Nancy Cartwright zur Einheitswissenschaft

Zur Kritik von Nancy Cartwright am Konzept der Einheitswissenschaft im logischen Empirismus


Trabajo Escrito, 2010

16 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Einleitung

Die vorliegenden Ausführungen untersuchen die wissenschaftstheoretische Kritik bzw. die wissenschaftstheoretisch anderweitig orientierte Position und Argumentation von Nancy Cartwright in Bezug auf die Konzeption der Einheit der Wissenschaft, wie sie im logischen Empirismus zu finden ist. Bevor Cartwrights Ausarbeitungen zu diesem Aspekt untersucht und diskutiert werden, ist es notwendig im Vorfeld andere Standpunkte aus wissenschaftstheoretischem Blick zu einer solchen Einheit, nämlich die des logischen Empirismus, einer Betrachtung zu unterziehen und anhand exemplarischer Beispiele aus dem Umfeld des Wiener Kreis oder auch der Berliner Gesellschaft für empirische Philosophie zu verdeutlichen, welche verschiedenen Ansätze und dazugehörenden Implikationen zur Einheit in der Wissenschaft in dieser wissenschaftstheoretischen Position ausgearbeitet bzw. angestrebt wurden. Dabei ist festzuhalten, dass der logische Empirismus kein „fertiges oder ... der Vollendung fähiges systematisches Lehrgebäude“ sondern eine „Abfolge logisch-empiristischer Systementwürfe“ (Tuschling et al. 1983, 5) darstellt, von denen hier die Entwürfe, die in Bezug mit Einheit der Wissenschaft stehen, relevant sind. Im Anschluss darauf soll gezeigt werden warum und in welchem Ausmaß für Cartwright die Ansätze im logischen Empirismus zur Einheitswissenschaft nicht akzeptabel bzw. kritikwürdig oder irrelevant sind.

Dabei soll auch der allgemeine Standpunkt von Nancy Cartwirght in der Wissenschaftsphilosophie, also auch der abseits des Einheitsdiskurses, eine Rolle spielen und in dieser Arbeit berücksichtigt sowie diskutiert werden; in diesem Zusammenhang wird auch die zentrale Relevanz der Physik als Wissenschaft und ihr Platz in der Debatte um (vor allem reduktionistische) wissenschaftliche Einheitskonzeptionen, sowie auch für den wissenschaftsphilosophischen Standpunkt von Nancy Cartwright von Interesse sein. Basierend auf diesen Betrachtungen sollte es möglich sein, resümierend die Position Cartwrights, den wissenschaftstheoretischen Positionen und Einheitskonzeptionen des logischen Empirismus in gewissem Sinne gegenüberstehend, einer Evaluation bzw. Diskussion in Hinblick auf eventuelle Kritikpunkte auf den sich gegenüberstehenden Seiten zu unterziehen.

Zur Einheit der Wissenschaft im logischen Empirismus

Wirft man einen Blick auf die Geschichte, so ist der Gedanke von Einheit des Wissens bzw. das Streben nach einer solchen Einheit bereits weit vor der wissenschaftstheoretischen Position des logischen Empirismus (logischer Positivismus oder Neopositivismus), die wohl zu den einflussreichsten und wichtigsten des zwanzigsten Jahrhunderts gehört und ihre Wurzeln im Wiener Kreis in den frühen Zwanzigerjahren hat, zu finden. Bechtel und Hamilton (2007) geben dazu einen geschichtlichen Überblick, der bereits bei der Einteilung in theoretische, praktische und produktive Wissenschaften von Aristoteles beginnt, über die französischen Enzyklopädisten Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, Lorenz Okens systematische Einheit Anfang des achtzehnten Jahrhunderts (Lehrbuch der Naturphilosophie), bis hin zu den hier besonders relevanten Ansätzen der späteren International Encyclopedia of Unified Science, die dem logischen Empirismus entwachsen ist; bei diesem letzteren Schritt ist vor allem wichtig, dass „Whereas Oken attempted to build unity in terms of conceptual (semantic) ideas, other approaches to systematizing knowledge appealed to logic (syntax) for the bridges between bodies of knowledge“ (Bechtel et al. 2007, 380), was mit dem Wiener Kreis Anfang der 1920er quasi die Geburtsstunde dessen, was heute als logischer Empirismus bezeichnet wird, markiert.

Dabei wurde das geschichtliche Fundament des logischen Empirismus bzw. der Begriff des Positivismus von August Comte und seiner Skepsis gegenüber vor allem der metaphysischen Philosophie und dem Fokus auf positives, also erfahr- und observierbares Wissen, bereits Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gelegt. Eine weitere signifikante Einflussgröße ist, so betont Bechtel (et al. 2007, 380), auch der Positivismus bzw. radikale Empirismus von Ernst Mach, der sinnliche Erfahrung zur einzigen Wissensquelle und wissenschaftliche Gesetze in einem instrumentellen Sinn zur Beschreibung des sinnlich Erfahrbaren (und nichts Anderem) erklärt, und der von vielen

