Frontalunterricht nicht so sehr auf das Maß einer hinreichenden mentalen Bereitschaft des Lernenden zu eigener Anstrengung, an Aufgeschlossenheit, an Lerneifer für selbstständiges Handeln ankommt. (vgl. Küppers 2001, 315) Gleichwohl deutet er darauf hin, dass bei jeder Verwirklichung von Lernzielen grundsätzlich die Aktivität des Lernenden im Vordergrund stehen sollte. So kann seiner Ansicht nach im Rahmen eigenständiger Aneignungsprozesse sowie des Zusammenstellens von Faktenwissen als auch des Erkennens von Zusammenhängen, von Abhängigkeiten zwischen unterschiedlichen Tatbeständen, eine Stärkung kognitiver Fähigkeiten erreicht werden. (vgl. Küppers 2001, 315) Eine Dominanz von Frontalunterricht erfordert auch nach Pätzold Maßnahmen, die das Repertoire von Lehr-Lern-Methoden auf handlungsorienriertere Ausrichtungen erweitert, indem mit Blick auf didaktisch-methodische Bemühungen Fremd- und Außensteuerung zugunsten selbst gesteuerter Lernprozesse weitgehend weichen sollte. (vgl. Pätzold 2003, 129; vgl. Pätzold 2006, 188)
Welche Methode angewendet werden sollte ist auch von vorliegenden Bedingungen, wie z. B. der Erfahrung der Lernenden, abhängig. (vgl. Küppers 2001, 316) Nach Ott läuft erfolgreiches Lernen immer subjektintern ab. (vgl. Ott 2007, 17) Biographisch entstandene Lern- und Denkstrukturen beeinflussen das Lernverhalten jedes Individuums und machen es einzigartig. Der Mensch lernt allerdings als soziales Wesen in Zusammenhängen und in Kooperation mit anderen. (vgl. Haas 2007, 91) Ausgangspunkt für die Prüfungsvorbereitung muss das Individuum sein, da der Erfolg des selbst gesteuerten Lernens stark vom Entwicklungsstand des einzelnen Auszubildenden abhängig ist und im Zweifel statt förderlich sogar hinderlich wirken kann. (vgl. Kraft 2002, 204; vgl. Dehnbostel 2008, 7) Es ist also angeraten, durch einen individuellen Vergleich von gewünschten und vorhandenen Kompetenzen zunächst den Entwicklungsbedarf des Einzelnen zu bestimmen, um dann daraus konkrete Maßnahmen, insbesondere im Hinblick auf die Prüfungsvorbereitungsmethode/-form, abzuleiten. (vgl. Kadishi 2008, 188) Um selbstständig und reflexiv lernen zu können, erscheint es zielführend, während der gesamten Ausbildung, aber besonders den der Prüfungsvorbereitung vorgelagerten Ausbildungsabschnitten, Ausbildungsmethoden/-formen einzusetzen, die ganz überwiegend in oder zumindest nahe der Arbeit stattfinden. So können Rahmenbedingungen, wie z. B. die Möglichkeit zu Komplexitäts- und Problemerfahrung, ein angemessener Handlungsspielraum, Individualisierung, Selbsterschließung, Interaktion usw., die zum Erwerb einer umfassenden Handlungsorientierung notwendig sind, erfüllt werden. (vgl. Dehnbostel/Pätzold 2004, 21; vgl. Pawlik/Lederer 2007, 325-326; vgl. Dehnbostel 2008, 6-7; vgl. Mertens 2008, 121; vgl. Stiewe 2002, 160-163; vgl. Bergmann 2000, 25-26; vgl. Schröder/Dehnbostel 2007, 291)
Die Erfassung von Wirkungen und die Prüfung der Wirksamkeit der hier diskutierten Lehr-Lern-Möglichkeiten gehört nach Auffassung Czycholl/Ebners zu den vordringlichen Forschungsaufgaben. (vgl. Czycholl/Ebner 2006, 53)
2.2 Berufsbild Kaufmann/Kauffrau für Versicherungen und Finanzen
