Lebensstile und Lebensqualität von Bergwanderern und Kletterern in Österreich

Eine empirische Untersuchung


Diplomarbeit, 2009

165 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Theorie
2.1 Lebensstile, -formen, etc
2.1.1 Warum Lebensstile
2.1.2 Methodische und begriffliche Differenzierung von Lebensstilansätzen
2.1.3 Lebensstile, Lebensformen, Lebenslagen, Lebensführung, Lebensweisen, Milieus
2.1.4 Verschiedene Lebensstilansätze
2.1.5 Kritik an Lebensstilansätzen
2.1.6 Der Ansatz von Otte
2.2 Lebensqualität
2.2.1 Was ist Lebensqualität?
2.2.2 Das Konzept der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
2.2.3 Der WHOQOL-Ansatz der gesundheitsorientierten Lebensqualität
2.3 Freizeit und Sport
2.3.1 Bedeutung und Wandel der Freizeit
2.3.2 Sport – Abgrenzung und Funktionsspektrum
2.4 Berg- und Klettersport
2.4.1 Differenzierung der Bergsportarten
2.4.2 Die österreichischen alpinen Vereine
2.4.3 Empirische Daten zum Bergsport in Österreich und Deutschland
2.5 Fragestellungen und Hypothesen
2.5.1 Lebensstile
2.5.2 Lebensqualität

3 Methodik
3.1 Untersuchungsdesing
3.2 Untersuchungsinstrumente
3.2.1 Hauptinstrumente
3.2.2 Weitere Variablen und Items
3.3 Stichprobenkonstruktion / Abgrenzung der Erhebungsorte
3.4 Datenanalyse
3.5 Überblick

4 Ergebnisse
4.1 Stichprobenbeschreibung
4.2 Lebensstile
4.2.1 Gütekriterien der Indizes
4.2.2 Die Verteilung der Bergwanderer und Kletterer im sozialen Raum
4.2.3 Kurze Beschreibung der Lebensstiltypen
4.3 Lebensqualität
4.3.1 Analyse der Lebensqualität und ihrer Subdimensionen
4.3.2 Gesundheitsrelevante Verhaltensweisen

5 Diskussion
5.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
5.2 Fazit

Literatur

Anhänge

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2.2 -Modell des sozialen Raumes nach Ausstattungsniveau und Modernität bzw. biographischer Perspektive der Lebensführung (Otte, 2004:76)

Abbildung 2.3- Homologe Räume von Lebenslage und Lebensführung (vgl. Otte 2004:100)

Abbildung 2.4 - Handlungsorientierung im Raum der Lebensführung (vgl. Otte 2004:125)

Abbildung 2.5 - Einordnung von Lebensqualitätsinstrumenten (vgl. Güthlin 2006:24)

Abbildung 2.6 - Aufteilung der Gesamtzeit nach Verwendungsarten (vgl. Uttitz 1985:20 in: Prahl 2002:138)

Abbildung 2.7 - Lebenszeitbudget 1900 - 2020 (Zellmann/Opaschowski 2005:20)

Abbildung 2.8 - Abbildung einer Wandertafle sowie der Schwierigkeitsbewertungen im Großteil Österreichs (Wanderwegekonzept SBG, siehe Fn. 12)

Abbildung 2.9 - Wegeklassifikation in Vorarlberg (siehe Fn. 12)

Abbildung 2.10 - Theoretischen Verteilung von vier Hauptgruppen im sozialen Raum (eigene Darstellung)

Abbildung 4.3 - Allgemeine und aufgeschlüsselte Verteilung auf die Lebensstilgruppen in %, n=601 (Gesamt)bzw. 441(Wandern) und 160 (Klettern)

Abbildung 4.7 - Häufigkeitsverteilung nach dem Arbeitsindex - Gesamtstichprobe, Wanderer und Kletterer

Abbildung 4.9 - Lebensqualität total nach Lebensstilgruppen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 2.1 - Varianten der Lebensstilanalyse mit ausgewählten Beispielen (Otte 2005:22)

Tabelle 2.2 - Lebensstildefinitionen (eigene Zusammenstellung)

Tabelle 2.3 -Lebensführungsdefinitionen (eigene Zusammenstellung)

Tabelle 2.4 - Indikatoren für die Konstruktion der Typologie (Kurzversion) (vgl. Otte 2004:168)

Tabelle 2.5 - Wohlfahrtspositionen (Zapf 1984 in: Noll, 1999:11)

Tabelle 2.6 - Four Qualities of life (Veenhoven 2000:6)

Tabelle 2.7 - Dimensionen und Kategorien von Profilinstrumenten

Tabelle 2.8 - Die Struktur des WHOQOL-BREF (Angermeyer 2000:23)

Tabelle 2.9 - Integration des WHOQOL-BREF in das Four Qualities of Life Schema

Tabelle 2.10 - Ausdifferenzierung verschiedener Sportmodelle (Heinemann 2007:57)

Tabelle 2.11 - Sportarten in Österreich; Zeitreihe n=1700 ab 15 Jahren (Gfk in: Hilscher et al. 2007)

Tabelle 2.12 - Sportmotive in Österreich

Tabelle 2.13 - (Berg-)Wandermotive - Zusammenschau aus drei Studien (eigene Darstellung)

Tabelle 3.1 - Überblick über die aufgeworfenen Fragestellungen und Hypothesen der Untersuchung

Tabelle 4.1 - Bildungstitel von Bergwanderern und Kletterern (n=610)

Tabelle 4.2 - Art der Erwerbstätigkeit bzw. Voll-/Teilzeit - Diplomarbeitsstichprobe vs. Statistik Austria

Tabelle 4.3 - Familienstand - Diplomarbeitsstichprobe vs. Statistik Austria

Tabelle 4.4 - Gruppengröße von Bergwanderern und Kletteren

Tabelle 4.5 - Zusammenhänge zwischen Variablen der sozialen Lage und Lebensstildimensionen

Tabelle 4.6 – Soziodemo. Merkmale und Restaurantausgaben nach Lebensstilgruppen im Vergleich

Tabelle 4.7 - Ergebnisse der Regressionsanalysen zu H7

Tabelle 4.8 - Modellzusammenfassung der Regression

Tabelle 4.9 –Ergebnisse eines independent-sample-t-Tests für gewichtete und ungewichtete Mittelwerte für die Stichproben der Diplomarbeit und der Statistik Austria

Tabelle 4.10 - Korrelation von Arbeitsaspekten zu Lebensqualität (nach Pearson)

1 Einleitung

Bergwandern und Klettern sind zwei Sportarten, welche gerade in einem Land wie Österreich ausreichend Platz für ein breites Publikum finden. Es überrascht daher, dass es bisher fast keine Untersuchungen des Bergwander- und Klettersports von Seiten der sozialwissenschaftlichen Disziplinen zu finden gibt. Zwar finden sich hier und dort kurze Beschreibungen, lobende Erwähnungen des Breitensports Bergwanderern oder Verweise auf den momentanen Boom des Klettersports, dennoch blieben die Untersuchungen bisher aus, die, die gemacht wurden, werden hier im späteren Verlauf dargestellt. Ziel dieser Arbeit soll es also sein, die Bergwanderer und Kletterer in Österreich genauer zu beschreiben, also einen ersten Schritt hinsichtlich einer umfassenderen Untersuchung von dieser beiden Sportarten und der sie Ausübenden zu machen.

Zu diesem Zweck soll zum einen ein Konzept aus der Lebensstilforschungangewandt werden, welche als Erweiterung bzw. Ergänzung der klassischen Sozialstrukturanalyse anzusehen ist. Da mit den Stichworten Bergwandern und Klettern immer auch Begriffe wie Erholung, Natur, Ausgleich, etc. assoziiert werden, soll neben einem Konzept der Lebensstile auch ein geeignetes Instrument zur Erhebung der Lebensqualität Anwendung finden.

Hinter der Motivation dieser empirischen Arbeit steht ganz klar das Ziel, dass die daraus erzielten Ergebnisse einem praktischen Nutzen zugeführt werden. So soll versucht werden, sich in der Aufarbeitung der Untersuchung auch möglichst an den aktuellen Anforderungen und Bedürfnissen von in diesem Bereich tätigen Organisationen und Vereinen zu orientieren, da gerade sie es sind, welche aus den Ergebnissen einer solchen Arbeit einen praktischen Effekt lukrieren können. Die kann nur über den Kontakt mit den jeweiligen Organisationen sowie einer umfassende Aufarbeitung bisher unternommener Untersuchungen erreicht werden.

Das Konzept der Lebensstile wird gleich zu Beginn von Kap. 2 im Detail erläutert, bevor der in dieser Arbeit verwendete Ansatz vorgestellt wird. Die Verwendung von Lebensstilkonzepten – im nur teilweisen Gegensatz zu herkömmlichen sozialen Schichtungsmodellen – erlaubt eine differenziertere Betrachtung der Untersuchungspopulation, wobei neben der klassischen vertikalen Achse eine zweite, horizontale Achse eingeführt wird. Wenngleich das Konzept der Lebensstile bisher nicht immer erfolgreich eingesetzt werden konnte und es teils erhebliche und berechtigte Kritik gegeben hat, können mit ihm gerade im Bereich der Freizeit immer wieder interessante Ergebnisse gewonnen werden. Was liegt im Weiteren näher, als im Kontext von Bergwandern und Klettern nach der Lebensqualität zu fragen?Haben Bergwanderer und Kletterer eine höhere Lebensqualität als die österreichische Durchschnittsbevölkerung? Die theoretischen Konzepte der Lebensqualität werden im zweiten Teil von Kap. 2 dargestellt. Das verwendete Instrument zur Messung der Lebensqualität wird im Anschluss daran erläutert. Kap.3 widmet sich sodann der praktischen Übersetzung der vorher besprochenen, also der Operationalisierung, sowie der Darstellung und Abgrenzung der Erhebungsorte. Schließlich werden in Kap. 4 die Ergebnisse dargestellt und in Kap. 5 nochmals prägnant zusammengefasst und kurz diskutiert.

