Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG
2 DIE ENTSTEHUNG DER PÄDAGOGIK WICHERNS
2.1 DIE BIOGRAPHIE WICHERNS
2.2 DER GESCHICHTLICHE HINTERGRUND
3 DAS RAUHE HAUS ALS ERZIEHUNGSKONZEPT WICHERNS
3.1 DAS RAUHE HAUS: ENTSTEHUNG UND LEITGEDANKE
3.2 DIE ZENTRALEN ELEMENTE DER PÄDAGOGIK WICHERNS
3.3 DIE ORGANISATION DES RAUHEN HAUSES
4 SCHLUSS
5 LITERATUR
1 Einleitung
Die folgende Hausarbeit soll ein Einblick in die Pädagogik von Johann Hinrich Wichern im Zusammenhang mit dem Rauhen Haus in Hamburg gewähren.
Das Thema wurde von mir ausgewählt, da mich interessierte, wann sich zum ersten Mal die Aufmerksamkeit auf verwaiste und verwahrloste Kinder gerichtet hatte und wie diese aussah.
Ziel der Hausarbeit ist es, die wirtschaftlichen und gesellschaftliche Ereignisse zu Beginn des 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Pädagogik Wicherns zu bringen, um seine Anliegen und Leitgedanken besser verstehen und einordnen zu können.
Die zentralen Fragen dieser Arbeit sind daher, welche Bedingungen seiner Zeit Wicherns sozialreformerischen Initiativen beeinflussten, welchen zentralen Elementen die Pädagogik Wicherns unterlag und welche Impulse für die heutige Erziehungspraxis Wicherns pädagogisches Konzept bietet.
Der Schwerpunkt der Hausarbeit liegt zum einen bei der Biographie und dem geschichtlichen Hintergrund, zum anderen bei der Erläuterung der Pädagogik Wicherns anhand des Rauhen Hauses.
Im ersten Teil der Hausarbeit soll das Augenmerk auf die Entstehung der Pädagogik Wicherns im Hinblick auf seine Biographie und den geschichtlichen Kontext gerichtet wer- den.
Im zweiten Teil steht dann das Rauhe Haus als Erziehungskonzept Wicherns im Vorder- grund. Hier soll auf die Entstehung des Rauhen Hauses in Hamburg, auf die zentralen Ele- mente der Pädagogik Wicherns und auf die Organisation im Rauhen Haus eingegangen werden.
2 Die Entstehung der Pädagogik Wicherns
2.1 Die Biographie Wicherns
Neben einigen Eckdaten soll sich die folgende Darstellung auf die Ereignisse konzentrieren, die für die Entstehung der pädagogischen Ideen Wicherns und für ihre Umsetzung im Rauhen Haus von besonderer Bedeutung waren. Daher werden die Lebensjahre bis zur Gründung des Rauhen Hauses ausführlicher beschrieben als die nach 1848 folgenden Jahre, in denen der Schwerpunkt der Tätigkeit Wicherns auf anderen Gebieten lag.
Johann Hinrich Wichern wurde am 21. April 1808 als ältester Sohn von Johann Hinrich Wichern Senior und Mutter Caroline Maria Elisabeth Wichern, geborene Wittstock, in Ham- burg geboren. Er hatte vier Schwestern und zwei Brüder (vgl. Heidenreich, 1997b, S. 18ff).
Wichern ist nicht nur bekannt als Gründer des Rauhen Hauses in Hamburg, eine Jugendhil- feeinrichtung zur Rehabilitation junger verwahrloster Menschen, sondern wurde auch auf Grund seiner Initiative der 'Centralausschuss der Inneren Mission' gegründet, welcher die Vorläuferorganisation des heutigen Diakonischen Werkes in Deutschland war. Man kann daher von einem der größten Sozialreformer des 19. Jahrhunderts sprechen, wessen päda- gogische Konzepte zum Vorbild für viele Heime in Deutschland wurden (vgl. Thesing, 2001, S.199).
Johann Hinrich Wichern Senior war von Beruf Fuhrmann und Mietkutscher. Er lernte 10 Sprachen und wurde somit kaiserlicher Notar und Geschworenen Übersetzer. Der Fleiß, der Leistungswille und die Sparsamkeit der Großfamilie prägten Wichern genauso wie die gute Beziehung die er zu seinem Vater hatte. Daher war es auch nicht verwunderlich, dass Wichern über den Tod seines Vaters 1823 nur schwer hinweg kam (vgl. Lindmeier, 1998, S. 74f).
1826 musste Wichern vorzeitig das Gymnasium verlassen und eine Stelle als Erziehungshelfer in einer Privatschule annehmen, um als Ältester der sieben Kinder zusammen mit seiner Mutter für den Unterhalt der Familie zu sorgen (vgl. Heidenreich, 1997a, S.2).
Neben der Arbeit als Erziehungsgehilfe belegte Wichern gleichzeitig Vorlesungen am Aka- demischen Gymnasium in Hamburg, um seine Hochschulreife zu erlangen. Mit Hilfe eines Stipendiums hatte er 1828 die Möglichkeit sein Theologiestudium zuerst in Göttingen, dann in Berlin aufzunehmen. Um seine Familie weiterhin finanziell zu unterstützen, schickte er ihnen kleine Beträge seiner Stipendien nach Hause (vgl. Heidenreich, 1997b, S.23ff).
