Vor einigen Jahren sorgte der gegenwärtige Präsident der Universität Hamburg, Dieter Lenzen, mit seiner Äußerung für einen Eklat, als er behauptete, der Intelligenzquotient türkischer Migranten sei niedriger als der von Deutschen. Dieses sei Ursache für das mäßige Abschneiden der Berliner Schüler in der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment). Lenzen stützte sich hierbei auf eine Studie der Universität Hannover (Kulke 2005). In der Tat schneiden Migrantenkinder in deutschen Schulen durchschnittlich schlechter ab als ihre Mitschüler. Auch quantitative Studien zeigen, dass sie zu großen Teilen weit hinter ihren deutschen Altersgenossen zurückbleiben, was auf Bildungsungleichheiten für Schüler mit Migrationshintergrund schließen lässt. Nur knapp über 40 % von ihnen erreichen einen Hauptschulabschluss, 10 % schaffen das Abitur (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 73, Abb. D7-1). Deutsche Jugendliche hingegen verlassen dreimal so häufig eine allgemeinbildende oder berufliche Schule mit einer Hochschulreife. Jedoch ist die Bildungssituation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund erst dann stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt, als die ersten Ergebnisse der internationalen Schulleistungsvergleichsstudie PISA und das darin sichtbar werdende schlechte Abschneiden der Schüler aus Deutschland veröffentlicht wurden.
Die schulischen Defizite vieler Kinder von Zuwanderern erklären Experten mit der sozialen Herkunft ihrer Eltern, ihrem niedrigen Bildungsstand und ihren geringen Deutschkenntnissen sowie der fehlenden sprachlichen Förderung. Einige Experten, wie Mechthild Gomolla und Frank-Olaf Radtke (2007), hingegen sehen die Ursache für den schulischen Misserfolg der Migrantenkinder nicht allein in diesen Aspekten, sondern stellen auch eine institutionelle Diskriminierung bei der Einschulung und beim Übergang in die Sekundarstufe fest. Doch wie geht man mit dieser prekären Situation um? Einen Lösungsvorschlag machte beispielsweise der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, als er vor zwei Jahren mit seiner Rede in Köln ein großes mediales und politisches Echo auslöste, indem er in Deutschland die Gründung türkischsprachiger Gymnasien und Universitäten forderte, „die in türkischer Sprache unterrichten“ (Focus-online 2008). [...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Wahl des Themas/Ziel der Arbeit
1.2 Aufbau der Arbeit
2 Terminologie
2.1 Migrantenkinder und -jugendliche
2.2 Integration
2.3 Privatschulen/Schulen in freier Trägerschaft
3 Privatschulen
3.1 Träger von Privatschulen
3.2 Geschichte der Privatschulen in Deutschland
3.3 Die Rolle und Funktion von Privatschulen
3.4 Vor- und Nachteile der Privatschulen
4 Ausgangslage: die Situation der Migrantenkinder und -jugendlichen im deutschen Bildungssystem
4.1 Bildungsbeteiligung, schulische Leistungen und Bildungserfolg von Schülern nicht deutscher Herkunft
4.1.1 Bildungsbeteiligung
4.1.2 Schulleistungen
4.1.3 Bildungserfolg
4.2 Erklärungsansätze für das schlechte Abschneiden von Migrantenkindern und - jugendlichen im deutschen Schulsystem
5 Theoretischer Rahmen: das machttheoretische Etablierten-Außenseiter-Modell
5.1 Theorie der Figuration: Etablierte und Außenseiter
5.2 Migrantenfigurationen
6 Fallbeispiel: Privatschulen, von türkischen „Etablierten“ gegründet
6.1 TÜDESB: das Gymnasium und die Realschule in Berlin-Spandau
6.2 Initiatoren/Gründer der Schule
7 Anwendung der Etablierten-Außenseiter-Figuration auf die Gründung der deutschtürkischen Privatschule
7.1 Die Figurationen und die Machtverhältnisse
7.2 Das Modell der Binnenintegration
7.3 Der schulische Erfolg
8 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang 1: Öffentliche Finanzierung von staatlichen und privaten Schulen
Anhang 2: Ablauf des Interviews
Anhang 3: Schulgeld der TÜDESB-Privatschule
1 Einleitung
Vor einigen Jahren sorgte der gegenwärtige Präsident der Universität Hamburg, Dieter Lenzen, mit seiner Äußerung für einen Eklat, als er behauptete, der Intelligenzquotient türkischer Migranten1 sei niedriger als der von Deutschen. Dieses sei Ursache für das mäßige Abschneiden der Berliner Schüler in der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment). Lenzen stützte sich hierbei auf eine Studie der Universität Hannover (Kulke 2005). In der Tat schneiden Migrantenkinder in deutschen Schulen durchschnittlich schlechter ab als ihre Mitschüler. Auch quantitative Studien zeigen, dass sie zu großen Teilen weit hinter ihren deutschen Altersgenossen zurückbleiben, was auf Bildungsungleichheiten für Schüler mit Migrationshintergrund schließen lässt. Nur knapp über 40 % von ihnen erreichen einen Hauptschulabschluss, 10 % schaffen das Abitur (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 73, Abb. D7-1). Deutsche Jugendliche hingegen verlassen dreimal so häufig eine allgemeinbildende oder berufliche Schule mit einer Hochschulreife. Jedoch ist die Bildungssituation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund erst dann stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt, als die ersten Ergebnisse der internationalen Schulleistungsvergleichsstudie PISA und das darin sichtbar werdende schlechte Abschneiden der Schüler aus Deutschland veröffentlicht wurden.
