Schulstress. Erscheinungsformen, Ursachen und Folgen aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2001

103 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Zum Begriff Schulstress
1. Allgemeine Merkmale von Stress
2. Zur Begriffsklärung Schulstress

II. Die Erscheinungsformen von Schulstress bei Schülerinnen und Schülern
1. Gesundheitszustand der Schülerinnen und Schüler
2. Das Entstehen von Krankheitsbildern
3. Symptome als Erscheinungsform von Schulstress

III. Disposition auf Seiten der Schülerinnen und Schüler als Ursachen für die Entstehung von Schulstress
1. Körperliche Disposition
2. Psychische Disposition
3. Soziale Disposition

IV. Schule als Auslöser von Schulstress
1. Der Schulalltag
2. Der Schulweg
3. Das Schulgebäude
4. Die Leistungsorientierung
5. Das Verhalten der Lehrer und Lehrerinnen als Ursache

V. Leistungserwartungen der Eltern
1. Schulische Bewältigung unter Leistungsdruck der Eltern

VI. Weitere außerschulische Faktoren als Ursache von Schulstress
1. Ernährung, Körperkult und Schönheitsideal als Ursache von
Schulstress bei Schülerinnen und Schülern
2. Die Peer-group
3. Konsumstreben als Schulstressursache

V.II. Die Folgen von Schulstress
1. Schulstress und Schulangst
2. Schulpflichtverletzungen
3. Schulversagen
4. Aggressionen und Gewalt als Ausdruck von Schulstress
5. Essstörungen - Erscheinungsform von Schulstress bei Mädchen?
6. Drogen - und Alkoholmissbrauch
7. Medikamente zur Lösung von Schulstress?
8. Suizid als Folge von Schulstress?

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Freitod wegen blauer Briefe

Offenbar aus Verzweiflung über schulische Schwierigkeiten haben sich zwei 16 jährige Jungen aus Bad König im Spessart in einer Scheune in Bayern erhängt. Nach Angaben der Kriminalpolizei waren die in Königsdorf im Landkreis Bad Tölz -Wolfrathshausen aufgefundenen Schüler bereits seit mehr als zwei Wochen tot. Sie hatten sich Anfang Mai von ihren Familien abgesetzt und vermutlich einige Zeit in der Scheune gelebt. Die Kriminalpolizei geht davon aus, dass Schulprobleme das auslösende Moment für die Tat waren“ (Münstersche Zeitung: 4.6. 1982).

Tragische Fälle, wie sie in der Münsterschen Zeitung beschrieben wurden, sind keine Seltenheit mehr. Mit den Worten Schule und Leistung assoziieren junge Leute Stress und Angst. Neben den körperlichen Anstrengungen des Stillsitzens im Klassenraum und weiteren physischen Strapazen des langen Schulalltags kommen psychische Belastungen hinzu, die von Schülerinnen und Schülern bewältigt werden müssen. Aufgrund der vielfältigen schulbezogenen Schwierigkeiten, denen Kinder und Jugendliche täglich ausgesetzt sind, werden Schüler und Schülerinnen ständig in einen bio-psycho-sozialen Spannungszustand versetzt. Dieser wird in der Umgangssprache als Schulstress bezeichnet. Schulstress wirkt sich dann entwicklungsschädigend und ungesund aus, wenn Schüler und Schülerinnen nicht mehr in der Lage sind, ihn zu bewältigen. Zweifellos spielen hierbei die körperlich-dispositionellen Faktoren bei den einzelnen Schülern und Schülerinnen eine wichtige Rolle. Aber kann man sie als einzige Ursache für den von Schülerinnen und Schülern empfundenen Schulstress verantwortlich machen? Welche Faktoren begünstigen Schulstress aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler außerdem?

In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, inwieweit schulische und außerschulische Faktoren Ursache für Schulstress sein können. Hierbei beschränkt sich die Arbeit weder ausschließlich auf statistische Erhebungen in Form von quantitativen Auszählungen der Ursachen von Stress bei Schülerinnen und Schülern noch auf Aussagen schulpsychologischer Beratungsstellen. Schulstress seitens Lehrern, Lehrerinnen und Eltern ist von der Thematik ausgeschlossen. Folglich ist Ziel der Arbeit, Erscheinungsformen, Folgen und die Ursachen von Schulstress auf Seiten der Schülerinnen und Schüler darzulegen und zu erläutern. Eine weitere Einschränkung der Thematik der Arbeit liegt darin, dass sich die folgenden Untersuchungen von Schulstress lediglich auf Jugendliche und Kinder im Alter von 10 bis 16 Jahren beziehen. Insbesondere die in dieser Altersspanne auftretende geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Erscheinungsformen und Folgen von Schulstress bedürfen einer genaueren Analyse. Aus zeitlichen Gründen wird allerdings auf eine Darstellung präventiver Maßnahmen zur Minderung und Beseitigung von Stresssymptomen und Bewältigungsstrategien verzichtet.

Der Untersuchung von Schulstress sind zunächst im ersten Kapitel einige Überlegungen zu Ursprung und Bedeutung von Stress vorangestellt. Da eine exakte Begriffsklärung von Schulstress in wissenschaftlichen Texten nicht existiert, liegen im ersten Teil der Arbeit die Bemühungen darin, anhand von Stressmodellen, Stress zu erklären, um dann auf eine Definition von Schulstress schließen zu können.

Im zweiten Kapitel stehen die Erscheinungsformen von Schulstress im Mittelpunkt. Dabei kommt dem heutigen Gesundheitszustand junger Leute besondere Bedeutung zu. Die für Schulstress typisch sichtbar auftretenden Symptome und Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler werden exemplarisch am Beispiel der Ermüdungserscheinungen erhellt.

Was sind die Ursachen von Schulstress? Diese Frage soll im dritten Kapitel beantwortet werden. Dabei wird die dispositionelle Situation der Schülerinnen und Schüler untersucht, die eine Anfälligkeit für Schulstress mehr oder weniger stark begünstigen können.