Nach seinem Theologischen Examen 1832 übernahm Wichern eine Oberlehrstelle einer Sonntagsschule, die von rund 270 Kindern besucht wurde. Die sich mit der Sonntagsschularbeit befassten Personenkreise, einschließlich Wichern, waren der Überzeugung, dass „Unglaube und Entchristlichung die Ursache für die umfassenden sozialen Nöten wie Armut, Arbeitslosigkeit, Betteln, Prostitution, Alkoholmißbrauch, Kindesmißhandlung und - vernächlässigung etc. waren“ (Lindmeier, 1998, S. 79).
Es war den Kindern aus den Elendsvierteln jedoch nur möglich, wenige Stunden pro Woche in der Sonntagsschule betreut zu werden. Wichern stellte deshalb die Forderung, den Menschen umfassender zu helfen und war der Meinung, dass es die Aufgabe der Kirche sei direkt auf die Menschen zu zu gehen. Er forderte die Errichtung eines Rettungshauses für Kinder (vgl. Wehr, 1983, S.28). Nach einer engagierten Rede Wicherns vor etlichen Gästen und Mitglieder des Sonntagsschulvereins am 25. Februar 1833 stellte der Hamburger Syndinus Sieveking ein günstiges Grundstück mit einem strohgedeckten Landhaus. Dieses kleine und eher brüchige Landhaus sollte das Rauhe Haus in Hamburg werden. Im September des gleichen Jahres fand die Gründungsversammlung statt. Zwei Monate später wurden die ersten drei Kinder aufgenommen (vgl. Steinacker, 1998, S.33ff).
Die Zeit zwischen 1833 und 1848 war vor allem durch die pädagogischen Tätigkeiten im Rauhen Haus geprägt, das in den ersten Jahren einem enormen Wachstum erfahren hatte (vgl. Lindmeier, 1998, S. 80).
Der Bekanntheitsgrad Wicherns nahm in Deutschland stetig zu, auch weil er zahlreiche Rei- sen unternahm und neue Rettungshäuser gründete. Als Wichern 1848 auf der allgemeinen Kirchenversammlung die berühmt gewordene Kirchentagsrede hielt, führte dies zur Grün- dung des Centralausschusses der Inneren Mission. Ziel dieses Ausschusses war die Förde- rung christlich sozialer Zwecke, Vereine und Anstalten (vgl. Thesing, 2001, S.201).
1851 bekam Wichern die Ehrendoktorwürde der theologischen Fakultät der Universität Halle verliehen und wurde Beauftragter der preußischen Regierung für die Reform des Gefäng- niswesens. 1857 erfolgte die Ernennung zum 'Vorgetragenden Rat' im preußischen Innenmi- nisterium und gleichzeitig zum Oberkonsistorialrat im Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin (vgl. Wehr, 1983, S.90f).
Am 7. April 1981 stirbt Johann Hinrich Wichern, nach mehreren Schlaganfällen und langen Leiden, in Hamburg (vgl. Martin, 1981, S.171ff).
2.2 Der geschichtliche Hintergrund
Im Folgenden soll die Biographie Wicherns in einen historischen Zusammenhang gebracht werden, um den geschichtlichen Hintergrund, auf dem die Pädagogik Wicherns basiert, dar- zustellen.
Die Anfänge des 19. Jahrhunderts waren geprägt durch die Napoleonischen Kriege und die beginnende Industrialisierung, welche Landflucht und die Entwicklung eines verarmten Stadtproletariats mit sich führte. Viele Deutsche wanderten nach Amerika aus, weil sie sich dort Arbeit und einen gewissen Lebensstandard versprachen. Die Anzahl der Arbeiter in den Fabriken stieg rasch. Meistens waren die Fabrikarbeiter ehemalige Bauernsöhne, Handwerksgesellen und auch Handwerksmeister, die auf Grund der industriellen Konkurrenz ihre Gewerbe nicht mehr weiterführen konnten.
Die Landflucht vieler Menschen verursachte einen Bruch der Großfamilie und ein Überangebot von Arbeitern in den Städten. Die Arbeitslosenzahl stieg drastisch, und somit auch das Elend und die Verwahrlosung einzelner Menschen (vgl. Wehr, 1983, S.6f).
Setzt man die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ereignisse dieser Epoche nun in Zu- sammenhang mit Johann Hinrich Wichern, so wird schnell deutlich, dass er die Not der Fa- milie, das Leben in den Elendsvierteln und die dazugehörige Armut kennen lernte und auch miterlebte.
Vor allem die Verwahrlosung von Kindern, die von ihren Eltern „zum Betteln, Lumpensam- meln, Knochenausgraben, Stehlen und zur Prostitution“ angeleitet wurden (Heidenreich, 1997a, S.3).
Auf Grund seines tiefen christlichen Glaubens, war Wichern gewillt dieses Elend zu verbessern und Kinder und Jugendliche eine Chance zu geben in einer Umgebung ohne Verwahrlosung und Kriminalität aufzuwachsen (vgl. Steinacker, 1998, S. 30ff).
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