China, 3. Jahrhundert vor Christus: Han Sui, ein General aus einer der bedeutendsten Kriegerdynastien, ist der mächtigste Krieger seines Zeitalters. Ruhm, Macht und die Verehrung der Soldaten sind ihm sicher – bis eine geheimnisvolle Prophezeiung ihn zwingt, über sein Schicksal hinauszublicken.
Als Dr. Desiree Schuhmann, eine führende Expertin für die Terrakotta-Armee, zu einem eiligen Termin nach Berlin gerufen wird, erwartet sie Routine. Stattdessen konfrontieren ihre chinesischen Kollegen sie mit einer Entdeckung, die alles verändert: Zwei bislang unbekannte Terrakotta-Statuen aus der Zeit der Qin-Dynastie – ein kniender General und eine liegende Frau. Eine Frau, deren Gesicht dem ihren bis ins Detail gleicht.
Doch wie konnte eine Fremde vor über 2000 Jahren in das streng abgeschottete Reich der Mitte gelangen? Welche Rolle spielte General Han Sui, der mächtigste Krieger seiner Epoche, der vor dieser Frau kniet, als wäre sie mehr als eine Geliebte? Und warum scheinen die Legenden über einen „Himmelreiter“, dem Omen der Veränderung, plötzlich erschreckend real?
Zwischen Macht und Verrat, Liebe und Pflicht entspinnt sich eine Geschichte, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbindet. „Himmelreiter“ ist ein Roman über Legenden und Wahrheit – und darüber, dass kein Mensch dem eigenen Schicksal entkommen kann.
Eva Schuller
Himmelreiter
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Brücken
über die
Schlucht der Zeit
Prolog
Die Nacht breitete sich langsam über das Land aus. Die Luft war kühl, der Wind beruhigte sich zunehmend.
Neben dem Zeltlager zeichnete sich eine Silhouette ab. Der Mann schaute Richtung Berge, zu denen ein schmaler Weg führte. Die Landschaft wirkte karg und feindlich. Außer den wenigen Grasbüschen, die den Kampf mit dem steinigen Boden aufnahmen, hatte die Natur nichts zu bieten.
Das Gebiet verursachte Unbehagen bei dem wartenden Mann. Er fühlte sich sichtbar unwohl.
Er schien den Lärm im Lager nicht wahrzunehmen. Sie waren schon viel zu lange unterwegs, hier in diesen Gebieten, wo es sogar problematisch war, genug Wasser für Mensch und Tier zu besorgen. Er wollte genauso wie die anderen weiterziehen. Aber sie mussten auf die Botschaft warten, die für jeden von ihnen so wichtig war.
Die dunkle Haut seines Gesichtes und die Falten zeigten, dass er sich oft im Freien aufhielt. Dadurch wirkte er älter als es seinen 30 Jahren entsprach.
Sein warmer wolliger schwarzer Mantel, unter dem er einen längeren roten Waffenrock aus Seide trug, schmückte das Kennzeichen des hohen militärischen Ranges – zwei kunstvoll gebundene farbige Schleifen, die seine Brust, Rücken und die Schulter dekorierten. Was besonders auffiel, war die aufwendige Stickerei auf der Brust und dem Rücken. Er trug das Zeichen des Weißen Tigers, Symbol einer der mächtigsten chinesischen Familien die, seit vielen Generationen die besten Krieger hervorbrachten.
Die langen, grünen Hosen verdeckten zum Teil die schwarzen Stoffschuhe die, mit einer dicken Sohle, aus winzigen Baumwollschnüren geknüpft waren. Seine Haare waren unter einer aufwendigen, aus vier Falten bestehenden, Kopfbedeckung hochgesteckt.
Han Sui stand schon immer im Dienste des kaiserlichen Hofes. Nachdem er erfolgreich die Militärakademie beendete, wie so viele seiner männlichen Vorfahren, erhielt er einen höheren Dienstgrad und fortan war die Armee sein Leben.
Sein Gesicht erhellte sich ein wenig, als er an die letzte Begegnung mit seinem Kaiser dachte. Dieser ließ ihn unmissverständlich wissen, dass nur er die Verhandlungen mit den Xiongnu führen dürfe, dass nur er, der 1. General, das Vertrauen des Kaisers hat.
Er sah noch die angespannten Gesichter der anderen Generäle, als sie erfuhren, dass sie nicht an den Verhandlungen teilnehmen werden. Nur an den zusammengepressten Lippen könnte ein guter Beobachter ihr Missfallen an dieser Entscheidung erkennen.
Noch nie zuvor hätte der Kaiser so viel Vertrauen zu einer Person gezeigt. Sein Misstrauen auch gegenüber seiner eigener Familie war bekannt. Umso mehr waren alle von dieser Entscheidung überrascht.
Han Sui war am Ziel. Ja, er war mächtig, viel mächtiger, als seine Vorfahren es je geworden waren. Aber er fühlte auch die Last, die damit verbunden war und er wusste, dass viele seiner Rivalen nur darauf warteten, dass ihm ein Fehler unterlief. Ein fataler Fehler, der abrupt alles beenden würde, was er bisher erreicht hatte.
Han Sui wusste, dass alle, die oben sind, einsam und allein sind, weil ganz oben wenig Platz ist.
Han Sui versuchte stets die Gedanken daran zu verdrängen, er durfte keine Schwäche zeigen.