2 Theorie

2.1 Lebensstile, -formen, etc.

Dieses Kapitel behandelt das durchaus komplexe und bisweilen sehr heterogene und unüberschaubare Feld der Lebensstilforschung (vgl. u.a. Hartmann 1999, Enneking 2005:7, Hermann 2004:155). Die folgenden Unterkapitel sollen zum einen das grundlegende Konzept und den Nutzen der Lebensstile anschaulich darstellen (2.1.1). Ferner sollen in einer methodischen und begrifflichen Differenzierung der Raum der möglichen Herangehensweisen übersichtlich dargestellt werden (2.1.2. und 2.1.3.). Natürlich sollen auch wegweisende Standardwerke verschiedener Strömungen in gebotener Kürze vorgestellt werden (2.1.4), nicht zuletzt auch um die Wurzeln dieser Arbeit nicht zu unterschlagen. Abschießend widmet sich (2.1.5.) einer kurzen kritischen Auseinandersetzung.

2.1.1 Warum Lebensstile

Lebensstile sind Konsequenzen der individuellen Reduktion von Komplexität und der damit einhergehenden Ermöglichung der Handlungsfähigkeit. Manche Autoren sehen sie als Gegensatz bzw. Ablöse (z.B. Schulze) des klassischen Schichtkonzeptes, andere (z.B. Otte, Hartmann, Spellerberg) eher als Ergänzung und wieder andere (z.B. Bourdieu) als Ausfluss der dahinterstehenden Schichteinflüsse desselbigen, wobei das dazwischen liegende Kontinuum nuanciert ausgefüllt wird. Lebensstile sind die Reaktion auf ein zunehmendes Wohlstandsniveau und gestiegene Handlungsmöglichkeiten (vgl. u.a. Beck, 1986) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf zusätzliche horizontale Differenzierungskriterien. Dieses Argument soll durch ein Zitat von Lüdtke verdeutlicht werden: „Durch einen praktizierten Lebensstil wird die Auswahl der Handlungsalternativen strukturiert und begrenzt, das heißt Handlungs- und Orientierungsfähigkeit überhaupt erst erreicht. Routinen und Gewohnheiten sind für Identitätsausbildung und –sicherung von wesentlicher Bedeutung.“ (Lüdtke 1987 in: Spellerberg 1996:58; vgl. hierzu auch: Lüdtke, 2001:19, Hartmann 1999). Lebensstile sollen, so wie auch zuvor und noch gegenwärtig Sichtungsmodelle neben der deskriptiven Funktion vorrangig diesem Zweck dienen, Prognosen über Verhaltensweisen von Personen und Personengruppen ermöglichen.

„Ein zentraler Anspruch der Lebensstilforschung ist, dass Lebensstile Verhalten besser als demo-graphische und sozioökonomische Variablen vorhersagen.“ (Hartmann 1999:11)

Verhaltensprognosen sind aber nur dann potentiell erfolgreich, wenn sich diese auf zumindest mittelfristig stabile Ausprägungen von erklärenden Merkmalsvariablen bzw. Merkmalsaggregaten (i.e., Schichtzugehörigkeit, Lebensstile) beziehen können. Durch sich verändernde gesellschaftliche Basisstrukturen hat sich die Anzahl und Zusammensetzung dieser Variablen und Aggregate jedoch verändert bzw. pluralisiert, was heißt, dass eine größere Auswahl an Handlungsalternativen als zuvor zur Verfügung steht und somit auch neue Dimensionen zur Erklärung von Verhalten herangezogen werden können. Der folgende Absatz aus Spellerberg (1996:54) soll diese Veränderung nochmal verdeutlichen:

„Die Blüte des Lebensstilkonzepts im Westen in den achtziger Jahren hatte eine materielle und kulturelle Basis: ein allgemein höherer Lebensstandard und Steigerung des Massenkonsums, mehr freie Zeit, Ausbau des Wohlfahrtsstaates, Frauenerwerbstätigkeit und veränderte geschlechtsspezifische Rollenbilder, eine relativ frei zu gestaltende Phase der Postadoleszenz sowie erweiterte Kompetenzen durch die Verlängerung der Ausbildung, Wertewandel, Pluralisierung von Haushalts- und Familienformen, eine gesellschaftliche Liberalisierung und damit verbunden weniger verbindliche Normen für die Lebensführung. Dies sind die wesentlichen Faktoren die zu einer ››Öffnung des sozialen Raumes‹‹ (Bourdieu 1987; Vester u.a. 1993) geführt haben.“

Es soll jedoch auf keinen Fall der Eindruck vermittelt werden, dass sozioökonomische und demographische Variablen ihre Erklärungskraft verloren hätten, im Gegenteil sie sind weiterhin ein wichtiger Bestandteil von Lebensstilkonzepten und finden ihre Berücksichtigung im Konzept der sozialen Lage oder den objektiven Lebensbedingungen: „In Lebensstilkonzepten wird allgemein eine typische Vermittlung zwischen sozialer Lage und individuellem Handeln, objektiven Lebensbedingungen und kulturellem Leben gesehen“ (Lüdtke 1987; Müller 1992a in: Spellerberg, 1996:53)

Nicht alle Lebensbereiche sind gleichermaßen stilisierungsfähig (ebd:59) bzw. nicht alle gesellschaftlichen Bereiche bieten gleich viel Freiheit zur Stilisierung. So kann der Bereich des Erwerbslebens als weitgehend, wenngleich nicht vollkommen fremdbestimmt angesehen werden, in welchem demzufolge nur wenig Freiheit zur Stilisierung vorhanden ist. Es verwundert daher nicht, dass Lebensstile und damit auch Lebensstilkonzepte eine Affinität zum Freizeitbereich aufweisen. Der von Spellerberg (1996:59 Fußnote 23) erwähnten „idealtypischen“ (Anm. d. Autors) Unterscheidung Habermas´ in System- und Lebenswelt, also in eine einerseits völlig fremdbestimmte und andererseits völlig spontane Welt kann, so auch die Meinung von Spellerberg, nicht gefolgt werden. Es besteht „lediglich ein unterschiedliches [aber sehr deutliches, Anm. d. A.] Gewicht“ (ebd.) in den beiden Sphären (Erwerbszeit u. Freizeit), dessen stetiger Charakter umso deutlicher wird, desto differenzierter man diese betrachtet. Opaschowski (1993 in: Prahl 2002:330) spricht von einer „Koinzidenz von Lebensstilen und Freizeitstilen“.

Opaschowski (2006:323f.) schreibt hierzu weiter: „In allen Bereichen der Freizeit ist eine bestimmte Lockerung der Affektkontrolle festzustellen (››a controlled de-controlling of restraints on emotions‹‹ Elias 1971:27ff.) – ein gesellschaftlicher und individueller Handlungsspielraum mit deutlich mehr Freiheitsgraden als in allen anderen Lebensbereichen – wenn auch relativ und nicht beliebig, sondern durchaus in sozial kontrollierter Form“. Auch er betont im letzten Teil seines Zitats, dass der Bereich der Freizeit nicht völlig frei von fremdbestimmten Einflüssen ist. Und schließlich schreib hierzu noch Prahl (2002:330): „Stil haben setzt Freiräume voraus, die in der Freizeit eher gegeben sind als im Erwerbsleben.“

2.1.2 Methodische und begriffliche Differenzierung von Lebensstilansätzen

Innerhalb der Lebensstilforschung haben sich einige methodisch-analytische Herangehensweisen und Sichtweisen herausgebildet, welche im Prinzip die klassische sozialwissenschaftliche Theorielandschaft widerspiegeln.

Eine erste grundlegende Unterscheidung ist hinsichtlich der Wahlfreiheit des Individuums zu treffen. Hierbei kann grob zwischen folgenden Ansätzen unterschieden werden:

- voluntaristisch vs. strukturdeterministisch (vgl. Otte, 2004:83) bzw.
- kulturalistisch vs. Constraint choice- Ansatz vs. deterministisch (vgl. Spellerberg, 1996:63)
- Intentionalität vs. Nichtintentionalität (vgl. Hartmann, 1999:42)

Voluntaristische, kulturalistische oder auch intentionale Ansätze stellen die Wahlfreiheit des Individuums hinsichtlich der Aspekte des Lebensstils in den Vordergrund. Demnach kann jedes Individuum frei von Restriktionen wählen. In solchen Ansätzen wird am weitesten von der klassischen vertikalen Schichtung und Determiniertheit abgegangen. Das klassische Standardwerk solcher Ansätze lieferte Ulrich Beck 1986 mit seiner „Risikogesellschaft“.

Der genannte „Constrained-Choice“- orientierte Ansatz von Lüdtke orientiert sich ebenfalls an individuellen Wahlmöglichkeiten. Der Constrained Choice Ansatz ist eine individualistisch-soziologische Theorie welche eine „beschränkte“ individuelle Wahlfreiheit postuliert. Der Auswahlprozess geschieht dabei in zwei Schritten: „In einem ersten Schritt wird die abstrakte Menge aller denkbaren Handlungsalternativen durch strukturelle Zwänge eingegrenzt […] und damit auf eine Teilmenge ausführbarer Handlungsalternativen reduziert. Im zweiten Schritt wird dann aus dieser Teilmenge eine bestimmte Alternative ausgewählt.“ (Stinchcombe 1968, Elster 1979 in: Franz, 1986:38) Erst wenn Menschen in der Lage sind ihre Lebensweise bewusst zu gestalten, können Lebensstile entstehen. (vgl. Lüdtke 1989 in: Hartmann, 1999:44)

Strukturdeterministische, deterministische oder nichtintentionale Ansätze stellen gewissermaßen den Gegenpol zu den erstgenannten dar. In ihnen sind Lebensstilelemente determiniert, zugewiesen und nicht bewusst ausgewählt. Lebensstile werden als „strukturelle Determinanten“ (ebd:42) wie beispielsweise Einkommen oder Schichtzugehörigkeit verstanden (vgl. ebd:42). „Lebensstile sind kein Indiz für die Freiheit des Menschen, sondern ein Indiz für seine Unfreiheit.“ (ebd:32)

Zu dieser Unterscheidung, abgesehen von Lüdtke, soll jedoch in Anlehnung an Otte (vgl. 2004:83f) angemerkt werden, dass sich diese Positionen in der Rezeption oftmals radikaler wiederfinden, als sie von den ursprünglichen Autoren intentioniert waren. Die Lebensführung kann weder als „ein deterministischer Ausfluss der sozialen Lage“ (ebd., vgl. auch Otte 2005:5ff.) noch als „ressourcenfreier, autonomer Motor des Handeln“ (ebd., vgl. auch Otte 2005:5ff.) angesehen werden. Dieser Position möchte ich mich anschließen.

