Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsklärung
3. Antirassistische Bildungsarbeit als Aufgabe Sozialer Arbeit
3.1. Rechtliches
3.2 Theoretische und gesellschaftliche Gründe zur Notwendigkeit der Auseinandersetzung von Jugendlichen mit den Themen Shoah und Rassismus
3.3 Empirische Befunde zum Rechtsextremismus
4. Programme und Methoden politischer Bildungsarbeit
4.1 Überblick über bestehende Programme gegen Rechtsextremismus
4.2 Gedenkstättenpädagogik
5. Ravensbrück
5.1 Exkursion
5.1.1 Gedenkstättenarbeit
5.1.2 Museumsbesuch
5.1.3 Stadtführung
5.1.4 Arbeit mit schriftlichen Quellen
5.1.5 Fotoführung
6. Evaluation
6.1 Exkursion Ravensbrück
6.2 Workcamp Ravensbrück
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Das größte Übel heute ist die Gleichgültigkeit. Zu wissen und nicht zu handeln ist eine Form der Zustimmung zu diesen Ungerechtigkeiten. Der Planet ist sehr klein geworden. Was in anderen Ländern passiert, betrifft uns ebenfalls. “
Elie Wiesel
Die Arbeit beginnt mit einem Zitat des Shoah1 Überlebenden Elie Wiesel. Ich finde die Aussage sehr passend, da dies wiederspiegelt, welche Verantwortung jede/r einzelne hat, damit sich Dinge wie das dritte Reich und die Massenvernichtung durch die Nationalsozialisten nicht wiederholen.
In der vorliegenden Arbeit soll geklärt werden, wo die verschiedenen Konzepte der antirassistischen Bildungsarbeit ansetzen und wie wirksam diese sind. Außerdem will ich der Frage nachgehen, wozu es notwendig ist, dass gerade SozialarbeiterInnen politische Bildungsarbeit mit Jugendlichen betreiben sollten.
Im zweiten Kapitel werde ich grundlegende Begriffe und Konzepte klären. Darauf folgt eine genaue Beschreibung der Schlüsselkompetenzen Sozialer Arbeit und ihrer Aufgabenbereiche. Es schließt eine Darstellung des Begriffs der Politischen Bildungsarbeit. Außerdem werde ich die Aufgabe und didaktische Konzeptionen der politischen Bildungsarbeit darlegen. Als ein Feld der Politischen Bildungsarbeit, wird auch die antirassistische Bildungsarbeit genauer erläutert, außerdem sollen in diesem Kontext auch die Begriffe Rassismus und Rechtextremismus genauer beleuchtet werden.
In Kapitel drei folgt die Begründung der antirassistischen Bildungsarbeit als Aufgabe sozialer Arbeit. Zunächst werde ich die rechtliche Situation darstellen und dann auf die gesellschaftlichen Hintergründe eingehen. Hierzu werden aktuelle Studien zum Rechtsextremismus dargestellt.
In Kapitel vier werde ich einen Überblick über bestehende Programme gegen Rechtsradikalismus geben und danach exemplarisch die Gedenkstättenpädagogik näher beschreiben und vorstellen.
Danach folgt in Kapitel fünf nach einem kurzen historischen Überblick über die Geschichte Ravensbrücks und seine Besonderheiten, die Beschreibung von zwei in Ravensbrück stattgefundenen Projekte.
In Kapitel sechs werden die Ergebnisse einer Evaluation beider Projekte dargestellt und mit den Zielstellungen bestehender Programme gegen Rechtsextremismus verglichen.
Am Schluss folgt in Kapitel sieben ein Resümee der vorliegenden Arbeit.
2. Begriffsklärung
Zu Beginn sollen grundlegende Begriffe und Konzepte genauer erläutert werden.
