Lieselotte von der Pfalz und der Hof von Versailles - "Madame sein ist ein ellendes Handwerck"

Drehbuch


Notes (de cours), 2010

34 Pages


Extrait


Liselotte von der Pfalz und der Hof von Versailles

„Madame sein ist ein ellendes Handwerck“

Ganz London ist in ein Meer von Fahnen und Blumenschmuck getaucht. Seit nahezu 70 Jahren hat England keine königliche Hochzeit mehr gefeiert. So ist es nicht verwunderlich, dass der Hof von Whitehall und die Stadt in freudige Erregung geraten, als der Stuart Jakob I. Ende des Jahres 1612 die Hand seiner einzigen Tochter, Elisabeth, der „Perle Großbritanniens“ und späteren „Winter Queen“*, dem Kurfürsten Friedrich V. von Wittelsbach gibt. Die beiden Brautleute sind kaum 16 Jahre alt, und alle Welt ist begeistert von ihrer Schönheit. Prinzessin Elisabeth ist gertenschlank, hat blonde Haare und blaue Augen. Sie ist von heiterem Wesen, liebt die Jagd, Pferde und Hunde. Sie spricht Französisch und Italienisch.

Der junge Kurfürst hat einen dunklen Teint und ist recht geistreich; die Mittelmäßigkeit seines Charakters verbirgt sich noch hinter seiner Jugendlichkeit. Außer seiner Muttersprache und Latein spricht er ein elegantes Französisch. In dieser Sprache verkehren die Eheleute ihr Leben lang miteinander. Friedrich, ein vollendeter Kavalier, verkörpert das Ideal eines Fürsten. Zur Vermählung mit Elisabeth reist er mit einem zweihundertköpfigen Gefolge an.

Szene 1

Am Sonntag, dem 14. Februar 1613, einem klaren sonnigen Tag, kurz vor Mittag, kommt Elisabeth mit ihrem Gefolge und inmitten einer großen Menschenmenge in Whitehall an. IhreVirgin-Robeist aus Silberbrokat gefertigt, die Schleppe wird von vierzehn in weißen Atlas gekleideten Jungfrauen getragen. Das bernsteinfarbene Haar fällt der Prinzessin lose auf die Schultern und reicht nahezu bis zu ihrer Taille. Eine mit Perlen und Diamanten besetzte Krone aus Gold schmückt ihr Haupt. Die Prinzessin funkelt, wie William Camden, der Verfasser derAnnales rerum anglicarum,festhält, wie „ein Sternbild“. Auch die Jungfrauen ihres Gefolges, in weißen Atlas und Silber gekleidet, sind so reich mit Perlen und Edelsteinen geschmückt, dass ihr Zug „der Milchstraße“ gleicht. Ebenso glänzt Friedrich in einem Gewand mit Umhang aus Silberlamé.

*Elisabeth wird am 7. November 1619, 3 Tage nach der Inthronisation ihres Gemahls, zur Königin von Böhmen gekrönt. Friedrich V. hatte die ihm vom Kaiser angebotene Krone von Böhmen angenommen. Bereits am 8. November 1620 muss das Paar, nachdem Böhmen in der Schlacht am Weißen Berg durch die Katholische Liga nieder geworfen worden war, das Land wieder verlassen (von daher die Assoziation „Winter Queen“).

Gemeinsam betreten die beiden die von Kerzenschein erhellte Kapelle von Whitehall, geschmückt mit von Gold- und Silberfäden durchwirkten Wandteppichen, auf denen das Wirken der Apostel dargestellt ist. Es erklingt das feierlicheWedding Anthem, God the Father, God the Sonvon John Bull. Der Bischof von Bath – and – Wells tritt vor die Hoheiten,um die Hochzeit von „Themse und Rhein“ zu beschließen. Entsprechend demBook of Common Prayerwird der Gottesdienst in englischer Sprache abgehalten. Die Bibeltexte werden in der neuesten „autorisierten Fassung“ (King James Bible) verlesen. Friedrich hat seine Antworten auswendig gelernt.

Szene 2

Den frisch Vermählten wird vor dem Palast von Whitehall eine besondere Attraktion geboten – ein heiliger Georg in goldenem Harnisch, weinrotem Umhang und prachtvollem goldenem Helm mit rotem Federbusch auf einem Schimmel sitzend zwingt einen Drachen nieder. Eine ganze Viertelstunde ist diese Kunstfigur unter reger Anteilnahme des Volkes zu bewundern. Der „Siegreiche“ übergibt dem jungen Paar in einer mit duftendem rotem Brokat ausgeschlagenen Schatulle Perlen und Diamanten.

Rund 40 Jahre später erblickt Elisabeth-Charlotte, die Enkelin der „Winter-Queen“, am 27. Mai 1652 im Schloss von Heidelberg das Licht der Welt. Sie sieht so klein und schmächtig aus, dass man um ihr Leben besorgt ist und sie so schnell wie möglich taufen lässt. Man gibt dem Mädchen die Vornamen ihrer Großmutter väterlicherseits, der Königin von Böhmen, und ihrer Mutter. Liselotte wird im Englischen Flügel des Schlosses untergebracht. Sie ist von ganz anderem Kaliber als ihr ängstlicher Bruder und hat ein äußerst ausgelassenes Wesen, das ihre Gouvernanten und Diener immer wieder aus der Fassung bringt. Sie beachtet ihre Puppen wenig und spielt bevorzugt mit den Holzschwertern und –gewehren ihres Bruders.

