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Die Verweltlichung der Sache Christi

Eine Literaturstudie zur heutigen Zusammenarbeit zwischen Christ*innen und sozialen Bewegungen

Resumen Extracto de texto Detalles

Inmitten der gegenwärtigen globalen Krisen fragt diese Arbeit, wie Christ*innen ihre Rolle in sozialen Bewegungen theologisch verstehen und gestalten können, und untersucht dazu exemplarisch die Auseinandersetzung des Schweizer Theologen Leonhard Ragaz mit den marxistischen Theorien der Arbeiterbewegung. Als Teil der sozialethischen Besinnung des Protestantismus und als europäischer Wegbereiter der Befreiungstheologie erscheint Ragaz’ Theologie als spannender Impuls für die heutige Zeit.

Aufbauend auf einer Literaturstudie werden Ragaz’ historische Einbettung, seine theologischen Schriften und methodischen Ansätze analysiert und mit postmodernen Ansätzen weitergeführt. Am Ende steht eine konsequente Zumutung, die Christ*innen und Kirchen herausfordert, ihre Sicherheiten aufzugeben, sich der Unsicherheit auszusetzen und die Verweltlichung des Gottesreiches als Chance für eine offene, gerechte und wandelbare Gesellschaft zu begreifen.

Extracto


INHALTSVERZEICHNIS

Abstract

1 Einleitung
1.1 Fragestellung und Motivation
1.2 Methodik und Forschungsziel
1.3 Kontext und Relevanz von Ragaz‘ theologischer Interaktion

2 Zur Arbeiterbewegung.
2.1 Entwicklung der schweizerischen Arbeiterbewegung und der Einfluss des Marxismus
2.2 Einführung in die marxistische Theorie

3 Zu Leonhard Ragaz – biographische Einblicke.
3.1 Vom Dorfkind zum religiös-sozialen Denker
3.2 Vom Professor zum Proletarier

4 Zur Theologie Ragaz‘
4.1 Anthropozentrische Theologie und Gotteserkenntnis
4.1.1 Die menschliche Entwicklung in Ragaz’ Theologie
4.1.2 Die Welt, das Evangelium und Jesus als Quellen der Gotteserkenntnis
4.1.3 Fazit
4.2 Ragaz‘ Reich-Gottes-Verständnis
4.2.1 Das Reich Gottes als die Überwindung des Abfalls
4.2.2 Die Religion als Gegensatz des Reiches Gottes
4.2.3 Die Verweltlichung der Sache Christi als die Erfüllung des Reiches Gottes
4.2.4 Der sozialistische Glaube an das Reich Gottes
4.2.5 Fazit

5 Die Interaktion.
5.1 Marxismus als Messianismus
5.2 Kritik am Geschichtsmaterialismus und Klassenkampf
5.3 Der Irrweg der Arbeiterbewegung
5.4 Fazit

6 Evaluierung der Interaktion.
6.1 Würdigung von Ragaz‘ Theologie im Kontext der Arbeiterbewegung
6.2 Ragaz‘ religiöse Interpretation des Marxismus
6.3 Ragaz‘ idealistische Metaphysik
6.4 Fazit

7 Von Ragaz zur Postmoderne.
7.1 Ragaz‘ Theologie im Lichte John D. Caputos radikaler Theologie
7.1.1 Kein höchstes Wesen
7.1.2 Der Ruf des Unbedingten
7.1.3 Ein schwaches Reich Gottes
7.1.4 Fazit
7.2 Theologische Herausforderungen der Weiterführung
7.2.1 Kritik an Caputos radikaler Theologie
7.2.2 Fazit

8 Implikationen und Ausblick
8.1 Implikationen
8.2 Ausblick

9 Literaturverzeichnis

Abstract

Inmitten der gegenwärtigen globalen Krisen fragt diese Arbeit, wie Christ*innen ihre Rolle in sozialen Bewegungen theologisch verstehen und gestalten können, und untersucht dazu exemplarisch die Auseinandersetzung des Schweizer Theologen Leonhard Ragaz mit den marxistischen Theorien der Arbeiterbewegung. Als Teil der sozialethischen Besinnung des Protestantismus und als europäischer Wegbereiter der Befreiungstheologie erscheint Ragaz’ Theologie als spannender Impuls für die heutige Zeit. Aufbauend auf einer Literaturstudie werden Ragaz’ historische Einbettung, seine theologischen Schriften und methodischen Ansätze analysiert und mit postmodernen Ansätzen weitergeführt. Am Ende steht eine konsequente Zumutung, die Christ*innen und Kirchen herausfordert, ihre Sicherheiten aufzugeben, sich der Unsicherheit auszusetzen und die Verweltlichung des Gottesreiches als Chance für eine offene, gerechte und wandelbare Gesellschaft zu begreifen.

01. Mai 2024, Braunschweig.

1 Einleitung

1.1 Fragestellung und Motivation

Angesichts zahlreicher globaler Herausforderungen – von der ökologischen Krise über die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten bis hin zum Wiedererstarken des Rechtsextremismus – ist es mir ein immer größeres Anliegen, den christlichen Glauben gesellschaftsrelevant und besonders als Teil sozialer Bewegungen zu verstehen. Besonders eindrücklich wurde dieses Anliegen für mich durch die Worte von Quinton Ceasar (2023:479) beim Kirchentag 2023, als er mit Nachdruck sagte:

Jetzt ist die Zeit zu sagen:

Wir sind alle die Letzte Generation.

Jetzt ist die Zeit, zu sagen: Black lives always matter.

Jetzt ist die Zeit, zu sagen: Gott ist queer.

Jetzt ist die Zeit, zu sagen: We leave no one to die.

Jetzt ist die Zeit, zu sagen: Wir schicken ein Schiff und noch viel mehr.

Wir empfangen Menschen in sicheren Häfen.

Safer spaces for all.

Ceasars Worte bringen eine Solidarität mit sozialen Bewegungen zum Ausdruck und lassen mich gleichzeitig fragen, wie in der gegenwärtigen Krisenlage die theologische Interaktion mit sozialen Bewegungen grundsätzlich gestaltet werden kann. Im Zusammenhang mit dieser Frage entwickelte sich mein Interesse an dem Leben und den Texten des Schweizer Theologen Leonhard Ragaz. Von Anfang an faszinierten mich an seiner Theologie die konsequente Ausrichtung auf das Reich Gottes und seine Solidarisierung mit der Arbeiterbewegung – einschließlich ihrer marxistischen Grundlagen. Leonhard Ragaz dient mir in dieser Arbeit als Beispiel dafür, wie die Interaktion zwischen Christ*innen und sozialen Bewegungen auf theoretischer Ebene gestaltet werden kann. Seine Überlegungen haben mich dazu angeregt, die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen kritisch zu reflektieren und auch in postmodernen Entwicklungen das Miteinander neu zu bedenken.

Vor diesem Hintergrund möchte ich in dieser Arbeit der Frage nachgehen, wie Leonhard Ragaz theologisch mit den marxistischen Theorien der Arbeiterbewegung interagierte und welche Implikationen sich daraus für die Zusammenarbeit zwischen Christ*innen und sozialen Bewegungen heute ergeben.

1.2 Methodik und Forschungsziel

Diese Arbeit ist eine Literaturstudie, die sich primär auf die theologische Auseinandersetzung Leonhard Ragaz' mit den marxistischen Theorien der Arbeiterbewegung konzentriert. In der Einleitung wird zunächst Ragaz’ Theologie verortet sowie ihre Relevanz dargestellt. Zur Beantwortung der Forschungsfrage folgt anschließend ein Überblick über den historischen Kontext der Interaktion, da der zeitgenössische Kontext für die Theologie Ragaz’ von zentraler Bedeutung ist. Dazu wird chronologisch vorgegangen: Zuerst wird die Geschichte der schweizerischen Arbeiterbewegung skizziert und erläutert, wie der Marxismus zu ihrem ideologischen Fundament wurde (Kapitel 2). Daran anschließend folgt eine Einführung in die marxistische Theorie (ebd.), bevor zentrale biographische Stationen Leonhard Ragaz’ vorgestellt werden, um ein vertieftes Verständnis seiner Theologie und seiner Nähe zur Arbeiterbewegung zu ermöglichen (Kapitel 3).

Der Hauptteil der Arbeit widmet sich dann Ragaz’ Theologie, wobei das besondere Augenmerk auf den Grundstrukturen seiner Vorlesungsmanuskripte von 1908 bis 1913 gerichtet ist, zugleich aber auch spätere Entwicklungen seiner Theologie in die Darstellung mit einfließen (Kapitel 4). In der anschließenden Analyse (Kapitel 5) werden Ragaz’ Auseinandersetzungen mit marxistischen Theorien untersucht, wobei besonderes Gewicht auf sein methodisches Vorgehen gelegt wird. Im Anschluss werden die gewonnenen Ergebnisse evaluiert (Kapitel 6), bevor eine theologische Weiterführung im Hinblick auf die Gegenwart folgt (Kapitel 7). Abschließend werden aus der Weiterführung von Ragaz' Theologie Implikationen für die heutige Zusammenarbeit von Christ*innen1 und sozialen Bewegungen entwickelt und weitere Perspektiven sowie mögliche Auswirkungen im Ausblick thematisiert (Kapitel 8).

Ziel dieser Analyse ist es, aus Ragaz' Interaktion mit dem Marxismus theoretische wie praktische Einsichten zu gewinnen, die dazu beitragen können, den Austausch zwischen Christ*innen und anderen kulturellen sowie ideologischen Systemen zu fördern – und damit eine konstruktive Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen in einer zunehmend pluralistischen Welt zu ermöglichen.

1.3 Kontext und Relevanz von Ragaz‘ theologischer Interaktion

Um den Kontext von Ragaz‘ Theologie aufzuzeigen, scheint ein Rückblick auf den Kulturprotestantismus 2 des 19. Jahrhunderts notwendig, der im Anschluss an Immanuel Kant das Reich Gottes zum ethischen Leitgedanken erhob (Honecker 1971:86).3 Ragaz stand in seinen anfänglich freisinnigen Jahren lange Zeit unter dem prägenden Einfluss der maßgeblichen protestantischen Ethiker des Kulturprotestantismus, Richard Rothe und Albrecht Ritschl (vgl. Kap. 3). Trotz seiner anfänglichen Bindung an die Tradition des Kulturprotestantismus wandte sich Ragaz später zunehmend der pietistisch geprägten Theologie des Pfarrers Christoph Blumhardt zu, dessen Denken ihm „als wunderbare Erfüllung des eigenen Weges und deshalb als Geschenk und Offenbarung entgegentrat“ (Ragaz 1922c:10). Auch andere führende Vertreter des religiösen Sozialismus in der Schweiz, wie Hermann Kutter und der junge Karl Barth, wurden auf unterschiedliche Weise von Blumhardt inspiriert (vgl. Mohr 2019).4 Rückblickend wird in diesem Zusammenhang auch von der „Blumhardt-Bewegung“ (Buess & Mattmüller 1986:11) gesprochen, die Blumhardt, Barth und Ragaz sowie ihre jeweiligen Bewegungen der dialektischen Theologie und des religiösen Sozialismus umfasst.

Insgesamt ist Ragaz' Theologie damit eingebunden in einen Kontext der sozialethischen Besinnung des Protestantismus, der den Glauben untrennbar mit gesellschaftlicher Veränderung verknüpfte und, wie weiter unten in Kap. 6.1 dargestellt, in vieler Hinsicht als Vorläufer der heutigen Befreiungstheologie 5 wirkt. Die Untersuchung von Leonhard Ragaz' theologischer Interaktion erscheint vor diesem Hintergrund heute – insbesondere im Hinblick auf die Befreiungstheologie, die sich unter anderem durch die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Theologie und Marxismus kennzeichnet (Kern 2013:10) – als ein relevanter Beitrag zu einer europäischen Theologie der Befreiung.6 Die Auseinandersetzung mit Ragaz’ theologisch-interaktivem Denken ist darum, wie Manfred Böhm treffend formuliert, ein Versuch, „nach den eigenen Wurzeln der Befreiung zu graben […] und vor allem Anstöße in die heutige Praxis einzubringen“ (Böhm 1988:23).

Neben dieser theologischen Relevanz als europäischer Wegbereiter der Befreiungstheologie liegt die Aktualität von Ragaz aber auch in seiner Auseinandersetzung mit der Arbeiterbewegung, die den Blick für heutige soziale Bewegungen7 schärft – insbesondere für solche, die ihre unterschiedlichen gesellschaftlichen Anliegen mit Kapitalismuskritik verbinden und dabei die grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnungen neu in Frage stellen.8

2 Zur Arbeiterbewegung

2.1 Entwicklung der schweizerischen Arbeiterbewegung und der Einfluss des Marxismus

Die schweizerische Arbeiterbewegung entstand als Folge der industriellen Revolution, die Ende des 18. Jahrhunderts in England begann und rasch auch die Schweiz erfasste. Diese wirtschaftlichen Umwälzungen führten zur Herausbildung des Kapitalismus (AGA 1975:28). Durch den Konkurrenzdruck der englischen Massenproduktion begann in der Schweiz Anfang des 19. Jahrhunderts der Übergang von Heimarbeit zu Maschinenproduktion. Mit der Einführung neuer Maschinen kam es zur Zentralisierung der Produktion in Fabriken, was eine räumliche Trennung von Wohn- und Arbeitsort sowie eine stärkere Abhängigkeit der Arbeitenden von Fabrikbesitzern zur Folge hatte. Arbeitende verloren zunehmend den direkten Zugang zu den notwendigen Ressourcen wie Maschinen, Rohstoffen und Boden, während gleichzeitig eine neue Unternehmerklasse wuchs, die an Einfluss gewann und mit der Abschaffung der Privilegien der Aristokratie zum gesellschaftlichen Wandel beitrug (:28f.). Die veränderten Arbeitsbedingungen, darunter niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten von 14 bis 16 Stunden täglich, Kinderarbeit9 und eine durch die Fabriken bedingte sinkende Lebenserwartung, führten noch vor der Entstehung der organisierten Arbeiterbewegungen zu ersten Reaktionen – vor allem von Handwerker*innen, die durch die Mechanisierung ihre Arbeit verloren oder unter Lohndruck gerieten (AGA 1975:30ff.). In dieser Zeit gründeten sich in der Schweiz die ersten Handwerksvereine nach deutschem Vorbild, in denen Arbeitende auch erstmals mit sozialistischen Ideen in Kontakt kamen und Möglichkeiten sahen, sich gegen ihre schwierige Lage zu organisieren. Der 1838 in Genf gegründete Grütliverein gilt als eine der ersten dauerhaften Organisationen der schweizerischen Arbeiterbewegung. Neben Bildungsangeboten und sozialer Unterstützung setzte er sich für die Entwicklung einer politischen Identität der Arbeitenden ein (Degen 2014:2.), mit dem Ziel, durch Reformen eine bessere Zusammenarbeit und Versöhnung zwischen den gesellschaftlichen Klassen in einem demokratischen Staat zu erreichen (Lezzi 1990:10ff.). Parallel dazu kam es zu einer zunehmenden Entkirchlichung, da viele Arbeitende die Kirche als Institution wahrnahmen, die bestehende soziale Strukturen stützte (Buess & Mattmüller 1986:13ff.).

Der Sonderbundskrieg 10 und die Gründung des schweizerischen Bundesstaates 1848 legten dann den Grundstein für eine Phase wirtschaftlichen Aufschwungs, die wesentlich zur Entwicklung der modernen kapitalistischen Wirtschaft in der Schweiz beitrug. Mit der Zeit entstanden in der Schweiz erste größere Gewerkschaften und Genossenschaften (AGA 1975:62f.). Dieser Aufschwung der Arbeiterbewegung führte schrittweise zu besseren Arbeitsbedingungen.11 Während der sogenannten „Großen Depression“ (Fahrni 2000:79) ab den 1870er Jahren, einer Phase verlangsamten wirtschaftlichen Wachstums, veränderte sich die Zusammensetzung der wachsenden Arbeiter*innenklasse. Fabrikarbeiter*innen stellten zunehmend den größten Teil dar, und mit dem weiteren Ausbau der Maschinenindustrie bildeten sich Industriezentren heraus. Dort lebten Arbeiter*innen häufig in eigenen Quartieren unter schwierigen Bedingungen, was die Entstehung eines ausgeprägten Klassenbewusstseins förderte (AGA 1975:96). Der 1880 gegründete Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) unterstützte die Arbeiter*innen während dieser Zeit unter anderem mit finanzieller Hilfe bei Arbeitskämpfen. 1888 kam es zur Gründung der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SPS), die als politische Plattform für die Anliegen der arbeitenden Bevölkerung entstand und sich als Gegenkraft zu den etablierten liberalen Strömungen positionierte. Trotz ideologischer Unterschiede – die SPS verfolgte eine revolutionäre Ausrichtung – arbeitete sie bis zum Zusammenschluss 1901 in der „Solothurner Hochzeit“ (Maissen 2015:230) mit dem Grütliverein, zusammen (AGA 1975:98).

Während des Wirtschaftswachstums von 1904 bis 1907 konnte die SPS gemeinsam mit dem SGB ihre Mitgliederzahl mehr als vervierfachen (AGA 1975:101). Die zunehmenden Klassenunterschiede machten den Marxismus, der im Rahmen der II. Internationalen bereits in den 1880er Jahren zur Leittheorie wurde (Krüger 1987:264), für viele schweizerische Arbeiter*innen besonders attraktiv. Er bot ihnen nicht nur eine präzise Analyse ihrer Lage, sondern zeigte auch einen Weg zur gesellschaftlichen Veränderung durch die Theorie des Klassenkampfes auf (AGA 1975:101). Diese Radikalisierung im Sinne des Marxismus fand ihren konkreten Ausdruck im neuen Parteiprogramm der SPS von 1904 und in der Überarbeitung des SGB, die den Übergang von parteipolitischer Neutralität hin zu einer klaren Orientierung an marxistischen Prinzipien darstellte (ebd.). Ein weiteres Zeichen dieser Radikalisierung war die zunehmende Betrachtung von Massenstreiks als wirksamerem Kampfmittel, da Einzelstreiks häufig an den Gegenmaßnahmen der Unternehmer scheiterten.12 Im Zuge der Mobilisierung zum Massenstreik und wiederholter Militäreinsätze bei Streiks entwickelte sich ein Antimilitarismus innerhalb der Arbeiterbewegung, der sich 1912 im Zürcher Generalstreik manifestierte (AGA 1975:102). Diese antimilitaristische Haltung fand auch in der II. Internationale Ausdruck, insbesondere auf ihrem Weltfriedenskongress 1912 in Basel, der durch die Ablehnung des imperialistischen Konkurrenzkampfes zum Frieden führen wollte, während „die Glocken des Münsters die Welt vor der Gefahr eines drohenden Krieges warnten“ (:20).13

Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, wich der anfänglich vorherrschende Pazifismus „unter dem Einfluss der Religiössozialen (Ragaz)“ (AGA 1975:161) zunehmend einer Kriegsbefürwortung. Die Arbeiter*innen schlossen sich der herrschenden Klasse im Krieg an, und auch in der Schweiz setzte sich die sog. Burgfriedenspolitik durch. Diese Politik zielte darauf ab, innere Konflikte zu vermeiden und nationale Stabilität über Klasseninteressen zu stellen (:158). Trotz dieser Politik setzten bürgerliche Kräfte durch, dass der Bundesrat während des Krieges Maßnahmen ergriff, die vor allem den Unternehmern zugutekamen und die Arbeitsbedingungen erneut verschlechterten (ebd.). Die Kriegswirtschaft brachte zwar einen Aufschwung in der Export- und Nahrungsmittelindustrie (aufgrund der gestiegenen Nachfrage der kriegsführenden Länder und gesunkener Importe), doch die daraus resultierenden Gewinne blieben hauptsächlich bei den Kapitalbesitzern (:158f.). Die Enttäuschung über die Burgfriedenspolitik und ihre unzureichenden Verbesserungen für die Arbeitenden trugen zur weiteren Radikalisierung der Arbeiterbewegung bei. 1915 kam es dann vor allem auf Initiative von Robert Grimm (Trotzki 1930:239), einem führenden Vertreter der SPS, zur Zimmerwalder Konferenz, auf der sich oppositionelle Organisationen aus verschiedenen Ländern trafen und sich in einem Manifest gegen die Burgfriedenspolitik wandten sowie zum internationalen Klassenkampf gegen Krieg und Militarismus aufriefen (AGA 1975:160f.).14

Diese Entwicklungen sowie die Revolutionen in Russland 1917 und die Machtergreifung der Bolschewiki 15 trugen dazu bei, dass das Kriegsende in der Schweiz zu einem Höhepunkt der Streikbewegungen führte (:163), die im November 1918 in einem landesweiten Generalstreik gipfelten, an dem rund 250 000 Arbeitende ihre Arbeit niederlegten (Maissen 2015:246). Gleichzeitig verschärften sich die inneren Spannungen unter den Streikenden sowie innerhalb der SPS deutlich (:163f.). 1921 kam es schließlich zu einer Spaltung: Nach der Ablehnung eines Beitritts zur III. Internationale (1919 in Moskau auf Initiative Lenins gegründet) trennte sich der linke Flügel der SPS ab und gründete zusammen mit den bereits vorher abgespaltenen „Altkommunisten“ (:194) die Kommunistische Partei der Schweiz (KPS). In den folgenden Jahren standen sich die beiden Arbeiter*innenparteien – die SPS und die KPS – mit wachsender Feindseligkeit gegenüber. Trotz dieser Spannungen stiegen die Mitgliederzahlen kontinuierlich an, und 1925 erreichten die beiden Arbeiter*innenparteien in Städten wie Zürich und Basel sogar die absolute Mehrheit (:198f.). Im Verlauf der 1930er Jahre führten dann mehrere Faktoren zu einem Richtungswechsel der SPS und des SGB: die Weltwirtschaftskrise und der Aufstieg des Faschismus in Italien und Deutschland. Diese Entwicklungen führten dazu, dass sich die SPS und der SGB zunehmend von der Überwindung des kapitalistischen Systems abwandten (:243). Auf dem Luzerner Parteitag 1935 kam es zu einer grundlegenden Programmänderung: Man setzte nun auf eine breite Allianz von Arbeiter*innen und anderen Bevölkerungsschichten. Im Einklang mit diesem neuen Ansatz als Volkspartei stimmte die SPS nach intensiven Debatten erstmals auch der militärischen Landesverteidigung zu (ebd.).

Vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre spielte der Marxismus damit sowohl als theoretische Grundlage als auch als politisches Programm eine bedeutende Rolle in der schweizerischen Arbeiterbewegung. Als stärkste Kraft innerhalb der Arbeiterbewegung erhob die Sozialdemokratie den Marxismus zur ideologischen Grundlage ihrer Politik (Böhm 1988:175). Die Arbeiterbewegung stellte sich als Widerstand gegen die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse dar und war getragen von der Hoffnung auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter*innen, wobei sie zugleich eine Entkirchlichung und Abkehr von traditionellen Institutionen erlebte. Im Hinblick auf Ragaz' Interaktion mit der Arbeiterbewegung war eine Auseinandersetzung mit dem Marxismus darum unerlässlich, da dieser der Arbeiterbewegung sowohl als theoretische Grundlage für ihre Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung als auch als Strategie für ihre politische Praxis diente.

2.2 Einführung in die marxistische Theorie

In diesem Abschnitt werden die marxistischen Theorien dargestellt, wobei primär auf die marxsche Theorie des historischen Materialismus und des Klassenkampfes zurückgegriffen wird, da diese einerseits die Fundamente des Marxismus bilden und gleichzeitig eine wesentliche Grundlage für Ragaz' Interaktionen darstellen (vgl. Kap. 5).

Der historische Materialismus bildet das Fundament des Marxismus, auf dem Marx’ Lehre vom Klassenkampf und auch seine Kritik der politischen Ökonomie aufbauen (Iorio 2012:25).16 Es handelt sich um eine „anti-idealistische“ (:34) Geschichts- und Gesellschaftstheorie, die sich kritisch mit Hegel als zentralem Vertreter des Deutschen Idealismus auseinandersetzt. Die Besonderheit bei Hegel bestand darin, Gesellschaft und ihre Geschichte als eigenständiges philosophisches Forschungsgebiet zu behandeln (Korsch 1967:157). Nach Hegels idealistischer Auffassung entwickele sich die Weltgeschichte als „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ (Hegel 1848:24). Der Höhepunkt der Entwicklung bilde die Schaffung des Staates als „Wirklichkeit der sittlichen Idee“ (Hegel 1821:241). Diese Entwicklung erfolge durch das Prinzip der Dialektik, bei dem sich die Gesellschaft durch die Aufhebung von Widersprüchen weiterentwickle. Dies geschehe von oben nach unten, d. h., höhere geistige Formen (wie Philosophie, Kunst, Religion) prägen und beeinflussen demnach die materiellen und sozialen Strukturen (wie Staat und Gesellschaft) (Korsch 1967:159).

Die Voraussetzung für Marx’ Kritik am Idealismus Hegels und für seinen historischen Materialismus ist seine Kritik der Religion (Marx 1859:170). Dabei knüpft Marx an Ludwig Feuerbach an, der Religion als menschlichen Traum bzw. Projektion irdischer Verhältnisse verstand (Feuerbach 1843:XV). Auch Marx interpretiert Religion als „Selbstgefühl des Menschen“ (Marx 1859:170) und kritisiert sie als „Opium des Volkes“ (:171), da sie eine illusionäre Vertröstung darstelle. Religion sei demnach keine sich eigenständig entwickelnde geistige Idee, sondern ein Phänomen, das von den materiellen Verhältnissen abhänge (Stammen & Classen 2009:41). Dadurch kehrt Marx die idealistische Ontologie grundlegend um: „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt“ (Marx 1859:100) und legt eine Grundentscheidung für eine materialistische Ontologie fest (Sieferle 2007:162).17 Nach Marx (1975:67) verwirklicht sich eine solche Philosophie, indem sie zur „praktischen Energie“ wird. Diese Verwirklichung sei dabei gleichbedeutend mit der Aufhebung der Philosophie (Stammen & Classen 2009:31). Marx (1998:21) formuliert in diesem Zusammenhang als Kritik an Feuerbach: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt darauf an, sie zu verändern.“ Analog zur Ablehnung der idealistischen Ontologie Hegels betrachtet Marx auch die Entwicklung der Gesellschaft nicht als etwas, das von einer höheren geistigen Idee geleitet wird. Vielmehr sieht er den Staat als Abbild der sozialen und materiellen Verhältnisse, das die Interessen der herrschenden Klasse widerspiegelt (Sieferle 2007:22ff.). Ähnlich verläuft Marx’ Kritik an der hegelschen Dialektik, die im historischen Materialismus eine grundlegende Rolle bei der Analyse historischer Entwicklungen und gesellschaftlicher Widersprüche spielt (Iorio 2012:34f.).18 Der Widerspruch, der bei Hegel wörtlich zwischen These und Antithese besteht und zur Entwicklung der Gesellschaft beiträgt, wird bei Marx zu einem realen Widerspruch, der auf dem Fundament der Gesellschaft – der Ökonomie – beruht (:37). Nach Marx treten Menschen in der gesellschaftlichen Produktion in bestimmte Verhältnisse miteinander ein, die sogenannten Produktionsverhältnisse. Diese entsprechen jeweils einer bestimmten Entwicklungsstufe der Produktivkräfte (Marx 1859:100). Zu den Produktivkräften zählen sowohl die Produktionsmittel – etwa Maschinen, Rohstoffe und Boden – als auch die Arbeitskraft, also die Fähigkeiten der Menschen wie körperliche Stärke, Geschicklichkeit und Wissen (Cohen 2000:32). Die Gesamtheit der Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte kennzeichnet laut Marx die jeweilige Produktionsweise und bildet die (ökonomische) Basis einer Gesellschaft, auf der der rechtliche und politische Überbau aufruht. Auf einer bestimmten Entwicklungsstufe geraten die sich stetig weiterentwickelnden Produktivkräfte in Widerspruch zu den bestehenden Produktionsverhältnissen, die ihre Entfaltung behindern. Dieser Widerspruch führt nach Marx zu einer Epoche sozialer Revolutionen, die schließlich den gesamten Überbau erschüttert (Marx 1859:100f.). Die im vorherigen Kapitel beschriebenen Veränderungen in der schweizerischen Gesellschaft, insbesondere die Herausbildung der Arbeiterbewegung und die Etablierung des Fabriksystems, seien demnach Konsequenzen des Konflikts zwischen der durch die industrielle Revolution vorangetriebenen Entwicklung der Produktivkräfte (Einführung der Maschinen) und den bestehenden Strukturen des Handwerks (Produktionsverhältnisse). Die Geschichte der Gesellschaft wird also eine Geschichte ihrer materiellen Produktion (Korsch 1967:117), welche verschiedene Produktionsweisen umfasst: von der Urgesellschaft über die Sklavenhaltergesellschaft und den Feudalismus bis hin zum Kapitalismus, der schließlich in eine neue Produktionsweise übergehen soll (Berger 2008:15f.).

Bis zu diesem Punkt beschreibt Marx die geschichtliche Entwicklung weitgehend als einen objektiv-deterministischen Prozess, der von der Dynamik verschiedener Produktionsweisen geprägt ist, ohne jedoch die Rolle des handelnden Subjekts näher zu beleuchten. Erst mit der Theorie des Klassenkampfes rückt Marx das Subjekt als treibende Kraft der Geschichte in den Vordergrund (Korsch 1967:136f.). Dabei zeigt sich, dass die Produktionsverhältnisse wiederholt zur Bildung zweier antagonistischer Klassen führen: derjenigen, die über Kapital und Produktionsmittel verfügen, und derjenigen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen (Berger 2008:16).19 Der sich zuspitzende Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen bilde somit auch den Auslöser der Klassenkämpfe (Korsch 1967:137), die als treibende Kraft historischer Entwicklungen die Geschichte als eine „Geschichte von Klassenkämpfen“ (Marx & Engels 1848:3) erscheinen lasse. Neben diesem allgemeinen Verständnis der Klassenkämpfe geht es Marx aber insbesondere um den Konflikt seiner Zeit zwischen der besitzenden Klasse und der arbeitenden Klasse und folglich um die revolutionäre Bewegung der Arbeitenden. Diese Revolution würde nach Marx nicht nur den zeitgenössischen Klassenkampf, sondern auch künftige politische Konflikte beenden. Denn die kapitalistische Gesellschaft verschärfe die Geschichte der Klassenkämpfe, indem sie die Gesellschaft in nur noch „zwei große feindliche Lager“ (:4) spalte und am Ende der Revolution nur eine Klasse übrigbleiben könne bzw. es zum Übergang in die klassenlose, also kommunistische Gesellschaft komme (Iorio 2012:207). Für diese proletarische Revolution sieht Marx grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder sie erfolgt reformatorisch durch Wahlen, was in der endgültigen Demokratie mündet, oder sie vollzieht sich in Form einer gewaltsamen Revolution, die zu einer vorübergehenden „Diktatur des Proletariats“ (Sieferle 2007:156ff.) führt, bis der Übergang zum klassenlosen Kommunismus erreicht ist.

Letztlich erweist sich der dargestellte Teil von Marx’ Theorie vor allem als ein deterministisches Geschichtsverständnis, in dem gesellschaftliche Entwicklungen notwendig aus ökonomischen Widersprüchen hervorgehen. Damit bildet er nicht nur die Grundlage des Marxismus, sondern verankert diesen auch fest in einer materialistischen Tradition, die den Primat der Materie über Geist und Freiheit behauptet.

3 Zu Leonhard Ragaz – biographische Einblicke

Im Folgenden wird die biografische Entstehung der theologischen, sozialen und politischen Positionen von Leonhard Ragaz rekonstruiert und deren enge wechselseitige Verflechtung dargestellt.

3.1 Vom Dorfkind zum religiös-sozialen Denker

Leonhard Ragaz wurde am 28. Juli 1868 als fünftes von neun Kindern in ärmlichen Verhältnissen geboren. Er wuchs im Kanton Graubünden im abgelegenen Bauerndorf Tamins auf, wo das Leben von traditioneller Landwirtschaft und einfachen handwerklichen Tätigkeiten geprägt war. Die Dorfgemeinschaft war weitgehend auf Selbstversorgung angewiesen, und der Alltag der Familie Ragaz war von wirtschaftlicher Unsicherheit und der ständigen Angst vor dem Bankrott bestimmt (Ragaz 1952a:9 u.ö.). Unter diesen schwierigen Bedingungen nahm Ragaz aus seiner Kindheit und Jugend zwei prägende Erfahrungen mit, die den Weg für seine spätere Identifikation mit der Arbeiterbewegung ebneten (Buess & Mattmüller 1986:66). Zum einen die Erfahrung des kollektiven Zusammenhalts der Dorfgemeinschaft; später sprach er davon, in Tamins einen „Dorfkommunismus“ (Ragaz 1952a:49) erlebt zu haben. Zum anderen prägte ihn das politische Engagement seines Vaters, der zeitweise Gemeindepräsident war und zahlreiche Ämter innehatte (:31f.). So wurde Ragaz schon in seiner Jugend mit den Herausforderungen von Armut, politischer Verantwortung und gesellschaftlichem Zusammenhalt konfrontiert – eine Auseinandersetzung, die ihn früh für die soziale Frage 20 sensibilisierte.

Aufgrund seiner außergewöhnlichen schulischen Leistungen erwarteten seine Eltern und Lehrpersonen, dass er ein Studium aufnahm – da es jedoch nur für die Theologie Stipendien gab, begann er ohne echte Neigung ein solches Studium (Ragaz 1952a:93). Denn das Religiöse spielte in Ragaz' Leben lange Zeit keine zentrale Rolle. Zwar war seine Familie von einer gewissen traditionellen Kirchlichkeit geprägt, doch diese beeinflusste ihn nicht religiös (:89f.). Vielmehr entwickelte er ohne jegliche Religiosität ein tiefes soziales Verständnis für die Arbeiter*innen und eine besondere Sensibilität für die gemeinschaftlichen Werte der vorindustriellen Zeit. Während seiner Studienjahre in Basel, Jena und Berlin setzte sich diese Entwicklung fort. Besonders prägend waren zu Anfang seine Auseinandersetzungen mit ethischen Fragestellungen und dem Naturalismus, insbesondere mit Philosophen wie Baruch Spinoza und Immanuel Kant (:103f.). Im weiteren Verlauf seines Studiums wurde Ragaz besonders von den liberalen Dogmatikern Alois E. Biedermann und Richard A. Lipsius geprägt, deren Denken stark auf den Ansätzen von G.W.F. Hegel, Friedrich Schleiermacher und Albrecht Ritschl beruhte (Stähli 1976:42, Ragaz 1952a:117f.). Sein Interesse am Theologiestudium blieb insgesamt jedoch gering, sodass er sich im Laufe des Studiums zunehmend auch der Kunst und Poesie widmete. Diese intensive Auseinandersetzung mit kreativen und philosophischen Denkrichtungen beeinflusste maßgeblich seine Weltanschauung (Ragaz 1952a:125).21 In diesem „Missverhältnis“ (:126) zwischen seinem theologischen Interesse und anderen geistigen Tendenzen sieht er rückblickend etwas Bedeutsames: „Ich habe Gott nie bloß in der Theologie gesucht, sondern in der Welt“ (:126f.).

Mit zwanzig Jahren schloss Ragaz sein Studium ab und übernahm für dreieinhalb Jahre eine Stelle als Bergpfarrer auf dem Heinzenberg in Chur. In dieser Zeit löste er sich von seiner Prägung im Liberalismus (Rich 1966:XII) und wandte sich einer spirituellen Auseinandersetzung mit der Bibel zu, die ihm im Theologiestudium „beinahe zerstört worden“ (:161) war. Nach zwei Jahren kehrte Ragaz jedoch als Stadtpfarrer an die Martinskirche in Chur zurück (Ragaz 1952a:177). Die gesellschaftlichen und politischen Themen seiner Zeit, wie der Burenkrieg sowie der weit verbreitete Alkoholismus, sprach er als Pfarrer mit Selbstverständlichkeit von der Kanzel an (:181ff.). Besonders prägend war auch sein soziales Engagement: Als Leiter der freiwilligen Armenpflege, die ein Drittel seiner Zeit beanspruchte, setzte er sich praktisch für die Schwächeren der Gesellschaft ein. In dieser Zeit knüpfte er freundschaftliche Beziehungen zum Grütliverein (:186f.). Schon damals erkannte er in der sozialen Bewegung „das Wirken des lebendigen Gottes“ (:187).

Lediglich die Überlastung veranlasste ihn dazu, 1902 das Pfarramt am Münster in Basel zu übernehmen (Ragaz 1952a:221). Hier ereignete sich 1903 der entscheidende Moment auf Ragaz' Glaubensweg, das Erwachen „des Glaubens an das Reich Gottes als Kern und Stern der Bibel und der Sache Christi" (:230).22 Dieser Glaube, der sich erst allmählich zu voller „Fülle und Kraft“ (:231) entfaltete, verband seine Opposition gegen Kapitalismus, Imperialismus, Militarismus sowie gegen die Kirche und das etablierte Christentum mit der Hoffnung auf das Reich Gottes (Mattmüller 1957:243). Seine Basler Zeit war damit eine Fortsetzung der bereits in Chur begonnenen theologischen Entwicklung (Ragaz 1922d:79), der sich hin zur Hoffnung und Spiritualität des Reiches Gottes bewegte. Das intensivierte sein Engagement für die Anliegen der Arbeiterbewegung. Die verstärkte Sehnsucht nach einer Verbindung mit der Arbeiterbewegung brach in einer Predigt nach einem gescheiterten Streik der Maurer 1903 aus, in der er sich deutlich auf die Seite der Arbeiter*innen stellte (Mattmüller 1957:84).23 In der folgenden Zeit hielt Ragaz verschiedene Vorträge in Arbeiter*innenvereinigungen und widmete sich intensiv dem Studium des Sozialismus, um ihn auch theoretisch fundiert kennenzulernen (Buess & Mattmüller 1986:71).24 Dennoch war das Münster, in dem er tätig war, den Arbeiter*innen zu elitär und realitätsfern, weshalb Kirche und Arbeiterbewegung für ihn weiterhin zwei getrennte Welten blieben.25 Auch die Freundschaft mit Pfarrer Hermann Kutter und die Gründung der religiös-sozialen Bewegung 26 mit ihm fielen in die Basler Zeit. Die Bewegung wuchs zunächst sogar über die schweizerischen Grenzen hinaus und fand in der im gleichen Jahr gegründeten Zeitschrift Neue Wege ein zentrales Organ (Ragaz 1952a:240). Doch schon kurz nach Beginn ihrer gemeinsamen Arbeit gerieten Ragaz und Kutter in einen Konflikt, der zu den ersten Spaltungen innerhalb der religiös-sozialen Bewegung führte (Ragaz 1952b:101).27

3.2 Vom Professor zum Proletarier

1908 wurde Ragaz dann als Professor für systematische und praktische Theologie an die Universität Zürich berufen. In dieser Zeit lernte er den Theologen Christoph Blumhardt kennen, dessen pietistische Prägung und tiefes spirituelles Verständnis Ragaz' Glauben an das Reich Gottes maßgeblich beeinflusste.28 In diese frühe Zürcher Zeit von Ragaz fiel auch der Zürcher Generalstreik von 1912 und markierte eine entscheidende Radikalisierung in seinem Klassenbewusstsein. Besonders empörte ihn das unverhältnismäßige militärische Vorgehen des Bürgertums gegen die friedlichen Demonstrationen der Arbeiterbewegung. In Empörung verfasste Ragaz einen Artikel für die Neue Wege, der später von der SPS als Flugschrift veröffentlicht wurde und als Ragaz' bekannteste Schrift zählt (Mattmüller 1957:186f.).29 Diese Parteinahme zu den Arbeiter*innen hat Ragaz endgültig vom Bürgertum getrennt, sodass er nach dem Erlebnis des Generalstreiks der SPS beitrat (Ragaz 1952b:59). Als beim Weltfriedenskongress der II. Internationalen Ende 1912 die roten Fahnen der sozialistischen Parteien aus aller Welt in das Münster einzogen, war dies für Ragaz die „traumhaft gewaltige Erfüllung“ (Ragaz 1952a:368) dessen, was er in diesem Münster und darüber hinaus zuvor verkündet hatte.

Unter dem Eindruck des im Jahr 1914 ausbrechenden Ersten Weltkriegs legte Ragaz in den ersten Kriegswochen ein feierliches Gelübde vor Gott ab, sein zukünftiges Leben dem Einsatz für den Frieden zu widmen (Mattmüller 1968:35). Der Pazifismus wurde neben dem Sozialismus zum zweiten großen Schwerpunkt in seinem Leben, der während des Weltkrieges, in der Dienstverweigerung und Organisierung eines Zivildienstes auf dem privaten Wege und in der Forderung der Abrüstung Ausdruck fand (Ragaz 1952b:19ff.). In seiner Rolle als Präsident der schweizerischen Zentralstelle für Friedensarbeit wurde er in der Zwischenkriegszeit zu einem der führenden Vertreter der antimilitaristischen Friedensbewegung in der Schweiz (Brassel-Moser 2021). Aufgrund des Krieges nahm Ragaz die Arbeiterbewegung in einer Situation des Fragens nach den Ursprüngen des Krieges wahr. Das ist die Situation, in welcher vor allem Ragaz in den linken Flügel der Sozialdemokratie hineingewachsen ist und eine Zeitlang mit anderen der religiös-sozialen Bewegung Meinungsführer des linken Flügels der SPS wurde (Buess & Mattmüller 1986:99f.). Sie kamen in eine tiefe Solidarität mit dem Proletariat, in der sie viel Bekanntschaft mit wichtigen Akteuer*innen machten und arbeiteten intensiv bspw. an der Schaffung der Zimmerwalder Konferenz.30 Der große Einfluss auf die Arbeiter*innen schwand besonders nach der Oktoberrevolution der Bolschewisten von 1917. Die mühsamen Anstrengungen in der Arbeiter*innenbildung und der gewerkschaftlichen Arbeit schienen Ragaz der Idee einer gewaltsamen Eroberung durch eine Minderheit Platz zu machen. Für ihn stellte dieser Weg zur revolutionären Bewaffnung nach Lenin eine existenzielle Gefahr für den Sozialismus dar (Buess & Mattmüller 1986:110). In der anschließenden Entscheidung über den künftigen Kurs der schweizerischen Arbeiterbewegung, insbesondere darüber, ob die Sozialdemokratie der III. Internationale und somit dem Bolschewismus beitreten sollte, sprach sich die religiös-soziale Bewegung gegen einen Eintritt aus (Ragaz 1952b:90).

Diese Auseinandersetzungen hatten auch persönliche Konsequenzen für Ragaz: 1921 legte er seine Professur nieder, da er dem tiefen Wunsch folgte, selbst Proletarier zu werden (Ragaz 1952b:115ff.). Ohne Pension trat er den Weg ins Unbekannte an, was sich als schwierig herausstellte (:123). 1922 zog dann die Familie in ein Haus an der Gartenhofstraße in Zürich (:139), der später als Gartenhof bekannt wurde (vgl. Boesch u.a. 2019) und eine Mischung aus Arbeiter*innenhochschule und Gemeinschaftszentrum darstellte (Ragaz 1952b:138). Ragaz hielt bis zu vierzig Vorträge im Jahr, welche sich um die Begründung der neuen Gestaltung und der Zukunft des Sozialismus bewegten (:179).31 In diesem Zusammenhang kam es erneut zu einer intensiven Interaktion der religiös-sozialen Bewegung mit der SPS, die sich allgemein auf den Marxismus richtete. Die spätere Hinwendung der SPS zum Militarismus und der grundlegenden Programmänderung am Luzerner Parteitag von 1935 führte zum schmerzlichen Austritt von Ragaz (Ragaz 1936:149). Die Trennung war für die „Rettung des Sozialismus“ (Ragaz 1952b:183) notwendig, blieb jedoch nie so endgültig, dass das gegenseitige Interesse vollständig erlosch. In den letzten Jahren bis zu seinem Tod im Dezember 1945 widmete sich Ragaz gemäß seinem Gelübde vor allem dem Friedenskampf (Ragaz 1952b:339); als Herausgeber der Neuen Wege kommentierte er die weltpolitische Lage und stellte sie in Bibelkursen im Gartenhof in den Zusammenhang des Reiches Gottes (Buess & Mattmüller 1986:189).32

Diese vorangestellte Darstellung von Ragaz' biografischer Entwicklung verdeutlicht, wie seine Theologie untrennbar mit seinem Engagement für die Arbeiterbewegung verbunden ist. Seine persönlichen Erfahrungen mit Armut und dem ländlich-genossenschaftlichen Leben in der Schweiz prägten seine ganze Entwicklung und führten zu einer starken Identifikation mit der Arbeiterbewegung und ihren Anliegen.