Seine Soldaten kannten ihn als Vorgesetzten, der absolute Ordnung und Disziplin verlangte, aber auch gerecht und geradlinig war. Sein scharfer analytischer Verstand half ihm, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Er war dadurch geachtet und seine Soldaten vertrauten ihm bedingungslos.
Han Suis Gedanken kehrten zu dem bevorstehenden Treffen zurück. Er wusste bereits, was tun war und er wusste auch, dass er es durchsetzen musste.
Plötzlich schaute er auf! Er glaubte eine Bewegung im Schatten der Berge wahrzunehmen. Und tatsächlich, im Mondschein wurde jetzt eine sich langsam bewegende Karawane sichtbar.
Man sah die schwachen Lichter der ersten Reiter, die nach dem Weg suchten. Danach folgten bewaffnete Soldaten, die eine Formation, um die in ihrer Mitte getragene Sänfte, bildeten. Die vorletzten Plätze der Karawane nahmen Tiere ein, die mit Vorräten beladen waren und die Ersatztiere. Zum Schutz der Karawane fuhren am Ende die Streitwagen mit Brustpanzer geschützte Soldaten.
Die Menschenmenge, die diese Karawane ausmachte, zeigte die Wichtigkeit der Mission und ließ keine Zweifel offen, dass eine bedeutende Persönlichkeit unterwegs war.
Na endlich, murrte der Mann, es wurde auch Zeit! Er war sein ganzes Leben lang gewohnt Befehle zu erteilen und erwartete auch, dass diese sofort ausgeführt wurden. Dass er seit Tagen auf die Karawane warten musste, stimmte ihn nicht besonders freundlich.
>Su! Su, < schrie er ungeduldig.
>Ja, Hochgeborener, <sein Diener erschien sofort beim ersten Ruf. >Lass alles für die Teezeremonie vorbereiten, der Gesandte ist endlich da, <befahl Han Sui und verschwand in großem, aus bestickter Seide, bedecktem Zelt.
Das Innere des Zeltes war mit kostbaren Teppichen und Kissen ausgelegt. Der Raum wurde mit einigen Laternen und dem schwachen Licht der glühenden Kohle beleuchtet. In der Mitte stand ein winziger niedriger Tisch, auf dem sich kleine Teebecher befanden.
Der General wählte den Platz in der Mitte des Zeltes so aus, dass er gegenüber dem Eingang saß. Wie ein Schatten tauchte eine Dienerin auf. Sie hielt ein Tablett mit mehreren Teekännchen und kleinen Bechern in der Hand. Sie erstarrte, als sie sah, dass sie nicht alleine im Zelt war. Aber Han Sui deutete mit der rechten Hand auf den Tisch, ohne sie anzuschauen. Lautlos stellte sie das Tablett hin und verschwand wieder aus dem Zelt.
Jetzt nahm er die Laute wahr, die mit der Ankunft der Karawane verbunden waren. Die Stimmen wurden lauter und man hörte, wie die Sänfte abgesetzt wurde. Einige Momente danach ging eine Seite des Zeltvorhangs auf:
>Der kaiserliche Astronom Zhang He bittet eintreten zu dürfen, < meldete ein niederer Offizier.
Der Mann nickte. Die zweite Vorhanghälfte wurde zur Seite gehalten und ein kleiner buckliger Mann betrat das Zelt.
Er war in einem schwarzen Gewand mit bunten gestickten Sternenbildern eingehüllt. Seine Haare verdeckte eine Seidenmütze. Sein dünner Schnurrbart hing an beiden Seiten der Lippen bis zur Brust herunter. Der Oberkörper wirkte zusammengepresst und schien nicht auf die normal gewachsene Beine zu passen. Die lebhaften intelligenten Augen erfassten schnell den Raum und blieben an dem sitzenden Mann hängen.
Er machte eine tiefe Verbeugung:
>Ehrwürdiger General Han Sui, es tut mir leid, dass ich so spät erscheine. Aber wir hatten Schwierigkeiten den Fluss zu überqueren. Durch die starken Regenfälle stieg das Wasser an und wir mussten zwei Tage lang nach einer geeigneten Furt suchen. <
Der General machte eine ungeduldige Handbewegung:
>Das habe ich schon gehört. Aber jetzt haben wir keine Zeit mehr, sie müssen uns sagen, was die Sterne über unser Vorhaben wissen. Wir wollen morgen aufbrechen. <
>Ja, gewiss ehrwürdiger General Han Sui, ich habe schon einiges vorgezeichnet;< sagte der Astronom, während er sich rechts vom General auf die Kissen niederließ.
Der General blickte seinen Diener an und zeigte auf den Tisch. Su stand wie eine Statue neben dem Eingang und wartete auf den Befehl, mit der Teezeremonie zu beginnen.
Die Teezeremonie ist ein kompliziertes Ritual, bei dem der Tee mehrmals aufgegossen wird. Die Stärke des Tees wird durch das Aufgießen in die Becher und weiteres Vermischen bestimmt wird.
Inzwischen rollte der Astronom seine Karten auf. Sie waren voll mit für einen Laien unverständlichen Bilder, Strichen und Zahlen. Zwei davon waren aus einem stärkeren Seidenpapier, sie dienten eindeutig als Vorlage für die Himmelsbilder und die Tierzeichen. Die restlichen drei Karten waren aus einem sehr dünnen, durchsichtigen Papier. Wenn man sie auf die anderen Karten legte, überdeckten sich die Zeichnungen und man konnte gleichzeitig beide Karten lesen. Dem Zuschauer wurde schnell verständlich, dass sich die Zeichnungen beider Karten ergänzten.