Die schulischen Defizite vieler Kinder von Zuwanderern erklären Experten mit der sozialen Herkunft ihrer Eltern, ihrem niedrigen Bildungsstand und ihren geringen Deutschkenntnissen sowie der fehlenden sprachlichen Förderung. Einige Experten, wie Mechthild Gomolla und Frank-Olaf Radtke (2007), hingegen sehen die Ursache für den schulischen Misserfolg der Migrantenkinder nicht allein in diesen Aspekten, sondern stellen auch eine institutionelle Diskriminierung bei der Einschulung und beim Übergang in die Sekundarstufe fest. Doch wie geht man mit dieser prekären Situation um? Einen Lösungsvorschlag machte beispielsweise der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, als er vor zwei Jahren mit seiner Rede in Köln ein großes mediales und politisches Echo auslöste, indem er in Deutschland die Gründung türkischsprachiger Gymnasien und Universitäten forderte, „die in türkischer Sprache unterrichten“ (Focus-online 2008). Ebenfalls forderte er die in Deutschland lebenden Türken zum Erlernen der deutschen Sprache auf, denn nur so könne man den Kindern gute Startvoraussetzungen für die Schule bieten. Fakt ist, dass es in Deutschland mittlerweile sieben deutsch-türkische Schulen gibt, die aber nicht den Vorstellungen von Herrn Erdogan entsprechen.
Die Verwendung der männlichen und weiblichen Form geschieht in der vorliegenden Arbeit unsystematisch. Wenn es sich nicht um eine konkrete Person handelt, sind auf jeden Fall immer beide Geschlechter gemeint. Dies ]geschieht ausschließlich der besseren Lesbarkeit wegen.
1.1 Wahl des Themas/Ziel der Arbeit
Zum einen haben mich der öffentliche Diskurs bezüglich der Nachteile von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien gegenüber deutschen Kindern im deutschen Schulsystem und der daraus resultierende Bildungsmisserfolg von Migrantenkindern dazu bewogen, die besagte Thematik im Rahmen meiner Bachelorarbeit zu erörtern. Zum anderen habe ich selbst als Person mit Migrationshintergrund und als Nachkomme von sogenannten „Arbeitsmigranten“ ein persönliches Interesse daran, mich intensiv mit derartigen Fragestellungen auseinanderzusetzen, da ich während meiner eigenen Schullaufbahn Erfahrungen gemacht habe, welche mit den oben genannten Ergebnissen der aktuellen empirischen Forschung konvergieren. Ein weiterer Aspekt, der die Wahl meines Bachelor-Themas beeinflusste, war der bereits erwähnte Aufruf des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan. Zu fragen ist, ob „deutsch-türkische“ Schulen, hier Privatschulen durch Elterninitiative gegründet, tatsächlich eine Chance für Kinder nicht deutscher Herkunft darstellen, um der Bildungsmisere zu entgehen. Inwiefern tragen diese Schulen zum schulischen und beruflichen Erfolg der Migrantenkinder und -jugendlichen bei? Welchen Beitrag leisten sie zur gesellschaftlichen Integration? Im Fokus stehen Privatschulen, die in den letzten Jahren einen rasanten Aufschwung erfahren haben. Eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes belegt, dass ihre Zahl seit 2007 um 5 % gestiegen ist (Bildungsklick 2008). Hier sind die Rolle und Funktion der Privatschulen in Deutschland generell darzulegen. Stellen Privatschulen tatsächlich eine Alternative zu staatlichen Schulen dar?
Ziel dieser Arbeit ist zu versuchen, eine Antwort auf die aufgeworfenen Fragen zu finden. In diesem Rahmen wird eine der genannten privaten Einrichtungen (in Berlin), die in türkischer Trägerschaft ist, analysiert. Ein Vergleich unter den Schulen in freier Trägerschaft im Allgemeinen ist in diesem Rahmen leider nicht möglich.
1.2 Aufbau der Arbeit
Im Kapitel 2 werden einige zentrale Begriffe wie „Migrantenkinder und -jugendliche“, „Integration“ und „Privatschulen“ erläutert. In Kapitel 3 werden die Geschichte sowie die Rolle und Funktion der Privatschulen mit ihren Vor- und Nachteilen skizziert. Das Kapitel 4 beleuchtet die Bildungspartizipation der Migrantenkinder im deutschen Schulsystem anhand der Indikatoren Beteiligung, Schulleistungen und -erfolg. Den theoretischen Rahmen bildet die Theorie der Etablierten und Außenseiter von Norbert Elias und John L. Scotson im Kapitel 5, die auf die Gründung der Privatschule „TÜDESB“ übertragen werden soll.
Norbert Elias (1897-1990), der deutsch-jüdische Soziologe, gilt heute als einer der großen Universalisten des 20. Jahrhunderts. Sein Weg in die Soziologie war „langwierig und mühsam, gleichzeitig jedoch sehr zielstrebig“ (Treibel 2008a: 10). Das im englischen Exil ver- fasste und bekannteste Werk Elias' „Über den Pozeß der Zivilisation “ durfte aufgrund seiner jüdischen Herkunft im nationalsozialistischen Deutschland nicht rezipiert werden. Es erweckte zunächst auch im Ausland kein Interesse (Baumgart/Eichener 1997: 22). Erst in seinem letzten Lebensjahrzent erfuhr Elias eine zunehmende Aufmerksamkeit und Billigung, sodass er vom „Außenseiter“ zu einer zentralen Figur in der Öffentlichkeit, der Publizistik und der Wissenschaft wurde. Seine Arbeiten finden heute in zahlreichen Wissenschaftsdisziplinen, wie in der Soziologie, der Psychologie, der Kultur-, Geschichts- und Erziehungswissenschaft, Beachtung (Treibel 2008a).
In Kapitel 6 wird die TÜDESB-Schule anhand von Interviews mit dem Schulleiter der Realschule, der Schulleiterin des Gymnasiums (s. Anhang 2) und einigen Eltern sowie der Schulbroschüre und der Schulwebseite beschrieben. Da die Arbeit rein deskriptiv ist, müssen Elemente der empirischen Sozialforschung unberücksichtigt bleiben. Anschließend wird im Kapitel 7 die Gründung dieser Privatschule am Beispiel des Etablierten-Außenseiter-Modells interpretiert. Darin werden unter anderem Aspekte des schulischen Erfolgs und der gesellschaftlichen Integration sowie die jeweiligen Figurationen im Bildungswesen aufgezeigt. Das Kapitel 8 schließlich dient der Antwort auf die Hauptfragestellung:
„Stellen Privatschulen in türkischer Trägerschaft eine Chance für Kinder und Jugendliche türkischer Herkunft im deutschen Bildungssystem dar, um der Bildungsmisere zu entgehen?“.