Vertretern des logischen Empirismus, wenn auch hauptsächlich in seiner experimentellen Begründung von Wissen und nicht in seiner instrumentellen Radikalität, adaptiert wurde. Zum Terminus logischer Empirismus schreibt Bechtel:

“The adjective logical identifies the chief resource to which the logical positivists appealed in advancing beyond individual observations to generalized scientific claims. The logic to which they appealed was not traditional Aristotelian logic, but rather the modern mathematical logic developed in the late 19th and early 20th centuries by Frege, Peano, Russell, Whitehead, and others.” (Bechtel et al. 2007, 380)

Dass der Gedanke der Einheitswissenschaft bzw. die einheitswissenschaftliche Idee keine beliebige am Rande liegende Konsequenz, sondern eine fundamental zentrale Bedeutung im logischen Empirismus hat, zeigt Rainer Hegselmann (1992) in seiner Untersuchung der theoretischen Identität dieser Wissenschaftsposition. Sein Blick auf die Entstehung des logischen Empirismus gibt Aufschluss über diese zentrale Bedeutung. So fällt der Ursprung nicht ohne Grund in einen Abschnitt der Geschichte, in dem vor allem auf den naturwissenschaftlichen Gebieten wie der Physik oder der Mathematik enorme Fortschritte verzeichnet werden konnten und so sollte sich auch die Philosophie, nachdem die synthetischen Urteile Apriori der Kantischen Transzendentalphilosophie als gescheitert erklärt waren, nach den „in den Einzelwissenschaften wirkenden Rationalitätsprinzipien richten“. Daraus ergeben sich, wie Hegselmann (1992, 8-9) ausführt zwei wichtige Theoreme des logischen Empirismus: Das Basistheorem (Erkenntnis nur durch Erfahrung) sowie das Sinntheorem (Unterscheidung zwischen sinnvollen und Scheinsätzen; wahr oder falsch können nur analytische empirische Sätze sein).

Als Konsequenz richtet man sich also gezielt kritisch gegen die traditionelle Metaphysik, deren Überwindung zum einen, zum anderen aber auch das Anstreben einer Einheitswissenschaft zu den Folgen gehören. Zu dieser Wende der Philosophie, in der vor allem der Wiener Kreis um Vertreter wie Carnap, Neurath oder Hahn eine zentrale Position einnimmt, schreibt Oliver Feldmann (1983, 13) etwa, dass „Die bisherige Philosophie, zu deren Revolution der Wiener Kreis angetreten ist, ... sich diesem als ein ,Chaos der Systeme““ darstellt. „Eine Philosophie, die aus diesem unfruchtbaren Streit der Systeme‘ herauskommen und zu aufweisbaren Resultaten gelangen will, muss sich in den Dienst der Wissenschaft stellen und von dem ,ewigen Kampf ... gegen den Fortschritt der Wissenschaft ablassen“. Dieses Chaos und eine deshalb wünschenswerte Einheit bezieht sich vor allem auf Geisteswissenschaften auf der einen und Naturwissenschaften auf der anderen Seite; so betrifft der Begriff Einheitswissenschaft im Wiener Kreis vor allem die Legitimität der Gesamtheit der Sätze unter dem Gesichtspunkt des Basis- und Sinntheorems. Vertreter wie Carnap und Neurath favorisierten dabei zur Lösung dieses Problems die physikalistische Sprache, deren Vokabular in den Wissenschaften einheitlich zur Anwendung kommen sollte. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass diese Form von Einheit sich hauptsächlich auf die Sprache bezieht, aber noch kein direkt reduktionistischer Ansatz im nomologischen Sinne an sich ist.

„Das Programm der physikalistischen Einheitswissenschaft besagt also nicht, daß die Gesetze aller Wissenschaften auf die Gesetze der Physik zurückgeführt werden könnten, sondern leidiglich, dass die Sätze aller Wissenschaften in einer bestimmten Sprache ausgedrückt werden sollten.“ (Hegselmann 1992, 12)

Die Physik spielt allerdings, und das wird bei der späteren Betrachtung von Cartwrights Ausführungen wichtig sein, eine ganz zentrale Rolle in der Einheitskonzeption des Wiener Kreises. Diesen speziellen Status der physikalischen Sprache legte man dem Aufbau der Einheitswissenschaft zugrunde und so wurde versucht in ersten Anwendungen eine „Physikalisierung“ der Soziologie und Psychologie vorzunehmen. Zur Stützung dieser angenommenen Sonderstellung gibt es, laut Tuschling (1983, 82), zwei Formulierungen: Zum Ersten in „inhaltlicher Redeweise“ ausgedrückt, die besagt „es gebe nur eine Art von Objekten, nur eine Art von Sachverhalten, nämlich die physikalischen“, zum Zweiten die korrekte „formale Redeweise“, nach der die physikalische die einzigen Universalsprache sei, in die jeder Satz übersetzbar ist, oder, um es mit den Worten von Carnap (1934, 93) selbst auszudrücken: „All statements whether of the protocol, or of the scientific system . can be translated into the phyisical language. The physical language is therefore a universal language and, since no other is known, the language of all science“. Wissenschaftshistorisch sei der Physik, so wurde in diesem Zusammenhang angenommen, dank ihrer exakten Resultate und Methoden eine unumstrittene Vorrangstellung einzuräumen und so wurde mit dieser universellen Auffassung der physikalischen Sprache etwa versucht die Biologie auf Physik zurückzuführen oder etwa auch die Psychologie in die physikalische Sprache zu übersetzen, was auf eine behavioristische Auffassung hinläuft (Tuschling et al. 1983, 83-84). Rötzer (2003, 91-92) fasst das Postulat des Wiener Kreises in knapper Form wie folgt zusammen:

„Begriffe jeder beliebigen Einzelwissenschaft - unter Ausschluss der Metaphysik - [seien] von der Mathematik bis zur Sozialwissenschaft ohne Verlust ihrer Aussagekraft und Eigenständigkeit in das Begriffssystem einer Basiswissenschaft zu übersetzen ... Als Basiswissenschaft sollte die Physik dienen. Mit Hilfe ihres Begriffssystems, das die Reduktionsebene darstellte, ließ sich die Einheitswissenschaft bzw. Gesamtwissenschaft erstellen. Ausgangspunkt war die Annahme, dass sämtliche materielle Gegebenheiten sich nur in quantitativer und nicht in qualitativer Hinsicht unterscheiden. Als Gegenstand der Wissenschaft wurden nur materielle Gegenstände anerkannt.“

Im Weiteren soll an dieser Stelle, nachdem das wissenschaftstheoretische Einheitskonzept im Wiener Kreis grob umrissen wurde, eine Konzeption von Einheit gezeigt werden, wie sie bei Paul Oppenheim und Hillary Putnam in ihrer Arbeit Einheit der Wissenschaft als Arbeitshypothese von 1958 gezeichnet wird, und die einen noch direkteren und reduktionistischeren Bezug zur Physik im nomologischen Sinn herstellt. Oppenheim war deutscher Chemiker und Philosoph und stand vor allem mit der Berliner Gesellschaft für empirische Philosophie (oder Berlin Circle) in Verbindung, die wie der Wiener Kreis im Zeichen des logischen Empirismus und dessen Ausbreitung in den Zwanzigerjahren steht. Sein wohl prominentestes Werk ist das zusammen mit Carl Gustav Hempel vorgeschlagene deduktiv-nomologische (kurz D-N Modell) Erklärungsmodell, welches besagt dass, um es möglichst knapp auszudrücken, jedem observierten Phänomen ein experimentelles (observiertes) oder theoretisches (mit abstrakten Entitäten wie Kraft oder Masse wie beispielsweise in der klassischen Mechanik) Gesetz zugrunde liegen müsse, dessen Erklärungskraft zu neuen

Aussagen und Vorhersagen dient. So formulieren Oppenheim und Hempel (1984, 136) selbst etwa, dass „the question ,Why does the phenomenon happen? ‘ is construed as meaning ‘according to what general laws, and by virtue of what antecedent conditions does the phenomenon occur?’”. Bechtel (2007, 384) formuliert die Konsequenz dieses Models für den Logischen Empirismus etwa so:

“To account for the relations between the laws or theories of different sciences, the logical empiricists proposed simply generalizing this account, and argued that it should be possible to derive the laws or theories of one discipline or science from those of another.”

Zusammen mit Hilary Putnam versucht Oppenheim dem Konzept Einheit der Wissenschaft schärfere Definition zu verleihen und „zu untersuchen, in welchem Ausmaß diese Einheit erreicht werden kann“ (Oppenheim et al. 1958, 339). Dabei werden drei Arten von Einheit nach ihrem Stärkegrad unterschieden: Einheit im schwächsten Sinne impliziert dabei die Verwendung von Termen einer Basiswissenschaft (der Physik beispielsweise) in allen Wissenschaften, eine Einheit im sprachlichen Sinne also; eine Einheit in stärkerem Sinne (die eine einheitliche Sprache einschließt) wird als, und das ist ein zentraler Punkt, Einheit der Gesetze definiert. Die dritte und stärkste Konzeption von Einheit würde nicht nur alle Gesetze auf jene einer Disziplin reduzieren, sondern die Gesetze dieser Disziplin zusätzlich vereinheitlichen und verbinden; diese dritte Form wird allerdings ausgeschlossen und nicht näher präzisiert.

Final del extracto de 16 páginas

Detalles

Título
Nancy Cartwright zur Einheitswissenschaft
Subtítulo
Zur Kritik von Nancy Cartwright am Konzept der Einheitswissenschaft im logischen Empirismus
Universidad
University of Bremen
Curso
Einheit der Natur und Pluralismus der Disziplinen
Calificación
1,0
Autor
Año
2010
Páginas
16
No. de catálogo
V164504
ISBN (Ebook)
9783640795642
ISBN (Libro)
9783640795406
Tamaño de fichero
428 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Philosophie, Wissenschaftsphilosophie, Nancy Cartwright, Wiener Kreis, Einheitswissenschaft, Wissenschaftstheorie, logischer Empirismus, Reduktionismus
Citar trabajo
Simon Plaickner (Autor), 2010, Nancy Cartwright zur Einheitswissenschaft, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/164504

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