Nach 30 Jahren Ehe gesteht sie in einem Brief an ihre Halbschwester Louise: „Den es ist mir all mein leben leydt gewesen, ein weibsmensch zu sein, und churfürst zu sein, wehre mir, die wahrheit zu sagen, beßer ahngestanden, alß Madame zu sein; aber weillen es gottes willen nicht geweßen, ist es ohnnötig, dran zu gedenken...“

Szene 3

Liselotte spielt mit Holzschwertern und Holzgewehren ihres Bruders in einer in Eichenholz getäfelten Galerie des sogenannten Englischen Flügels des Heidelberger Schlosses. Ihre Gouvernante, Els von Quaadt („verbittertes altes Mädchen“) hebt das kleine Mädchen hoch und möchte es wegtragen – Liselotte zappelt wild und schlägt ihrer Gouvernante mit den Füßen in die Beine, so dass diese mit ihr auf dem Arm vornüber zu Boden fällt. Sofort ist Liselotte wieder auf den Beinen, vollführt wilde Purzelbäume und rast davon. Els von Quaadt stöhnt vor sich hin: „O fuy fuy c’n’est pas a souffrir [oh, das ist unerträglich] ...“

Szene 4

Die etwa 7 Jahre alte Liselotte schleicht früh morgens („... um 5 Uhr mit ein gutt stück brot“) mit einem Stück trockenem Brot in der Tasche aus dem Schloss und klettert im großen Obstgarten auf einen Kirschbaum, um sich mit den saftigen Früchten voll zu stopfen. In der Ferne ist bereits ein kräftiges Morgenrot zu sehen.

Wenig später tritt Liselotte samt Gouvernante Anna Katharina von Offeln („herzliebe Jungfer Offeln“) und Angehörigen des väterlichen Hofes unter großem Abschiedsschmerz ihre erste Reise zur Verwandtschaft nach Hannover an. Sie sollten drei Wochen unterwegs sein. Die insgesamt 4 Jahre, die Liselotte am Hof von Hannover verbringt, sind die wohl glücklichsten ihres Lebens.

Szene 5

Liselotte sitzt neben der „Jungfer Offeln“ in der Kutsche und umklammert fest mit beiden Händen eine Zitrone, während das Gefährt laut ratternd den Neckar überquert. Weitere Fuhrwerke und Kutschen folgen mit Edelleuten des Vaters, Dienerinnen und Gepäck. Die Gouvernante von Offeln beugt sich zu Liselotte: „Hertzallerliebst Liselotten, mich deucht ihr betrübnus ist fürüber gangen.“ Liselotte nicht und blickt aus dem Fenster.

59 Jahre später (ca. 1718) erinnert sich die nun alt gewordene Madame in ihrem Kabinett in Saint-Cloud am Schreibtisch* mit Hirschkuh-Füßen sitzend in einem Brief an ihre erste Reise: „Wie ich nach Hannover ging, wendt ich 3 tag, umb nach Franckfort zu kommen; erstlich schlieff ich zu Weinheim, die andre nacht zu Bensheim undt die 3 nacht, deucht mich, schlieffen wir ahn ein ort nahe bey Franckfort, aber nicht zu Franckfort selber, undt hernach ein ort in Heßen undt darnach nach Cassel, von Cassel nach Minden undt von Minden nach Hannover. Ich erinere es mich, alß wens heutte wehre.“ Anschließend steckt sie den Brief in einen Umschlag, drückt ihr Siegel mit dem Doppelwappen – die Lilien auf dem einen und das Wittelsbacher Wappen auf dem anderen – hinten auf.

Während eines Aufenthalts Liselottes bei ihrer Großmutter, der Königin von Böhmen („The Winter Queen“), in Den Haag im selben Jahr (ca. 1659), äußert diese in einem Brief an ihren Sohn, Liselottes Vater: „There was last night a sad business betwixt your sister and Lisslotte. She saide in English, that her brother had a better face than she had. which she understood and manie a teare was shed for it, but I maintained that she had the better face, which must [=most] ioyed her. She is extreme good natured, which makes her to be beloved heere of everie bodie. You cannot imagine how well she dances.”

*Boulle Technik, bedeckt mit einem grünen Tuch

Im Haag (ca. 1660) besucht Liselotte zusammen mit ihrer Großmutter, der Königin von Böhmen, die Prinzessin von Oranien (Maria Stuart, Tochter Karls I. und Gemahlin des Prinzen Wilhelm II. von Oranien). Ihr Sohn ist Wilhelm III., zukünftiger König von England und Feind Ludwigs XIV.

Szene 6

Liselotte spielt in einem mit dunklem Holz getäfelten Raum mit Prinz Wilhelm (ihrem Cousin). Liselotte fragt dann plötzlich den Prinzen: „Dites moi, je vous prie, qu’est cette femme qui a un si furieux nes? [Sagt mir, ich bitte Euch, wer ist diese Dame, die eine so fürchterliche Nase hat?]“ Wilhelm lacht und antwortet: „C’est la Princesse roiale, ma mere. [Das ist die Princesse Royale, meine Mutter].“ Da erschrickt Liselotte und schweigt. Wilhelm umschlingt Liselotte, und beide rollen auf dem türkischen Teppich herum, auf dem sie sich befinden. Liselottes Großmutter („The „Winter Queen“) öffnet vorsichtig, einen Spalt weit, die Tür und blickt voll Stolz auf ihre Enkelin.

Im März 1660 verlässt Liselotte mit ihrer Entourage Den Haag und begibt sich zurück nach Hannover. Die Übernachtung auf einem Gutshof in Cloppenburg, im Großherzogtum Oldenburg, wird allerdings zu einem Abenteuer. Nachts bricht in den Stallungen plötzlich ein Feuer aus, das innerhalb kürzester Zeit auch das Wohngebäude erfasst.

Szene 7

Der Page von Ohr stürmt in das Schlafgemach Liselottes, reißt sie aus dem Bett, nimmt sie auf den Arm und rennt mit ihr hinaus, während auf dem Flur die Flammen bereits durch den Fußboden und aus den Fenstern schlagen. Auf dem Weg nach draußen begegnen ihnen Pagen, die, mit Silbergeschirr und Kleidern beladen, ins Freie eilen. Ein älterer Mann versucht, mit Bier zu löschen.

Anfang Juli 1663 trifft Liselotte, begleitet von ihrer neuen Erzieherin, Madame Trelon, wieder in Heidelberg ein. Von klein auf liebt sie „Specksalat“ (Kraut mit Speck) und lässt sich manches Mal mitten in der Nacht von einer ihrer Kammerzofen große Teller Kraut mit Speck bringen – trotz aller Verbote ihrer Jungfer Kolb.

