Demokratischen Öko-Sozialismus gibt es bisher anscheinend nirgendwo auf der Welt. Und dies, obwohl dieses Gesellschafts-Modell geeignet wäre, überall auf Recht und Freiheit zu gründen, sodass endlich auch ein dauerhaft friedliches Miteinander der Völker möglich wäre, zumal wahre Demokratie stets auch das Recht auf freie Selbstbestimmung einschließt, und zwar sowohl sämtlicher Personen als auch aller Völker und Nationen. Umso mehr kommt es darauf an, einen solchen Sozialismus anthropologisch zu fundieren. Die Frage „Was ist der Mensch?“ beantworte ich – mit Kant, Johannes Schwartländer u.a. folgendermaßen: „Der Mensch ist Person.“ Das heißt: Er ist nicht nur ein zoon politikon, ein geselliges, soziales Wesen, sondern stets auch Rechtsperson mit bestimmten, unveräußerlichen Rechten wie Menschenwürde, Freiheit der Person und freie Entfaltung der Persönlichkeit. – Demokratischer Sozialismus beruht also auf dem Recht und der grundsätzlichen Freiheit der Person, nicht umgekehrt.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Angeborene Eigenschaften, individuell und sozial
2. Freiheit: wovon und wozu?
3. Wodurch Freiheit eingeschränkt oder verhindert wird: das Widersacherische
4. Gegenmitte
a) Erziehung und Sozialisation, Entwicklung zum Selbst
b) Anthropologie: die „Ressource Mensch“ im KI-Zeitalter
Theorie der Menschenwürde
Religiöse Begründungen?
c) Die Liebe – oder auch: der Weltknoten
d) Politische Gegenmittel
Vom Selbst zur Demokratie
5. Öko-Marxismus
6. Zur ethischen Fundierung eines freiheitlichen, demokratischen
Öko-Sozialismus
Zum Begriff Sozialismus
Sozialistische Öko-Ethik
7. Demokratischer Öko-Sozialismus
Literaturhinweise
Einleitung
Demokratischen Öko-Sozialismus gibt es bisher anscheinend nirgendwo auf der Welt. Und dies, obwohl dieses Gesellschafts-Modell geeignet wäre, überall auf Recht und Freiheit zu gründen, so dass endlich auch ein dauerhaft friedliches Miteinander der Völker möglich wäre, zumal wahre Demokratie stets auch das Recht auf freie Selbstbestimmung einschließt, und zwar sowohl sämtlicher Personen als auch aller Völker und Nationen. Umso mehr kommt es darauf an, einen solchen Sozialismus anthropologisch zu fundieren. Die Frage „Was ist der Mensch?“ beantworte ich – mit Kant, Johannes Schwartländer u.a. folgendermaßen: „Der Mensch ist Person.“ Das heißt: Er ist nicht nur ein zoon politikon, ein geselliges, soziales Wesen, sondern stets auch Rechtsperson mit bestimmten, unveräußerlichen Rechten wie Menschenwürde, Freiheit der Person und freie Entfaltung der Persönlichkeit. – Demokrati- scher Sozialismus beruht also auf dem Recht und der grundsätzlichen Freiheit der Person, nicht umgekehrt. Dies soll im Folgenden detailliert begründet werden.
1. Angeborene Eigenschaften, individuell und sozial
Der erste soziale Akt, den ein Menschenwesen bei seiner Entstehung erfährt, ist die Ver-schmelzung von Ei- und Samenzelle, die Vereinigung des Erbguts der beiden Elternteile. Mit dieser Verbindung einher geht von Anfang an eine neue Synthese aus Freiheit und Determi-nation. Denn die in jeder embryonalen Zelle enthaltenen materiellen Elementarteilchen sind selbst schon frei und gebunden zugleich. Frei sind sie z.B. auf Grund der Unschärferelation und der Tatsache, dass sie – in unberechenbarer Weise – stets bestrebt sind, sich mit anderen E-Teilchen zu verbinden. Determiniert sind sie auf Grund ihrer sonstigen materiellen Eigenschaften.
