Säkularisierung und Islam. Über die Einführung des Buchdrucks als Indikator für die Säkularisierung des Osmanischen Reiches im 18. und 19. Jahrhundert


Essai, 2010

19 Pages, Note: 1,0


Extrait


2
Inhalt
Einführende Überlegungen ... 3
Die verspätete Einführung des Buchdrucks als Indikator für die Säkularisierung des
Osmanischen Reiches ... 6
Der Buchdruck im Osmanischen Reich ... 11
Die Säkularisierung des Osmanischen Reiches ... 15
Literatur ... 18

3
Einführende Überlegungen
Die Transformation von einer skriptographischen in eine typographische Kultur ist durch die damit
verbundene Veröffentlichung und Egalisierung des Wissens ein maßgeblicher Indikator für die
Säkularisierung einer Gesellschaft
1
. In Europa wurde diese Wende mit der Innovation des Buchdrucks
durch Gutenberg eingeleitet, fand in der Reformation und der Renaissance ihren Ausdruck, in der
Aufklärung ihren Höhepunkt. Buchdruck, Reformation und schließlich Säkularisierung bildeten dabei
ein europäisches, die zivilisatorische Entwicklung beschleunigendes Phänomen, das als ein
einzigartiges Geflecht sich gegenseitig bedingender sozialer, politischer und theologischer Faktoren
nicht bedingungslos auf die islamische Welt zu übertragen ist. Die Frage, in wie weit oder wie wenig
die verspätete Einführung des Buchdrucks in der islamischen Welt eine Säkularisierung der
osmanischen Gesellschaft und des Staates forcierte beziehungsweise verzögerte, soll im Folgenden
Mittelpunkt der Ausführungen sein.
Es würde sich bei der Untersuchung dieser Frage als Fehler erweisen, alle Muslime unter der
anthropomorphen Kategorie des Islam zu subsummieren. Die soziale und kulturelle Heterogenität des
Islam findet nicht nur regional ihren Unterschied, sondern sollte ebenso, wie es selbstverständlich dem
Christentum wiederfährt, religionsbezogen differenziert werden. Demgemäß wird bei der weiteren
Betrachtung das Osmanische Reich im Fokus stehen, da zum einen dort mit Kairo und Istanbul die
Zentren des frühen muslimischen Buchdrucks lagen und zum Anderen war das Osmanische Reich die
hegemoniale Macht im Orient. Nur gelegentlich werden Vergleiche zu anderen islamischen Regionen,
wie Iran oder zum von der osmanischen Herrschaft relativ losgelösten Ägypten gezogen werden.
Ein Problem, welches sich bei der Betrachtung der Säkularisierung des Islam ergibt, ist die enge
Verknüpfung der Begriffe Aufklärung und Säkularisierung im europäischen Kontext. Es kann hier
nicht referiert werden, ob es eine Aufklärung im Islam gegeben hat. Weitläufig wird aus der
westeuropäischen, essentialistischen Perspektive dem Islam attestiert, keine autochthone Aufklärung
gekannt zu haben
2
. Daraus resultierend wird eine Säkularisierung des Islam ausgeschlossen. Wie der
Prozess der westlichen Aufklärung als europäisch verallgemeinert wird, obwohl er sich regional und
zeitlich bisweilen sehr unterscheidet, wiederfährt der islamischen Aufklärung und schließlich auch der
Säkularisierung, eine Homogenisierung - nämlich die ihrer Negation
3
. Hypothetisch und in der
Methodik bindend für das Folgende wird aber die Annahme sein, dass sich, trotz einer möglicherweise
1
Wie sich später noch zeigen wird, ist diese Verbreitung des Wissens nur bedingt im Osmanischen
Reich des 18. Jahrhunderts nachzuweisen. Die neue Technik des Drucks wurde bei der Vervielfältigung
profaner und sakraler Texte in sehr unterschiedlicher Weise genutzt.
2
Vgl. R. SCHULZE, Islamische Aufklärung, S. 277 f.: Schulze wiederspricht dieser Ansicht und merkt
an, dass die bloße Rezeption aufgeklärter Ideen aus dem Westen durch islamische Intellektuelle eine
aufgeklärten Wissenshorizont selbiger voraussetzte. In den mystischen Traditionen des Sufismus sieht
Schulze Spuren einer islamischen Aufklärung.
3
Hier scheint das Ideal der europäischen Aufklärung vor dem Hintergrund der gegenwärtigen
Auseinandersetzung mit dem Islamismus, auch immer als Abgrenzung und zur Selbstvergewisserung
der europäischen Welt zum Islam zu dienen.