Welche Ursachen von Schulstress in den schulischen Gegebenheit liegen, werden im vierten Kapitel ausführlich erarbeitet. Aus der Sicht der Schülerinnen und Schülern stellen sich vereinzelte schulbezogene Faktoren als Stressursache heraus. In diesem Kapitel wird ein Überblick über die schulische Intention und ihren Anforderungen geliefert. Sie trägt zur Begründung von Schulstress bei, insbesondere dann, wenn die Interaktionen zwischen Lehrern und Schülern beeinträchtigt ist und von der Schule aufoktroyierte Anforderungen nicht mehr bewältigt werden können. Demnach wirken sich auch der anstrengende Schulalltag, der strapazierende Schulweg und ein disharmonisches Schulklima negativ auf das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler aus.

Leistungserwartungen von Eltern nehmen permanent zu. Das Übertragen von Elternwünschen auf Kinder äußert sich bei Schulpflichtigen in Schulstress. Diese Thematik wird im fünften Kapitel behandelt.

Die Interdependenz von Schulstress und Peer-group wird im sechsten Kapitel kurz beschrieben. Trendbewußtsein, zunehmendes Erlebnis- und Konsumverlangen bei Gleichaltrigen schließen auf Ursachen von Schulstress.

Schwerpunkt im letzten Kapitel liegt in den durch Schulstress erzeugten Folgen. Infolgedessen ist nachdrücklich Ziel, die abweichenden Verhaltensweisen, welche sich durch überhöhte Belastungen erklären und spezifische psychosomatische Krankheitsbilder als Folge von Schulstress darzulegen. Letzten Endes soll auch auf geschlechtsspezifische Unterschiede im Zusammenhang mit den Auswirkungen von Schulstress hingewiesen werden. Zum differentiellen Ausmaß von Schulstress an verschiedenen Schulformen können jedoch aufgrund fehlender einstimmiger Forschungsergebnisse nur geringe Aussagen gemacht werden.

I. Zum Begriff Schulstress

1. Allgemeine Merkmale von Stress

Was ist Stress? Das Wort „stress“ stammt aus dem englischen Sprachgebrauch und bedeutet ursprünglich Druck, Nachdruck, Betonung. Um 1950 fand dieser Begriff in der Medizin und Psychologie durch den ungarisch-kanadischen Mediziner Hans Selye Eingang. Selye bezeichnet Stress als Belastungen, Anstrengungen und Ärgernisse, denen ein Lebewesen täglich durch Lärm, Hetze, Frustrationen, Schmerz, Existenzangst und vieles andere ausgesetzt ist (s. Seyle 1974 In: Harnisch 1984:15; Schwarzer, Schwarzer 1982:27f.; Palentien 1997:11; Debus et al. 1995:14). Es handelt sich um Anspannungen und Anpassungszwänge, die das Individuum aus dem persönlichen Gleichgewicht bringen und bei denen man körperlich unter Druck steht. Mit der Erklärung von Selye kommt dem Begriff Stress eindeutig Negatives zu (Palentien 1997:11). In Stresssituationen überfluten[1] eine Vielzahl von Reizen physikalischer, chemischer und sozialer Art den Menschen (s. Von Eiff 1976:47). Diese wirken auf den Körper des Individuums, der auf sie psychobiologisch reagieren muss.

Sinn der Stressreaktion ist ursprünglich die Lebenserhaltung durch einen reflexartigen Angriffs– und Fluchtmechanismus (s. z.B. Harnisch 1984:17; Markworth 1998:120). „Während es sich früher um kurze Alarmzustände handelte, um eine vorübergehende Alarmbereitschaft mit langen Erholungs- und Entspannungsphasen dazwischen, ist der moderne Mensch immer[2] mehr im Daueralarm, einem wahren Trommelfeuer von Umweltreizen ausgesetzt, die ständige und immer neue Erregung bewirken“ (Harnisch 1984:17). Vester (1976:14) geht davon aus, dass Stress eine Folge von Alarmzuständen ist, für dessen Abbau die Zwischenzeit zu kurz bleibt. Abbildung 1 macht deutlich, dass die Anpassungsfähigkeit des Organismus den Anstrengungen nicht gewachsen ist. Erholungsphasen verkürzen sich und es erhöht sich die Spannung zu einer Dauerspannung, so dass körperliche und seelische Funktionen kaum Ruhe finden (s. Vester 1976:14). Verhängnisvoll erscheint in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass der Mensch Alarmreaktionen, die durch überhäufte Belastungen zustande kommen und dem daraus resultierenden erhöhten Energieeinsatz, körperlich nicht umsetzen kann. Angestaute Wirkungen dieser ständig unterdrückten körperlichen Reaktion können das Immunsystem verstärkt schwächen, denn freiwerdende Energien richten sich, wenn sie nicht genutzt werden, gegen den eigenen Körper (s. Harnisch 1984:19; Vester 1976:44). Organische und psychische Schäden sind Folgen (Hurrelmann 1994:74), die bezüglich der Thematik Schulstress im letzten Kapitel dieser Arbeit näher beschrieben werden. In der Abbildung 1 sind die körperlichen Prozesse in einzelnen Stufen bei Stress beschrieben. Dabei werden die von der Umwelt auf den Menschen wirkenden Reize erläutert (siehe erste Spalte der Abbildung). Die im menschlichen Organismus auslösenden Signale und Folgerungen werden in der zweiten Spalte der Abbildung näher verdeutlicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Die organische Anpassung des Menschen in Stresssituationen in Anlehnung an Vester 1981:S.2-4; Selye 1974: S.74ff.; „et. al“.