2 Terminologie
Für das weitere Verständnis der Arbeit wird einführend eine definitorische Grundlage geschaffen, in der die im Rahmen dieser Arbeit immer wieder verwendeten und diskutierten Begriffe kurz erörtert werden.
2.1 Migrantenkinder und -jugendliche
Der Terminus „Migration“ stammt aus dem lateinischen „migratio“ und lässt sich als „Wanderung“ übersetzen (Duden 2007: 658). Annette Treibel sieht in der Wanderung einen komplexen Prozess, von dem nicht lediglich wandernde Individuen betroffen sind, „sondern auch die Gesellschaften und Regionen, zwischen denen sich diese Menschen bewegen“ (1999: 17). Da diese Prozesse vielfältig sind, gibt es außer der Soziologie eine Menge anderer wissenschaftlicher Disziplinen, wie beispielsweise die Wirtschafts-, die Politik-, die Erziehungs- , die Rechtswissenschaften, die Geografie etc., die sich mit dem Thema Migration beschäftigen (ebd.: 17 ff.).
Hier wird unter einem „Migrantenkind“ eine Person verstanden, deren Eltern bzw. ein Elternteil oder das Kind selbst nicht in Deutschland geboren sind. Sie sind aus einem anderen Gebiet/Land nach Deutschland zugewandert (Diefenbach 2008: 20). Im weiteren Schritt ist zu fragen, in welcher Generation die Wanderung vorgenommen wurde. Ein Kind wird als „Migrantenkind 1. Ordnung“ bezeichnet, wenn es in einem anderen Land als Deutschland geboren wurde und später nach Deutschland immigriert ist. Hingegen sind „Migrantenkinder 2. Ordnung“ solche Kinder und Jugendliche, deren Eltern in einem anderen Land geboren und nach Deutschland zugewandert sind, die aber selbst in Deutschland geboren wurden, sodass sie nicht in direktem Sinne als Migranten zu benennen sind, aber einen Migrationshintergrund haben (ebd.: 20-21).
In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff „Migrantenkinder“ als Oberbegriff für beide Ordnungen gebraucht. Doch wird an einigen Stellen explizit auf Migrantenkinder, die einen türkischen Hintergrund haben, hingewiesen, um detaillierte Aussagen über die Situation dieser Schüler in Deutschland zu treffen.
Die heutige amtliche Bildungsstatistik unterscheidet grob zwischen deutschen und ausländischen Schülern, ohne Personen mit Migrationshintergrund zu definieren. Schüler, die einen Migrationshintergrund und die deutsche Staatsangehörigkeit haben, werden als „Deutsche“ erfasst (ebd.: 21-22).
Aus sprachlichen Gründen werden in dieser Arbeit für den Begriff „Migrantenkinder“ zusätzlich Synonyme, wie „Kinder/Jugendliche/Schüler nicht deutscher Herkunft“ und „Schüler aus Migrantenfamilien“, verwendet, wobei die Bezeichnung „Kinder/Schüler mit Migrationshintergrund“ „Migrantenkindern 2. Ordnung“ entspricht.
2.2 Integration
Integration ist ein komplexer Begriff. In der Öffentlichkeit und in der sozialwissenschaftlichen Migrations- und Integrationsforschung werden der Integrationsbegriff und theoretische Modelle zur Inkorporation von Migranten kontrovers diskutiert (vgl. Esser 2001; Elwert 1982; Diehl 2001). Die vollständige Darstellung und Interpretation der unterschiedlichen Definitionen zum jeweiligen Terminus sind jedoch nicht möglich. Hier können lediglich die Begriffe Integration und Binnenintegration entsprechend den Modellen von Hartmut Esser und Georg Elwert definiert und voneinander abgegrenzt werden.
Esser unterscheidet in seinem Integrationskonzept zwischen System- und Sozialintegration. Systemintegration beschreibt den sozialen Zusammenhalt eines ganzen Systems, z. B. eine Gesellschaft. In modernen Gesellschaften kommt die Systemintegration über die materielle Interdependenz der einzelnen Beteiligten auf den Märkten zustande. Migranten, die über wenig Ressourcen und Qualifikationen verfügen, können diese auf den Märkten nicht einsetzen und sind somit öfter von Marginalisierung betroffen. Bei der Sozialintegration bezieht sich Esser auf die einzelnen Akteure und deren Einbezug in ein bestehendes System (Esser 2001: 1).
Die Sozialintegration lässt sich in vier Fälle differenzieren, wenn die Herkunfts- und Aufnahmegesellschaft im Zusammenhang betrachtet werden: die Mehrfachintegration, die Marginalität, die Segmentation und die Assimilation.
Die Mehrfachintegration betrachtet Esser als die gelungene Integration in beiden Kulturen, die der Herkunfts- und die der Aufnahmegesellschaft. Dieses Modell ist aber nur für solche Gruppen zu erwarten, die genügend ökonomische Ressourcen, eine hohe Bildung und Kontakt mit beiden Kulturen haben, was im Normalfall für die (Arbeits-)Migranten nicht zutrifft. Da Marginalität (Fehlen jeder Sozialintegration) politisch nicht erwünscht ist, bleiben für die Integration der Migranten lediglich die Möglichkeiten der Segmentation und der Assimilation (ebd.: 2). Segmentation bedeutet nach Esser das Konstituieren eigener Sozialstrukturen der ethnischen Minderheiten, wie eigener Institutionen (Schulen und Medien). Diese Strukturen können parallel zur Aufnahmegesellschaft bestehen, wobei ethnische Gemeinden im Aufnahmeland und beständige Kontakte zum Herkunftsland (z. B. Pendelmigration) die Sozialintegration behindern. Hierzu steht die Assimilation in Kontrast, die nicht das völlige Aufgehen der persönlichen und kulturellen Eigenheiten des Einzelnen in der Aufnahmegesellschaft meint, sondern zuerst die kulturelle Assimilation (das Erlernen und Verwenden der Sprache des Aufnahmelandes) und die daran anschließende strukturelle Assimilation an das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt. Dies ist die Voraussetzung für eine soziale (interethnische Freundschaften) und emotionale Assimilation (Identifikation mit dem Aufnahmeland) an die Aufnahmegesellschaft (ebd.:2).
