Das Phänomen Ritual – mehr als nur eine religiöse Handlung


Hausarbeit, 2010

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Rituale
2.1 Weg von der Handlung zum Ritual
2.2 Rituelle Rollen
2.3 Bedeutung von Ritualen

3 Ritualformen
3.1 Trennungsrituale
3.2 Übergangsrituale
3.3 Opferrituale

4 Schlussbetrachtung

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Rituale sind erhaltende Mächte im Volksleben, aber sie haben auch Tausende in quälende

Fesseln geschmiedet, geknechtet und zu Märtyrern gemacht. Sie sind nur allzu oft für das

Handeln das geworden, was für das Reden die leere Phrase ist. Sie wollen doch nun einmal

allem Tun die typische Form aufdrängen.“ (Sartori zit. n. Näser 2004, S. 3)

Es existiert allem Anschein nach keine menschliche Gemeinschaft, in der keine Rituale verwendet werden. Rituale sind im Alltag stark verankert und treten immer wieder zu bestimmten Anlässen in Erscheinung. Sie sind ein bedeutsamer Bestandteil von Kulturen und werden oft aus Angst vor Identifikationsverlust oder Werteverfall aufrechterhalten. In diesem Zusammenhang können sich Rituale als gefahrvoll erweisen. Einige Rituale, beispielsweise die Beschneidung von Frauen, werden praktiziert ohne den Sinn zu hinterfragen, obwohl diese äußerst gesundheitsschädlich sind.

Rituale stellen jedoch mehr dar als nur Glaube und Religion. Sie können genauso gut ein helfendes Instrument bei der Erziehung, als auch eine Orientierungsmöglichkeit im sozialen Miteinander sein.

Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist es primär, das Phänomen „Ritual“ vorzustellen und sich mit diesem auseinanderzusetzen. Um einen guten Einstieg in die besagte Thematik zu gewährleisten, findet zunächst eine Begriffsbestimmung statt. Danach wird aufgezeigt, welche Komponenten eine Handlung erfüllen muss, damit man von einem Ritual sprechen kann. Anschließend wird auf die rituellen Rollen eingegangen und die Bedeutung des Rituals für die Gesellschaft betrachtet. Der darauf folgende Teil beschäftigt sich mit den Ritualformen, wobei im Vordergrund Trennungs-, Übergangs- und Opferrituale stehen. Abschließend erfolgt in der Schlussbetrachtung eine Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse.

2 Rituale

„Das Ritual ist ein vorgeschriebenes, formalisiertes Verhalten für Gelegenheiten, die noch

keine Routine geworden sind und die einen Bezug zum Glauben an mystische […] Kräfte

oder Wesen haben, die als ursächlich für den erstrebten Effekt angesehen werden.“

(Turner zit. n. Wolberg 2002, S. 4)

Folglich ist das Ritual ein kultischer, strukturierter Handlungsablauf, der mit bestimmten Absichten feststehenden Regeln folgt. Es weist überwiegend traditionsbestimmte, soziale Verhaltensweisen auf und wird regelmäßig zu gewissen Anlässen in immer gleicher Form hervorgebracht.

Rituale verfügen über einen hohen symbolischen Charakter, der von jedem Beteiligten entschlüsselt werden muss. Sie unterstützen uns, zwischenmenschliche Interaktionen durchzuführen und sind somit für unser Zusammenleben unentbehrlich. Weitere Vorteile von Ritualen sind, dass sie eine kulturelle Identität entwickeln und Gemeinschaften stärken, indem sie Strukturen und Regeln bieten, an denen sich die Menschen orientieren können. Dadurch wird ihnen einerseits Sicherheit gegeben, andererseits Ängste genommen. Die Grundvoraussetzung dafür ist jedoch, dass die Rituale, von allen oder einer Mehrheit, anerkannt und ausgeübt werden.

Rituale legen aber auch Grenzen und Einschränkungen fest und können daher die beteiligten Personen unter enormen Druck setzen und manipulieren. Folglich stellen sie einen Eingriff in die Persönlichkeit dar.

Der Begriff Ritual wird gewöhnlich mit religiösen und zeremoniellen Bräuchen verbunden, dabei sind sie überall im alltäglichen Leben anzutreffen, denn sie erleichtern den Alltag, indem sie ihn rhythmisieren und organisieren (vgl. Petersen 2001, S.28ff.)