Das Ergebnis entspricht durchaus den Auffassungen von Geistesgrößen wie Jean-Jacques Rousseau und Friedrich Schiller, wonach der Mensch „frei geboren“ ist. Dabei ist – wie sich allerdings erst neuerdings herausgestellt hat – die angeborene Freiheit zugleich Vor-aussetzung für eine effektive Unterscheidung von Gut und Böse, mithin für Moral. Auch diese Fähigkeit scheint angeboren zu sein. Was jedenfalls die von Ernst Habermann (1996) vorgelegten Forschungsergebnisse nahelegen. Habermann erklärt:
„Die Evolution hat zwei feine Sensoren der Solidarität erfunden, nämlich Gewissen und Mitleid, und mit der Befindlichkeit gekoppelt. Die biologisch vorgegebene, spätestens beim Menschenaffen … gesicherte Einfühlung ist eine wichtige Grundlage unseres Ethos.“1
Wobei Habermann neben dem Streben nach guter Befindlichkeit zwei weitere, evolutionär entstandene Grundfaktoren der Ethik nennt: die Gegenseitigkeit und die Überwindung des puren Egoismus durch Altruismus und Zusammenarbeit. Es sind Faktoren, die Habermann problemlos mit Kants Kategorischem Imperativ verbindet:
„Der Einzelne soll sein spezielles Verhalten so einrichten, daß es sich als Maxime aller Partner eigne.“ (ebd.)
Dies sei ein Satz, mit dem Kant „zutiefst recht“ hatte. – Rechtliche Gleichheit und Freiheit sind also nicht vom Himmel herabgefallen, sondern evolutionär entstanden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass schon Kant den Gemeinsinn als anthropologische Grund-Konstante erklärt hat, wozu Burghart Brückner bemerkt:
„In der vermögenspsychologischen Anthropologie in pragmatischer Hinsicht von 1799 hielt er den »Verlust des Gemeinsinnes« und die Bildung eines »logischen Eigen-sinns« für das »einzige allgemeine Merkmal der Verrücktheit«. Schwere Gemüts-krankheiten beruhten auf Schäden an den naturhaft gegebenen Erkenntnisvermögen. Kant beurteilte diese Störungen als letztlich erbliche, »unheilbare Unordnung«. Die Unmündigkeit der Menschen ist hier weder selbst verschuldet, noch gibt es einen Ausgang. Aufklärung reduziert sich auf Prävention.“2
Zu untersuchen bleibt jedoch, inwieweit der Verlust von Gemeinsinn nicht nur erblich bedingt sein, sondern auch auf erworbenem Verhalten beruhen kann. Davon abgesehen ist natürlich damit zu rechnen, dass sich Gen-Fehler bemerkbar machen.
2. Freiheit: wovon und wozu?
Freiheit wovon?
Von Unfreiheit, d.h. von Not, Elend, Ausbeutung, Unterdrückung, Entfremdung, Verding-lichung; so dass alle Verhältnisse umzustürzen sind, in denen derartige Mängel, derartige Unfreiheiten herrschen. – Erreichbar nicht ohne Reformen, vielleicht nicht ohne Revolution. Denn Unfreiheit der genannten Art gibt es bekanntlich nach wie vor in Hülle und Fülle, zumal in unserer globalisierten Welt. Der Kampf dagegen fordert Engagement in höchstem Maße, nicht nur politisch, sondern auch allgemein existenziell, körperlich, seelisch, geistig, geistlich. Nicht alle Menschen sind dazu fähig und bereit. Und die wirklich Bereiten stoßen allent-halben auf den Widerstand derjenigen, die das bestehende Unrecht, die herrschende Unge- rechtigkeit, die grassierende Unfreiheit mit allen Mitteln verteidigen: politisch, militärisch, sozio-ökonomisch, psychologisch, unter Einschluss raffiniertester Machtmittel der Manipu-lation, offener und versteckter Einflussnahme im Sinne der herrschenden Interessen, der Interessen der Herrschenden.
In dieser Lage befinden wir uns: zuweilen wie in einem Gefängnis (der Seele), oder auch: wie im eigenen Bewusstsein be- und ge-fangen. Wir treffen manchmal auf so viel Widerwärtiges, so viel bösen Widerstand gegen das Gute, dass wir an der eigenen Hoffnung zu verzweifeln drohen. Wir kommen zuweilen nicht voran, weder in der Theorie noch in der Praxis. Doch wir lassen uns gewiss das Denken nicht verbieten. Daher:
Freiheit wozu?