Eine zweite wichtige Unterscheidung richtet sich nach der Erklärungsreichweite des gewählten Ansatzes. Hierbei kann wie folgt unterschieden werden:

- allgemeine Sozialstrukturanalyse vs. themenzentrierte Lebensstilanalyse (Otte, 2004:35ff.)

Währende es ein Anliege im Rahmen einer allgemeinen Sozialstrukturanalyse ist, (vgl. ebd:35)

- eine Gliederung der Gesamtgesellschaft in allgemeine Lebensstilgruppen vorzunehmen
- diese auf ihre Zusammenhänge mit anderen sozialstrukturellen Merkmalen hin zu untersuchen
- und diese als handlungsrelevant in verschiedenen Teilbereichen der Gesellschaft zu identifizieren,

unterscheidet sich eine themenzentrierte Lebensstilanalyse darin, dass diese sich primär auf „einen“ Untersuchungsgegenstand spezialisieren, wie beispielsweise die Untersuchung gesundheitsrelevanter Lebensstile. Hinsichtlich dieser Unterscheidung kann die vorliegende Arbeit weitgehend dem Bereich der allgemeinen Sozialstrukturanalyse zugeordnet werden.

Die folgende Unterscheidung bezieht sich auf die methodische und vorrangig statistische Bildung und Beschreibung von Lebensstilen.

- typologisch vs. variablenorientiert (ebd.)

Bei typologischen Verfahren werden Lebensstiltypen bzw. –syndrome meist mehrdimensional operationalisiert, wobei die herangezogenen Indikatoren verschiedener Lebensbereiche (Freizeitverhalten, Geschmack, etc.) verschiedene Dimensionen des Lebensstils (Modernität, Aktionsradius, etc.) abbilden sollen. Zur Typenbildung selbst werden vorwiegend statistische Verfahren wie Kontingenz- und Clusteranalysen sowie das Verfahren der dimensionalen Operationalisierung verwendet.

Die variablenorientierte Vorgehensweise analysiert Lebensstile in Form „einzelner“ nicht kombinierter Variablen, wie beispielsweise gesundheitsrelevante Lebensstile anhand der Variablen Tabakkonsum oder Aktivsport. (vgl. ebd.)Tabelle 2.1 zeigt Varianten von Lebensstilanalysen. Der in dieser Arbeit verfolgte Ansatz in primär typologisch und im Sinne einer allgemeinen Sozialstrukturanalyse zu verstehen, wenngleich hinsichtlich der Untersuchungsgruppe und der Orientierung an Lebensqualität eine gewisse Themenzentriertheit sicher angenommen werden muss.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2.1 - Varianten der Lebensstilanalyse mit ausgewählten Beispielen (Otte 2005:22)

In diesem Zusammenhang sollen jedoch wesentliche Stärken und Schwächen dieser Vorgehensweise nicht vorenthalten werden (hierzu u.a. Hartmann: Hartmann, 1999:160ff., Otte, 2004:37ff.), wobei der Darstellung von Otte gefolgt werden soll.

Als Vorteile der Verwendung eines typologischen Ansatzes können genannt werden:

- Ubiquitäre Einsetzbarkeit. Im Gegensatz zu doch eher spezifisch einsetzbaren Einzelvariablen, können Typologien vielseitiger verwendet werden.
- Relationalität der Akteure in einem mehrdimensionalen Modell. „Die Beziehungen zwischen den Akteuren unterschiedlicher Lebensstile können in einem mehrdimensionalen, räumlichen Modell besser veranschaulicht werden als durch den kumulativen Einsatz einzelner Variablen.“ (zit. ebd.)
- Dichte Beschreibungen. Die Typen werden idealerweise beim typologischen Ansatz detailiert beschrieben, was ein „Strukturverstehen“ [Herv. i. O.] fördert. In variablenorientierten Ansätzen besteht hier die Gefahr, dass Information in statistischen Zusammenhängen verborgen bleibt.
- Kommunizierbarkeit im Verwendungszusammenhang. Typologien sind einfacher zu kommunizieren als viele einzelne Variablenverbindungen.

Folgende Nachteile müssen jedoch hinsichtlich der Verwendung von Typologien angebracht werden:

- Unklarheit über die Bedeutung der Teildimensionen. In der aggregierten Typologie kommen die jeweiligen Effekte ihrer Teildimensionen nicht zu Vorschein.
- Problem der Identifikation von Erklärungsmechanismen. Es können zwar Erklärungen aus der Typologie abgeleitet werden, jedoch bleiben, wie im vorherigen Punkt schon erläutert, Unklarheiten bezüglich des Beitrages der einzelnen Teildimensionen.
- Gefahr von Reifikationen. „Lebensstiltypologien können "Artefakte" [Herv. i. O.] sein, die keine Entsprechungen in realen Vergemeinschaftungszusammen-hängen haben.“ (Hartmann 1999:167 in: ebd.)
- Probleme der Typenabgrenzung. Eine empirische Setzung analytisch fester Grenzen entspricht kaum dem realen fließenden Charakter der Typengrenzen.

Trotz der erwähnten Nachteile soll in dieser Arbeit dem typologischen Ansatz gefolgt werden, nicht zuletzt auch aus den genannten Vorteilen. Darüber hinaus wurde die Zielpopulation bislang noch nicht aus der Perspektive der Lebensführung betrachtet und soll somit einen ersten Überblick zum Ziel haben. Aufgrund der doch großen Verbreitung von typologischen Ansätzen im deutschsprachigen Raum (vgl. Otte, 2004:37) erscheint es hinsichtlich der Kommunizierbarkeit sinnvoll einen diesen Typologien ähnlichen Ansatz zu wählen.

Im Weiteren lassen sich Lebensstiluntersuchungen bezüglich der zugrundliegenden „Untersuchungseinheit“ sowie den verwendeten „Trägergruppen“ unterscheiden. Als Untersuchungseinheiten werden weitgehende Individuen herangezogen. Eine Ausnahme bildet Lüdtke der Haushalte als Analyseeinheiten betrachtet. (vgl. Lüdtke, 1989:40; Spellerberg 1996:60)

Relevanter erscheint die Unterscheidung der Trägergruppen in: (vgl. Otte, 2004:41f)

- Soziale Strukturkategorien vs. Trägergruppen auf der Ebene des Lebensstils

Als Trägergruppen können soziale Kollektive von Individuen gleicher bzw. ähnlicher Lebensstile verstanden werden [Anm. d. A.]. Die Frage die sich nun stellt, ist jene der Bestimmung der für die Abgrenzung dieser Kollektive relevanten Dimensionen. Bespiele für die soziale Strukturkategorien sind beispielsweise die sozialen Klassen (Bourdieu), soziale Lagen (Hradil) oder Lebensformen (Zapf). Werden soziale Strukturkategorien als Trägergruppen herangezogen, werden diese in einem ersten Schritt identifiziert und daraufhin als eigenständige, voneinander getrennte Bereiche im sozialen Raum lebensstilanalytisch beschrieben. Werden alsobeispielsweise Lebensformen (Verheiratet, Singlehaushalt, bei Eltern wohnend, etc.) als erklärende Abgrenzungskriterien verwendet, legt man sich dabei auf einen feste theoretische Perspektive fest, aus welcher heraus die unterschiedlichen Lebensstile erklärt werden. Andererseits kann man Trägergruppen auf der Ebene des Lebensstils selbst identifizieren. Bei diesem Vorgehen werden „Individuen ähnlicher Lebensstile auf der Basis von Lebensstilvariablen zu Lebensstiltypen zusammengefasst.“ (ebd.) In diesem Fall die „Analyse struktureller Einflusse auf den Lebensstil ergebnisoffener“. (Hradil 1999:41 in: ebd.) In diesem Fall sollte natürlich größte Sorgfalt auf die Auswahl der „Lebensstildimensionen und –variablen“ (ebd.) gelegt werden, da sie wesentlich die inhaltliche Bedeutung der Lebensstiltypen festlegt (s.a. allgemeine Sozialstrukturanalyse vs. themenzentrierte Lebensstilanalyse, weiter oben) In dieser Arbeit wird die Strukturierung anhand von Lebensstiltypen vorgenommen. Soziale Strukturkategorien würden den vertretenen subjektiven Charakter der Lebensstilwahl zu sehr untergraben, wenngleich eine diesbezügliche Begrenztheit nicht in Frage gestellt wird.

Spellerberg (1996:75ff) trifft eine weiter Unterscheidung:

- einstellungsorientiert vs. verhaltensorientiert

In einer Metaanalyse von 15 Lebensstilstudien (ebd:76) hinsichtlich der in ihnen verwendeten Dimensionen kommt sie zum Schluss, dass diese jeweils auf eine der angeführten Dimensionen ein deutlich stärkeres Gewicht legen.

In einer bereits als Standard der Lebensstilforschung zu betrachtenden Unterscheidung identifiziert Müller (1989:60 in: Spellerberg 1996:78, vgl. Enneking 2005:22)) vier Ebenen der Lebensstile:

- expressives Verhalten (Freizeitaktivitäten, Konsummuster)
- interaktives Verhalten (Freundeskreis, Mediennutzung, Heiratsverhalten)
- evaluatives Verhalten (Werte, Motive)
- kognitive Dimension (Wahrnehmungsweisen, Selbstbild)

In einer inhaltlich gleichen Herangehensweise (vgl. Spellerberg, 1996:60, Enneking 2005:23f.) unterscheidet Lüdtke (1994:316) in einer nicht minder verbreiteten Konzeption zwischen

- Performanz
- Mentalität und
- sozialer Lage.

Wenngleich nach der Metaanalyse von Spellerberg beide Autoren ihr Augenmerk im wesentlichen auf eine verhaltensorientierte Analyse legen, weisen ihre theoretischen Konzeptionen doch einen integrativen verhaltens- und wertorientieren Charakter auf. In die vorliegende Untersuchung sollen unter dem Überbegriff der Lebensführung beide Element gleichwertig einfließen, jenes der Wertorientierungen als auch jenes des „manifesten Lebensstils“ (Otte, 2004:90, 93), also der Performanz oder des expressiven Verhaltens.