2.1 Weg von der Handlung zum Ritual

Die Auffassung darüber, wann eine Handlung als Ritual bezeichnet werden kann, unterliegt einem stetigen Wandel, der sowohl durch die vorherrschende Epoche als auch durch den Hintergrund der definierenden Person bedingt ist. Hinzu kommt eine enorme Vielfalt an Erscheinungsmöglichkeiten von Ritualen.

Axel Michaels nennt fünf Aspekte, die eine bloße Handlung zu einem Ritual werden lassen, denn nicht jede habituelle Handlung, wie Hände schütteln, sollte als Ritual dargestellt werden.

Der erste Punkt betrifft ursächliche Veränderungen. Um ein Ritus hervorzubringen, müssen Grenzen überschritten werden, die eine beträchtliche Veränderung mit sich ziehen. Dadurch vollzieht sich der Wechsel in eine andere Handlungsebene.

Der zweite Aspekt beschäftigt sich mit dem förmlichen Beschluss, aus dem ein Ritual entstammt. Sie werden keineswegs wahllos oder spontan, sondern aufgrund einer bestimmten Intention ausgeführt. Es bedarf darüber hinaus eines förmlichen Beschlusses zur Durchführung des Rituals. Dies kann beispielsweise ein Schwur, Versprechen oder Eid sein (vgl. Michaels 1999, S. 30f.).

Ein weiterer wichtiger Faktor, um Rituale herzustellen, ist die Erfüllung formaler Handlungskriterien. Die Handlungen müssen verschiedenen Kriterien, wie unter anderem

stereotyp, unwiderruflich, öffentlich und repetitiv nachkommen (ebd., S. 34).

Des Weiteren müssen modale Handlungskriterien eingehalten werden. Die Ausführung eines Rituals richtet sich immer an die Gemeinschaft (Vergemeinschaftung), erzielt jedoch eine individuelle Wirkung bei den einzelnen Personen. Zudem muss eine rituelle Handlung stetig transzendent sein.

Der letzte entscheidende Punkt bezieht sich auf die Veränderung der persönlichen Ebene der Beteiligten. Das Vollziehen des Ritus muss bei denjenigen, einen spürbaren Wandel hinsichtlich der Identität, des Statuts, der Rolle oder der Kompetenz hervorrufen (ebd., S. 36ff.).

Lediglich wenn alle fünf Aspekte auf eine Handlung zu treffen, kann laut Michaels von einem Ritual die Rede sein.

2.2 Rituelle Rollen

Eine Rolle besteht aus „normativen Erwartungen an das Verhalten und aus Verhaltensvorschriften. Rollenerwartungen […] richten sich nicht auf eine Person als Individuum, sondern auf eine Person als Exemplar einer Klasse“ (Hannappel/Melenk 1979, S. 65).

Die Rollenverteilung im Ritual ist eindeutig festgelegt. Rituelle Rollen werden nur während eines rituellen Geschehens eingenommen, wobei von dem Rollenträger gesellschaftlich anerkannte Motive abverlangt werden.

Es ist abwegig, rituelle Rollen isoliert zu betrachten, da sie meistens mit anderen Rollen verknüpft sind beziehungsweise sich überlappen. Rituale sind überwiegend kulturgebunden, dass bedeutet, kulturelle Rollen prägen rituelle Rollen. Familienrollen können zugleich als rituelle Rollen verstanden werden, wenn die Handlungen innerhalb der Familie ritualisiert sind. Darüber hinaus sind rituelle Rollen vermehrt an ein bestimmtes Geschlecht gebunden, wie zum Beispiel in der Kirche, das heißt, die traditionellen Geschlechterrollen werden ihnen regelrecht aufgedrängt. Soziale und persönliche Statusrollen können durch ein ritualisiertes Rollenverhalten verfestigt werden und Gesprächsrollen werden häufig durch den Ritualtyp bestimmt (ebd., S. 65ff.).

Dabei können drei verschiedene Arten von Rollenkonflikten auftreten. Der Inter-Rollenkonflikt äußert sich darin, dass zwei oder mehrere Rollen, die in ein und derselben Beziehung relevant sind, sich widersprechen und nicht miteinander vereinbar sind. Zum Beispiel darf ein Mann nicht gleichzeitig ein katholischer Priester und ein Ehemann sein, obwohl er möglicherweise das Bedürfnis nach beidem zugleich hat.