4 Zur Theologie Ragaz‘

Die folgende Darstellung der Theologie von Ragaz stützt sich vor allem auf seine Vorlesungsmanuskripte, die in der Systematisierung von Hans Ulrich Jäger (1971) vorliegen.33 Als Ausgangspunkt der folgenden Darstellung dient ein Zitat, in dem Jäger die entscheidenden Grundzüge von Ragaz’ theologischer Erkenntnistheorie zusammenfasst sieht und so einen Zugang zu seinem Denken eröffnet: „Ein jeder gehe den Weg, den er für den besten hält, lese sein Evangelium und schaue in die Welt hinein, horche auf sein Gewissen und lasse sich von Gott ziehen“ (Ragaz, zitiert nach Jäger 1971:223).

4.1 Anthropozentrische Theologie und Gotteserkenntnis

4.1.1 Die menschliche Entwicklung in Ragaz’ Theologie

Der Aufruf, auf das eigene Gewissen zu hören und sich von Gott ziehen zu lassen, veranschaulicht exemplarisch die konsequent anthropozentrische Ausrichtung von Ragaz’ Theologie (Jäger 1971:16). Daher steht auch die Ethik als Wissenschaft der „Menschwerdung des Menschen“ (ebd.) im Mittelpunkt seines theologischen Denkens. Bereits hier zeigt sich, dass Ragaz den Menschen nicht als statisches, sondern als ein sich entwickelndes Wesen begreift. Er betrachtet den Menschen und seine gesamte Wirklichkeit stets von ihrem Ziel her. Ethik bedeutet für ihn daher vor allem, auf das hinzuarbeiten, was einmal sein soll: eine neue, bessere Wirklichkeit (Ragaz 1904:51). Gerade wenn Ragaz das ethische Ziel des Menschen, als etwas erfährt, das außerhalb seiner Kontrolle liegt, erhält seine Begründung der Ethik eine theologisch-eschatologische Ausrichtung: Ethik muss entweder aus der Religion hervorgehen oder zu ihr hinführen – andernfalls, so Ragaz, drohe der Mensch an seiner Aufgabe zu verzweifeln (:107ff.).

Die Ethik bei Ragaz besteht aus Analyse und Gestaltung, für Ragaz folgt aus der Analyse die Aufforderung Wirklichkeit aktiv zu gestalten. Zunächst wird die Wirklichkeit in ihrer Komplexität analysiert und in einem Deutungsprozess auf einfache Grundstrukturen zurückgeführt, die in dialektischen Begriffspaaren gefasst werden. Diese Begriffspaare dienen dazu, wesentliche Strukturen zur Klärung der vielschichtigen Wirklichkeit und damit zur Entwicklung des Menschen aufzuzeigen (Jäger 1971:67f.). Das fundamentalste Begriffspaar für Ragaz ist jenes von Natur und Geist, das die Grundlage für sein Verständnis des Menschen und dessen Entwicklung bildet. Er führt das gesamte Wesen des Sittlichen auf diesen Gegensatz zurück (ebd.).34 Unter Natur versteht Ragaz das Gegebene – das materielle Sein und das natürliche Begehren des Menschen (:77f.). Dieser Begriff umfasse nicht nur das materielle Leben, sondern auch weite Bereiche des Geistes. Demgegenüber stehe der Geist, der dort beginne, wo der Mensch aktiv in das Gegebene eingreife, sein Leben bewusst gestalte und in Freiheit aus der Natur heraustrete – also dort, wo das sittliche Wollen einsetze (ebd.). In dieser Gestaltung werde die Natur zum Objekt des Geistes, der beginne, über sie zu herrschen. Dennoch sei der Geist auf die Natur angewiesen, ebenso wie die Natur zur Vollendung auf den Geist angewiesen sei (:84).

Ragaz vertritt die Auffassung, dass es eine absolute sittliche Wahrheit gibt, die innerhalb des dualistischen Verständnisses als Geist existiert und nicht aus der Natur abgeleitet werden kann. Der Mensch besitze jedoch die Fähigkeit, diese Wahrheit zu erfassen – das Gewissen übernehme dabei die Rolle des Vermittlers zwischen Natur und Geist. Es sei kein eigenständiges Erkenntnisorgan, sondern zeige lediglich an, ob die Natur mit der sittlichen Wahrheit übereinstimme. So werde das Gewissen zur Instanz, die den Menschen mit der Erkenntnis Gottes verbinde, die für Ragaz mit der sittlichen Wahrheit identisch ist (Ragaz 1904:66; Jäger 1971:218ff.). Gott offenbare dem Menschen seine sittlichen Wahrheiten nicht direkt im Gewissen, sondern die Gewissensstimme rufe ihn dazu auf, der von außen an ihn herantretenden Wahrheit Gottes zuzustimmen.35 Genau an diesem Punkt verbindet sich für Ragaz die Autonomie des Menschen mit der Theonomie (Jäger 1971:221ff.). Jede Person habe ihren eigenen Zugang zu Gott, der auf einzigartige Weise erfahrbar sei. Daher könne man von einer Person auch nicht mehr verlangen, als dass sie ihrem eigenen Gewissen folge. Alle Menschen müssten ihre eigene Sittlichkeit und Ethik entwickeln. Trotz dieser individuellen Prägung des Gewissens bleibt es, laut Ragaz, von einem sicheren Licht der Wahrheit durchdrungen. Es lässt sich zweifach verstehen: Einerseits in seiner äußeren Form als „Du sollst“ (Ragaz 1904:84) – das Gefühl einer unbedingten Verpflichtung, das stets besteht –, andererseits in seinem wandelbaren Inhalt, also den sich verändernden sittlichen Normen und Werten. Einst galt die Blutrache als sittliche Pflicht, während heute der Abscheu vor Mord selbstverständlich ist – doch das „Du sollst“, so Ragaz, ist geblieben (Ragaz 1904:84). Wenn die Menschen wirklich auf ihr Gewissen hören und unermüdlich nach sittlicher Wahrheit streben, würden sie sich zunehmend der objektiven Wahrheit annähern und zu Ordnung in der Welt führen (Jäger 1971:221ff.).

Die damit implizierte Verantwortungsfähigkeit des Menschen setzt jedoch die Freiheit zur Selbstverantwortung voraus. Der Mensch müsse in Bezug auf die Erkenntnis des Guten – und damit auf die Erkenntnis Gottes – eigenständig entscheiden können, was wahr und was falsch sei. Ohne diese Freiheit könnten weder Verantwortung noch sittliche Zumutung oder Schuld existieren. Für Ragaz ist es daher ausgeschlossen, den Glauben an den freien Willen des Menschen, egal wie sehr er von Kausalketten abhängig ist, aufzugeben (Jäger 1971:93ff.). Diese Freiheit des Menschen hat jedoch zur Folge, dass Ragaz die Erlösung als einen stufenweisen Entwicklungsprozess versteht, bei dem der Mensch als freier Mitarbeiter Gottes den Geist über die Natur erhebt – ein Prozess, den er zwar verzögern, aber nicht verhindern kann (:103ff., 108). In diesem Freiheitsverständnis des Menschen, so Ragaz – in Anlehnung an Blumhardt –, geht es nicht darum, von einem „fertigen Gott“ (Ragaz 1925:61) zu sprechen, der einmal alles erschaffen hat und die Erlösung nun allein der Menschheit überlässt. Vielmehr glaubt Ragaz an einen weiterhin schaffenden Gott, der seine Schöpfung fortführt und dessen große Taten nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart zu finden sind (ebd.). Gott verfolge das Ziel der Erlösung mit größtem Ernst, fördere die Entwicklung des Menschen und lenke sie in die richtige Richtung, bis hin zur Vollendung (Jäger 1971:103ff.). In diesem Sinne begreift Ragaz den Menschen dialektisch zwischen Autonomie und Theonomie und spricht davon, auf sein Gewissen zu hören und sich von Gott ziehen zu lassen.

4.1.2 Die Welt, das Evangelium und Jesus als Quellen der Gotteserkenntnis

Teil von Ragaz’ erkenntnistheoretischem Ansatz ist die Überzeugung, dass das Erleben von Gottes Offenbarungen in der Weltgeschichte mit dem Lesen des Evangeliums vereinbar ist. Beide Erkenntnisquellen – die Welt und das Evangelium – hätten gemeinsam, dass sie jeweils die Erkenntnis Gottes in einem von ihm gewirkten Geschehen vermittelten (Jäger 1971:223ff.). Darum heißt es auch im einleitenden Zitat: „Ein jeder gehe den Weg, den er für den besten hält, lese sein Evangelium und schaue in die Welt hinein [Hervorhebung TH]“ (Ragaz, zitiert nach Jäger 1971:223f). Jedoch führt das Lesen der Bibel Ragaz dazu, das Reich Gottes in der Welt zu suchen (Jäger 1971:244).36 Darum verbindet Ragaz die heutige Betrachtung der Welt mit dem Lesen des Evangeliums, denn es reiche nicht, dass „Gott in der Natur zu uns spricht, diese Sprache verstehen wir nur ahnend; es genügt auch nicht, wenn er durch die Geschichte, die eigene oder die des Volkes, zu uns spricht“ (Ragaz 1908:356). Ragaz begrenzt damit den Anspruch einer natürlichen Theologie. Der Inhalt des Evangeliums bildet nach seiner Auffassung jedoch „nur die Botschaft vom Reiche Gottes“ (Ragaz 1990c:123), dessen Grundprinzipien alle einen sozialen Sinn haben, weshalb er auch vom „sozialen Evangelium“ (:124) spricht. Somit verbindet Ragaz Evangelium und Welt miteinander. Das soziale Evangelium sei durch Jesu Worte, sein Leben, sein Wirken und sein Opfer verkündigt worden und werde zur primären Erkenntnisquelle. Jesus wird von Ragaz einerseits als der „höchste Punkt, den die Menschenseele auf der Suche nach der sittlichen Wahrheit erreichen kann“ (Ragaz 1904:119) beschrieben, zugleich aber auch als wirklicher historischer Mensch verstanden.37 Durch seine Inkarnation gebe er dem Menschen das Recht zurück, Mensch zu sein, und vor allem, Teil von Gottes Reich zu sein. Ragaz versteht Jesus als ein Individuum, das in vollkommener Freiheit und Wahrheit handelt, ohne sich in ein festes Schema zwängen zu lassen (Kehl 2011:19f.). Dabei erkennt er an, dass Jesus nicht in jeder Hinsicht perfekt war. Er betont, dass Jesus Fehler machte und manchmal zornig oder ungerecht wurde. Doch gerade diese Unvollkommenheiten sieht Ragaz als etwas Positives, denn sie unterstreichen Jesu Menschlichkeit und machen ihn zu einem von uns. Letztlich erscheint Jesus für Ragaz als eine vielschichtige Gestalt: als Politiker, Demokrat, Friedenskämpfer, Optimist und Revolutionär (:23).

Ragaz wehrt sich dagegen, den Inhalt der Moral Jesu im Detail nachzuzeichnen, da dies seinem Freiheitsverständnis des Menschen Gewalt antue und ihn einschränke (:133). Der Höhepunkt der Moral ist für ihn jedoch das Kreuz, ein überweltlicher Ort, an dem ihm die fundamentale Frage nach der Gottheit Jesu in ihrer konkreten Bedeutung bewusst wird (Ragaz 1990c:254ff.). An diesem Ort habe sich das Reich Gottes in seiner Vollständigkeit offenbart, denn am Kreuz sei eigentlich erst das Reich Gottes „in Klarheit erschienen“ (Ragaz 1922a:63), indem es die Grundstruktur aller Siege des Gottesreichs offenbare: „Der Gerechte muß leiden für den Ungerechten, und nur durch Ideale und Opfer wird die Welt erlöst“ (Ragaz, zitiert nach Jäger 1971:242). Seine Auferstehung zeige den Weg des Reiches Gottes zur Auferstehung der gesamten Schöpfung auf, und ein Anfang dieser Auferstehung erfolge bereits durch ein Erwachen des sozialen Gewissens und das Vordringen der Liebe in einer Welt der Lieblosigkeit (Ragaz 1990c:264ff.). Ostern wurde Ragaz zur zentralen Energiequelle, als ein Dennoch, entgegen allem Versagen in seiner Arbeit für den Sozialismus und Frieden. Gerade durch die eben erwähnte Grundstruktur der Siege Gottes in der Welt, konnte er alles Versagen des Menschen als Aufbrechen des Reiches Gottes erkennen, da Ostern (die Erlösung) ihm als notwenige Konsequenz von Karfreitag (Opfer und Leid) folgen muss (Herkenrath 1977:7ff.).

So wird das Reich Gottes für Ragaz zur „zentrale[n] Freiheitsbewegung der Menschheit“ (Ragaz 1922d:174), die übernatürliche Kräfte zur Befreiung von der Herrschaft des Bösen vermittelt. Christus habe bereits gesiegt, aber seine Erlösung müsse sich nun auch auswirken: „Die neue Schöpfung ist gegründet, aber sie muß nun in Wachstum und Kampf sich entfalten“ (Ragaz 1925:102).38 Dies geschehe zunächst geistlich, „besonders in der Aufhebung der Schuld, in der Erschließung eines neuen geistigen Lebens aus Gott“ (Ragaz 1925:97f.), betreffe jedoch zugleich das leibliche Leben. Die Erlösung sei nicht nur eine individuelle Angelegenheit, sondern ziele auf ein Gottesreich, das die gesamte Welt umfasse – ein ganzheitliches Reich, das geistliche, leibliche, soziale und politische Dimensionen vereine (Ragaz 1925:52). Dieses Reich gehöre einer neuen Welt an und dringe siegreich vorwärts, hin zu einem „neuen Himmel und einer neuen Erde, wo unter einer völligeren Gottesherrschaft der Mensch völliger zu sich selbst kommt“ (Ragaz 1925:49). In diesem Sinne werde der Christusglaube „eine gewaltige Hoffnung für diese Welt“ (Ragaz 1922d:104). Ragaz fasst häufig die Formel der Sache Christi so zusammen: „Das Reich Gottes ist für die Welt, aber nicht von der Welt“ (Ragaz 1922d:194). Oder wie Markus Mattmüller Ragaz‘ Verständnis des Reiches Gottes zusammenfasst: „Eine durch hereinströmendes Gottesleben neugeborene Welt“ (Buess & Mattmüller 1986:86).

4.1.3 Fazit

Die Einführung in die Erkenntnistheorie von Ragaz hat gezeigt, dass seine Theologie nicht einer klassischen dogmatischen Ordnung folgt, sondern sich anthropozentrisch strukturiert. Er schreitet von der Erlösungsfrage des Menschen aus in die Analyse der Wirklichkeit, aus der er zentrale Prinzipien ableitet – etwa das dialektische Verhältnis von Natur und Geist sowie die fundamentale Rolle des Gewissens als Grundlage menschlicher Autonomie. In diese Denkstrukturen fügt sich das Evangelium Jesu als höchste Offenbarung Gottes ein – als Maßstab der sittlichen Erkenntnis und als zentrale Perspektive auf das Reich Gottes.

Damit verschiebt sich der Fokus von der bloßen Gotteserkenntnis zur aktiven Gestaltwerdung des Reiches Gottes in Geschichte und Gegenwart. Dieses Reich ist für Ragaz keine abstrakte Idee, sondern eine reale Freiheitsbewegung, in der das Wirken des „schaffenden, vorwärtsführenden“ (Ragaz 1909:3) Gottes hervortritt. Das Reich Gottes breche in der Welt auf, wolle aber vom Menschen mitgestaltet werden und ziele auf die umfassende Erlösung der gesamten Schöpfung. Diese theologische Sicht des Heilswillens und -handelns Gottes, die in Jesus zur vollen Klarheit gelange, setzt allerdings voraus, dass der Ist-Zustand, die gegebene Natur, in gewissem Sinne negativ beurteilt wird – insofern sie nicht so ist, wie sie sein könnte (Stähli 1976:53, Jäger 1971:141f.).

Die gegenwärtige Welt stehe in Strukturen des Unrechts, der Entfremdung und der Gewalt, die der Verwirklichung des Reiches Gottes entgegenstünden. In diesem Zusammenhang charakterisiert Ragaz die ganze Geschichte als einen „großen Abfall von Christus“ (Ragaz 1922d:47). Das christliche Leben und Denken seien weitgehend verloren gegangen (:60ff.) und verlangten nach einer grundlegenden Umkehr zum Reich Gottes (Ragaz 1914:11). In diesem Licht wird nun eine vertiefte Betrachtung von Ragaz’ Verständnis und Verkündigung des Reiches Gottes folgen.

4.2 Ragaz‘ Reich-Gottes-Verständnis

4.2.1 Das Reich Gottes als die Überwindung des Abfalls

Ragaz versteht den Abfall von Christus bzw. das Böse allgemein zunächst in Anschluss an Kant als Schuld des Menschen, als Folge des Ungehorsams gegenüber Gott. So sei das Böse kein Faktum, sondern eine Frucht menschlicher Tat, menschlicher Entscheidung (Jäger 1971:144). Für das Problem des Bösen gebe es nur eine Erklärung, und diese sei Freiheit (:147). Das Übel werde nicht als notwendiger Bestandteil der göttlichen Weltordnung betrachtet, sondern als ein fremdes, Gott widersprechendes Element. Das Böse habe aber nicht das letzte Wort. Für Ragaz gilt: Wenn die Welt, wie sie jetzt ist, durch das Handeln des Menschen entstanden ist, dann kann sie auch durch menschliches Handeln verändert werden (Ragaz 1990a:40f.).

Im Zentrum von Ragaz’ Verständnis des Bösen steht dessen Verkörperung im Mammon. Als „Gegengott des Evangeliums“ (Ragaz 1990c:94) wird er zur Haupttriebkraft, die den Menschen von seiner eigentlichen Bestimmung abbringt. Das Streben nach geistlichem wie materiellem Besitz entspringe dem menschlichen Bedürfnis nach Sicherheit, das durch die Angst vor Armut genährt werde. Wird diese Angst gerechtfertigt, so stärkt sie den Mammon und führt in die Gewalt (Ragaz 1990c:96ff.). Mammon und Gewalt werden für Ragaz zu den entscheidenden Hindernissen auf dem Weg zum Reich Gottes. Nicht Reichtum und Gewalt, sondern Armut und das Streben nach Frieden eröffnen den Zugang (:94, 101). Der Kampf des Reiches Gottes konzentriere sich daher in erster Linie auf diese beiden Götzen, von denen Jesus die Menschen befreien möchte. Daher geht Jesus nach Ragaz an die Wurzel des Mammons: Er will den Menschen die Sorge um Sicherheit und Besitz nehmen, indem er sie durch die Sorge um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit ersetzt (:98f.).

Vor allem in seiner Zeit als Stadtpfarrer in Chur, wo er in der Armenfürsorge tätig war, erkannte Ragaz aber auch die vielfältigen Verflechtungen des individuellen Bösen (Jäger 1971:149f.). Er sah das Böse in einem eigenen Reich verbündet, in dem das Böse sich gegenseitig unterstützt und gefördert wird (Ragaz 1990c:101). Ragaz erkennt das Böse nicht nur als individuelles Fehlverhalten, sondern auch als allgemeine Macht, in die jeder Mensch hineingeboren wird – die Erbsünde (Jäger 1971:149f.). Dieses umfassende Verständnis des Bösen führt ihn zu der Erkenntnis, dass individuelles Fehlverhalten immer auch Teil einer größeren gesellschaftlichen Schuld ist (:151). So sieht er eine gesamte Gesellschaft mitverantwortlich, wenn Menschen bspw. aufgrund von Armut kriminell werden. Denn jeder Einzelne trage dazu bei, die gesellschaftlichen Strukturen aufrechtzuerhalten, die wirtschaftliche Not und soziale Ungleichheit begünstigten – und damit auch Verbrechen. Er fordert eine kritische Analyse dieser gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie beispielsweise im Marxismus zu finden ist (ebd.). Dennoch vertritt Ragaz die Sichtweise, dass soziale Reformen niemals das Böse komplett besiegen können, sondern es immer auch eine übernatürliche Befreiung Gottes braucht (:154f.).

Das Böse stellt sich am Ende in Ragaz‘ Denken als Missverhältnis von Natur und Geist dar (Jäger 1971:141). Der Abfall von Christus verstehe sich als Abwendung des Menschen von Geist hin zur Natur, weltanschaulich verstanden durch den Naturalismus, welcher den Geist in die Natur zurücksinken lasse, und Ragaz konsequenterweise durch die Verneinung eines sittlichen Geistes als Immoralismus erscheint und ihm somit notwendigerweise zum Gegensatz seines Idealismus wird (Jäger 1971:160). Der Naturalismus wird Ragaz die Form des Heidentums, also der vollständigen Gottlosigkeit, als Ursprung des Abfalls von Christus (:284).

4.2.2 Die Religion als Gegensatz des Reiches Gottes

Den Abfall von Christus zum Heidentum fasst Ragaz auch mit dem Begriff der Religion 39 als Gegensatz zum Gottesreich zusammen (Ragaz 1922d:141ff.). Damit kritisiert Ragaz zunächst das offizielle Christentum, das er als eine christliche Form mit einem heidnischen Kern sieht (ebd.).40 Sie wird ihm zur „mächtigste[n] Erscheinungsform des Naturalismus“ (Ragaz, zitiert nach Jäger 1971:284) und gefährlichsten Gegner des Reiches Gottes.