Jugendliche
Im achten Gesetzbuch, dem Kinder- und Jugendhilfegesetz, wird als Jugendlicher definiert:
„§ 7 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Buches ist
2. Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist,
3. junger Volljähriger, wer 18, aber noch nicht 27 Jahre alt ist,
4. junger Mensch, wer noch nicht 27 Jahre alt ist"2
Auch Sozialwissenschaftler gehen bei dem Begriff Jugendlicher von einem Alter von 14 - 27 Jahren aus. Die Autorinnen der neuesten Shell Studie legen bei ihrer Definition ein Alter der Jugendlichen von 12 - 25 Jahren zugrunde, da hier angenommen wird, dass heutzutage die Jugend früher beginnt.3
Soziale Arbeit
Nun soll zunächst erläutert werden, was genau Soziale Arbeit ist und welche Aufgaben sie hat, um später Rückschlüsse im Bezug auf die Fragestellung ziehen zu können.
Der Begriff Soziale Arbeit wurde in Deutschland erst 2001 von der Hochschulrektorenkonferenz offiziell als Fachwissenschaft anerkannt. Die Soziale Arbeit umfasst die Berufe Sozialpädagogik und Sozialarbeit. Der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit ev. (DBSH) hat sich zusammen mit der International Federation of Social Workers (IFSW) um eine Definition des Berufsbildes Soziale Arbeit bemüht und auf seiner Seite eine Broschüre zur Grundlagen der Sozialen Arbeit herausgebracht. Hierin sind auch die Leitlinien und Schlüsselkompetenzen der Sozialen Arbeit geschildert.4 „Soziale Arbeit als Beruf fördert den sozialen Wandel und die Lösung von Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen, und sie befähigt die Menschen, in freier
Entscheidung ihr Leben besser zu gestalten und Probleme in den Griff zu bekommen. Gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse über menschliches Verhalten und soziale Systeme greift soziale Arbeit dort ein, wo Menschen mit ihrer Umwelt in Kontakt treten und sich Schwierigkeiten ergeben."5
Die Aufgaben der Sozialen Arbeit sind dabei vielfältig. Ihr grundsätzliches Ziel ist es, Menschen zu befähigen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und selbstständig die eigenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Professionelle Soziale Arbeit hilft, Probleme zu lösen und Veränderungen anzustoßen. „Daher sind Sozialarbeiterinnen AnwältInnen für Veränderung, die dazu den Adressatinnen der Sozialen Arbeit ein Angebot unterbreiten."6 Der Sozialen Arbeit geht es darum, ganzheitlich an Problemstellungen und Herausforderungen heranzugehen und macht dazu vernetzte Angebote auf der Schnittstelle von Werten, Theorien und Praxis. Sie konzentriert sich dabei auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Klientinnen und unterstützt die Entwicklung individueller Stärken, gibt also Hilfen zur Selbsthilfe.
„Grundlagen der Sozialen Arbeit sind die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit."7 Auch spielen grundsätzlich demokratische Normen und Ideale eine zentrale Rolle. Im Jahr 1982 gab sich die Soziale Arbeit einen gemeinsamen Kodex. Im „Codes of Ethics" sind Grundprinzipen und Werthaltungen festgeschrieben, die für die Soziale Arbeit in aller Welt gelten.8
Zusammenfassend beruht die Soziale Arbeit „auf einem systemischen Wissen, das sich herleitet aus Forschung und Praxis. Die professionelle Soziale Arbeit bedient sich der Wissenschaften über menschliche Entwicklung, Verhalten und Soziologie, um schwierige Situationen zu analysieren, und um individuelle, organisatorische, soziale und kulturelle Veränderungen zu erleichtern."9 Sie orientiert sich an den gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Begebenheiten im jeweiligen Land und kann daher von Land zu Land variieren.