Einen Gegensatz zum Modell von Esser, in dem Integration nach dem Prinzip der Assimilation funktioniert, was der derzeitigen schulischen Praxis (monolinguale, monokulturelle und homogenisierende Schulpolitik) entspricht, bildet das Konzept der Binnenintegration von Georg Elwert.
Elwert kritisiert Essers Ansatz, da ein solches Konzept davon ausgehe, dass es eine homogene einheimische Kultur gäbe, die jedoch in keiner differenzierten Gesellschaft existiere. Es würde versucht, „aus Assimilation, Akkulturation und Absorption einen komplizierten [...] Idealtypus zu bilden, der die kulturelle Homogenität [...] zum einzigen Indikator macht“ (Elwert 1982: 719). Elwert hingegen definiert Integration in einem „weitgehend kulturfreien Konzept“ eher sozialstrukturell „als Teilhabe an den gesellschaftlichen Gütern“, d.h., der Migrant bekommt eine Chance auf berufliche Mobilität und eine Garantie auf gewaltfreie Räume (ebd.: 719). „Weitgehend kulturfrei“ heißt für Elwert nicht, dass er Kultur aus seinem Ansatz ausblendet, sondern dass Integration nicht vordergründig und ausschließlich kulturell verstanden wird. Er setzt zum Beispiel nicht zwingend die Übernahme der Sprache des Aufnahmelandes als Muttersprache voraus, genauso wenig wie die Übernahme der vorherrschenden Religion und Speisegewohnheiten. Man brauche keinen deutschen Hauptschulabschluss und schon gar keine Kenntnisse über die deutsche Literatur, um sich gegen eine Verwaltung durchsetzen zu können (ebd.: 729, Anm. 5). Entscheidender ist für Elwert (in Anlehnung an Hoffmann-Nowotny 1973) der Zutritt der Migranten zu den sozialstrukturell bestimmbaren „Statuslinien der aufnehmenden Gesellschaft“ (ebd.: 720).
Eine Privatschule in türkischer Trägerschaft kann nach Essers Modell ein segregatives Muster und nach Elwerts Konzept ein integratives Muster aufweisen, das ebenso wie die „Binnenintegration“ im Kapitel 7 näher erläutert wird. In der vorliegenden Arbeit wird Integration nach dem Modell von Elwert verstanden.
2.3 Privatschulen/Schulen in freier Trägerschaft
In der Öffentlichkeit, in den Medien und in der amtlichen Schulstatistik werden „Schulen in freier Trägerschaft“ oder „Freie Schulen“ sowie „Nicht öffentliche Schulen“ gegenwärtig noch als „Privatschulen“ bezeichnet. Der Gesetzgeber hat im Grundgesetz (Art.7 Abs.4 GG) den Terminus der privaten Schulen verankert.
Privatschulen sind in der Bundesrepublik Deutschland alle Schulen, die nicht von einer staatlichen Organisation getragen werden, sondern von Kirchen, Vereinen, Stiftungen, Privatpersonen und sonstigen Gesellschaften. „Öffentliche Schulen“, auch „staatliche Schulen“ genannt, sind dagegen die Schulen, deren Träger Staat, Bundesländer und Gemeinden sind. Im deutschen Verfassungskonzept ist die öffentliche Schule die Regel, die Privatschule bildet die Ausnahme (Klein 2007: 11).
Bei den Privatschulen unterscheidet man schulrechtlich zwischen sogenannten Ersatzschulen und Ergänzungsschulen. Ersatzschulen dienen nach dem Wortlaut des Gesetzes als Ersatz für öffentliche Schulen und „entsprechen ihrer Struktur und Funktion nach den öffentlichen Schulen“ (Leschinsky 2005: 208). Sie streben vergleichbare Bildungs- und Erziehungsziele an und haben dieselben Hoheitsrechte wie staatliche Schulen, zum Beispiel Prüfungen abzuhalten und Zeugnisse sowie staatlich anerkannte Abschlüsse zu vergeben (Klein 2007: 12).
Bei den Ergänzungsschulen handelt es sich hingegen um Schulen, die nicht als Ersatz für öffentliche Schulen dienen. Sie sind den staatlichen Schulen nicht gleichartig (z. B. Sprachschulen, Musikschulen u.Ä.). In der Regel sind diese Privatschulen der beruflichen Fort- und Weiterbildung verpflichtet und damit meistens dem Bereich der Erwachsenenbildung zuzuordnen.
Ein Unterschied zwischen den beiden Schulformen ist, dass die Eröffnung einer Ergänzungsschule lediglich der Schulbehörde angezeigt werden muss, während eine Ersatzschule erst dann eröffnet werden kann, nachdem sie von der Schulbehörde genehmigt wurde. Im Gegensatz zu den Ergänzungsschulen kann die Schulpflicht an den Ersatzschulen erfüllt werden (Leschinsky 2005: 208; Klein 2007: 12, 36).
Des Weiteren haben lediglich Ersatzschulen einen Anspruch auf die Gewährung einer staatlichen Subvention, die Ergänzungsschulen hingegen in einigen Bundesländern unter bestimmten Bedingungen nur auf eine staatliche Finanzhilfe nach Maßgabe der Haushaltslage (Klein 2007: 36). Das Bundesverfassungsgericht hat die Länder verpflichtet, die Ersatzschulen mindestens so zu fördern, dass sie die Genehmigungsvoraussetzungen in Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG erfüllen können (ebd.: 38-40). Die Schulen müssen nach ihrer Neugründung bis zu drei Jahre erfolgreich arbeiten, damit sie mit 60 % bis 70 % bezuschusst werden. Nordrhein-Westfalen stellt eine Ausnahme dar, da Privatschulen hier vom Tag ihrer Neugründung an mit 94 % unterstützt werden (Privatschulen-Vergleich.de 2010 a). Einzige Voraussetzung hierfür ist der Erfolgs-und Bewährungsnachweis.