In Stresssituationen unterscheidet das Individuum zwischen einer Erstbewertung (primary appraisal) und einer Zweitbewertung (secondary appraisal). Bei der Erstbewertung schätzt es dabei das Ereignis hinsichtlich der Auswirkungen ein. Demnach sind die Auswirkungen von der Einschätzung der Belastungssituation abhängig. Die Zweitbewertung (secondary appraisal) dient als Einschätzung der individuellen Bewertungsmöglichkeiten. Schließlich folgt die dritte Phase der abschließenden „Neubewertung“ der Situation (s. Nitsch 1981:84f). Im Anschluss daran folgt der „Bewältigungsprozess“ (coping). Stress ist demnach als Ungleichgewicht zwischen externen und internen Anforderungen und den Reaktionskapazitäten der Person zu verstehen (s. Faltermaier 1995:305).

Pearlin stellt 1987 sein Stressmodell vor, dass in bezug auf eine Definition des Begriffs „Stress“ und den Schwerpunkt der Thematik „Schulstress“ und seine Ursache, hilfreich erscheint. Er ordnet den Stressprozess in drei Bereiche ein:

Die Stressoren[3] treten oft im Zusammenhang unerwarteter, kritischer Lebensereignisse auf und können je nach Stärke der Veränderungen bestimmte Wirkungen erhalten. Dies bedeutet also, dass Stressoren die Ursachen darstellen, die Stress auslösen.

Die Mediatoren lassen sich als personale und soziale Ressourcen beschreiben (s. Holler-Nowitzki 1994:41). Sie nehmen Einfluss auf die Wirksamkeit der Belastungsfaktoren. Zu den personalen Ressourcen lässt sich das individuelle Bewältigungsverhalten (coping) zählen. Ebenfalls können als personale Ressourcen individuelle Verhaltensdispositionen wie das Selbstbild und die emotionale Belastbarkeit fungieren. Als soziale Ressourcen werden unterschiedliche Unterstützungen aus der sozialen Umwelt bezeichnet, die eine Person zur Verfügung hat. Diesbezüglich berücksichtigt Pearlin, dass ein Individuum besser mit andauernden, kritischen Lebensbedingungen umgehen kann, wenn es in ein soziales Beziehungsgefüge mit wichtigen Bezugspersonen eingebunden ist (s. Hurrelmann 1994:71; Holler-Nowitzki 1994:39; Badura/ Pfaff 1989:644).

Der dritte Bereich stellt die Stressreaktion und Stresssymptome dar. Dabei zeigt sich Stress als Auslöser von Störungen auf unterschiedlichen Ebenen des Organismus und in allen Bereichen des bio-psycho-sozialen Wohlbefindens auf. „Including psychological and emotional functioning, general physical health, the functioning of various organs, the behavior of the endoctrine system, the immunological system, and so on“ (Pearlin 1987:54).[4]

Pearlin zeigt die Interdependenzen zwischen den einzelnen erstellten Aspekten so auf:

Stressoren ® Mediatoren ® Stressreaktionen

unabhängige intervenierende abhängige

Variablen Variablen Variablen

Stressmodell nach Pearlin (1987).Quelle: Holler- Nowitzky S. 1994:39

Die Variablen bestehen aus zahlreichen Einzelkomponenten und Faktoren mit spezifischen Wirkungsweisen. Im Kontext der Ursachen von Schulstress werden Pearlins Thesen noch genauere Deutung finden und zu Klärungen beitragen. Nach einem heute weiterhin akzeptierten Verständnis wird Stress durch ein Missverständnis oder Ungleichgewicht zwischen dem Menschen und seiner Umwelt ausgelöst. Daraus ist zu schließen, dass Stress dann stattfindet, wenn ein Konflikt besteht zwischen Lebensbedingungen, Zwängen und Erwartungen auf der einen und individuell gegebenen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Ressourcen auf der anderen Seite. Dieses Missverhältnis empfindet der Einzelne als bedrohend oder beeinträchtigend. Der subjektiven Einschätzung, Bewertungsprozessen und zusätzlich personelle und soziale Ressourcen werden bei der Bewältigung von Stress große Relevanz zugeschrieben .

Für den Begriff Schulstress existiert nach Angaben der Literatur (Harnisch 1984:15; Troch 1979:10; Nitsch 1981:261) noch keine genaue Definition. Deshalb muss der Begriff Schulstress geklärt werden, um im Rahmen der Untersuchung notwendiges Wissen zur Thematik Schulstress vorzustellen. Die Inhalte dieses Kapitels bilden bei weiteren Erarbeiten der Erscheinungsformen, Ursachen und Folgen von Schulstress auf Seiten der Schülerinnen und Schüler eine wichtige Grundlage.

2. Zur Begriffsklärung Schulstress

Die Ansichten über schulischen Stress haben sich im Laufe der Zeit deutlich gewandelt. Während früher schulische Überforderung Begabungsproblemen einzelner Schülerinnen und Schülern zugeschrieben wurden (fehlende Leistungsvoraussetzungen), sehen Kritiker heute im schulischen Stress ein Missverhältnis in der Beziehung zwischen Personen und Umwelt. Zunehmend werden schulische Gegebenheiten in Frage gestellt und als notwendige Vorgaben enttabuisiert (Nitsch 1981:264).

Ärzte, Psychologen, Lehrer und Eltern sehen in körperlich seelischen Störungen bei Schülerinnen und Schülern Symptome des sogenannten Schulstress. Auf die Frage „Was ist Schulstress?“, antworten die meisten Schülerinnen und Schüler mit Zeitdruck und Zeitnot. An zweiter Stelle stehen schulbedingte Antwortenkomplexe, wie zu viele Prüfungen und Hausaufgaben, Überforderungen, Unterforderung, Lehrerkonflikte, Schülerkonflikte, langweiliger Unterricht, Schulversagen in Form von Wiederholenmüssen und Nichterreichen des Schulabschlusses (s. Biener 1990:99; Nitsch 1981:264).