Szene 8

Liselotte (11 Jahre alt) wird eines Abends von der Jungfer Kolb zu Bett gebracht. Kaum hat die Kolb die Schlafkammer verlassen, öffnet eine Kammerzofe die Tür und stellt einen Silberteller mit Specksalat auf die Türschwelle. Liselotte springt aus ihrem Bett, packt den Teller und beginnt sofort, Kraut in sich hinein zu stopfen. Sie hat kaum „3

gutte maul voll geschluckt“, als sie draußen auf der hölzernen Stiege Schritte hört. Aus Furcht, ertappt zu werden, wirft sie den vollen Teller mitsamt Serviette aus dem Fenster („... werfe mein serviet mitt sambt dem silbern theller mitt salat zum fenster `nauß...“). Liselotte hat nun nichts mehr, um sich den Mund abzuwischen. („...hatte also nichts mehr, das maul abzuwischen.“) Da geht auch schon die Tür auf und der Kurfürst („...der Churfürst unßer papa...“) betritt die Kammer. Der Vater sieht Liselotte mit dem „fetten maul und kinn“ und sagt: „Sacrement, Liselotte, ich glaub, ihr schmirt euch etwaß auff den gesicht.“ Worauf Liselotte antwortet: “Es ist nur mundpomade, die ich wegen der gespaltenen leffzen (Lippen) geschmirt habe“. Ihr Vater sagt darauf: „ihr seyd schmutzig.“ Liselotte beginnt zu lachen, was den Vater sehr erbost. Er weist sie augenblicklich zurecht: „Seid ihr närrisch geworden, so zu lachen, Kindt.“ Kurz darauf betritt auch Liselottes Stiefmutter, die Raugräfin, die Kammer und äußert an den Kurfürsten gewandt: „ah, wie richts in der cammer nach specksalat.“ Da bemerkt der Kurfürst „den possen“ und sagt: „Das ist denn euer mundtpomade, Liselotte.“ Liselotte gesteht „Ja, so ist’s“, und der Kurfürst beginnt zu lachen.

Ab Mitte der 1660er Jahre macht man sich in zunehmendem Maß Gedanken über eine Vermählung Liselottes.

Am 30. Juni 1670 stirbt Madame, Henriette von England, Herzogin von Orléans und Gemahlin Monsieurs, des einzigen Bruders Ludwigs XIV. in Saint Cloud (wohl an den Folgen von Gift, das man ihrem Getränk beigemischt hat). Dieses Ereignis und die sich daraus ergebenden Konsequenzen bringen einen Briefwechsel in französischer Sprache zwischen der pfälzischen Prinzessin Anna Gonzaga und ihrem Schwager Karl Ludwig (Liselottes Vater) in Gang. Man beginnt allmählich zu überlegen, dass Monsieur eine gute Partie sei. Karl Ludwig von der Pfalz ist bald davon überzeugt, mit dieser Verbindung ein rentables Geschäft für sein Haus zu machen. Das einzige Problem ist die Religion, doch Liselotte wird schließlich zum katholischen Glauben konvertieren. Mitte Oktober 1671 bricht Liselotte todtraurig von Heidelberg auf, um in Metz Monsieur, ihren zukünftigen Gemahl, anzutreffen. Ihr Vater, ihre Tante, sowie der Bruder und Halbbruder begleiten sie bis Straßburg.

Szene 9

Liselotte, ihr Vater, ihre Tante Sophie, ihr Bruder Karl, ihr Halbbruder Karllutz (13 Jahre) und ihre Gouvernante besteigen im Hof des Heidelberger Schlosses die Kutschen. Der Abschied ist schmerzlich und es fließen Tränen in Strömen. Um die Traurigkeit zu vertreiben, stimmen Karl Ludwig und Sophie in der Kutsche ein altes Lied aus ihrer Jugendzeit an: „Live, live min, nuen meutten wey nun scheyden, scheyden, bitteres scheyden ist denn Todt.“

Die Kutschen fahren langsam Richtung Süden, über Wiesloch, Bruchsal, Karlsruhe und Rastatt. Bei Kehl überqueren sie den Rhein. In Straßburg steigen die Reisenden im Gasthof „Zum Ochsen“ ab. Hier nimmt Liselotte von ihrer Familie Abschied. Eine Kutsche bringt sie nach Châlons, wo sie Monsieur erstmalig begegnen wird. In Metz macht man Halt, bekehrt die zukünftige Madame zum katholischen Glauben und verheiratet sie, stellvertretend und im Namen von Monsieur, mit dem Herzog von Plessis-Praslin, Marschall und ehemals Erzieher Monsieurs. Unterdessen nähert sich Monsieur der neuen Herzogin von Orléans in seiner Karosse.

Szene 10

Monsieur, Philippe Herzog von Orléans, prachtvoll gekleidet und mit einer großen schwarzen Perücke (mit zahlreichen Bändern geschmückt) auf seinem Haupt, sitzt in einer Prachtkarosse und rollt inmitten von Beifallsrufen, Ehrensalven, Feuerwerken sowie Trompeten- und Fanfarenklängen der neuen Madame entgegen. Die Angehörigen seines Hofstaats tragen aufwendige Livreen und umringen die Kutsche zu Pferde und zu Fuß.

Am 20. November 1671 findet die erste Begegnung beider, begleitet von ihrem Gefolge, zwischen Châlons und Tilloy-en-Bellay statt.

Szene 11

Monsieur und Madame steigen aus ihren Kutschen und erweisen einander ihre Reverenz, wobei Anna Gonzaga (aus dem Gefolge Madames) die Vorstellung übernimmt. Die neue Herzogin von Orléans errötet, als sie Monsieur (12 Jahre älter als Madame) erblickt. Ein kleiner, aufgetakelter Mann auf hohen Absätzen in einer Wolke von Parfüm steht vor ihr. Er trägt ein von Edelsteinen glitzerndes Gewand, eine große schwarze Perücke, die über und über mit Bändern geschmückt ist und auf seinen Wangen befindet sich Rouge. Hinter Monsieur und Madame haben ihre Entourage (Teile ihres Hofstaates) Aufstellung genommen. Monsieur wendet sich angesichts Liselottes zu seinen Höflingen um und sagt mit hochgezogenen Augenbrauen halblaut zu ihnen: „Oh! Wie kann ich mit der schlafen?“ Die Favoriten Monsieurs kichern leise.

