Die Institution Jugendgerichtshilfe ist für viele, besonders auch für
Fachfremde, negativ konnotiert. Sie wird häufig verbunden mit
Begriffen wie Jugendkriminalität, Jugendstrafverfahren, soziale Randgruppen
und ‘Fürsorge’. Sie kann als Bestandteil der Jugendhilfe in
den weitläufigen Bereich der Sozialarbeit eingegliedert werden. Die
analytische Abgrenzung der Problematik Sozialarbeit im Hinblick auf
das doppelte Mandat der Jugendgerichtshilfe kann wie folgt
beschrieben werden:
„Sozialarbeit wird auf der Grundlage sozialstaatlich verfaßter Prinzipien
vor allem von öffentlichen und halböffentlichen Institutionen getragen.
Versuche, einzelne analytisch abgrenzbare Dimensionen der Sozialarbeit
einer sozialwissenschaftlichen Betrachtung zu unterziehen, haben
deshalb immer wieder ein für den Sozialarbeiter als grundlegend
erachtetes Spannungsverhältnis thematisiert: das ‘doppelte Mandat’
und die sich für den Einzelnen daraus ergebenden Handlungskonflikte.
Diese gemeinhin als ‘Berufsschicksal’ und ‘zentraler Rollenkonflikt’ des
Sozialarbeiters herausgestellte Problematik, also der mit dem
institutionell-organisatorischen Handlungsrahmen öffentlicher Sozialarbeit
in der Regel implizit gesetzte Zwang, sich in der Divergenz professioneller
und bürokratischer Verhaltenskodizes bewegen und
zurechtfinden zu müssen, scheint im wissenschaftlich vorherrschenden
Verständnis von Sozialarbeit als Paradigma sozialarbeiterischen Tuns
schlechthin zu fungieren und als konstitutiv für spezifische Identitätskonflikte
des Sozialarbeiters angesehen zu werden.“2
Im Verlauf der vorliegenden Arbeit werden zunächst der Begriff
‘Jugendgerichtshilfe’ unter Berücksichtigung der zuständigen Trägerschaft
sowie die gesetzlichen Grundlagen und die Verfahrens rolle im Jugendstrafprozess näher erläutert, um darauf aufbauend tiefer auf
das Hauptthema – Das doppelte Mandat der Jugendgerichtshilfe –
eingehen zu können.
[...]
2 Lothar Böhnisch/ Hans Lösch: Das Handlungsverständnis des Sozialarbeiters und
seine institutionelle Determination, in: Werner Thole/ Michael Galuske (Hg.):
KlassikerInnen der sozialen Arbeit: sozialpädagogische Texte aus zwei Jahrhunderten
– ein Lesebuch. Luchterhand. Neuwied 1998, S. 367
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Definition Jugendgerichtshilfe
1.2 Geschichtlicher Hintergrund
2. Die Jugendgerichtshilfe in JGG und KJHG
3. Das Jugendstrafrecht – ein Sondergesetz
4. Der Träger und die Organisation
5. Aufgaben der Jugendgerichtshilfe
5.1 Ermittlungshilfe: Die Persönlichkeitserforschung
5.2 Berichtshilfe: Der Jugendgerichtshilfebericht
5.3 Betreuung und Überwachungshilfe
6. Verfahrensablauf (vereinfachte Form)
7. Die Verfahrensbeteiligten im Strafprozess
8. Die Stellung der JGH im Jugendstrafprozess
9. Der Vertreter der Jugendgerichtshilfe
9.1 Der JG-Helfer als (Sozial-)Anwalt?
10. Das Verhältnis zwischen Justiz und JGH
11. Das doppelte Mandat der Jugendgerichtshilfe
11.1 Die gesetzlichen Ursachen des doppelten Mandats
11.2 Rollenkonflikte in der Beziehung zum Jugendlichen
11.2.1 Der Rollenkonflikt der Beratung
11.2.2 Das doppelte Mandat der Ermittlungstätigkeit
11.2.3 Der Rollenkonflikt im Berichtswesen
11.2.4 Eine Zeugenaussage vor Gericht?
11.3 Der JG-Helfer im staatlichen Kontrollsystem
11.4 Grenzen behördlicher Sozialarbeit
11.5 Rollenkonflikte durch Sparmaßnahmen
11.6 Bedeutung der Rollenkonflikte für den JG-Helfer
12. Perspektiven der Jugendgerichtshilfe
13. Resümee
Anhang 1: Gesetzesauszug aus dem KJHG
Anhang 2: Gesetzesauszug aus dem JGG
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Die Institution Jugendgerichtshilfe ist für viele, besonders auch für Fachfremde, negativ konnotiert. Sie wird häufig verbunden mit Begriffen wie Jugendkriminalität, Jugendstrafverfahren, soziale Randgruppen und ‘ Fürsorge ’. Sie kann als Bestandteil der Jugendhilfe in den weitläufigen Bereich der Sozialarbeit eingegliedert werden. Die analytische Abgrenzung der Problematik Sozialarbeit im Hinblick auf das doppelte Mandat der Jugendgerichtshilfe kann wie folgt beschrieben werden[1]:
„Sozialarbeit wird auf der Grundlage sozialstaatlich verfaßter Prinzipien vor allem von öffentlichen und halböffentlichen Institutionen getragen. Versuche, einzelne analytisch abgrenzbare Dimensionen der Sozialarbeit einer sozialwissenschaftlichen Betrachtung zu unterziehen, haben deshalb immer wieder ein für den Sozialarbeiter als grundlegend erachtetes Spannungsverhältnis thematisiert: das ‘doppelte Mandat’ und die sich für den Einzelnen daraus ergebenden Handlungskonflikte. Diese gemeinhin als ‘Berufsschicksal’ und ‘zentraler Rollenkonflikt’ des Sozialarbeiters herausgestellte Problematik, also der mit dem institutionell-organisatorischen Handlungsrahmen öffentlicher Sozialarbeit in der Regel implizit gesetzte Zwang, sich in der Divergenz professioneller und bürokratischer Verhaltenskodizes bewegen und zurechtfinden zu müssen, scheint im wissenschaftlich vorherrschenden Verständnis von Sozialarbeit als Paradigma sozialarbeiterischen Tuns schlechthin zu fungieren und als konstitutiv für spezifische Identitätskonflikte des Sozialarbeiters angesehen zu werden.“[2]
Im Verlauf der vorliegenden Arbeit werden zunächst der Begriff ‘Jugendgerichtshilfe’ unter Berücksichtigung der zuständigen Trägerschaft sowie die gesetzlichen Grundlagen und die Verfahrensrolle im Jugendstrafprozess näher erläutert, um darauf aufbauend tiefer auf das Hauptthema – Das doppelte Mandat der Jugendgerichtshilfe – eingehen zu können.
