Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Bild der Frau in Hartmann von Aues „Erec“. Diese höfische Epik, entstanden zwischen ca. 1180 und 1190, transportierte zum ersten Mal die Thematik des Hofes um König Artus in den deutschen Sprachraum. Grundlage bildete der „Erec“ Chretien de Troyes, der den Stoff der Artusgesellschaft für den französischen Sprachraum erschlossen hat.
Die Artusgesellschaft wird als höfisch-christliche Idealgesellschaft charakterisiert. Welche Rolle nehmen nun Frauen in diesem Milieu ein, welches Frauenbild wird vom Dichter konstruiert? Welche Funktion hat die Frau in der Gesellschaft, welche übt sie in der Mann-Frau Beziehung aus? Existieren besondere Kennzeichen für eine Dame der höfischen Artusgesellschaft und wenn ja, welche? Welche Typen von Frau treten im „Erec“ auf?
Zu beachten ist, dass diese Arbeit sich nicht mit den realen Lebensbedingungen von Frauen allgemein oder von Frauen der höfischen Lebenswelt Ende des 12. Jahrhunderts befasst. Ein solcher Transfer kann, auch aufgrund der unzureichenden Quellenlagen zu den realen Lebensbedingungen der Zeit, in diesem Rahmen nicht geleistet werden. Jedoch sind Dichtungen wie der „Erec“ als Auftragsarbeit im höfischen Milieu entstanden und werden somit sicherlich nicht vollkommen den Moral- und Lebensvorstellungen dieses Umfelds widersprochen haben, zumal die Dichtungen üblicherweise vor höfischem Publikum aufgeführt wurden. An einigen Stellen der Arbeit finden sich daher Hinweise auf die Sichtweise der Gesellschaft des 12. Jahrhunderts in Hinblick auf die Frau, vor dem Hintergrund der kirchlichen Lehren. Trotz dieser gelegentlichen Verweise ist zu beachten, dass es sich beim „Erec“ um eine Dichtung handelt, die dazu dienen sollte, ein höfisches Publikum zu unterhalten und in welchem der Dichter ideale Bedingungen für einen Minne- und Abenteuerroman erschuf, die nicht deckungsgleich mit den realen Lebensbedingungen waren. Welche Rolle die Frau in dieser Dichtung einnimmt, damit beschäftigt sich diese Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung..
2. Schönheit und Tugend der Frau im „Erec“
2.1 weibliche Tugenden
2.2 Schönheit als Kennzeichen der höfischen Dame
2.3 Sprache und Sprachlosigkeit
3. Eheverständnis im „Erec“
3.1 Erecs Minne und Enites Möglichkeiten
3.2 Die Episode von Joie de la curt
4. Famurgan als Topos der Zauberin und Gegenpol des höfisch-christlichen Frauenideals
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis.
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Bild der Frau in Hartmann von Aues „Erec“. Diese höfische Epik, entstanden zwischen ca. 1180 und 1190, transportierte zum ersten Mal die Thematik des Hofes um König Artus in den deutschen Sprachraum. Grundlage bildete der „Erec“ Chretien de Troyes, der den Stoff der Artusgesellschaft für den französischen Sprachraum erschlossen hat.
Die Artusgesellschaft wird als höfisch-christliche Idealgesellschaft charakterisiert. Welche Rolle nehmen nun Frauen in diesem Milieu ein, welches Frauenbild wird vom Dichter konstruiert? Welche Funktion hat die Frau in der Gesellschaft, welche übt sie in der Mann-Frau Beziehung aus? Existieren besondere Kennzeichen für eine Dame der höfischen Artusgesellschaft und wenn ja, welche? Welche Typen von Frau treten im „Erec“ auf?
Zu beachten ist, dass diese Arbeit sich nicht mit den realen Lebensbedingungen von Frauen allgemein oder von Frauen der höfischen Lebenswelt Ende des 12. Jahrhunderts befasst. Ein solcher Transfer kann, auch aufgrund der unzureichenden Quellenlagen zu den realen Lebensbedingungen der Zeit, in diesem Rahmen nicht geleistet werden. Jedoch sind Dichtungen wie der „Erec“ als Auftragsarbeit im höfischen Milieu entstanden und werden somit sicherlich nicht vollkommen den Moral- und Lebensvorstellungen dieses Umfelds widersprochen haben, zumal die Dichtungen üblicherweise vor höfischem Publikum aufgeführt wurden. An einigen Stellen der Arbeit finden sich daher Hinweise auf die Sichtweise der Gesellschaft des 12. Jahrhunderts in Hinblick auf die Frau, vor dem Hintergrund der kirchlichen Lehren. Trotz dieser gelegentlichen Verweise ist zu beachten, dass es sich beim „Erec“ um eine Dichtung handelt, die dazu dienen sollte, ein höfisches Publikum zu unterhalten und in welchem der Dichter ideale Bedingungen für einen Minne- und Abenteuerroman erschuf, die nicht deckungsgleich mit den realen Lebensbedingungen waren. Welche Rolle die Frau in dieser Dichtung einnimmt, damit beschäftigt sich diese Arbeit.
