Wenn man einen Blick auf die Menschheitsgeschichte wirft, fällt einem schnell auf, das bedeutende Persönlichkeiten stets dann auftauchten, wenn Not und Leid am größten waren. Man denke nur an Jesus, der auftrat als sich das Judentum seiner Zeit – bedingt durch die Fremdherrschaft Roms und die damit einhergehenden, gesellschaftlichen Missstände im Land – in eine strenge Jenseitsfrömmigkeit geflüchtet hatte, wodurch die vorherrschenden Bedürfnisse der Menschen ignoriert wurden; an Martin Luther (1483-1546), der die falschen Lehren und Riten der Kirche anprangerte und das Christentum auf seine ursprünglichen Wurzeln bringen wollte oder – um ein etwas aktuelleres Beispiel anzufügen – an Mahatma Gandhi (1869-1948), der seine Heimat auf friedlichem Wege von der britischen Hegemonie befreien und die lang verwehrte Unabhängigkeit aufrichten wollte. In diese Reihe gehört auch Philipp Jakob Spener.
Spener lebte und wirkte in einer gesellschaftlich-sozial äußerst desolaten Zeit. Der Dreißigjährige Krieg, der den gesamten europäischen Kontinent erschüttert hatte, war erst wenige Jahre vorbei. Die Menschen kämpften noch immer mit den Nachwehen dieses Jahrhundertkrieges – Seuchen, Missernten, Hungersnöten, hohe
Mortalität, Entwurzelung und Vertreibung u.v.m. –, unter denen v.a. das geistigspirituelle Leben litt. In die leidvolle Gegenwart wurde von Seiten der einfachen Gläubigen kaum mehr Hoffnung investiert. Die Kirche – katholischer als auch protestantischer Konfession –, der eigentlich die Bekämpfung des religiösen Leids oblag, hatte sich selbst in feste, orthodoxe Bahnen manövriert. Sie war objektiv
betrachtet kaum in der Lage, Hoffnung zu schüren bzw. die Missstände zu beseitigen. In eben dieser Zeit agierte Spener ganz im Sinne des Brecht Zitates – sein Land, seine Heimat, seine Kirche1, seine Mitchristen – ja seine ganze Epoche waren unglücklich und hatten es nötig, von jemanden auf den rechten Weg zurückgebracht zu werden. Kurz gesagt: die Zeit war günstig für eine erneute
Reform. Spener nahm die reformatorische Herausforderung an und machte sie zu seiner Lebensaufgabe.
In den nachfolgenden Ausführungen sollen beide Aspekte – erneuernde Reformation und Lebensaufgabe –, die m. E. in der Person Philipp Jakob Speners untrennbar mit einander verbunden sind, betrachtet und entsprechend seines Reformprogrammes gedeutet werden. Die dahinterstehende Frage [...]betrifft v.a. den Charakter der Spenerschen Reform. Ist sie Neuschöpfung oder Vermächtnis anderen Gedankenguts?
Inhaltsverzeichnis
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„Unglücklich das Land, das keine Helden hat. – Nein, unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“
- Einleitung
- Vater des Pietismus oder Kind einer kritischen Zeit - Das Leben Philipp Jakob Speners im Zeichen der Kirchenreform
- Hauptteil
- Der Pietismus – Frömmigkeit, Erneuerung oder Vollendung der Reformation?
- Zwischen erbaulicher Unterweisung und orthodoxer Realität.
- Speners Jugendjahre
- Studienzeit in der lasterhaften Metropole
- Lehre und Lernen – Gewinn prägender Erfahrungen in Genf, Tübingen und Straßburg
- Speners Frankfurter Jahre
- Kampf gegen soziale Missstände und Sammlung der Frommen
- Das Sozialengagement Philipp Jakob Speners
- Das Collegium pietatis
- Das Reformprogramm der Pia Desideria
- Diagnose Kritik am vorherrschenden Zustand der Kirche
- Prognose - Die Hoffnung besserer Zeiten als Chance
- Therapie - Speners Reformvorschläge
- Das Ende einer Ära – Die letzten Frankfurter Dienstjahre als Kampf gegen die Separation
- Kampf gegen soziale Missstände und Sammlung der Frommen
- Exkurs: Die Umsetzung des Reformprogrammes in anderen Reichsstädten
- Spott und Resignation - Das Dresdner Intermezzo zwischen 1686 bis 1691
- Berlin – Speners letzte Lebens- und Schaffensjahre im Zeichen einer toleranten Obrigkeit
- Spener Reformator in Wort und Tat
- Zusammenfassung und Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit dem Leben und Wirken von Philipp Jakob Spener, einem bedeutenden Reformator des 17. Jahrhunderts. Ziel ist es, Speners Leben im Kontext der Kirchenreform seiner Zeit zu beleuchten und sein Reformprogramm im Detail zu analysieren. Dabei wird insbesondere auf die Frage eingegangen, ob Speners Reformation als Neuschöpfung oder als Vermächtnis anderen Gedankenguts zu verstehen ist.
- Die Entstehung und Ausbreitung des Pietismus im 17. Jahrhundert
- Speners Leben und Wirken im Zeichen der Kirchenreform
- Das Reformprogramm der Pia Desideria
- Die Auseinandersetzung mit der orthodoxen Kirchenleitung
- Speners Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Kirchengeschichte
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die den historischen Kontext des Pietismus beschreibt und die Bedeutung Speners als Reformator hervorhebt. Im Hauptteil wird zunächst der Begriff „Pietismus“ erläutert und in Beziehung zu anderen Erneuerungsbewegungen gesetzt. Anschließend wird Speners Leben und Wirken im Detail dargestellt, wobei die einzelnen Lebensabschnitte und die wichtigsten Reformschritte beleuchtet werden. Speners Frankfurter Jahre werden besonders ausführlich betrachtet, da hier sein Reformprogramm in der Pia Desideria seinen Höhepunkt findet. Weitere Kapitel beleuchten Speners Arbeit in Dresden und Berlin. Schließlich wird im Schlussteil die Relevanz von Speners Werk für die deutsche Kirchengeschichte zusammengefasst.
Schlüsselwörter
Philipp Jakob Spener, Pietismus, Kirchenreform, Pia Desideria, Orthodoxie, Frömmigkeit, Reformation, Collegium pietatis, Sozialengagement, Martin Luther, Mahatma Gandhi, Dreißigjähriger Krieg.
- Quote paper
- Daniel Meyer (Author), 2010, Das Leben Philipp Jakob Speners im Zeichen der Reform, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165777