Das Hauptaugenmerk der Untersuchungen richtet sich auf die Position des türkischen Verfassungsgerichts im Machtkampf der kemalistischen Opposition gegen die Regierungspartei AKP, der entlang der staatsrechtlichen Konfliktlinie ausgetragen wird.
Zunächst erfolgt eine Untersuchung der zentralen Kompetenzen des obersten türkischen Gerichtshofs - hier die abstrakte Normenkontrolle und das Parteiverbot-, durch die es ihm möglich ist, in der politischen Auseinandersetzung Position für die Kemalisten zu ergreifen. Weshalb sich die Richter auf die Seite der Opposition schlagen, ergibt sich aus dem institutionellen Design des Verfassungsgerichts. Nach dem Militärputsch setzte das Militär in der noch heute gültigen Verfassung mit dem Besetzungsverfahren des Gerichtshofs den Grundstein für die ideologische Ausrichtung der türkischen Justiz. Die Generäle konstruierten durch die Bestimmungen der Verfassung eine Principal-Agent-Beziehung zwischen dem Militär und dem Verfassungsgericht und schufen somit ein von demokratischen Kräften beinahe unbeeinflussbares Organ, das das strikte türkische Laizismusprinzip vertritt. Mit anderen Worten dient die Justiz der Sicherung der kemalistischen Interessen auch unter veränderten Verhältnissen einer Annäherung an die Europäische Union.
Deutlich wird die ideologische Position der türkischen Justiz an den spektakulären Verfahren gegen die Regierung im Jahr 2008. Zum einen wird die Aufhebung des Kopftuchverbots an türkischen Universitäten durch die AKP vom obersten Gerichtshof kassiert. Im zweiten Verfahren - dem Verbotsprozess gegen die AKP - wird die Regierungspartei zwar knapp nicht verboten, aber verwarnt, da sie ein Zentrum antilaizistischer Aktivitäten sei.
Durch die Untersuchungen wird deutlich, dass die Justiz im Namen der Sicherung der streng kemalistischen Werte versucht einen politischen Wandel in der Türkei zu verhindern. Dies ist ein wirksames Mittel, eine Liberalsierung und damit den Machtverlust alter kemalistischer Kräfte zu verhindern. Mit Blick auf die Verfassung tritt das türkische Verfassunggericht anders gewendet als Agent der Generäle auf, die unter den heutigen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen in der Türkei nicht mehr gegen die Regierung offen putschen können ohne die Prosperität des Landes zu gefährden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Themenstellung und Problemhintergrund
- Politikwissenschaftliche Relevanz
- Forschungsstand und Quellenlage
- Vorgehensweise
- Die grundlegenden Mechanismen für die Positionierung der Justiz im innenpolitischen Machtkampf
- Die zentralen Kompetenzen des Verfassungsgerichts im Machtkampf zwischen Opposition und Regierung
- Die abstrakte Normenkontrolle
- Das Parteiverbot
- Die Position der türkischen Justiz innerhalb der politischen Ordnung
- Das institutionelle Design des Verfassungsgerichts
- Die Politisierung der Justiz zur Sicherung der kemalistischen Interessen unter veränderten Machtverhältnissen
- Fazit
- Die Position der Justiz im Machtkampf zwischen der kemalistischen Opposition und der Regierungspartei AKP
- Die Debatte um das Kopftuch an türkischen Universitäten
- Aktuelle Entwicklungen
- Die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hinsichtlich der Kopftuchdebatte
- Diskussion der Grundsatzentscheidung zum Kopftuchverbot
- Das Verfassungsgericht als Hüter des türkischen Säkularismus und der kemalistischen Staatsordnung
- Das türkische Laizismusprinzip
- Auswirkungen und Bewertung des autoritären Laizismusverständnisses des Verfassungsgerichts
- Die Normenkontrolle gegen die Legalisierung des Kopftuchs an Universitäten
- Das Urteil des Verfassungsgerichts
- Diskussion der Urteilsbegründungen und Einschätzung deren Folgen für die politische Ordnung
- Das Verbotsverfahren gegen die AKP
- Die Anklage gegen die AKP und ihre führenden Politiker
- Die Entscheidung des Verfassungsgerichts
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Position der türkischen Justiz im Machtkampf zwischen der kemalistischen Opposition und der Regierungspartei AKP. Sie analysiert die Rolle des Verfassungsgerichts als Hüter des türkischen Säkularismus und die Auseinandersetzung um die Integration der AKP in die türkische Politik.
- Die zentrale Rolle des Verfassungsgerichts im Machtkampf
- Die Politisierung der Justiz zur Sicherung der kemalistischen Interessen
- Die Debatte um das Kopftuch an türkischen Universitäten
- Das türkische Laizismusprinzip und seine Interpretation durch das Verfassungsgericht
- Das Verbotsverfahren gegen die AKP
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung skizziert die Problematik der türkischen Innenpolitik, die durch den Machtkampf zwischen der kemalistischen Opposition und der AKP geprägt ist. Kapitel 2 beleuchtet die Mechanismen, die die Position der Justiz im innenpolitischen Machtkampf bestimmen. Es analysiert die Kompetenzen des Verfassungsgerichts, die Politisierung der Justiz und das institutionelle Design des Gerichts. Kapitel 3 befasst sich mit der Position der Justiz im Machtkampf zwischen der kemalistischen Opposition und der AKP. Es untersucht die Debatte um das Kopftuch an türkischen Universitäten, die Rolle des Verfassungsgerichts als Hüter des türkischen Säkularismus und das Verbotsverfahren gegen die AKP.
Schlüsselwörter
Türkische Justiz, Verfassungsgericht, Kemalismus, AKP, Säkularismus, Laizismus, Kopftuchdebatte, Machtkampf, Innenpolitik, politische Ordnung, Rechtsprechung.
- Quote paper
- Christian Kalbfus (Author), 2009, Die Position der türkischen Justiz im Machtkampf der kemalistischen Opposition gegen die Regierungspartei AKP, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162863