Schließlich lassen sich Lebensstilstudien in

- quantitative vs. qualitative Untersuchungen

unterscheiden. Quantitative Untersuchungen werden häufig bei größeren Stichproben verwendet und weisen oftmals einen deskriptiven bzw. evaluativen Charakter auf. Aufgrund der geschlossenen Art der Befragung (Fragebogen) und den Begrenzungen bezüglich des Umfangs solcher Instrumente können immer nur vorbestimmte Variablen erhoben werden. Diesbezüglich weisen qualitative Untersuchungen einen wesentlichen Vorteil auf, da diese in der Wahl ihrer Fragen prinzipiell offener sind (spontane Operationalisierung, Nachfragen, etc.). Qualitative Untersuchungen haben meist eine explorative Zielsetzung und führen zu einer detailierten (-eren) Beschreibung der Untersuchungspersonen. Durch den damit verbundenen höheren Erhebungs- und Auswertungsaufwand sind qualitative Untersuchungen generell hinsichtlich der Anzahl der zu untersuchenden Personen begrenzt, weshalb meist auch keine repräsentativen Aussagen gemacht werden können. Diese Erhebung dieser Studie soll quantitativ erfolgen. Da jedoch erwartet wird, dass sich im Rahmen der Erhebung teils sehr informative Gespräche mit Untersuchungspersonen ergeben werden, sollen diese qualitativen Aspekte vor Ort kurz notiert werden und in die späteren Datenauswertungen und Schlussfolgerungen mit einfließen.

2.1.3 Lebensstile, Lebensformen, Lebenslagen, Lebensführung, Lebensweisen, Milieus

Die nachfolgenden Begriffe finden sich in der Literatur in vielen unterschiedlichen Definitionen wieder. Lebensstil, Lebensführung oder Lebensweise stehen je nach Autor für teils sehr abweichende Inhalte. (vgl. Hartmann, 1999:16) Begriffliche Konstruktionen wie „Lebensführungsweise“ tragen zudem nicht zur Schaffung von „klaren Verhältnissen“ (Anm. d. A.) bei, sondern erhöhten, so Hartmann (vgl. ebd., Fußnote 2) nur den Grad der Verwirrung. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll für jeden der folgenden Begriffe prominente Definitionen anzuführen und zu versuchen, grobe Gemeinsamkeiten und Gegensätze aufzuzeigen. Die zentralen Begriffe in der wissenschaftlichen Diskussion sind sicher der Lebensstil- und der Lebensführungsbegriff, daher wird diesem im Folgenden der breiteste Raum gewidmet.

Lebensstile

Die umfangreichste und wohl auch kontroverseste Sammlung von Definition ließe sich sicher für den Begriff des Lebensstils zusammenstellen. Dies liegt sicherlich auch daran, dass Lebensstile als weit über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch hinaus als fest und zugleich diffus in der alltäglichen Sprache verwurzelt angesehen werden können [Ann. d. A.]. Im der folgenden Tabelle (2.2) sind daher nur durchwegs gängige, wissenschaftliche Definitionen namhafter Autoren angeführt, doch kommt man auch „nur“ mit diesen zu recht heterogenen Auslegungen. Zum Zweck der Übersichtlichkeit und Hervorhebung wurden konstitutive Elemente der jeweiligen Definition fett markiert.

1) „Als Kategorie der kultursoziologischen Zeitdiagnose bezeichnet L[ebensstil, Ann. d. A] ein Mittel der (sub-)kulturellen Einbindung und eine Form der Selbstpräsentation des Individuums, die Zugehörigkeit zu einem bestimmten sozialen Milieu demonstrierend.“ (Fuchs-Heinritz, 1995:394)
2) „P. Bourdieus Theorie sozialer Ungleichheit zufolge erzeugt ein durch eine spezifische Soziallage (vor allem Klassenlage) bedingter Habitus einen spezifischen L[ebensstil, Ann. d. A.], der sich in bestimmten kulturellen Praktiken manifestiert: in der Art der Wohnungseinrichtung, der Lektüre, von Essensgewohnheiten u.v.m. Distinktive L[ebensstile, Ann. d. A.] sind Mittel sozialer Ab- und Ausgrenzung.“ (ebd.)
3) „Lebensstile werden verstanden als sichtbare, alltagskulturelle Verhaltensweisen, als Ausdruck von Lebensgeschichte, Chancen und Orientierungen.“ (Spellerberg, 1996:53)
4) In den Worten von Müller (1992:60)sind Lebensstile „expressive Lebensführungsmuster, die sicht- und messbarAusdruck der gewählten Lebensführung sind.“
5) „Lebensstile sind gruppenspezifische Formen der Alltagsorganisation und –gestaltung, die auf der Ebene des kulturellen Geschmacks und der Freizeitaktivitäten symbolisch zum Ausdruck kommen“ (Spellerberg, 1996:57)
6) Lebensstile lassen sich „als begrenzte Anzahl sichtbarer Verhaltensarrangements ausmachen, in denen in einer mobilen Wohlfahrtsgesellschaft die Trends der Individualisierung, Egalisierung, Kompetenzsteigerung, Differenzierung usw. zu neuen Ordnungsmustern aufeinander abgestimmt werden. Lebensstile sind transitorische Ordnungsmuster bei abnehmenden Zumutungen und steigenden Wahlmöglichkeiten.“ (Zapf u.a., 1987:14 in: ebd:58)
7) „… der Gesamtzusammenhang des Verhaltens, das ein einzelner regelmäßig praktiziert.“(Schäfers 2001:204)
8) „Wir begreifen Lebensstil als relativ stabiles Muster der Organisation des Alltags im Rahmen gegebenerLebenslagen, verfügbarer Ressourcen und getroffener Lebensplanung.“ (Zapf u.a., 1987:14 in: ebd:59)
9) Unter der Prämisse der Knüpfung an objektive Lebensbedingungen: „Unter dieser Vorgabe könnte man Lebensstile als raumzeitlich strukturierte Muster der Lebensführung fassen, die von Ressourcen (materiell und kulturell), den Familien- und Haushaltsformen und den Werthaltungenabhängen.“ (Müller, 1992a:376)
10) „Ich definiere einen Lebensstil […] als unverwechselbare Struktur und Form der Lebensorganisation eines privaten Haushalts bzw. der in ihm lebenden Individuen. […] einen erprobten, bewährten und insofern sinnvollen Gesamtzusammenhang von Alltagsroutinen, Symbolen, Verhaltensmustern und Bezugsgruppen.“ (Lüdtke, 1990:434 in: Spellerberg, 1996:60)
11) „Lebensstile fassen wir als abgrenzbare, alltagsweltlich identifizierbare, d.h. durch Fremd- und Selbsttypisierung hergestellte soziale Formationen. Mit Lebensstil ist ein kollektiv typisch identifizierbares Ensemble von Deutungsmustern, Handlungs- und Ausdruckschemata bezeichnet.“ (Hörnig/Michailow, 1990:502 in: Spellerberg, 1996:60)
12) „Darunter versteht man erworbene, relativ dauerhafte Muster der Lebensführung, die in biographischen Prozessen von Versuch und Irrtum beim Ausbalancieren der Verfolgung privater Präferenzen einerseits und gegebener Ressourcen und Restriktionen andererseits entstanden sind. […] Sie erfüllen für das Individuum im wesentlichen drei Funktionen:

Sie beinhalten Routinen der Alltagspraxis und erleichtern dadurch die allgemeine Orientierung, insbesondere in neuen Situationen und bei der Koordinierung unterschiedlicher Situationen.Sie signalisieren im sozialen Verkehr Ähnlichkeiten mit anderen bzw. soziale Unähnlichkeit.

Sie erlauben die Bildung von "Wahlverwandtschaften" und umgekehrt: soziale Distinktion. Sie sind

daher Ausdruck sozialer Integration nach innen bzw. sozialer Unterscheidung nach außen. Sievermitteln zwischen personaler und sozialer Identität, steuern die Entwicklung von

Netzwerken und damit soziale Differenzierung und Integration auf der Mikro- und Mesoebene der

Sozialstruktur.“ (Lüdtke, 2001:19)

Tabelle 2.2 - Lebensstildefinitionen (eigene Zusammenstellung)

Das wohl hervorstechendste Merkmal in den obigen Definitionen ist jenes der Abgrenzung, Unterscheidung, Integration, kurz der Zugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen. Es verwundert daher nicht, dass Elemente des Ausdrucks (Selbstpräsentation, Ausdruck selbst, Praktiken, expressiv, Praxis, usw.) beinahe eben so oft erwähnt werden. Weiter kommen auch Anmerkungen zum Freiheitsgrad der Lebensstile (Ressourcen und Restriktionen, usw.) immer wieder, jedoch in unterschiedlicher Intensität, zum Ausdruck. Der Lebensstil wird auch immer wieder (Müller, Lüdtke) als Muster der Lebensführung bezeichnet und diese beiden Begriffe (Lebensstile und Lebensführung) somit auch aktiv in Verbindung gebracht. Die Dimension der Werte findet sich, wie vielleicht anders vermutet, fast nicht wieder, obwohl sie zur Dimensionierung des sozialen Raumes immer wieder Verwendung findet, oftmals jedoch als passive, also nicht zur Bildung der eigentlichen Lebensstilattribute verwendete Variable. Eine grundlegende Analyse des Stils findet sich bei Hartmann (1999:15ff). Er versucht sich dem Begriff des Lebensstils (und auch der Lebensführung) über allgemein Stildefinitionen anzunähern. Er tut dies aus der Überzeugung heraus, dass eine „pauschale begriffliche Trennung“ (vgl. ebd.) der beiden Begriffe nicht sinnvoll ist. Er unterscheidet dabei folgende drei (Lebens-)Stildefinitionen:

- Ausdrucksdefinition
- Formdefinition
- Identifizierbarkeitsdefinition

Die Ausdrucksdefinition beschreibt Stil als Ausdruck von Sinn oder Bedeutungsinhalten. Dabei würde nicht einfach irgendetwas ausdrückt, sondern eine Mengen von Gefühlen und Erfahrungen repräsentiert. Eine Definition entlang affektiver und emotionaler Expressionen führt aber unter anderem zu der Kritik, dass Stil etwa einer bewussten Planung vorenthalten bleibt. (vgl. ebd:20f)

In der Formdefinition wird Stil als Form ausgedrückt. Form wird dabei von Inhalt unterschieden und Fragen wie, gibt es Dinge gleicher Form unterschiedlichen Inhalts und Dinge gleichen Inhalts unterschiedlicher Form aufgeworfen. (vgl. ebd:23ff)Um Hartmanns etwas abstrakte Darstellung auf einen simplifizierten Nenner herunter zu brechen, beschreibt Form die Art und Weise des Umgangs mit materiellen oder kulturellen Gütern, also Inhalten. Ein Beispiel hierfür wäre die Tischmanieren, der unterschiedlichen Gebrauch von Messer und Gabel, Körperhaltung etc.