Die Soziale Arbeit orientiert sich in Deutschland also an den hiesigen kulturellen Besonderheiten. Da die Shoah unvermeidbar zur Vergangenheit unserer Gesellschaft gehört, ist auch die Erziehung nach Auschwitz eine Aufgabe der Sozialen Arbeit in Deutschland. Somit gehört auch die politische Bildungsarbeit zum Tätigkeitsfeld Sozialer Arbeit in Deutschland. Im Folgenden soll daher näher auf den Begriff der politischen Bildungsarbeit eingegangen werden. Ausgehend von der eben genannten Begründung soll im Anschluss an die Begriffsdefinition ausführlicher erläutert werden, warum die politische Bildungsarbeit eine Aufgabe der Sozialen Arbeit und nicht nur der Schule ist.10
Politische Bildungsarbeit
Die politische Bildung hat viele Tätigkeitsbereiche und Aufgabenfelder wie diese Grafik verdeutlicht:
Sie ist laut Kurt Gerhard Fischer so alt wie das Menschengeschlecht.11
Zur politischen Bildungsarbeit gehören nach Sander: „Alle Formen absichtsvoller pädagogischer Einwirkung auf Prozesse der politischen Sozialisation"12.
Er unterscheidet drei Grundmuster der politischen Bildung: Herrschaftslegitimation, Mission und Mündigkeit, die ich hier kurz erläutern werde.
DasGrundmuster der Herrschaftslegitimation dient in der jeweiligen Gesellschaft dazu, die Kinder politisch zu sozialisieren, also den Erwerb der Werthaltungen, Einstellungen und
Überzeugungen die für die Aufrechterhaltung der jeweiligen politischen Ordnung einer Gesellschaft von Nöten sind zu unterstützen.13
In den Anfängen des modernen Schulwesens, lässt sich feststellen, dass Herrschaftslegitimation eine zentrale Aufgabe des schulischen Lernens war. Eine große Bedeutung kam der politischen Bildung in der BRD nach 1945 zu, als die Alliierten eine demokratische Neuorientierung des Erziehungswesens durchsetzen wollten, der sogenannten „Re-education". Sie war laut den Alliierten Westmächten im Nachkriegsdeutschland absolut notwendig, um eine demokratische Grundordnung zu errichten. Dies wird deutlich in einem Dokument der amerikanischen Erziehungskommission aus dem Jahre 1946, aus dem hervorgeht, dass die Erhaltung einer Demokratie demokratisches Grundwissen seiner Bürgerinnen erfordert. Sander vergleicht diese Art der politischen Bildung mit der „Mission", politische Bildung als Instrument der Besserung. Man kann laut Sander auch in modernen Dokumenten solche Erwartungshaltungen feststellen. Hier wird politische Bildungsarbeit als eine Art gesellschaftliche Feuerwehr zur Bekämpfung von Missständen, beispielsweise Gewalt von Jugendlichen oder Extremismus, gebraucht.14
Das dritte Denkmuster ist die Mündigkeit. Die politische Bildung dient hierbei einzig und allein einer eigenständigen Auseinandersetzung der jeweiligen Adressatinnen mit den Wirklichkeitsbereichen der Politik, ohne die politischen Meinungen, Urteile und Überzeugungen, die die Lernenden sich hierbei aneignen können, vorwegzunehmen. Sander beschreibt dieses Denkmuster als das einzig Mögliche für die demokratisch politische Bildung, da dies die Möglichkeit miteinschließt, dass die Adressatinnen in politischen Streitfragen zu anderen Ergebnissen kommen können, als die jeweiligen Lehrenden und was bei dieser Art von politischer Bildung auch ein erwünschter Effekt ist.15
„Politische Bildung soll dazu beitragen, das Bewusstsein für Demokratie in der Bevölkerung zu fördern, die Bürgerinnen zu motivieren und befähigen, mündig aktiv und kritisch am politischen Leben teilzunehmen. Dadurch werden Kenntnisse, Einblick und Verständnis in gesellschaftliche Zusammenhänge politischer, sozialer, kultureller, ökonomischer und ökologischer Prozesse vermittelt."16
Die politische Bildung ist in meinen Augen unabdingbar in einer demokratischen Gesellschaft, da sie die Aufgabe erfüllt, die Mitglieder der Gesellschaft über die Vorgänge und Mechanismen in der Demokratie aufzuklären und aus ihnen mündige Staatsbürgerinnen zu machen. Hier sollte man sich nach dem Denkmuster der Mündigkeit richten. Politische Bildungsarbeit sollte eben auch auf Freiwilligkeit basieren, das heißt die Adressatinnen der politischen Bildung dazu animieren sich Wissen über politische Themen und Mechanismen anzueignen und eine eigene Meinung zu entwickeln. Wenn man den Jugendlichen ein vorgefertigtes gesellschaftliches Bild aufzwängt kann es passieren, dass sie sich politisch in die andere Richtung entwickeln und dagegen rebellieren, um sich emanzipieren zu können.
