Seit Anfang der 1960er Jahre, lässt sich in Deutschland das Phänomen des zivilen
Ungehorsams beobachten, welches – damals noch häufig unter der Bezeichnung
„passive Gewalt“ – erstmals im Rahmen der Abrüstungskampagne und später am
Rande des studentischen Protests vereinzelt in Erscheinung trat. Durch die neue
Friedensbewegung und die Anti-AKW-Bewegung der 1970er Jahre wurde die Praxis
des zivilen Ungehorsam als politische Losung und Handlungskonzept eingebürgert
und tritt seither des öfteren in Form von Sitzblockaden, Platzbesetzungen und Boykotts
in Erscheinung.1
Der zivile Ungehorsam folgt bestimmten „Spielregeln“, die ihn als solchen auszeichnen
und dadurch von anderen Formen des Widerstands abgrenzen. Im Verlauf dieser
Arbeit werden jene Kriterien aufgeführt und deren Bedeutung erläutert. Des weiteren
wird es darum gehen, die demokratietheoretische Bedeutung des zivilen Ungehorsams
herauszuarbeiten, zu untersuchen, wie er entsteht, was er bewirkt und was seine
Ziele sind. Bei der Analyse der mit dem zivilen Ungehorsam einhergehenden Probleme,
werden die von Rawls aufgezeigte Pflichtenkollision der Bürger, die Unvereinbarkeit
des gezielten Gesetzesbruchs mit dem Rechtssystem sowie die Nähe zwischen
zivilem Ungehorsam und Gewalt thematisiert. Im Anschluss daran wird näher
auf Bedingungen eingegangen, die den zivilen Ungehorsam nach Ansicht von John
Rawls rechtfertigen, abschließend wird Hannah Arendts Forderung nach der politischen
Institutionalisierung des zivilen Ungehorsams näher erläutert.
1 vgl. Rödel/Frankenberg/Dubiel (1989), S. 22
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Kriterien des zivilen Ungehorsams
2.1. Öffentlichkeit
2.2. Gewaltlosigkeit
2.3. Gesetzwidrigkeit
2.4. Gewissensbestimmtheit
3. Wie entsteht ziviler Ungehorsam?
4. Zweck und Ziele des zivilen Ungehorsams
5. Probleme des zivilen Ungehorsams
5.1. Der Pflichtenkonflikt der Bürger
5.2. Ziviler Ungehorsam und das deutsche Rechtssystem
5.3. Ziviler Ungehorsam und Gewalt
6. Rechtfertigung des zivilen Ungehorsams
7. Die politische Institutionalisierung des zivilen Ungehorsams
8. Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Seit Anfang der 1960er Jahre, lässt sich in Deutschland das Phänomen des zivilen Ungehorsams beobachten, welches – damals noch häufig unter der Bezeichnung „passive Gewalt“ – erstmals im Rahmen der Abrüstungskampagne und später am Rande des studentischen Protests vereinzelt in Erscheinung trat. Durch die neue Friedensbewegung und die Anti-AKW-Bewegung der 1970er Jahre wurde die Praxis des zivilen Ungehorsam als politische Losung und Handlungskonzept eingebürgert und tritt seither des öfteren in Form von Sitzblockaden, Platzbesetzungen und Boykotts in Erscheinung.[1]
Der zivile Ungehorsam folgt bestimmten „Spielregeln“, die ihn als solchen auszeichnen und dadurch von anderen Formen des Widerstands abgrenzen. Im Verlauf dieser Arbeit werden jene Kriterien aufgeführt und deren Bedeutung erläutert. Des weiteren wird es darum gehen, die demokratietheoretische Bedeutung des zivilen Ungehorsams herauszuarbeiten, zu untersuchen, wie er entsteht, was er bewirkt und was seine Ziele sind. Bei der Analyse der mit dem zivilen Ungehorsam einhergehenden Probleme, werden die von Rawls aufgezeigte Pflichtenkollision der Bürger, die Unvereinbarkeit des gezielten Gesetzesbruchs mit dem Rechtssystem sowie die Nähe zwischen zivilem Ungehorsam und Gewalt thematisiert. Im Anschluss daran wird näher auf Bedingungen eingegangen, die den zivilen Ungehorsam nach Ansicht von John Rawls rechtfertigen, abschließend wird Hannah Arendts Forderung nach der politischen Institutionalisierung des zivilen Ungehorsams näher erläutert.