Beim Intra-Rollenkonflikt wird hingegen dieselbe Rolle mit gegensätzlichen Erwartungen verbunden. Beispielsweise weisen ältere, erfahrene Leute andere Ansprüche an einen Priester auf als Kinder.

Eine Diskrepanz zwischen der Rollennorm und persönlichen Bedürfnissen zeigt sich meist in einem übertrieben angepassten Verhalten oder in Rollenbrüchen. Ein Beispiel dafür ist ein selbstsüchtiger Geistlicher, der jedoch, in seiner Rolle als Priester, Nächstenliebe predigt (ebd., S. 69f.).

2.3 Bedeutung von Ritualen

„Ritual nennt die Ethnologie kulturelle Handlungen und Erscheinungen, die aus der Sicht

der jeweiligen Ritualisten unverzichtbar sind, aus einer rational-technischen Perspektive

aber auch als überflüssig gelten können.“ (Streck 1998, S. 49)

Der Indologe Staal vertritt die Meinung, dass Rituale nicht selten bedeutungslose, starre, routinierte Handlungsabfolgen darstellen. Zu dieser Schlussfolgerung gelangte er angesichts der Resultate seiner Untersuchungen. Dabei wurden die Teilnehmer befragt, warum sie ein Ritual praktizierten. Diese argumentierten vorwiegend mit Pflicht- und Traditionsgründen. Demzufolge war ihnen der ursprüngliche Grund für das Vollziehen nicht bewusst. Staal leitete daraus ab, dass Rituale sinnfrei ausgeübt werden und demnach bedeutungslos sind (vgl. Gaenszle 2000, S. 33f.).

Nichtsdestotrotz beeinflussen sie das menschliche Dasein in vielfältiger Hinsicht. Sie sind aus unterschiedlichsten Gründen ein wichtiger Bestandteil des Lebens vieler Personen, beispielsweise weil sie Sicherheit schaffen. Sie verringern einerseits das Verantwortungsgefühl bezüglich der Handlung, andererseits stellen sie den Sinn und Zweck der Handlung in den Hintergrund. Auslöser dafür ist, dass Rituale sowohl mit dem Habitus, als auch mit dem kulturellen Gedächtnis verknüpft sind. Des Weiteren verfügen sie über eine nicht zu missachtende Autorität, die sich in einer Person, Tradition, Organisation oder Institution zeigt. Infolgedessen erhalten sie Respekt und Anerkennung und können dazu beisteuern, dass sich Personen sozial verträglicher verhalten und entwickeln (vgl. Michaels 2003, S. 7f). Darüber hinaus haben sie die Fähigkeit inne zu legimitieren, dass bedeutet, sie können unter anderem Werte und Normen in ihrer Richtigkeit bestätigen. Das Ritual kann sich somit eine Machtfunktion aneignen, die von autorisierten Personen für eigene Zwecke missbraucht werden kann. Zudem können sie als Orientierungshilfen auftreten und besitzen die Fähigkeit, ein Zugehörigkeitsgefühl zu vermitteln. Sie erzeugen ein Gemeinschaftsgefühl beziehungsweise eine Verbundenheit, indem sie eine gemeinsame Handlung darstellen, die nur von Personen ausgeführt werden kann, die über ein bestimmtes Vorwissen verfügen (ebd., S. 8f.).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Rituale häufig durchgeführt werden, ohne dass der ursprüngliche Gedanke, dem sie zu Grunde liegen, dem Ritualvollzieher bewusst oder bekannt ist. Allerdings müssen sie nicht deswegen gezwungenermaßen bedeutungslos sein. Ihre Signifikanz kann vielmehr im Kontext des Rituals gefunden werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Das Phänomen Ritual – mehr als nur eine religiöse Handlung
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
13
Katalognummer
V161746
ISBN (eBook)
9783640751792
ISBN (Buch)
9783640752256
Dateigröße
458 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ritual, Rituelle Rollen, Trennungsrituale, Übergangsrituale, Opferrituale, Glaube, Religion, Phänomen, religiöse Handlung
Arbeit zitieren
Sarah Diekow (Autor:in), 2010, Das Phänomen Ritual – mehr als nur eine religiöse Handlung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161746

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