Am 1. August 2006 trat die neue Ausbildungsordnung für KVF in Kraft. Hierdurch wurden Erkenntnisse aus der Bestandsaufnahme der bisherigen Ausbildung sowie der Früherkennung des künftigen Qualifikationsbedarfs, die durch die Zukunftswerkstatt Versicherungen des BWV, einer KWB-Studie als auch einer BIBB-Evaluation erhoben wurden, umgesetzt. (vgl. Holthausen 2006, 2)
Neue AO sind zunehmend freier gestaltet und betonen deutlich mehr als früher den Erwerb einer umfassenden Handlungskompetenz neben einer breiter werdenden Fachlichkeit (vgl. Dostal 2002, 185), was nach einer Studie mit 129 Unternehmen auch deren Bedürfnissen nach überfachlichen Kompetenzen entgegen kommt. (vgl. Mertens 2008, 48) In diesem Kontext passt, dass die Berufsausbildung im Finanzdienstleistungsbereich in den letzten Jahren stark von der Bedeutung von Kompetenzen geprägt wurde, was sich auch in der veränderten AO für Kaufleute für Versicherungen und Finanzen widerspiegelt (vgl. Hennecke 2008, 108) und dem allgemeinen Trend zur Umorientierung der AO hin zu Kompetenzbeschreibungen mit dem Fokus der Stärkung von Geschäftsprozess-, Handlungs- und Aufgabenorientierung entspricht. (vgl. Zimmer 2009, 32; vgl. Dehnbostel/Lindemann 2007, 182)
Strukturell verfügt die neue AO für KVF über eine Spezialisierungsmöglichkeit, entweder in die Fachrichtung Versicherung oder Finanzen. In der Fachrichtung Versicherung besteht neben dem verpflichtenden Modul ‚Schaden- und Leistungsmanagement’ weiterhin für den Auszubildenden gemeinsam mit dem Ausbildenden die Möglichkeit, aus verschiedenen Modulen zwei auszuwählen, was eine Anpassung zum einen an das Profil des Unternehmens und zum anderen an die Neigungen des Auszubildenden ermöglicht. (vgl. Becker 2005, 171-173; vgl. §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 4 AO-KVF 2006)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Struktur der Ausbildung KVF (Holthausen 2006, 3)
2.3 Das Versicherungsunternehmen als Ausbildender
Das VU als national tätiger VR bildet im gesamten Bundesgebiet aus. In allen 20 Betriebsstätten sowie im AD wird das Berufsbild KVF, ausschließlich in der Fachrichtung Versicherungen, ausgebildet. Darüber hinaus bietet die Zentrale das Integrierte Studium nach dem Kölner Modell an, wobei es sich um eine Kombination von DA und FH-Studium handelt.[1] Einen Überblick über die Struktur der Ausbildung in der Organisation des VU bietet Abbildung 10. Mit einer Ausbildungsquote, die seit 2002[2] permanent zwischen 9 und 11% liegt, bildet das VU – relativ betrachtet – in etwa doppelt so viel aus wie die Branche, die im selben Zeitraum vergleichsweise nur mit einer Ausbildungsquote zwischen 4 und 6% aufwarten kann.(vgl. Statistische Rundschreiben des agv zur Ausbildungssituation in der Versicherungswirtschaft) Bei einer Übernahmequote von ständig über 80% bedeutet dies, dass das VU leicht über Bedarf ausbildet. Entgegen dem allgemeinen Trend (vgl. Zimmer 2009, 9) werden nur ganz wenige Absolventen von Seiten des Unternehmens nicht übernommen. Der Großteil der nicht Verbleibenden verlässt das Unternehmen auf eigenen Wunsch, da sie z. B. ein Studium aufnehmen.
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Abbildung 10: Struktur und Organisation der Ausbildung (Fauler 2008, 42)
Die strategische Ausrichtung der Ausbildung wird vom Vorstand und dem Personalleiter geprägt und von der Abteilung Personal- und Organisationsentwicklung/Ausbildung sowie den Geschäftsleitungen der RDen entwickelt und vorgegeben. Einen grafischen Überblick bietet Abbildung 11.