In wieweit dieser Distress[5] von der Schule ausgeht, ist schwer nachzuweisen. Jedoch ist unbestritten, dass schulische Gegebenheiten Stress auslösen. Ein erheblicher Teil der in der Forschung beobachteten Störungen bei Schülerinnen und Schülern geht jedoch auch auf außerschulische Faktoren zurück (Schwarzer 1993:20; Nitsch 1981:271). Insbesondere im schulbezogenen Verhalten der Schülerinnen und Schüler schlägt sich schließlich außerschulischer Stress nieder, so dass Schule als ein Manifestationsfeld von schulischen und außerschulischen Stress zu bezeichnen ist. Schulstress ist das Ergebnis überhöhter Leistungserwartungen und -anforderungen der Gesellschaft, Eltern, Erzieher und Lehrer. Aber auch der eigene Druck der Schülerin und des Schülers muss als ein die Gesamtpersönlichkeit belastendes und bei dessen Entwicklung schädigendes Phänomen gesehen werden. Dieses bezeichnet demnach das Ergebnis von Überforderungssymptomen einer einzelnen Person, die je nach individueller Anfälligkeit, der Unterstützung personaler und sozialer Ressourcen, durch Einflüsse der Schul- und Unterrichtsorganisation, Auslese- und Beurteilungsprozesse, Lerninhalte, und Lehrerverhalten mehr oder weniger stark in Erscheinung treten. Schulstress beschreibt also einen Zustand, in dem die Wirkungen schulischer und außerschulischer (Freizeit, Elternhaus) Stressoren der Schülerin und des Schülers zusammentreffen.

Entscheidend für das Auftreten krankheitsgefährdender Symptome von Schulstress ist eine spezifische Kombination von Merkmalen der schulischen Organisation, der Lerninhalte und Lehrerverhaltensweisen, dem Mitschülerverhalten, die insgesamt ein ungünstiges Einfluss „ Klima“ ergibt und „auf eine gerade hierfür empfindsame Persönlichkeitsstruktur des Schülers in einer bestimmten Entwicklungsphase trifft“ (s. Hurrelmann 1986:86). Damit steht fest, dass Schulstress nur dann entsteht, wenn eine objektive Belastung (Prüfung) auch als eine subjektive Beanspruchung empfunden wird. Im Zusammenhang mit dem Empfinden einer subjektiven Beanspruchung und dem Einschätzen der Fähigkeit der Bewältigung steht auch immer das Verhalten der sozialen Umwelt (Lehrerverhalten). Außerschulische und schulische Stressoren wirken sich als dauerhafte oder langfristige Belastungen auf die Schülerin oder auf den Schüler aus. Die Stärke der physiologischen und psychologischen Auswirkungen auf das Befinden des Schülers und der Schülerin, hängt immer von der individuellen Einschätzung der Belastungssituation und der individuellen Bewältigungsfähigkeiten[6] ab. Unterstützend kann der Ansatz von Schwarzer dienen, der Stress mit diesen Worten zusammenfasst: „Nicht die tatsächlichen Gefahren der Umwelt und nicht die tatsächlichen Eigenschaften einer Person machen die Stresserfahrung aus, sondern die vielleicht verzerrte Sichtweise“ (Schwarzer 1993:15). Schülerinnen und Schüler, die grundsätzlich eine negative emotionale Einstellung haben und dazu körperlich eher gering belastbar sind, empfinden demnach eine schulische Belastung als Schulstress. Danach wird folgende Definition zugrunde gelegt:

Schulstress ist demnach ein Zustand psychischer Dauerbelastungen, die im Schulalltag auftreten und die zu Verhaltensauffälligkeiten und psychosomatischen Störungen bei Schülerinnen und Schülern führen können. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von schulischen Distress.

Wie sich die Belastungen auf verschiedenste Art und Weise äußern und wer besonders betroffen ist, wird in den folgenden Kapiteln dargestellt. In Abbildung 2 wird der Zusammenhang von schulischen und außerschulischen Stress und seine Wirkung dargestellt, denen sich Schülerinnen und Schüler auf verschiedene Art

und Weise anpassen müssen.

II. Die Erscheinungsformen von Schulstress bei Schülerinnen und Schülern

1. Gesundheitszustand der Schülerinnen und Schüler

In zunehmenden Maße klagen heute Eltern, Ärzte und Lehrer darüber, dass Kinder offensichtlich durch die Schule überfordert werden und dadurch gesundheitliche Schäden erleiden. Die Symptomatik reicht von nicht mehr verkraftbaren psychischen Belastungen bis hin zu psychosomatischen Erkrankungen und ernsthaften Dauerschäden (Harnisch 1984:9; Biermann 1977:9). „Die Schule ist zur Agentur der psychischen und physischen Überforderungen von Kindern und Jugendlichen geworden, weil der Stoff zu einseitig ist und zu wenig kindlich-jugendliche Lebensinteresse verfolge“, behauptet Pöggeler (1975:144). In einer Analyse der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wurde zusammenfassend festgestellt, dass Entwicklungs- und Gesundheitsrisiken bei Schülerinnen und Schülern ebenso zunehmen wie chronische Krankheiten und Gesundheitsstörungen (s. Ravens-Sieberer et al. 2000:148). Es entsteht der Eindruck, als sei der allgemeine Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen instabil und verschlechtere sich zunehmend (Mansel 1991:193; Palentien 1997: 54 ).

Exakte bzw. zuverlässige Daten über gesundheitliche Beeinträchtigungen, die durch Schulstress entstehen können, sind schwer zu gewinnen. Ergebnisse vom Statistischen Bundesamt, die im wesentlichen auf Angaben von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen beruhen, können Anhaltspunkte bieten. Abbildung 3 zeigt anschaulich die ausgeprägte Altersverteilung von Krankheiten in der Bundesrepublik Deutschland.

Der Gesundheitszustand der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland. Quelle:

Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch 1998 für die Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart 2001.