4
nie stattgefundenen Aufklärung ­ sei sie autochthon oder allochthon ­ eine Säkularisierung im
Osmanischen Reich seit dem 18. Jahrhundert vollzogen hat. Dabei wird die Trennung des
Begriffspaares Aufklärung und Säkularisierung immanent.
Ebenso wie bisweilen Aufklärung und Säkularisierung zu einem Terminus zusammengefügt werden,
bei dem die Letztere nicht ohne die Erstere möglich werden konnte, werden Islam und Islamismus
synonymisiert. Die europäischen Entwicklungen zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert werden
dabei - säkulare islamische Tendenzen ausschließend, da europäische Muster der Geschichte auf eine
Region übertragen werden, deren Tradition und Verfasstheit sich allein schon in religiöser Hinsicht
grundlegend von Europa unterscheidet - als Matrize auf den Islam übertragen. In der Konsequenz
bedeutet dies dann den Ausschluss des Islam von der Moderne.
Erschwert wird die Untersuchung durch den Umstand, dass in der islamischen Welt, insbesondere in
den Auslegungen der Schrift ­ und Rechtsgelehrten des Islam, die Moderne negativ konnotiert war
und bisweilen ist
4
. Denn die der Moderne eigene Beschleunigung der Welt verkehrt die gottgegebene,
unwandelbare und jeglichem menschlichen Zugriff verschlossene Ordnung. Letztlich basiert das
gesamte soziale und politische Gefüge, die mit ihr verbundenen Werte und Normen, auf dem Koran.
Die shari´a ist von Gottes Willen bestimmt. Eine kritische Auseinandersetzung mit seiner
Offenbarung, dem Koran, birgt somit auch immer die Gefahr die für alle Lebensbereiche verbindliche
shari´a aus dem Gleichgewicht zu bringen, die Säkularisierung in ihrem Ergebnis Gottlosigkeit
5
. Erst
im Verlauf des 20. Jahrhunderts verschwindet die strikte Weigerung Neuerungen als positiv zu werten.
Somit wird der Blick auf die Antwort der Frage nach der Säkularisierung im Islam zum einen von der
essentialistischen Aufklärungsforschung verstellt
und zum anderen durch die emische Perspektive der
muslimischen Gelehrtenschaft verwischt. Als ausgesprochen problematisch für einen
Erkenntnisgewinn erweisen sich die derzeit häufig zu Tage tretenden fundamentalistisch ­
islamistischen Argumentationen, die das Ideal von der Einheit des Staates und der Religion
propagieren
6
. Diese Einheit ist dabei ein politisches, kein historisches Argument. Nur all zu oft werden
Säkularisierungsprozesse negiert, da die Synergie von Staat und Religion, paradoxerweise auch aus
europäischer Perspektive, als gegeben angenommen wird
7
. Um diesen Dilemma zu entgehen folge ich
der These Gudrun Krämers, die feststellt, dass ,,Religion und Herrschaft [...] in islamisch geprägten
4
Vgl. R. SCHULZE, Islamische Aufklärung, S. 280; Vgl. A. TAMIMI, The Origins, S. 13 ff und S. 26
f.; Vgl. G. KRÄMER, Religion, Recht und Politik, S. 179; Vgl. A. SCHIMMEL, Religion des Islam,
S.57
5
Das Osmanische Reich bildet hier eine Ausnahme, da es nie direkt Kolonie einer europäischen Macht
war. Dort aber wo es eine koloniale Vergangenheit gibt, wie etwa auf der Arabischen Halbinsel oder in
Indien, wird Säkularisierung als etwas feindlich Oktroyiertes definiert. Vgl. G. KRÄMER, Religion,
Recht und Politik, S. 175 ff.
6
Das prominenteste Beispiel ist sicherlich die Islamische Republik Iran.
7
Vgl. G. KRÄMER, Religion, Recht und Politik, S. 176: Lange Zeit wurde Säkularisierung mit
,,Abwesenheit" oder ,,Verleugnung" der Religion übersetzt.