Laut dem Beutelsbacher Konsens ist es auch ausdrücklich so vereinbart. Dieser wurde 1976 auf einer Fachtagung der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg verabschiedet.
Darin steht unter anderem in Ziffer 1 das sogenannte Überwältigungsverbot. Hierin wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es keinesfalls erlaubt ist, mit welchen Mitteln auch immer, Schülerinnen im Sinne erwünschter Meinungen zu beeinflussen und damit daran zu hindern ein selbständiges Urteil zu fällen. Die Autorinnen des Konsenses sehen auch hierin den Verlauf der Grenze zwischen „Indoktrination“ und politischer Bildung. Die Indoktrination ist aber unvereinbar mit der allgemein anerkannten Definition der politischen Bildung.
Neben dem Überwältigungsverbots, ist es auch wichtig die Kontroversität herauszustellen. Themen die in Wissenschaft und Politik kontrovers diskutiert werden, sollen auch als solche dargestellt werden. Wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen oder Optionen außer Acht gelassen werden, wirkt dies schon auf eine bestimmte Richtung hin und kann die Menschen zu sehr beeinflussen, was den Tatbestand der Indoktrination erfüllen würde.
Das dritte Prinzip des Konsenses zielt darauf ab, die Schülerinnen in die Lage zu versetzen, eine politische Situation und die eigene interessenlage zu analysieren und17 nach Mitteln und Wegen zu suchen, die daraus gewonnene Erkenntnis und Lage im Sinne der eigenen Interessen zu beeinflussen.18
Der Beutelsbacher Konsens wurde damals hauptsächlich mit Fokus auf die Schule formuliert, lässt sich aber sehr gut auch auf die außerschulische politische Bildung übertragen, da diese genauso den Anspruch erhebt, die AdressatInnen zu einer eigenständigen Meinung zu verhelfen.
Da es zu den Aufgaben Sozialer Arbeit gehört, Menschenrechte im Alltag zu verdeutlichen und umzusetzen, sehe ich es auch als Aufgabe für SozialarbeiterInnen außerschulische politische Bildungsarbeit zu betreiben. Aber auch die pädagogischen Fähigkeiten von SozialarbeiterInnen dürfen dabei nicht außer Acht gelassen werden. Wenn es um politische Bildungsarbeit mit Jugendlichen geht, sind SozialarbeiterInnen aufgrund ihrer Ausbildung bestens geeignet, um mit einer Gruppe von Jugendlichen/jungen Menschen beispielsweise eine Gedenkstättenfahrt zu unternehmen. Sie können bei Konflikten innerhalb der Gruppe aufgrund theoretischer Kenntnisse von Problemlösungsstrategien und verschiedener Interventionsformen adäquat auf Störungen des Gruppenprozesses reagieren. Politologen sind hier meiner Meinung nach im pädagogischen Bereich nicht genügend ausgebildet, um mit einer Gruppe Jugendlichen ohne Unterstützung von SozialarbeiterInnen oder PädagogInnen ein solches Programm durchzuführen. Mittlerweile gibt es auch an verschiedenen Hochschulen der Sozialen Arbeit ein Modul mit gedenkstättenpädagogischem Inhalt. In der Katholischen Hochschule Freiburg beispielsweise gibt es das Projekt „Für die Zukunft lernen" und an der Hochschule in Esslingen gibt es das Projekt „Erziehung nach Auschwitz". Doch darauf werde ich später noch einmal eingehen.