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Abbildung 11: Ausbildungsnetzwerk (vgl. Brode 2006, 347)
Die strategische Ausrichtung konkretisiert sich aktuell, und auf das Thema dieser Arbeit fokussiert, darin, dass eine Qualifizierungsoffensive für das Ausbildungspersonal startete, um dieses an das in Kapitel 2.1 erwähnte Rollenverständnis heranzuführen. Somit konnte bereits eine Veränderung in der Ausbildungspraxis bewirkt werden. Insbesondere während der Praxiseinsätze in den Fachabteilungen oder im Außendienst finden selbst gesteuerte Lernprozesse statt.
Der IBU bildet insbesondere Inhalte ab, die nicht anhand der Geschäftsprozesse in der Praxis vermittelt werden können bzw. deren Vermittlung so nicht garantiert werden kann. Ein GP ist ein „Prozess, der dazu beiträgt, ein Geschäfts- bzw. Unternehmensziel zu erreichen. Geschäftsprozesse (z.B. Schadensabwicklung in einer Versicherung, Reisekostenabrechnung, Bestellungen) können manuelle und automatisierte Teilprozesse umfassen.“ (http://www.documanager.de/ressourcen/ glossar_534_geschaeftsprozess.html) Fokussiert auf das Berufsbild der KVF bilden sich im Wesentlichen die folgenden GP heraus:
- Kundenakquise und –beratung,
- Vertragsabschluss/-änderung,
- Versicherungsfall.
Der GP Kundenakquise und- beratung erfolgt vornehmlich im AD eines VR (vgl. Schmalohr 2008, 68-74). Der GP Vertragsabschluss/-änderung wird meist durch den AD angestoßen (Aufnahme der Anträge) und vom Betriebsbereich eines VR weiter bearbeitet (Risikoprüfung, Annahmeentscheidung). Für die Berufsausbildung erscheint es grundsätzlich möglich, diese beiden GP in einem Guss zu vermitteln und würde unter didaktischen Gesichtspunkten möglicherweise auch Sinn machen. Dies widerspräche allerdings der Unternehmensrealität.[3] Der GP Versicherungsfall wird überwiegend von den Schadenbereichen eines VR abgewickelt.[4] Um diese GP in der Ausbildung der KVF abzudecken ist es also erforderlich, die Auszubildenden im AD sowie im Betriebs- und Schadenbereich einzusetzen. Die benannten GP existieren natürlich jeweils für alle Versicherungssparten, die ein VR ver-/betreibt. Hierbei gibt es ein hohes Maß an Überschneidungspotenzial, so dass im AD und Betriebsbereich oft alle Sparten durch dieselben Bereiche abgedeckt werden. Für den Schadenbereich ist dies aufgrund des Spartentrennungsgebotes der §§ 8, 8a und 106c VAG nicht für die Lebens-, Kranken- und Rechtsschutzversicherung möglich, so dass hierfür innerhalb eines Konzerns neben rechtlich selbstständigen Unternehmen in der Organisation unterschiedliche Abteilungen existieren.
Der IBU des VU, der über den Berufsschulunterricht, aus den vorgenannten Gründen, hinaus erteilt wird, umfasst, wie bereits im Kapitel 1 dargestellt, 500 Unterrichteseinheiten (á 45 Minuten). Außerdem gewährt das VU die kostenfreie Teilnahme an einem externen Vorbereitungskurs auf die schriftliche Abschlussprüfung beim BWV. Darüber hinaus erhalten die Auszubildenden eine weitere innerbetriebliche Vorbereitung auf die schriftliche Zwischen- und Abschlussprüfung, ebenfalls in Unterrichtsform, so dass die Auszubildenden des VU über die Berufsschule hinaus ca. 1.000 UE in klassischen Unterrichten, vorwiegend Frontalunterricht, verbringen.