2. Schönheit und Tugend der Frau im „Erec“
2.1 weibliche Tugenden
Im 12. Jahrhundert, in welchem Hartmanns „Erec“ entstand, sind die Sichtweise und die moralischen Vorstellungen der abendländischen Gesellschaft geprägt von den Kirchenlehren Augustins aus dem 5. Jahrhundert. Demgemäß wurden Frau und Mann zwar beide als Abbild Gottes anerkannt, allerdings diente ihr geschlechtlicher Unterschied dazu, dem Mann eine überlegene, rationale Position zuzusprechen, die ihm das Recht und gleichzeitig die Pflicht einräumte, über die Frau zu herrschen.[1] Hierzu schreibt Kathryn Smits:
„In der Praxis einer von Männern beherrschten Theologie, deren Norm und Ausgangspunkt der Mann war, heißt dies, daß Wesen und Wert der Frau durchweg am Mann gemessen wurden. […] Es gibt eine ganze Skala von abwertenden Urteilen über das weibliche Geschlecht, das als sittlich minderwertig, als für die Sünde besonders anfällig dargestellt wird. Die Frau galt einer Reihe von Kommentatoren als geschwätzig, treulos, dem Manne verderblich.“[2]
Die Unterordnung der Frau unter die Führung des Mannes galt als Voraussetzung für eine funktionierende Mann-Frau-Beziehung beziehungsweise ideale Ehegemeinschaft. Zurückhaltung der Frau war eine notwendige Tugend. Dieser Thematik begegnen wir auch im „Erec“. Nach Petra Kellermann-Haaf erhält „[Die höfische Dame] ihre Daseinsberechtigung nur durch ihre Minnebindung an den Ritter. Ihre Eigenschaften und Werte haben dieser Funktion zu entsprechen.“[3] Enite ist als Typus der höfischen Dame charakterisiert, durch ihre Minnebindung an Erec, durch ihre adlige Herkunft und durch ihre Aufnahme in die höfische Gesellschaft des Artushofs. Im Verlaufe der Handlung wird dargelegt, welche Eigenschaften und Tugenden sie neben diesen Punkten als höfische Dame ausweisen. Schon beim ersten Auftreten Enites in der Handlung wird ihr Gehorsam hervorgehoben. Ohne Widerspruch gehorcht sie beim Eintreffen Erecs bei Koralus ihrem Vater und pflegt Erecs Pferd in Ermanglung eines Dieners. Die Szene wird dadurch verstärkt, dass Erec diesen Dienst erst nicht annehmen möchte, da er ihn für Enite als erniedrigend betrachtet. Als Koralus darauf besteht, heißt es in Bezug auf Enites Verhalten: „diu juncvrouwe des niht enliez sie entæte als si ir vater hiez.“[4] Der an dieser Stelle dargelegte Gehorsam, die Unterordnung Enites unter den Befehl ihres Vaters dominiert im weiteren Verlauf der Handlung auch ihre Beziehung zu Erec. Sie heiratet diesen auf dessen Wunsch und den ihres Vaters, sie bricht mit Erec auf dessen Befehl zur aventiure auf und erduldet Verbote und von Erec auferlegte Strafen ohne Widerspruch. Zurückhaltung und Unterstützung des Mannes in der Ehegemeinschaft werden im Roman als wesentlich für das Verhalten der höfischen Dame dargelegt. Selbst Enites Brechen mit dem von Erec auferlegten Sprachverbot, auch unter Bedrohung ihres eigenen Lebens, dient dem Wohl ihres Mannes. Die Rettung von Erecs Leben stellt sie über das auferlegte Sprechverbot und ist bereit, die Konsequenzen zu tragen. Sie erfüllt somit ihre Pflicht in der ehelichen Gemeinschaft. Hierzu schreibt Joachim Bumke:
„Auf die Frage, worin die eheliche Liebe besteht, erhält man nur in Bezug auf Enites Part eine genauere Antwort. Die eheliche Liebe der Frau ist die völlige Hinordnung des eigenen Lebens auf den Mann bis zur Selbstaufgabe, ist Gehorsam, Ergebenheit und Bewunderung, aber auch Mitverantwortung und Einsatzbereitschaft für das Wohl und Wehe des Mannes.“[5]
Unter dieser Prämisse ist selbst Täuschung und Lüge, wie Enite sie in der ersten Grafen-Episode anwendet, nicht zu verurteilen. Im Gegenteil, da dies zur Rettung Erecs und der ehelichen Gemeinschaft dient, sind beide in diesem Fall ein Beleg für Enites triuwe. Lediglich Erec gegenüber ist sie zur triuwe verpflichtet, Täuschung von anderen zum Wohl ihres Mannes und der ehelichen Gemeinschaft werden nicht als verwerflich betrachtet. Eigene Wünsche Enites werden im gesamten Handlungsverlauf mit keinem Wort erwähnt. Alles Tun und Handeln ist auf Erec ausgerichtet, eigenes Wollen und eigennütziges Handeln finden nicht statt.
Enite ist als einzige Frauenfigur im Roman präsent. Königin Ginover wird nur am Rande erwähnt, ihr einziger Verdienst ist es, Enite höfisch zu kleiden und somit Teil des höfischen Initiationsritus für Enite zu sein. Dieser wird durch den Kuss Königs Artus und die Bewunderung der anwesenden Ritter dann endgültig vollzogen, Ginover hat hier lediglich eine vorbereitende Funktion.
Die Witwen von Joie de la curt, als weitere Frauenfiguren im „Erec“, sind namenslos, herkunftslos und ohne eigene Identität. Mit dem Tod ihre Männer, mit dem sich ihre Minnebindung an diese auflöst, verlieren sie gleichsam ihre Daseinsberechtigung. Als uniforme Masse harren sie am Ort aus, an denen ihnen alles genommen wurde, bis Erec erscheint und sie erlöst. Ein Entkommen aus dieser Situation aus eigenem Können und Antrieb ist nicht möglich. Erst, als Erec Mabonagrin besiegt und somit den „natürlichen“ Mann-Frau-Zustand, in welchem der Mann herrscht und die Frau zu Diensten ist, wieder herstellt, können auch die namenlosen Witwen durch Erec erlöst werden.
Ebenfalls namenlos ist Mabonagrins Gefährtin, die ihn durch ein Versprechen in Joie de la curt hält und durch diese Bindung einen locus amoenus für sich und ihren Geliebten geschaffen hat. Durch das Versprechen, welches sie ihrem Gefährten abgenommen hat, hat sie die gesellschaftlich fixierte Mann-Frau-Beziehung umgekehrt. Mabonagrin ist ihr zu Willen, nicht sie ihm. Dies stellt einen Verstoß gegen die weiblichen Tugenden und die ideale Ehegemeinschaft dar und muss daher beendet werden.
Als unabhängiges Individuum wird im „Erec“ lediglich Famurgan, die Schwester Königs Artus, dargestellt. Bezeichnend ist vielleicht, dass diese keine lebende Figur ist, sondern zur Zeit der Handlung bereits verstorben. Ihr werden zwiespältige Attribute zugesprochen. Zum einen werden ihre heilenden Salben in einem höfisch-christlichen Umfeld angewandt, zum anderen wird sie als Hexe gebrandmarkt. Höfische Tugenden werden bei ihrer Beschreibung nicht sichtbar.
Einzig wirklich präsente Frauenfigur im Roman ist und bleibt Enite. Sie wird als durchweg tugendhaft dargestellt und somit als Idealbild der höfischen Dame, die still erduldend und gehorsam, voll triuwe, ihren Mann unterstützt und ihm zu Diensten ist.
2.2 Schönheit als Kennzeichen der höfischen Dame
Die Tugendhaftigkeit der höfischen Dame wird im äußeren Erscheinungsbild sichtbar. Besondere Tugendhaftigkeit wird durch besondere äußere Schönheit gespiegelt. Bereits beim ersten Auftreten Enites, noch in abgetragener, schäbiger Kleidung, wird ihre Schönheit vom Erzähler betont.