Ragaz möchte zwischen Reich Gottes und Religion unterscheiden und setzt die Grenze dort, wo der Glaube an Gott beginnt, sich auf sich selbst zu konzentrieren, Gott in ein Geheimnis zu hüllen, das nur einer kleinen Gruppe an Gelehrten zugänglich ist, und schließlich den Weg von der Welt ins Jenseits zu weisen (Ragaz 1942:16). Er redet zeitweise auch von der ruhenden bzw. ästhetisch-kultischen Form, entgegen der vorwärtsdrängenden Form des Glaubens (Ragaz 1907:20f.). Religion als das, wovon die ursprüngliche Botschaft Gottes befreit werden müsse (ebd.). Grundlage dieser Kritik ist Ragaz’ Verständnis der Botschaft Jesu als durch und durch sittlich. Bereits bei Mose und den Propheten sieht er eine Betonung der sozial-ethischen und politischen Dimensionen des Monotheismus (Jäger 1971:285). Die Entwicklung des Christentums, so Ragaz, habe jedoch dazu geführt, dass es sich mit den Mächten des Bösen verband, die sich in seiner Zeit bspw. im Kapitalismus, Imperialismus und Militarismus manifestierten. Die ursprüngliche Befreiungsbotschaft Jesu sei in Knechtschaft und Heuchelei verkehrt worden, wodurch sie zur Ideologie des Bürgertums geworden sei (Stähli 1976:60). Diese Ideologie diene der individuellen Erbauung und Rechtfertigung der bestehenden Systeme (ebd.). Das Reich Gottes sei ins Jenseits verschoben worden, und damit die Hoffnung auf eine neue Welt verloren gegangen (Ragaz 1922d:32f.). Um diese verloren gegangene Kraft des Glaubens zurückzugewinnen, müsse sie durch „die gewaltigste Kraft der Weltumgestaltung“ (Ragaz 1925:53) wiederbelebt werden. Ragaz fordert daher die Ablegung der religiösen Formen, die zwischen Gott und den Menschen stehen. Das rechte Verhältnis zwischen den Menschen müsse gefördert werden, „das in der Liebe sich vollendet, die wiederum als solidarisches Dienen verstanden wird, besonders des Starken am Schwachen“ (Ragaz 1922d:307f.).

Ragaz kritisiert weiter, dass die theologischen Strukturen zu einem Besitz- und Gewaltstreben führen, das die eigentliche Botschaft Christi entstellt (Ragaz 1972:168). Besonders problematisch war für Ragaz die Vorstellung, dass religiöse Theorie und Gelehrsamkeit die unmittelbare Gemeinschaft des Menschen mit Gott ersetzen könnten. Zwar seien theoretische Aussagen zum Reich Gottes unvermeidlich, doch dürften sie nicht dazu führen, dass Menschen sich als besonders erkenntnisreich von Gott ansehen, indem sie sich in religiöse Theorie vertiefen und das Streben nach dem Reich Gottes sowie seiner Gerechtigkeit in den Bereich des theoretischen Besitzes verlagern (Ragaz 1922d:225). Jesus stelle dem eine völlig andere Haltung entgegen. Bei ihm gebe es „nirgends eine Spur von Theologie“ (:228); er wende sich nicht gegen den Menschen mit dogmatischen Systematisierungen, sondern mit einer praktischen Gottesbeziehung, die in der Handlung und nicht im Glauben an abstrakte Theorien bestehe. Das Reich Gottes sei „von Hause aus praktisch“ (:231) und könne nur in einer Weltordnung verstanden werden, in der Gottes Wille in Gerechtigkeit geschieht (:229). Christ*innen sind für Ragaz darum nicht in erster Linie Anhänger einer bestimmten Weltanschauung, sondern Menschen, die das Reich Gottes durch konkrete Taten in der Welt gestalten wollen. Darum sei es irrelevant, ob ein Glied des Reiches Gottes „Theist, Pantheist, theoretischer Materialist, Monist“ (Ragaz 1922d:191) sei. Jesu Botschaft stelle die „Hauptangelegenheit jeder Menschenseele“ (:233) dar, die nicht von der Gelehrsamkeit der Theolog*innen abhänge, sondern von der praktischen Ausrichtung auf Gottes Wille. Ragaz forderte in diesem Sinne eine „innerlichste Demokratie“ (:270), die die Grundlage des Reiches Gottes darstellt. Dementsprechend rücken alle, die am Reich Gottes teilnehmen, in die gleiche Nähe zu Gott.

Darüber hinaus übte Ragaz Kritik daran, dass im Christentum häufig die Ehre Gottes verteidigt werde, während in Wirklichkeit oft lediglich die eigene Macht und Ehre im Mittelpunkt stünden (Ragaz 1922:274). Die Versuchung liege darin, bestehende Ordnungen, Erkenntnisse und Autoritäten zu bewahren, die fälschlicherweise mit Gott verwechselt werden. Anstatt die Gerechtigkeit des Gottesreiches zu suchen, werde in Wirklichkeit der eigene Besitz verteidigt (:282). Insgesamt führt dies nach Ragaz dazu, dass christliche Gemeinschaften, die sich durch eigene Gebäude, Sakramente und eine spezifische religiöse Sittlichkeit von der heillosen Welt abgrenzen wollten, zu Kirchen werden, die das eigentliche Ziel des Reiches Gottes verfehlen, indem sie sich zu sehr auf ihren Besitz konzentrieren. So würden sie zu einem Gegensatz zwischen dem Heiligen und dem Heillosen beitragen, der sich zunehmend in einem Konflikt zwischen Kirche und Staat manifestiert (Ragaz 1922d:322ff.). Für Ragaz (1925:46ff.) ist das Reich Gottes also keine abstrakte Organisation, die sich von der Welt abhebt, sondern eine lebendige Bewegung, die in diese Welt kommt. Es ist ihm eine Hoffnung für diese Welt, die keine Trennung zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit oder zwischen Diesseits und Jenseits vornimmt (Ragaz 1925:46ff.). Diese Hoffnung richte sich auf das fortwährende Wirken Gottes in der Gegenwart und die Verwirklichung einer gerechten und friedlichen Welt (Buess & Mattmüller 1986:86). Für Ragaz ist die Organisation des Reiches Gottes bereits durch bestehende menschliche Gemeinschaften gegeben, die sich an der „Schöpfung Gottes anschließen und sie damit vollenden“ (:352) sollen. Eine institutionalisierte Kirche ist für ihn nicht notwendig – im Gegenteil, er bekämpft sie und fordert ihre Aufhebung, da sie sich Gott in den Weg stelle (:332f.). Stattdessen plädiert er für Gemeinschaften, die gemeinsam nach der Verwirklichung der Gerechtigkeit des Gottesreiches streben (:357). So versucht Ragaz, die entartete Religion durch eine tiefere, lebendige Religion – das Reich Gottes – zu überwinden und das Böse mit dem Guten zu besiegen (Jäger 1971:285).

4.2.3 Die Verweltlichung der Sache Christi als die Erfüllung des Reiches Gottes

Die Kritik an der Religion führt bei Ragaz zu einer positiven Vorstellung einer „heiligen Verweltlichung“ (Ragaz 1942:297) der Sache Christi, durch die die Welt revolutioniert und erlöst werden soll (:284). Eine Verweltlichung, die darauf abziele, die gesamte Wirklichkeit zunehmend „in den Herrschaftskreis Gottes zu ziehen“ (:296). Das Gottesreich sei eben „nicht bloß eine ‚religiöse‘, sondern eine allgemein menschliche Sache“ (Ragaz 1922d:37). Die Reformation habe mit der erneuten Verkündigung des Allgemeinen Priestertums 41 und dem universalen Anspruch Gottes auf die gesamte Wirklichkeit einen entscheidenden Schritt zu dieser Auflösung der institutionalisierten Religion getan (Jäger 1971:293). Der Protestantismus sei „im großartigsten Sinn des Wortes die Säkularisierung des Christentums“ (Ragaz 1922d:343), im Sinne der Aufhebung der „kirchlich-dogmatischen Form der Sache Christi“ (Ragaz 1942:294). Diese Verweltlichung dürfe nicht als Gottferne missverstanden werden, sondern sie ermögliche das Verständnis eines lebendigen Gottes, der nicht auf eine Theologie oder Institution begrenzt ist, sondern im Gewissen jedes Menschen anklopft, ihn zu sich zieht und befreien möchte (Jäger 1971:294). Die Verweltlichung stellt für Ragaz die Überwindung des Abfalls von Christus dar. Es entspreche dem Grundsinn der biblischen Botschaft, dass Gott in die Welt eingeht (Ragaz 1951:54). Hier setzt darum auch Ragaz‘ Verständnis des politischen Sozialismus als Form des Gottesreiches ein, „als Aufbrechen seines unterirdischen Feuers in vulkanischer Wucht“ (Ragaz 1942:299). Nach Ragaz soll sich das in der Bibel verheißene Reich Gottes in die Welt „inkarnieren“ (Böhm 1986:173) und alle Lebensbereiche, einschließlich Politik und Wirtschaft, durchdringen.42

4.2.4 Der sozialistische Glaube an das Reich Gottes

Mit dem Gottesreich Christi müssen wir notwendigerweise den Sozialismus verbinden; denn es ist unmöglich, das Wohnen Gottes unter den Menschen mit den heutigen wirtschaftlichen Ordnungen zusammenzudenken. Denn diese bedeuten eine Welt der gegenseitigen Ausbeutung, die Welt Christi aber ist eine Welt der Liebe (Ragaz 1922e:7).

Dieses Zitat von Ragaz veranschaulicht seine Überzeugung, dass Gottes Gegenwart unter den Menschen nur in einer Gesellschaft der Liebe verwirklicht werden kann, und führt ihn zu der Forderung nach dem sittlichen Ideal eines ganzheitlichen Sozialismus – eines Sozialismus, der sowohl geistliche als auch materielle Aspekte umfasst und nicht auf wirtschaftliche Fragen reduziert werden darf (:7f.). Dieser Sozialismus brauche eine geistige Grundlage, ein Absolutes – und diese Grundlage sei nun einmal Gott (Ragaz 1972:40f.). Die Menschen müssten von ihrem Egoismus befreit werden. Es müsse Gott in ihren Herzen groß werden. Der Durchbruch zu einer neuen Welt geschehe in dem Maße, in dem Gott in neuer Liebe und neuer Gemeinschaft der Liebe komme (Ragaz 1922e:60f.). Daher schreibt er auch: „Unsere Hoffnung ruht nicht auf Menschen und menschlichen Einrichtungen, sondern auf Gott allein“ (:72). So wird der Sozialismus für Ragaz eine sittliche Forderung und ein sittlicher Glaube an die Möglichkeit einer Gemeinschaft, die auf der Heiligkeit des Menschen beruht und diese verwirklicht (Ragaz 1919:5). Deshalb müsse man vor allem die Seele des Menschen ansprechen, wenn man sich für den Sozialismus einsetzen wolle (Ragaz 1972:95). Denn es sind nach Ragaz geistige Mächte, die den Menschen am stärksten bewegen (:96). Der Weg, den es zu gehen gilt, sei der, das „sozialistische Ideal in seiner Schönheit und sittlichen Notwendigkeit [zu] zeigen; es nach Kräften in einer sozialistischen Praxis [zu] verkörpern“ (Ragaz 1922e:42). Es brauche die schöpferische Kraft des Geistes, konzentriert in der Macht der Tat einzelner Individuen. Weltanschaulich erfordere der Sozialismus daher nach Ragaz‘ Verständnis einen Idealismus.43 Dieser idealistische Sozialismus nimmt in seiner politischen Gestalt die Form eines föderalistischen, genossenschaftlichen und pazifistischen Sozialismus an (Ragaz 1918:131ff.).44 Und durch dessen geistige Begründung werde der Sozialismus nicht nur zur Sache des Proletariats, sondern zur Angelegenheit der gesamten Menschheit (Ragaz 1917:42f.).

4.2.5 Fazit

Der bestehende Zustand der Welt ist für Ragaz als Abfall von Christus gezeichnet. Besonders die institutionalisierte Kirche wird von ihm dafür kritisiert, dass sie sich zu einer Erhaltungs- und Machtinstitution bzw. zur Religion entwickelt habe. Dagegen brauche es ein neues Kommen des Reiches Gottes, das sich gerade ohne religiöse Hierarchien und dogmatische Einschränkungen entfalten möchte und die Menschen sowohl geistig als auch leiblich, individuell wie gesellschaftlich, sozial und politisch – sowohl in der Gegenwart als auch in der jenseitigen Hoffnung – befreien möchte. Es müsse in alle Lebensbereiche vordringen, einschließlich der Politik und Wirtschaft. Daher sei auch eine Verweltlichung der Sache Christi notwendig, um die bestehenden Verhältnisse zu verbessern. Ragaz’ zentrales Verständnis des Reiches Gottes als eine fundamentale Freiheitsbewegung wird hierin deutlich, eine Bewegung, die den Menschen in allen Bereichen ihres Lebens befreit, auch im politischen. Sein Sozialismus ist daher weit mehr als eine rein politische oder ökonomische Bewegung – für ihn stellt der Sozialismus einen Akt des Glaubens dar. Er verbindet den Idealismus des Reiches Gottes mit der konkreten Forderung nach sozialen und politischen Reformen. Dabei versteht Ragaz den Sozialismus sowohl als individuelle als auch als kollektive Aufgabe: Es bedarf sowohl der Erhebung des Einzelnen als auch der Schaffung solidarischer Gemeinschaftsformen wie Genossenschaften.

5 Die Interaktion

Im Folgenden soll nun der Frage nachgegangen werden, wie Ragaz aus seiner idealistischen Weltanschauung heraus mit den marxistischen Theorien interagiert.

5.1 Marxismus als Messianismus

Aufgrund Ragaz‘ idealistischem Verständnis des Sozialismus wecken Karl Marx und der Marxismus bei Ragaz vor allem Sympathien aufgrund ihres prophetischen Charakters – als „Messianismus, das heißt, Glaube an ein Reich der Gerechtigkeit auf Erden“ (:63). Man könne den Marxismus erst dann richtig verstehen, wenn man ihn als eine Art Religion begreife (:62), denn in ihm glühe noch „der idealistische Wein der Hegelschen Philosophie“ (:63). Diese „hochidealistische, geistige, gläubige Erhebung“ (Ragaz 1972:13) des Sozialismus habe jedoch zunächst im Gegensatz zu einer Welt gestanden, die diesen Glauben ins Gegenteil verkehre – es sei der Gegensatz zu der Religion, „will heißen: zum offiziellen Christentum“ (:14). Die Verelendung der Massen durch die Industrialisierung und die folgenden Generalstreiks sei auf das Versagen des offiziellen Christentums zurückzuführen, das die soziale Frage nicht richtig behandelte (Ragaz 1912:110). Daher musste sich jeder Kampf um „Recht, Wahrheit, Demokratie, bessere Gemeinschaft, sich gegen das offizielle Christentum wenden“ (Ragaz 1972:15). Die Kirche habe das Proletariat davon abgehalten, die Wahrheit zu erkennen, indem sie die ungerechten Ordnungen der Welt als gottgegeben erklärte (:17). Wie bereits in Kap. 4.2.2 gezeigt, erschienen Ragaz die Wahrheiten des offiziellen Christentums lediglich in einer heiligen Parallelwelt zu existieren – getrennt von der unheiligen Realität (Ragaz 1922e:12). Ragaz jedoch sehnte sich nach der Verwirklichung des Reiches Gottes und wollte sich von bloßer Religion lösen. Die SPS als politische Gemeinschaft der Arbeiterbewegung schien das Reich Gottes zunächst ohne Religion zu sein (:12). In der Arbeiterbewegung erkannte er den verborgenen Christus – „inkognito, ja sogar im Gewand des Antichrist“ (:13). Aus der Not der Arbeiter*innen erwuchs für ihn eine „Welt der Erlösung“ (:11), die für ihn im Wesentlichen dem Reich Gottes entsprach. Für Ragaz war es eine christliche Pflicht, sich im Sinne der Nächstenliebe der Not der Arbeiter*innen anzunehmen – jener Menschen, die Ragaz von der bürgerlich-christlichen Gesellschaft sowohl politisch als auch religiös ausgegrenzt und verachtet ansah (Ragaz 1903:30, Ragaz 1922e:16).

5.2 Kritik am Geschichtsmaterialismus und Klassenkampf

Die Abwendung der Arbeiterbewegung von der Kirche führte für Ragaz allerdings auch zu der „tragische[n] Tatsache“ (Ragaz 1972:17), dass sich ihr Sozialismus mit Atheismus und Antichristentum sowie deren Weltanschauungen verband, in denen Gott durch die Wissenschaft ersetzt wurde. Konkret beobachtete Ragaz im Marxismus eine Wissenschaftsgläubigkeit, die zu einer Ablösung des idealistischen Weltbildes führte und durch einen metaphysischen 45 Materialismus, „oder sagen wir lieber: naturalistische Weltanschauung“ (Ragaz 1972:18) ersetzt wurde. Wie zuvor in Kap. 4.2.2 beschrieben, ließe eine solche Sichtweise keinen Platz für die Seele, Freiheit, einen wahrhaftigen Geist oder für einen Sinn des Lebens – im Wesentlichen für das Absolute hinter dem Sozialismus (ebd.). Diese metaphysisch-materialistische Weltanschauung widersprach grundsätzlich Ragaz' Idealismus und führte seiner Ansicht nach dazu, dass das Reich Gottes auch bei der SPS, wie zuvor beim offiziellen Christentum, zur bloßen Religion verkam (Ragaz 1922e:20f.). Zum Materialismus gehört für Ragaz auch die Überbetonung des Naturtriebs des Menschen, der im Egoismus gipfelte und sich aus dem Darwinismus speiste (Ragaz 1972:22). Darüber hinaus umfasse er den Evolutionismus, den Entwicklungsglauben des 19. Jahrhunderts, der sich bei Hegel manifestiere und von Marx in ein materialistisches Denken überführt worden sei. An die Stelle des Glaubens an Gott trete nun der Glaube an die Entwicklung (:23).

Diese Kritik an den Weltanschauungen des Marxismus bildet die Grundlage für Ragaz’ Kritik an den theoretischen Prinzipien des Marxismus, insbesondere dem historischen Materialismus und dem Klassenkampf.46 Indem er den Marxismus als eine Form der Religion betrachtet, erkennt er den darin enthaltenen religiösen Kern als eine „Mystik der Materie“ (Ragaz 1972:65), der er wohlwollend zustimmt. Das Materielle sei in der Tat ein entscheidender Faktor im Leben des Menschen (ebd.). Wirtschaftliche Interessen und Sorgen dominieren oft das menschliche Dasein, aber, so Ragaz mit Kant, „gibt [es] eine Freiheit als Möglichkeit, eine neue Reihe des Geschehens zu beginnen“ (ebd.). Ein Grundfehler des Marxismus ist laut Ragaz die Annahme, dass sich aus der Geschichte Gesetze ableiten lassen, anhand derer die Zukunft mit Sicherheit vorhergesagt und gestaltet werden kann (:67). Ragaz versteht den Versuch, die Geschichte nach rein mechanisch-kausalen Prinzipien zu begreifen, als „philosophische[n] Unsinn“ (:67). Damit ist auch, wenn Ragaz an den Krisentheorien vom Marxismus zur Entwicklung des Kapitalismus festhielt (Ragaz 1972:61) die Vorstellung eines wissenschaftlichen Sozialismus, der zwangsläufig eintreten muss, verworfen (:68). Der historische Materialismus sollte aus Ragaz’ Sicht lediglich als Geschichtsphilosophie als eine Deutung der Geschichte verstanden werden (ebd.). Ragaz lehnt die Vorstellung ab, dass die Materie die alleinige Herrschaft über die Geschichte hat. Für ihn bleibt der Geist der Schöpfer und nicht das Geschöpf; aus dem Geist kommen die entscheidenden Triebkräfte der Geschichte (Ragaz 1972:68).

Ebenso kritisiert Ragaz die Entwicklung der Theorie des Klassenkampfes im Marxismus. Zwar sei der Klassenkampf eine bedeutende Tatsache der Geschichte, jedoch nicht die einzig beherrschende; nur die „marxistische Einseitigkeit“ (Ragaz 1972:80) könne dies behaupten. Ragaz betont, dass nicht der Kampf „kollektiver Selbstsucht, sondern Begeisterung, Hingebung und Opfer“ (:81) einzelner die stärksten Kräfte der Geschichte sind. Ragaz erkennt den Klassenkampf an, indem er ihn als „gewaltige Tatsache der Geschichte […] darstellt“ (Ragaz 1922e:38). Er erkennt an, dass das Proletariat die Aufgabe hat, durch einen letzten Klassenkampf das bestehende System der Klassenherrschaft zu stürzen und so alle zukünftigen Klassenkämpfe zu beenden (Ragaz 1922e:38). Darüber hinaus ist der Sozialismus für ihn keine bloße Verbesserung des Bestehenden, sondern „eine bis auf die Fundamente gehende Umwälzung der heutigen Gesellschaftsordnung“ (Ragaz 1972:87f.), weshalb auch der Revolutionscharakter des Klassenkampfes notwendig sei – nicht Reformation, sondern Revolution. Doch weil die Theorie des Klassenkampfes mit einer metaphysisch-materialistischen Sichtweise verbunden wurde, verknüpfte sie sich mit Mammonismus und Gewaltglauben, wodurch sie schließlich in Ragaz‘ Verständnis zur Religion verkam – eine Gewaltsache, die sich auf das Proletariat konzentrierte und nicht universell für alle galt (:90).

