„Die Bestrebungen in Richtung einer föderalen Lösung, die seit 1977
unternommen werden, haben bislang zu keinem Ergebnis geführt. Die
nationale Denkform scheint auch hier das größte Hindernis
auszumachen. Die türkisch-zypriotische Führung besteht auf der
nationalen Souveränität im Norden Zyperns und verlangt ethnisch
getrennte Zonen, während sich die kulturnationalistisch orientierte
griechisch-zypriotische Führung nicht von der Majoritätsherrschaft
abbringen läßt. In diesem nationalen Antagonismus werden die
Menschen Zyperns nicht als Individuen oder Bürger mit bestimmten
Bedürfnissen und Interessen gesehen, sondern als Träger der Nation.
Unter Nation versteht man das Türkentum und das Griechentum.“
(Kizilyürek 1994, 123)
An dieser Einschätzung der Situation, die der an der griechischzypriotischen
Universität im Südteil Nikosias lehrende türkischzypriotische
Politikwissenschaftler Niyazi Kizilyürek 1994 gab, scheint
sich trotz verstärkten Verhandlungen in den vergangenen Monaten bis
heute nichts geändert zu haben. Die Fronten scheinen im Gegenteil
verhärtet. Die Ursachen dafür sind vielschichtig und müssen auf
verschiedenen Ebenen analysiert werden. Aus internationaler
Perspektive betrachtet liegt Zypern strategisch günstig, weswegen der
Zypernkonflikt von weltpolitischem Interesse sein kann. Regional
betrachtet, ist die Einbindung Zyperns in den Konflikt zwischen
Griechenland und der Türkei bedeutsam. Begibt man sich indes auf die
lokale Ebene, so läßt sich der Zypernkonflikt auch als ein Konflikt
zwischen zyperntürkischer und zyperngriechischer Bevölkerung
darstellen. Die komplexe Verwobenheit der einzelnen Ebenen ist dabei
vorausgesetzt. (vgl. Meinardus 1994, 73) Ich möchte im folgenden zunächst kurz auf den Stand der
gegenwärtigen Verhandlungen zwischen der griechisch- und der
türkisch-zypriotischen Regierung sowie das internationale Interesse an
ihrem Ausgang eingehen. Anschließend werde ich verschiedene
Lösungsvorschläge in ihrer Problematik wiedergeben, um schließlich
etwas ausführlicher die verschiedenen Vorstellungen für eine föderale
Zukunft Zyperns darzustellen. Föderalismus gilt als tauglichster
Lösungsansatz, dennoch ist es schwierig, in der gegenwärtigen
Situation einen Kompromiß zwischen dem von der griechischzypriotischen
Seite präferierten Föderalismus mit starker Zentralgewalt
und dem von der türkisch-zypriotischen Seite geforderten
Konföderalismus mit schwacher Zentralgewalt zu finden. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zum Stand der gegenwärtigen Verhandlungen über eine Einigung im Zypernkonflikt
- Die „proximity talks“
- Das internationale Interesse am Zypernkonflikt
- Fehleinschätzungen
- Optionen des EU-Beitritts
- Föderation versus Konföderation
- Die Funktion von Erinnern und Vergessen
- Die offizielle Geschichtsschreibung
- Griechisch-zypriotische Gedenktage
- Türkisch-zypriotische Gedenktage
- Schlussfolgerungen
- Offizielle Geschichte im Spiegel der Narrative von Türkischen und Griechischen Zypriotinnen
- Der Zypriotismus
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit untersucht die komplizierten historischen, politischen und sozialen Dimensionen des Zypernkonflikts. Sie analysiert die derzeitigen Verhandlungen über eine Einigung im Konflikt, wobei besonderes Augenmerk auf die unterschiedlichen nationalen Narrative und die Rolle von Erinnern und Vergessen gelegt wird.
- Die aktuelle Verhandlungssituation im Zypernkonflikt
- Die Rolle des internationalen Interesses und die verschiedenen Lösungsansätze
- Der Einfluss von nationalen Identitäten und Erinnerungskulturen auf den Konflikt
- Die Schwierigkeit einer Einigung zwischen Föderalismus und Konföderalismus
- Der Zypriotismus als mögliche Brücke zwischen den nationalistischen Positionen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Zypernkonflikt als eine komplexes Problem dar, das auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden muss, von der internationalen Politik bis hin zu den lokalen Gemeinschaften. Sie skizziert den Verlauf der Hausarbeit und stellt die wichtigsten Themenbereiche vor.
Das Kapitel „Zum Stand der gegenwärtigen Verhandlungen über eine Einigung im Zypernkonflikt“ behandelt die „proximity talks“ zwischen den griechisch- und türkisch-zypriotischen Vertretern und die Herausforderungen bei der Suche nach einer Lösung. Es wird die Bedeutung des internationalen Interesses sowie die Schwierigkeiten aufgrund unterschiedlicher Perspektiven und Fehleinschätzungen erläutert.
Das Kapitel „Föderation versus Konföderation“ diskutiert die verschiedenen Lösungsvorschläge für die Zukunft Zyperns, wobei insbesondere der Konflikt zwischen Föderalismus und Konföderalismus im Vordergrund steht.
Das Kapitel „Die Funktion von Erinnern und Vergessen“ untersucht die offiziellen und inoffiziellen Vergangenheitskonstruktionen von Griechischen und Türkischen Zypriotinnen und deren Einfluss auf die derzeitige Verhandlungssituation. Es wird die Bedeutung der jeweiligen Geschichtsschreibung und Erinnerungskulturen hervorgehoben.
Das Kapitel „Offizielle Geschichte im Spiegel der Narrative von Türkischen und Griechischen Zypriotinnen“ untersucht, wie die offiziellen Geschichtsbilder mit den eigenen Narrative der Zypriotinnen und Zyprioten zusammenhängen.
Das Kapitel „Der Zypriotismus“ stellt eine Gegenbewegung zu den nationalistischen Positionen dar und zeigt alternative Ansätze zur Konfliktlösung auf.
Schlüsselwörter
Zypernkonflikt, Verhandlungen, Föderalismus, Konföderalismus, Erinnerungskultur, nationale Identität, Zypriotismus, „proximity talks“, Turkish Republic of Northern Cyprus (TRNC)
- Citation du texte
- Ramona Lenz (Auteur), 2000, Die Politik des Erinnerns und Vergessens im Zypernkonflikt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16276