Der General schaute ungeduldig:
>Zhang He, Sie genießen ein sehr großes Vertrauen des Kaisers Qin Shihuang. Sie haben ihn schon oft gut beraten, was können Sie uns diesmal sagen? <
>Ehrwürdiger General Han Sui, sie befehligen die größte Armee, die es je gab. Um genau sagen zu können, was die Sterne wissen, muss ich noch in ihren Händen lesen. <
Der kleine Astronom streckte dem General seine faltigen Hände entgegen. Widerwillig legte der General seine Hände in die, im Vergleich mit seinen, mickrigen Hände des Astronomen. Der Sterndeuter drehte sie mit den Handflächen nach oben und begann sie im schwachen Licht zu studieren.
Er konzentrierte sich, wirkte etwas angespannt. Er legte die Stirn in Falten, hier stimmte etwas nicht, aber durch die langjährigen Dienste beim kaiserlichen Hof beherrschte er die notwendige Mimik. Trotzdem rutschte er hin und her auf dem Kissen und versuchte seine Unruhe zu verstecken.
>Was sehen Sie, stimmt etwas nicht? < Es passte dem General nicht, dass es so lange dauerte.
>Es liegt wahrscheinlich an dem schwachen Licht, aber bitte, ich muss mich konzentrieren, < entgegnete der kleine Mann. Er zog eine Lampe näher an sich ran. Um seine schmalen Lippen bildeten sich tiefe Falten, so als ob er nicht damit einverstanden wäre, mit dem was er sah.
>Sie werden diese Schlacht gewinnen, Sie werden unser Reich um viele Gebiete vergrößern und Sie werden sehr viel Ruhm erlangen. Aber, aber Sie werden…<
>Was werde ich, sprich schon! < schrie der General mit gereizter Stimme auf.
>Sie werden sehr, sehr lange leben, oder besser gesagt, zweimal leben, nein, das ist auch nicht ganz richtig. Sie werden ihr Leben unterbrechen und noch mal zurückkehren, um ihr Leben hier zu Ende zu leben. So steht es in ihrer Hand! <

Deutschland 1999
Es regnete in Strömen, die Straßen verwandelten sich in kleine Flüsse, der Verkehr kämpfte mit den Wassermaßen. Dr. Desiree Schuhmann saß in einem Taxi, das sich durch die überfüllten Straßen von Berlin arbeitete. Der Regen prasselte mit einer Heftigkeit gegen die Scheiben, dass man denken konnte, jemand würde systematisch einen Eimer Wasser nach dem anderen über dem Taxi Dach leeren.
„Hätte ich die U-Bahn genommen“, dachte sie verstimmt. „Ich müsste zwar ein Stück laufen, dafür wäre ich aber schon da. Ich komme zu spät, das ist klar.“
Sie öffnete ihre Aktentasche und zog ihr Handy heraus. Im Adressverzeichnis suchte sie den Namen Gregor Beck und drückte auf die Wahltaste.
>Mein Gott, wo steckst du? < seine Stimme klang gereizt.
>Was denkst du, ich habe heute meinen Tauchanzug vergessen, sonst wäre ich schon da, < gab sie ihm genauso sauer zurück.
>Ich brauche noch circa 20 Minuten, lass dir was einfallen! <
>Was soll ich deiner Meinung nachsagen? < fragte er schon etwas freundlicher.
>Sag was du willst, < antwortete sie und beendete das Gespräch.
Sie hasste es, wenn ohne Rücksprache, für sie kurzfristig Termine eingeplant wurden. Wegen dieses Termins, der ihr erst gestern Abend, unter dem Vorwand der Wichtigkeit, mitgeteilt wurde, unterbrach sie einen der seltenen Besuche bei ihren Eltern.
Ihre Eltern interessierten sich nicht besonders dafür, was sie tat. Sie zeigten schon immer wenig Verständnis für ihre Arbeit, die ihr ganzes Leben bestimmte. Zwischen ihren Eltern und ihr kam es vor vielen Jahren zu einer Zerwürfnis, die Desiree bis heute nicht verarbeitete. Eigentlich versuchte sie es nicht mehr, weil ihre Eltern sich jedes Mal verschlossen hatten, wenn sie nur dieses Thema angeschnitten hatte.
Sie selbst nach diesen Erfahrungen mit dem missglückten Familienleben traute sich keine Familie zu gründen. Sie gab es offen nie zu, auch nicht vor sich selbst und fand immer eine passende Ausrede: sie hätte selbst für eine Beziehung keine Zeit, geschweige dann für eine Familie. Dass sie es in Wirklichkeit gar nicht wollte, blieb ihr Geheimnis.
Als sie ihren Eltern gestern sagte, sie muss nächsten Morgen wieder weg, zuckten sie nur mit den Schultern.
>Einige chinesische Kollegen sind völlig unerwartet bei uns aufgetaucht! < teilte ihr gestern am Telefon ihr engster Kollege und Freund Dr. Beck mit.