Louis de Rouvroy, Duc de Saint-Simon, zeichnet folgendes Bild Monsieurs:

„Monsieur war ein kleiner, beleibter Mann, der wie auf Stelzen einherging, so hoch waren die Absätze seiner Schuhe, stets war er mit Schmuck behangen wie eine Frau, mit zahllosen Ringen, Armbändern mit funkelnden, kostbaren Edelsteinen, dazu eine lange schwarze, breit herabfallende, gepuderte Perücke und überall Bänder und Schleifen. Eine Wolke verschiedenster Wohlgerüche umgab ihn, er war stets in jeder Weise sorgsamst gepflegt. Man sagte ihm sogar nach, daß er heimlich Rouge auflege. Seine Nase war sehr lang, der Mund und die Augen schön, das Gesicht voll, aber ebenfalls sehr lang.“ (zit. nach Saint-Simon, Memoiren, M I, S.286 f.)

Die Flitterwochen verbringt das Paar in Villers-Cotterêts, einem Schloss, das Teil der Apanage Monsieurs ist. Die Festlichkeiten, die hier nun stattfinden, machen dem Ruf Monsieurs alle Ehre.

Szene 12

Bei einem der Bankette, in einem mit dunklem Holz getäfelten und mit Blumengirlanden geschmückten Saal in Villers-Cotterêts, servieren in Silber gekleidete Nereiden und Liebesgötter den frisch Vermählten Desserts, wobei Monsieur ganz versessen auf die Konfitüre ist. Der Saal ist von sanftem Kerzenschein erhellt.

Wenig später wird Madame ihrem königlichen Schwager in Villers-Cotterêts zum ersten Mal begegnen. Beide verstehen sich auf Anhieb ausgezeichnet. Bald darauf besucht Madame Saint-Cloud und das Palais-Royal, die zwei wichtigsten Residenzen Monsieurs. Dort wird sie den Hofdamen und Edelleuten seines Gefolges vorgestellt.

Bald, am Anfang ihrer Ehe, wird Madame Zeugin eines eigenartigen nächtlichen Gebarens ihres Gatten.

Szene 13

Monsieur begibt sich, wie immer, mit einem Rosenkranz (mit vielen Medaillen behängt) ins Bett, den er anbetet, ehe er einschläft. Nach Beendigung seines Gebets wundert sich Madame, die neben ihm liegt, über deutlich hörbares, plötzliches Gerassel. Monsieur führt den Rosenkranz unter der Decke herum. Madame spricht Monsieur mit folgenden Worten darauf an: „Dieu me le pardonne, mais je soupconne que Vous faites promener vos réliques et vos images de la Vierge dans un Pays qui lui est inconnù [Gott möge mir verzeihen, aber ich glaube, Ihr führt Eure Reliquien und Marienbildchen in einem Land spazieren, das ihnen unbekannt ist].“ Monsieur antwortet: „Taisés Vous, dormés, Vous ne savez ce que Vous dites [Schweigt und schlaft; Ihr wisst nicht, was Ihr da redet]“. Monsieur fügt lachend hinzu: „Vous, qui avez été Huguenotte, Vous ne savez pas le pouvoir des réliques et des images de la sainte Vierge. Elles garantissent de tout mal les parties qu’on en frotte [Ihr als ehemalige Hugenottin wisst nichts von der Macht der Reliquien und Marienbilder. Sie bewahren die Körperteile, über die man damit reibt, vor allem Übel].“ Madame entgegnet: „Je Vous demande Pardon Monsieur mais Vous ne me parsuaderez point, que c’est honorer la Vierge, que de promener son image sur le parties déstinées á òter la virginité [Verzeiht mir, Monsieur, aber Ihr könnt mir nicht weismachen, dass man die Jungfrau dadurch ehrt, dass man mit ihrem Bild über die Körperteile streicht, die dazu bestimmt sind, die Jungfräulichkeit zu rauben].“ Monsieur, immer noch lachend, sagt zu Madame: „Je Vous pries ne le dites à personne [Ich bitte Euch, erzählt niemandem etwas davon].“

Madame begleitet Ludwig XIV. oftmals zum Reiten oder auch auf die Jagd. Der König ist hocherfreut, eine so gesunde und sportliche Frau in seiner Familie zu haben, die seine Leidenschaft für Pferde, Hunde, für Wälder und die Jagd teilt.

Bei einem Jagdunfall in den Wäldern von Fontainebleau im Verlauf des Jahres 1676 wird allen Höflingen deutlich, wie sehr der König seine Schwägerin schätzt.

Szene 14

Ludwig XIV., Madame und einige Höflinge reiten, nachdem schon ein Hase erlegt worden ist, gemächlich über eine Lichtung. Madames Rock sitzt nicht und sie will ihn richten. In dem Moment, in dem sie sich in ihrem Sattel erhebt, rast ein Hase aus dem Gebüsch. Die Jagdgesellschaft nimmt sofort die Verfolgung auf – auch Madames Pferd schießt los. Es dauert nicht lange und Madame fällt aus ihrem Sattel in das Gras. Der König eilt seiner Schwägerin sofort zur Hilfe – ganz bleich vor Schreck (...bleich wie der todt...). Madame ruft aus: „Hab mir gar kein wehe gethan undt bin nicht auff den Kopff gefallen.“ Der König steigt vom Pferd und betastet sofort den Kopf von Madame. Madame sagt: „Sire, bin auffs wenigst nicht taumblich.“ Ludwig XIV. ist sichtlich erleichtert und hilft Madame auf. Schnell sitzt sie wieder hoch zu Pferde, und umgeben von einer Hundemeute begeben sich Madame und der König zum Rest der Jagdgesellschaft.

Madame trägt, und zwar nicht nur bei der Jagd, oftmals eine große Herrenperücke, darüber einen Dreispitz. Die übrige Gewandung besteht aus einem Jackett mit langen Schößen, unter dem eine Art Weste zu sehen ist, und einem Rock mit Schleppe.