5.3 Der Irrweg der Arbeiterbewegung

Aus dieser Kritik des Klassenkampfes und des historischen Materialismus ergibt sich für Ragaz die logische Konsequenz, dass man in marxistischer Tradition von einer Zwangsorganisation spricht und über den regulierenden Staat versucht, den Sozialismus als eine objektive Macht darzustellen, in der auch das Individuum keine besondere Rolle spielt, sondern es vor allem um diesen neuen Staat geht (Ragaz 1922e:52f.). Der Kampf gegen das offizielle Christentum sei berechtigt und notwendig gewesen, aber dieser Rechtfertigung folge ein Unrecht, wenn etwa mit „dummen Höhnen über die Bibel“ (Ragaz 1972:27) gesprochen werde, von der man keine Ahnung habe. Der Materialismus habe die Wertschätzung des Materiellen gefördert, aber es sei schädlich, wenn daraus ein geistloser, bloßer Materialglaube werde. Ebenso sei die naturwissenschaftliche Methode notwendig gewesen, aber es sei problematisch, wenn man versuche, mit dieser Methode den gesamten Sinn der Welt und des Lebens zu erfassen. Auch der Entwicklungsglaube sei notwendig gewesen, aber es sei verhängnisvoll, wenn man ihn als Ruhepolster für Trägheit missbraucht habe. Ragaz argumentiert, dass man „zuletzt genau bei jener alten Welt“ (:29) lande – der bürgerlich-christlichen Weltanschauung des Naturalismus, die man ursprünglich bekämpfen wollte. Im Kampf gegen die bürgerlich-kapitalistische Welt habe man deren Weltanschauungen übernommen.

Dieser Irrweg der Arbeiterbewegung (vertreten durch die SPS), vor allem bedingt durch die bürgerlich-christliche Welt, sei nötig gewesen, um alte Verschleierungen des Sozialismus zu lösen (Ragaz 1972:27). Auch wenn, so Ragaz, das Verhalten mancher Menschen nicht unbedingt mit ihrer Weltanschauung übereinstimmen müsse und eine naturalistisch denkende Person auch die Sache Christi vertreten könne, habe der Glaube an den sozialistischen Idealismus durch die Verstrickung mit dem Naturalismus schweren Schaden genommen. Daher ist es für Ragaz unerlässlich, dass der Sozialismus nicht ohne eine klare Weltanschauung vertreten wird (44ff.). Eine falsche Vermischung von Ideologien könne zu Schwierigkeiten führen, in denen nur ein richtiger geistiger Kompass den Weg zeigen könne (ebd.). Der Materialismus widerspreche den Hoffnungen und Forderungen des sozialistischen Ideals des Reiches Gottes. Nach Ragaz begeht ein materialistischer Sozialismus den Fehler, das Heilige zu verletzen: „er kämpft gegen eine falsche Religion und tastet dabei das Heiligtum des Gottglaubens an, der stärker als er ist“ (:34).

Wie die Kirche zuvor, konzentrierte sich nun also auch die SPS, als die eigentliche „Befreiungsbewegung des Proletariats“ (Gerber u.a. 1920:61) nicht mehr auf utopische und sittliche Ideale, sondern vor allem auf ihre eigene Organisation und Macht. Revolutionär sei sie nur noch oberflächlich gewesen – politisch, in Bezug auf Macht und Gewalt –, doch die innere, sittliche Erneuerung blieb aus (Ragaz 1922e:24f.). Nach Ragaz entwickelte sich ein „dogmatischer Marxismus“ (:29), dessen Lehrsätze er im „Zimmerwald-Kientalschen Glaubensbekenntnis“47 (:27) festgehalten sah. Ähnlich wie im Christentum sah Ragaz die Gefahr, dass diese Dogmen zu Starrheit führen und man an notwendige Entwicklungen glaubt statt an Schuld, Gericht und mutiges Handeln (:28f.). Da jedoch diese Art des Marxismus nicht die Mehrheit in der SPS ausmachte48, blieb es für Ragaz lange Zeit wichtig, in der Sozialdemokratie alles zu vertreten, was dort an Reich-Gottes-Wahrheiten vorhanden war, und alles andere abzulehnen (:33f.). Insbesondere auch, weil das Evangelium keine detailliert-ökonomischen Analysen über die Gesellschaft, Löhne und Klassenkampf bietet, bleibt für Ragaz die Notwendigkeit, das völlige Auseinandergehen von Marxismus und religiösem Sozialismus zu vermeiden – eben durch seinen dargestellten Versuch, den Marxismus als Religion zu deuten (Kim 1991:54f.).

5.4 Fazit

Das Ergebnis der theologischen Interaktion mit dem Marxismus, welches es im nächsten Kapitel zu bewerten gilt, ist, dass Ragaz die marxistischen Theorien als eine prophetische, messianische Bewegung versteht, die ein Reich der Gerechtigkeit auf Erden anstrebt. Er erkennt in der Arbeiterbewegung das Wirken Christi inkognito, während er zugleich das Versagen der Kirche angesichts der sozialen Frage kritisiert. Die Arbeiterbewegung habe sich allerdings durch die Übernahme eines metaphysischen Materialismus als Weltanschauung vom ursprünglichen Ideal des Reiches Gottes entfernt. Er beklagt eine Dogmatisierung des Marxismus, plädiert aber weiterhin dafür, das Reich-Gottes-Erbe innerhalb der Sozialdemokratie zu bewahren und den Marxismus als eine Art Religion zu verstehen.

6 Evaluierung der Interaktion

Die folgende Beurteilung von Ragaz’ theologischer Auseinandersetzung mit den marxistischen Theorien der Arbeiterbewegung orientiert sich vor allem an der Theologie Helmut Gollwitzers, der als Schüler Barths der zweiten Generation der religiös-sozialen Bewegung zugerechnet wird und in seiner Zeit als einer der besten Kenner des Marxismus unter den deutschen Theolog*innen galt (Park 2015:121, 127). Damit bietet er als Vertreter der religiös-sozialen Bewegung und Kenner des Marxismus einen geeigneten Maßstab, um Ragaz’ Interaktion mit dem Marxismus zu evaluieren. Dabei geht es nicht darum, eine inhaltliche Bewertung des Marxismus vorzunehmen, sondern darum, Ragaz’ Umgang mit dieser Theorie auf seine Dialogfähigkeit hin zu evaluieren.

6.1 Würdigung von Ragaz‘ Theologie im Kontext der Arbeiterbewegung

Im bisherigen Verlauf wurde deutlich, dass Ragaz ein wesentlicher Teil der Arbeiterbewegung war, was sich sowohl in der Anerkennung Trotzkis als auch in der Resonanz seiner eigenen Schriften innerhalb der Bewegung zeigte und er zudem zeitweise der führende Vertreter des linken Flügels der SPS war (vgl. Kap. 3). Seine Vorträge über das Verhältnis von Christentum und Marxismus hielt er auch nicht in christlichen Kreisen oder in universitären Gebäuden, sondern im „sozialistischen Volkshaus in Bern, dem zentralen Lokal der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften“ (Stähli 1977:109). In diesem Kontext lässt sich seine Interaktion als Ausdruck einer intensiven Auseinandersetzung mit der Arbeiterbewegung werten. Sein Glaube an die Sache Christi, mit dem Ziel der Verweltlichung, war die Grundlage für sein Engagement. Auch wenn ihm stets wichtig war, das Reich Gottes nicht im Sinne des Kulturprotestantismus als einen Entwicklungsglauben zu verstehen, zeigen sich doch Gemeinsamkeiten, vor allem in Beziehung zu Kant, an dem sich Ragaz im Laufe der Interaktion mit dem Marxismus immer mehr orientierte (Ragaz 1952a:329). Dazu zählten insbesondere die ethische Auffassung vom Reich Gottes, das Verständnis von Freiheit bzw. Autonomie des Menschen und schließlich vor allem die idealistische Auffassung von Sittlichkeit. Vor diesem Hintergrund wurde Ragaz das Reich Gottes die zentrale Freiheitsbewegung der Weltgeschichte. Die biblische Hoffnung auf das Reich Gottes wurde ihm zur Hoffnung, dass Gott den Menschen umfassend befreien würde. Auch unter anderem durch dieses Befreiungsverständnis des Reiches Gottes griff Ragaz wesentliche Elemente der Befreiungstheologie bereits vorweg. Hinzu kommt, wie gezeigt wurde, dass Ragaz eine grundlegende Entscheidung traf: sich für die Armen dieser Welt einzusetzen – die sogenannte „Option für die Armen“ (Kruip 2022). Für ihn waren dies vor allem die Proletarier*innen, die um ihre Menschenwürde kämpften. Ragaz bemühte sich, gerade ihnen die befreiende Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden. Besonders sein Rücktritt von der Professur und sein Umzug in ein Arbeiter*innenviertel, um dort Bildungsarbeit mit Arbeiter*innen zu leisten, zeugen davon (Böhm 1986:174f.). Auch seine Priorisierung der Praxis rückt ihn in die Nähe der Befreiungstheologie, die Theologie als ein sekundäres Phänomen nach der Praxis versteht (:175f.).

Trotz dieser eindrücklichen Nähe zur heutigen Befreiungstheologie und dem engagierten Einsatz für die Arbeiterbewegung ist Ragaz’ Verhältnis zum Marxismus nicht frei von Spannungen. Aus Gollwitzers Perspektive rückt dabei vor allem ein Aspekt in den Vordergrund, der einer kritischen Betrachtung bedarf: der Idealismus Ragaz‘. Dieser bildet die Grundlage für eine ambivalente Auseinandersetzung mit dem Marxismus – eine Auseinandersetzung, die trotz inhaltlicher Nähe letztlich Züge einer Überformung oder gar Vereinnahmung marxistischer Theorie annimmt und im Folgenden näher untersucht wird.

6.2 Ragaz‘ religiöse Interpretation des Marxismus

Ragaz war fest davon überzeugt, dass der Kapitalismus stürzt und der Sozialismus kommt (Ragaz 1933:23). Auch darum brachte er sich in die intensive Interaktion mit dem Marxismus ein. Allerdings war, wie gezeigt wurde, seine stete Frage, wie die Verwirklichung des Sozialismus erreicht werden kann, in welcher Gestalt und in welchem Geist sich der Sozialismus durchsetzt. Für ihn gab es nur eine positive Verwirklichung des Sozialismus bzw. Marxismus, wenn er als ein Glaube an Gottes Reich verstanden werden würde. Ihm war der Marxismus ein „Messianismus, das heißt, Glaube an ein Reich der Gerechtigkeit auf Erden“ (Ragaz 1972:63). Darin zeigt sich die Folge von Ragaz‘ Verständnis der Verweltlichung der Sache Christi: Der Marxismus wird ihm auf Grund seiner Verweltlichungstheorie eine unbewusste religiöse Bewegung und Teil des göttlichen Plans.

Auch Gollwitzer spricht vom Messianismus des Marxismus und meint damit den von Ragaz erfassten weltanschaulichen Glauben an die notwendige Entwicklung der Gesellschaft hin zur proletarischen Revolution und zum Sozialismus (Gollwitzer 1965:95). Wie für Ragaz ist es für Gollwitzer die „Säkularisierung der christlichen Eschatologie“ (:109), auch für ihn liegt darin die Begrenztheit des Marxismus. Denn der Marxismus sei als politische Weltanschauung eben nur zu einer begrenzten Sinnstiftung fähig, den wahren Sinn, die wahre Heilsbotschaft des Lebens könne nur das Evangelium geben (:108). Wie Ragaz erkennt auch Gollwitzer den eigentlichen Gegensatz zwischen Christentum und Marxismus in dessen Ideologisierung zu einem metaphysischen System, die aus einem messianischen Grundzug des Marxismus hervorgeht (Gollwitzer 1964:218). In dieser Beobachtung lässt sich Ragaz’ Versuch, das Missverständnis zwischen Christentum und Marxismus zu überwinden, als ein vorausgehender Beitrag zu einer europäischen Befreiungstheologie im Dialog mit dem Marxismus deuten. Sowohl bei Ragaz als auch bei Gollwitzer liegt dem Marxismus ein Messianismus als ideologischer Idealismus zugrunde, der zu einer metaphysischen Verengung führt.

Für Gollwitzer ergibt sich allerdings aus dem messianischen Grundzug des Marxismus nicht der Vorwurf eines überzogenen Materialismus, sondern vielmehr der Kritikpunkt, dass der Marxismus zu idealistisch und zugleich zu wenig rational sei (Gollwitzer 1964:218). Damit entziehe er sich gerade jener empirischen Verifizierbarkeit innerweltlicher Thesen, für die der christliche Glaube – in Abgrenzung zur Ideologisierung – eintreten solle (ebd.). Helmut Gollwitzer plädiert für eine Befreiung von der aufklärerischen Erwartung, dass die Wissenschaft die Religion ersetzen sollte. Dadurch werden Christ*innen „frei für unbefangene wissenschaftliche Welterforschung“ (ebd.). In einer solchen Freiheit könne, so Gollwitzer (1964:217), auch der marxistische Materialismus für eine christliche Theologie, die zu Idealismus und Individualismus neige, eine wichtige Erinnerung an das eigene soziale Selbstverständnis sein – „gegen den idealistischen Dualismus, gegen die Überschätzung der Bedeutung normativer Appelle“ (ebd.).

Dies markiert einen wesentlichen Unterschied zu Ragaz, der gerade die idealistischen Züge des Marxismus als Ansatzpunkt für eine Synthese von Marxismus und Christentum begreift. In Ragaz’ Interaktion mit dem Marxismus erkennt er diesen nicht in seiner Wissenschaftlichkeit, sondern in seiner Religiosität an. Gollwitzer hingegen verfolgt einen entgegengesetzten Weg: Er möchte dem Marxismus zur Wissenschaftlichkeit verhelfen, indem er ihn von seiner idealistisch-messianischen Überhöhung befreit. Denn diese Überhöhung führe, so Gollwitzer, zu einer Forderung an die Wissenschaft, die sie ihrem Wesen nach nicht erfüllen kann (:218f.). Gollwitzer scheint Wissenschaft und Christentum in ihren Funktionen in ein Miteinander bringen zu wollen49, wohingegen Ragaz versucht, sie über die Brücke des Idealismus zu verbinden.

6.3 Ragaz‘ idealistische Metaphysik

Ragaz’ Interaktion mit den marxistischen Theorien der Arbeiterbewegung scheint sich so vor allem an der Problematik der metaphysischen Begründung seines idealistischen Gottesreichsglaubens zu entzünden. Seine Integration des Marxismus in seinen Gottesglauben, basierend auf einer metaphysischen Fundierung, die andere Absolutheitsansprüche ausschließt, wird zur Grundlage seines Syntheseversuchs. Gollwitzer hingegen schlägt einen anderen Weg vor: Er betont die Unterschiedlichkeit von Christentum und Marxismus und sucht gerade aus dieser Spannung heraus nach einer produktiven Zusammenarbeit. Ragaz erscheint damit tief in der Moderne[50] verankert zu sein, insofern er an einer festen, objektiven Wahrheit des Idealismus festhält – ein Ansatz, der Interaktion über Differenz eher ausschließt und stattdessen zur Synthese drängt. Die Verweltlichung der Sache Christi erscheint so weniger als eine Öffnung zur Welt, sondern vielmehr als ein Akt der Aneignung und Vereinnahmung. Trotz seiner Ablehnung geschlossener theologischer Systeme entwirft Ragaz dadurch eine Vorstellung des Reiches Gottes, die einem dogmatischen Wahrheitsanspruch gleicht: Der Glaube wird zur Quelle einer sittlich überhöhten Wahrheit, die über individuelle Erfahrung hinaus als allgemeingültig wirksam werden soll. Der Vorwurf an Ragaz liegt hier vor allem in seinem modernen Wahrheitsverständnis, das auf einer festen, objektiven Wahrheit basiert, während Gollwitzer einen pluralistischen Ansatz verfolgt, der die Differenz zwischen Christentum und Marxismus betont und nach einer produktiven Zusammenarbeit in dieser Spannung sucht.

Denn Gollwitzer plädiert für eine Haltung, die frei von metaphysischer Überhöhung und dogmatischer Verabsolutierung ist. Christ*innen sollten sich nach ihm für einen dialogischen Zugang öffnen, der die „Begrenztheit aller Weltbeherrschung, die Unentrinnbarkeit des Todes, die Unveränderlichkeit vieler Übel, [und] die Schäden des Fortschritts" (Gollwitzer 1964:218) anerkennt. Unter dem Einfluss der unter anderem durch Martin Heidegger eingeleiteten philosophischen Wende51 erfährt auch Gollwitzers Denken eine neue Ausrichtung: Der christliche Glaube wird nicht länger als Teil idealistischer oder metaphysischer Systeme verstanden, sondern als eigenständige Größe jenseits metaphysischer Vereinnahmung. Gollwitzer sieht in der radikalen Infragestellung der überlieferten Metaphysik keinen Widerspruch zum Glauben, sondern einen hilfreichen Impuls. Gerade diese Herausforderung begreift er als Anstoß für das christliche Denken, sich von überkommenen metaphysischen Lasten zu lösen und sich neu und zeitgemäß auszurichten (Gollwitzer 1964:217). Gollwitzers Kritik am Marxismus zielt somit nicht nur auf eine methodologische Korrektur – die den Marxismus auf seine empirischen Grundlagen zurückführt –, sondern fordert vor allem eine kritische Hinterfragung der metaphysischen Begründung des christlichen Glaubens selbst, da diese zu dogmatischen Folgen führen und den Glauben von der realen Welt entfremden könnte. Damit markiert er einen Übergang von einer modernen, metaphysisch fundierten Theologie hin zu einem Denken, das sich den Herausforderungen der heutigen Postmoderne[52] stellt.

6.4 Fazit

Im letzten Kapitel ist deutlich geworden, dass die theologische Interaktion zwischen Ragaz’ Reich-Gottes-Theologie und den marxistischen Theorien der Arbeiterbewegung dort an ihre Grenzen stößt, wo sich das metaphysisch-idealistische Verständnis von Ragaz nicht mit der impliziten Metaphysik des Marxismus vereinbaren lässt. Im Anschluss an Ragaz und Gollwitzer lässt sich auf der einen Seite erkennen, dass der metaphysische Messianismus bzw. Determinismus des Marxismus eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe erschwert. Gleichzeitig macht Gollwitzers Ansatz deutlich, dass auch die metaphysischen Grundlagen des christlichen Glaubens kritisch hinterfragt werden müssen, da sie zu dogmatischen Verengungen führen und den Glauben von der realen Welt entfremden können. An Ragaz ist hier zunächst zu kritisieren, dass er das Reich Gottes an einen idealistisch-metaphysischen Horizont bindet. Dadurch wird verhindert, dass dem Gegenüber seine Eigenständigkeit wirklich anerkannt wird; vielmehr wird der Marxismus in Ragaz’ Theologie synthetisiert, wodurch dessen spezifische Andersartigkeit und Differenz aufgehoben werden. Mit dieser Kritik, die noch konsequent postmodern weitergedacht werden muss, da sie sich auf Gollwitzers Analyse stützt und somit noch teils moderne Züge aufweist – beispielsweise indem sie nach klaren theologischen Regeln handelt und Differenzen rational betrachtet –, gilt es im Folgenden der Frage nachzugehen, wie Ragaz’ Theologie in einem postmetaphysischen 53 Ansatz aussehen würde und ob sie noch haltbar wäre.

7 Von Ragaz zur Postmoderne

Um der Frage nachzugehen, wie Ragaz’ Theologie in einem postmetaphysischen Ansatz zu denken ist, und um eine theologische Grundlage für Interaktionen mit anderen Weltbildern und Theorien jenseits metaphysischer Prämissen zu entwickeln, wird im Folgenden John D. Caputos radikale Theologie des Unbedingten aufgearbeitet. Diese wird mit Ragaz’ Theologie verglichen und als Impuls genutzt, um dessen Ansatz in eine neue Richtung weiterzudenken. Caputos Ansatz versteht sich dezidiert postmetaphysisch und bestimmt theologische Rede im Horizont der dekonstruktiven Philosophie Jacques Derridas in Analogie zu Gianni Vattimos Ansatz des schwachen Denkens neu (Ludwig 2022:30).54 Wie es Michael Schüßler in seiner Einordnung Caputos in der deutschsprachigen Theologie schreibt, bieten seine Texte eine Lernmöglichkeit, auf der die „epistemische Gewalt tradierter Gottes- und Glaubensvorstellungen heilsam“ (Schüßler 2022:165) geschwächt werden kann, weil Gott bei Caputo nicht „als letzter Grund oder höchste Person oder sicheres Endziel der Geschichte, dem man sich nur noch unter- oder einzuordnen habe“ (ebd.) existiert. Dabei entwickle Caputo eine befreiungstheologische Perspektive entlang der kapitalismuskritischen Linie politischer Theologie, wie er sie bei Johann Baptist Metz und Jürgen Moltmann erkannt habe (ebd.). Caputo bietet damit einen aktuell theologisch wie politisch anschlussfähigen Rahmen, um Ragaz’ Denken in postmetaphysischen Kontexten für die heutige Zusammenarbeit von Christ*innen und sozialen Bewegungen weiterzudenken.55

7.1 Ragaz‘ Theologie im Lichte John D. Caputos radikaler Theologie

7.1.1 Kein höchstes Wesen

Ausgangspunkt von Caputos radikaler Theologie ist die Annahme, dass es für die Theologie besser wäre, wenn sie „weniger hoch und mächtig wäre“ (Caputo 2022:21f.). Er stellt seinen Ansatz in den Gegensatz zu einer solchen starken Theologie – zugunsten einer schwachen Theologie. Caputo verfolgt das Ziel, das Interesse der Theologie von der Frage nach der Existenz Gottes wegzulenken.56 Denn die Zukunft der Theologie liege darin, „die Vorstellung von Gott als ‚höchstes Wesen‘ zu überwinden“ (Caputo 2022:30). Die Frage nach der Existenz Gottes sowie deren Beantwortung in Form von Theismus, Atheismus und Agnostizismus hält Caputo nicht für legitim, sondern für eine falsch gestellte Frage (:31). Caputo geht es hier nicht in aller Stärke darum, die Frage, zu verbieten und die Freiheit des Denkens einzuschränken, sondern sie lediglich in Frage zu stellen und in Analogie an postmoderne Skepsis gegenüber eines höchsten Wesens zu formulieren (:96f.).57 Man könne Gott nicht festmachen, nicht zu einer identifizierbaren Sache machen (ebd.). Denn wenn Gott existiere, sei es ein definiertes Wesen, und durch dieses Definiertsein sei es für Caputo auch ein endliches Wesen, das es ja eben nicht sein könne (:34).58 Aber auch die Rolle Gottes als Grundlage des Seins, bspw. im Sinne eines Pantheismus oder Panentheismus, möchte Caputo nicht mehr denken, weil dadurch Gott wieder als mächtiger, starker Gott auftrete und zu einer „panentheistischen oder prozessualen Metaphysik“ (:91) führe. Zusätzlich geht es Caputo, neben der Schwächung der Metaphysik, auch darum, Gott nicht im Sinne christlicher Mystik als hyperousios 59 zu verstehen (ebd.). Denn all die Verneinung und das Zurücknehmen des Sagbaren über Gott solcher theologischer Ansätze sei eigentliche Doxologie, Lobpreis für einen Gott jenseits allen Seins und somit eine Art „Hyper-Metaphysik“ (:92). Gemeint ist die für Caputo aus christlicher Mystik kommende Behauptung, dass die Metaphysik nicht ausreiche und nicht an Gott heranreiche. Auf diesem Wege sei christliche Mystik auf der Linie einer starken Theologie, die ihren Gott stärkt, anstatt ihn abschwächen zu lassen (ebd.).