>Sie wollen nur mit dir reden. Hoffentlich ist ihr Geheimnis wirklich so wichtig, dass es einen Sinn macht, dass du deinen Urlaub unterbrichst. <
>Das hoffe ich auch, < antwortete sie knapp und versuchte die aufkeimende Neugierde zu unterdrücken.
Vor vierzig Minuten kam sie mit dem Zug in Berlin an und auch bei normalem Wetter, wäre die Zeit für die Fahrt zum Museum sehr knapp gewesen. Und jetzt kam noch das Unwetter dazu.
Dr. Desiree Schuhmann war eine Expertin für chinesische Geschichte, ihr Schwerpunkt lag in der Zeit der Qin und Hang Dynastie.
Alles begann, als sie ein ganz kleines Mädchen war. Sie besuchte damals mit ihrem Vater einen Flohmarkt in einem Berliner Vorort. Dieser Tag änderte und bestimmte ihr ganzes Leben. Sie entdeckte unter den vielen abgelegten und wahllos zusammengetragenen Gegenständen eine kleine Figur eines Terrakotta Kriegers. Desiree war fasziniert und hatte so lange gequengelt, bis ihr Vater nachgab und die Figur kaufte.
Zuhause stellte sie die Figur auf ihren Schreibtisch und betrachtete sie stundenlang. Sie spürte etwas, was sie nicht beschreiben konnte, aber sie fühlte sich wohl in der Nähe der Figur.
Ab diesem Tag sammelte sie alles über die Terrakotta Armee, was sie nur bekommen konnte.
Mit Spannung lass sie, wie im Jahr 1974 von einigen Bauern beim Ausschachten eines Wasserbrunnens, Terrakotta Scherben und Pfeilspitzen gefunden wurden. In den kommenden fünf Jahren führten chinesische Archäologen die Ausgrabungen durch und restaurierten dabei fast 1000 Soldaten und Pferde aus Ton.
Der Fund war eine archäologische Weltsensation. Auf dem Gelände wurde ein riesiges Museum, bestehend aus drei Hallen für die einzelnen ausgehobenen Gruben, errichtet. Die Funde waren am Anfang nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Nur einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern wurden der Zugang und die Teilnahme an den Arbeiten gewährt.
Später, als sie vor der Berufswahl stand, war klar, dass sie Geschichte und Archäologie studieren würde. Sie machte ihren Abschluss als beste Studentin ihres Jahrgangs und mit 25 Jahren schrieb sie bereits ihre Doktorarbeit mit dem Thema
“Die Konservierung und Restaurierungsarbeiten an den Farben der Terrakotta - Figuren“.
Heute galt sie trotz ihres Alters, als einer der besten Experten der Welt in Bezug auf die Terrakotta – Funde bei Xian in China.
Sie hatte die Fundstellen mehrmals besuchen dürfen und es wurde ihr von der chinesischen Regierung genehmigt, dass sie, als eine der ersten ausländischen Wissenschaftlern, mehrere Monate an den Ausgrabungen teilnehmen durfte. Das bedeutete für sie das Höchste, sie konnte mit eigenen Händen die Scherben der Figuren berühren, die sie sonst nur aus Büchern gekannt hat. Es war aber auch eine sehr anstrengende Arbeit, die viel Geduld abverlangte und die Ergebnisse ließen lange auf sich warten.
Allgemein war es ein großes Problem mit der Konservierung der Farben. Die Archäologen mussten jedes Mal hilflos zusehen, wie sich die Farben, nachdem sie die Figuren freigelegt hatten, vor ihren Augen von dem Ton lösten, abrollten und abfielen. Alle bisherigen Versuche, die Farben zu erhalten, blieben erfolglos. Irgendwann beschloss man, die Ausgrabungen erst dann fortzusetzen, wenn ein Weg gefunden war, die Farben sofort zu konservieren.
>Hallo, hören Sie mich! < die Rufe des Taxifahrers versetzten sie zurück in die Gegenwart.
>Ja, natürlich, Entschuldigung, was ist passiert? < fragte sie, während sie versuchte auf die Straße zu blicken, um festzustellen, wie weit sie es noch zum Museum hat.
>Ich glaube, es ist besser, wenn Sie jetzt aussteigen. Ich kann nicht weiterfahren und wenn Sie hier um die Ecke laufen, haben Sie noch ca. 400 m zum Museum. Es ist nicht so weit;< schlug der Taxifahrer vor, wobei sein Gesichtsausdruck eigentlich beim Beobachten des sinnflutartigen Regens das Gegenteil bewies.
>Gut, ich habe die Wahl noch eine halbe Stunde hier zu warten, oder völlig durchnässt und nur etwas verspätet anzukommen, < dachte sie laut und suchte nach ihrem Geldbeutel.
>Machen Sie aber schnell die Tür zu, sonst kann ich hier ein Bad nehmen, < ermahnte sie der Taxifahrer noch kurz bevor sie aussteigen wollte.
Der erste Schritt aus dem Taxi vermittelte ihr das Gefühl, sie steht unter einer Dusche, die zu kalt eingestellt war. Da es eindeutig nichts nutzen würde, verzichtete sie auf den Regenschirm und begann zu rennen. Nach einigen Schritten wich sie auch keinen tieferen Pfützen mehr aus, sie war sowieso völlig durchnässt. Als sie den Museumseingang erreichte, machte sie einen erbärmlichen Eindruck. Die Haare, ihr Make-up, selbst ihre Schuhe waren nass und ziemlich ruiniert. Sie sah sich im Glas der Eingangstür und konnte nur noch den Kopf schütteln,
„Ich werde einen mächtigen Eindruck hinterlassen“, schoss ihr durch den Kopf. Es gab kein Zurück mehr, sie öffnete die Tür.