„man saget daz nie kint gewan / einen lîp sô gar dem wunsche gelîch / […] / ich wæne got sînen vlîz / an si hâte geleit / von schœne und von sælekeit.“[6]
Enite wird zu Beginn im Zustand der Armut beschrieben, die auch äußerlich sichtbar ist, bis zu ihrer Initiation am Artushof. Hierzu schreibt Rodney Fischer:
„Hartmann beschreibt die Armut des Mädchens so ausführlich, damit die wesentliche gottgewollte Vollkommenheit, die ihr zugrunde liegt, desto auffallender hervorgeht (339ff.) Die Reaktion, die er bei seinem Publikum erwartet ist nicht: Armut als Zeichen der Unvollkommenheit, sondern die für mittelalterliche Verhältnisse nicht weniger gültige: Schönheit als äußerliche Erscheinungsform der Tüchtigkeit.“[7]
Am Artushof wird Enites Schönheit durch die höfische Kleidung unterstützt, sozusagen in eine gesellschaftliche Form gegossen. Anschließend wird sie durch die Erwählung durch König Artus als schönste Dame des Hofes gekürt.
Der Einführung Enites am Artushof geht der Kampf um den Schönheitspreis am Hof Imains voraus. Dieser Kampf, der in Anwesenheit der Damen geführt wird, wirkt für das heutige Verständnis befremdlich. Da die Konkurrentinnen anwesend sind, kann ihre Schönheit direkt verglichen werden. Warum muss also ein Kampf ausgefochten werden, der über die Gewinnerin entscheidet? Das Motiv, die Schönheit seiner Dame mit dem Schwert zu beweisen, obwohl die Dame anwesend ist und jeder ihre Schönheit, vorhanden oder nicht, sehen kann, ist aus einer älteren Erzähltradition abgeleitet. In den bretonischen „Lais der Marie de France“ war es üblich, einen Kampf auszufechten der die Schönheit der eigenen Dame beweisen sollte, die abwesend war. Der Sieg allein bewies, dass der Sieger die Wahrheit sagte.[8] Auch wenn das zugrundeliegende Motiv im „Erec“ nicht vorhanden ist, da die Damen anwesend sind, hat der Kampf um den Schönheitspreis dennoch den Charakter eines Gottesurteils. Erec rächt sich an Iders für die erlittene Schmach. Dies ist nur möglich, weil Enite wirklich die Schönste ist. Anders wäre der Sieg über den starken Gegner nicht gelungen.
Am Artushof wird dieser Sieg dann noch einmal bestätigt. Auch hier wird Enite als Schönste ausgezeichnet. Das Motiv ihrer Schönheit zieht sich durch die gesamte Handlung.
Die Schönheit Enites, und damit die Schönheit der Frau, hat jedoch auch negative Aspekte, die besonders in den beiden Grafen- aventiuren sichtbar werden.
„Obwohl von Gott geschaffen, hat Enites Schönheit auch eine dunkle Seite [...] Welche Gefahr von Enites Schönheit ausgeht, belegen die beiden Grafen- âventiuren. Der Anblick von Enites Schönheit erregt eine sinnliche Begierde, die so übermächtig wird, dass die Grafen ihre gute Erziehung vergessen und alle Mittel einsetzen, Enite zu besitzen. “[9]
Auch Erec ist zu Beginn seiner Ehe mit Enite so von ihr und ihrer Schönheit gefangengenommen, dass es zum verligen kommt. Enite wird für die Auswirkung ihrer Schönheit auf das Befinden und Handeln der Männer nicht zur Rechenschaft gezogen, es wird ihr nicht als Schuld angelastet. Sie hat jedoch die Möglichkeit, durch äußerste Zurückhaltung und sich im Hintergrund halten die Gefahren ihrer Schönheit für die Männerwelt zu minimieren. Die schoene der Frau bezeichnet im Erec mehr, als lediglich die körperliche Schönheit. schoene weist auf das Wesen der Frau hin, das heißt, die edle Frau im Sinne des Artushofes und der Artusgesellschaft. Die Männer des Romans reagieren auf die Schönheit Enites verschieden, es aktiviert ihre positiven oder negativen Eigenschaften und Gefühle. Man kann also daraus schließen, dass Schönheit an sich nicht ambivalent ist, sondern positiv gewertet wird. Allerdings kann die Reaktion darauf ambivalent sein.[10] Für die Wirkung der Schönheit der Frau auf die Männerwelt ist der Ehemann mitverantwortlich. Hierzu legt Kathryn Smits dar:
„Für den Dichter bleibt die weibliche schoene immer, auch über das Ende des Romans hinaus, gefährlich: es darf ihr nie gestattet werden, frei zu walten. Für ihn ist es Aufgabe des männlichen Partners, diese schoene der Frau mit liebevollem Verständnis zu zügeln und zu lenken. In dieser Hinsicht ist die Frau auf die Führung und Herrschaft des Mannes angewiesen. Der Mann aber bedarf der Frau in gleichem Maße, denn ohne ihre liebevolle Inspiration ist auch er nur ein ‚halber Mensch‘.“[11]
In der „Joie de la curt“- Episode ist schließlich die Schönheit Enites und das richtige Verhältnis, dass Erec im Verlauf der aventiuren hierzu gewonnen hat, ein wesentlicher Faktor dafür, dass Erec den Kampf gewinnt. Hierzu heißt es im „Erec“:
„hie under er gesitzen sach / ein wîp, als im sîn herze jach, / daz er bî sînem zîten / âne vrouwen Ênîten / nie dehein schœner hete gesehen. / wan der mouste man et jehen / daz ir wünneclîcher lîp / geprîset wære über elliu wîp / diu dô wâren oder noch sint. Ênîte was des Wunsches kint / der an ir nihtes vergaz.“[12]
Die Freundin Mabonagrins ist schöner, als jede der achtzig Witwen, und Enite ist schöner als die Freundin Mabonagrins. Dies wurde bereits vorher durch die Schenkung des Reitpferdes durch Guivreiz Schwestern gezeigt. Die nahezu elegische Schilderung des Pferdes lässt sich nur erklären, wenn hier eine Analogie zur Schönheit und Vollkommenheit Enites gezogen werden soll.
„Auf der Beschreibungsebene ist der Pferde-Exkurs eine Apotheose der vollkommenen Schönheit, gemeint als Attribut und Krönung von Enites Schönheit. Das schönste Pferd der schönsten Frau [...].“[13]
Enite wird im „Erec“ also als schönste Frau der höfischen Gesellschaft dargestellt, deren innere Tugenden sich im äußeren Erscheinungsbild manifestieren.