Die Jugendgerichtshilfe, im Folgenden häufig auch JGH abgekürzt – als Pflichtaufgabe des Jugendamtes – ist gesetzlich in § 38 Jugendgerichtsgesetz (JGG) bzw. § 52 Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG)[3], „welches den Begriff Jugendgerichtshilfe nicht kennt“[4], fixiert. Organisatorisch ist sie den Jugendämtern zugeordnet. Inhaltlich ergibt sich ihre Aufgabe aus dem im JGG zum Ausdruck kommenden Erziehungsgedanken, wodurch zwei Institutionen – Strafrecht und Jugendhilfe – zur Zusammenarbeit verpflichtet werden. Grundlage dafür ist § 38 II JGG, wonach Rechtsfolgen ein erzieherischer Charakter verliehen werden soll. Die durch das Gesetz bestimmte Kooperation von Justiz auf der einen und sozialpädagogischer Hilfe auf der anderen Seite ist jedoch mit Problemen behaftet. Neben dem eindeutigen staatlichen Auftrag kann u.U. auch Kraft des angestrebten pädagogischen Bezuges eine Art Auftrag des beschuldigten Jugendlichen[5] bestehen. Zwischen beiden Erwartungen besteht ggf. ein Widerspruch.[6]
Der Begriff JGH ist doppelsinnig. Einerseits beinhaltet er Aufgaben und Tätigkeiten, die innerhalb des Jugendstrafverfahrens vorzunehmen sind, andererseits bezeichnet er eine Organisation, die für die sachgemäße Durchführung dieser Aufgaben zuständig ist und sich verantwortlich zeigt (siehe hierzu: § 38 JGG; § 50 III JGG). Die Institution JGH impliziert die Doppelfunktion: Hilfe für das Gericht und Hilfe für den Täter.
Ferner bedingt bereits die Betrachtungsweise auf der etymologischen Ebene sogar Schwankungen eines drei gliederigen Bedeutungsgehalts, je nach Betonung des Begriffs zwischen Jugendhilfe und Gerichtshilfe: Jugend-Gerichts-Hilfe.
Anzumerken ist, dass die Ausführungen hauptsächlich nur auf Basis theoretischer Sachaspekte und gesetzlicher Grundlagen beruhen, da die Verfasserin nur wenige praktische Erfahrungen (im Zuge eines 4-wöchigen Praktikums in der Abteilung JGH im Jugendamt der Stadt Witten) auf dem Gebiet der Jugendgerichtshilfe sammeln konnte. Auf Grund dieser Tatsache ist es sicherlich in einigen Punkten – besonders im Bereich ggf. negativer Kritik – schwierig, die Objektivität zu bewahren, zudem die zahlreichen Autoren sehr viele unterschiedliche Stellungen beziehen – Quot homines, tot sententiae !
1.1 Definition Jugendgerichtshilfe
Eine universale Definition zur Jugendgerichtshilfe ist auf Grund der kontroversen Stellungen in der Literatur im Hinblick auf ihre Position im Jugendstrafprozess sehr diffizil. Einführend kurz definiert ist die Jugendgerichtshilfe für die „gemäß dem Jugendgerichtsgesetz durchzuführende gesonderte strafrechtliche Behandlung Jugendlicher und Heranwachsender (bis 21 Jahre) [verantwortlich], die entsprechend ihrem sittlichen und geistigen Entwicklungsstand noch nicht nach dem Erwachsenenstrafrecht beurteilt werden. Ihnen sollen durch präventive und erzieherische Hilfen bessere Eingliederungschancen erhalten bleiben.“[7]
Ergänzend kann hinzugefügt werden, dass es sich um eine von den Jugendämtern zu leistende Hilfe zur Durchführung des Jugendstrafverfahrens handelt. Die Vertreter der Jugendgerichtshilfe haben u.a. im gesamten Verfahren die bestehenden erzieherischen und sozialen Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen. Sie bleiben während des Vollzugs von Strafen mit dem Jugendlichen in Verbindung und helfen ihm bei der Wiedereingliederung in die Gemeinschaft (vgl. § 38 JGG).[8]
1.2 Geschichtlicher Hintergrund
Die Ansätze der JGH reichen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, obschon der Begriff ‘ Jugendgerichtshilfe ’ zu dieser Zeit noch nicht existierte. Die Behandlung jugendlicher Straftäter war in den §§ 55-57 des damals geltenden Reichsstrafgesetzbuches von 1871 geregelt[9], doch bereits „auf der zweiten Tagung der deutschen Landesgruppe der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (IKV) in Halle, 1891, war Verhandlungsgegenstand das Thema: Nach welcher Richtung hin ist eine Umgestaltung der über eine Behandlung jugendlicher Verbrecher im StGB (von 1871) gegebenen Bestimmung wünschenswert?"[10] 1891 kam ein richtungsweisender Gedanke an eine strafrechtliche Sonderbehandlung von Jugendlichen auf. Eine erste Entwicklung in diese Richtung war die Entstehung separater Jugendgerichte 1909 in Frankfurt, Köln und Berlin sowie die erste Jugendstrafanstalt 1912 in Wittlich.