Im Anschluss an Gollwitzers Kritik an den (idealistisch-)metaphysischen Grundlagen des christlichen Glaubens zeigt sich in Caputos Skepsis gegenüber starken Theologien die Konkretisierung einer solchen bewusst postmetaphysischen bzw. schwachen Theologie. Die Folgen und Unterschiede einer solchen Theologie zu Ragaz‘ Theologie gilt es in den nächsten Kapiteln aufzuschlüsseln. Hier allerdings zeigt sich schon am Ausgangspunkt beider Theologien ein diametraler Unterschied. Denn Ragaz‘ gesamte Theologie baut auf einem Verständnis von einem existierenden und in der Welt schaffenden Gott auf. Ragaz' Gottesbild ist das eines starken und souveränen Gottes, der die Kontrolle über den Verlauf der Weltgeschichte führt.

7.1.2 Der Ruf des Unbedingten

Der Weg einer schwachen Theologie führt Caputo zu Derridas eingeführter Theorie der Dekonstruktion[60] (Caputo 2022:41). Für Caputos Theologie bedeutet Dekonstruktion vor allem, dass jeder Glaube ein menschliches Konstrukt ist und daher alle religiösen Überzeugungen auch dekonstruiert werden können (:43). Wesentlich für ihn ist Derridas Unterscheidung zwischen dem Dekonstruierbaren, das bedingte, historische und zeitgebundene Dinge umfasst, die auf Fakten basieren und dekonstruiert werden können, und dem Nicht-Dekonstruierbaren (:45ff.). Dabei erscheine der Prozess der Dekonstruktion als ein Ereignis 61, das bestehende Ordnungen unterbreche und die Möglichkeit eröffne, dass das Nicht-Dekonstruierbare in Erscheinung trete (ebd.). Das Nicht-Dekonstruierbare, das von Derrida als das Unbedingte oder das Unerreichbare verstanden werde, könne nicht einfach aufgelöst werden und beschreibe das, wonach ein Mensch mit tiefster Sehnsucht strebe – etwas, das auch als ein Ruf, in Anlehnung an Heidegger, wahrgenommen werden könne (:49f.). Ein machtloser Ruf, der von unseren geerbten Traditionen und Sprachen ausgehe (:100f.) und uns anonym erscheine – von dem man nicht sagen könne, wer ruft oder zu wem gerufen werde (Heidegger 2006:274ff.). Dieses Nicht-Dekonstruierbare, was uns als Ruf im Gewissen erreiche (ebd.), sei nicht etwas Existierendes, sondern lediglich etwas, das insistiert – als ein unaufhörlicher Drang, der nicht einfach aufgelöst werden könne (Caputo 2022:55). Caputo verbindet diese Theorie der Dekonstruktion, als ein immerwährendes Ereignis in der Theologie, als Metapher mit dem, was sich im Namen Gottes ereignet: ein unverfügbares Geschehen, das sich sprachlich nicht vollständig fassen lässt und die Zukunft prinzipiell offen und unverfügbar hält (Schüssler & Gruber 2017:8).62 In diesem Sinne besteht der Name Gottes für Caputo als Platzhalter für das Unvorhersehbare, als die Möglichkeit des Unmöglichen (:102f.).63 Caputo meint, dass das „Ereignis, das hinter dem Namen Gottes steckt, das Ereignis des Kann-sein, des Vielleicht ist“ (:103). Ein Vielleicht, das nicht für Unentschlossenheit stehe, sondern die Notwendigkeit betone, dem Unbekannten und Unvorhersehbaren zu folgen, selbst wenn es sich als beängstigend herausstelle (ebd.).

Im Hinblick auf Ragaz' Theologie lässt sich hier die Ähnlichkeit zu Caputo besonders an der Grundannahme von Ragaz verstehen, der innerhalb eines idealistischen Weltbildes die Wirklichkeit in Begriffspaaren von Natur und Geist ordnet und von einer absoluten sittlichen Wahrheit ausgeht, die nicht aus der Natur abgeleitet werden kann, sondern innerhalb dieses dualistischen Weltverständnisses als Geist existiert (vgl. Kap. 4.1). Es besteht eine gewisse Analogie, in beiden Theologien von einem beschriebenen unbedingten Ruf im Gewissen zu sprechen, welcher den Menschen machtlos drängt. So geht Ragaz von dem Gefühl einer unbedingten Verpflichtung, dem „Du sollst“, aus. Wie Ragaz dieses Unbedingte vom wandelbaren Inhalt unterscheidet, so differenziert auch Caputo in Aufnahme von Derridas Unterscheidung zwischen dem Dekonstruierbaren und dem Nicht-Dekonstruierbaren. In beiden Theologien wird der Mensch einem Ruf ausgesetzt, dem es zu antworten gilt. In beiden Theologien ist das Verständnis des Rufens der Weg zur Freiheit und Offenheit gegenüber dem Anderen und der Zukunft. Auch bei Ragaz zeigt sich als Konsequenz des „Du sollst“, dass jeder Mensch seinen eigenen Zugang zu Gott hat und man daher von ihm nicht mehr verlangen kann, als dass er seinem eigenen Gewissen folgt. Dieses idealistische Freiheitsverständnis war auch, wie gezeigt, ein wesentlicher Kritikpunkt an den deterministisch-dogmatischen Wesenszügen des Marxismus (vgl. Kap 5) und entspricht in diesem Teilaspekt Caputos Streben nach radikaler Offenheit und Unsicherheit.

Der wesentliche Unterschied im Kontext des Rufes des Unbedingten besteht darin, dass Ragaz eine klassisch metaphysische Weltsicht hinter dem „Du sollst“ voraussetzt. Caputos Ansatz hingegen widersetzt sich einer festgelegten Wahrheit, wie sie bei Ragaz als absolute, objektive Wahrheit gedacht ist. Dieser Unterschied zeigt sich beispielsweise darin, dass Ragaz davon ausgeht, dass Menschen, wenn sie wirklich auf ihr Gewissen hören und unermüdlich nach sittlicher Wahrheit streben, sich zunehmend der objektiven Wahrheit annähern werden. Und dies letztlich zu Ordnung in der Welt führe (vgl. Kap. 4.1). Caputos Denken hingegen, das sich an Derrida anschließt, ist ein Denken der Differenzen, des Chaos und der Unordnung. Darüber hinaus folgt Ragaz’ idealistische Weltsicht – trotz seines Freiheitsverständnisses – einer teleologischen Struktur, die die Geschichte als einen festen, zielgerichteten Verlauf begreift. Für Caputo hingegen ist die Vorstellung eines Gottes, der planvoll ein festes Ziel – das Reich Gottes – ansteuert, Ausdruck starker Metaphysik, die das Unvorhersehbare des Ereignisses unter dem Namen Gottes verdrängt. Bei Caputo bleibt die Zukunft radikal offen; sie folgt keinem göttlich gesetzten Plan, sondern ist der Ort des Unberechenbaren und Unverfügbaren. Hoffnung bedeutet hier das Erwarten des Unvorhersehbaren – ohne die Sicherheit, dass es gut ausgehen wird. Passend dazu zitiert Schüßler im Interview – im Anschluss an die Frage nach Caputos Verständnis von Hoffnung – Václav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass es gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht“ (Havel, zitiert nach Schüßler 2025b).

7.1.3 Ein schwaches Reich Gottes

Wie bereits am Anfang dieses Kapitels dargestellt, bleibt Caputo nicht bei der poetischen Sprache des Glaubens stehen, sondern orientiert sich aus dekonstruktivistischer Perspektive an der Reich-Gottes-Botschaft. Im Kern sei das Evangelium ein Ruf nach dem Kommen des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit. Die Macht und Herrschaft des Reiches Gottes offenbare sich in der Logik des Kreuzes: in der machtlosen Macht der Versöhnung und in einer Herrschaft, die sich in der Unbändigkeit einer chaotischen Welt behaupte (:133). Das Reich Gottes wird bei Caputo zu einem Ereignis einer heiligen Anarchie, einer Haltung, die sich von festen Ordnungen löst und aufmerksam für das Heute ist, ohne Kontrolle über die Zukunft (Schüssler & Gruber 2017:9). Dennoch geht es Caputo nicht darum, vollständig auf Macht zu verzichten; jene Macht, die gebraucht wird, um Unterdrücker*innen zu entmachten, darf nicht geschwächt werden (Caputo 2020:234). Es sei aber gerade das Besondere am christlichen Glauben, dass die Macht dessen, was unter dem Namen Gottes geschehe, sich in dem finde, was man grundsätzlich als Schwäche halte.64 Darum ist auch der im Namen Gottes enthaltende Ruf bedingungslos, ein schwacher Appell, ohne Macht oder Gewalt ihm folgen zu müssen, sondern bedingungslos antworten zu können. Caputo (2022:238) betont, dass dieses Rufen nicht von einer höheren Instanz ausgeht, sondern von unten, aus der Mitte derer, die in der Welt als Machtlose und Vergessene gelten:

Der Schrei des Hungernden übt keine zwingende Kraft aus; dass die ‚Welt‘ ihn überhört, ist sattsam bekannt. Wir sind aufgefordert, bedingungslos auf diesen Schrei zu antworten, das heißt, die Hungernden zu speisen, weil die Hungernden hungrig sind, ohne Bedingung, ohne Versprechen oder Drohung.

Caputo gehe es dementsprechend nicht darum, eine ideale, universalistische Ordnung zu etablieren oder daran zu glauben, sondern darum, das Evangelium als radikale Offenheit zu verstehen. Im Zentrum stehe dabei nicht der Wille, den Anderen zu verändern, sondern das Wagnis, sich vom leidvollen Leben des Anderen tief berühren zu lassen – bis in den eigenen Glauben und die Existenz hinein –, um so, wie Schüßler betont, beim „Zum-Leben-Kommen des jeweils Anderen“ (Schüßler 2014:39f.) zu helfen.65 Daraus erwächst eine Haltung der Verwundbarkeit, die nicht nur die persönliche Ebene der Betroffenheit umfasst, sondern auch eine soziale Dimension.66 So schlägt Caputo eine neue Weise vor, vom Reiche Gottes zu sprechen. Nicht als mächtige Rede, dass dieses Reich die Macht und Kontrolle übernehme, indem Gott alle Trümpfe der Zukunft in der Hand halte, sondern als etwas, das unter der „sanften Herrschaft des Unbedingten“ (2020:135f.) steht, in welcher es nicht darum gehe, mit Hilfe der Schwachheit am Ende zu gewinnen, sondern sich die Gegenwart und Zukunft offen zu halten, weshalb man auch anerkennen müsse, dass das Reich Gottes keines Gottes bedarf – ja, dass ein höchstes Wesen dessen Verwirklichung sogar behindern würde, indem es das Gottesreich wieder als machtvolles Wirken eines Gottes verstehe (ebd.). So verstehe sich das Reich Gottes nicht als existierendes Reich, sondern als Metapher für Menschen, die versuchten, auf das Insistieren des Unbedingten zu antworten (:141). In ähnlicher Weise betont Michael Schüßler (2013:308) die Bedeutung der Zeit als grundlegendes Kriterium, um das Reich Gottes zu begreifen: „kein wo, sondern ein wann.“ Das habe zur Konsequenz, dass räumliche Grenzziehungen ihre Heilsbedeutung verlieren.

Die Nähe von Caputos Theologie zu Ragaz’ Verständnis des Reiches Gottes zeigt sich besonders in der paradoxen Umkehrung, dass Stärke, Macht und Gewalt nicht Gottes Wesen beschreiben, sondern Schwäche, Demut und die Privilegierung der Armen. Auch Ragaz führt der Reich-Gottes-Glaube zu einer Anarchie, die nicht auf Herrschaft oder Kontrolle zielt, sondern auf die Freiheit jedes Einzelnen. Wie bei Caputo wird auch bei Ragaz jeder zwingende Anspruch des Unbedingten verweigert, jedoch gepaart mit der Einsicht, dass zur Befreiung Unterdrückter immer eine gewisse Form von Macht nötig bleibt. Hier zeigt sich eine Analogie zu Ragaz’ Warnungen vor falschen Machtvorstellungen, etwa in Kirche und Theologie, insbesondere in Gestalt von Mammon und Gewalt. Das Reich Gottes erscheint daher, ähnlich wie bei Caputo, als etwas, das über Institution und Dogma hinausgeht und zu einer Angelegenheit jedes einzelnen Menschen wird.

Im Unterschied zu Caputo betont Ragaz jedoch eine soziologische Analyse der Gesellschaft mithilfe des Marxismus und lässt das Streben nach Gerechtigkeit im Kampf gegen Kapitalismus, Imperialismus und Krieg konkret werden. Aufgrund seines Gottesverständnisses sieht Ragaz das Reich Gottes als ein wirkliches Reich, das bereits in der Gegenwart und Geschichte anbricht – als zentrale Freiheitsbewegung der Menschheit, die übernatürliche Kräfte zur Befreiung von der Herrschaft des Bösen vermittelt. Caputo begreift jedoch das Reich Gottes nicht als existierendes Reich, sondern als Metapher für Menschen, die versuchen, auf das Insistieren des Unbedingten zu antworten. Wie Schüßler Caputos Position formuliert, macht dieser jedoch nicht den Schritt, „soziologisch oder praxistheoretisch weiterzudenken, sondern er bleibt […] ein Stück bei der Aufforderung [stehen], sich den Ereignissen, die einem begegnen, hinzugeben“ (Schüßler 2025b).

7.1.4 Fazit

Die Gegenüberstellung von Caputos radikaler Theologie des Unbedingten mit Ragaz’ theologischem Ansatz macht deutlich, dass trotz einer gemeinsamen Sensibilität für Fragen von Macht und Herrschaft sowie für die Bedeutung von Schwachheit und Freiheit wesentliche Unterschiede in ihren Ansätzen bestehen. Möchte man Ragaz’ Theologie anhand von Caputos Ansatz – insbesondere im Hinblick auf die Problematik von Ragaz’ Verabsolutierung des Idealismus sowie seiner Vereinnahmung marxistischer Theorien der Arbeiterbewegung – aus ihrem metaphysischen Zielhorizont herauslösen, so wird sie so weit geschwächt, dass Skepsis gegenüber der Vorstellung eines starken, allmächtigen Gottes, sei es als Wesen, als Grundlage des Seins oder als transzendentes Jenseits, formuliert wird. Dadurch verliert sie ihren teleologischen Charakter, löst sich in Unvorhersehbarkeit auf und bleibt lediglich als die Hoffnung auf das stets Kommende bestehen.

Neben den neuen Möglichkeiten, die sich aus dieser Weiterführung für die Interaktion mit sozialen Bewegungen und ihren Theorien ergeben – insbesondere der Chance einer Zusammenarbeit, die nicht in einer Synthese oder falschen Verabsolutierung mündet –, stellt sich zugleich die Frage, inwiefern Caputos Ansatz tragfähig ist. Im nächsten Kapitel wird daher zunächst die Kritik an Caputos postmetaphysischem Ansatz aufgearbeitet, bevor anschließend das Fazit gezogen wird, ob Ragaz’ Ansatz der Interaktion damit weitergeführt werden sollte.

7.2 Theologische Herausforderungen der Weiterführung

7.2.1 Kritik an Caputos radikaler Theologie

In Bezug auf Caputos Gottesverständnis als radikal unverfügbares Ereignis wird ihm vorgeworfen, die eschatologische Spannung zwischen dem „Schon“ und dem „Noch-nicht“67 radikal zugunsten des Letzteren aufzulösen (Schüssler & Gruber 2017:9f.). Ein Beispiel hierfür findet sich in seiner Darstellung der Gerechtigkeit: „Gerechtigkeit ist wie ein kommender Messias, der nie wirklich auftaucht, solange wir in Zeit und Geschichte leben, solange es eine Zukunft gibt – und wann sollte das nicht mehr so sein?“ (Caputo 2022:79). Im Mittelpunkt dieser Aussage steht die Frage nach Erwartung und Erfüllung – ein Aspekt, der von manchen Theolog*innen als grundsätzlicher Unterschied zwischen jüdischem und christlichem Verständnis betrachtet wird. Lars Sandbeck (2001:34) formuliert die Kritik an Caputo wie folgt: „As noted, this God of indeterminacy is more consistent with the transcendent God of Judaism than with the incarnated God of the Christian message.“ Michael Schüssler zieht daraus das folgende Fazit:

Hier wird man sich wohl vor einem latenten Anti-Judaismus ebenso hüten müssen, wie umgekehrt die ausgewogene Formel christlicher Eschatologie vom ‚schon und noch nicht‘ des Reiches Gottes in Anbetracht des dekonstruktiven Ereignisdenkens neu herausgefordert zu sein scheint: Wie wird man sagen können, dass sich so etwas wie Vollendung ereignet? (Schüssler & Gruber 2017:9f.).

Im Interview dieser Arbeit betont Schüßler, als Reaktion auf die Konfrontation mit diesem Fazit, dass die Spannung zwischen Erwartung und Erfüllung darauf hinweist, dass das Christentum auch nach dem Christusereignis eine Religion bleibt, die „immer was ist, was zwar schon gekommen ist, was aber immer auch was Ausstehendes“ (Schüßler 2025b) bleibt. Hoffnung auf Vollendung sollte in diesem Sinne – in Anlehnung an Václav Havel, wie bereits erwähnt – nicht bedeuten, dass man die Gewissheit eines guten Ausgangs habe, sondern die Überzeugung, dass das Handeln trotz Unsicherheit Sinn hat (ebd.). Insgesamt erscheint Caputos Ansatz damit nicht so, als würde er die Spannung zwischen Erwartung und Erfüllung auflösen, sondern als einen dynamischen Prozess verstehen, der immer wieder in den Ereignissen unter dem Namen Gottes sichtbar wird, ohne dass eine endgültige Erfüllung je ganz abgeschlossen ist.

Sandbeck eröffnet, im Anschluss an seine Kritik an Caputos Verständnis der eschatologischen Spannung, eine weitere Perspektive, die das Gottesverständnis Caputos hinterfragt. Indem er Richard Kearneys folgende Frage aufgreift, spitzt er die Problematik weiter zu: „If the powers of human vision and imagination are so mortified by the impossible God of deconstruction, […] then must not our encounter with the coming of the other find itself not only blind but empty?“ (Kearney, zitiert nach Sandbeck 2001:34). Sandbeck weist darauf hin, dass ein Gottesverständnis, das die Unverfügbarkeit betont, dazu führen könnte, dass Gott sowohl als Ursprung eines neuen Holocausts als auch als Erlöser des Leidens verstanden wird (ebd.). Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass es genau diese Spannung ist, die sich einer radikalen Offenheit nach Caputo aussetzt, wie Schüßler in Bezug auf die Kritik betont: „Es ist offen, wie das alles ausgeht. Und es gibt auch im kirchlichen Handeln oder auch in der eigenen Religiosität keine Garantie, dass wir auf der richtigen Seite stehen“ (Schüßler 2025b). Diese Offenheit führt zu einer Beunruhigung der Selbstgewissheit und des Glaubens. Doch hierin liegt auch das Wesentliche von Caputos radikaler Theologie: Sie vollzieht bewusst eine Schwächung, indem sie die gewohnten Sicherheiten auflöst, die gerade durch den Versuch, eine klare Eindeutigkeit zu erzwingen, gefährdet werden. Denn „wer diese Offenheit sozusagen mit Gewalt festnageln will, und in eine Eindeutigkeit überführen will, handelt selbst gewaltvoll“ (ebd.).

Die bisher diskutierte Kritik an Caputos Gottesverständnis verweist zugleich auf die Verortung seiner Theologie innerhalb der postmodernen Denktradition. Damit rückt auch der Begriff der Postmoderne selbst in den Fokus der Kritik. Dieser Begriff, der in engem Zusammenhang mit der Ablehnung traditioneller metaphysischer Weltbilder steht, wird teilweise eine „Vieldeutigkeit und mangelnde Präzision und damit verbunden ein gewisser Relativismus“ (Meyer 2025:1-2) vorgeworfen. Zu den Kritikern zählen etwa Jürgen Habermas (1981:444f.), der nicht nur den relativistischen Tendenzen der Postmoderne skeptisch gegenübersteht, sondern auch die metaphysikkritischen Ansätze von Heidegger und Derrida kritisiert (Habermas 1985:298). In eine ähnliche Richtung argumentierte auch der ehemalige Papst Benedikt XVI., der in der Postmoderne gar eine Dogmatisierung des Relativismus erkennt (Pera & Ratzinger 2005:77f., 116f.). Zunächst erscheint der Vorwurf der Vieldeutigkeit bei Caputo relativiert, da dieser sich auf François Lyotards Definition der Postmoderne beschränkt, die vor allem als Skepsis gegenüber Meta-Erzählungen konkretisiert wird (Caputo 2022:95). Um der Relativismus-Kritik an der Postmoderne zu begegnen, gilt es einerseits daran zu erinnern, dass Caputo im Blick auf das Reich Gottes die Verantwortung gegenüber dem Unbedingten, wie etwa der Gerechtigkeit, und gegenüber dem Bedingten, wie der Ungerechtigkeit, die bedingt in der Welt besteht, als nicht relativierbare Rufe betont. Zusätzlich weist Schüßler darauf hin, dass sich Caputo als christlicher Theologe stark an der biblischen Tradition, insbesondere an der Reich-Gottes-Botschaft Jesu, orientiert. Vor allem die „Leidenserinnerung, die Erinnerung an das nicht nur das eigene Leid ist, sondern das Fremdenleid“ (Schüßler 2025b) schließe einen Relativismus in Caputos radikaler Theologie aus. So erscheint der Begriff der Postmoderne – trotz der Kritik an Vieldeutigkeit und implizitem Relativismus – im Kontext von Caputos Theologie als eine schlüssige Bezeichnung für die Skepsis gegenüber Meta-Erzählungen, die grundlegend für unsere Zeit bleibt, auch wenn die Diskussion um den Begriff weiterhin fortbesteht.