3 Privatschulen
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet in Art.7 Abs.4 GG das Recht zur Errichtung von Privatschulen (Garantie der Privatschulfreiheit). Wie alle Schulen stehen aber auch diese Schulen unter der Aufsicht des Staates (Art.7 Abs.1 GG).
3.1 Träger von Privatschulen
Wie aus der Tabelle 1 zu entnehmen ist, können Privatschulen in Deutschland von freien Schulträgern errichtet und betrieben werden.
Tabelle 1: Die Träger der Privatschulen in Deutschland im Schuljahr 2004/05
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
*2002/03; **2005; Quellen: Selbstauskünfte der freien Schulträger; Statistisches Bundesamt 2005, zitiert nach Klein 2007: 11.
3.2 Geschichte der Privatschulen in Deutschland
Die Entwicklung von Privatschulen begann etwa im 5Jahrhundert. Im Mittelalter existierten sie als kirchliche Einrichtungen, und zwar in Form von Klosterschulen, Pfarrschulen und Domschulen (Klein 2007: 5). Gelehrt wurden hier die sieben freien Künste oder das Trivium (Grammatik, Rhetorik und Dialektik) und das Quadrivium (Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie). Zweck war zunächst hauptsächlich die Ausbildung von Klostergeistlichen. Die Glaubensspaltung im 16. Jahrhundert führte zur Trennung in die katholische und die evangelische Schule (ebd.: 5).
Die Verstaatlichung der Schule setzte mit der Emanzipation des Staates im Laufe der Renaissance ein. Mit dem Aufkommen des Absolutismus und der Einführung der allgemeinen Unterrichts- und Schulpflicht zog der Staat das gesamte Schulwesen an sich (ebd.: 5). Dennoch wurden im 19. Jahrhundert, im Kontext der Frauenbewegung, auch private Bildungseinrichtungen für Mädchen gegründet. Darüber hinaus entstanden überall private Handelsschulen, auch Internatsschulen, wie das Pädagogium in Baden um 1887 (Bött- cher/Büchler/Lucas 1984: 15f.). Schon das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 enthielt Bestimmungen über Privatschulen. Die Freiheit, Privatschulen zu betreiben, findet sich später in der preußischen Verfassung von 1848/1850 und in der Paulskirchenverfassung von 1849 (Klein 2007: 6). 1898 begründete Hermann Lietz das erste Landerziehungsheim und seit 1919 erweiterten sich die Freien Waldorfschulen sowie Montessorischulen (Böttcher et al. 1984: 16). So erhielten private Schulen mit Beginn des 20. Jahrhunderts im Rahmen der „Reformpädagogik“ einen großen Aufschwung.
Aber erst mit der Weimarer Verfassung wurde die maßgebliche Existenzberechtigung des Privatschulwesens neben den öffentlichen Schulen verfassungsrechtlich gesichert. Jedoch erfuhr diese Entwicklung durch die Schulpolitik der Nationalsozialisten Einschränkungen dahin gehend, dass die „weltlichen“ Schulen aufgehoben, die „Bekenntnisschulen“ 1933 im Konkordat mit dem Heiligen Stuhl garantiert, das Elternrecht ab 1938 beseitigt und die Privatschulen verboten wurden (Böttcher et al. 1984: 16; Klein 2007: 7-8).
Nach 1945 erfolgte die Neugründung der Privatschulen in den westlichen Besatzungszonen. Dies wurde durch die Gesetzgebung des Bundes und der Länder gefördert, „die der Privatschule eine verfassungsrechtlich abgesicherte Position einräumte“ (Böttcher et al. 1984: 16; Art.7 Abs.4 GG). Die moralisch starke Stellung der Kirche förderte nach 1945 zum Teil die Rekonfessionalisierung des Schulwesens. So wurde in den katholisch dominierten Bundesländern die Konfessionsschule wieder eingeführt, während in den Ländern mit protestantischer Mehrheit die Volksschule als „christliche Gemeinschaftsschule“ mit Religionsunterricht (jedoch ohne durchgehend religiöse Prägung der Unterrichtsinhalte) gegründet wurde. Selbst in diesen überwiegend protestantischen Ländern durften auf Antrag der Eltern Konfessionsschulen errichtet werden, wenn damit an dem jeweiligen Ort der Bestand einer Gemeinschaftsschule nicht gefährdet wurde (Klein 2007: 8-9). So ist zu konstatieren, dass es auf die wechselhafte und unbeständige Geschichte der Privatschulen im 20. Jahrhundert in Deutschland im Allgemeinen sowie auf die vorübergehende Rekonfessionalisierung des Schulsystems nach 1945 im Besonderen zurückzuführen ist, „dass sich Schulen in freier Trägerschaft nicht als eine ernsthafte Konkurrenz für das staatliche Schulsystem etablieren konnten“ (ebd.: 10).
3.3 Die Rolle und Funktion von Privatschulen
Es stellt sich die Frage, welche Funktion die Schule im Allgemeinen hat. Die gesellschaftlichen Funktionen der Schule sind nach Hartfiel Sozialisation, Selektion, Allokation und Legitimation (Hansen 2005: 33). Ausgehend von einer pluralistischen Gesellschaft soll sowohl die staatliche wie auch die private Schule als helfende und dienende Institution einen entscheidenden Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung aller Schüler leisten (ebd.: 21).