2.3 Sprache und Sprachlosigkeit
Sprache spielt eine wesentliche Rolle im „Erec“. Durch das, wenn auch unbeabsichtigte, Aussprechen der Meinung des Hofes deckt Enite Erec das verligen auf. Zu Beginn der aventiure erteilt Erec Enite ein Sprechverbot. Warum er dieses Verbot auferlegt, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, es wird weder von Erec noch dem Erzähler erklärt. Enite wird keines Fehlverhaltens bezichtigt. Aber da die eheliche Gemeinschaft zwar zu Beginn der aventiure noch besteht, Erec sie aber inhaltlich auflöst, entfällt auch die Kommunikation und damit der Austausch der Ehepartner. Erec vermeidet nicht nur körperlichen sondern auch den sprachlichen Kontakt zu Enite. Er unterbindet jede Möglichkeit, durch die er erneut in die Versuchung des verligens kommen könnte. Weibliche Sprache beziehungsweise der Sprechakt der Frau wird so als eine Ursache der Verführung identifiziert. Dieses Motiv findet sich bereits im Alten Testament. Die Schlange verführt Eva und Eva verführt Adam durch die Sprache. Hierzu schreibt Joachim Bumke:
„Reden und Schweigen spielen in der mittelalterlichen Sprachphilosophie, die hauptsächlich von Augustin geprägt war, eine große Rolle. Reden und Schweigen erfuhren ganz verschiedene Wertungen, je nachdem, ob von Gott oder von den Menschen die Rede war. Das Wort Gottes hat die Welt erschaffen;[…] Die Sprache der Menschen dagegen wurde zum Instrument des Sündenfalls.“[14]
Folgt man dieser Argumentation, so ist durch die Sprache, besonders die Sprache der Frau, immer auch die Gefahr der Sünde vorhanden. Schweigen bildet demnach eine Alternative, denn hierdurch ist es möglich, die Verführung zur Sünde zu vermeiden. Das Schweigegebot für Frauen ist bereits im ersten Korinther-Brief dargelegt. Paulus erklärt, dass die Frauen in der Gemeinde schweigen sollen. Dies ist ein Grund, aus dem Frauen aus der kirchlichen Hierarchie ausgeschlossen waren und sind (heutzutage zumindest in der katholischen Kirche) und konnte bis Anfang des 20. Jahrhunderts auch genutzt werden, um Frauen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens auszuschließen. Privat konnte der Vater oder Ehemann das Sprechen verbieten.[15] Die Frau wurde somit zu einer Frau ohne Stimme, was ihre unterlegene Position und ihre Unterwerfung unter die Leitung des Mannes noch betonte.
„Der Mann redet, die Frau schweigt. Diese Rollenverteilung hat das Geschlechterverhältnis in der abendländischen Gesellschaft bestimmt. Reden steht für Macht, Selbstbewußtsein, Persönlichkeit; Schweigen für Gehorsam und Minderwertigkeit.“[16]
Bereits zu Anfang der Erzählung wird Enite schweigend dargestellt. Lediglich ihre äußere Erscheinung wird beschrieben, die innere Tugenden symbolisiert. Das erste Mal erhebt sie ihre Stimme, als sie Erec über das verligen informiert. Immer wieder bricht sie das ihr von Erec auferlegte Schweigegebot zu Beginn der aventiure, um ihn zu retten. Stets geht dem ein innerer Kampf Enites voraus, in dem sie mit sich ringt, ob sie Erecs Gebot brechen soll und kann. Da sie mit dem Erheben ihrer Stimme das stärker gewichtete Gebot befolgt, alles zum Wohle ihres Ehemannes zu unternehmen, bleibt ihr Verhalten letztendlich ohne Konsequenzen. Erec ist sogar bereit, das Schweigegebot aufzuheben, da sie ihre triuwe ihm gegenüber gerade dadurch gezeigt hat, dass sie sich seinem Verbot widersetzt hat.
Ihre Sprache benutzt Enite auch dazu, in den beiden Grafen-Episoden mit Lügen und Täuschungen zu arbeiten. Sie verwendet Sprache, um sich zu wehren und sich und Erec zu schützen. Aus diesem Grund werden diese an sich negativen Handlungen nicht geahndet oder durch die Handlung mit Konsequenzen belegt.
Ein Großteil von Enites Konversation ist durch die innere Rede gekennzeichnet. Durch diese ist es Hartmann möglich, abseits der Konvention einer Darstellung als Ehefrau eines Herrschers nach außen, die wirklichen Handlungsmotive und innere Dramatik Enites darzustellen.[17] Besonders deutlich wird dies in der Totenklage für Erec, die " mit 287 Versen die längste Rede der ganzen Dichtung ist und ein Meisterwerk der Rhetorik. [...] Der ständige Wechsel der Sprechrichtung ist ein Spiegel ihrer inneren Situation und ihrer vergeblichen Versuche, einen Ausweg aus ihrer scheinbar hoffnungslosen Lage zu finden."[18]
Mit dem Finden ihrer Sprache schafft sich Enite eine eigene Identität. Aus einer schönen Hülle, die tugendsames Verhalten spiegelt, wird eine Figur mit Persönlichkeit geschaffen. Durch Sprache ist es ihr mehrmals möglich, Erec und sich aus einer problematischen Situation zu befreien. Dies führt soweit, dass sie sich im zweiten Kampf mit Guivreiz an diesen wendet und anfleht, Erec zu verschonen. Hier wird sie auch körperlich aktiv, sie wirft sich über Erec, um ihn zu schützen. Das Motiv der passiven Frau und des aktiven Ehemannes, der die Frau schützt, wird somit ins Gegenteil verkehrt. Rodney Fisher schreibt hierzu:
„Es ist ein feiner ironischer Zug, dass die Rettung dadurch ermöglicht wird, dass Guivreiz Enite an der Stimme erkennt (6957f.), derselben Stimme also, die Erec früher in seinem Drang zur Selbstbehauptung zum Schweigen gebracht hatte.“[19]
Enite hat in dieser Szene ihre Stimme gefunden. Aus der ihrer Sprache und Identität und damit Individualität beraubten Frau ist eine differenzierte Figur geworden. Nach diesem Höhepunkt in der Entwicklung der Figur konzentriert sich die Handlung wieder auf Erec und Enite rückt erneut in den Hintergrund.
3. Eheverständnis im Erec
3.1 Erecs Minne und Enites Möglichkeiten
Minne ist ein zentrales Thema im Artusroman. Sie steht im Artusroman nie für sich allein, sondern ist stets mit aventiure verbunden. Minne und Rittertum gehören unabdingbar zusammen. Hierzu schreibt Kurt Ruh: "Das aber die siegreiche Waffentat, zumal zu Beginn einer ritterlichen Laufbahn', den Gewinn einer schönen Frau einschließt, bildet die Regel."[20]
Erec will sich zu Beginn der Handlung an Iders rächen. Hierzu muss er ihn in einem Kampf verwickeln und versuchen, als Sieger aus diesem hervorzugehen. Einen Vorwand bietet der Schönheitspreis und der Gewinn des Sperbers an Imains Hof. Enite ist die erste Frau, der Erec begegnet. Ihre außergewöhnliche Schönheit wird vom Erzähler dargelegt. Erec benötigt eine Dame, für deren Schönheit er eintreten kann, um den Schönheitspreis zu erringen. Hierfür muss sie aber vor allem seine Dame sein, das heißt ihm zugehörig. Enite ist für Erec Mittel zum Zweck.