Mit steigendem Alter steigen die Krankenzahlen kontinuierlich an, wobei die 10- bis 20-Jährigen das im Vergleich niedrigste Niveau zeigen. In Abbildung 3 wird ein deutlicher geschlechtsspezifischer Effekt angezeigt. Jungen sind bis zur Mitte des Jugendalters stärker von Krankheiten bedroht als Mädchen. Bei steigendem Alter ändert sich der Kurvenverlauf maßgeblich, wonach bei Mädchen in der Pubertät ein weitaus schlechterer gesundheitlicher Zustand herrscht als beim anderen Geschlecht.

Umfragen zufolge schätzen weibliche Personen ihren Gesundheitszustand grundsätzlich schlechter ein als Jungen. Nur etwa die Hälfte der jungen Frauen geben an, dass ihr Gesundheitszustand „sehr gut“ oder „gut“ sei (Mansel 1991:200). Dagegen sind drei Viertel der männlichen Personen mit ihrer Gesundheit zufrieden. Tendenziell wird der Gesundheitszustand in der Sekundarstufe I von Schülerinnen und Schülern optimistischer eingeschätzt als bei Schülerinnen und Schülern, die ein Gymnasium besuchen (Mansel 1991:200).

Der kurzen Analyse der Graphik kann man entnehmen, dass der Gesundheitszustand der Jugendlichen gemessen an den Werten anderer Altersgruppen, vergleichsweise gut ist. Die zuvor getroffene Annahme über den sich verschlechternden Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen ist somit widerlegt. Dies kann man durch den subjektiven Zufriedenheitszustand mit der eigenen Gesundheit bei Schülerinnen und Schülern unterstreichen. Dabei geben zwischen den 12- bis 24-Jährigen laut Hurrelmann (1994:11; Mansel 1991:200) 79% an, sie seien mit ihrem Gesundheitszustand zufrieden. Nur 10% von ihnen sorgen sich um ihre Gesundheit. In der Gruppe der 12- bis 17-Jährigen werden die höchsten Zufriedenheitswerte erreicht, danach sinken die Anteile der Zufriedenheit deutlich (Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales 1987:71).

Die oben analysierten Informationen des Statistischen Bundesamtes legen die Vermutung nahe, dass der allgemeine Gesundheitszustand von Jungen und Mädchen stabil ist. Allerdings kann es sich hierbei nicht um allgemeingültige Aussagen handeln. Die Aussagekraft der Angaben des Statistischen Bundesamtes ist zu bezweifeln, da die meisten Schülerinnen und Schüler trotz auftretender psychosomatischer Beschwerden ärztliche Hilfe ablehnen. Sie bevorzugen es, sich eigenständig mit Medikamente zu versorgen, die stresslindernd wirken und das Immunsystem stärken (Hurrelmann 1994:46; Zangerle 1996:30; Naegele 1996:27ff.). Diese Thematik wird spezifisch im Kapitel VII.7 behandelt. Aufgrund der hohen Dunkelziffer können über die genauen Zahlen der kranken Schülerinnen und Schüler keine genauen Angaben und folglich kein Rückschluss auf die Erscheinungsformen von Schulstress gegeben werden. Anhand verschiedener Einzelstudien können lediglich die Symptome für Schulstress bewiesen werden.

2. Die Entstehung von Krankheitsbildern

Schulische Anforderungen werden zu Dauerbelastungen, die Schülerinnen und Schüler trotz Verfügbarkeit personaler und sozialer Ressourcen nur schlecht bewältigen und sich negativ auswirken. Daher sind Selbstschutzmechanismen, wie Flucht in das Abschalten, in Verhaltensstörung und Krankheit oft das Resultat. Die Stressforschung sieht es als bewiesen an, dass vielfältige Reize, die auf den Menschen wirken, zu Veränderungen führen, die bei einer zu starken Ausprägung zu Krankheitsbedingungen werden. Krankheiten entstehen nicht vorrangig aufgrund von Krankheitserregern, sondern auch aufgrund der Folgen von äußeren Einwirkungen auf die Person (s. Nitsch 1981:132; Bundesvereinigung für Gesundheitswesen 1990:36ff.). Krankheitsbilder können deshalb Ausdruck überhäufter Stresssituationen sein, an die sich eine Person nicht anpassen kann. „Krankheiten ergeben sich als Nebenwirkungen und Kettenreaktionen aus mehr oder weniger unangemessenen Anpassungsversuchen des Organismus. Damit werden zahlreiche Krankheitssymptome als Abwehrleistungen verständlich“ (Nitsch 1981:132). Aus der von Nitsch (1981:131ff.) vorangestellten These ist zu schließen, dass sich Schulstress auf das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler auswirkt. Werden die Verarbeitungskapazitäten der Schülerinnen und Schüler in der Schule überfordert, treten Reaktionsformen auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene auf. Dies ist meistens mit erheblichen Beeinträchtigungen des Organismus und psychosozialer Befindlichkeit verbunden. Erreichen diese Beeinträchtigungen und Störungen Intensität und halten sie lange an, markieren sie ein erstes Krankheitsvorstadium.

Wie ein junger Mensch versucht, überlagerten Stress zu verarbeiten und sich ihm ständig anzupassen, ist unterschiedlich. In der Literatur wird unter interiorisierenden und exteriorisierenden Formen unterschieden (Palentien 1997:54; Von Eiff 1976:27). Die nach außen gerichteten Verarbeitungsformen (aggressives Verhalten) richten sich häufig gegen Personen oder Gegenstände (exteriorisierend), während die nach innen gerichteten Formen die eigene Person (das Selbst) schädigen (interiorisierend) (s. Palentien 1997:54ff.; Mansel 1991:193; Sirsch 2000:56ff.). Demnach geben körperliche Beschwerden Auskunft über die Gesundheit[7] junger Leute auf zugrunde liegender Konflikte und Überforderungen. Schulstress äußert sich schließlich in psychosomatischen Krankheiten und abweichenden Verhaltensweisen (s. Hurrelmann 1994:128; Heitkämper 1995:87; Nickel/ Schmidt-Denter 1995:230).