Innerhalb der politischen Bildung beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit dem Feld der antirassistischen Bildungsarbeit. Was antirassistische Bildungsarbeit ist und welche Ziele sie hat, soll im nächsten Abschnitt dargestellt werden.
Antirassistische Bildungsarbeit
Für die antirassistische oder nicht-rassistische Bildungsarbeit gibt es keine allgemeingültige Definition. Grundsätzlich geht sie davon aus, dass allen Bürger einer multikulturellen, demokratischen Gesellschaft die im Grundgesetz Deutschlands und in der Menschenrechtskonvention festgeschriebenen demokratischen Rechte zustehen. Die antirassistische Bildungsarbeit erkennt aber gleichzeitig an, dass sich dies nicht immer mit der Realität deckt, sondern dass Menschen in Deutschland und überall auf der Welt immer wieder von Ausgrenzungen und Rassismus betroffen sein können. Sie weiß um die negativen Auswirkungen auf Bildungschancen und Integration, die das Erfahren von Ausgrenzung und Rassismus auf SchülerInnen nicht-deutscher Herkunft oder anderer Hautfarbe haben kann. Antirassistische Bildung will deshalb „auf individueller sowie institutioneller Ebene rassistisches Verhalten, rassistische Sprache und Praktiken ansprechen und die Wahrnehmung in Bezug auf die negativen Auswirkungen des Rassismus schärfen. Sie zielt auf eine multi-ethnische und interdependente Gesellschaft, in der die Rechte aller respektiert und geschützt werden."19
Die antirassistische Bildung sieht sich als ein Teil der politischen Bildungsarbeit und soll über die Mechanismen und Konstrukte von Rasse, Alltagsrassismus und Diskriminierung aufzuklären. Außerdem dient sie der Festigung einer demokratischen Gesellschaft und soll dazu beitragen, rassistische und rechtsextreme Einstellungen zu hinterfragen und Fremdenfeindlichkeit vorzubeugen.
Im Baustein zur Nichtrassistischen Bildungsarbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) findet sich folgende Definition:
„Antirassistische Bildung konzentriert sich auf die Beziehung zwischen individueller und struktureller Diskriminierung. Sie fragt, welche Machtgefälle es in einer Situation gibt und wem sie nutzen. Sie möchte über die Geschichte rassistischer Bilder und Praktiken aufklären und Handlungsmöglichkeiten gegen Rassismus und für eine tatsächliche Gleichstellung entwickeln. Zu ihren Schlüsselbegriffen gehören: Kritische
Gesellschaftsanalyse, soziale Gerechtigkeit, politische und rechtliche Gleichstellung sowie Gesellschaftsveränderung und Opposition. ‘20
Zielsetzungen antirassistischer Bildungsarbeit sind mitunter sehr unterschiedlich. Zu den Hauptzielen der antirassistischen Bildungsarbeit gehören die Prävention rassistischer Gewalt, der Abbau von Vorurteilen und Hilfen zur Überwindung struktureller Diskriminierungen von Minderheitsangehörigen.21 Laut DGB können konkrete Ziele zum Beispiel sein:
- „Vermittlung von Werten wie Toleranz
- Erarbeiten von Handlungsweisen, um Zivilcourage zu unterstützen
- Fördern interkultureller Kontakte
- rassistische Propaganda aufdecken
- Bewusstmachen von eigenen rassistischen Anteilen
- Stärken von Minderheiten
- Förderung von Minderheiten durch Strukturmaßnahmen analog zum Gender Mainstreaming"22
Auch der Erziehungsansatz der antirassistischen Bildungsarbeit basiert auf verschiedenen Erziehungskonzepten der politischen Bildungsarbeit:
- Durch das Vermitteln von Informationen über Minderheiten in Deutschland wird versucht, Vorteile abzubauen.