"Der Sperberkampf ist so angelegt, dass der Waffengang zugleich über die Schönheit von Frauen entscheidet: [...] Erec braucht für den Kampf gegen Iders eine Dame; Minne und Kampfhandlung sind miteinander verzahnt."[21]
Ein Minneverhalten Erecs, wie es in der hôhiu minne dargelegt wird, ist nicht gegeben. Er biete Koralus an, Enite zu heiraten, wenn sie ihn zum Kampf begleiten darf. Dieser stimmt zu. Enite wird als Ware behandelt, nicht als Individuum. Der Vater nimmt sich das Recht heraus, im Namen seiner Tochter eine Vereinbarung mit Erec zu schließen und einer Vermählung zuzustimmen. Enites Meinung und Wollen wird mit keinem Wort erwähnt. Zur Vermählungspraxis und der Einwilligung der Frau im realen Leben des 12. Jahrhunderts schreibt Joachim Bumke:
„In der Ehe-Theologie hat sich im 12. Jahrhundert die Vorstellung durchgesetzt, dass der consensus, die ‚Zustimmung‘ der beiden Ehepartner, der Ehe-begründende Faktor sei. Auch wenn die Zustimmung der Frau vom Vater oder einem anderen männlichen Verwandten der Braut abgegeben wurde, so gewann doch der Gedanke, dass die Ehe auf einer Übereinstimmung von Mann und Frau beruhe, immer mehr Gewicht.“[22]
Enites Zustimmung wird im „Erec“ vorausgesetzt und nach dem Sperberkampf kurz angedeutet:
„dô hete si wünnen genuoc / wan si ûf ir hant truoc / den gewunnen sparwære: / daz was wol vreudebære. / sus hâte diu maget / sæleclîche bejaget / von lobe michel êre: / doch vreute si sich mêre / von schulden ir lieben mann / den si des tages dô gewan.“[23]
Enite scheint also zum einen damit einverstanden zu sein, vermählt zu werden und zum anderen, dass Erec ihr Bräutigam ist. Sie hat auch keine andere Möglichkeit als Akzeptanz, denn eine freie Wahl des Ehemannes ist den Frauen im höfischen Roman selten möglich, trotz des consensus -Gedanken. Voraussetzung für eine freie Entscheidung in Hinblick auf den Ehemann ist, dass die Frau die Position einer mächtigen, souveränen Fürstin innehat, was in Enites Fall nicht zutrifft.[24]
Der Gedanke des consensus ist auch in der Bewertung einer anderen Szene interessant. Als Enite auf den Grafen Oringles trifft, wird Erec für scheintot gehalten. Enite ist somit Witwe und Oringles darauf bedacht, sie zu heiraten, auch gegen ihren Willen. Hier erhebt Enite erstmals ihre Stimme, wenn auch in der Hoffnung, dadurch getötet zu werden: „und swaz mir von iu geschiht, / unde nemet ir mir den lîp, / ich enwirde doch nimmer iuwer wîp.“[25]
Aufgelöst wird die Szene dadurch, dass Erec nur scheintot war und seine Ehefrau mit Waffengewalt zurückfordert.
Zur Situation von Witwen im höfischen Milieu des 12. Jahrhunderts schreibt Petra Kellermann-Haaf:
„Die historischen Beispiele für Frauen die selbstständig die Wahl ihres Ehemannes in die Hand nehmen können, knüpfen alle an eine entscheidende Voraussetzung an: den Witwenstatus der Frau. […] Diese Freiheit ist allerdings eine relative und bedeutet zumeist nur die Wahl zwischen zwei oder drei Kandidaten, eine längere Ehelosigkeit kann die Witwe fast nie erreichen.“[26]
Die generelle Möglichkeit, nicht oder nicht wieder zu heiraten, ist somit nicht gegeben, dies zeigt sich auch immer wieder in den Artusromanen. Die Ehe ist eine Zweckehe, die mit dem heutigen (westlichen) Verständnis von Liebes-Ehen nichts gemein hat. Hierzu erklärt Hilkert Weddige:
„Daran knüpft u.a. Augustins maßgebliche Dreiteilung der Ehegüter in fides, proles, sacramentum an, die in der Betonung des Fortpflanzungszwecks einem personalen Verständnis des ehelichen Liebesbundes entgegenstand und dazu führte, dass Liebe und Ehe auf verschiedenen Ebenen angesiedelt wurden.“[27]
Neben dem Fortpflanzungszweck dient die Ehe im höfischen Milieu vor allem der Gütervermehrung. Heiraten verwitwete Herrscherinnen im Artusroman erneut, ist dies vor allem notwendig, um ihr Land zu schützen, welches als Besitztum ihrem neuen Gatten zufällt. Eine souveräne Herrscherin die dauerhaft frei und ungebunden herrscht, ist nicht anzutreffen und entspräche nicht dem höfisch-christlichem Frauenbild des Artusromans.
3.2 Die Episode von Joie de la curt
Die Episode von Joie de la curt und der Kampf Erecs mit Mabonagrin findet im „Erec“ zu einem Zeitpunkt statt, als Erec und Enite sich von der Problematik des verligens befreit und zur idealen Ehe- und Herrschergemeinschaft gefunden haben. Die eigentliche Zeit der aventiure ist vorüber und das Paar auf dem Weg zurück zur Artusgesellschaft. „Das Problem der Minne Erecs und Enites, was auch immer es beinhaltet, der Anlass zum Aventiureaufbruch, ist in der vorausliegenden Versöhnung schon gelöst.“[28] Wenn die Episode aber nicht mehr dazu dient, Erecs und Enites Weg vom verligen zum idealen Ehe- und Herrscherpaar zu beschreiben, wozu dient sie dann?