5
Gesellschaften bis ins 19. Jahrhundert nicht enger miteinander verbunden (waren) als in
europäischen"
8
. Vordergründig spricht dieser Befund im Kontext absolutistischer Herrschaft für die
strikte Verbundenheit von Staat und Religion, doch wird ebenfalls die essentialistische Interpretation
des Islam korrigiert, denn es wird die Frage zugelassen, ob die islamische Gesellschaft, in unserem
Fall die Osmanische, in der Frühen Neuzeit tatsächlich derart religiös durchdrungen war, wie sie
weitläufig definiert wird
9
.
In der europäischen Geschichte lassen sich Säkularisierungstendenzen bereits im Investiturstreit durch
die Trennung von sacerdotium und regnum finden. Diese Trennung der Gewalten kennt der Islam
ebenfalls, allerdings mit weniger deutlicher Trennschärfe. Auffällig ist aber, dass eine bis ins 17.
Jahrhundert gültige religiöse Bindung zwischen Untertanen und Herrscher in der islamischen Welt
weitgehend unbekannt war
10
. Die multiethnische Verfasstheit des Osmanischen Reiches schlägt sich
auf die Säkularisierung nieder, denn während das durch die Herrscher oktroyierte Glaubensbekenntnis
in Europa die Untertanen ihre religiöse Unfreiheit spüren ließ, kannte das Osmanische Reich derlei
Zusammenhang nicht.
Grundlegend scheint es schwierig den Begriff der Säkularisierung auf den Islam anzuwenden. Denn
die Säkularisierung hat sich, durch ihre enge Verbindung zur Reformation und zur europäischen
Aufklärung, von einem phänomenologischen in einen historischen Begriff gewandelt, der sich
mitunter nur schwerlich auf die islamische Welt übertragen lässt. Daran ist leicht eine Deutung zu
binden, die die europäische Säkularisierung als Idealtypus versteht. Wenn im Folgenden von
Säkularisierung gesprochen wird, soll sie in ihrer phänomenologischen Definition verstanden werden,
da in dieser keine Wertung inbegriffen ist.
Säkularisierung sollte in unserem Zusammenhang konzeptionell in zwei Ebenen unterteilt werden, bei
der die eine, die strukturelle Säkularisierung, die Lösung der Religion aus den öffentlich ­
institutionellen Bereichen wie Bildung, Recht oder Politik impliziert, die Ebene der subjektiven
Säkularisierung hingegen nach dem ,,Bedeutungsverlust von Religion für die individuelle Weltdeutung
und Lebensführung"
11
fragt.
8
G. KRÄMER, Religion, Recht und Politik, S. 181
9
Vgl. F. ROBINSON, Säkularisierung im Islam, S. 267; Vgl. N. BERKES, Secularism in Turkey, S. 36
10
Zum Beispiel wie im Heiligen Römischen Reich, besonders zwischen 1555 und 1648. Das ius
reformandi und das ius emigrandi im Heiligen Römischen Reich sind in ihrer Wirkung auf die
Säkularisierung sicherlich nicht zu unterschätzen. In Frankreich war es um die religiöse Toleranz
ohnehin nicht gut bestellt. In England, finden sich Aspekte des Prinzips cuius regio, eius religio, durch
die konstitutionelle Bindung des Monarchen an den Protestantismus. Die religiöse Toleranz im
Osmanischen Reich bedeutet jedoch keineswegs die Rechtsgleichheit von Juden, Christen und den
privilegierten Muslimen.
11
G. KRÄMER, Religion, Recht und Politik, S. 178; Vgl. F. ROBINSON, Säkularisierung im Islam, S.
258 f.