- Auch soll durch Information der Schülerinnen zum Thema Rassismus und Rechtsextremismus dem Phänomen die Faszination genommen werden.
- Durch Auf- und Ausbau von Zivilcourage sollen Klientinnen befähigt werden, sich aktiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus stark zu machen.
- In konkreten Anti-Rassismus-Trainings wird mittels unterschiedlicher methodischer und didaktischer Herangehensweisen versucht, die Jugendlichen oder Erwachsenen für Rassismus in unserer Gesellschaft und unserem Alltag zu sensibilisieren.
- In interkulturellen Programmen und Maßnahmen wird das Ziel verfolgt, durch den Kontakt und das alltägliche Miteinander in multiethnischen Gruppen das gegenseitige Verständnis zu fördern.
- Zuletzt dient der Aufbau von Schutzmaßnahmen dazu, rassistisch motivierte Ausgrenzungen und Diskriminierungen aus Erziehungseinrichtungen möglichst herauszuhalten, um so die Einrichtung zu einem sicheren Ort für alle Beteiligten zu machen.23
Das heißt, in der antirassistischen Bildung geht es unter Anderem darum, Vorurteile abzubauen und diesen entgegenzuwirken, aber auch darum das Verständnis zwischen verschiedenen Kulturen und Menschen unterschiedlicher Herkunft zu fördern und das Zusammenleben in der Gesellschaft reibungslos zu gestalten. Vergleicht man das mit den Prinzipien der Sozialen Arbeit vom DBSH und IFSW, ist es ein fester Bestandteil der Arbeit von SozialarbeiterInnen.24
Um verstehen zu können, was antirassistische Bildungsarbeit ist, soll hier auch Rassismus genau definiert werden. Auch soll erläutert werden, was die rechtsextremen Einstellungen allgemein sind und welche Kategorien sie umfassen.
Rassismus
Trotz reger Forschungen auf dem Themengebiet des Rassismus hat sich bis dato keine allgemein akzeptierte und gebräuchliche Definition des Begriffs durchgesetzt. Die am häufigsten verwendete Definition stammt von dem Soziologen Albert Memmi:
„Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen. “25
Nach Memmi gibt es dabei vier zentrale Charakteristika, die auf rassistische Ideologien zutreffen:
1. „Konstruktion und Betonung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zwischen dem Rassisten und seinem Opfer.
2. Wertung dieser Unterschiede zum Nutzen des Rassisten und zum Schaden des Opfers.
3. Verallgemeinerung und Verabsolutierung dieser Unterschiede.
4. Legitimierung einer Aggression oder eines Privilegs."26
Neben den Begriffen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit umfassen rechtsextreme Ansichten auch Antisemitismus, Faschismus, Chauvinismus und Geschichtsrevisionismus. Diese sollen hier kurz skizziert werden.
Chauvinismus
Als Chauvinismus gilt ein „übersteigerter Nationalismus, verbunden mit Hass oder Verachtung gegen andere Völker. [er steht außerdem] [u]mgangssprachlich für übertriebene männliche Selbstdarstellung"27
Faschismus
Dies bezeichnet eine von Mussolini ins Leben gerufene Weltanschauung, die auf einem starken Personenkult und eine Reihe verschiedener anderer Ansichten wie antikommunistisch, antidemokratisch und nationalistisch aufbaut.
Nationalismus
Bezeichnet ein übersteigertes Bewusstsein vom Wert und der Bedeutung der eigenen Nation. Beim Nationalismus wird die eigene Nation glorifiziert und über alle anderen gestellt. Außerdem wird ein Sendungsbewusstsein entwickelt die ganze Welt nach den eigenen Vorstellungen zu formen.28
Geschichtsrevisionismus
Dieser kommt häufig bei rechtsextremen Parteien wie beispielsweise der NPD vor. So wird beispielsweise oft der Shoah bestritten oder andere Handlungen die die deutsche Nation herabwürdigen als falsch und unhaltbar bezeichnet.