Schließlich kann die Identifizierbarkeit als zentrales Merkmal des Stils angeführt werden. Eine solche Definition steht in engem Zusammenhang mit den Begriffen „Symbol“ und „Signal“ (vgl. ebd:27ff., Herv. i. O.)„Dinge und Personen sind an gewissen Aspekten "symbolisch" [Herv. i. O.] erkennbar, Akteure übermitteln Signale, und zwar um sich zu identifizieren oder um sich identifizierbar zu machen.

Als Qualitätskriterium führt Hartmann schließlich an, dass eine „sinnvolle Stildefinition“ (ebd:31) zumindest einer dieser drei Komponenten enthalten sollte. Wie er jedoch anmerkt, wird von den meisten Autoren jedoch eine Kombination aller drei Definitionselemente verwendet, was sich auch in den obigen Definitionen bestätigt findet.

Zusammenfassend kann gesagt werden, auch wenn dies keinen allgemeinen Konsens widerspiegelt, da es diesen auch schlichtweg nicht zu geben scheint (vgl. auch Schäfers 2001:204), dass sich in Lebensstilen in erster Linie unter gegebenen Restriktionen und mit gegebenen Ressourcen mögliche sichtbare Verhaltensweisen wiederfinden, welche die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen signalisieren und sich gegenüber anderen abgrenzen, der Lebensstil also einen „manifesten“ (Otte 2004:90) Charakter aufweist.

Lebensführung

Bei dem folgenden Versuch der Abgrenzung und Erläuterung soll der obigen Vorgehensweise gefolgt werden. Nachfolgend werden also in Tab.2.3 eine Reihe von gängigen Lebensführungsdefinitionen angeführt.

1) „ … allgemein die Formung des eigenen Lebens im Hinblick auf Ziele, normative Werte, religiöse Überzeugungen usw., wie sie sich auch in alltäglichen Handlungen kundtut.“ (Fuchs-Heinritz, 1995:392)
2) „Bei M. Weber das Insgesamt des „praktischen Verhaltensˮ, der auch alltäglichen Lebensäußerung, in denen sich die Gestaltwirkung einer religiösen Überzeugung, einer sozialen Konvention, eines ethnischen Gemeinschaftsgefühls, einer ständischen Ehre o.ä., einer von einer Gruppe geteilten Lebens- und Weltauffassung. Diesen Prägungen der L[ebensführung, Ann. d. A.] ist Weber anhand vieler Gegenstandsbereiche nachgegangen, so der Prägung der Geschäftspraktiken und der Methodisierung der alltäglichen Lebensvollzüge (Pünktlichkeit, Zeitbewusstsein usw.) bei den Puritanern, der Verachtung der Erwerbsarbeit in ritterlicher und anderer herrschaftlicher L[ebensführung, Ann. d. A.], dem Unterschied von Klassenlage und durch Kosumstil und anderen Stilisierungen (Ehrbegriff) charakterisierter L[ebensführung, Ann. d. A.] der Stände.“ (ebd.)
3) Hradil in Anlehnung an Weber „… eine vergleichsweise bewusste, biographisch zielgerichtete und selbstgesteuerte, straff methodisch in allen Lebensbereichen und –phasen durchgehaltene […] Organisation des Alltags.“ Der Begriff ziele „primär auf normative Modelle und Sollvorstellungen, , wie mentale Lebensentwürfe und biographische Grundorientierungen und erst sekundär auf die faktischen Handlungsstrategien vor dem Hintergrund dieser Ordnungsmodelle [Herv. i. O.]. (Hradil, 1992b:194 in: Otte 2004:90)
4) „Mit Lebensführung sind Werthaltungen und Leitbilder bezeichnet […]“ (Spellerberg, 1996:62)
5) „Die Lebensführung wird allerdings als integraler Bestandteil eines Lebensstils verstanden, weil Lebenspläne und Orientierungen das Verhalten in den verschiedenen Lebensbereichen steuern und Sinnstrukturen offenbaren.“ (Spellerberg, 1996:62)
6) In Anlehnung an Max Weber definierte sie [Projektgruppe "alltägliche Lebensführung", Anm. d. A.] „alltägliche Lebensführung“ als spezifische Art und Weise, als ‘Methode’, mit der Individuen verschiedene Anforderungen der Lebensbereiche zu einer integrierten Lebensführung als Person vereinen. Die Komplexität und das Zusammenspiel der verschiedenen Lebensbereiche, in denen sich Menschen tagtäglich bewegen, sollten dadurch ebenso systematisch erfasst werden wie die Motivationen, die Rahmenbedingungen und die konkreten Modi von Alltagspraxis. (Voß 1991 in: Jürgens, 2002)
7) Lebensführung erscheint als alltäglicherProzess, in dem sich ein Mensch mit den ihm begegnenden Verhaltenszumutungen [Rollenzwängen, Anm. d. A.](als Beruftätige, als Ehefrau, als Mutter usw.) im Rahmen bestimmter Gegebenheiten (Wohnverhältnisse, Haushaltseinkommen usw.) auseinandersetzt, um sie in Einklang miteinander sowie mit seinen eigenen Interessen zu bringen sucht und dabei in spezifischer Weise auf sein soziales und räumliches Umfeld wie Familienangehörige, Arbeitsstätte, Nachbarn, Nutzung von Verkehrsmitteln usw. einwirkt.“ (Bolte 2000:7 in: Enneking 2005:5)

Tabelle 2.3 -Lebensführungsdefinitionen (eigene Zusammenstellung)

In den Bestimmungen der Lebensführung finden sich nun die normativen Vorstellungen und Wertehaltungen wieder. Im Gegensatz zu den manifesten Lebensstilen, scheint es sich hierbei also um einen primär „latenten“ (Otte, 2004:90) Bereich zu handeln. Wenngleich analytisch, so sind die beiden Begriffe jedoch inhaltlich nur Schwerpunktmäßig, nicht jedoch völlig voneinander zu trennen. Aussagen wie Lebensstile seinen Muster der Lebensführung (Müller) oder die Lebensführung sein integraler Bestandteil des Lebensstils (Spellerberg) sowie immer wieder auftauchende Element der jeweils anderen Schwerpunktsetzung sollten dies verdeutlichen.

Lebensstile werden definitorisch also tendenziell mit beobachtbarem Verhalten in Verbindung gebracht, Lebensführung stärker mit latenten Normen und Werten. Festzuhalten bleibt jedoch, dass beide Elemente in den meisten Untersuchungen Einzug finden und die begriffliche Verwendung der, wenngleich immer wohl begründeten Willkür beziehungsweise dem „Stil“ des jeweiligen Autors, der jeweiligen Autorin anheim fällt. So kommt Hartmann (vgl. 1999:46f.) zu dem Fazit, dass eine Abgrenzung der Begriffe zu Unschärfen und Widersprüchen führt und verwendet folglich nurmehr den Begriff des Lebensstils. Spellerberg (vgl. 1996:62) findet in der Lebensführung ebenfalls die Werthaltungen wieder und Verhalten eher bei den Lebensstilen. Sie sieht Lebensführung als integralen Bestandteil des Lebensstils und verwendet in ihrer Untersuchung den Lebensstilbegriff. Otte (vgl. 2004:90) verwendet hingegen die Lebensführung als Oberbegriff und räumt darin den beiden Subdimensionen der faktischen Handlungsstrategien und expressiven Handlungsmuster auf der einen, sowie den mentalen Orientierungen auf der andern Seite, den gleichen Raum ein. Wie man sieht, handelt es sich hierbei weitgehend um Begrifflichkeiten verschiedener Form, gleichen Inhalts.

In dieser Arbeit können die Begriffen Lebensführung und Lebensstil synonym verwendet werden. Die Präferenz des Autors liegt auf dem Begriff des Lebensstils, da dieser einen breiteren Platz im öffentlichen Sprachgebrauch einzunehmen scheint und daher für breitere Gruppen schneller und griffiger zuzuordnen ist. Dieser Untersuchung liegt der Ansatz von Otte (2004) zugrunde, in welchem jedoch der Begriff der Lebensführung verwendet wird. Inhalt beider Begriffe sind jedoch dieDimensionen der Wertorientierungen und des manifesten Lebensstils, also des beobachtbaren Verhaltens (Abb. 2.1).