2.4 Abschlussprüfung
2.4.1 Sinn und Zweck von Abschlussprüfungen
Die Abschlussprüfung ist ein besonderer Schwerpunkt der Berufsausbildung, wo der Lehr-Lernerfolg als Befähigung als Fachkraft im ausgebildeten Beruf tätig zu werden, nachgewiesen wird. (vgl. Bontrup/Pulte 2001, 141; vgl. Ruschel 2008, 460)
Mit der bestandenen Abschlussprüfung ist die Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz beendet. (vgl. § 21 Abs. 2 BBiG) Ab diesem Zeitpunkt darf die Berufsbezeichnung (hier: Kaufmann/Kauffrau für Versicherungen und Finanzen) geführt werden. Man spricht deshalb auch von der Berufseingangsprüfung. (vgl. Bontrup/Pulte 2001, 312; vgl. Kastner 2007, 12; vgl. Busch/Kastner 2008, 21) Im Prüfungswesen der dualen Ausbildung gilt das Drei-Zertifikate-Modell. Der Absolvent erhält ein betriebliches Ausbildungszeugnis, ein Berufsschulzeugnis sowie den Kaufmannsgehilfenbrief. Kritisch angemerkt sei, dass formal allerdings ausschließlich der Kaufmannsgehilfenbrief über den Erfolg der Berufsausbildung entscheidet; er ist somit Nachweis der Arbeitsmarktbefähigung und formale Voraussetzung für Aufstiegsfortbildungen. (vgl. Stender 2006, 188; vgl. Ruschel 2008, 480f.)
Die zuständige Stelle (z. B. IHK) führt quasi einen neutralen Soll-Ist-Vergleich durch. Dadurch werden Ausbildungsergebnisse zwischen einzelnen Auszubildenden aber auch zwischen Gruppierungen von Auszubildenden (z. B. Auszubildende des Unternehmens A vs. des Unternehmens B oder Auszubildende der Berufsschule X vs. Berufsschule Y) statistisch vergleichbar, was nicht nur einen Qualitätsvergleich einzelner Absolventen, sondern auch von Institutionen/Betrieben zulässt. (vgl. Ruschel 2008, 456) Einen Überblick über die Funktionen von Abschlussprüfungen bietet die Abbildung 12.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 12: Funktionen von Abschlussprüfungen (vgl. Ruschel 2008, 456-458)
Gem. § 38 BBiG ist es Aufgabe der Abschlussprüfung festzustellen, ob die notwendige berufliche Handlungsfähigkeit erworben wurde. Konkret geht es um den Nachweis des Beherrschens beruflicher Fertigkeiten sowie des in der Berufsschule Vermittelten, für die Berufsausbildung wesentlichen Lernstoffs als auch der erforderlichen beruflichen praktischen und theoretischen Kenntnisse. Dabei ist die Ausbildungsordnung Grundlage. (vgl. § 38 BBiG; vgl. Kastner 2007, 12; vgl. Busch/Kastner 2008, 21)
Bontrup/Pulte führen 2001 an, dass in schriftlichen Prüfungen gezeigt werden soll, dass der Prüfling in der Lage ist, die jeweils gewünschten Fachinhalte abzurufen, zu versprachlichen und in konkreter Form schriftlich darzulegen. (vgl. Bontrup/Pulte 2001, 142) Genau dies war im Bezug auf die inhaltliche Dimension von Abschlussprüfungen, nämlich deren Fokussierung auf die Feststellung von Fertigkeiten und Kenntnissen, einhelliger Kritikpunkt. Grund für diese Ausrichtung war der § 35 BBiG 1969, der eben lediglich die Feststellung von Fertigkeiten und Kenntnissen in der Abschlussprüfung forderte. Dies hatte zur Folge, dass es in kaufmännischen Abschlussprüfungen vorwiegend um eine Wissensabfrage ging. Dies bildete den Hintergrund für einen Reformprozess, der zu folgendem Konsens der bildungspolitischen Akteure führte:
- Abschlussprüfungen sollen ohne den Verlust des Berufsbezuges betriebnäher und praxisbezogener gestaltet werden;
- Abschlussprüfungen sollen nicht alleine Faktenwissen abfragen, sondern den Nachweis beruflicher Handlungskompetenz.