Bevor die Symptome untersucht werden, muss eine genaue Begriffsklärung von psychosomatischen Krankheitsbildern zugrunde gelegt werden. Unter psychosomatischen Erkrankungen versteht man „eine Gruppe von Störungen, die mit einer körperlichen Symptomatik und einem fassbaren körperlichen Befund einhergeht, bei denen jedoch psychische Einflüsse als Ursache, Teilursache oder den Krankheitsprozess aufrechterhaltende Faktoren vorliegen“ (Remschmidt 1987:233).

In allen Fällen ist erwiesen, dass sämtliche Beschwerdebilder, die im Zusammenhang mit Schulstress auftreten, mit oder ohne organische Basis, dessen Ursachen in Konflikten, Spannungszuständen, Gefühlsanspannungen liegen, eine körperliche Reaktion oder Begleiterscheinung mit sich bringen (s. Engel/ Hurrrelmann:1989:77; Mansel 1991:193ff.; Holler-Nowitzki 1994:93ff.).

Die Anfälligkeit von Krankheitssymptomen und abweichenden Verhaltensweisen bei Schülerinnen und Schülern ist abhängig von der Entwicklungsstufe, in der sie sich momentan befinden. Jede Entwicklungsstufe weist nach Fend (2000:225ff) Besonderheiten körperlicher, psychischer Belastungsfähigkeiten auf. Damit gehen altersspezifische Eigenheiten der Erholung bei Schulstress einher. Ein gleicher Erholungsverlauf bei Kindern und Jugendlichen ist nur dann festzustellen, wenn verlangte Leistungen auch an die körperliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen genau angepasst sind. Insbesondere bei Kindern muss berücksichtigt werden, dass der kindliche Organismus ständig im Begriff ist, das Wachstum zu vergrößern und neu zu bilden. Die Belastbarkeit ist damit eingeschränkt[8].

In den psychischen und physischen Auswirkungen von Schulstress sind bei Schulanfängern keine erheblichen geschlechtsspezifischen Unterschiede zu diagnostizieren. In der Adoleszenz dagegen, zeigen sich beträchtliche Unterschiede in den Erscheinungsformen und Auswirkungen von Schulstress zwischen Schülerinnen und Schülern. Ausgewählte Formen von Schulstress bei Schülerinnen und Schülern werden im letzten Kapitel ausführlich erarbeitet, um durch Schulstress verursachte Krankheitsbilder und Verhaltensauffälligkeiten von Schulstress vorzustellen.

3. Symptome als Erscheinungsform von Schulstress

Von Jugendlichen nicht bewältigte stressartige Belastungen zeigen sich in psychischen Störungen, in psychosomatischen Beschwerden und neuerdings in Formen chronischer Krankheiten. Die Symptome zeigen sich in Allergien[9], Asthma und Neurodermitis. 10 bis 15% der Kinder und Jugendlichen leiden an psychischen Störungen im Bereich Leistung, Wahrnehmung, Emotionen und Sozialkontakt. Berichte über zunehmende Verhaltensauffälligkeiten bei Schülerinnen und Schülern wie Unlust, Konzentrationsmangel, gesteigerte motorische Unruhe, aggressives Verhalten, Leistungsverweigerung, ansteigende Tendenz zum Schuleschwänzen und Schulangst häufen sich (Hurrelmann 1994:11; Deutscher Bundestag 1980:36; Knispel 1997:632ff.).

Psychosomatischer Distress äußert sich besonders bei Schülerinnen und Schülern in der Adoleszenz in Kopfschmerzen, Schwindel, Reizbarkeit, Müdigkeit, Nervosität (s. Biener 1990:91; Hurrelmann 1993:10f.). In den meisten Studien (Palentien 1993:94ff; Mansel/ Hurrelmann 1991:125; Engel/ Hurrelmann 1989:77) kommt man zu dem Ergebnis, dass der Anteil der sozialen Integrationsstörungen, wie z.B. Aggressivität und Delinquenz, Drogenkonsum extrem hoch ist (Kapitel V.II.5.-8.). In dem letzten Kapitel dieser Arbeit werden die Folgen von Schulstress noch spezifisch behandelt.

Vergleicht man die Anzahl der Symptome bei Jungen und Mädchen in jungen Jahren, so ist festzustellen, dass die Anteile von psychischen Beeinträchtigungen und Störungen im Leistungsbereich bei Jungen im Grundschulalter höher liegen als bei Mädchen. Grund dafür ist die bessere Anpassungsfähigkeit an Belastungssituationen bei Mädchen in den ersten zehn Jahren. Dabei kann man davon ausgehen, dass diese Abwehrmechanismen auf Kosten von Überanpassung und nach innen gerichteten Verarbeitungsformen der Mädchen eingesetzt werden. Im Jugendalter gleichen sich jedoch erkennbare Symptome von Schulstress bei Jungen und Mädchen wieder aus (Hurrelmann 1994:11; Engel/ Hurrelmann 1989:79). Durch psychische und psychosomatische Krankheitsbilder kommen die stärkeren Belastungen von Mädchen und Frauen gegenüber Jungen und Männern zum Vorschein. In Untersuchungen von Palentien (1997:94ff) werden die häufigsten bei Mädchen und Jungen durch Schulstress erzeugte psychosomatischen Symptome gemessen. Abbildung 4 gibt die Verbreitung und Häufigkeit der Symptome der letzten 12 Monate bei Jungen und Mädchen an. Betrachtet man die Ergebnisse, so wird deutlich, dass 39,5% unter Kopfschmerzen leiden; Nervosität und Unruhe erlebten 30,3%. 30,2% berichten von Konzentrationsschwierigkeiten, 8,9% sind von Alpträumen betroffen, 8,3% von Schweißausbrüchen und 7,7% zeigen Symptome wie Durchfall und Verstopfung.