Nach der Definition der Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen ist die Funktion der Privatschule „die Wahrnehmung öffentlicher Bildungsaufgaben, die der Staat nicht ausreichend oder gar nicht berücksichtigen kann“ (Picht 1976: 19, Hervorh. im Original). Staatliche und Privatschulen stehen gleichrangig und gleichwertig nebeneinander. Die öffentliche Aufgabe der Privatschule besteht in der Bereicherung und Intensivierung des staatlichen Schulwesens, und zwar durch das Angebot einer besonderen Form von Unterricht und Erziehung. Mit den Schulen in freier Trägerschaft sind ebenfalls eine Entlastung und Ergänzung des staatlichen Schulwesens gewährleistet, da sie in der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe eine notwendige Vielfalt im Bildungssystem herstellen (ebd.: 20 f.) sowie die Vielfalt in der Gesellschaft und die erforderliche Innovation im Bildungswesen abbilden. Privatschulen beleben zudem durch Wettbewerb und Konkurrenz das Schulsystem. Der Wesensgehalt freier Schulen liegt darin, dass sie ihre Erziehungsziele mit eigenen, nicht vom Staat geprägten Unterrichtsmethoden und Lerninhalten realisieren können. Somit haben Eltern die Möglichkeit, eine Schule zu wählen, die ihren Erwartungen entspricht, nämlich eine besondere Qualität, ein besonderes Engagement der Lehrkräfte, ein hohes Unterrichtsniveau sowie gezielte Förderung ihres Kindes, welches sie an staatlichen Schulen möglicherweise vermissen.
3.4 Vor- und Nachteile der Privatschulen
In der Politik, den Medien sowie in Gesprächen mit Eltern und Lehrern findet man sowohl kritische bzw. skeptische als auch positive Aussagen über das Privatschulwesen. So wird beispielsweise behauptet, dass Schulen in freier Trägerschaft häufig das bieten, „was ratlose Eltern an Regelschulen vermissen: gezielte Förderung der Stärken und Qualitäten“ (Privat- schulen-Vergleich.de 2010 b). Die Zahl der Privatschulen nimmt seit den letzten Jahren beständig zu. Dieser Aufschwung der Privatschulen wird mit den schlechten Ergebnissen der PISA-Studie begründet, was zur Folge hat, dass Eltern das starre Schulsystem dafür verantwortlich machen und somit verstärkt nach Alternativen in Form von Privatschulen für ihre Kinder suchen.
Vorteile:
In Privatschulen steht die Individualität des Schülers im Vordergrund, d. h., die individuelle Betreuung und Förderung sind stärker ausgeprägt als an öffentlichen Schulen. Das Kind wird als eigenständige Persönlichkeit akzeptiert. Auch schwächere Schüler haben eine Chance. Privatschüler sind seltener von Klassenwiederholungen betroffen als Schüler einer staatlichen Schule. Darüber hinaus gibt es hier differenzierte pädagogische Konzepte, z. B. im musischen, sportlichen oder künstlerischen Bereich. Spezielle Bildungskonzepte, die klare Werte vermitteln (Werteerziehung), werden von den freien Privatschulen angeboten (Privatschu- len-Vergleich.de 2010 c). Die Schülerschaft soll ohne Notendruck in kleinen Gruppen lernen und ihren Lernfortschritt selbstständig voranbringen.
Meist haben Eltern klare Wünsche, wie ihr Kind lernen soll. Sie sind diejenigen, die eine freie Schule wollen, aufbauen und zum größten Teil auch betreiben helfen. Es ist somit durchaus üblich, dass sie auch in den Schulalltag einbezogen werden. Eltern und Lehrer pflegen einen engeren Kontakt. Auch sei das Schulklima an privaten Schulen besser. Positiv wird ebenfalls hervorgehoben, dass die Lehrkräfte in den Privatschulen sehr engagiert und motiviert sind und die Möglichkeit haben, ihren Unterricht lernfördernd zu gestalten. Ein weiterer maßgeblicher Vorteil der Privatschulen gegenüber staatlichen Schulen ist ihre private Finanzierung (mit staatlicher Subvention). Hierdurch kann die Privatschule eine angemessene Auswahl der Lehre vornehmen und auch das Konzept der Schule durch bessere Kooperation und Organisation der Lehrerschaft durchsetzen (Privatschulen-Vergleich.de 2010 d).
Ob Privatschüler die besseren Schulleistungen erbringen, ist nicht geklärt. Befürworter von Privatschulen behaupten, dass Schüler an diesen Schulen ein höheres Leistungsniveau errei- chen als Schüler staatlicher Einrichtungen. Empirische Befunde über Schulen in freier Trägerschaft in Deutschland, die über die Daten der amtlichen Statistik hinausgehen, liegen bisher nur vereinzelt vor. Festzustellen ist, dass weder im internationalen noch im nationalen Kontext eine generelle Leistungsüberlegenheit privater Schulen nachweisbar ist. So liegen unterschiedliche Analysen in Bezug auf die Leistungsfähigkeit der Schulen vor:
„Einige Analysen internationaler Schülervergleichstests belegen, dass Schulsysteme, die mehr Schulen in nicht öffentlicher Trägerschaft haben, bessere Schülerleistungen erzielen. (Wößmann 2008) [...] Andere Analysen kommen dagegen zu dem Ergebnis, dass Privatschüler keine besseren Leistungen erzielen [...]“ (Lubienski/Lubienski 2006, zitiert nach Lohmann/Spieß/Feldhaus 2009: 646).
In der Tat gibt es kaum Unterschiede, zumindest was die Bildungsabschlüsse an den Gymnasien betrifft. Laut Statistischem Bundesamt (2009: 20) ist die Erfolgsquote von Schülern bezüglich des Bildungsabschlusses in staatlichen und privaten Schulen nahezu gleich. Diese Quote betrug im Jahr 2008 für private Gymnasien in Deutschland 86,1 % und in öffentlichen 85,3 %. In den Bundesländern Hamburg und Brandenburg wurde das Abitur sogar von einem höheren Anteil der Absolventen öffentlicher Gymnasien erreicht. In BadenWürttemberg lag die Quote mit 90 % sowohl in den öffentlichen als auch in den staatlichen Gymnasien analog.