Um diesen Anforderungen in schriftlichen Abschlussprüfungen gerecht zu werden, sollten diese immer konkret auf berufliche Situationen als Ausgangspunkt eines Frageteils und somit als fiktiver Praxisbezug formuliert sein. Für die Lösung derartig ausgerichteter Aufgaben ist Wissen selbstverständlich weiterhin erforderlich, allerdings in einem Praxiskontext anzuwenden. Dies erscheint bereits als Fortschritt, wenngleich damit noch keine komplette Handlungsorientierung erreicht wird. Fraglich ist also, wie Abschlussprüfungen handlungsorientiert gestaltet werden können. (vgl. Stender 2006, 191-194) Berufliche Handlungsfähigkeit besteht nach der Kompetenzdefinition AKA aus der Fach- Methoden- und Sozialkompetenz. Diese Einteilung ist hier maßgeblich, da die AKA die Stelle ist, die die Abschlussprüfungen gestaltet und herausgibt. Nach Auffassung der AKA liefert die Fachkompetenz das nötige Fachwissen, um eine Problemstellung zu bewältigen. Die Methodenkompetenz liefert das Know-how, wie an eine Problemlösung herangegangen wird. Und die Sozialkompetenz bezieht sich schließlich auf Kommunikationsfähigkeit mit anderen Individuen. (vgl. Kastner 2007, 36; vgl. Busch/Kastner 2008, 9; vgl. Holthausen 2006, 102)
Zur Gestaltung handlungsorientierter Prüfungen kommen zwei Ansätze in Betracht, die nachfolgend kurz vorgestellt werden, und zwar der kompetenzanalytisch Ansatz und das Modell der vollständigen Handlung. (vgl. Ruschel 2008, 459; vgl. Stender 2006, 195)
Kompetenzanalytischer Ansatz:
Basis ist, dass Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz gleichermaßen erworben werden sollen. Reines Fachwissen kann also innerhalb dieses Ansatzes nicht ausreichend sein. Über das Fachwissen hinaus soll z. B. gezeigt werden, dass ein Prüfling in der Lage ist, sich neue berufsrelevante Informationen zu erschließen und anzuwenden (der Methodenkompetenz zuzuordnen) oder spezifische Kundenwünsche angemessen in Gesprächen aufzunehmen und auf sie einzugehen (der Sozialkompetenz zuzuordnen). (vgl. Ruschel 2008, 459; vgl. Stender 2006, 195)
Modell der vollständigen Handlung:
Hier soll ein Prüfling zeigen, dass er in der Lage ist, berufliche Situationen von der Planungs- bis zur Auswertungsphase vollständig zu bearbeiten. (vgl. Ruschel 2008, 459; vgl. Stender 2006, 195) Das Modell der vollständigen Handlung, zeigt an, dass sich zunächst alle für seine Aufgabe relevanten Informationen beschafft werden, um dann zu planen, d. h. verschiedene Handlungsalternativen zu eruieren, wie diese Aufgabe bearbeiten werden kann. Auf dieser Basis muss sich für ein konkretes Vorgehen entschieden werden, so dass anschließend die Aufgabe selbstständig bearbeitet werden kann. Anschließend erfolgt eine Kontrolle der eigenen Arbeitsergebnisse. (vgl. Holthausen 2006, 86-87; vgl. Thillosen 2005, 18-33)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 13:
Modell der vollständigen Handlung
(vgl. Holthausen 2006, 86)
Wenn Abschlussprüfungen handlungsorientiert sein sollen, sind praxisnahe Aufgaben auf mindestens eines dieser Konzepte abzustellen. Eine Realisierung ist dadurch möglich, dass Aufgaben formuliert werden, die sich auf betriebliche Situationen beziehen und für deren Lösung neben der Fachkompetenz auch Methoden- oder Sozialkompetenz notwendig ist, was z. B. mit einem Kunden-Antwort-Brief gegeben wäre, da es hier nicht nur auf die fachliche Korrektheit, sondern auch um Verständlichkeit und Umgangston geht. Auch der Durchlauf eines fiktiven Handlungsprozesses zur Bearbeitung einer betrieblichen Situation ist denkbar. (vgl. Stender 2006, 195)
