In den europäischen Gedächtniskulturen kommt dem Zweiten Weltkrieg eine Schlüsselposition zu. Die zerrissenen Gesellschaften stehen nach 1945 vor der großen Aufgabe, eine Neukonstituierung vornehmen zu müssen. Oft steht im Zentrum dieses Neufindungsprozesses ein Widerstandsmythos, der geholfen hat, die traumatischen Ereignisse des Krieges zurückzudrängen. Solche Mythen haben einen großen Anteil gehabt, die Völker zu einen und ein friedliches Europa zu begründen. Kritische Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit erfolgten erst später, nach einer solchen Konsolidierungsphase, meist auch erst von nachfolgenden Generationen initiiert. Einen Sonderstatus in diesem Prozess hat Deutschland als Land der Täter, bzw. seine beiden Teile, die BRD und die DDR. Während in der SBZ die Erinnerung frühzeitig von Seiten der Sowjet-union ideologisch gesteuert und auf diese Weise die Bevölkerung von der Vergangen-heit entlastet wird, ist man in der BRD von Anfang an gezwungen, das geschichtliche Erbe zu integrieren. Trotzdem bildeten sich natürlich auch in Westdeutschland vielseitige Entlastungsstrategien heraus.
Die vorliegende Arbeit hat, wie der Titel impliziert, das Ziel, einen Überblick über die Erinnerungskultur in der BRD bezüglich ihrer NS-Vergangenheit zu geben. Eine tiefgehende Analyse aller Facetten der Erinnerung würde den hier zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen, zumal der Begriff „Erinnerung“ sehr komplex ist und auf alle Berei-che des gesellschaftlichen Lebens bezogen werden kann. Kunst und Literatur, Politik und Wissenschaft, privates und gesellschaftliches Leben - prinzipiell kann jede Form von Öffentlichkeit Ausdruck und Indiz für die Art und Weise sein, wie sich eine Nation ihrer Vergangenheit vergewissert. Aus diesem Grund fällt es schwer, eine Auswahl dessen zu treffen, was als Quelle für Aussagen über die Erinnerungskultur in Deutschland herangezogen werden sollte. Neben politischen Debatten, juristischen Prozessen, der Feier von Gedenktagen und anderen öffentlichen Formen des Umgangs mit der NS-Vergangenheit soll auch die Historiographie der BRD in die Betrachtungen einbezogen werden. Denn gerade die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozi-alismus spiegelt deutlich die Entwicklung in der Erinnerungskultur in Deutschland wi-der. Im Falle der DDR ist die enge Verknüpfung und Einengung der Geschichtsschreibung mit und durch das Zentralkomitee überdeutlich.[…]
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Meistererzählungen und Dammbrüche
- 3. Die Erinnerung an den Nationalsozialismus in der BRD 1949-1989
- 3.1. Zwischen Verdrängung und Erinnerung
- 3.2. Der Nationalsozialismus vor Gericht
- 3.3. Generationenkonflikt und zweite Verdrängung
- 3.4. Perspektivenwechsel
- 4. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, einen Überblick über die Erinnerungskultur in der BRD hinsichtlich ihrer NS-Vergangenheit zu geben. Der Fokus liegt dabei auf der Entwicklung der Erinnerungskultur in Westdeutschland von 1949 bis 1989.
- Die Rolle von Meistererzählungen und Dammbrüchen in der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg
- Die Entwicklung der Erinnerungskultur in der BRD nach 1949, inklusive Verdrängung und Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit
- Der Einfluss von Gerichtsprozessen und Generationenkonflikten auf die Erinnerungskultur
- Die Bedeutung von Perspektivenwechseln und der Historiographie in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung stellt die Problematik der Erinnerung an den Nationalsozialismus in der BRD im Kontext der europäischen Gedächtniskulturen dar. Es wird betont, dass die BRD im Gegensatz zur DDR gezwungen war, das NS-Erbe zu integrieren, obwohl auch hier Entlastungsstrategien entstanden.
- Das zweite Kapitel analysiert die Bedeutung von Meistererzählungen und Dammbrüchen im Zusammenhang mit der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Es wird darauf hingewiesen, dass nach dem Krieg in den europäischen Ländern entlastende Erzählungen entstanden, die im Laufe der Zeit durch Neuinterpretationen in Frage gestellt wurden. Diese Entwicklung wird anhand von Beispielen aus verschiedenen Ländern erläutert.
- Das dritte Kapitel befasst sich mit der Erinnerung an den Nationalsozialismus in der BRD von 1949 bis 1989. Es werden verschiedene Phasen der Erinnerungskultur in Westdeutschland anhand von Beispielen analysiert. Besonders hervorgehoben wird die Rolle der Verdrängung, die juristische Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der Einfluss von Generationenkonflikten.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen der Arbeit sind die Erinnerungskultur, die NS-Vergangenheit, die BRD, Verdrängung, Meistererzählungen, Dammbrüche, Gerichtsprozesse, Generationenkonflikt und Perspektivenwechsel. Die Arbeit beleuchtet die Entwicklung der Erinnerungskultur in Westdeutschland und die Rolle der Historiographie in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.
- Quote paper
- Nico Sudmann (Author), 2006, Die Erinnerung an den Nationalsozialismus in der BRD 1949 - 1989, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162078