Nachteile:
Die Angebote, die Privatschulen haben, sind gewöhnlich nicht kostenlos. Eltern müssen Schulgeld zahlen, wobei der Betrag je nach Einrichtung und Selbstverständnis der Schule variiert. Neben dem einkommensabhängigen Schulgeld gibt es an den konfessionellen Privatschulen Stipendien und einen geringfügigen Elternbeitrag (Privatschulen-Vergleich.de 2010 e). Aus diesem Grund ist der Vorwurf einer „Zweiklassengesellschaft“ häufig, in der lediglich Kinder aus finanziell gut gestelltem Elternhaus das „reichliche“ Angebot der Privatschulen wahrnehmen können. Privatschulen gelten daher als Eliteschulen. Jedoch darf laut Grundgesetz (Art. 7 Abs. 4 Satz 3) eine Bevorzugung der Schüler aufgrund von günstigen Besitzverhältnissen ihrer Eltern nicht gefördert werden. Andernfalls ist die Genehmigung zur Errichtung der Privatschule nicht zu erteilen. „Mit dieser Genehmigungsvoraussetzung soll verhindert werden, dass sich Privatschulen zu Standesschulen entwickeln“ (Klein 2007: 35). Aufgrund dieser Genehmigungsvoraussetzung haben Ersatzschulen einen Anspruch auf staatlichen Zuschuss, um ihren Schulbetrieb finanzieren zu können (ebd.: 35; vgl. Kap. 2.3). Es ist aber auffällig, dass die Förderbeträge für Privatschulen in den meisten Fällen deutlich unter den Ausgaben je Schüler an einer entsprechenden staatlichen Schule liegen (ebd.: 39 f.; s. Anhang 1: Tabelle 2).
Abgesehen vom verfassungsgemäßen Sonderungsverbot zeigen die Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dass der Besuch einer Privatschule besonders vom Bildungsstand der Eltern abhängt und nicht, wie oft behauptet, vom Einkommen. Es ist ein Trend zu beobachten, dass Eltern aus bildungsnahen Schichten ihre Kinder zunehmend auf Privatschulen anmelden. Demzufolge schicken 12 % der Eltern mit Abitur ihre Kinder auf eine Schule in freier Trägerschaft, Eltern mit Haupt- und Realschulabschluss hingegen nur zu 5 % (Lohmann et al. 2009: 644).
Doch trotz des Sonderungsverbots besucht im Vergleich zu deutschen Kindern ein niedrigerer Anteil von Migrantenkindern eine Privatschule. Laut Statistischem Bundesamt (2009: 19) waren im Jahr 2008 4,5 % aller ausländischen Schüler in Privatschulen vertreten, deutsche Mitschüler hingegen mit 8,1 %. Die Ursache sieht das Statistische Bundesamt in dem oft zu entrichtenden Schulgeld. „In nahezu allen Schularten sind Ausländer in privaten Schulen seltener vertreten als in öffentlichen. Eine Ausnahme bilden lediglich die Schulen des 2. Bildungswegs und die Teilzeit-Berufsschulen“ (ebd.: 19).
Des Weiteren ist fraglich, ob es tatsächlich sinnvoll ist, die Privatschule zu präferieren, wenn Methoden sowie freie und alternative Bildungskonzepte der Privatschulen mittlerweile auch in staatlichen Einrichtungen zu finden sind. Zu nennen sind z. B. Ganztagsbetreuung, jahr- gangsübergreifender Unterricht und Ansätze pädagogischer Konzepte nach Montessori, Rudolf Steiner und Peter Petersen.
4 Ausgangslage: die Situation der Migrantenkinder und -jugendlichen im deutschen Bildungssystem
4.1 Bildungsbeteiligung, schulische Leistungen und Bildungserfolg von Schülern nicht deutscher Herkunft
Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit zur Bildungspartizipation von Migrantenkindern und -jugendlichen ist der Befund der Bildungsstatistik, der diesen gegenüber gleichaltrigen Deutschen eine Benachteiligung bezüglich des Zugangs zu schulischer und beruflicher Bildung bescheinigt. Hierzu beschreibt Heike Diefenbach (2008: 13 f.) anhand von drei Kriterien (s. Abb. 1) die schulische Situation von Kindern und Jugendlichen nicht deutscher Herkunft im deutschen Bildungssystem, die auf Datenquellen wie der amtlichen Bildungsstatistik, dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) und den Schulleistungsstudien basieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1: Kriterien für die schulische Situation. Quelle: Diefenbach 2008: 14.
Hinsichtlich der Häufigkeit der Schüler aus Migrantenfamilien an allgemeinbildenden Schulen stellen türkische Schüler die größte Gruppe der Kinder nicht deutscher Herkunft in den verschiedenen Bundesländern dar. Danach folgen serbische, italienische, griechische Schüler und Schüler der Russischen Föderation (ebd.: 48). Dennoch sind die Zahlen für die Analyse nicht ausreichend, da, wie in Kapitel 2.1 bereits erläutert wurde, die amtliche Bildungsstatistik nur zwischen Schülern deutscher und nicht deutscher Staatsangehörigkeit differenziert und somit eingebürgerte Migrantenkinder aus der Betrachtung ausschließt.
4.1.1 Bildungsbeteiligung
Im Kindergarten- und Grundschulbereich werden Migrantenkinder gegenüber deutschen Kindern seltener in eine vorschulische Betreuung gegeben und eindeutig häufiger von der Einschulung zurückgestellt (ebd.: 76). Nach der Analyse des Sozioökonomischen Panels besuchen 67,6 % der sechsjährigen Migrantenkinder und 86,6 % der sechsjährigen deutschen Kinder einen Kindergarten. Ohne eine institutionelle Betreuung bleiben hingegen 31,9 % der sechsjährigen Migrantenkinder, während 12,9 % der sechsjährigen deutschen Kinder hiervon betroffen sind (Diefenbach 2002: 17). Somit sind Kinder nicht deutscher Herkunft gegenüber deutschen Kindern benachteiligt, da Untersuchungen von Rolf Becker und Wolfgang Lauterbach (2007) an 14-jährigen Schulkindern belegen, dass die vorschulische institutionelle Betreuung eine Bedingung für einen guten Start in die Schulkarriere ist und dass insbesondere Migrantenkinder einen größeren Nutzen von vorschulischer Betreuung haben als deutsche Kinder.
„ Vorschulische Erziehung und Betreuung trägt zu deutlich verbesserten Bildungschancen unter den Arbeiterkindern bei. So haben westdeutsche Arbeiterkinder eine 4,9-mal bessere Chance, auf das Gymnasium zu wechseln, wenn sie in der Zeit vor ihrer Einschulung Kindergarten oder Vorschule besucht haben [...] Kinder un- und angelernter Arbeiter haben eine 1,6-mal bessere Chance, das Gymnasium zu besuchen, wenn sie an vorschulischer Bildung teilgenommen haben, als die Nichtteilnehmer unter ihnen “ (ebd.: 144).