In schriftlichen Abschlussprüfungen scheinen Aufsätze und Stellungnahmen besonders gut geeignet zu sein, um berufliche Handlungskompetenz zu prüfen, wenngleich diese Art von Aufgaben eine geringe Interpretationsobjektivität aufweisen und ihnen oft eine schwache Validität zugesprochen wird. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass alte Abschlussprüfungsverfahren im Hinblick auf Objektivität, Validität und Reliabilität ebenfalls nicht unproblematisch waren. Um eine möglichst objektive Bewertung von Aufgabenlösungen zu gewährleisten, erhalten Prüfer einheitliche Bewertungskriterien, die im Vorfeld der Prüfung festgelegt werden. (vgl. Stender 2006, 197-199)
Stender führt an, dass auch Multiple-Choice-Aufgaben u. ä. geeignet sind, den Zielsetzungen einer praxisbezogenen und zugleich handlungsorientierten Prüfungen zumindest teilweise zu genügen, und zwar durch die Formulierung eines konkreten Praxisfalls, der mit Anreicherungen wie z. B. einem Kundenspiegel, versehen wird. (vgl. Stender 2006, 199)
2.4.2 Abschlussprüfung im Berufsbild
Kaufmann/Kauffrau für Versicherungen und Finanzen
Gem. § 9 AO-KVF findet die Abschlussprüfung am Ende der Ausbildungszeit statt; die grundsätzliche Möglichkeit einer Stufenprüfung nach § 37 Abs. 1 S. 2 BBiG ist also ausgeschlossen. Nareuisch führt an, dass sich die anspruchsvolle Ausbildung der Kaufleute für Versicherungen und Finanzen in einer entsprechenden Prüfung niederschlägt, die stark das übergreifende Wissen sowie die Handlungsorientierung in den Vordergrund rückt. (vgl. Nareuisch 2008, 5; vgl. Nareuisch 2009, 3) Gem. § 3 Abs. 1 AO-KVF sollen die aufgeführten Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten explizit so vermittelt werden, dass die Auszubildenden zur Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit befähigt werden, die insbesondere das selbstständige Planen, Durchführen und Kontrollieren umfasst. Es wird also das im Kapitel 2.4.1 vorgestellte Modell der vollständigen Handlung angesprochen. Dementsprechend sind diese Befähigungen in der Abschlussprüfung nachzuweisen. Die entsprechenden Aspekte, nämlich die Situationsvorgabe, Praxisorientierung, Adressatenorientierung sowie Aktivitätsorientierung (vgl. Busch/Kastner 2008, 12) müssen also durch die Formulierung und Zusammenstellung der Prüfungsaufgaben Eingang in die Abschlussprüfung finden. (vgl. Kastner 2007, 36) Dies soll beispielsweise durch das Musterunternehmen Proximus, Situationsaufgaben in gebundener und ungebundener Form sowie durch das Einbringen von Belegsammlungen erreicht werden. (vgl. Holthausen 2006, 36-39 und 104; Kastner 2007, 26)
[...]
[1] Informationen zum Integrierten Studium nach dem Kölner Modell bietet z. B. http://www.f04.fh-koeln.de/fakultaet/institute/ivw/studiengaenge/bachelor_integriert/
[2] Seit dem Jahr 2002 wurde die Methode zur Berechnung der Ausbildungsquote der des agv angepasst, so dass erst ab diesem Zeitpunkt ein direkter Vergleich möglich ist.
[3] Eine Trennung dieser beiden GP ist aufgrund eines möglichen Interessenskonflikts des AD notwendig. Bei einer Zusammenlegung könnten durch das übliche Vergütungssystem der Abschlussprovision die Annahme- entscheidungen des AD eher von Verdienstmöglichkeiten als von der Einschätzung der Risikolage beeinflusst sein.
[4] Unter Verschlankungsaspekten und Gründen des Marketings werden einige AD für die Regulierung kleinerer Schäden bevollmächtigt. Insgesamt ist aber auch hier ein Interessenkonflikt des AD aufgrund des Vergütungs- systems der Bestandsprovision zu erwarten, so dass die Regulierungsentscheidung von Verlustbefürchtungen des Verdienstes beeinflusst sein könnte, so dass eine grundsätzliche Trennung notwendig bleibt.