7.2.2 Fazit

Caputos Ansatz bleibt nicht ohne erhebliche Kritik – insbesondere was die Skepsis gegenüber einem existierenden Gott und damit einer scheinbaren Auflösung der eschatologischen Erwartung der Erfüllung sowie die Gefahr eines impliziten Relativismus betrifft. Die Einwände werfen grundlegende Fragen zu Caputos Gottesverständnis und zur postmodernen Theologie auf. Dennoch lassen sich Ansätze erkennen, die auf diese Kritik reagieren. Caputos radikale Theologie erscheint als ernsthafter Versuch, Machtansprüche zu entlarven, indem er zwischen dem Namen Gottes und dem dahinterstehenden Ereignis unterscheidet, wie es auch Friederike D. Rass (2017:219) betont.

Die zuvor angestellte Gegenüberstellung von Ragaz und Caputo hat gezeigt, dass trotz einer gemeinsamen Sensibilität für Fragen von Macht und Herrschaft sowie für die Bedeutung von Schwachheit und Freiheit wesentliche Unterschiede in ihren Ansätzen bestehen. Dies verdeutlicht, dass eine Weiterführung ausgehend von Ragaz’ Theologie nicht in einer bloßen Übernahme von Caputos Ansatz bestehen kann, sondern dass die Spannungen zwischen beiden Ansätzen in einer Fortführung notwendig bestehen bleiben. Angesichts der Forschungsfrage zur heutigen Zusammenarbeit zwischen Christ*innen und sozialen Bewegungen – und im Hinblick auf die Problematik von Ragaz' Verabsolutierung des Idealismus sowie der Vereinnahmung marxistischer Theorien der Arbeiterbewegung – erscheint es jedoch im Rahmen dieser Arbeit und im Bewusstsein des Stückwerks der Erkenntnis notwendig, Caputos Ansatz zu folgen und sich in einen postmetaphysischen Horizont zu stellen, der weitgehend auf eine Synthetisierung verzichtet.

8 Implikationen und Ausblick

Aus der theologischen Interaktion Leonhard Ragaz’ mit den marxistischen Theorien der Arbeiterbewegung sowie der Weiterführung durch die radikale Theologie John D. Caputos ergeben sich nun folgende Konsequenzen für eine heutige Zusammenarbeit von Christinnen mit sozialen Bewegungen.

8.1 Implikationen

Ragaz‘ theologische Interaktion, die im Kontext der sozialethischen Besinnung des Protestantismus als ein bedeutender Beitrag zu einer europäischen Theologie der Befreiung gilt, liefert heute einen wesentlichen Impuls für Christ*innen, soziale Bewegungen nicht nur zu begleiten, sondern als Orte göttlichen Handelns zu verstehen und aktiv mitzugestalten. Sein Verständnis des Gottesreiches als geistlich und leiblich befreiende Bewegung – nicht nur zur individuellen Erlösung, sondern auch zur kollektiven, gesellschaftlichen Befreiung – wird dabei zum Appell für ein Engagement, das sowohl persönlich als auch gesellschaftlich-strukturell politisch wirksam wird, insbesondere für Gerechtigkeit, Gleichberechtigung sowie die Überwindung von Armut und Gewalt. Vor diesem Hintergrund – und besonders in der Weiterführung durch Caputo – werden soziale Bewegungen mit ihrer Orientierung an Gerechtigkeit und Lebensbejahung zu Räumen, in denen sich das Ereignis eines kommenden Christentums vollzieht .

Eine weitere Implikation dieser Arbeit ist es, die institutionellen Kirchen – im Hinblick auf den von Ragaz und Caputo betonten Paradigmenwechsel hin zu Schwäche, Offenheit und Gewaltlosigkeit – zu ermutigen, ihre bestehenden Strukturen radikal zu hinterfragen. Es gilt im Anschluss an Ragaz’ Konzept der Verweltlichung der Sache Christi, Hierarchien abzubauen, Machtansprüche zu relativieren und offen für die Rufe der Marginalisierten und Unterdrückten zu werden. Nur durch eine solche poröse Haltung kann die Kirche empfänglich für die Impulse sozialer Bewegungen werden und sich glaubwürdig als Teil eines größeren Projekts gesellschaftlicher Befreiung verstehen. Dabei geht es darum, kirchliche Identität zugunsten einer neuen offenen Kirchlichkeit dort zu riskieren, wo sie sich durch ihr geteiltes Anliegen legitimiert.

Der Paradigmenwechsel betrifft jedoch nicht nur die äußeren Strukturen der Kirche, sondern reicht tiefer bis in das Fundament des theologischen Denkens selbst – und führt damit zur letzten und zugleich radikalsten Implikation . Durch die Radikalisierung der Schwäche in Caputos postmodernem Ansatz tritt die Problematik von Ragaz' Idealismus besonders deutlich hervor: Seine teilweise Verabsolutierung sowie die Vereinnahmung marxistischer Theorien der Arbeiterbewegung bleiben letztlich Ausdruck einer starken Theologie. Caputo zeigt hingegen einen Weg, Theologie aus einem metaphysischen Zielhorizont herauszulösen und so weit zu schwächen, dass Skepsis gegenüber der Vorstellung eines starken, allmächtigen Gottes – als Wesen, Grundlage des Seins oder als transzendentes Jenseits – zur Grundhaltung wird. Eine solche Theologie als Weiterführung der Verweltlichung der Sache Christi verliert ihren teleologisch gerichteten Glauben, löst sich in die Unvorhersehbarkeit auf und bleibt als Hoffnung auf das stets Kommende bestehen. In diesem Sinn werden Christ*innen dafür sensibilisiert, Glauben als offenes Geschehen zu verstehen und soziale Bewegungen nicht durch starre metaphysische Kategorien zu vereinnahmen.

8.2 Ausblick

In der heutigen Zeit droht die Welt angesichts zahlreicher globaler Herausforderungen – von der ökologischen Krise über die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten bis hin zum Wiedererstarken des Rechtsextremismus – zunehmend ins Unbekannte zu kippen. Das Konzept der Kipppunkte 68 verdeutlicht, dass Veränderungen oft plötzlich und unumkehrbar eintreten. Das Denken in Kipppunkten ist daher untrennbar mit „ereignishafter Unsicherheit“ (Schüßler 2025a:94f.) verbunden. Im Anschluss an Ragaz' theologische Interaktion mit sozialen Bewegungen wird erkennbar, dass festgefügte Sicherheiten, starre Ordnungen und machtvolle Wahrheitsansprüche nicht ausreichen, sondern vielmehr den Raum für die dringend notwendige Offenheit und Flexibilität im Umgang mit einer unsicheren Welt verengen. Gerade heute wird deutlich, dass es zu den wesentlichen Aufgaben gehört, sich in prekären Zwischenräumen zu bewegen und sich für die Vielfalt des Lebens zu öffnen und einzusetzen. Schüßler (2025a:207) bringt dies eindringlich auf den Punkt:

Wir leben nicht nur in einer Welt der vernünftigen Gründe, wir leben in einer Welt der Abgründe. Dass die Dinge ins Rutschen geraten, das ist kein Unfall, das ist das Leben. Obwohl oft vieles gesellschaftlich so starr und stabil erscheint, kann mit jedem Ereignis alles wieder auf dem Spiel stehen. Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und der Vielfalt auf der Erde, all das muss in jeder Gegenwart immer wieder neu erkämpft werden.

Es ergibt sich die Notwendigkeit einer Theologie, die sich darauf konzentriert, die „schwachen Signale des weniger Zerstörerischen zu hören“ (Schüßler 2025a:97) und von Ereignis zu Ereignis für eine bessere Welt zu handeln und zu fragen, wie grundlegende Menschenrechte verteidigt werden können, ohne dabei die eigenen „Privilegien als universale Position gegen größere Vielfalt zu verteidigen“ (:151). Im Kontext von Caputos Ansatz bleibt es außerdem eine zentrale Aufgabe, die von Ragaz motivierte Frage weiterzuführen: Welche Strukturanalysen unserer Gesellschaft helfen uns heute, Unterdrückung zu erkennen und wirksam zu überwinden?

Damit bleibt offen, welche Rolle Christ*innen sowie ihre Kirchen und Theologien künftig spielen werden. Eines jedoch scheint klar: Nur Christ*innen und Kirchen, die ihre eigene Unsicherheit anerkennen, Offenheit praktizieren und den Mut haben, ihre Identität im Einsatz für Gerechtigkeit und Vielfalt immer wieder aufs Spiel zu setzen, können ein glaubwürdiger Teil einer Bewegung gesellschaftlicher Befreiung werden. Dorothe Sölle (1968:83f.) formuliert dies in ihrem Buch Atheistisch an Gott glauben folgendermaßen:

Christsein heißt nun nicht mehr: etwas sehen, was andere nicht sehen und wo andere nichts mehr sehen […] sondern daß man die ganze ungeteilte Welt mit den Augen Gottes ansieht […] Gemeint sind mit dem Ausdruck die Augen jenes Mutes, der Chancen dort entdeckt, wo endgültige Feststellungen gemacht werden, der Frieden wittert, wo Streit herrscht; es sind die Augen jener Liebe, die nichts und niemanden aufgibt und die im Hinsehen, im Mehrsehen das, was sie sieht, verändert, weil sie seine Möglichkeiten entdeckt, weil sie ein schöpferischer Akt und nicht bloße Wahrnehmung von Vorhandenem ist.

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[...]


1 In dieser Arbeit wird grundsätzlich gegendert. Ausnahmen werden dort gemacht, wo bewusst auf die patriarchalen Strukturen vergangener Gesellschaften hingewiesen werden soll oder wo es sich um historische Begriffe handelt. Der Name Gott wird in dieser Arbeit nicht gegendert – auch wenn dies, wie Ilsa Müllner schreibt, eigentlich auf die Unverfügbarkeit des Göttlichen aufmerksam machen könnte: „Um mit dem sprachlichen Zeichen G*tt auf die Schwierigkeit einer angemessenen Gottesrede hinzuweisen, kann ein irritierendes Schriftbild hilfreich sein“ (Müllner 2023).

2 Eine Strömung innerhalb des Neuprotestantismus – einer zusammenfassenden Bezeichnung für protestantische Bewegungen, die insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert unter dem Einfluss der Aufklärung standen (Brockhaus Enzyklopädie 1991:494) –, die den Anschluss der Kirche an die moderne Kultur suchte (Brockhaus Enzyklopädie 1990:589).

3 Das Verständnis der Religion als Morallehre, als „die Moral in Beziehung auf Gott als Gesetzgeber“ (Kant 1968:589), führte Kant dazu, das Reich Gottes als rein moralisches Reich zu verstehen. Das Reich Gottes wird bei ihm als Begriff des „höchsten Gutes“ (Kant 1878:153f.) verstanden, also als Endziel sittlichen Strebens. Durch diese Sichtweise säkularisierte Kant die christliche Eschatologie, indem er das Reich Gottes als ethische Forderung stets transzendental vor den Menschen stellt. Das bedeutet, dass das Kommen des Reiches Gottes aus der Sicht Kants nur durch das moralische Handeln des Menschen in der Welt realisiert werden kann (Honecker 1971:90).

4 Die Entstehung der späteren Konflikte zwischen Kutter und Ragaz sowie zwischen Ragaz und Barth lässt sich letztlich auf ihre unterschiedliche Rezeption von Blumhardt zurückführen (Groth 1983:103f., vgl. Kap. 3).

5 Ursprünglich entstand die Befreiungstheologie im katholischen Kontext in Lateinamerika ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Kern 2013:130f.). Aber auch europäische Theolog*innen wie unter anderem Dorothee Sölle, Jürgen Moltmann, Johann Baptist Metz (:14 u.ö.) sowie Helmut Gollwitzer (Park 2015:151ff.) waren eng mit dieser theologischen Strömung verbunden.

6 Auch etwa indem er Theolog*innen, darunter Jürgen Moltmann, nachhaltig beeinflusste. In seiner Autobiografie schreibt Moltmann bspw. über Ragaz: „At that time I wanted to follow Leonhard Ragaz: 'From religion to the Kingdom of God, from the church to the world, from concern from my own self to hope for the whole'” (Moltmann 2007:154).

7 Unter den heutigen sozialen Bewegungen werden im Vergleich zu früheren, wie der Arbeiterbewegung, in dieser Arbeit kollektive, organisierte Bewegungen verstanden, die soziale Gerechtigkeit, Umweltfragen oder politische Veränderungen thematisieren und häufig als „neue soziale Bewegungen" (Schubert & Klein 2020a) bezeichnet werden.

8 Vgl. Robin Celikates, der betont, dass in heutigen sozialen Bewegungen und bei Aktivist*innen „Kapitalismuskritik, Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und Klimaschutz […] eng miteinander verwoben“ (Celikates & Eilenberger 2021) sind.

9 Kinderarbeit war keine spezifische Erscheinung des Industriezeitalters, sondern stets eine Folge von Armut. Im 19. Jahrhundert nahm sie jedoch stark zu, was gleichzeitig zu ihrer verstärkten Thematisierung führte (Lezzi 1990:37f.).

10 Der Sonderbundskrieg war ein Bürgerkrieg in der Schweiz von 1847, in dem liberale und konservative Kantone um die politische Zukunft des Landes kämpften; er endete mit dem Sieg der Liberalen und führte schließlich zur Gründung des Schweizer Bundesstaates (Roca 2012b:4.).

11 Dieser Aufschwung geschah vor allem durch Impulse von der in London 1864 gegründeten Internationalen Arbeiterassoziation (IAA), auch bekannt als die I. Internationale, in deren Generalrat Karl Marx eine führende Rolle einnahm (Lezzi 1990:68).

12 Auch die Unternehmer organisierten sich und entwickelten Strategien zur Bekämpfung der Gewerkschaften, wie die Entwicklung der „Schwarzen Liste“ (AGA 1975:100), in der die streikenden Arbeiter*innen aufgelistet und an alle Unternehmen des Verbandes zur Ausschließung verteilt wurden.

13 Das Eintreten für ein vereintes Europa zur Überwindung von Kriegen war ein zentraler Bestandteil der europäischen Arbeiterbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Buschak 2018:17ff.).

14 Die Schweiz hatte im 19. und 20. Jahrhundert eine internationale Bedeutung als „Zufluchtsort“ (Richers 2017:69) für viele Sozialisten, darunter Wladimir Iljitsch Lenin und Leo Trotzki, die an der Konferenz teilnahmen. Es war jedoch keine bolschewistische (vgl. Anm. 15) Veranstaltung, da Lenin nur eine geringe Rolle spielte, sondern eine „Friedenskonferenz“ (Rentsch 2015), die erst nach der russischen Revolution als bolschewistisch wahrgenommen wurde.

15 Bolschewismus bezeichnet die radikal-revolutionäre marxistische Strömung innerhalb der russischen Sozialdemokratie. Die Anhänger dieser Richtung werden als Bolschewisten bezeichnet; sie bildeten ab 1903 unter Lenins Führung die Mehrheitsfraktion in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Schubert & Klein 2020b).

16 Engels bezeichnete die Theorie erst 1892 rückblickend als historischen Materialismus (Berger 2008:16).

17 Marx’ Materialismus sei als polemische Abgrenzung zum Idealismus zu verstehen; seine Perspektive ließe sich treffender als Realismus bezeichnen (Iorio 2012:29).

18 Die Dialektik erlangte in der Weiterentwicklung des Marxismus durch Lenin einen zentralen Stellenwert und wurde als dialektischer Materialismus bekannt. Diese Bezeichnung findet sich jedoch nicht in den Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels (Iorio 2012:36).

19 Hier wird besonders deutlich, dass Marx das Kapital bzw. das Geld als die zentrale Macht des Kapitalismus betrachtet (Stammen & Classen 2009:36, 47). Geld sei das verbindende „Band“ (Marx 1982b:436) der Gesellschaft. Alle sozialen Beziehungen sieht Marx durch dieses Bindeglied geprägt und in Austausch- sowie Warenverhältnisse überführt (Stammen & Classen 2009:47). Er spricht in diesem Zusammenhang auch von der „verkehrenden Macht des Geldes“ (Marx 1982b:438). Werte und Tugenden wie Loyalität oder Tapferkeit sieht er durch das Geld relativiert: „Wer die Tapferkeit kaufen kann, der ist tapfer, wenn er auch feig [sic] ist“ (ebd.). In der kapitalistischen Produktionsweise würden Arbeiter*innen ihre Arbeitskraft verkaufen, die für eine bestimmte Zeit zum Privateigentum der Kapitalist*innen werden würde. Dadurch würden die Arbeiter*innen selbst zu Waren werden, und sowohl der Arbeitsprozess als auch das Produkt würden sich ihnen entfremden, da sie über beides keine Kontrolle mehr hätten (Nachtwey 2014:131). Vor allem aus dieser Analyse der Entfremdung des Menschen ergibt sich für Marx der humanistische Protest, der auf die Befreiung der Arbeiter*innen von der Entfremdung abzielt. Diese Kritik an der Macht des Geldes lässt sich auch in den Worten von Martin Luther (2013:515) finden, der bereits vor Marx im großen Katechismus zum ersten Gebot schrieb: „Wer Geld und Besitz hat, der weiß sich unangreifbar, ist fröhlich und unerschrocken, als sitze er mitten im Paradies.“

20 Der Begriff wurde insbesondere seit dem 19. Jahrhundert verwendet, um die in Kap. 2.1 beschriebenen sozialen Probleme, die durch die Industrialisierung entstanden, zu thematisieren (Degen 2012).

21 Die Werke von Dante, Goethe, Tolstoi und Kant wurden unter anderem zum Zentrum seines geistigen Lebens (Ragaz 1952a:125).

22 Dieses Reich-Gottes-Erleben könne er nicht rational erklären, da es ihm unmittelbar von Gott offenbart worden sei (Ragaz 1952a:230f.). Eine Einordnung dieses Erlebnisses findet sich in Kapitel 4.

23 In dieser Maurerstreikpredigt heißt es bspw.: „Die soziale Bewegung ist eben doch weitaus das Wichtigste, was sich in unsern Tagen zuträgt“ (Ragaz 1903:29).

24 Das ihm vom Grütliverein in Chur zum Abschied überreichte Kapital von Karl Marx wurde zum Gegenstand eines langen und tiefgehenden Studiums, in dem ihm der „lebendige Gott Jesu entgegen [trat]“ (Ragaz 1952b:73).

25 Bezeichnend für diese Zeit ist die Begegnung mit einem verarmten Mann, der im Münster am Abendmahl teilnahm und Ragaz als „Christus als Vertreter des Proletariats“ (1952a:238f.) erschien.

26 Diese Bewegung, auch als religiöser Sozialismus bekannt, versuchte, die soziale Dimension des Christentums und die religiöse Dimension des Sozialismus zu verwirklichen (Steinen 1977:16). Wichtige Meilensteine zur Gründung der Bewegung waren die Tagung der Schweizerischen Predigergesellschaft 1906 in Basel, auf der Ragaz seine bedeutende Predigt über Das Evangelium und den sozialen Kampf der Gegenwart hielt und das Buch Sie müssen von Kutter erschien (Buess & Mattmüller 1986:71f.).

27 Der endgültige Bruch mit Kutter erfolgte später im Ersten Weltkrieg, hauptsächlich ausgelöst durch Kutters Parteinahme für Deutschland (Ragaz 1952b:107). Der Konflikt innerhalb der Bewegung setzte sich in der Auseinandersetzung mit der aufkommenden dialektischen Theologie fort, insbesondere zwischen Karl Barth und Leonhard Ragaz (Mattmüller 1968:218-256).

28 1909 und ein zweites Mal 1911 reiste Ragaz nach Bad Boll, um Blumhardt zu besuchen (Buess & Mattmüller 1986:85). Blumhardt inspirierte den einst liberalen Pfarrer Ragaz sogar dazu, wieder an Wunder und den übernatürlichen Christus zu glauben. So kommentiert er selbst: „Ich konnte eine Weinachtsandacht über die ‘Menschwerdung Gottes in Christus‘ schreiben“ (Ragaz 1952a:302).

29 Das Flugblatt wurde in einer Auflage von 100 Tausend Exemplaren verbreitet und lud die Wut des Bürgertums auf ihn (Mattmüller 1957:187f.). Auch Kutter übte scharfe Kritik an ihm und zeigte sich dabei so „unritterlich wie möglich“ (Ragaz 1952a:316), indem er als Reaktion auf Ragaz Flugblatt einen Artikel gegen Ragaz verfasste.

30 In dieser Zeit lernte Ragaz die in Zürich im Exil lebenden Russen Lenin und Trotzki kennen. Ragaz verbesserte die schlecht ins Deutsche übersetzte marxistische Broschüre Die Internationale und der Krieg von Trotzki (Ragaz 1952b:78f.), wofür ihm Trotzki später in seinem Buch Mein Leben einen besonders wohlwollenden Abschnitt widmete (Trotzki 1930:230f.). Während das Verhältnis zu Trotzki in dieser Zeit eine „starke und freundschaftliche persönliche Berührung“ (Ragaz 1952b:82) darstellte, war dies keineswegs der Fall mit Lenin. Dieser bezeichnete die religiös-sozialistische Bewegung als „weinerliche Sozialpfaffen“ (:83), die die Arbeiter*innen davon abhielten, Gewalt anzuwenden.