>Desiree Schuhmann! < kam sie den Eingang betrat, hörte sie rufen, >du holst dir noch den Tod! Du musst dich sofort umziehen! <
Die alte Frau Bergmann, die schon so lange im Museum als Tageswächterin arbeitete, dass sie fast zum Inventar gehörte, schaute sie erschrocken an. Sie war eine kleine korpulente Dame, die stets resolut ihre Meinung vertrat, dass selbst der Museumsdirektor aufgab mit ihr in bestimmten Situationen zu diskutieren. Sie hatte keine Familie und ihr ganzes Leben drehte sich um das Museum. Ihr Mann starb vor vielen Jahren, Kinder gab es keine und zum Rest der Verwandtschaft hatte sie keinen Kontakt. Trotz ihrer manchmal anstrengenden Herrschsüchtigkeit war sie sehr beliebt und alle waren im Grunde genommen froh, als sie „vergaß“ in Rente zu gehen.
>Komm mit mir, ich gebe dir etwas Trockenes zum Umziehen, du kannst unmöglich in dem nassen Zeug bleiben! < Desiree musste schmunzeln, Frau Bergmann erinnerte sie an ihre Oma. Sie erschauderte, in der riesigen Eingangshalle war es immer kühl und Desiree fing an zu frieren. Gehorsam folgte sie der alten Dame. In dem kleinen Umkleideraum für das Wachpersonal suchte Frau Bergmann nach einer geeigneten Hose und Bluse. Etwas stimmte nicht und Desiree konnte nicht übersehen, dass es Frau Bergmann sehr ärgerte, weil sie ständig vor sich hin murrte, wovon Desiree nur einzelne Worte wie; alles zu groß, keine Ordnung hier und mit der rede ich morgen, verstand.
>Lass die nassen Sachen hier, um die kümmere ich mich später, du musst jetzt zum Direktor, alle warten schon auf dich, < flüsterte sie Desiree zu, während sich diese aus den nassen Sachen schälte und ihren Körper mit einem Handtuch schnell zu trocknen versuchte.
Desiree war schlank und hatte eine normale Kleidergröße. So war es nicht schwer, aus den vorhandenen Uniformen die passenden Teile für sie zu finden. „Mit meinen Haaren kann ich nichts machen“, bedauerte sie und versuchte ihre langen blonden Haare wenigsten zu kämmen.
>Wer ist eigentlich hier, dass ich alles stehen und liegen lassen musste? < fragte Desiree und zupfte die verknoteten Haarsträhne mit ihren Fingern auseinander.
>Ach, es ist wie immer, alle sind sehr wichtig, aber ich denke, ich habe in der Gruppe Dr. Longji erkannt. <
>Er ist ja auch nicht zu übersehen, < lachte Desiree.
Tatsächlich, Dr. Longji war mit seiner Größe von 1,85 m eine seltene Erscheinung unter seinen chinesischen Landsleuten.
>Und, Frau Bergmann, wissen Sie, warum sie da sind, es muss etwas Besonderes sein? Es geht mir viel zu schnell für die sonst so bedachten Chinesen. < Desiree drehte sich fragen zu Frau Bergmann, die sonst über alles im Hause Bescheid wusste.
>Ich habe auch keine Ahnung, der Direktor ließ diesmal nichts durchsickern, < bedauerte die alte Dame.
>Ich werde Sie informieren, < versprach Desiree, während sie ihr ein Küsschen auf die Wange gab. Dann eilte sie schon in das zweite Stockwerk zum Büro des Direktors.
Das Klappern ihrer Absätze hörte man deutlich im Treppenhaus. Im zweiten Stockwerk verstummten die Geräusche im dicken Teppich, mit dem der Gang, der nicht für die Öffentlichkeit zugänglich war, ausgelegt war. Sie klopfte leise an die Tür des Vorzimmers und trat ein.
Die Sekretärin wartete bereits auf sie und flüsterte ihr zu:
>Na endlich, er hatte schon mehrere Tobsuchtanfälle! <
Desiree zuckte nur mit den Schultern:
>Selber schuld, eigentlich bin ich im Urlaub. <
Dann fiel der Sekretärin erst auf, wie Desiree gekleidet war.
>Sag jetzt nichts Falsches, < zischte Desiree mit gehobenen Augenbrauen und betrat das Büro des Direktors.
Alle Anwesenden betrachteten eine große Karte und viele Fotos auf dem Besprechungstisch. Sie überblickte schnell den Raum. Rechts neben dem Direktor, Dr. Beck entdeckte sie einen chinesischen Dolmetscher. Links von ihm stand ihr langjähriger Freund Dr. Longji und weiter um den ovalen Tisch waren drei andere Chinesen versammelt, die sie nicht kannte.
Der Direktor sah sie als erster und er entspannte sich ersichtlich. Er ging um den Tisch herum, um sie zu begrüßen.
>Willkommen Dr. Schuhmann, du wirst schon sehnsüchtig erwartet, < begrüßte er sie mit leicht angespannter Stimme.