Die Entwicklung der JGH ist mit der Geschichte des Jugendstrafrechts eng verbunden. Die Praxis der ersten Jugendgerichte zeigte, dass eine Unterstützung in Bezug auf Ermittlungstätigkeiten über Erziehungsberichte, gutachterliche Erziehungsvorschläge sowie begleitende und nachgehende Erziehungshilfen von Hilfsorganisationen nötig war, um den jugendgerichtlichen Aufgaben gerecht zu werden. So begann sich neben den Jugendgerichten eine Jugendgerichtshilfe zu entwickeln.
Ein erster Entwurf für ein Jugendgerichtsgesetz, in dem die JGH noch vorrangig als Angeklagtenhilfe bzw. Beistand des Angeklagten angesehen wurde, entstand 1912. Ein interessantes historisches Faktum ist, dass die Jugendgerichtshilfe in diesem Entwurf als Beistand des Angeklagten, also als Angeklagtenhilfe und nicht als Gerichtshilfe fungieren sollte. Neben dem Reichs-Jugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) von 1922, das in § 3 IV die Jugendgerichtshilfe zu einer Aufgabe des neu geschaffenen Jugendamtes bestimmte[11], entstand schließlich das Jugendgerichtsgesetz (damals auch Reichs-Jugendhilfegesetz) von 1923, in dem erstmals die Mitwirkung der JGH gesetzlich festgehalten wurde. In § 31 I heißt es: „Bei den Ermittlungen sind möglichst frühzeitig die Lebensverhältnisse des Beschuldigten sowie alle Umstände zu erforschen, welche zur Beurteilung seiner körperlichen und geistigen Eigenart dienen könnten.“; in Abs. 3 dann weiterhin: „Zur Erforschung der in Abs.1 bezeichneten Umstände ist das Jugendamt nach Möglichkeit zuzuziehen.“ und nach § 22 „sollten in allen Abschnitten des Verfahrens in Jugendsachen Organe der Jugendgerichtshilfe zur Mithilfe herangezogen werden“.[12] Der JGH wurde ein ordnungs- und polizeirechtlicher Charakter verliehen. „Mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz v. 09.07.1922 und dem Reichsjugendgerichtsgesetz v. 16.02.1923 hatte der Gesetzgeber sich für ein dualistisches System des Jugendrechts entschieden. [...] Die Reichsgesetzgebung [...] bedeutete damit eine Absage an Bestrebungen, allen Formen jugendlicher Dissozialität in einem einheitlichen Jugendrecht zu begegnen. Sie schuf die bis heute fortwirkende Trennung von Jugendkriminalrechtspflege und Jugendhilfe.“[13]
Es ist zu ergänzen, dass die Landesbehörden auf Grund einer Verordnung über das Inkrafttreten des RJWG vom 14.02.1924 das Recht hatten, die Jugendämter von der Durchführung der Pflichtaufgabe JGH zu befreien. Diese Willkür wurde erst im JGG von 1953, das einen gewissen Abschluss in der Entwicklung bildet und das RJGG ersetzte, aufgehoben. „Die Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche ermittelnder, berichtender, beratender, überwachender und betreuender Art werden im JGG 1953 erstmals allgemein umrissen und der JGH mit §§ 38, 50 und 93 JGG – zum Teil weitreichende – Beteiligungsrechte eingeräumt.“[14] Mit § 29 RJGG wurde dem Jugendgerichtshelfer die Rolle des Sozialanwaltes zugebilligt, der als Beistand für den Jugendlichen bestimmt werden konnte.[15] Eine wesentliche Veränderung zum RJGG war die Tatsache, „daß der Jugendgerichtshelfer nicht mehr als Beistand für den Klienten eingesetzt werden konnte“.[16] Obwohl 1953 der Aufgabenbereich der Jugendgerichtshilfe deutlich umschrieben wurde, ist die verfahrensrechtliche Stellung der Jugendgerichtshilfe bzw. des Jugendgerichtshelfers bis dato stark umstritten.
Geht man vom Wortlaut des Jugendgerichtsgesetzes von 1953 wie auch vom Inhalt der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes aus, so handelt es sich bei der Jugendgerichtshilfe um eine Rechtseinrichtung ‘eigener Art’. Im übrigen ist der Jugendgerichtshelfer in der Strafprozessordnung und dem Gerichtsverfassungsgesetz als Verfahrensbeteiligter unbekannt.[17]
2. Die Jugendgerichtshilfe in JGG und KJHG
In Deutschland beginnt nach dem JGG vom 11.12.1974 (Änderungen erfolgten im August 1990) die strafrechtliche Verantwortlichkeit mit der Vollendung des 14. Lebensjahres, wenn der Jugendliche zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug war, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Auf Heranwachsende wird das Jugendstrafrecht trotz zivilrechtlicher Volljährigkeit angewendet, wenn der Täter zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand oder es sich bei der Art der Tat um eine „Jugendverfehlung“ handelt (vgl. § 105 JGG).
Die Straftat soll in erster Linie durch Erziehungsmaßregeln (Erteilung von Weisungen, Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung, z. B. durch Erziehungsbeistandschaft) geahndet werden; wenn diese nicht ausreichen, wird die Straftat mit Zuchtmitteln (Verwarnung, Erteilung von Auflagen, Jugendarrest; gemäß Einigungsvertrag nicht in den neuen Bundesländern) oder mit Jugendstrafe belangt.
Die Reformbestrebungen im Jugendhilferecht waren zahlreich. Das Leitbild der 60er und 70er Jahre war Jugendkriminalität als Ausdruck eines Erziehungsdefizits. Den Jugendlichen betrachtete die JGH wenn nicht als ‘anlagegestört’, dann aber zumindest ‘entwicklungsgestört’ und damit ‘resozialisationsbedürftig’. Die 80er Jahre brachten neue Konzepte, denen folgende zentrale Thesen immanent waren[18]:
- „Jugendkriminalität ist normal. Statistisch anormal ist es
dagegen ‘erwischt’ zu werden.
