Die Arbeit untersucht Elfriede Jelineks Theatertext "Das schweigende Mädchen" (2014) im Kontext des NSU-Prozesses und fragt nach der Inszenierung und Dekonstruktion juristischer Zeugenschaft. Ausgehend von der performativen Verschränkung von Gericht und Theater werden drei Dimensionen von Zeugenschaft – die juridische, die religiöse und die moralische – systematisch analysiert. Im Zentrum stehen die Figuren Engel und Propheten, das Gerichtspublikum sowie die gesellschaftliche Öffentlichkeit und die „Ich“-Figur. Die Analyse zeigt, dass Jelineks Text die Grenzen juridischer Wahrheitsfindung offenlegt, indem er die Fragilität von Wahrnehmung, Erinnerung und Wiedergabe betont und zugleich alternative Formen von Zeugenschaft eröffnet. An die Stelle der Beweissicherung tritt eine theatrale Praxis, die Verantwortung, Mitwissen und moralische Verpflichtung in den Vordergrund rückt. Das Theater wird so zu einem „Sprachgericht“, das nicht Wahrheit fixiert, sondern deren Konstruiertheit und Brüchigkeit erfahrbar macht.
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- Lucius Valens (Author), 2025, Alternative Zeugenschaft. Zur Dekonstruktion juristischer Zeugenschaft in Elfriede Jelineks "Das schweigende Mädchen", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1612635