I)Einleitung
Bei Diskursen über Disziplin in Deutschland wird immer wieder auf die Zeit des Nationalsozialismus verwiesen, während dessen Disziplin in vielen gesellschaftlichen Räumen bis zur Perversion gesteigert wurde. Wer heute gar von eiserner Disziplin spricht, steht im Verdacht, mit jener bedingungslosen Unterordnung zu liebäugeln, die von den Nationalsozialisten als Disziplin und typisch deutsche Tugend propagiert wurde. Der Nationalsozialismus als geschichtliches Phänomen soll im Folgenden unter den Begriffen von Disziplin und Disziplinargesellschaft nach Foucault erörtert werden. Unter der „Zeit des Nationalsozialismus“ soll die historische Periode zwischen 1933 und 1945 verstanden werden, wobei sicher auch noch Unterschiede in der Thematik innerhalb des Zeitraums zu verzeichnen sind.
Der wahrscheinlich größte Widerspruch des Nationalsozialismus ist die Diskrepanz zwischen Rationalität und der irrationalen, exzessiven Gewalt andererseits. 1 Daraus ergibt sich die Frage, wie Irrationalität und Funktionalität zusammenwirken. Um dieser Frage nachzugehen,ist es notwendig, vorherrschende Machtstrukturen zu untersuchen und sie als Dynamik von Gewaltexzessen sowie den allgemeinen Hang zur Gewaltbereitschaft zu analysieren. Als Motivation kommt nicht nur eine rein Politische in Frage, es müssen dabei auch persönliche Interessen im Spiel gewesen sein. In der Forschung ist klar, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht nur aus einer bestimmten politischen Elite heraus erklärbar sind, die durch geschickte Propaganda und Manipulation das Volk gewinnen konnte. Allein durch Propaganda wäre es eher unwahrscheinlich gewesen, das eine Ideologie in so vehementer Weise in ein soziales Feld eindringen und eine so starke Wirkung auslösen kann. Hinter den Verbrechen des Nationalsozialismus steht kein Sinn oder Logik, sondern eine Dynamik, wie Hannah Arendt es formuliert, die „Banalität des Bösen“. 2 Laut Hannah Arendt ist das Böse nicht erklärbar und in jedem Menschen latent vorhanden. Auch dem Phänomen der Disziplin und der Disziplinargesellschaft liegt keine Logik im allgemeinen Sinne zugrunde, sondern eine tiefer liegenden Dynamik eines Machtgefüges, der Disziplinarmacht.
Inhaltsverzeichnis
- I) Einleitung
- II) Disziplinbegriff bei Foucault
- 1. Geschichte und Einordnung bei Foucault
- 1.1 Geschichtliche Hintergründe und Änderungen im Strafvollzug
- 1.2 Nicht mehr strafen, sondern bessern und heilen
- 2. Die Technologie der Disziplin als Macht-und Herrschaftsform
- 2.1 Der „gelehrige“ Körper
- 2.2 Funktionsweisen der Disziplin
- 2.2.1 Die Verteilung der Individuen im Raum
- 2.2.2 Die Kontrolle der Tätigkeit
- 2.2.3 Die Organisation von Entwicklungen
- 2.2.4 Die Zusammensetzung der Kräfte zu einem Apparat
- 2.3 Die,,disziplinierte“Individualität
- 3. Der Panoptismus und die Entstehung des modernen Gefängnisses
- 3.1 Weiterführende Disziplinarmaßnahmen: „Die Mittel der guten Abrichtung“
- 3.2 Panoptikum und Panoptismus
- 3.3 Das panoptische Prinzip in der Gesellschaft
- 3.4 Das Gefängnis als Disziplinaranstalt
- 3.5 Die Entstehung einer modernen Disziplinargesellschaft
- 4. Kritische Rezeption des Foucaultschen Disziplinbegriffs
- 4. 1 Foucaults Methode
- 4.2 Kritik der Disziplinarmacht Foucaults
- 5. Foucaults,,Disziplinarmacht“ und Adornos „instrumentelle Vernunft“
- III) Disziplinarmacht im Nationalsozialismus
- 1. Erziehung und Disziplin im Nationalsozialismus
- 1.1 Schule
- 1.2 Hitlerjugend
- 2. Die Wehrmacht als Disziplinarinstitution
- 3.Das Konzentrationslager in der Disziplinargesellschaft
- 3.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Foucaultschen Gefängnis
- 3.2 Jenseits von Disziplin: Ein „pervertierter“ Disziplinbegriff
- 3.3 Funktionsweise des Konzentrationslagers in der NS-Gesellschaft
- IV) Die deutsche Gesellschaft in der NS-Zeit als Disziplinargesellschaft im Sinne Foucaults
- V) Fazit
- VI) Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Frage, ob die deutsche Gesellschaft im Nationalsozialismus als eine Disziplinargesellschaft im Sinne des Foucaultschen Disziplinbegriffs betrachtet werden kann. Dabei wird der Fokus auf die Analyse der Machtstrukturen und die Funktionsweise der Disziplin in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen gelegt. Der Autor untersucht, inwieweit die Konzepte von Disziplin und Disziplinargesellschaft nach Foucault eine Erklärung für die verbreitete Gewalt und die verbreitete Unterordnung in der NS-Zeit bieten können.
- Der Foucaultsche Disziplinbegriff als theoretische Grundlage für die Analyse der deutschen Gesellschaft im Nationalsozialismus
- Die Disziplinarmacht im Nationalsozialismus und ihre Funktionsweise in verschiedenen Bereichen wie Schule, Hitlerjugend und Wehrmacht
- Das Konzentrationslager als spezifische Form der Disziplinarinstitution
- Die Rolle der Propaganda und Manipulation bei der Verbreitung der Disziplinarideologie
- Die Frage nach der Verbindung zwischen rationaler Disziplin und irrationaler Gewalt im Nationalsozialismus
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Kontext der Arbeit dar und erklärt die Diskrepanz zwischen Rationalität und irrationaler Gewalt im Nationalsozialismus. Das zweite Kapitel erläutert den Foucaultschen Disziplinbegriff im Detail, wobei auf seine historische Entwicklung und seine Funktionsweise als Macht- und Herrschaftsform eingegangen wird. Das dritte Kapitel untersucht die Anwendung des Disziplinbegriffs auf den Nationalsozialismus, wobei auf verschiedene Bereiche wie Schule, Hitlerjugend und die Wehrmacht eingegangen wird. Das vierte Kapitel widmet sich der Analyse des Konzentrationslagers als spezifische Form der Disziplinarinstitution, die durch ihre Perversion des Disziplinbegriffs gekennzeichnet ist. Das fünfte Kapitel untersucht die deutsche Gesellschaft in der NS-Zeit als Disziplinargesellschaft im Sinne Foucaults.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen Disziplin, Disziplinargesellschaft, Macht, Gewalt, Nationalsozialismus, Propaganda, Manipulation, Schule, Hitlerjugend, Wehrmacht, Konzentrationslager, Foucault.
- Arbeit zitieren
- Sonja Uhl (Autor:in), 2010, Deutschland im Nationalsozialismus - Eine Disziplinargesellschaft im Sinne des Foucaultschen Disziplinbegriffs?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162780