Antisemitismus
Bezeichnet die Feindlichkeit gegenüber Menschen jüdischer Herkunft und ist vor allem in rechtsextremen Parteien und Organisationen weit verbreitet, die bewusst mit antisemitischen Ressentiments auf Stimmenfang gehen.
3. Antirassistische Bildungsarbeit als Aufgabe Sozialer Arbeit
3.1. Rechtliches
Politische Bildungsarbeit ist im SGB VIII verankert. Sie hat die Aufgabe, Jugendliche dabei zu unterstützen, gesellschaftliches Engagement zu entwickeln und sich selbstbestimmt zu entfalten. Sie ist ein Teil der im SGB VIII geregelten Jugendarbeit. Unter dem § 11 SGB VII findet sich die Definition und rechtliche Grundlage hierfür.
„(1) Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.
(2) Jugendarbeit wird angeboten von Verbänden, Gruppen und Initiativen der Jugend, von anderen Trägern der Jugendarbeit und den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe. Sie umfasst für Mitglieder bestimmte Angebote, die offene Jugendarbeit und gemeinwesenorientierte Angebote.
(3) Zu den Schwerpunkten der Jugendarbeit gehören:
1. außerschulische Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und technischer Bildung,
2. Jugendarbeit in Sport, Spiel und Geselligkeit,
3. Arbeitswelt-, schul und familienbezogene Jugendarbeit,
4. internationale Jugendarbeit,
5. Kinder und Jugenderholung,
6. Jugendberatung.
(4) Angebote der Jugendarbeit können auch Personen, die das 27. Lebensjahr vollendet haben, in angemessenem Umfang einbeziehen.
Das heißt, Jugendliche haben laut § 11 Absatz (3), Satz 1 einen rechtlichen Anspruch auf die außerschulische politische Bildung und auf Angebote der offenen Jugendarbeit. In der Regel gibt es auch einen festen Etat im Haushaltsplan der Bundesregierung, der für die politische Bildungsarbeit und Programme und Maßnahmen gegen Rechtsextremismus vorgesehen ist. Dieser hängt auch davon ab, welche Partei die Regierung stellt und wie die aktuelle Bedrohungslage seitens extremistischer Einstellungen aussieht. Zuständig dafür ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend deren Vorsitz zurzeit Kristina Schröder von der CDU inne hat. Dies wird im Kapitel 4.1 noch einmal aufgegriffen.
3.2 Theoretische und gesellschaftliche Gründe zur Notwendigkeit der Auseinandersetzung von Jugendlichen mit den Themen Shoah und Rassismus
Rechtsextreme Straftaten und Einstellungen haben nach wie vor ein relativ hohes Niveau, wie Studien aus den vergangenen Jahren belegen, die in Kapitel 3.2 noch einmal genauer vorgestellt werden. Seit dem Mauerfall sind von 1990 bis 2000 die Todesopfer rechter Gewalttaten mit 137 zu beziffern. Dies wurde in einem großangelegten Projekt von „Die Zeit" und „Tagesspiegel“ recherchiert. Die Zahl übersteigt die zunächst offiziellen staatlichen Angaben um eine dreifaches. Das Problem hierbei ist vor allem die Definition rechtsextremer Gewalttaten. Viele rechtsextreme Gewalttaten mit Todesfolge wurden nicht als politisch motivierte Taten gewertet und blieben in der offiziellen Statistik daher unberücksichtigt. Das liegt vor allem daran, dass nach dem Erfassungssystem von Justiz und Polizei solche Taten nicht als rechtsmotiviert eingestuft worden war. Ihr Begriff von rechtsextremen Delikten beschränkte sich auf Delikte die sich unmittelbar gegen den Staat richten.
Mittlerweile gibt es die 2001 eingeführte Kategorie „politisch motivierte Kriminalität rechts“, kurz „PMK rechts“, die solche Taten besser erfassen soll. Allerdings gibt es immer noch große Lücken zwischen den offiziellen Zahlen der Bundesregierung und den von „Die Zeit“ und „Tagesspiegel“ recherchierten Fällen.