Die durchgezogenen Linien stellen hierbei die vorrangige Kausalrichtung dar. Als dominant wird die Verbindung (1) erachtet. Otte (2004:92) bezeichnet diese als „typisch, dominante Kausalrichtung“. Die Lebensführung bildet sich üblicherweise unter den gegebenen Ressourcen und Restriktionen der sozialen Lage heraus und aufgrund der Lebensführung werden spezifische Entscheidungen getroffen. Otte definiert die soziale Lage wie folgt:

„Unter der sozialen Lage wird die objektive Position eines Akteurs im Gefüge der sozialen Ungleichheit verstanden. Mit einer solchen Position gehen die Verfügbarkeit verschiedener Ressourcen und die Begrenztheit des Handelns durch bestehende Restriktioneneinher. Darunter fallen "vertikale“ Stratifizierungskriterien wie Beruf, Einkommen und Bildung [sozioökonomische Merkmale, Ann. d. A.], aber auch "askriptive" Ungleichheitsmerkmale wie die Position in der historischen und biographischen Zeit (Kohortenzugehörigkeit und Lebensalter), das Geschlecht, die ethnische Herkunft und Merkmale des "Körperkapitals" [soziodemographische Merkmale, Ann. d. A.].“ (Otte, 2004:89)

Die soziale Lage hat jedoch auch direkten Einfluss auf spezifische Entscheidungen (2), nämlich dann, wenn beispielsweise für gewisse Entscheidungen das ökonomische Kapital fehlt. Ein gehobener Lebensstil alleine hilft hierbei nicht. Mit den gestrichelten Linien (3) werden Feedback-Effekte angedeutet, also dass es auch prinzipiell möglich ist, über spezifische Einstellungen und die Lebensführung dem Wunsch der Veränderung der sozialen Lage nachzukommen. Eine weiteres erwähnenswertes Detail, welches Otte aus pragmatischen Gründen nicht zu Darstellung gebracht hat, dass hier aber darstellt werden soll, ist die prinzipielle Vorgelagertheit der Wertorientierungen (4). Das heißt, dass „ […] Lebenspläne und Orientierungen das Verhalten in den verschiedenen Lebensbereichen steuern und Sinnstrukturen offenbaren“. (Spellerberg, 1996:62, vgl. auch Otte, 2004:93, 58) Otte [ebd:93] hingegen betont die jeweilige Funktion der beiden Subdimensionen: „Die Wertorientierungen umfassen Reflexionen und Strategien der Lebensführung und damit ein motivationales Element, das die bereichsspezifischen Einstellungen und Verhaltensweisen eines Akteurs mental anleiten kann. Der manifeste Lebensstil ist dagegen eine sichtbare, symbolische Äußerung der Lebensführung, die die kognitive Koorientierung zwischen Akteuren in sozialen Interaktionen ermöglicht [Herv. i. O.].“ Otte (ebd:92) begreift das in Abbildung 2.1. dargestellte Modell als Variante eines„Struktur-Praxis-Habitus- Schemas“

Lebensform

„Mit Lebensform sind entsprechend die Kombinationen aus Haushaltsform und Formen der Teilhabe am Erwerbsleben gemeint.“ (vgl. Zapf u.a. 1987:30 in: Spellerberg, 1996:62). Eine Pluralisierung der Lebensformen ist tatsächlich zu beobachten, jedoch, schreibt Otte (vlg. 2004:33) ist die subjektiv wahrgenommene Vielfalt, da vermittels massenmedialer Porträtierung eine Allgegenwart relativ seltener Lebensformen suggeriert wird, wahrscheinlich noch höher.

Soziale Lage und die Lebensform repräsentieren somit die klassischen sozioökonomischen und soziodemographischen Elemente der Sozialstrukturanalyse.

Milieu

Als (soziale) Milieus können soziale Räume bezeichnet werden. „Soziale Milieus sind Lebensstilgemeinschaften oder –kollektive. In ihnen erkennen sich Mensch wieder, in ihnen teilen sie mit anderen die Vorlieben und Abneigungen in der Lebensführung, ihre Sicht der Dinge und ihre Kommunikationsgewohnheiten, bis hin zu den Tageszeitungen, die gelesen und den Serien im TV, die bevorzugt oder abgelehnt werden.“ (Amann in: Sablik/Wehle 2001:54)

„S[oziale] M[ilieus, Ann. d. A.] sind das Gruppen von Personen, die ähnliche Lebensziele und Lebensstile aufweisen (S. Hradil) bzw. die sich durch gruppenspezifische Existenzformen und erhöhte Binnenkommunikation voneinander abheben (G. Schulze).“ (Schäfers, 2001:232)

Milieus liefern sozusagen ihren eigenen Beitrag zur Unübersichtlichkeit in der Lebensstilforschung, als in Konsumsoziologie, Marketingforschung, Wahlforschung, Freizeitforschung usw. zum Teil sehr verschiedene Typologien generiert werden. (vgl. Schäfers, 2001:234)

Lebensweise

Der Begriff der Lebensweise kommt in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Analyse eher nicht mehr zur Anwendung, da er als „Bezeichnung insbesondere von Soziologen in der ehem. DDR für den gegebenen Stand der Bedürfnis- und Bewusstseinsentwicklung, der Denk- und Verhaltensweisen. […]“ (Fuchs-Heinritz, 1995:394) verwendet wurde. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat er jedoch nach wie vor seinen Platz [Anm. d. A.].

2.1.4 Verschiedene Lebensstilansätze

Bourdieu

Mit den „feinen Unterschieden“ legte Bourdieu 1987 nicht nur eine empirisch-theoretische Abhandlung über den Zusammenhang von sozialer Stellung, Kultur und Herrschaft vor, sondern eines der erfolgreichsten soziologischen Werke überhaupt. (vgl. Spellerberg, 1996:63 und Fußnote 25). Für Hartmann (1999:90) ist erder[Herv. i. O.]klassische Autor der Lebensstilforschung.Bourdieus Vorstellung von der Gesellschaft spannt den „Raum der sozialen Positionen“ entlang von drei Dimensionen. Die vertikale Achse, als die Klassen, bestimmen das ökonomisch, das kulturelle und das soziale Kapital. Die horizontale Achse unterscheidet die Klassen nach ihrer Kapitalstruktur, primär am Verhältnis von kulturellem und ökonomischem Kapital, in Klassenfraktionen. Entlang einer dritten Dimension, der Laufbahnachse, bringt Bourdieu ein zeitliches Element ein, die historische bzw. biographische Zeit. (vgl. u.a. Otte, 2004:59; Hartmann, 1999:90ff., Enneking, 2005:14f.; Spellerberg, 1996:63ff.) Dieser soziale Raum steht in einer Homologie zum Raum der Lebensstile, wobei der Habitus sozusagen zwischen diesen beiden Räumen vermittelt. (Struktur-Habitus-Praxis-Schema, siehe Lebensführung, oben) Dem Habitus kommt zum einen eine kognitive Funktion zu, insofern er „der symbolischen Klassifizierung anderer Akteure“ (Otte, 2004:87) dient. Zum anderen ist er als „System der Erzeugungsschemata von klassifizierbaren Praktiken und Werken“ (Bourdieu, 1982 in: ebd.) für das individuelle Handeln richtungsweisend. Der Habitus manifestiert sich also in den Lebensstilen. Lebensstile ordnet Bourdieu anhand folgender Dimensionen bzw. Orientierungen (vgl. ebd:59):

- Einer Dimension des individuellen Ausstattungsniveaus mit lebensstilrelevanten Kapitalsorten
- Einer Dimension entlang einer ökonomischen versus einer kulturellen Handlungsorientierung
- Einer Dimension entlang einer modernen, aufstrebenden versus einer traditionellen Grundorientierung.

Konkret verwendete Bourdieu für die Differenzierung im sozialen Raum primär Berufsgruppen und Ausbildungsjahre und zur Erfassung des Lebensstils Items zu Einrichtungspräferenzen, Interaktionspartnern, Radiosendungen sowie Kino- und Fernsehfilmen. (vgl. u.a. Hermann, 2004:158). Natürlich musste sich der strukturalistische Ansatz von Bourdieu auch Kritik gefallen lassen, von der hier nur exemplarisch einige wiedergegeben werden sollen. So wird aufgebracht, dass Bourdieu das soziale Kapital zwar als bedeutend ausweise, dieses jedoch theoretisch und empirisch vernachlässige. (vgl. Otte, 20004:59). Bourdieus Ansatz scheint zudem zu deterministisch angelegt, da er „Lebensstile als überwiegend unreflektiert, restriktions- und ressourcengeneriert ansieht“ (ebd.) wenngleich ein motivationales Element in den symbolischen Klassenkämpfen zu sehen ist, die dem Erhalt des sozialen Status dienen und die Entwertung von sozialen Positionen zu verhindern suchen. (vgl. ebd.) Des Weiteren kam es immer wieder zu Kritik an der Generalisierbarkeit des Kapitalbegriffs sowie an der an der Verwendung von Berufen als Indikatoren für die Kapitalausstattung. (vgl. Müller 1986 in: Enneking, 2005:15).

Schulze

Der Ausgangspunkt von Schulzes Überlegungen ist die These einer Entkoppelung von Sozialstruktur und Lebensweise. Der Titel seines Hauptwerkes „Die Erlebnisgesellschaft“ (1992) deutet diesen Wandel auch an. Mit dem steigenden Wohlstand sei es seit Mitte der achtziger Jahre zu einem „Wandel der Lebens-auffassung von einer außen- zu einer innengeleiteten Orientierung“ bzw. „von einer ökonomischen zu einer "psycho-physischen Semantik" [Herv. i. O.]“ (Spellerberg, 1996:70) gekommen. Dieser zeichnet sich durch Wahlmöglichkeiten und eine Ästhetisierung des Alltags aus, resultiere aber auch in zunehmender Desorientierung, Unsicherheit und Enttäuschung. Immer wieder betont Schulze dabei die Unabhängigkeit von sozialer Lage und Milieuzugehörigkeit. (vgl. ebd.) Schulze nimmt somit eine diametrale Position zu Bourdieus strukturalistischen Ansatz ein, er verfolgt einen „extrem individuen- und kulturbezogenen“ (ebd.) Ansatz. Zentral für Schulzes sind sogenannte kognitive Schemata oder „zentrale Schemata der Alltagsästhetik“ (Hartmann, 1999:113). Diese führten zu Verhaltensweisen oder Milieus (vgl. Spellerberg, 1996:72), diese wiederum zu Lebensstilen. (vgl. Enneking, 2005:17) . Für Deutschland identifiziert Schulze drei alltagsästhetische Schemata anhand von Fernseh- und Musikpräferenzen, Freizeitaktivitäten, Lesegewohnheiten, Kleidungs- und Wohnstilen (vgl. u.a. Hartmann, 1999:113; Spellerberg, 1996:72; Enneking, 2005:17; Otte, 2004:47; Hermann; 2004:159):

- Trivialschema (Heimatfilm, deutscher Schlager, Heimatroman, Gemütlichkeit usw.)
- Spannungsschema (Krimiserien, Rock und Pop, Disko, Action, Anti-Konventionell usw.)
- Hochkulturschema (klassische Musik und Literatur, Dokus, Museum, Kontemplation usw.)