In der vorliegenden Graphik wird deutlich, dass sich zahlreiche Übereinstimmungen in den Angaben der Symptome ergeben. Kopfschmerzen werden als Spitze der erlebten Beschwerden bei Mädchen und Jungen angegeben; an zweiter Stelle stehen bei Mädchen Leiden wie Unruhe und Nervosität, während bei Jungen verstärkt Konzentrationsschwäche angegeben wird. Bis auf die Magenbeschwerden sind erhebliche geschlechtsspezifische Unterschiede in den Symptomen zu erkennen. Die Graphik zeigt, dass Mädchen wesentlich häufiger psychosomatische Symptome nennen als Jungen. Wie sich Schulstress in erster Linie bemerkbar macht und welche Symptome für Schulstress typisch sind, soll in dem folgendem Beispiel erhellt werden.

Psychische und physische Ermüdung

Körperliche und geistige Arbeit bei Schülerinnen und Schülern ist mit Ermüdungsprozessen verbunden. Bedingt durch Stillsitzen in der Schule und durch geringe Sauerstoffzufuhr wird die Muskulatur der Schülerinnen und Schüler kaum beansprucht. Mit der physischen Ermüdung geht die psychische Ermüdung im Schulunterricht einher. Infolge einseitiger Beanspruchung des Seh- und Hörapparates und Überbeanspruchung durch geistige Arbeit treten Ermüdungserscheinungen vor allem nervöser und zentraler Art auf, die mit Leistungs-, Funktions- und Verhaltensstörungen verbunden sind (s. Ortner 1979:151; Naegele 1996:27f.). Die psychische Ermüdung wird in der Schule sehr negativ bewertet. Der Schüler und die Schülerin kann den Anforderungen in der Schule, z.B. abhaltende Konzentration, nicht mehr gerecht werden. Von manchem Lehrer wird dies Schülerinnen und Schülern als Faulheit, mangelnde Leistungsfähigkeit angelastet. Fortwährende Ermüdungszustände beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit. Sie macht sich in Aufnahme-, Wahrnehmungs- und Koordinationsfähigkeit bemerkbar. Gleichzeitig nimmt die Konzentrations-, Aufmerksamkeits- und Denkfähigkeit ab. Ein generelles Absinken der Grundstimmung ist zu erkennen, einhergehend mit Arbeitsunlust, Reizbarkeit und Müdigkeitsgefühl. Die psychische Ermüdung äußert sich durch Zunahme von Fehlern verschiedener Art, z.B. Lese- und Schreibfehler, Beobachtungsfehler, Verlangsamung des Schreibtempos, Verminderung der Klarheit der Auffassung. Weitere Symptome zeigen sich im Nachlassen der Gedächtnisleistungen und der Selbstkontrolle. Gleichzeitig treten motorische Unruhe und Kopfschmerzen auf (s. Ortner 1979:162; Nickel/ Schmidt-Denter 1995:228).

Es ist wissenschaftlich nicht belegt, dass Schulstress krankheitsverursachender Faktor bei Schülerinnen und Schülern ist. Jedoch ist unumstritten, dass er sich in verschiedenen Symptomen bei Schülerinnen und Schülern bemerkbar macht. Gesicherter ist es deshalb, die Behauptung aufzustellen, dass Schulstress ein hinreichender krankheitsverursachender Faktor ist. Er erhöht die Krankheitsanfälligkeit, weil die Abwehrreserven der Schülerinnen und Schülern vermindert werden. Bei mangelnder Erholungsfähigkeit und Dauerbelastung der Schülerinnen und Schüler wird der Organismus in seiner Funktion eingeschränkt und der Ausbruch und Verlauf einer Krankheit bestimmt. Die gravierenden Folgen von Schulstress nach Auftreten der ersten Symptome werden im letzten Kapitel thematisiert.

III. Disposition auf Seiten der Schülerinnen und Schüler als Ursache für die Entstehung von Schulstress

Sucht man nach den Ursachen für Schulstress, muss in erster Linie die Forschung der individuellen Stressanfälligkeit der Schülerinnen und Schülern in den Vordergrund gerückt werden. Eine erhöhte Stressanfälligkeit kann sowohl körperlich, psychisch oder sozial begründet sein.

Wie bereits erläutert, ist schulischer Stress ein Prozess zwischen objektiven Anforderungen auf der einen Seite und erlebter Belastung auf der anderen Seiten. Die von Schülerinnen und Schülern individuell erlebten Belastungen sind dabei auch von der Gewichtung der Belastungen der Gesamtheit der Klassengemeinschaft abhängig. Ist der Anteil der stressempfindenden Schülerinnen und Schüler ansteigend, so erlebt das Individuum seine schulische Situation gleichzeitig auch belastender und anstrengender (Von Saldern 1984:194ff.; Bossong 1985:297). Nitsch (1981:118) spricht von der sogenannten Stressanfälligkeit einer Person, die nicht als „eine absolute Eigenschaft einer Person zu verstehen ist, sondern als rationales Merkmal, dass erst durch den Vergleich mit bestimmten Bezugsgrößen feststellbar wird.“ Im Hinblick auf die individuelle Stressanfälligkeit der Schülerinnen und Schüler ist es von großer Bedeutung, deren physische, psychische und körperliche Disposition zu untersuchen, um auf Ursachen für Schulstress schließen zu können.

1. Die körperliche Disposition

Spricht man von der körperlichen Disposition bei Schülerinnen und Schülern ist damit nicht zuletzt die Konstitution gemeint, sondern auch ihr Trainingszustand und Folgen vorangegangener Tätigkeiten und Krankheiten. Will man die körperliche Konstitution für die Entstehung von Schulstress verantwortlich machen, ist eine Untersuchung der dispositionell aktuellen Grundaktivierung und Funktionsfähigkeit der organischen Regelungssysteme der Schülerinnen und Schüler unentbehrlich, da sie die Anfälligkeit für Schulstress stark beeinflussen.