2. Kriterien des zivilen Ungehorsams
Ziviler Ungehorsam bezeichnet eine bewusste und gezielte Verletzung von Rechtsnormen, durch die auf die öffentliche Meinungsbildung sowie politische Willens- und Entscheidungsbildung eingewirkt werden soll, indem durch solche begrenzten Regelverstöße öffentliche Aufmerksamkeit erregt wird. Er wendet sich gegen bestimmte als politisch oder sittlich illegitim angesehene Entscheidungen, jedoch nicht gegen die Rechtsordnung als solche.[2]
Rawls folgend, versteht man unter zivilem Ungehorsam eine öffentliche, gewaltlose, gewissensbestimmte aber politische gesetzwidrige Handlung, die gewöhnlich ein Änderung der Gesetze oder der Regierungspolitik herbeiführen soll.[3] Die Bedeutung dieser Elemente soll nun erklärt werden:
2.1. Öffentlichkeit
Öffentlichkeit ist ein wesentliches Kriterium des zivilen Ungehorsams. In zweierlei Hinsicht ist der zivile Ungehorsam eine öffentliche Handlung: zum einen bezieht er sich auf öffentliche Grundsätze, zum anderen findet er in der Öffentlichkeit statt.[4] Letzteres grenzt für Hannah Arendt den zivilen Gehorsamsverweigerer eindeutig von einem Kriminellen ab und ist im Rahmen ihrer Argumentation dafür, dass ziviler Ungehorsam mit der Verfassung und mit den Institutionen des amerikanischen Regierungssystems vereinbar ist, ein zentraler Punkt. „Es gibt einen ungeheuren Unterschied zwischen dem Kriminellen, der das Licht der Öffentlichkeit scheut, und dem zivilen Gehorsamsverweigerer, der in offener Herausforderung das Gesetz in seine eigenen Hände nimmt“.[5] Rawls vergleicht den zivilen Ungehorsam mit einem Appell, in dem tiefe und gewissenhafte politische Überzeugung zum Ausdruck kommt und der – um ausreichend wahrgenommen zu werden – das Forum der Öffentlichkeit sucht.[6] Einen hohen Grad an Öffentlichkeit und gleichzeitiger Kalkulierbarkeit erreicht der zivile Ungehorsam laut Kleger dann, wenn er seine Handlungen im Voraus ankündigt. Ist dies in bestimmten Fällen nicht möglich, wie beispielsweise bei der Befreiung von Versuchstieren durch Tierschützer, ist im Sinne der Definition des zivilen Ungehorsams nachträglich Öffentlichkeit herzustellen.[7]
2.2. Gewaltlosigkeit
Gewaltlosigkeit ist ein weiteres bedeutsames Kriterium des zivilen Ungehorsams. Sie ergibt sich unter anderem aus der zuvor beschriebenen Auffassung des zivilen Ungehorsams als einer Art Appell. Gewalt, insbesondere gegenüber Menschen, wäre ein endgültiger Ausdruck für einen Standpunkt und somit unvereinbar mit dem Wesen eines Appells. Ziviler Ungehorsam kann warnen und mahnen aber – selbst im Falle eines fehlgeschlagenen Appells – niemals mit Gewalt oder anderen Beeinträchtigungen bürgerlicher Freiheiten drohen.[8]
Durch das Wesensmerkmal der Gewaltlosigkeit wird der zivile Ungehorsam von anderen Widerstandsformen abgegrenzt. So sieht Hannah Arendt in der Gewaltlosigkeit den entscheidenden Unterschied im Handeln eines zivilen Gehorsamsverweigerers und eines Revolutionärs. In dem gemeinsamen Wunsch die Welt zu verändern, akzeptiert der zivile Gehorsamsverweigerer – im Gegensatz zum Revolutionär – den Rahmen der bestehenden Autorität und die generelle Rechtmäßigkeit der Rechtsordnung.[9]
Wie Rödel, Frankenberg und Dubiel zeigen, steht der zivile Ungehorsam dennoch im Verdacht, gewalttätige Austragungen politischer Konflikte zu befördern.[10] Im Rahmen der Analyse der mit dem zivilen Ungehorsam einhergehenden Probleme werde ich genauer auf diesen Punkt eingehen.