- Jugendkriminalität ist ein episodenhaftes und vorübergehendes
Verhalten.
- Das ‘broken-home-Syndrom’ ist kein tauglicher Indikator für
Prognosen über jugendliche Kriminalität.“[19]
Der Deutsche Bundestag hat den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts am 28. März 1990 mit großer Mehrheit verabschiedet. Die Ablösung des Jugendwohlfahrtsgesetzes (JWG) zum Kinder- und Jugendhilfegesetz – im Folgenden häufig auch KJHG – trat am 01.01.1991 als achtes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) in Kraft (das 1. ÄndGKJHG trat am 1. April 1993 in Kraft), wodurch die Jugendhilfe nach jahrzehntelangen Diskussionen eine neue Rechtsgrundlage erhielt.[20] Das KJHG stellt keine grundlegende Reformation dar, sondern lediglich Neuregelungen. Die prinzipiellen Probleme des Zusammenspiels von Jugendhilfe und jugendrichterlichen Entscheidungen in Bezug auf die JGH bleiben dennoch bestehen.
Durch Änderungen des JGG sollte der Erziehungsgedanke mehr in den Vordergrund gestellt und das Kinder- und Jugendhilferecht in einem modernen, präventiven Leistungsgesetz verankert werden, um Eltern bei ihren Erziehungsaufgaben zu unterstützen und jungen Menschen das Hineinwachsen in die Gesellschaft zu erleichtern.
Die Eckpunkte setzen sich aus der Förderung der Entwicklung, dem Wecken individueller Anlagen, Begleitung und Hinführung zum selbstverantwortlichen Handeln des präventiv orientierten KJHG zusammen. Der Schwerpunkt der Neuregelung sollte in der Differenzierung des Leistungssystems der Jugendhilfe bzw. in der Betonung der präventiven gegenüber den eingreifenden Maßnahmen liegen. Entsprechend wurde die vormalige Fürsorgeerziehung abgeschafft und der Katalog der Hilfen zur Erziehung zu einem breiten Angebot von ambulanten und teilstationären Maßnahmen, z.B. der klassischen Form der Pflegefamilie und der Heimerziehung, differenziert. So hat sich in den letzten Jahren immer mehr die Möglichkeit der informellen Verfahrenserledigung (Diversion), u.a. mittels Sozialer Trainingskurse, entwickelt und durchgesetzt.[21]
Im KJHG ist nicht explizit der Begriff ‘ Jugendgerichtshilfe ’ erwähnt. Stattdessen erfolgt die Umschreibung „Mitwirkung der Jugendhilfe im gerichtlichen Verfahren“ (vgl. § 52 I KJHG). „Schon durch die Wortwahl signalisiert das KJHG die Einbindung der Aufgabe in die Jugendhilfe und stellt dabei deutlicher als bisher klar: Jugend(gerichts)hilfe (JGH) ist Teil der Jugendhilfe. Sie hat also keine von den sonstigen Abteilungen der Jugendhilfe losgelösten Aufgaben oder Befugnisse, vielmehr muß sie im Rahmen eines Strafverfahrens die durch das KJHG definierten fachlichen Aspekte der Jugendhilfe zur Geltung bringen.“[22]
Die bereits erwähnte Änderung des JGG im August 1990 hatte ebenso eine neue Richtung des JGG zur Folge. „Mit den Änderungen des JGG 1990 wuchs der JGH die Aufgabe zu, Haftentscheidungshilfe zu leisten. Die kriminalpolitische Favorisierung der sog. Ambulanten Maßnahmen eröffnet seither der JGH neue Betätigungsfelder. Die JGH repräsentiert damit eine anspruchsvollere Institution als die Gerichtshilfe für erwachsene Straftäter.“[23]
Das Verständnis der Jugendgerichtshilfe aus der Sicht der Jugendgerichtsbarkeit war vormals von einer justiznahen Aufgabenwahrnehmung geprägt. Im Laufe der Zeit haben sich Rolle und Selbstverständnis der Jugendhilfe grundlegend gewandelt. Die Besinnung auf inhaltliche Ziele und methodische Vorgehensweisen einer sozialpädagogisch orientierten Jugendhilfe trat in der Vordergrund. Das gewandelte Verständnis von Jugend(gerichts)hilfe spiegelt sich auch in den rechtlichen Rahmenbedingungen ihres Handelns wider.[24]
Die Jugendgerichtshilfe ist eine Rechtseinrichtung und basiert somit auf gesetzlichen Grundlagen. Die sachliche Zuständigkeit der Jugendgerichtshilfe ergibt sich zunächst aus § 2 III Satz 8 KJHG. Bezüglich der genauen Ausgestaltung der Arbeit der JGH verweist das KJHG auf das JGG, das als Grundlage für die Funktionsbestimmung der Jugendstrafjustiz dient. Seine Zweckbestimmung ist die Sanktionierung von Straftaten Jugendlicher oder Heranwachsender (vgl. § 1 I JGG). Die Grundlage für die Funktionsbestimmung der Jugendhilfe ist das KJHG. Seine Zweckbestimmung ist die Hilfe für Kinder, Jugendliche und junge Volljährige. Was beide Gesetze zu verbinden scheint ist die Möglichkeit des Jugendgerichts, im Einzelfall von Strafe abzusehen und dem Erziehungszweck damit Vorrang zu geben. Was beide Gesetze klar trennt, ist der Umkehrschluss: die Unzulässigkeit, der Jugendhilfe das Recht zuzugestehen, von Hilfe abzusehen, um Strafe zu ermöglichen.[25]
Neben dem wesentlichen, bereits erwähnten § 38 JGG wird die JGH auch im KJHG unter § 52 „Mitwirkung in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz“ umschrieben. Hier wird die Mitwirkung des Jugendamtes im Verfahren, die Prüfung, ob für den jungen Volljährigen Leistungen der Jugendhilfe in Frage kommen, die Unterrichtung des Staatsanwaltes oder Richters hierüber und die Betreuung des jungen Täters während des gesamten Verfahrens festgelegt. In den Angelegenheiten der Betreuungsweisung seitens der JGH tritt § 30 KJHG in Kraft. Zur sozialpädagogischen Prüfung, ob Leistungen der Jugendhilfe in Betracht kommen, zur ‘Absehung’ von der Verfolgung bzw. zur Einstellung des Verfahrens und ggf. Vermittlung und Einleitung von Jugendhilfe auf der Grundlage der psycho-sozialen Diagnose bieten der JGH die §§ 27-35 und 43 KJHG eine Rechtsgrundlage.