Aus dieser Leidenschaft für die Jagd entwickelt sich zwischen Ludwig XIV. und seiner Schwägerin eine herzliche Freundschaft. Madame bewundert dessen Geschick als Jäger sowie seine Unerschrockenheit. Ludwig XIV. wiederum schätzt Madame aufgrund ihres aufgeschlossenen Wesens. Sie ist lustig, ihre ungenierten, von gesundem Menschenverstand geprägten Äußerungen amüsieren ihn. Madame schreibt über diese Zuneigung an ihre Tante, Sophie von Hannover, im Jahre 1678 folgendes: „In dießem augenblick gehe ich mitt unßerm König spatziren reitten; er ist ein warlich gutter braffer herr, ich hab ihn recht lieb ...“

Auch Monsieur weiß die Fröhlichkeit seiner Gemahlin zu schätzen, die ihm in zweieinhalb Jahren Ehe zwei gesunde Söhne geschenkt hat. So ist seine Sorge groß, als Madame im März 1675 schwer erkrankt und vor allem aufgrund der Unfähigkeit der Ärzte beinahe ihr Leben lassen muss. Eine Reihe heftiger Fieberanfälle hat Madame außer Gefecht gesetzt. Ihre und Monsieurs Ärzte wissen keinen Rat mehr, nachdem sie

Madame mit zahlreichen Aderlässen und Klistieren an den Rand des Todes gebracht haben. Aus diesem Grund wird ein Scharlatan aus Deutschland herbei geholt, der sich als Arzt des Bischofs von Straßburg ausgibt.

Szene 15

Der Scharlatan steht an Madames Bett und flößt ihr eine auf einem Esslöffel befindliche „Droge“ ein. Monsieur befindet sich an der anderen Seite des Betts, blickt Madame besorgt an und spricht zu ihr: „Oh, Madame, Ihr seid voll des Fiebers. Möget Ihr Euch bessern.“ Die Wirkung der „Droge“ ist entsetzlich. Madame bekommt einen Hustenanfall, einen Schweißausbruch und schnappt nach Luft. Der Arzt des Bischofs von Straßburg möchte ihr noch eine Dosis verabreichen, doch Monsieur entreißt ihm den Löffel und schleudert ihn auf den Boden. Die dritte Dosis, die sich in einem kleinen Fläschchen auf der Kommode neben Madames Bett befindet, wirft Monsieur augenblicklich ins Feuer des Kamins. Den Scharlatan entlässt Monsieur mit den Worten: „Hinfort mit ihm. Er ist ein schauderhafter Quacksalber.“ Kurz darauf betritt ein Priester den Raum, gibt Madame die heilige Kommunion und die letzte Ölung.

Noch am selben Abend geht es Madame aber wieder etwas besser. Ihre robuste Konstitution siegt schließlich über die Unfähigkeit der Ärzte.

Monsieur wird sich wenig später Lorbeeren auf dem Schlachtfeld verdienen. Im März 1677 nimmt er an der Belagerung von Valenciennes teil, das am 17. März kapituliert. Am 2. April beginnt er mit einem relativ großen Heer die Belagerung von Saint-Omer. Als man ihm meldet, dass der Prinz von Oranien sich mit mehr als 30.000 Mann auf dem Anmarsch befindet, um die Stadt zu entsetzen, beauftragt er einen seiner Generalleutnants mit der Belagerung und bricht mit dem Gros seiner Bataillone auf, um sich dem Gegner zu stellen. Die beiden Heere stehen sich bei dem Berg Cassel gegenüber, und am 11. April entbrennt eine erbitterte Schlacht.

Szene 16

Monsieur lässt sich in seinem Zelt von einem Pagen einen Spiegel vorhalten, damit er sich die Perücke zurecht rücken kann, während draußen bereits die Schlacht beginnt. Er klopft dem Pagen auf die Schulter und plappert vor sich hin: „Ich erwarte, wie Ihr Euch wohl denken könnt, mit brennender Ungeduld den Sieg.“

Szene 17

Daraufhin eilt er hinaus, besteigt sein Pferd, das ein junger Offizier ruhig hält und begibt sich in das Zentrum seiner Truppen, das er befehligt. Die Marschälle Luxembourg und d’Humières befehligen den linken und den rechten Flügel. Monsieurs Brustpanzer wird von etlichen Kugeln gestreift und das Pferd unter ihm angeschossen. Dem Chevalier de Lorraine an seiner Seite wird die Krempe seines Hutes weggerissen, und er selber an der Schläfe verletzt. Nach mehrstündigem erbittertem Kampf tritt der Feind den Rückzug an. Auf dem Schlachtfeld bleiben 6000 Tote und 3000 Verletzte sowie Waffen und Munition im Überfluss, 60 Fahnen, Feldzeichen und Standarten zurück.

Kaum ist Monsieur im Juni 1678 aus dem Feld zurückgekehrt (Krieg zwischen Frankreich und Spanien, der mit dem Frieden von Nimwegen beigelegt wird), widmet er sich gänzlich der Vollendung des neuen Schlosses von Saint-Cloud. Obwohl die Arbeiten noch nicht gänzlich abgeschlossen sind, möchte Monsieur die Einweihung nicht länger hinauszögern und gibt für den König und die Königin am 10. Oktober 1678 ein Fest.

Szene 18

Am Nachmittag des 10. Oktober fahren die Kutschen des Königs, der Königin, des Dauphins, der Grande Mademoiselle, der Condés und der Contis in den Ehrenhof ein, der noch nicht ganz aufgeräumt ist. Einige Steine, Leitern und Sandhaufen sind noch zu sehen. Etliche Fontänen und Wasserspiele können von den Besuchern bestaunt werden. Die Pracht von Saint-Cloud ist eher elegant als überwältigend. Der König und die Entourage entsteigen den Kutschen. Monsieur begrüßt, begleitet von Madame, seinen königlichen Bruder und den übrigen Teil der Familie. Noch im Ehrenhof stehend lobt der König mit folgenden Worten Monsieurs Palast: „Welch ein köstliches Haus, welch perfekte Allegorie für einen Sohn Frankreichs.“

Szene 19

Im Inneren des Schlosses, in der Apollo-Galerie, sieht sich der König mit Kennermiene alles sehr genau an und wendet sich schließlich zu Madame um, die auf sein Urteil wartet: „Ich hoffe sehr, Madame, dass die Gemälde in meiner Versailler Galerie an die Schönheit dieser hier heranreichen.“ Dieses Lob verdüstert für einen Augenblick das Gesicht Monsieurs, der sehr wohl weiß, dass sein Bruder es gar nicht schätzt, wenn irgend jemand ihn in irgendeiner Weise übertrifft.