2.3. Gesetzwidrigkeit
Ziviler Ungehorsam zeichnet sich durch eine bewusste und gezielte Verletzung von Rechtsnormen aus, ohne dabei die Rechtsordnung als solche in Frage zu stellen. Dabei muss zwischen mittelbarem und unmittelbarem Ungehorsam unterschieden werden. Letzterer bezeichnet einen Bruch genau des Gesetzes, gegen das protestiert wird, wohingegen der mittelbare Ungehorsam es zulässt, dass beispielsweise Verkehrsvorschriften gebrochen werden, um auf ein Gesetz oder auf Verhältnisse aufmerksam zu machen, die man für ungerecht hält.[11] Die dieser Arbeit zugrundeliegenden Definitionen lassen sowohl den mittel- als auch den unmittelbaren zivilen Ungehorsam zu. Der zivile Gehorsamsverweigerer bewegt sich – wenn auch an deren Rande – innerhalb der Grenzen der Gesetzestreue, die sich einerseits im öffentlichen und gewaltlosen Charakter der Handlung und andererseits in der Bereitschaft, die gesetzlichen Folgen der Rechtsübertretung auf sich zu nehmen ausdrückt. Die Gesetzestreue unterstreicht die Gewissenhaftigkeit und Aufrichtigkeit der Handlung und trägt dazu bei, der Mehrheit zu verdeutlichen, dass sich die Aktion an den Gerechtigkeitssinn der Öffentlichkeit wendet.[12]
In der Akzeptanz der bestehenden Rechtsordnung, unterscheidet sich der zivile Gehorsamsverweigerer eindeutig von einem Militanten, der in einem viel tieferen Gegensatz zum bestehenden politischen System steht. Die für den zivilen Ungehorsam charakteristische „Selbstaufopferung“ seiner Protagonisten, käme für einen Militanten nicht in Frage, da dies eine Anerkennung der Verfassung bedeuten würde, die er ablehnt. Militante Aktionen stehen somit außerhalb der Gesetzestreue.[13]
Es ist offensichtlich, dass ein gezielter Gesetzesbruch – wenn überhaupt – nur schwer mit dem Rechtssystem vereinbar ist. Diese Problematik wird bezüglich des Deutschen Rechtssystems im Kapitel „Probleme des zivilen Ungehorsams“ vertieft.
[...]
[1] vgl. Rödel/Frankenberg/Dubiel (1989), S. 22
[2] vgl. Brinkmann in Holtmann (2000), S. 791
[3] vgl. Rawls, John (1994), S. 401
[4] vgl. ebd., S. 403
[5] Arendt, Hannah (1986), S. 137
[6] vgl. Rawls, John (1994), S. 403
[7] vgl. Kleger, Heinz (1993), S. 198
[8] vgl. Rawls, John (1994), S. 403
[9] vgl. Arendt, Hannah (1986), S. 138
[10] vgl. Rödel/Frankenberg/Dubiel (1989), S. 25
[11] vgl. Rawls, John (1994), S. 401
[12] vgl. ebd., S. 403
[13] vgl. ebd., S. 404
- Arbeit zitieren
- Matthias König (Autor:in), 2003, Ziviler Ungehorsam - Kriterien, Ziele und Probleme einer demokratischen Tugend, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16375
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