3. Das Jugendstrafrecht – ein Sondergesetz
Während die Straftaten Erwachsener nach dem Strafgesetzbuch geahndet werden, wobei dieses nur zwei Sanktionsformen – Geldstrafe und Freiheitsstrafe – vorsieht, gibt es für jugendliche (14-18 jährige) und heranwachsende[26] (18-21 jährige) Straftäter ein Sondergesetz: das Jugendgerichtsgesetz[27] .
Das JGG befasst sich nur mit den strafrechtlichen Folgen der Verfehlungen Jugendlicher und Heranwachsender und daher wird zunächst eine mit Strafe bedrohte Verfehlung vorausgesetzt (vgl. § 1 Satz 1 JGG). „Unter Verfehlungen sind Verbrechen oder Vergehen zu verstehen. Sie müssen entweder durch das StGB oder durch ein nebenstrafliches Gesetz (z.B. Steuer-, Wirtschafts- oder Wehrstrafgesetz), die vom JGG mit dem zusammenfassenden Ausdruck der allgemeinen Vorschriften bezeichnet werden, mit echter Kriminalstrafe bedroht sein. Deshalb fallen Ordnungswidrigkeiten, die nach dem OwiG nur mit Geldbuße geahndet werden, und disziplinarrechtliche Tatbestände nicht unter das JGG.“[28]
Die Strafmündigkeit beginnt, wie bereits erwähnt, mit Vollendung des 14. Lebensjahres, wobei „grundsätzlich das Alter zum Tatzeitpunkt maßgebend ist“[29]. Das JGG setzt sich für eine Beurteilung des Täters und nicht für eine Aburteilung der Tat ein. „Um seiner Tat willen steht der junge Angeklagte vor dem Jugendrichter, Mittelpunkt des Verfahrens ist aber nicht die Tat, sondern der Täter.“[30] Im erzieherisch konzipierten Jugendstrafrecht kommt es also weniger auf das zurückliegende Geschehen an, als vielmehr darauf, wie dieser Täter in seiner weiteren Entwicklung und Sozialisation beeinflusst werden kann.
Basis für das ‘Sondergesetz’ ist der Grundgedanke, dass Straftaten von Jugendlichen, die sich sowohl körperlich als auch geistig noch in der Entwicklung befinden, anders beurteilt werden sollen als Straftaten Erwachsener. Verfahrensrechtlich gibt es daher einige gravierende Abweichungen zum ‘Erwachsenenstrafrecht’.
So werden bspw. Jugendlichen Rechtsmittel gegen Urteile nur in geringem Umfang gewährt (vgl. § 55 JGG).
Die differente Be- bzw. Verurteilung erklärt sich dahingehend, dass von Strafen im Sinne des StGB abgesehen werden kann, wenn entsprechende erzieherische Maßnahmen sinnvoll eingesetzt und für ausreichend empfunden werden. Das Jugendstrafrecht geht davon aus, dass Jugendliche noch nicht im vollen Umfang die tatsächlichen Folgen ihres Tuns und Handelns einschätzen können. Sie wachsen erst mit zunehmender Reife in die Welt der Erwachsenen hinein und passen sich durch erfolgte Sozialisation deren Maßstäben an.[31]
Bei der Beurteilung der Straftat spielen auch pädagogische Gesichtspunkte eine Rolle, „deshalb können gleiche oder ähnliche Straftaten im Jugendstrafrecht unterschiedlich geahndet werden.“[32] Eine weitere Besonderheit des Jugendstrafverfahrens stellt die Einstellung des Verfahrens durch Richterbeschluss nach Einreichung der Klage dar, wenn der Richter der Auffassung ist, dass eine solche ‘formlose’ Lösung unter erzieherischen Gesichtspunkten ausreichend ist. Diese Einstellung ist unanfechtbar, bedarf jedoch der Zustimmung des Staatsanwaltes (vgl. § 47 I, II JGG).[33] Deutlich wird somit ein pädagogischer Faktor, der für die Behandlung jugendlicher Straftäter maßgebend ist, weil die Person und die Persönlichkeitsstruktur des Straftäters vordergründig sind. Das Gesetzesziel ist die Erziehung und ‘Besserung’ des Jugendlichen, nicht nur wegen dessen ‘Personalisation’ und Sozialisation, sondern auch um der Wiederholung von Straftaten präventiv entgegenzuwirken.