Szene 20

Der König nimmt an einem Spieltisch in der Apollo-Galerie Platz, als er den Maler Mignard erblickt (der die ganze Zeit da gewesen war, sich aber nicht hatte blicken lassen). Ludwig XIV. winkt ihn zu sich und lobt sein Werk: „Ihr habt wahrhaft Großes vollbracht, ein durch und durch vollendetes Werk.“ Mignard verneigt sich vor dem König. Ludwig fügt in herzlichem Ton hinzu: „Mignard, mein Bruder hat Euch sicherlich gesagt, wie sehr mich Euer Missgeschick betrübt hat und wie oft ich ihn gefragt habe, wie es Euch geht.“ (Entschlüsselt lautet diese Botschaft: „Colbert hatte Unrecht, als er Euch abriet, für mich zu arbeiten; kommt mich doch demnächst in Versailles besuchen.“) Mignard strahlt und dankt dem König mit einer Verbeugung. Jedermann im Raum hat verstanden, dass sein Talent soeben anerkannt worden war.

Saint-Cloud ist Madames bevorzugter Aufenthaltsort. Sie liebt vor allem die Lage des Schlosses, das über der Seine aufragt. Diese Flusslandschaft erinnert sie sehr an die Gegend um Heidelberg. Madame bewohnt die erste Etage des linken Mansard-Flügels; die aus vier Räumen bestehende Zimmerflucht liegt an der äußeren Fassade mit Blick auf die Gärten. Die Räume sind alle mit Gemälden und Fresken von Nocret geschmückt.

Auf dem Kaminsims ihres Schlafgemachs stehen eine Pendeluhr von Oury und Vasen aus blauem Porzellan. Darüber hängt ein Bild von Nocret („Der ruhende Krieger“), das Monsieur als Mars verkleidet in den Armen von Venus darstellt. Ein großes Kruzifix aus vergoldeter Bronze sowie Spiegel mit Aufsätzen hängen an den mit indischen Brokat-Seidenblüten auf Goldgrund bespannten Wänden. Das Bett und die Armsessel sind mit dem gleichen Stoff bezogen. Ein Bücherschrank in Boulle Manier steht in einer Ecke des Raumes.

Von diesem Raum gelangt man in das Kabinett Madames, in dem sie ihre Tage mit dem Schreiben von Briefen verbringt. Ihr Kabinett hat drei Fenstertüren, die auf einen vorspringenden Balkon führen. Die Wände des Raumes sind mit karmesinrotem Damast bespannt. Spiegel, Landschaftsbilder, Portraits der pfälzischen Kurfürsten und gerahmte Stiche sind über den ganzen Raum verteilt. Auf dem Kaminsims gegenüber den Türen zum Balkon steht eine deutsche Pendeluhr, die Madame oft in ihren Briefen erwähnt („meine Uhr schlägt elf, ich muß Euch verlassen ...“). Sessel aus vergoldetem Holz, kleine runde Tische auf einem Bein aus Edelhölzern, ein Schreibtisch mit Einlegearbeit (Boulle Technik) und den Füßen einer Hirschkuh (inklusive darauf befindlicher Schreibgarnitur) vervollständigen die Einrichtung. Von Briefen überquellende Schatullen und ein Münzschrank (mit 27 Fächern), der nach 1701 aufgestellt wird, verleihen dem Ganzen eine persönliche Note.

Madame hält sich gerne hier auf, umgeben von ihren Lieblingshunden, fernab den Zwängen des Hofes. Das Kabinett in Saint-Cloud taucht oft in ihrer Korrespondenz auf. So schreibt Elisabeth-Charlotte im Juni 1698 aus Saint-Cloud an Louise: „Hir ahn dießem großen hoff habe ich mich schirr zum eynsidtler gemacht und es seindt gar wenig leütte hir im landt, mitt welchen ich offt umbgehe, bin auch gantze lange tage gantz allein in meinem cabinet, worinen ich mich mitt leßen undt schreiben occupire ...“

Die Kabinette in Saint-Cloud, im Palais-Royal und in Versailles sind ihre bevorzugten Aufenthaltsorte. Zwischen 1701 (dem Todesjahr Monsieur’s) und 1715 (dem Beginn der Régence) hält sie sich nicht in Saint-Cloud auf, wohl um ihren Sohn und ihre Schwiegertochter nicht zu stören. Erst wieder ab 1716 verbringt sie dort jeweils sieben Monate im Jahr, von Ende April bis Anfang Dezember.

Herzogin Sophie von Hannover, auch genannt „Frau von Osnabrück“, Liselottes Tante und Empfängerin zahlreicher Briefe, hält sich zusammen mit ihrer Tochter im Jahre 1679 für einige Zeit am französischen Hof auf. Ende Juni 1679 gibt Ludwig XIV. die Verlobung von Monsieur’s Tochter, Marie-Louise, mit König Karl II. von Spanien bekannt. Am 30. August, dem Vorabend der Hochzeit, macht sich Sophie (zusammen mit Ihrer Tochter Sophie Charlotte) auf den Weg nach Fontainebleau, um dort mit Madame und Monsieur zusammen zu treffen. Am gleichen Abend, kurz bevor sie zu

Bett gehen, sucht sie Madame, ohne Vorankündigung, in ihrem Schlafgemach auf. Hier wird sie Zeugin folgender Szene:

Szene 21

Sophie betritt den Raum und sieht Madame im Schlafrock auf dem Bett sitzen. Madame kommt ihr sofort entgegen und begrüßt sie herzlich. Monsieur, ebenso im Schlafrock sowie mit einer Nachtmütze bekleidet, die mit einem roten Band um seinen Kopf befestigt ist, steht an einem in Gold gefassten Tisch und ordnet Juwelen für Madame, für sich und für seine beiden Töchter. Er schämt sich sehr, sich in diesem Aufzug vor Sophie zu zeigen und dreht immer den Kopf zur anderen Seite (weg von Sophie). Sophie bemerkt dies, schmunzelt, nimmt ihm „das Licht“ [Kerzenhalter] aus der Hand und hilft Monsieur beim Sortieren seiner Juwelen, worüber er sich freut. „Seht nur, sind sie nicht wundervoll?“ Sophie entgegnet: „Ich kann Eure Juwelen nicht betrachten vor Vergnügen, sie ansehen zu können.“

Das Verhältnis zwischen Monsieur und Sophie blieb stets hervorragend.