>Ich möchte mich entschuldigen, aber es war einfach höhere Gewalt, < entgegnete sie ihm, >ich tat mein Bestes. <
>Dr. Longji, < wendete sie sich zum chinesischen Archäologen;
>Ich freue mich, Sie wieder zu sehen! < Ihr Chinesisch war nicht perfekt, aber sie konnte einfache Gespräche führen, was ihr oft die Zusammenarbeit während der Ausgrabungen wesentlich erleichterte.
>Dr. Schuhmann, schön dass Sie da sind, ich habe etwas sehr Interessantes für Sie, < strahlte der Wissenschaftler. Genauso wie sie, hatte er die Anrede mit dem Vornamen und das Duzen vor den anderen vermieden.
>Aber erlauben Sie mir zuerst, dass ich ihnen meine Kollegen vorstelle, < sagte er und zeigte auf die einzelnen Männer, die um den Tisch standen.
>Huang Zhou Wong, Wu Lin Wong und He Zheng Wong. <
Als die Herren ihre Namen hörten, gingen sie um den Tisch herum, um Desiree nach dem europäischen Brauch, die Hand zu reichen. Desiree musste schmunzeln, sie haben sich gut vorbereitet. Der Dolmetscher drängte sich nach vorne:
>Dr. Huang Zhou, Dr. Wu Lin und Dr. He Zweng, < übersetzte er eilig und verneigte sich leicht. Er war ein älterer Mann mit schütterem, leicht ergrautem Haar und es war offensichtlich, dass er sich bemühte, alle richtig zu machen.
>Es freut mich sehr und bitte entschuldigen sie nochmals die Verspätung, < sagte sie auf Chinesisch, was ihr einen erstaunten Blick des Dolmetschers bescherte.
>Sicherlich sind Sie überrascht, dass wir hier so unerwartet und ungeladen erschienen sind. <
Dr. Longji lächelte leicht.
>Aber Dr. Longji, das ist doch nicht der Rede wert! < unterbrach ihn der Direktor, der den Eindruck machte, dass er hier für alles die Verantwortung zu tragen hat.
>Ich weiß, ich weiß, < Dr. Longji nickte mit dem Kopf und setzte fort:
>Wir entschlossen uns sehr schnell zu Ihnen zu kommen, um Sie um einen Rat zu bitten. Ich denke, es wird einfacher für alle Anwesenden, wenn ich alles auf Chinesisch erzählen werde und unser Dolmetscher es in Ihre Muttersprache übersetzten wird. < fragend sah er Desiree und den Direktor an.
>Sind Sie damit einverstanden, Dr. Schuhmann und Dr. Beck? <
>Ja, natürlich, < entgegnete lächelnd Dr. Beck; >mein Chinesisch ist ziemlich miserabel. < fügte er noch pflichtbewusst mit einer schiefen Grimasse hinzu.
Desiree nickte und konnte es kaum noch erwarten mit welchen Neuigkeiten sie Dr. Longji überraschen wird.
>Wie Sie sicher wissen, setzten wir unsere Untersuchungen auf dem Gelände der Terrakotta -Armee weiterhin fort. Wir führten mehrere Sonaruntersuchungen durch in der unmittelbaren Umgebung der bereits freigelegten Gruben. <
Desiree bewegte zum Zeichen der Zustimmung leicht ihren Kopf. Es war ihr bekannt, dass die Chinesen so was beabsichtigen, allerdings hatte sie nicht gewusst, dass sie damit bereits begonnen haben.
>Bei der letzten Untersuchung entdeckten wir einen relativ kleinen Hohlraum. Erst nahmen wir an, dass es sich um eine Höhle handelt, die durch das Grundwasser im Lehmboden entstand. Aber dann beschlossen wir, die obersten Erdschichten doch vorsichtig abzutragen. Ich muss heute sagen, zum Glück, denn so weit weg von den anderen Gruben rechnete niemand mehr mit weiteren Funde. <
Desiree spürte, wie ihr Herz schneller schlägt.
Dr. Longji machte eine Pause, nahm ein Schluck Wasser und schüttelte leicht den Kopf, um seine Worte zu bestätigen:
>Ja, zum Glück, in der Tat. <
Desiree hing an seinen Lippen und vergaß ganz ihre Umgebung.
>Nachdem wir die letzte Lehmschicht abtrugen, fanden wir ein Dach aus versteinerten Baumstämmen, die fast völlig erhalten waren, ganz anders als in den andren Gruben. So konnte es nicht zu einer Beschädigung des eigentlichen Inhaltes des kleinen Raumes kommen, denn wir fanden dort zwei Statuen. <
>Zwei Statuen? < fragte Desiree leicht irritiert; >zwei weitere Soldaten? <
„Das kann nicht sein,“ dachte sie, „das wäre kein Grund, dass all diese Leute nach Deutschland kommen, weil sie zwei weitere Figuren gefunden haben?“
>Nein, nur einen Soldaten, einen General. Einen sehr hochrangingen General! <
>Und die zweite Statue? > fragte sie und versuchte ihre Aufregung in Griff zu bekommen.
>Wurde er mit einem Soldaten eines niederen Ranges oder mit einem Diener beerdigt? <
>Nein, ganz und gar nicht. Die zweite Statue ist absolut einmalig, Dr. Schuhmann, so etwas fanden wir noch nicht. Es ist eine Frau! <
>Was, eine Soldatin?! < fragte Desiree ganz verblüfft.