Durch die Ahndung von Straftaten junger Täter wird durch das geltende Strafrecht indes vorausgesetzt, dass auch Strafandrohung und Strafvollzug Erziehungsmittel sind, ohne die eine wirksame Verhütung von Straftaten nicht realisierbar scheint. Dabei ist nicht zu unterschätzen, dass Strafe und insbesondere Freiheitsstrafe mit Anstaltsvollzug sich durch negative Einflüsse auch erziehungsschädlich auswirken kann und folglich Strafe und Erziehung in einem Spannungsverhältnis stehen.[34]
4. Der Träger und die Organisation
Die JGH wurde nach § 38 I JGG als Aufgabe der Jugendämter „im Zusammenwirken mit den Vereinigungen für Jugendhilfe“ festgelegt. Die Effektivität dieser Festlegung soll darin bestehen, dass das Jugendamt den Kern der Jugendarbeit bildet, wodurch der Problemfall der Jugendkriminalität nicht ausgegrenzt werden und ein breites Spektrum an Hilfsquellen angeboten und eingesetzt werden kann. „Die sachliche Zuständigkeit des Jugendamtes für die Mitwirkung im Jugendgerichtsverfahren ergibt sich aus § 52 KJHG. JGH ist somit eine Pflichtaufgabe des örtlichen Trägers öffentlicher Jugendhilfe: des Kreises bzw. der kreisfreien Stadt (§ 69 Abs. 1, Satz 2 KJHG). [...] Jeder örtliche Träger öffentlicher Jugendhilfe muß gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 KJHG ein Jugendamt einrichten. Dieses stellt ein eigenständiges Amt innerhalb der Kommunalverwaltung dar [...].“[35] Die Arbeit und die innerdienstlichen Abläufe der Organisation werden in Kommunal- und Kreisverwaltungen mit Hilfe von Dienst- und Geschäftsanweisungen geregelt. In den Jugendämtern selbst gibt es in der Regel Aufgabenbeschreibungen zu den einzelnen Tätigkeiten und geforderten Leistungen.[36] Da für den Bereich der JGH keine festgesetzten Anweisungen sondern nur Empfehlungen für Organisationsformen existieren, die von der kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung entworfen wurden, liegt die weitere Ausgestaltung der Aufgabenführung in der Hand der örtlichen JGH und wird demnach auf der jeweiligen kommunalen Basis unterschiedlich gehandhabt. „Das KJHG enthält keine Vorschrift darüber, wie das Jugendamt die JGH zu organisieren hat. Es gibt also keine gesetzlichen Vorgaben, ob die JGH als Spezialdienst oder als Teil des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) bzw. der Familienfürsorge zu organisieren ist.“[37]
Der Spezialdienst der Jugendgerichtshilfe stellt einen Sozialpädagogen, der für die Wahrnehmung aller Aufgaben in der Jugendgerichtshilfe zuständig ist.[38] Diese Einrichtung bietet viele Vorteile, da nicht verschiedene Abteilungen des JA oder des ASD in denselben Fall involviert sind. Eine Person hat fundierte Rechtskenntnisse des Jugendstrafrechts inne und arbeitet eng mit Richtern und Staatsanwälten zusammen. „Für den Klienten bedeutet die Einrichtung der JGH als Spezialdienst eine konstante Betreuung im laufenden Strafverfahren. Gespräch, Berichterstellung, Begleitung in der Verhandlung und die danach möglicherweise erforderliche Weiterbetreuung liegen in einer Hand.“[39] Auf Grund der Spezialisierung eines Mitarbeiters oder gar einer Abteilung, die durch die erforderliche Fortbildung und durch die Sonderstellung mit Kosten verbunden ist, haben bereits viele Jugendämter den ASD mit den Aufgaben der JGH betraut (siehe bezügl. der Sparmaßnahmen auch Kapitel 11.5 ‘Rollenkonflikte durch Sparmaßnahmen’).
In der Organisationsform des ganzheitlichen Ansatzes hat die JGH ihren Sitz im ASD oder als Sachgebiet in der Allgemeinen Erziehungshilfe. Die Zusammenführung verschiedener Dienste wie ASD und JGH hat den Vorteil, dass der Sozialarbeiter das soziale Umfeld des Jugendlichen ggf. kennt und eventuell somit bereits Vorkenntnisse über seine Lebensumwelt hat, so dass eher die Möglichkeit gegeben ist, geeignete Hilfsmaßnahmen in Betracht ziehen zu können. Eine Gefahr kann hingegen dort gesehen werden, wo der betroffene Jugendliche oder seine Familie bereits negative Erfahrungen mit gerade diesem Sachbearbeiter gemacht haben, so dass der Aufbau einer Vertrauensbasis kaum möglich ist. Eine weiterer Kritikpunkt ergibt sich aus der Möglichkeit, dass die JGH in den vielseitigen Aufgaben des ASD untergehen könnte.
Soweit es den Umständen des Einzelfalls entgegenkommt und personell durchführbar ist, ist es nach geltendem Recht möglich, bei divergierenden Aufgaben des Jugendgerichtshelfers die Ermittlungstätigkeit, als ursprünglich gesetzmäßige Aufgabe durch das Jugendamt, die Hilfe für den Jugendlichen jedoch durch einen Freien Träger durchführen zu lassen.[40] Es ist daher legitim, nichtamtliche anerkannte Freie Träger der Jugendgerichtshilfe (bspw. Evangelisches Hilfswerk, Caritas, Arbeiterwohlfahrt) einzuschalten, die gemäß § 38 I JGG ein Recht auf Mitwirkung haben. „Darüber hinaus kann das Jugendamt im Rahmen des § 76 I KJHG die Geschäfte der Jugendgerichtshilfe widerruflich auf die Träger der freien Jugendhilfe übertragen, jedoch nur bei gleichzeitiger Beibehaltung der Verantwortung.“[41] Angesichts dieser Möglichkeit von Seiten des Jugendamtes kann hingegen kritisch betrachtet nicht mehr von Jugendhilfe, die die JGH ebenfalls zur Aufgabe hat, die Rede sein, da sich durch das Einschalten Freier Verbände die reine Hilfe für das Gericht herauskristallisieren könnte. Daher stellt sich die Frage, welche Aufgaben der JGH auf die freien Institutionen übertragen werden können. Sinnvoll erscheint, dass die JGH grundsätzlich selbst ‘Fälle’ übernimmt, die wegen zu erwartenden Widerstandes seitens des Jugendlichen oder seines Umfeldes oder in Fällen schwerer Kriminalität die Aktion eines Mitarbeiters mit den hoheitlichen Befugnissen des Jugendamtes erforderlich macht.[42] Demzufolge könnte in leichteren ‘Fällen’ der ermittelnden Tätigkeit sowie der überwachenden und betreuenden Tätigkeiten eine freie Institution eingeschaltet werden, die aber dann kontinuierlich zuständig sein sollte.