Im darauf folgenden Jahr, Sommer 1680, geht das Leben des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz (Liselottes Vater) dem Ende entgegen. Nach einem ersten Schlaganfall beschließt er, am 28. August 1680 von Friedrichsburg bei Mannheim nach Heidelberg zurück zu kehren.

Szene 22

Einige Beamte und Offiziere, Fräulein von Berau, die Raugräfinnen Caroline, Louise, Anneliese und Raugraf Karl Eduard sowie der jüdische Arzt umringen die Sänfte, in der Kurfürst Karl Ludwig transportiert wird. Gierig saugt Karl Ludwig die frische Luft ein und bewundert ein letztes Mal die Landschaft des Neckartals. Verächtlich spricht er zu sich selbst: „Ungeachtet der Diät, die ich einhalte, werden bald meine Beine meinem Bauch in den Sarg nachfolgen“.

Szene 23

Ein zweiter Schlaganfall zwingt den Zug, (zwischen den Dörfern Seckenheim und Edingen) halt zu machen. Der im Todeskampf Liegende wird in einem Garten unter einem Nussbaum gebettet. Sein Arzt tut alles, was in seiner Macht steht und geht sogar so weit, dem Kurfürsten auf den Kopf und auf das Herz blutende Taubenteile aufzulegen – doch vergebens. Die letzten Blicke Karl Ludwigs folgen den Vögeln, die unablässig über den Dächern des in der Ferne liegenden Heidelberger Schlosses kreisen. Im Licht der untergehenden Sonne färbt der rosafarbene Sandstein sich allmählich rot. Gegen 5 Uhr nachmittags entschläft der Kurfürst.

Madame wird die Nachricht vom Tode ihres Vaters durch den pfälzischen Gesandten in Paris, den Baron Gecks, am 12. September überbracht. Madame de Sévigné beschreibt den erbarmenswerten Zustand Liselottes in einem Brief an ihre Tochter: „... und da saß Madame und weinte und schrie und gab ein merkwürdiges Geräusch von sich.“

Seit September 1680 ist Elisabeth-Charlotte wohl heftigen emotionalen Erschütterungen ausgeliefert, hin und her gerissen zwischen ihrer Verehrung für den König und der liebevollen Erinnerung an ihren Vater, der ihrer Meinung nach ein Opfer der territorialen Gelüste Ludwigs XIV., die Pfalz betreffend, war. Diese Stimmungsschwankungen und Nervenkrisen machen sie in besonderem Maße verletzlich für die Angriffe ihrer Gegner. Der Lieblingsgünstling Monsieurs, der Chevalier de Lorraine, beginnt zu jener Zeit, die Zuneigung und Achtung des Herzogs von Orléans für Madame zu mindern. Zu diesem Zweck sät er Zwietracht, setzt Kabalen und Intrigen bei den Domestiken und Lakaien des einen oder des anderen von beiden in Gang. Man macht sich über Madame lustig, indem man über ihre einfache Kleidung, ihr rotes Gesicht, ihren Akzent lästert. Es hat den Anschein, dass auch Monsieur in das höhnische Gelächter der anderen einstimmt. Madame fühlt sich aufgrund dieser Intrigen in zunehmendem Maße isoliert, unverstanden und ungerecht behandelt.

Szene 24

Madame betritt den Salon Monsieurs in Saint-Cloud (dieser sitzt umringt von drei jungen Favoriten an seinem „Bureau Mazarin“), und hält ihm erzürnt vor: „Monsieur, Ihr habt nichts in der Welt im Kopff alß Eure junge Kerls, umb da gantze nächte mitt zu freßen, zu sauffen, undt ihnen unerhörte Summen gelts zu geben, nichts kost Euch noch ist zu thewer vor die bursch; unterdeßen haben Eure Kinder undt ich kaum was unß nöthig ist.“ Monsieur blickt Madame erstaunt an, die drei tuscheln. Monsieur entgegnet: „Aber Madame, was ist in Euch gefahren?“ und fügt hinzu: „Ah, wie ungesellig Ihr seid!“. Madame (mit rotem Kopf) fährt fort in ihren Vorhaltungen: „Monsieur, Ihr erniedrigt Euch vor Euren Günstlingen und laßt Euch von ihnen eine Behandlung gefallen, die eine käufliche Dirne niemals hinnehmen würde.“ Monsieur, nun mittlerweile selbst zornig, fährt Madame an: „Madame, ich könnte Sie – das darf ich ruhig eingestehen – hier splitternackt vor mir sehen und würde nicht von Lüsten übermannt!“ Die „Favoriten“, hinter dem Stuhl Monsieurs stehend, kichern und glucksen. Madame antwortet erbost: „Undt im übrigen werde ich es machen wie das sprichwort hir in Franckreich – comme le perroquet de mr. de Savoye, il n’en dissoit mot, mais il n’en pensoit pas moins [Wie der Papagei des Herzogs von Savoyen sagte er dazu kein Wort, aber er dachte sich trotzdem seinen Teil].“ Madame verlässt den Raum.

Im Juni des Jahres 1682 sieht sich Ludwig XIV. gezwungen, mit aller Strenge gegen seinen Sohn Vermandois und die Anhänger der „italienischen Bruderschaft“ (Anhänger der Sodomie) vorzugehen. Elisabeth-Charlotte legt während der Festlichkeiten in einem der Salons in Versailles aus Anlass der Geburt des Herzogs von Burgund, des ältesten Sohnes des Dauphins, bei Ludwig XIV. ein gutes Wort für Vermandois ein.