In Joie de la curt wird ein locus amoenus beschrieben, an welchem ein Paar lebt, dass sich ganz auf die Beziehung zueinander konzentriert. Die namenlose Gefährtin Mabonagrins hat ihm das Versprechen abgenommen, mit ihr an diesem Ort zu verweilen, bis ein Ritter kommt, der ihm im Zweikampf besiegt. In der Fixierung des Paares von Joie de la curt aufeinander findet eine Spiegelung von Erecs und Enites verligen in Karnant statt. Hierzu äußert Joachim Bumke:
"Erecs Verhalten am Anfang und Mabonagrins Verhalten haben dieselbe fatale Wirkung. In beiden Fällen geht es um das Liebesverhalten eines Paares. In Joie de la curt unterwirft sich der Mann feierlich und bedingungslos dem Willen der Frau. Davon ist in Karnant keine Rede; aber indem Erec sein Verhalten vollständig auf Enite hin orientiert, hat das dieselbe Wirkung wie die Ausschaltung des eigenen Willens in Joie de la curt: Das Paar isoliert sich und vernachlässigt alle gesellschaftlichen Rücksichten und Verpflichtungen, was dazu führt, dass das Hofleben verkümmert."[29]
Der Zweikampf, den Erec und Mabonagrin ausfechten dient nun dazu, über das richtige, das heißt das dem höfischem Ideal entsprechende Minne- und Eheverhalten zu entscheiden. Für Erec ist „[…] Minne ist nun die Möglichkeit zur höchsten Leistung, nicht mehr Anlass zur Untätigkeit.“[30]
Während Mabonagrins namenlose Gefährtin während des Zweikampfs anwesend ist, bleibt Enite, die Erec während der gesamten aventiure begleitet hat und auch bei Kämpfen anwesend oder in unmittelbarer Nähe war, dem Kampf fern und wartet außerhalb der Mauern auf Erecs Rückkehr. Auch in diesem Punkt ist ersichtlich, dass Erec und Enite die ideale höfische Beziehungsform erreicht haben: der Minne zur Frau ermutigt den Ritter zu Abenteuern und Taten, die Frau hält sich passiv im Hintergrund, wird quasi unsichtbar. Allein die Gedanken an diese helfen dem Ritter, Abenteuer siegreich zu bestehen. Zur passiven Unterstützung des Mannes durch die Frau schreibt Kathryn Smits:
„Wenn Enite sich von jetzt an äußerlich passiv verhält, so zeigt das nur, dass sich die Partnerschaft, wie sie dem Dichter vorschwebt, richtig eingespielt hat. Der Mann soll der aktive Partner sein, welcher handelt, kämpft und die Entscheidung trifft;die Frau stellt ihre Sensibilität in den Dienst der Ehre, regt den Mann durch ihr Wesen - durch ihre schoene - zu großen Taten und edelem Verhalten an, unterstellt sich seiner Führung.“[31]
Allein der Gedanke an die abwesende Enite verhilft Erec im Kampf zu neuen Kräften und damit letztendlich zum Sieg.
Der Sieg Erecs über Mabonagrin und damit die Auflösung der Minnesituation in Joie de la curt ist somit als Gottesurteil über die richtige, das heißt höfisch-christliche Mann-Frau-Beziehung im Sinne des Artusgesellschaft zu verstehen, die Erec und Enite zu diesem Zeitpunkt erreicht haben.
4. Famurgan als Topos der Zauberin und Gegenpol des höfisch- christlichen Frauenideals
Einzig präsente und näher charakterisierte Frauenfigur im „Erec“ neben Enite ist Famurgan, die Schwester Königs Artus. Diese ist zum Zeitpunkt der Handlung bereits verstorben und alles, was über sie bekannt wird, ist der Erinnerung des Erzählers entnommen. Die Figur der Famurgan ist von Hartmann neu erfunden. In der Vorlage von Chrétien de Troyes existiert die Fee Morgue als Schwester Artus. Diese ist jedoch eindeutig positiv belegt, während im „Erec“ ein zwiespältiges Bild von Famurgan entwickelt wird und ihr auch dämonische Eigenschaften zugesprochen werden. Hierfür werden Motive aus der antiken und keltischen Mythologie verwendet, unter anderem werden Sibylle und Ericto erwähnt. Bereits in der „Vita Merlin“ (ca. Mitte des 12. Jh.) von Geoffrey of Monmouth wird die Fee „Morgen“ aus dem keltischen Feenreich Avalon erwähnt und im „Draco Normannicus“ von Etienne de Rouen (ca. 1168) wird diese als Figur „Morgan“ als Schwester von Artus bezeichnet.[32]
Die Figur Famurgan ist für den Leser schwer zu fassen. Einerseits wird das phlaster, ein heilender Verband aus ihrem Nachlass, zweimal verwendet, um Erecs Wunden zu behandeln und zu heilen. Sowohl Ginover als auch die Schwestern Guivreiz benutzen das phlaster, es wird also im höfisch-christlichen Umfeld der Artusgesellschaft angewendet und dies mit einem positiven Effekt, der Heilung. Andererseits wird Famurgan mit dämonischen Eigenschaften gekennzeichnet und mit widernatürlichen Handlungen in Verbindung gebracht. Zunächst berichtet der Erzähler von ihr „si was ein gotinne.“[33] Hierzu erläutert Christine Wand-Wittkowski:
„Das Wort ‚gotinne‘ ist sonst in Hartmanns Romanen für die heidnischen Götter Juno und Pallas reserviert. Heidnische Götter sind nach dem christlichen Verständnis des Mittelalters entweder Erfindungen oder teuflische Dämonen.“[34]
Die zunächst positiv anmutenden Bezeichnung gotinne ist somit schon ein erster Hinweis auf den dämonischen Ursprung ihrer Kräfte.
Famurgan beherrscht die Elemente sowie die Natur und die in ihr wohnenden Tiere und Pflanzen. Zudem ist sie in der Lage, Menschen in Tiere und wieder zurück zu verwandeln. Hierdurch wird sie mit der antiken griechischen Zauberin Circe in Verbindung gebracht. Auch wenn diese im Abschnitt nicht erwähnt wird, sind die Parallelen doch kaum zu übersehen. Nach Christine Wand-Wittkowski ist „[Circe] […] den Gelehrten des Mittelalters eines der klassischen Beispiele für Magie.“[35] Circe ist unter anderem eine Figur in Homers „Odyssee“ sowie in Ovids „Metamorphosen“. In der Odyssee werden ihr konträre Attribute zugeschrieben, ebenso wie Famurgan im „Erec“. So wird sie zum Beispiel sowohl als „schöngelockte Göttin“ als auch als „furchtbare Zauberin“ bezeichnet. Wie Circe besitzt Famurgan die Fähigkeit, Menschen in Tiere und wieder zurück verwandeln. So verwandelt sie zunächst Odysseus Gefährten in Schweine um sie dann anschließend auf Bitten wieder in Menschen zurück zu verwandeln.[36] In Ovids Metamorphosen erzählt Circes Dienerin einem der Männer Ulysses (Odysseus), wie ihre Herrin eines Tages Picus in einen Specht verwandelte, weil er ihr, statt ihre Liebe anzunehmen, die Nymphe Canens vorzog. Anschließend verwandelte Circe die Gefährten Picus, die nach ihm suchten, in Tiere. Diese Wandlungen vollzieht sie mit Hilfe von Kräutermischungen, magischen Sprüchen und einem Zauberstab.[37] In einer weiteren Geschichte der Metamorphosen sucht Glaukus Circe auf und bittet sie um einen Zaubertrank, mit dem er Scylla für sich gewinnen kann. Circe ist gekränkt, weil sie Glaukus liebt und er eine andere. Sie mischt einen Trank und vollzieht Beschwörungen, mit denen sie Scylla vom Bauch abwärts in ein Ungeheuer verwandelt.[38] Circe wird also zum einen als schöne Frau dargestellt, handelt jedoch lediglich nach eigenem Gutdünken. Über Famurgans Aussehen wird keine Aussage getroffen, aber ihr Handeln findet, ebenso wie Circes, außerhalb jeder weltlichen, christlichen und vor allem männlichen Kontrolle statt.