Selbst die eingeführte Kategorie „PMK rechts“ kann nicht ausreichend Auskunft über Taten mit fremdenfeindlichem oder rechtsextremistischem Hintergrund geben, da die Motive und Umstände die zu so einer Tat führen, recht komplex sind.
In den vom „Tagesspiegel“ und „Die Zeit“ herausgegebenen Statistiken zu Todesopfern von rechten Gewalttaten in Deutschland wurden unterschiedlichste Quellen berücksichtigt. Die Redakteure haben etliche Zeitungsartikel, Gerichtsakten und Polizeiberichte ausgewertet, um zu ihren Ergebnissen zu kommen. Außerdem wurden bei jedem relevanten Fall zudem Hinterbliebene, Opferberater, Strafverfolger und Anwälte interviewt. Auf der Grundlage dieser Daten wurden letztendlich in die Studie all diejenigen Fälle aufgenommen, die sich ganz eindeutig als politisch rechts motovierte Straftaten herausgestellt hatten. Am Ende gab es zudem 14 weitere Todesfälle bei denen zwar der Verdacht auf eine von rechts motivierten Gewalttat vorlag, die aber nach der Auswertung der Daten dennoch nicht eindeutig zugeordnet werden konnten.
Die zwei Grafiken von 1990 und 2000 machen den Verlauf sehr gut deutlich und zeigen auch auf, wo in der BRD die meisten Gewaltverbrechen mit rechtsextremen Hintergrund und Todesfolge verübt wurden.
Neuste Recherchen sprechen sogar von 149 Todesfällen, wobei die Dunkelziffer weitaus höher ist, da sich viele Taten im Dunkeln ohne Zeugen abspielen.29 30 Dies ist eine sehr alarmierende Entwicklung und zeigt in meinen Augen deutlich, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken.
Neben dieser hohen gesellschaftlichen Notwendigkeit sprechen auch theoretische Gründe, die im Zusammenhang mit der Identitätsbildung von Jugendlichen stehen, für eine angeleitete Auseinandersetzung mit den Themen Rassismus und Shoah innerhalb der Sozialen Arbeit.
Rechtsextreme Parteien und Organisationen nutzen die Unerfahrenheit mancher Jugendlicher und ködern sie mit antisemitischer Kapitalismuskritik und Fremdenhass.
Ein weiterer Grund für die starke Anziehungskraft rechtsextremer Organisationen ist die „Kameradschaft“, sprich der starke Zusammenhalt in solchen Gruppen. Jugendliche fühlen sich hier mit ihren Sorgen und Nöten verstanden und ernstgenommen.
[...]
1 Der Begriff Shoa wurde aus Respekt zu den Jüdischen Opfern verwendet, da die jüdische Bevölkerung den Begriff Holocaust eher unpassend finden
2 SGB Vili, §7
3 Vgl. Albert 2010, 2
4 Vgl. DBSH 2009, 2 ff.
5 DBSH 2009, 2
6 ebd.
7 ebd.
8 Vgl. IFSW (International Federation of Social Workers) 1982
9 IFSW 1982
10 Abb.1 : Kompass Human Rights
11 Vgl. Sander 2004, 13; zit. n. Fischer 1973, 9
12 Sander 2004, 9
13 Vgl. Sander 2004, 13
14 Vgl. Sander 2004, 13 ff
15 ebd.
16 ebd.
17 Abb2: Müller 1999
18 Sander 2004, 17 ff.
19 Vgl. Kompass humanrights 1995
20 DGB 2008
21 Vgl. DGB 2008
22 DGB 2008
23 Wakounig 1999, 2f.
24 Vgl. DBSH 2009, 2 ff.
25 Memmi 1992, 164
26 Vgl. Gaitanides
27 Schubert 2006
28 Vgl. Thurich 2006
29 Abb.3: Mohr 2010
30 Mohr 2010