6
Die strukturelle Säkularisierung in der islamischen Welt lässt sich leichter als die Subjektive erfassen.
Die Lösung der religiösen Durchdringung institutioneller Bereiche ist zumindest für das Osmanische
Reich in Ansätzen im frühen 18. Jahrhundert, klarer aber ab 1839 zu beobachten. Gleichwohl
verweisen die Öffnung während der Tulpenzeit und die Reformbestrebungen der Tanzimat nicht auf
einen gesellschaftlich - säkularen Konsens.
Vielmehr wurde hier ein westlicher
Säkularismus
übernommen, ohne dabei aber einen islamischen, einen eigenständig Osmanischen, daraus zu
entwickeln.
Hingegen beinhaltet die subjektive Säkularisierung Prozesse, durch die der Glauben ins Private
transferiert wird und sich demnach auf die Beziehung des Gläubigen zu Gott beschränkt. Diese Ebene
der Säkularisierung ist in der geschichtswissenschaftlichen Betrachtung wesentlich schwieriger zu
ergründen. Tatsächlich scheint jedoch erst in der islamischen Welt erst in den letzten hundert Jahren
jener Prozess der Säkularisierung eingesetzt zu haben, der neben der institutionellen und öffentlichen
Rationalisierung auch die Lösung von transzendenten Bindungen des Individuums umreißt
12
. Begeben
wir uns auf die Suche nach den Gründen für die vergleichsweise spät einsetzende und eng mit dem
Buchdruck verknüpfte Säkularisierung des Osmanischen Reichs und des Islam.
Die verspätete Einführung des Buchdrucks als Indikator für die Säkularisierung des
Osmanischen Reiches
Der Buchdruck in Europa nahm eine rasante Entwicklung, die 1454 mit Gutenbergs Innovation der
beweglichen Lettern begann und maßgeblich seit 1517 mit der Reformation zum
Säkularisierungsprozess Europas beigetragen hat
13
. Der Buchdruck ist das zentrale Instrument der
Säkularisierung in der westlichen Welt. In der islamischen Sphäre hatte der Buchdruck keine
vergleichbare revolutionäre Wirkung und erlebte seine Blüte rund dreihundert Jahre später. Die
Quellen über den frühen islamischen Buchdruck sind spärlich und nehmen erst mit Ibrahim
Müteferrika festere Konturen an. Die Erklärung für die verspätete Einführung des Buchdrucks mit
beweglichen Lettern in der islamischen Welt erweist sich als vielschichtig und kann am Ende nur
ebenso multikausal nachgezeichnet werden.
Eine Divergenz der Entwicklung des Buchdrucks in islamischer und europäischer Welt liegt im
Vorhandensein einer Institution zu suchen, die den Buchdruck förderte. Wie sehr den Protestanten
Europas der Buchdrucks von Nutzen war, ist hinlänglich bekannt. Doch auch die katholische Kirche
hatte schnell gemerkt, dass mit Hilfe des Buchdrucks eine Reglementierung und Normierung der
12
Vgl. F. ROBINSON, Säkularisierung im Islam, S. 256
13
Die Transformation der Erkenntnis vom Gehörten, also Vorinterpretierten, zum Gelesenen und somit
selbst Erfahrbarem, trug erheblich zur Individualisierung des Glaubens
bei und beschleunigte den
Säkularisierungsprozess. Es bleibt fraglich wenn nicht ausgeschlossen, ob dieser Prozess im
Osmanischen Reich bzw. im Islam gleichsam erfolgte.
Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Säkularisierung und Islam. Über die Einführung des Buchdrucks als Indikator für die Säkularisierung des Osmanischen Reiches im 18. und 19. Jahrhundert
Université
University of Leipzig  (Simon Dubnow Institut)
Cours
Geschichte der Juden in der Neuzeit
Note
1,0
Auteur
Année
2010
Pages
19
N° de catalogue
V162346
ISBN (ebook)
9783668744035
ISBN (Livre)
9783668744042
Taille d'un fichier
535 KB
Langue
allemand
Mots clés
Säkularisierung, Buchdruck, Osmanisches Reich, Islam, Aufklärung, Profanisierung, Müteferrika, Verweltlichung, BEschleunigung, Gutenberg, fetwa, isnad, ulema, säkularisieren, profanisieren
Citation du texte
Alexander Rode (Auteur), 2010, Säkularisierung und Islam. Über die Einführung des Buchdrucks als Indikator für die Säkularisierung des Osmanischen Reiches im 18. und 19. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162346

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