Diese Schemata bilden den Ausgangpunkt zur Entstehung der Milieus. Diese setzen sich nach Schulze aus den Dimensionen Stil, Alter und Bildung zusammen. Operational werden die Milieus jedoch nur über Alter und Bildung operationalisiert. (hierzu Otte, 2004:47 bzw. Abbildung 2.2 auf S.48). Die vertikale Achse reicht hier von der Hauptschule bis zu Abitur/Universität, die horizontale Achse differenziert dichotom an einer 40 Jahre Trennlinie. Schulze kommt so zu fünf Milieus (vgl. wie Schemata):

- Niveaumilieu (hohe Bildung, >40)
- Integrationsmilieu (mittlere Bildung, >40)
- Harmoniemilieu (niedrige Bildung, >40)
- Selbstverwirklichungsmilieu (hohe bis mittlere Bildung, <40)
- Unterhaltungsmilieu (mittlere bis niedrige Bildung, <40)

Diese werden dann mittels der Stilitems detailierter beschrieben. Jedes dieser Milieus zeichnet sich zudem durch die Dominanz eines Schemas aus.

Die Studie von Schulze belegt einerseits einen engen Zusammenhang zwischen Schulbildung, Alter und Lebensstilen. (vgl. Hermann, 2004:161. Andererseits man Schulzes Typologie nicht als Lebensstiltypologie ansehen, da „die Typenbildung nicht auf der Grundlage subjektiver Merkmale stattfindet.“ (Otte, 2004:48) Fundamentale Kritik an Schulzes Ansatz (vgl. Spellerberg, 1996:73) findet sich hinsichtlich seiner gänzlichen Ausblendung von Fragen nach dem Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und seinen Milieus, sozialer Schließung oder auch Verlierern des Modernisierungs-prozesses. Speziell wird von Spellerberg (vgl. ebd.) der ideologische Beigeschmack der kulturtypischen Konstante der "Erlebnisorientierung" [Herv. i. O.] bemängel, da es hierbei zu einer Verschleierung sozialer Ungleichheiten und Restriktionen käme und die völlige Unabhängigkeit der Orientierungswahl dargestellt werde.

Lüdtke

Ein weiterer Klassiker der Lebensstilforschung ist Hartmut Lüdtke (Expressive Ungleichheit, 1989). Er nimmt quasi eine Mittelposition zwischen den strukturalistischen bzw. voluntaristischen Ansätzen Bourdieus und Schulzes ein. Lüdtkes theoretisches Modell geht von einem „Constraint-Choice“-Ansatz aus, der wiederum auf dem Rational-Choice-Ansatz fußt. Lüdtke sieht Individuen als rational handelnde Akteure, welche bei gegebener beschränkter Ressourcenausstattung ihren Nutzen maximieren wollen und dabei versuchen einen Gleichgewichtszustand bzw. Stabilität zu erreichen bzw. zu erhalten. (vgl. Otte, 2004:84f., Enneking, 2005:16). Diese Abstimmung von Umwelt und individuellem Lebensstil nennt Lüdtke „Synomorphie“. (vgl. Hartmann, 1999:108 Fußnote 41; Lüdtke 1994 in: Enneking, 2005:16) Lebensstile dienen prinzipiell drei Funktionen (vgl. Otte, 2004:85):

- der Erleichterung der Orientierung im Alltag durch die Herausbildung von Routinen („Habits“) [Herv. i. O]
- dem Aufbau einer subjektiven Identität durch sinnhafte „Logiken“ der Lebensführung („Frames“) [Herv. i. O.]
- der Demonstration von Zugehörigkeit und Abgrenzung in sozialen Interaktionen

Operationalisiert werden die Lebensstiltypen bei Lüdtke entlang von vier Dimensionen (vgl. Enneking, 2005:16, siehe auch 2.1.2 oben):

- sozioökonomische Situation
- Kompetenz (Bildungstitel und Fähigkeiten)
- Performanz (Summe der lebensstilrelevanten Praktiken)
- Motivation (Bedürfnisse und Ziele)

Die sozioökonomische Position sowie die Kompetenz entsprechen dabei in etwa den drei Kapitaltypen Bourdieus, Lüdtke nennt sie Ressourcen, sie entsprechen der sozialen Lage. (vgl. ebd.; Otte, 2004:85) Die Herausbildung von Lebensstile erfolgt weiter kognitiv und motivational. (vgl. Otte, 2004:85). Im Rahmen von symbolischen Interaktionen im Alltag bilden sich Routinen und eine Stilidentität sukzessive und eher „unbewusst“ [Herv. i. O.] heraus (kognitiv). Jedoch manifestieren sich Lebensstile auch über „Strategien der Lebensführung“ (Lüdtke 1995 in: ebd.), also bewussten Handlungen (motivational). Primäres Identifikationsmerkmal soll nach Lüdtke die Performanzebene sein und erst anschließend sollen die anderen Elemente beschreibend hinzugezogen werden. (vgl. Enneking, 2005:16) Die stärkste Kritik kam an Lüdtkes empirischem Vorgehen auf. So kam es zu mehreren Erhebungen, in welchen Lüdtke jedoch immer wieder zu verschiedenen Typen kam. (vgl. Hartmann, 1999:108; Enneking, 2005:16) Theoretisch bietet Lüdtke zwar einen „überkomplexen“ (Otte, 2004:85) Ansatz, empirisch arbeitet er jedoch nur mit einem geringen Teil dieser Typen und lässt andere im Dunkel. (ebd.)

2.1.5 Kritik an Lebensstilansätzen

Eine gewisse Pluralität der Lebensstilansäte wurde bereits weiter oben angesprochen. Bis heute wurde in diesem Forschungsgebiet einiges an Pionierarbeit geleistet, nur mangelte es an der Koordination und Abstimmung der verschiedenen Untersuchungen. Otte (2004:42ff.) identifiziert nach Durchsicht der gängigen Ansätze der Lebensstilforschung vier Hauptprobleme:

-

Mangelnde Vergleichbarkeit der Typologien

Das hohe Maß an kreativer Eigenleistung, welches den diversen Typologien anhaftet, verhindert eine „direkte Vergleichbarkeit im Sinne identischer Typenkonstruktionen“ (ebd:43), wenngleich „bei unterschiedlichem Vorgehen vergleichbare Typen identifiziert worden sind“ (Spellerberg/Berger-Schmitt 1998 in: ebd:43) die „manchmal ganz bemerkenswerte Übereinstimmungen“ (Giegler, 1994 in: ebd.) aufweisen. Diesbezüglich lassen sich aber folgende Schwachpunkte anführen, die schlussendlich zu einer „recht fragwürdigen“ (vgl. Hartmann 1999:144) Beurteilung des Vergleichs von Typologien nach „Etikett und Beschreibung“ (Otte, 2004:43) führen:

a) Die Typen sind in verschiedenen Studien unterschiedlich stark differenziert
b) Neben übereinstimmenden Typen gibt es immer auch solche, die sich in eine andere Typologie nicht problemlos einordnen lassen
c) Die Besetzungsstärke inhaltlich vergleichbarer Typen ist erheblichen Variationen unterworfen
d) In Folge unscharfer Typenbeschreibungen treten intersubjektive Inkonsistenzen – i.e. Reliabilitätsprobleme – bei den Parallelisierungen auf.

- Fraglicher Realitätsgehalt einzelner Lebensstiltypen

Viele Lebensstiltypen sind nicht eingängig und lebensnah genug. Brauchbare Typologien sollten, so Otte (ebd:44), der Mindestanforderung genügen, „zu einer relativ eindeutigen Zuordnung konkreter – datensatzexterner – Fälle zu den Typen in der Lage zu sein.“ Damit ist gemeint, dass für spätere Rezipienten eine „relativ eindeutige“ Wiedererkennung der Typen möglich ist. Otte (vgl.ebd.) weist darauf hin, dass gerade intuitiv leicht zugängliche Typenkonstruktionen wie die von Sinus, Schulze oder Vester die größte Rezeptionsbreite aufweisen.

- Theoriearmut

Dieser Punkt stellt aus wissenschaftlicher Perspektive den, nach der Meinung des Autors, wichtigsten Kritikpunkt dar. Empiristisches-deskriptive Arbeiten bilden die Gros der verfügbaren Studien. „ Über empirisch ermittelte Zusammenhänge zwischen Lebensstilen, sozialer Lage und Verhaltens- oder Einstellungsvariablen wird eher interpretativ gemutmaßt, als dass theoretisch stringente Erklärungen angeboten werden.“ (ebd.45) „Das Vorgehen der Lebensstilforschung kann als induktiv-empiristisch bezeichnet werden. (ebd., Hervorhebung i. O.)

- Erhebungsaufwand

Im Vergleich zu herkömmlichen Sozialstrukturkonzepten sind Lebensstilkonzepte mit einem ungleich höheren Erhebungsaufwand verbunden. Otte (vgl.ebd.) nennt ein Minimum von 40 - 50 Items zur Konstruktion gängiger Typologien. „Lebensstile sind damit für die Umfrageforschung ausgesprochen zeitintensive und teure Instrumente.“ (ebd.)

Hartmann (vgl. 1999:162ff.) formuliert weitere entscheidende Kritikpunkte.

- Auswahl der Variablen

Für den Ein- bzw. Ausschluss von Variablen in eine Lebensstiltypologie müssen prinzipiell Gründe genannt werden. Während dies in themenzentrierten Untersuchungen durchaus möglich ist scheint die Begründung eines „gesamtgesellschaftlichen“ Kanons an Variablen „schlicht unbegründbar“ (ebd.).

- Reifikation von Typenbezeichnungen

Das hier aufgezeigte Problem liegt in der die statistischen Zusammenhänge verschleiernden und ausgrenzenden Konstruktion von Typenbezeichnungen bzw. –beschreibungen. Typen erscheinen in den Beschreibungen klar und ordentlich abgegrenzt. Scheuch (1987:40 in: Hartmann, 1999:167) spricht deshalb von der „Poesie der eindeutigen Namensgebung gegenüber den unordentlichen Fakten“.