Szene 25

„Seid nicht zu streng zu Eurem Sohn, Sire.“ Lachend erwidert der König: „Vous étes bonne amie, mais pour Mr. de Vermandois, il n’a pas encore été assés puni pour ses crimes [Ihr seid eine gute Freundin, aber was M. de Vermandois angeht, so ist er für seine Verbrechen noch nicht genügend bestraft worden].“ Madame antwortet: „Le pauvre garcon est si repentant de ses fautes [Der arme Junge bereut seine Verfehlungen so sehr].“ Der König sagt: „Je ne me sens pas encore en disposition de pouvoir le voir, je suis encore trop en colère contre lui [Ich sehe mich noch nicht in der Lage, ihn zu empfangen, ich bin noch zu erzürnt über ihn].“Der König und Madame verlassen Seite an Seite schweigend den Salon.

Durch die fortdauernden Intrigen (von Seiten der Günstlinge Monsieurs) zutiefst gekränkt, bittet Madame den König um die Erlaubnis, den Hof verlassen und sich zu ihrer Tante in das Kloster von Maubuisson zurückziehen zu dürfen.

Szene 26

Während eines Spaziergangs mit dem König in den Heckengärten von Versailles spricht Madame zum König: „Sire, mögt Ihr mir wohl gewähren, mich nach Maubuisson zu begeben?“ Ludwig XIV. erwidert hierauf: „Wenn dies wirklich Eure Absicht ist, dann werden wir ein andermal darüber sprechen.“ Elisabeth-Charlotte beharrt auf ihrem Entschluss: „Sire, mein Beschluss ist bereits gefasst.“ Der König sieht sich nun gezwungen, ihr zu sagen: „Nun gut, Madame, da ich sehe, dass Ihr wirklich die Absicht habt, nach Maubuisson zu gehen, werde ich offen mit Euch sprechen: Schlagt Euch das aus dem Kopf, denn solange ich lebe, werde ich meine Einwilligung dazu nicht geben und mich dem mit aller Macht widersetzen. Ihr seid Madame und verpflichtet, diese Stellung zu halten. Ihr seid meine Schwägerin und die Freundschaft, die ich für Euch empfinde, gestattet mir nicht, Euch für immer weggehen zu lassen. Ihr seid die Frau meines Bruders, also werde ich nicht zulassen, dass Ihr derartiges Aufsehen erregt, das ihm in den Augen der Welt sehr schaden würde.“ Der König fährt fort: „Ich will Euch nichts vormachen, Madame, bei diesem ganzen Streit, den Ihr mit meinem Bruder haben mögt: Wenn es darum geht, ob er oder Sie, dann werde ich für ihn sein; geht es jedoch um andere Leute oder Sie, dann werde ich für Euch sein.“ Madame nickt mit dem Kopf und man setzt den Spaziergang fort.

Es ist Elisabeth-Charlotte wohl sehr schwer gefallen, sich zu fügen. Bei einem Souper in Saint-Cloud, kurze Zeit nach dem Gespräch mit dem König, weigert sich Madame, mit Monsieur zu speisen. Monsieur sieht sich gezwungen, seinen Bruder anzuflehen, Madame zu besänftigen und so den Frieden in seinem Haus wieder herzustellen. Der König lässt beide nach Versailles kommen und sucht sie (Ende August 1682) in ihren aneinander grenzenden Räumen auf, die sie in der ersten Etage des Haupttraktes des Schlosses bewohnen und deren Fenster auf die Blumenrabatten (Monsieurs Zimmer) und auf das Wasserbecken (Madames Zimmer) des Parks hinausgehen.

Szene 27

Gegen Abend führt der König Monsieur zu Madame, die in ihrem Zimmer sitzt und schmollt. Leise und zurückhaltend betreten beide den Salon, der von der Augustsonne, die gerade über dem Großen Kanal untergeht, in goldenes Licht getaucht ist. Madame erhebt sich von ihrem Bureau (sogen. „Bureau Mazarin“) und bleibt neben dem Stuhl stehen. Noch während Ludwig XIV. und Monsieur auf sie zukommen, richtet der König das Wort an Elisabeth-Charlotte: „Ce que je vous recommande c’est de ne faire guere d’eclaircissement, car cela ne sert que d’aigrir les esprits; pour ce qui est des sottises qu’on a ditte, tenés, mon frere, je suis assés mal pensant, mais j’ay veu cela de pres, je metteray tout presentement ma main au feu, que Madame en est tout à fait nette et inocente [Ich empfehle Euch, dass Ihr Euch gar nicht um Aufklärung der Sache bemüht, denn das würde die Leute nur verbittern. Und was die Torheiten angeht, die geäußert worden sind, so lasst Euch dies gesagt sein, mein Bruder: Ich kann mir genügend schlimme Dinge vorstellen, aber diese Angelegenheit habe ich mir ganz aus der Nähe betrachtet: Ich würde augenblicklich meine Hand dafür ins Feuer legen, dass Madame ganz und gar unschuldig und ohne Tadel ist].“ Vor Madame stehend sagt Monsieur: „Je le croy bien aussi [Das glaube ich auch].“ Daraufhin antwortet der König: „Ambrassons nous donc tous trois [Also wollen wir uns alle drei umarmen].“ So geschieht es denn auch. („... undt so wurde diß accomodement [Ausgleich] gemacht“, wie Liselotte schreibt).

[...]

Fin de l'extrait de 34 pages

Résumé des informations

Titre
Lieselotte von der Pfalz und der Hof von Versailles - "Madame sein ist ein ellendes Handwerck"
Sous-titre
Drehbuch
Auteur
Année
2010
Pages
34
N° de catalogue
V162821
ISBN (ebook)
9783640766871
ISBN (Livre)
9783640766925
Taille d'un fichier
536 KB
Langue
allemand
Annotations
Vorliegendes Szenarium ist als Drehbuch für eine Film- oder Theaterproduktion angelegt. Es war dem Autor wichtig, sich hierbei eng an die überlieferten Quellen zu halten und so eine in sich stimmige Erzählung wesentlicher Ereignisse aus dem Leben Liselottes von der Pfalz zu präsentieren.
Mots clés
Lieselotte, Pfalz, Versailles, Madame, Handwerck, Drehbuch
Citation du texte
Wolf Birkenbihl (Auteur), 2010, Lieselotte von der Pfalz und der Hof von Versailles - "Madame sein ist ein ellendes Handwerck", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162821

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