Durch die Beischaltung der Freien Träger kann ggf. der Gefahr bürokratischer Erstarrung der Jugendgerichtshilfe entgegengewirkt werden.[43]
Eine zusätzliche ‘Organisationsform’ – neben den bisher genannten – ist der ‘Gerichtsgeher’, dessen Beitrag lediglich die Anwesenheit während der Verhandlung ist, in der er den Bericht der Jugendgerichtshilfe mündlich vorträgt, zu dessen Inhaltsrecherche er hingegen nichts beigetragen hat. Zustandekommen könnte das ‘Gerichtsgehertum’ einerseits durch Urlaub oder Krankheit im Spezialdienst, durch Aufgabenverteilung im ASD oder durch Strukturierungen oder Organisationsformen des JA in Innen- und Außendienst.
Im KJHG „hat der Gesetzgeber sich in § 52 Abs. 3 jedoch bedauerlicherweise für eine bloße Soll-Vorschrift entschieden und das Fortbestehenden des Gerichtsgeher-Problems nicht gänzlich ausgeschlossen.“[44] Auch der durch das 1. JGGÄndG von 1990 neu eingefügte § 38 II Satz 4 JGG versucht dem lediglich durch eine Soll-Vorschrift entgegenzuwirken: „In die Hauptverhandlung soll der Vertreter der Jugendgerichtshilfe entsandt werden, der die Nachforschungen angestellt hat.“
5. Aufgaben der Jugendgerichtshilfe
Um das Hauptthema dieser Arbeit – Das doppelte Mandat der Jugendgerichtshilfe – eingehender fokussieren zu können, erfolgen zunächst Erläuterungen zu den Aufgaben der Jugendgerichtshilfe um darauf basierend die Ansatzpunkte für die Zwitterrolle und dadurch implizite Rollenkonflikte aufzeigen zu können.
„Der Aufgabenbereich der Jugendgerichtshilfe ist vielseitig und vielschichtig und erfordert fundierte Fachkenntnisse.“[45] Das JGG (§ 38 II) beinhaltet, wie bereits angeführt, die Aufgabenbereiche der JGH.
Kurz formuliert lassen sich die Aufgaben der JGH als Ermittlungshilfe, Berichtshilfe sowie Betreuungs- und Überwachungshilfe resümieren, wobei der Leiter dieser Ermittlungen nach der Regelung des allgemeinen Strafprozesses (gem. § 43 I JGG) der Jugendstaatsanwalt ist.
5.1 Ermittlungshilfe: Die Persönlichkeitserforschung
Expressis verbis ist die Ermittlungshilfe der JGH nicht als kriminalistische Aufklärung der vermutlich begangenen Tat des betroffenen Jugendlichen zu verstehen, sondern der Sozialarbeiter der Jugendgerichtshilfe hat die Erarbeitung der Tatsachen für die Erforschung und Beurteilung der Persönlichkeit des Beschuldigten zu leisten.
Bei ihrer Ermittlungsaufgabe ist die JGH unbeirrt auch Jugendhilfe im Sinne des KJHG. Sie hat daher von Anfang an mit zu prüfen, ob Leistungen der Jugendhilfe in Betracht kommen, um diese im Bedarfsfall anbieten und einleiten zu können.[46] Leistete die Polizei diese mühevolle und zeitraubende Ermittlungstätigkeit, obschon sie vielfach über jungendpsychologisch geschulte Fachkräfte verfügt, bestünde die Gefahr der einseitigen Perspektive einer reinen Strafverfolgung.[47]
Die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes ist daher die sorgfältige Persönlichkeitsermittlung. Erst wenn die Persönlichkeit des Jugendlichen bezügl. Entwicklung und allgemeinen wie tatauslösenden Umwelteinflüssen eingehend erforscht worden ist, lässt sich das geeignete Erziehungsmittel bestimmen. Daher ist die Persönlichkeitserforschung neben der Aufklärung des Sachverhalts eine besondere Verfahrensaufgabe von immenser Bedeutung.[48] Da im Mittelpunkt des Interesses eines Jugendstrafverfahrens weniger die Tat sondern vielmehr der Jugendliche steht, spielt notwendigerweise das Persönlichkeitsbild des Jugendlichen eine entscheidende Rolle.
[...]
[1] Die Arbeit wurde nach den Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung verfasst.
[2] Lothar Böhnisch/ Hans Lösch: Das Handlungsverständnis des Sozialarbeiters und seine institutionelle Determination, in: Werner Thole/ Michael Galuske (Hg.): KlassikerInnen der sozialen Arbeit: sozialpädagogische Texte aus zwei Jahrhunderten – ein Lesebuch. Luchterhand. Neuwied 1998, S. 367
[3] Auszüge aus dem KJHG und dem JGG befinden sich im Anhang.
[4] Klaus Laubenthal: Jugendgerichtshilfe im Strafverfahren. Heymann. Köln 1993, S. 41
[5] Es wird darauf hingewiesen, dass zum Zwecke der besseren Lesbarkeit bei Bezeichnungen (wie z.B. der Jugendliche/ der JG-Helfer/ der Sozialarbeiter) die maskuline Anredeform gewählt wurde.