>Nein, keine Soldatin, eine liegende Frau und was ganz unbegreiflich für uns ist, der General kniet vor ihr. Eine absolut unwürdige Stellung für jemanden seines Standes! Finden Sie nicht? Glauben Sie uns, wir haben uns schon die ganze Zeit die Köpfe zerbrochen, was es zu bedeuten hat. Leider haben wir bis jetzt weder eine Lösung noch eine Idee. Aber schauen Sie selbst, wir haben die Bilder mitgebracht. <
Alle traten zurück an den Tisch, auf dem sich viele farbige Bilder stapelten. Unter ihnen lag eine Landkarte, die Desiree auswendig kannte, das Ausgrabungsgebiet der Terrakotta – Armee.
>Es gibt viele Fragen zu klären, < begann Dr. Longji.
>Diese Bilder wurden mit einem Roboter angefertigt, wir wollten das Grab nicht betreten, solange wir keine richtige Lösung bezüglich der Farbkonservierung haben. Allerdings waren diese Statuen nicht verschüttet und standen die ganzen Jahrtausende unter der Einwirkung der Luft und Feuchtigkeit, aber sie scheinen trotzdem gut erhalten zu sein. Der Lehmboden und die Lehmwände schafften definitiv konstante Raumbedingungen, die Feuchtigkeit und Luftzirkulation hatten keine großen Abweichungen, nur so können wir uns den guten Zustand der Statuen erklären, < setzte Dr. Longji weiter fort.
Tatsächlich, dass was Dr. Schuhmann auf den Bildern sah, war einmalig.
Eine liegende Frau, eingehüllt in einem Gewand mit filigranen Verzierungen, die detailgetreu im Ton wiedergegeben wurden. Ihre Hände hatte sie gefaltet und hielt etwas zwischen den Fingern. Desiree schaute das Bild intensiv an und sah, dass es sich um ein kleines Fläschchen aus Glas handelte. Ihr Haar war lang und man hat es ihr über die Schulter gelegt. Sie lag auf einer niedrigen Liege mitten im kleinen Raum. Der kniende Mann an ihrer Seite beugte sich über sie, als möchte er sie beschützen. Seine Bekleidung deutete auf einen hohen militärischen Rang hin, aber die genauere Betrachtung bestätigte noch etwas mehr. Man konnte eindeutig den Tiger auf seinem Rücken erkennen.
Es gab viele schriftliche Überlieferungen über diese sagenumwobenen Krieger, nur bis jetzt wurde nie einer von ihnen gefunden. Bis jetzt! Aber ganz anders als bei allen bisher gefundenen Tonkriegern, war sein Gesichtsausdruck so schmerzvoll, dass er fast lebendig wirkte.
„Eine unglaubliche Meisterleitung des Künstlers,“ dachte Desiree bei der Betrachtung der einzelnen Gesichtszüge. Es ist schon eine Kunst in der Lage zu sein, eine starre Gesichtsmimik und eine Uniform wiederzugeben, aber es ist etwas völlig anderes einen Gesichtsausdruck zu schaffen, der so lebhaft wirkt, dass man erwartet, dass der Person in jedem Moment Tränen über die Wangen laufen werden.“
Man konnte gut erkennen, dass in dem Raum immer wieder, im Laufe der Jahrtausende, Wasser eingedrungen war, das auf beiden Statuen eingetrocknete Ringe hinterlassen hatte. Die Farben waren tatsächlich sehr gut erhalten, nur im Bereich, wo immer wieder der Wasserspiegel stand, waren sie nicht mehr vorhanden und dadurch vermittelten die Statuen den Eindruck auf einem höheren Sockel zu stehen.
Bei der näheren Betrachtung des Gesichtes der Unbekannten stockte Dr. Schuhmann der Atem.
>Das ist unmöglich, < flüsterte sie und zog das Bild näher an sich heran; >sie ist keine Chinesin! <
>Ja, ganz korrekt, < entgegnete Dr. Longji ruhig, >das war für uns auch ein Schock! Erstens gibt es bis jetzt keine weiblichen Tonfiguren und zweitens, sie sieht aus wie eine weiße Frau, ein Kaukasischer Typ. Es gibt bisher keine Überlieferungen, dass sich während der Qin – Dynastie auf hiesigem Gebiet überhaupt Weiße aufhielten, geschweige denn eine Frau! Wir stehen vor einem Rätsel, Dr. Schuhmann! <
Desiree betrachtete das Gesicht der Frau und je länger sie es ansah, umso bewusster wurde ihr, was sie sah – sie sah in ihr eigenes Gesicht.

Mongolische Grenze um 240 v. Chr.
Das Zelt war geräumig und angenehm warm. Am Boden lagen dicke Teppiche und aus den unzähligen Kissen richtete man eine Liegestelle ein. In der Mitte glühte in einem Bronzegefäß Kohle und die eingestreuten Gewürze verbreiteten einen angenehmen Duft. Neben der Feuerstelle stand ein niedriger Tisch mit einer Teekanne aus feinstem Porzellan, die Becher trugen das Zeichen des Weißen Tigers.