Neben dem Vergleich mit Circe wird auch eine Analogie zu Ericto und Sibylle gezogen, hier heißt es im „Erec“:
„sit daz Sibillâ erstarp / und Erictô verdarp / […] / so gewan daz ertrîche / (daz wizzet wærlîche) / von zouberlîchen sinne / nie bezzer meisterinne / danne Fâmurgân, / von der ich iu gesaget hân.“[39]
Sowohl Sibylle als auch Ericto stehen in Verbindung mit dem Tod. Sibylle, ursprünglich die Bezeichnung für die Prophetin des Orakels von Delphi, bahnt Äneis im „Äneis“ von Vergil den Weg in die Unterwelt und Ericto beherrscht die Nekromantie, das heißt, sie ist in der Lage, Tote wieder lebendig zu machen.[40] [41] Famurgan wird hier somit als direkte Nachfolgerin der griechischen Zauberinnen betrachtet, genauer, der heidnischen Zauberinnen. Zwischen der Erweckung der Toten durch Ericto, das heißt die Rückführung der Seelen aus dem Hades, und der Höllenvorstellung des christlichen Volksglaubens zieht der Dichter eine Analogie: Famurgan steht mit dem Teufel im Bunde und ist in der Lage, die Seelen der Hölle wieder zum Leben zu erwecken.
Die Meinungen zu Magie im Mittelalter waren komplex. Personen glaubten an Magie oder nicht, und wenn Magie für wahr gehalten wurde, herrschte Uneinigkeit, ob sie dämonischen Ursprungs sein musste. Es wurde jedoch akzeptiert, dass sie dämonisch sein konnte. Der Glaube an Dämonen wurde durch ihre Erwähnung in der Bibel gerechtfertigt.[42]
Insgesamt scheinen die verschiedenen Eigenschaften, die Famurgan zugesprochen werden, nicht zusammenzupassen. Einerseits steht sie mit dämonischen Kräften in Kontakt, die konträr zu allen stehen, was die höfisch-christliche Artusgesellschaft charakterisiert. Andererseits werden ihr Heilkräfte zugeschrieben, die sie zum Wohl der Menschen einsetzt. Christine Wand-Wittkowski erklärt:
„Heilkunst und Medikamente waren nicht von vornherein magieverdächtig. […] Die Wirkung von Kräutern wurde bereits um 1100 ‚wissenschaftlich‘ mit dem Prinzip der symbolischen Ähnlichkeit und Wirkung erklärt.“[43]
Die widersprüchliche Beschreibung der Figur macht eine Einordnung beziehungsweise Typisierung schwer. Festzuhalten ist, es handelt sich um die Figur einer Heilerin sowie einer Zauberin, die auch mit widernatürlichen Kräften in Verbindung steht. Als diese ist sie bis zu ihrem Tod dem Anschein nach Teil der höfischen Artusgesellschaft gewesen, denn sie ist König Artus Schwester und die Hinterlassenschaften ihrer Heilkunde werden am Artushof weiter genutzt. Weiterhin wird sie als unabhängige Frau beschrieben. Sie ist in der Lage, sich selbst zu schützen und anderen zu schaden, kein Ehemann, Vater oder sonstiger Vormund ist hierfür vonnöten. Das widerspricht wiederum dem Ideal der höfischen Dame, keine der Tugenden, wie zum Beispiel Gehorsam, triuwe oder stæte, werden bei ihrer Beschreibung verwendet. Warum Hartmann diese Figur im „Erec“ einführt und wie sie zu werten ist, bleibt offen.
5. Fazit
Die Rolle der Frau in der höfischen Gesellschaft des Artushofes wird im „Erec“ vor allem durch die Figur der Enite geschildert. Als einzige weibliche präsente Figur dient sich exemplarisch dazu, ein Idealbild der Ehe- und Herrscherfrau darzustellen. Enites außergewöhnliche Schönheit weist bereits bei ihrem ersten Auftreten in der Dichtung auf ihre innere Tugendhaftigkeit hin. Gehorsam führt sie Befehle ihres Vaters aus, ohne Bekundung eines eigenen Willens wird sie Erecs Frau. Eine andere Möglichkeit bestünde auch nicht, denn ein eigener Wille der Frau oder gar Unabhängigkeit sind in diesem Milieu weder gewünscht noch möglich. Enite ordnet sich Erec unter und akzeptiert das ihr von diesem beim Aufbruch zur aventiure auferlegte Sprechverbot. Wenn sie gegen dieses Gebot verstößt, dann nur zu dem Zweck, Erec zu schützen, einen Gebot, das Vorrang vor jedem anderen hat. Durch ihr Verhalten zeigt sie wahre triuwe, eine Tugend, die wesentlich ist für die Kennzeichnung der höfischen Dame der Artusgesellschaft. Geduldig erträgt sie jedes Abenteuer. Auf der aventiure -Fahrt findet sie zu ihrer Bestimmung als passive, unterstützende Kraft ihres Ehemannes und so entwickelt sich nach dem verligen zu Beginn im Verlauf der Handlung eine ideale Ehe- und Herrschergemeinschaft des Paares. Der Mann als alleiniger Inhaber der Ratio lenkt die Ehe und die Frau, die Frau inspiriert den Mann durch ihre Tugend und Schönheit zu Heldentaten.
Die Schönheit der Frau, die ihr inneres Wesen spiegelt, hat jedoch auch eine negative Seite und kann Männer dazu verleiten, gegen die Spielregeln der Artusgesellschaft zu verstoßen, da sie die Frau begehren. Auch hierdurch wird eine zurückgezogene, passive Haltung der Frau in der Gesellschaft begründet. Aufgabe des Ehemannes ist es, darauf zu achten, dass die Schönheit der eigenen Frau keine negativen Auswirkungen hat.
Eine Ehegemeinschaft, die gegen die dargelegte gesellschaftliche Ordnung (der Mann herrscht, die Frau dient) verstößt, ist nicht gewünscht und nur periodisch haltbar. Dies wird exemplarisch in der Joie de la curt Episode verdeutlicht, in welcher Erec Mabonagrin besiegt und somit dessen Gemeinschaft mit seiner namenlosen Gefährtin, zurückgezogen von der Gesellschaft und deren Pflichten und Regeln, beendet.
Unabhängige Frauenfiguren, wie sie im Roman Famurgan darstellt, sind von der Gesellschaft des Artushofes nicht gewünscht. Obwohl sie aus einem höfischen Umfeld stammt, wird die bereits verstorbene Famurgan vom Erzähler als Zauberin im heidnischen Sinne bezeichnet und mit dämonischen Kräften in Verbindung gebracht. Eine unabhängige Frau, die sich ohne männliche Hilfe verteidigen und ihr Leben eigenständig gestalten kann, passt nicht in die Welt der Artusgesellschaft. Sie würde auch dem eigentlichen Zweck der Dichtung, durch die Darstellung einer idealen Minnebeziehung verbunden mit aventiure-Fahrt des Protagonisten ein höfisches Publikum zu unterhalten, widersprechen.