[6] vgl. Hans-Joachim Plewig: Jugendgerichtshilfe, in: Dieter Kreft/ Ingrid Mielenz: Wörterbuch soziale Arbeit: Aufgabenfelder, Praxisfelder, Begriffe und Methoden der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. 4., vollst. überarb. und erw. Aufl. Beltz. Weinheim [u.a.] 1996, S. 311
[7] Gerhard Eberle (Hg.): Meyers kleines Lexikon Pädagogik. Mannheim 1988, S. 222
[8] Weitere ausführlichere und detaillierte Definitionen zur Begrifflichkeit der Jugendgerichtshilfe finden sich u.a. im: Wörterbuch Pädagogik (hrsg. von Horst Schaub/ Karl. G. Zenke), 2. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag. München 1997, S. 195f, sowie im: Wörterbuch Soziale Arbeit. Aufgabenfelder, Praxisfelder, Begriffe und Methoden der Sozialarbeit und Sozialpädagogik (hrsg. von Dieter Kreft/ Ingrid Mielenz), 4., vollst. überarb. und erw. Aufl. Beltz. Weinheim [u.a.] 1996, S. 311
[9] vgl. Jörg E. Wilhelm: Die Stellung der Jugendgerichtshilfe im Verfahren. InauguralDissertation. Universität Trier 1992, S. 52
[10] Eva Lux: Jugendgerichtshilfe zwischen Schuld und Strafe. Enke Verlag. Stuttgart 1978, S. 86
[11] vgl. Hans Hartmann von Schlotheim / Hans Ullrich/ Hellmut Meng: Praktische Jugendgerichtshilfe. Eine Arbeitshilfe aus juristischer und fürsorgerischer Sicht für die sozialpädagogische Ausbildung und Praxis. Luchterhand. Berlin-Spandau 1961, S. 8
[12] vgl. Reichs-Jugendgerichtsgesetz. Linck-Verlag. Haag 1948
[13] Klaus Laubenthal, a.a.O., S. 3
[14] ebd., S. 12
[15] vgl. Rudolf Klier / Monika Brehmer/ Susanne Zinke: Jugendhilfe im Strafverfahren – Jugendgerichtshilfe. Handbuch für die Praxis Sozialer Arbeit. Walhalla. Berlin 1995, S. 14
[16] ebd.
[17] vgl. Robert Wagner: Die Stellung der Jugendgerichtshilfe im Verfahren, in: Zeitschrift für Kinder und Jugendhilfe 1980, S. 97ff.
[18] vgl. Walter H. Kiehl, in: Reinhard Wiesner/ Walter H. Zarbock (Hg.): Das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) und seine Umsetzung in die Praxis. Heymann. Köln [u.a.] 1992, S. 192
[19] Walter H. Kiel, a.a.O., S. 192
[20] vgl. Reinhard Wiesner/ Walter H. Zarbock (Hg.): Das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) und seine Umsetzung in die Praxis. Heymann. Köln [u.a.] 1991, S.1
[21] vgl. Thomas Lakies: Das KJHG und das neue JGG und die Arbeit der Jugendgerichtshilfe, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens 39(1991)2, S. 207
[22] Thomas Trenczek: Was tut die Jugendhilfe im Strafverfahren? In: DVJJ Journal 166(1999)4, S. 375 - 389, hier S. 376
[23] Hans-Joachim Plewig, a.a.O. 1996, S. 311
[24] vgl. Thomas Trenczek: Auszug aus dem Souterrain? Rechtliche Rahmenbedingungen und sozialpädagogische Handlungsansätze für die Jugendhilfe im Strafverfahren, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens 41(1993)3, S. 316-328, hier S. 317
[25] vgl. Udo Maas: Auswirkungen des Ersten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch (KJHG) auf die Arbeit der Jugendgerichtshilfe, in: Zentralblatt für Jugendrecht 81(1994)2, S. 68 – 71, hier S. 68
[26] Anmerkung: Auf die Differenzierung: Jugendlicher/che – Heranwachsender/de wird in dieser Arbeit verzichtet, da die angesprochenen Aspekte nahezu beide betreffen.
[27] vgl. Irene Wilbrand/ Dorothea Unbehend: Praxisleitfaden für die Jugendgerichtshilfe. Fallorientierte Arbeitshilfe. C.H. Beck. München 1995, S. 2
[28] Friedrich Schaffstein: Jugendstrafrecht: eine systematische Darstellung. 13. überarbeitete Auflage. Kohlhammer. Stuttgart 1998, S. 51f.
[29] Gerhard S. Jaeger: Jugendhilfe und Jugendhaftjustiz, Gedanken zu einer Gratwanderung, in: Jugendhilfe 32(1994)6, S. 339-345, hier S. 340
[30] Rudolf Brunner: Spezialisierte Jugendgerichtshilfe? In: Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt 59(1972)10, S. 321-324, hier S. 321
[31] vgl. Friedrich Schaffstein, a.a.O., S. 4
[32] vgl. Irene Wilbrand/ Dorothea Unbehend, a.a.O., S. 2
[33] vgl. Friedrich Schaffstein, a.a.O., S. 237
[34] vgl. Friedrich Schaffstein, a.a.O., S. 2
[35] Klaus Laubenthal, a.a.O., S. 42f.
[36] vgl. Rudolf Klier/ Monika Brehmer/ Susanne Zinke, a.a.O., S. 178f.
[37] Thomas Lakies, a.a.O., S. 209
[38] vgl. Irene Wilbrand/ Dorothea Unbehend, a.a.O., S. 135
[39] ebd., S. 136
[40] vgl. Ulrich Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar. 7. neu überarbeitete Auflage. Beck. München 1997, § 38 JGG Rn. 6, S. 377
[41] Jörg. E. Wilhelm, a.a.O., S. 55
[42] vgl. Jörg. W. Wilhelm, a.a.O., S. 56
[43] vgl. Friedrich Schaffstein, a.a.O., S. 209
[44] Klaus Laubenthal, a.a.O., S. 53
[45] Irene Wilbrand/ Dorothea Unbehend, a.a.O., S. 1
[46] vgl. Walter H. Kiehl, a.a.O., S. 196
[47] vgl. Friedrich Schaffstein, a.a.O., S. 207f.
[48] vgl. Gabriele Seidel: Die Jugendgerichtshilfe in ihrer Ermittlungsfunktion und ihr Einfluß auf richterliche Entscheidungen in Jugendstrafverfahren gegen weibliche Jugendliche. Peter Lang Verlag. Frankfurt a.M. 1988, S. 36
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