Eine Zeltseite wurde angehoben und ein großgewachsener Mann trat ein. Er war mit einem bestickten Morgenmantel gekleidet. Der Weiße Tiger, der mit weiß-silbernen Faden gestickt war, erhob sich deutlich vom dunkelblauen Stoff des Mantels ab. Seine Füße steckten in weichen schwarzen Stoffschuhen, die mit einer goldenen Schnur umrandet waren.
>General Han Sui, wünschen Sie jetzt etwas zu essen? < fragte Su, der langjährige Diener des Generals.
>Nein, später… schick Lü Mai zu mir, < antwortete der General und setzte sich auf die Kissen. Es ging ihm sehr viel durch den Kopf, er konnte sich immer noch nicht erklären, was ihm der Astronom enthüllt hatte. Selbst der sah sehr verwirrt aus und versuchte die Audienz so schnell wie möglich zu beenden. Doch bevor er ging, flüsterte er ihm noch zu: „Sie werden berühmt werden, von Ihren Taten werden sich viele erzählen, Sie sind der Auserwählte und werden Ihrem Schicksal begegnen.“ Mehr konnte der General dem erschrockenen Mann nicht entlocken.
Der General war wie alle seine Landsleute sehr abergläubig und solche Aussagen ließen ihm keine Ruhe. Jedenfalls riet ihm der Astronom noch zwei Wochen abzuwarten und erst dann die Verhandlungen mit den mongolischen Xiongnu, den Reiternomaden, aufzunehmen.
>In zwei Wochen werden wir wieder das Himmelszeichen sehen, den fliegenden Stern. Das Zeichen kehrt immer wieder zurück und verkündet große Änderungen. Sie müssen die Verhandlung am ersten Tag des nächsten 60-Tagezyklus beginnen und die Ankunft des fliegenden Sterns, als Gotteszeichen verkünden. Die Xiongnu sind ein ungebildetes, primitives Volk. Sie können sie mit diesem Zeichen in Ehrfurcht versetzen. Sie werden dann eher gewillt sein, sich mit ihnen gut zu stellen und auf ihre Vorschläge einzugehen. <
Han Sui musste ihm recht geben, es konnte nicht schaden, solche Zeichen als zusätzliche Druckmittel benutzen zu können.
>Woher kommt eigentlich das Himmelszeichen? < fragte Han Sui.
>Wir haben einige Überlieferungen aus der Zeit des Herrschers Zhong. Der fliegende Stern kommt fast in jedem 60–Jahres-Zyklus zurück. Er erstrahlt am Nachthimmel und verschwindet dann wieder. Aus seinem Schweif fallen kleinere Sterne. Wer es schafft im Besitz so eines Steines zu kommen, der bekommt die ganze Macht über unsere Welt. Das ist bis jetzt niemanden gelungen, < schloss der Astrologe das Gespräch ab.
Der erste Tag des neuen 60-Tage-Zyklus ist morgen, das bedeutet auch das Ende des langen Wartens. Es war nötig, dass es zu einer Einigung kam, denn die kämpferischen Xiongnu, überfielen immer wieder die Grenzgebiete zum Kaiserreich Qin. Manchmal ließen sie sich mit kleineren Geschenken von diesen Angriffen abhalten, aber meistens vernichteten sie alles, was ihnen im Weg stand.
Diesmal schickte der Kaiser Qin Shihuang seinen General Han Sui mit einer großen Armee in das Gebiet. Es waren auch einige Gelehrte mit dabei, um Vermessungen für die geplante Mauer vorzunehmen. Der Plan des Kaisers war einfach, solange die Mauer nicht stand und man nicht in Lage war diese Gebiete vernünftig zu verteidigen, sollten die Xiongnu mit Geschenken und Zahlungen ruhiggestellt werden. Falls sie nicht zustimmen sollten, lautete der Befehl, alle zu töten.
Dieses Nomadenvolk war sehr genügsam und schaffte es dort zu leben, wo alle anderen nicht überleben konnten. Alles, was sie besaßen, hatten sie immer bei sich. Sie ritten auf kleinen, langhaarigen Pferden und ernährten sich von Milch und Käse der Ziegen, die sie in Herden mit sich trieben.
„Allein der Geruch dieser Menschen war Grund genug, sie zu töten“, dachte Han Sui und schüttelte sich. Er sandte bereits vorgestern einige Späher zum Zeltlager der Xiongnu, um das Treffen für den morgigen Tag anzukünden.
Die Späher kamen heute zurück und berichteten ihm, dass die gegnerische Armee ungefähr halb so groß war, wie ihre Eigene. Aber etwas in ihm, mahnte ihn trotzdem vorsichtig zu sein. Seine Intuition, in Verbindung mit einer langjährigen Ausbildung zu einem höheren Offizier, der immer Verantwortung für seine Soldaten trug, hat ihn noch nie verraten. Er sandte weitere Spitzel ins Landesinnere, die nach dem Rest der Armee suchen sollten.
Eine Bewegung an der Zelt Wand riss ihn aus seinen Überlegungen. Er sah mit Vergnügen auf die zierliche Gestallt Lü Mais, seiner Lieblingskonkubine. Sie verbeugte sich leicht mit zusammengefalteten Händen:
>Mein Herr rief mich?! <
Lü Mai trug ein Seidengewand in hellgrüner Farbe. Ihr Überhang war smaragdgrün und fiel ihr in großen Falten über die Schultern.
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- Eva Schuller (Autor), 2025, Himmelreiter, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1618417