Bezüglich des Übertritts von der Grund- zur Sekundarstufe ist festzuhalten, dass Migrantenkinder im Vergleich zu deutschen Kindern einen deutlich größeren Anteil an Übergängen auf die Hauptschule und gleichzeitig einen niedrigeren Anteil an Übergängen auf die Realschule und auf das Gymnasium aufweisen (Diefenbach 2008: 51-55).
Betrachtet man die Schüler nach ihrer Nationalität, so ist auffällig, dass Kinder türkischer, italienischer und ex-jugoslawischer Herkunft am schlechtesten gestellt sind. Beispielsweise treten Kinder türkischer Herkunft mit 72,8 % in eine Hauptschule und mit 5,7 % auf ein Gymnasium über (ebd.: 55). Auch in den Untersuchungen von Andrea G. Müller und Petra Stanat (2006: 221 f.) ist ein Leistungsrückstand der Jugendlichen türkischer Herkunft zu beobachten, wobei die Benachteiligung der Vergleichsgruppe, der Jugendlichen aus der ehemaligen Sowjetunion, mit zunehmender Aufenthaltsdauer abnimmt. Schüler griechischer Herkunft sind in Bezug auf den Übergang in die Sekundarstufe I mit Kindern deutscher Herkunft vergleichbar. Die Übertrittsquote auf die Realschule beträgt bei griechischen Schülern 17,6 % und bei deutschen Schülern 18,3 % (Diefenbach 2008: 55).
Die Folge hiervon ist, dass Migrantenkinder überproportional häufig an Hauptschulen und an Integrierten Gesamtschulen (in geringem Ausmaß) vertreten, an den höher qualifizierenden Schultypen, wie Realschule und Gymnasium, dagegen unterrepräsentiert sind (ebd.: 5963). So kann man die Hauptschule in gewisser Weise als „Ausländerschule“ in Deutschland bezeichnen. Dieses betrifft insbesondere die Bundesländer Rheinland-Pfalz, BadenWürttemberg und Hessen (ebd.: 63). Auch in den Förder- bzw. Sonderschulen sieht die Situation nicht anders aus.
Diese Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen werden von Migrantenkindern doppelt so häufig besucht wie von Kindern aus deutschen Familien. Laut Abbildung 2 war allein im Jahr 2006 etwa jeder fünfte Schüler an einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen nicht deutscher Herkunft, während „an allen allgemeinbildenden Schulen zusammen betrachtet nur knapp jeder zehnte Schüler Ausländer war“ (ebd.: 64).
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Abb. 2: Prozentualer Anteil ausländischer Schüler an allen Schülern und an Sonderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen, 1991 bis 2006. Quelle: Statistisches Bundesamt; (eigene Berechnungen von Diefenbach 2008: 64).
Bei Betrachtung der verschiedenen Nationalitäten hinsichtlich des Förderschulbesuchs treten Kinder aus Italien, Mazedonien und der Türkei am stärksten in Erscheinung, wohingegen französische, polnische und britische Schüler die Minderheit bilden (ebd.: 67). Die Gründe für die Überweisung auf die Förderschule werden in Kapitel 4.2 erläutert.
4.1.2 Schulleistungen
Leistungen von Schülern aus Migrantenfamilien lassen sich am besten anhand Schulleistungsstudien feststellen, da sie den Vorteil haben, die Leistungen durch einheitliche Tests zu messen statt durch die von den Lehrern vergebenen Noten. Als Beispiel werden die Ergebnisse für PISA 2006 herangezogen, die sich für Deutschland folgendermaßen zusammenfassen lassen: In den Naturwissenschaften erreichten die 15-Jährigen 516 Punkte und lagen damit signifikant über dem OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) -Durchschnitt von 500 Punkten. Schüler der ersten Generation wichen davon um etwa 77 Punkte nach unten ab und Schüler der zweiten Generation um etwa 93 Punkte (Christensen/Segeritz 2006: 3, Abb.1; Prenzel/Artelt/Baumert/Blum/Hammann/Klieme/Pekrun 2007: 5). Hinsichtlich der Lesekompetenz erzielten die Jugendlichen 495 Punkte und liegen damit im Bereich des OECD-Durchschnitts, welcher 492 Punkte betrug. Jugendliche der ersten Generation wichen um 70 Punkte nach unten ab, der zweiten Generation um 83 Punkte. Im Bereich der mathematischen Kompetenz erlangten die 15-Jährigen 504 Punkte und lagen damit ebenfalls im OECD-Durchschnitt (498 Punkte). Migranten der ersten Generation wichen hierbei um 65 und die zweite Generation um 78 Punkte nach unten ab (Christensen/ Segeritz 2006: 6-7, Abb.2 und 3; Prenzel et al. 2007: 14-16).
Kinder und Jugendliche nicht deutscher Herkunft haben eine deutlich geringere Lese- und naturwissenschaftliche (und mit Einschränkung auch mathematische) Kompetenz als Kinder und Jugendliche deutscher Herkunft (Diefenbach 2008: 76). Besonders auffällig ist, dass die Leistungen der 15-jährigen Schüler der zweiten Generation (d. h. im Erhebungsland geborene Schüler, deren Eltern beide im Ausland geboren wurden) in den meisten Ländern weit hinter ihren Altersgenossen aus einheimischen Familien zurückbleiben, obgleich sie ihre gesamte schulische Laufbahn in Deutschland bzw. im jeweiligen Aufnahmeland durchlaufen haben (Christensen/Segeritz 2006: 8).
4.1.3 Bildungserfolg
Die Probleme, die Migrantenkinder auf ihrem Bildungsweg haben, schlagen sich in den Schulabschlüssen nieder. So ist festzustellen, dass sie häufiger als deutsche Jugendliche lediglich einen Hauptschulabschluss erwerben und seltener einen Realschulabschluss oder die Hochschulreife (s. Abb. 3).
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