Ein weiterer fundamentaler Kritikpunkt bezieht sich auf die Erklärungskraft von Lebensstilen. Von einer Ablösung des Schichtkonzepts, so wie es einige Vertreter propagieren, kann nicht gesprochen werden, Vielmehr würden sich Lebensstil- und Schichtkonzepte ergänzen, mit jeweiligen Vorteilen in gesellschaftlichen Teilsphären. So kann für die Lebensstilforschung ein Vorteil im Bereich von Kultur und Freizeit postuliert werden. (vgl. Otte, 2005:12, 22)

2.1.6 Der Ansatz von Otte

Der in dieser Arbeit verwendete Ansatz wurde, wie weiter oben bereits zum Teil erwähnt, von Dr. Gunnar Otte entwickelt. Die umfassendste Darstellung findet sich hier zu in seinem Buch „Sozialstrukturanalyse mit Lebensstilen“ (2004). Im Folgenden sollen nun die Grundannahmen sowie die wichtigsten Operationalisierungsschritte dargestellt werden.

Nach der Analyse mehrerer zentraler Lebensstilstudien identifiziert Otte vier zentrale, immer wiederkehrende Dimensionen des sozialen Raumes:

- Eine zeitbezogene Dimension, welche entweder kohortenspezifisch als Modernitätsgrad bezeichnet werden kann bzw. aus einer lebenszyklischen Sichtweise heraus als biographische Perspektive
- Das Ausstattungsniveau, welches über die Ausstattung mit diversen Kapitalsorten eine Hierarchisierung ermöglich
- Der Aktionsradius mit den Polen außerhäuslich und heimzentriert bzw. aktiv und passiv
- der alltagsästhetische Geschmackin Sinne von Schulze, also der verschiedenen Auswahl kultureller Güter

Als wesentliches Ziel dieser „Lebensführungstypologie“ ist eine möglichst allgemeine Einsetzbarkeit abgestrebt worden. „Wenn eine allgemeine Typologie konstruiert werden soll, die in möglichst vielen Untersuchungsgebieten einsetzbar ist, sollten die herangezogenen Lebensführungsdimensionen zentral für die Strukturierung vieler individueller Verhaltensweisen und sozialer Ungleichheiten sein.“ (ebd:73; Herv. i. O.)j Aus den dargestellten Dimensionen wählt Otte die zeit- und ausstattungsbezogene aus. Er begründet dies unter Berufung auf die Ergebnisse verschiedener Autoren damit, dass sowohl Aktionsradius als auch alltagsästhetischer Geschmack auf der vertikalen Achse wesentlich von ökonomischen und kulturellen Kapitalien abhängen, sowie auf der horizontalen Achse stark altersspezifisch determiniert sind. (vgl. ebd: 73ff.) Beispielsweise würde der Aktionsradius bei gehobenen Formen der Lebensführung zunehmen, bei weniger hohen hingegen eher gering sein. Otte sieht in seiner Auswahl eine „Hommage an die Sozialstrukturanalyse der Nachkriegszeit“ (ebd:74). Es gibt, so schreibt er (Giegler 1994 in: ebd.), „keinen Grund, soziodemographische und sozioökonomische Variablen aus der Sozialstrukturanalyse und der Lebensstilforschung zu verbannen“ und weiter: „Im Gegenteil: Sie sollten elementar in eine Theorie der Lebensführungsgenese integriert werden.“ (ebd:75) Die vorliegende Arbeit schließt sich dieser Tradition an. Als Orientierungsrahmen aus dem Angebot früherer Lebensstiluntersuchungen nennt Otte die Modelle des sozialen Raumes von Sinus, Vester, Schulze, Otte und Bourdieu. Diese Modelle sind dem vorgestellten von der Auswahl der Achsen und der Bezeichnung der Typen her ähnlich bzw. vergleichbar. Dies ist insofern nützlich, als Aussagen dieser Modelle graduell und mit gebotener Vorsicht auf dieses umgelegt werden können.

Beide Achsen werden im Weiteren in drei Kategorien differenziert und kreuztabuliert. Hieraus ergibt sich folglich ein zweidimensionales Modell des sozialen Raumes wie in Abb. 2.2 dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.2 -Modell des sozialen Raumes nach Ausstattungsniveau und Modernität bzw. biographischer Perspektive der Lebensführung (Otte, 2004:76)

Wesentlich ist, dass beide Dimensionen theoretisch und somit auch operational auf der Ebene der Lebensführung und nicht auf der der sozialen Lage konzipiert sind. Das soll heißen, dass nicht Lageelemente wie Einkommen und Bildung theoretisch erklären und praktisch erhoben werden, sondern „ […]die Ausstattung mit den durch die Ressourcenverwendung produzierten Objekten und Aktivitäten und den homologen Wertorientierungen im Vordergrund“ (Hartmann 1995 in: ebd:77; Herv. i. O.) stehen. Auf der horizontalen Achse gilt dasselbe. Abb. 2.3 zeigt die eben erörterte Beziehung. Im Vordergrund ist dabei der durch Otte operationalisierte Raum der Lebensführung zu sehen, welcher homolog zu dem dahinter liegenden Raum der sozialen Lage steht. Diese Abbildung bringt somit nochmals die enge Beziehung bzw. die elementare Bedeutung der Variablen aus der klassischen Sozialstrukturanalyse zum Vorschein.

ABBILDUNG IN DIESER LESEPROBE NICHT ENTHALTEN

Abbildung 2.3- Homologe Räume von Lebenslage und Lebensführung (vgl. Otte 2004:100)

Auf der horizontalen Achse der historischen und der biographischen Zeit steck, so Otte, die Annahme dahinter, dass mit zunehmendem Alter und im Lebensablauf Investitionen in eine bestimmte Art der Lebensführung unternommen werden, damit das eigene Leben zunehmend konstruiert wird und es somit sukzessive zu einer „biographischen Schließung“ kommt und vice versa. Neben diesem Lebenszykluseffekt wird zudem mit dem Aspekt der Modernität/Traditionalität eher auf Kohorteneffekte reagiert (68er, Nachkriegsgeneration, etc.). Aufgrund des Umstandes, dass diese Annahmen nicht simpel über das Alter operationalisiert werden, sonder wiederum auf der Ebene der Lebensführung ansetzen, können etwa „biographische Brüche“ (ebd:77) identifiziert werden, wie beispielsweise „junge Alte“ (ebd.) usw.

Die in Abb. 2.2 bezeichneten Typen werden bei Otte (78ff.) weiter beschrieben. Eine genaue Wiedergabe soll hier nicht erfolgen. Die Beschreibungen ähneln jedoch den oben genannten Orientierungsstudien. Traditionelle Arbeiter leben in bescheidenen Verhältnissen und haben weniger Möglichkeiten und Ambitionen aufzusteigen. Konventionalisten sind hingegen tendenziell nach oben orientiert aber aufgrund ihrer (schon) eher biographisch geschlossenen Perspektive nicht unbedingt aktiv an der Erreichung eines solchen Zieles interessiert. Eine grundlegende Interpretation, welche natürlich forschungsspezifisch um viele passive Merkmale erweitert werden kann, ist nach diesem Schema möglich.

Otte versucht also in seiner Arbeit zu zeigen, dass sich die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse und speziell auch die Art und Weise dieser Befriedigung unter und mit den gegebenen Restriktionen und Ressourcen auf der Ebene der Zwischengüter, also der konkreten Lebensführung widerspiegelt. Die Verfügung über kulturelles,ökonomisches und soziales Kapital – vertikal - zeigt sich in Urlaubszielen, Medienpräferenzen, Restaurantausgaben, Netzwerken, politischem Interesse usw. Die Lebenszeit – horizontal – bildete eine endliche Ressource, welche auf unterschiedliche Weise investiert werden kann, was mit zunehmenden Dispositionen zu der oben bereits angesprochenen biographischen Geschlossenheit führt. Bewegung und Positionierung im sozialen Raum sucht Otte über Kosten-Nutzen-Überlegungen theoretisch zu untermauern. Angenommen werden jene Elemente der Lebensführung, welche den individuell größten Nutzen, wie soziale Anerkennung im Netzwerk = sozialer Status oder prinzipiell alle weiteren denkbaren Zielfunktionen, stiften. Die Lebensführung ist dabei relativ stabil. Zu einem grundlegendem Wandel kommt es speziell dann, wenn sogenannte kritische (Lebens-)Ereignisse (e.g. Scheidung, Tod von Freunden oder Angehörigen, Landes-Wohnortwechsel, etc.) bisherige Investitionen weitgehend entwerten (Stichwort: Neuanfang). Jedoch werden zwei Richtungen des Wandels als zentral erachtet (ebd:119):

- Vom modernen zum traditionellen Segment
- Von einer offenen zu einer geschlossenen biographischen Perspektive

Otte leitet aus der Lage der einzelnen Typen im sozialen Raum zwei strukturell bedingte Handlungsorientierungen ab (Abb. 2.3). Auf der vertikalen Dimension reichen die Orientierungen von Elaboriertheit im oberen Bereich des Raumes bis zur Einfachheit im unteren Bereich. Entlang der horizontalen Achse ergeben sich die Orientierungen der Bewahrung/Ordnung im linken, biographisch geschlossenen Teil und der Innovation/Bewegung im biographisch offenen rechten Teil des sozialen Raumes. Diese grundlegenden theoretisch postulierten Handlungsorientierungen stellen sozusagen Subdimensionen der Kapitalarten auf der einen und des Alters auf der anderen Seite dar.

[...]

Ende der Leseprobe aus 165 Seiten

Details

Titel
Lebensstile und Lebensqualität von Bergwanderern und Kletterern in Österreich
Untertitel
Eine empirische Untersuchung
Hochschule
Universität Wien  (Soziologie und empirische Sozialforschung)
Note
1
Autor
Jahr
2009
Seiten
165
Katalognummer
V163424
ISBN (eBook)
9783640789603
ISBN (Buch)
9783640789139
Dateigröße
3019 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lebensstile, Lebensqualität, Bergwandern, Klettern, Österreich
Arbeit zitieren
Wilhelm Geiger (Autor:in), 2009, Lebensstile und Lebensqualität von Bergwanderern und Kletterern in Österreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/163424

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