6. Literaturverzeichnis
Quelle:
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Weddige, Hilkert (2006): Einführung in die germanistische Mediävistik. 6., durchges. Aufl. München: Beck (C.-H.-Beck-Studium).
[...]
[1] vergleiche Smits, Kathryn (1981): Enite als christliche Ehefrau. In: Asher, John Alexander; Smits, Kathryn (Hg.): Interpretation und Edition deutscher Texte des Mittelalters. Berlin: E. Schmidt, S. 18–19
[2] ebd., S. 17
[3] Kellermann-Haaf, Petra (1986): Frau und Politik im Mittelalter. Untersuchungen zur politischen Rolle der Frau in den höfischen Romanen des 12., 13. und 14. Jahrhunderts. Univ., Diss.--Köln, 1983. Göppingen: Kümmerle (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 456). S. 337
[4] Hartmann; Cramer, Thomas (2007): Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung. 27. Aufl., Orig.-Ausg. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl. (Fischer Taschenbuch, 6017). S. 352–353
[5] Bumke, Joachim (2006): Der "Erec" Hartmanns von Aue. Eine Einführung. Berlin: de Gruyter (De-Gruyter-Studienbuch). S.111
[6] Hartmann; Cramer, Thomas (2007): Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung. S.331–341
[7] Fisher, Rodney (1975): Erecs Schuld und Enitens Unschuld bei Hartmann. In: EUPHORION. Zeitschrift für Literaturgeschichte, Jg. 69, H. 2, S.163
[8] Ruh, Kurt (1977): Höfische Epik des deutschen Mittelalters. I. Von den Anfängen bis zu Hartmann von Aue. 2., verb. Aufl. Berlin: E. Schmidt (Grundlagen der Germanistik, 7). S.120
[9] Bumke, Joachim (2006): Der "Erec" Hartmanns von Aue. Eine Einführung. S.93
[10] Smits, Kathryn (1982): Die Schönheit der Frau in Hartmanns Erec. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie, Jg. 101, S. 10–11
[11] Smits, Kathryn (1982): Die Schönheit der Frau in Hartmanns Erec. S.12–13
[12] Hartmann; Cramer, Thomas (2007): Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung. Vers 8926–8936
[13] Bumke, Joachim (2006): Der "Erec" Hartmanns von Aue. Eine Einführung. S.61
[14] Bumke, Joachim (2006): Der "Erec" Hartmanns von Aue. Eine Einführung. S.124
[15] ebd. S.117
[16] ebd. S.117
[17] Bumke, Joachim (2006): Der "Erec" Hartmanns von Aue. Eine Einführung. S.123–124
[18] ebd. S.51
[19] Fisher, Rodney (1975): Erecs Schuld und Enitens Unschuld bei Hartmann. S.173
[20] Ruh, Kurt (1977): Höfische Epik des deutschen Mittelalters. S.24
[21] Weddige, Weddige, Hilkert (2006): Einführung in die germanistische Mediävistik. 6., durchges. Aufl. München: Beck (C.-H.-Beck-Studium). S.196
[22] Bumke, Joachim (2006): Der "Erec" Hartmanns von Aue. Eine Einführung. S.109–110
[23] Hartmann; Cramer, Thomas (2007): Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung. Vers 1376–1385
[24] Kellermann-Haaf, Petra (1986): Frau und Politik im Mittelalter. Untersuchungen zur politischen Rolle der Frau in den höfischen Romanen des 12., 13. und 14. Jahrhunderts. Univ., Diss.--Köln, 1983. Göppingen: Kümmerle (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 456). S. 287
[25] Hartmann; Cramer, Thomas (2007): Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung. Vers 6573–6575
[26] Kellermann-Haaf, Petra (1986): Frau und Politik im Mittelalter. Untersuchungen zur politischen Rolle der Frau in den höfischen Romanen des 12., 13. und 14. Jahrhunderts. S. 290
[27] Weddige, Hilkert (2006): Einführung in die germanistische Mediävistik. S. 179
[28] Cormeau, Christoph (1979): Joie de la curt. Bedeutungssetzung und ethische Erkenntnis. In: Haug, Walter (Hg.): Formen und Funktionen der Allegorie. Symposion Wolfenbüttel 1978, [vom 7. bis 10. September 1978]. Stuttgart: Metzler (Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und GeistesgeschichteSonderband, 3), S.195
[29] Bumke, Joachim (2006): Der "Erec" Hartmanns von Aue. Eine Einführung. S. 66
[30] Cormeau, Christoph (1979): Joie de la curt. Bedeutungssetzung und ethische Erkenntnis. S. 198
[31] Smits, Kathryn (1982): Die Schönheit der Frau in Hartmanns Erec. S. 23
[32] Wand-Wittkowski, Christine (1997): Die Zauberin Feimurgan in Hartmanns Erec. Ein Beispiel für phantastisches Erzählen im Mittelalter. In: Fabula - Zeitschrift für Erzählforschung, Jg. 38, S. 2
[33] Hartmann; Cramer, Thomas (2007): Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung. Vers 5161
[34] Wand-Wittkowski, Christine (1997): Die Zauberin Feimurgan in Hartmanns Erec. S. 4
[35] ebd. S. 2
[36] siehe Gutenberg-DE, Projekt (2006): Homer: Odyssee. Online verfügbar unter http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1270&kapitel=27&cHash=eb613776112, zuletzt aktualisiert am 26.04.2006, zuletzt geprüft am 23.10.2010. zehnter Gesang
[37] siehe Gutenberg-DE, Projekt (2006): Ovid: Metarmorphosen. Online verfügbar unter http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1985&kapitel=62&cHash=8a4515a5932, zuletzt aktualisiert am 26.04.2006, zuletzt geprüft am 23.10.2010. Picus
[38] siehe ebd. Glaukus und Scylla
[39] Hartmann; Cramer, Thomas (2007): Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung. Vers 5216–5231
[40] Wand-Wittkowski, Christine (1997): Die Zauberin Feimurgan in Hartmanns Erec. S. 2
[41] Gutenberg-DE, Projekt (2006): Vergil: Äneis. Online verfügbar unter http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=2918&kapitel=12&cHash=d16c79430a2, zuletzt aktualisiert am 26.04.2006, zuletzt geprüft am 23.10.2010. sechster Gesang
[42] Wand-Wittkowski, Christine (1997): Die Zauberin Feimurgan in Hartmanns Erec. S. 6–7
[43] ebd. S. 8
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