31 Diese Vorträge wurden später in seinem Buch Von Christus zu Marx, Von Marx zu Christus veröffentlicht, dass er als eines seiner Hauptwerke betrachtet (Ragaz 1952b:180).

32 Während der Kriegsjahre wurde die Neue Wege zensiert, was Ragaz die Gelegenheit gab, seinem lang gehegten Wunsch nach einer Bibeldeutung nachzugehen und von 1942 bis 1945 erschienen schließlich die insgesamt sechzehn Bände (Buess & Mattmüller 1986:190f.).

33 Die Vorlesungsmanuskripte sind unerlässlich, um die Grundstrukturen von Ragaz’ Theologie zu erfassen, da er im Rahmen seiner Professur gezwungen war, seine gesamte Theologie tiefgehend zu reflektieren und zu systematisieren (Buess & Mattmüller 1986:84f.). Laut Markus Mattmüller bilden die Manuskripte aus den Jahren 1908 bis 1913 die erste Phase seines theologischen Denkens. Daran schließt sich eine zweite Phase während der Kriegs- und Revolutionszeit (1917–1921) an, sowie eine dritte Phase, die Ragaz‘ Bibelwerk umfasst (ebd.), die beiden späteren Phasen fließen teilweise in die Darstellung mit ein, wenn sie den Grundstrukturen von Ragaz’ Theologie der ersten Phase entsprechen.

34 Für Ragaz ist Sittlichkeit mehr als nur die Fähigkeit zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können und gut zu handeln, sie umfasst das, was den Menschen zum wahren Menschen macht. Sie beschreibt eine gesamte Lebensweise, durch die sich der Mensch in seiner vollen Entfaltung entwickelt (Jäger 1971:14).

35 Aus diesem Gewissensbegriff erschließt sich auch das Reich-Gottes-Erleben von 1903 (vgl. Kap. 3) als ein Erleben der von außen aufdrängenden Wirklichkeit Gottes, die sich dem Gewissen offenbart (Jäger 1971:250).

36 Ragaz sieht sich an die Bibel gebunden, da sie dem Menschen Freiheit gibt, indem das Reich Gottes darin wie sonst nirgendwo erscheint (Ragaz 1925:203). Sie zeigt, dass Geschichte nicht bloße Menschheitsgeschichte ohne Offenbarung ist, sondern eine innere Linie von den Propheten Israels über Jesus bis in die Gegenwart führt (Ragaz 1922d:174f.). Die Bibel sei damit nicht in sich abgeschlossen, „im Gegenteil, sie will vorwärts gehen, sich erweitern, vollenden […] wo das Reich Gottes waltet, da erhält die Bibel ihre stets neue Fortsetzung“ (Ragaz 1925:203).

37 Ragaz begründet sein Christusverständnis zunächst als liberaler Theologe erkenntnistheoretisch im Sinne Kants, wonach Jesus im Gewissen immer gegenwärtig ist. Insbesondere aber nach seinem Reich-Gottes-Erleben im Jahr 1903 setzte er seinen Glauben zunehmend auf den historischen Jesus (Jäger 1971:253). Er erkennt an, dass eine theologische Position ohne Bezug auf den historischen Jesus berechtigt sein kann, da sie den Glauben an die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft betont (Ragaz 1910a:105). Ebenso betont er, dass sein Glaube primär Gott und dessen Reich gilt, nicht Jesus als Person (Ragaz 1910b:137). Der Weg zu Gott bleibt also offen und ist nicht dogmatisch an Jesus gebunden. Seiner Botschaft solle aus innerer Freiheit zugestimmt werden und nicht aufgrund eines äußeren Gesetzes (Jäger 1971:250 & Ragaz 1904:46f.). Diese Freiheit hat jedoch ihren dialektischen Gegenpol, denn praktisch seien wir auf die Wahrheit in Jesus angewiesen und dürften der „freien Autorität Vertrauen schenken“ (Ragaz 1910b:139). Für Ragaz stand die Gottheit Christi fest, dennoch verlangte er nie ein solches Credo – als beispielsweise internationale CVJM-Leiter ihn um Rat baten, ob es in der Pariser Basis weiterhin verlangt werden sollte, riet er dagegen (Ragaz 1952a:302).

38 Der Begriff des Kampfes wird von Ragaz oft parallel mit dem Begriff der Arbeit verwendet (Jäger 1971:138).

39 Markus Mattmüller und Eduard Buess erkennen in Ragaz’ bereits 1917 entwickeltem Verständnis der Religion eine Parallele zu Karl Barths Religionsbegriff, insbesondere in der ersten Fassung von Der Römerbrief von 1919, und führen diese Gemeinsamkeit auf ihre gemeinsame Kenntnis Blumhardts zurück (Buess & Mattmüller 1986:126).

40 Darüber hinaus verwendet Ragaz den Begriff der Religion aber auch grundsätzlich als Bezeichnung für sittliche Missstände aufgrund seines Wirklichkeitsverständnisses, dass alle sittlichen Ideale dem Reich Gottes entsprechen. Ragaz kritisiert beispielsweise den aus seiner Sicht moralischen Abfall der Arbeiterbewegung, insbesondere der SPS, als Abfall vom Reich Gottes hin zur Religion (vgl. Kap. 5.3).

41 Luther sagte: Christ*innen werden durch die Taufe zu Priester*innen geweiht. Daraus wurde das Verständnis des Allgemeinen Priestertums (ekd.de „Priestertum aller Gläubigen - Basiswissen Glaube“).

42 Ragaz‘ biblisch-theologische Begründung dieser sozialen Grundsätze des Reiches Gottes ist vor allem in seiner Auslegung der Bergpredigt (Ragaz 1971a) und der Gleichnisse (Ragaz 1971b) begründet, vgl. dazu auch sein gesamtes 16-bändiges Bibelwerk (Buess & Mattmüller 1986:190f.).

43 Dieser Idealismus bedeutet für Ragaz jedoch nicht die Abwertung der Materie, sondern ihre Verbindung mit dem Geist. Im Sinne von Ragaz‘ Begriffspaar Natur und Geist, gehören Geist und Materie zusammen. Das bedeutet für Ragaz, dass der Geist bzw. Idealismus unbedingt auch „in die Materie hinein, sie zu besiegen und zu gestalten“ (Gerber u.a. 1920:26) beginnen muss.

44 Im Sinne des Föderalismus, der eine dezentralisierte Gesellschaft anstrebt, in der einzelne Einheiten eigenständig agieren, aber miteinander kooperieren (Schubert & Klein 2018:129), setzte Ragaz auf eine genossenschaftlich organisierte Wirtschafts- und Konsumordnung im Gegensatz zu einem Zentralstaat (Gerber u.a. 1920:44). Er forderte die Entstehung von Produktionsgenossenschaften. Eine Produktionsgenossenschaft überträgt das Prinzip der Genossenschaft – ein Unternehmen, das primär den Interessen seiner Mitglieder dient (Schubert & Klein 2018:142) – auf die Produktion. Dabei sind die Arbeiterinnen zugleich im Besitz des Betriebs und in ihm tätig. Die Idee stammt aus frühsozialistischen Kreisen, die noch vor Marx nach Lösungen für die soziale Frage suchten (Roca 2012a:5f.). Diese sollten eine Wiedergeburt der Arbeit bewirken. Außerdem forderte Ragaz Konsumgenossenschaften. Im Gegensatz zu Produktionsgenossenschaften geht es bei Konsumgenossenschaften darum, Produkte zu günstigen Preisen anzubieten, um die Bedürfnisse der Mitglieder zu befriedigen. Die ersten Vereine entstanden bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in der Schweiz (Roca 2012a:5f.). Diese sollten zu einer gerechten Verteilung von Gütern führen (Ragaz 1922e:55).

45 Die Metaphysik ist die philosophische Disziplin, die sich mit den grundlegendsten Fragen der Wirklichkeit befasst. Sie untersucht die Ursachen und Ziele allen Geschehens und gilt als die höchste Form der Philosophie (Volker 2008:373).

46 Auch Ragaz verstand die beiden Lehren vom Klassenkampf und vom historischen Materialismus als Hauptpfeiler des Marxismus und damit als theoretische Grundlage der Sozialdemokratie (Ragaz 1972:51).

47 Die Kientaler Konferenz war die zweite geheime Konferenz, die auf die Zimmerwalder Konferenz folgte und ein Manifest verabschiedete (Degen 2017).

48 Vor allem der linke, pazifistische Flügel der SPS, in dem Ragaz vertreten war, war kaum marxistisch (Stähli 1977:118).

49 Gollwitzer steht mit diesem Ansatz im „philosophischen Streit zwischen einem Denken, das alles mit allem identifizieren (synthetisieren) will, und einem Denken, das differenziert und jedwede Form der Synthetisierung ablehnt“ (Raboldt 2004) tendenziell auf der Seite der Differenz. Ein ähnlicher Ansatz findet sich auch bei Theo Sundermeier, der in seinen interkulturellen und interreligiösen Überlegungen stark die Differenz des Anderen, des Fremden, betont. So schreibt er beispielsweise, das Ziel interkultureller Hermeneutik sei ein „gelingendes Zusammenleben, bei dem jeder er selbst bleiben kann, niemand vereinnahmt wird und dennoch ein Austausch stattfindet“ (Sundermeier 1996:183). Dieses Ziel spiegelt sich auch in dem Begriff der Konvivenz wider – einem Begriff für ein Zusammenleben, den er aus der afrikanischen Befreiungstheologie in den deutschsprachigen Raum einführt (:190) und der den Grundsatz der Gegenseitigkeit impliziert (Sundermeier 2005:271).

50 Das moderne Denken kennzeichnet sich vor allem durch das Streben nach Meta-Erzählungen, also umfassenden Ideen, die auf ein gesellschaftliches Ziel hin ausgerichtet sind. Moderne Meta-Erzählungen sind beispielsweise die „Emanzipation durch Wissenschaft in der Aufklärung, Teleologie des Geistes im Idealismus, Befreiung der Menschheit durch proletarische Revolution im Marxismus, Beglückung aller durch Reichtum im Kapitalismus“ (Welsch 2022).

51 Gemeint ist vor allem Heideggers Idee vom Ende der Metaphysik. Dieses Ende bedeutet nach Gianni Vattimo nicht einfach die Verneinung oder Abschaffung der Metaphysik, denn das würde nur zu einer neuen Metaphysik führen (Vattimo 2004:10). Vielmehr habe sich das Verhältnis zur Metaphysik (zu Meta-Erzählungen) auf geschichtliche Weise verändert. Die objektive Metaphysik endete in einem Denken, das Wahrheit mit Berechenbarkeit und Messbarkeit gleichsetzt (Vattimo 1997:21f.). Heidegger vertieft diese Kritik zu einem Denken des Ereignisses, das erkennt, dass der Wandel aller Lebensverhältnisse nicht mehr in geschlossenen metaphysischen Begriffen aufzugehen vermag und daher in ein offenes, prozessuales Verständnis von Sein mündet (Schüßler & Gruber 2017:2). Das Ereignis meine bei Heidegger keine Mystifizierung eines göttlichen Prinzips, sondern ein Mittel, um Sein ideologiefrei, etwa jenseits von Materialismus oder Idealismus, zu denken (ebd.).

52 Die Postmoderne (hier vor allem verstanden als philosophische Phase nach der Moderne) ist wesentlich durch die Verabschiedung der traditionellen Metaphysik und der großen Meta-Erzählungen gekennzeichnet, wie sie sich etwa bei Heidegger zeigt (vgl. Anm. 51) oder in der Theorie der Dekonstruktion bei Jacques Derrida (vgl. Anm. 60), was den Weg für eine pluralistische Haltung gegenüber Wahrheit geebnet hat (Welsch 2022). Auf Grundlage dieses postmodernen Verständnisses der aktuellen Zeit bauen die folgenden Kapitel auf. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff und der Deutung der Postmoderne erfolgt in Kap. 7.2.

53 Unter postmetaphysisch wird nicht die vollständige Überwindung aller metaphysischen Strukturen verstanden, sondern – in Anlehnung an Heidegger – ein Denken, das die starke Metaphysik dekonstruiert und in eine schwache, ereignisorientierte Metaphysik überführt.

54 Vattimos Konzept des schwachen Denkens zielt – im Anschluss unter anderem an Heidegger und Nietzsche – darauf ab, sich von absoluten Wahrheitsansprüchen und traditionellen metaphysischen Strukturen zu lösen (Vattimo 2004:9ff.). Zusammenfassen lässt sich dieser Ansatz in der Aussage, dass alles Interpretation ist (Eggensperger 2004:11). Caputo teilt mit Vattimo die Kritik an der Kirche als Vertreterin eines metaphysischen Systems und verwendet, wie dieser, die Struktur und Rede des Ereignisses bei Heidegger (vgl. Anm. 51). Im Unterschied zu Vattimo betont Caputo jedoch stärker die transzendente Dimension der Offenbarung, indem er das Ereignis hinter dem Gottesbegriff hervorhebt. Anders als bei Vattimo sieht Caputo die theologische Aufgabe darin, dass im Gottesbegriff Verborgene immer wieder neu zu erschließen (Rass 2017:64).

55 Zur Vertiefung Caputos Theologie sowie der dieser adressierten Kritik wurde mit Michael Schüßler ein Interview geführt (Schüßler 2025b), das im Folgenden mit einfließt.

56 Caputo verortet den Ursprung dieses Ansatzes vor allem in Tillichs Konzept des theologischen A-Theismus, wie er es im folgenden Tillich-Zitat begründet sieht: „Gott ist kein Objekt für uns als Subjekte […] Dieser paradoxe Sachverhalt [Gott entzieht sich der Subjekt-Objekt-Struktur, ist aber nur in ihr thematisierbar, TH] hat zu dem nahezu blasphemischen und gefährlichen mythologischen Begriff der ‚Existenz Gottes‘ geführt und zu den unmöglichen Versuchen, die Existenz dieses Objektes zu beweisen. Einem solchen Begriff und solchen Versuchen gegenüber ist Atheismus die notwendige religiöse und theologische Antwort“ (Tillich 1987:133f., Caputo 2022:28).

57 Caputo sieht es am besten in der Bitte des Mystikers Meister Eckharts ausgedrückt, dass Gott ihm bitte helfe, Gott loszuwerden, sich von Gott zu befreien (Eckhart 2001:113). Der Gott, von dem Meister Eckhart sich zu befreien versuche, sei ein menschenkonstruktierter Gott, der auf eigene Vorstellungen und Argumente zurechtgemacht ist (Caputo 2022:33).

58 Das erinnert an Bonhoeffers (1988:112) Aussage: „Einen Gott, den ‚es gibt‘, gibt es nicht“ – ebenso wie an seine Gedanken zu einem religionslosen Christentum (Bonhoeffer 1998:401ff.).

59 Griechischer Begriff, der vor allem in der Negativen Theologie und christlichen Mystik genutzt wurde und Gott mehr als Sein versteht – jenseits aller Kategorien: jenseits des Seins (Enders 2007:120). Hier schließt Caputo an Derridas Kritik an der negativ-mystischen Theologie an (ebd.).

60 Das von Derrida entwickelte Konzept der Dekonstruktion ist zunächst im Kontext der Literaturtheorie verortet, lässt sich jedoch nicht auf eine literaturwissenschaftliche Methode reduzieren (Zima 2016:xi, 34). Ausschlaggebend war die Kritik der Metaphysik, die sich bei Heidegger auf Nietzsche beruft und von Derrida sowie anderen Dekonstruktivisten weitergeführt und radikalisiert wurde (:28, 35). Die Dekonstruktion kennzeichnet sich durch einen doppelten Ansatz: einerseits durch radikale Kritik und das Zerlegen von Begriffen (Destruktion), andererseits durch das Bewusstsein, dass man trotzdem auf diese Begriffe angewiesen bleibt und daher auch einen Aufbau (Konstruktion) leistet (Zapf 2013:123). Sie ist im Wesentlichen als Kritik an Macht und Kontrolle zu verstehen und zielt darauf ab, durch die Sprache von festen Grenzen und Hierarchien zu befreien (ebd.).

61 Derrida greift den von Heidegger übernommenen Begriff des Ereignisses auf und verwendet ihn – ähnlich wie Heidegger selbst – in seiner Theorie der Dekonstruktion als einen endlosen Bruch, der Gegebenheiten fortwährend durchkreuzt und auflöst: ein unablässiges Infragestellen alles Gegebenen (Schüssler & Gruber 2017:6f.). Ereignisse würden dabei nicht in der Verfügungsgewalt des Menschen stehen, sondern könnten nur als gegebene Erfahrungen erlebt werden (:7). Der Begriff zielt damit auf die Durchbrechung einer festen Ontologie des Seins hin zu einer „schwachen Ontologie des Seienden“ (:8), einer sich ständig verändernden Wirklichkeit, in der die scheinbar festen und berechenbaren Ordnungen der Welt erschüttert werden (ebd.).

62 Das führt Caputo dazu, Religion nicht mehr innerhalb einer Theologie zu fassen, als einen Versuch, das Wesen Gottes (theos) zu beweisen, zu beschreiben oder in klare, logisch (logos) nachvollziehbare Sätze zu fassen – wie das in einer klassischen metaphysischen Gotteslehre üblich wäre. Caputo spricht dagegen von einer Theopoesie, dass wir Gott nicht als festes Sein, sondern als Ereignis verstehen sollen – etwas, das geschieht, nicht etwas, das ist. Und dieses Ereignis lässt sich nicht festhalten, nicht durch Sprache bändigen, sondern könne vielmehr nur poetisch erspürt werden (Caputo 2022:117ff.).

63 Schüßler weist passend dazu hin, dass es nicht erforderlich ist, das Du eines Gebetes abzulegen. Entscheidend bleibt vielmehr, welches Du weiterhin existiert, da es darum geht, das Leben dem Unbedingten anzuvertrauen – dem Unvorhersehbaren, das sich nicht vollständig fassen lässt (Rimmele u.a. 2022:163).

64 Caputo misst hier besonders 1 Kor 1,25–28 große Bedeutung bei, wo betont wird, dass Gott das Schwache, Törichte und Verachtete erwählt, um menschliche Weisheit und Stärke zu unterlaufen.

65 Passend dazu schreibt Jule Govrin (2022:86): „Statt Normen aufzustellen, die sich an einer idealen, gerechten Gesellschaft ausrichten, gilt es, von den bestehenden Verhältnissen der Welt auszugehen, vom Leiden, das ungleich verteilter Verwundbarkeit geschuldet ist.“

66 Vgl. Judith Butler, die den Gedanken der Verwundbarkeit des Menschen weiterdenkt, insbesondere im Anschluss an Hannah Arendt. Sie betont, dass das Ich nur im Du des Anderen verstanden werden kann, und bezieht diese Überlegungen auf politische Fragestellungen (Butler 2013:44ff.).

67 Die Unterscheidung entsteht vor allem im Kontext der Offenbarungstheologie von Karl Barth und Erik Peterson in der dialektischen Theologie. Sie wird auch als eschatologischer Vorbehalt bezeichnet, der ein kritisches Verhältnis zum menschlichen Überhang zum Ausdruck bringt. Die Spannung ergibt sich einerseits aus Gottes zukünftigem Handeln und andererseits aus der Erwartung, dass dieses Handeln bereits gegenwärtig wirksam ist (Stoll 2016:539f., 543ff.).

68 Aus der interdisziplinären Forschung zu komplexen Systemen stammt das Konzept von sog. Kipppunkten (Schüßler 2025:93). Im Anschluss an Schüßlers jüngste Arbeit (ebd.), die Kipppunkte in den theologischen Diskurs einführt, wird davon ausgegangen, dass sie in komplexen Ansammlungen dynamischer Wechselbeziehungen auftreten. Diese Systeme verfügen über sich selbst stabilisierende Kreisläufe und sind besonders anfällig dafür, dass aus kleinen Veränderungen große Wirkungen folgen – etwa in Form selbstverstärkender Teufelskreise – was dann als Kipppunkt bezeichnet wird (:94). Am deutlichsten in der heutigen Zeit erscheine die Klimakrise mit Kipppunkten verbunden (:94), aber auch der Angriff Russlands auf die Ukraine (:95) oder der Verlust einer Erinnerungskultur in Deutschland könne als eine Art Kipppunkt verstanden werden. Allerdings stehen nicht nur „Klima und Demokratie, auch Kirche und Theologie stehen […] auf der Kippe“ (:96). Dabei erscheinen diese Kipppunkte meist als schleichende Veränderungen, die durch ein überraschendes Ereignis plötzlich einen Kippprozess auslösen. Oft ist dabei nicht eindeutig, ob die Entwicklung in eine positive oder negative Richtung kippt, und es bleibt unklar, warum genau dieser Kipppunkt erreicht wurde (:95).

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Título: Die Verweltlichung der Sache Christi

Tesis (Bachelor) , 2025 , 66 Páginas , Calificación: 98 %

Autor:in: Tobias Hinrichs (Autor)

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Detalles

Título
Die Verweltlichung der Sache Christi
Subtítulo
Eine Literaturstudie zur heutigen Zusammenarbeit zwischen Christ*innen und sozialen Bewegungen
Universidad
IGW International
Calificación
98 %
Autor
Tobias Hinrichs (Autor)
Año de publicación
2025
Páginas
66
No. de catálogo
V1613024
ISBN (PDF)
9783389165102
ISBN (Libro)
9783389165119
Idioma
Alemán
Etiqueta
Reich Gottes Sozialismus Theologie Leonhard Ragaz Helmut Gollwitzer John Caputo Gianni Vattimo Postmoderne Arbeiterbewegung Marxismus soziale Bewegungen Befreiungstheologie Politische Theologie
Seguridad del producto
GRIN Publishing Ltd.
Citar trabajo
Tobias Hinrichs (Autor), 2025, Die Verweltlichung der Sache Christi, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1613024
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