Untersucht man vor allem chronisch-kranke[10] Kinder so stellt man fest, dass sie sich den gehäuften Schulanforderungen nur gering anpassen können. Die Situation verschlimmert sich bei den betroffenen Schülerinnen und Schülern, wenn Lehrer sich nicht für die medizinischen und psychologischen Probleme interessieren und dementsprechende Einschränkungen nicht berücksichtigen. Wenn die Schule nicht den Schülerinnen und Schülern in ihrer Einfach- oder Mehrfachbehinderung gerecht wird, oder wenn sie eine Schulform besuchen, die ihrem Leistungsvermögen nicht entsprechen, wenn Lehrer, Schüler und Ärzte nicht ausreichend über den Zustand der Gesundheit kommunizieren und beraten, dann sammelt sich eine Vielzahl von Belastungen, denen Schülerinnen und Schüler hilflos ausgesetzt sind (s. Ortner/ Ortner 2000:274ff.). Die Einnahme von Medikamenten kann ebenso eine Belastung darstellen, die sich auf die Bewältigung schulischer Anforderung negativ auswirkt und bemerkbar macht (z.B. durch Nebenwirkungen der Medikamente). Ebenfalls muss man den durch die Krankheit entstandenen Unterrichtsausfall berücksichtigen. Durch den verpassten Unterrichtsstoff können Kranke schulischen Leistungsansprüchen nicht mehr gerecht werden. Mutlosigkeit und Demotivation breitet sich aus, weil der Schulbesuch infolge von Wissensrückständen und Lernschwierigkeiten zur Last wird.

[...]


[1] Bei der Katecholaminfreisetzung werden verstärkt Hormone ausgeschüttet, aber erst dann wenn das sympathische Nervensystem die Organsysteme des Körpers auf die Abwehr äußerer Belastungssituationen vorbereitet. Ebenfalls werden verstärkt Hormone wie Adrenalin und Nordadrenalin produziert und ausgeschüttet, wenn es zu starken emotionalen Belastungen beim Menschen kommt (s. Markworth 1998:120).

[2] In Stresssituationen wird durch ausgelöste Gedankenverbindungen gleichzeitig die Hirnhangdrüse erregt. Das nennt man Hypophyse. Sie sendet den Botenstoff ACTH aus, der das Nebennierenmark stimuliert. Das von ihr produzierte Hormon, Hydrocortison lässt die Immunabwehr des Körpers sinken. Die Abwehr gegen Krankheitskeim ist nicht mehr gewährleistet.

[3] Hierunter versteht man die Bedingungen, die in den Stress münden oder aus denen Stress resultiert (s. Holler- Nowitzki 1994:39).

[4] Seit 1987 spricht Lazarus nicht mehr von einer Stresstheorie, sondern in seinen jüngsten Arbeiten von einer Emotionstheorie. Somit sind Belastungssituationen immer mit entstehenden individuellen Emotionen verbunden (s. Palentien 1997:11).

[5] Zur Unterscheidung von krankmachenden versus gesunderhaltendem Stress führt Selye (1974:58) die Begriffe Dystress und Eustress ein. Die unangenehmen Belastungen werden auch heute mit Distress (Pein, Qual, Schmerz) umschrieben.

[6] Bewältigung besteht aus verhaltensorientierten und intrapsychischen Anstrengungen, mit umweltbedingten und internen Anforderungen sowie den zwischen ihnen bestehenden Konflikten fertig

zu werden, (sie zu meistern, zu tolerieren), die die Fähigkeiten einer Person beanspruchen oder sogar übersteigen (s. Nitsch 1981:244).

[7] Gesundheit bedeutet psychisches Wohlbefinden, dass zugleich physisches Wohlbefinden mit einschließt, insoweit es durch die Psyche beeinflusst ist (s. Engel/ Hurrelmann 1989:67; Holler–Nowitzky 1994:93). Gesundheit fördert in Stresssituationen die Anpassungsfähigkeit und Verarbeitungskapazität eines Menschen bei körperlichen, psychischen und sozialen Belastungen.

[8] Ockel (1973:28) wies nach, dass Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse erst nach vier Stunden dieselben körperlichen Veränderungen aufwiesen wie Kinder aus der Grundschule nach zwei Unterrichtsstunden. Daraus wird deutlich, dass Grundschulkinder im Vergleich mit älteren Schülerinnen und Schülern bei gleich langer Unterrichtsdauer einer mehr als doppelten Belastung ausgesetzt sind (s. Ockel 1973:28).

[9] Remschmidt (1987:236) sieht in der Ursache der zunehmenden Hauterkrankungen zu geringe Hautkontakte und Mangel an emotionaler Zuwendung. Wiederauftretende Hautreaktionen sind mit emotionalen Belastungssituationen verbunden.

[10] Von chronisch- kranken Kindern spricht man, wenn sich ein Kind ständig durch gleiche körperliche oder seelische Ursachen in Lebens- und Lernschwierigkeiten befindet. Die Krankheitswirkung zeigt sich im somatischen und seelischen Bereich (s. Biermann 1976:126).

Final del extracto de 103 páginas

Detalles

Título
Schulstress. Erscheinungsformen, Ursachen und Folgen aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern
Universidad
University of Münster  (Institut für Sozialwissenschaften)
Calificación
2,0
Autor
Año
2001
Páginas
103
No. de catálogo
V1657
ISBN (Ebook)
9783638110266
Tamaño de fichero
682 KB
Idioma
Alemán
Notas
Es fehlen einige Abbildungen, die aber aufgrund der guten Quellenangaben leicht gefunden werden können.
Palabras clave
Schulstress, Erscheinungsformen, Ursachen, Folgen, Sicht, Schülerinnen, Schülern
Citar trabajo
Tina Klobusch (Autor), 2001, Schulstress. Erscheinungsformen, Ursachen und Folgen aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1657

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