Zunächst zur Gedankenfreiheit. Wir denken, was wir wollen, was wir können, was uns zuteil wird, was uns gerade durch den Kopf geht, was uns einfällt. „Was fällt Dir denn ein?“, lautet eine bekannte kritische Alltags- und Allerwelts-Frage. Was uns einfällt, kann also nicht immer nur uns selbst betreffen, sondern auch unsere Mitmenschen. Wir können, dürfen und sollen alles denken, was wir wollen, müssen aber be-denken, dass wir mit unseren Gedanken nicht immer allein sind. Zumal dann nicht, wenn wir unsere Gedanken kommunizieren, sie in Rede, Schrift und andere Taten umsetzen. Dann – und nicht nur dann – müssen wir die Würde und die Freiheit unserer Mitmenschen, ihr Person-Sein, anerkennen und respektieren. Aber worin besteht nun diese Freiheit der Person, die ja sogar im Grundgesetz der BRD garantiert wird?
Für Kant ist die Person ein absoluter, unbedingter Wert, und ihre Freiheit, alles tun zu dürfen, wird nur durch die Freiheit der Anderen begrenzt. ‚Absolut‘ im Sinne von ‚unbedingt‘ bedeutet nicht die Loslösung der Person von allem anderen, wohl aber den Anspruch auf die zumindest denkmögliche Ganzheit des Menschen, „le volume total de l’homme“, seinen gesamten „Umfang“, wie es Emmanuel Mounier ausgedrückt hat. Wozu zweifellos auch alles gehört, was die Person im Laufe ihres Lebens erfährt, erlernt, erwirbt, durch eigenes Tun bewirkt, mithin die Persönlichkeit, die nicht von der leiblich-seelischen Konstitution der Person zu trennen ist.
Nicht sehr umfangreich, aber keineswegs belanglos sind die Ergebnisse des Libet-Experi-ments, zumal sie durch spätere Forschungen weitgehend bestätigt wurden. Sie besagen, kurz gefasst, dass unsere Entscheidungen nicht nur im Bewusstsein, sondern auch im Unbewuss-ten vorbereitet werden, wobei das Bewusstsein keinesfalls entmündigt wird, weil, je nach Situation, immer eine mehr oder weniger große Marge der bewussten Entscheidungsfreiheit gewahrt bleibt. Folglich ist es unzulässig, zu behaupten, die Willensfreiheit sei eine Illusion.
Der Wille beruht sowohl auf unserem bewussten als auch unserem unbewusstes Sein. Er ist nicht identisch mit Trieben, Instinkten und Gefühlen, wird aber von diesen beeinflusst, z.B. in Form von Antrieben, Motiven und Beweggründen, deren Bedeutung Libet neu bestätigt hat. Darüber hinaus wird der Wille geprägt von Faktoren wie Zweckvorstellungen, dem Abwägen von Vor- und Nachteilen, Zielstrebigkeit, Entschlusskraft und Durchsetzungsfähigkeit. Wir können den Willen aus freien Stücken bewusst-rational beeinflussen und sogar steuern. In unseren willentlichen Handlungen machen wir von unserer Freiheit Gebrauch. Auch diese Tatsache geht ins Unterbewusste ein. Es gibt also Willensfreiheit, was auch Libet bestätigt hat. Dies im Gegensatz zu der theologischen Leugnung der Willensfreiheit, die sich ein Martin Luther, im Unterschied zu Erasmus von Rotterdam, nicht verkneifen konnte.
Zumindest die Willensfreiheit wird somit zur Voraussetzung auch von Ethik, Moral und Recht. Harald Rösch erklärt sie folgendermaßen:
„Jedes Lebewesen besitzt einen Willen – nämlich das zu tun, was seinem Fortbestehen dient. Ob dieser Wille frei ist, hängt davon ab, was man unter „frei“ versteht.
Der Wille ist nicht frei in dem Sinne, dass er absolut unbeschränkt ist, denn Entscheidungen werden von einer Vielzahl innerer und äußerer Faktoren beeinflusst. Aber er ist frei, sich aus einer begrenzten Zahl an Optionen diejenige auszuwählen, die seinen Absichten und Zielen am ehesten entspricht.“3
3. Wodurch Freiheit eingeschränkt oder verhindert wird: das Widersacherische
Vom Wortursprung her vereinigt der Begriff des Widersacherischen zwei Phänomene: etwas Objekthaftes und etwas Feindseliges, Bedrohliches, das dem Menschen objekthaft gegenüber-tritt. So in Katastrophen, Unfällen, Krankheit, Tod4, überhaupt allem denkbar Widerwärti-gen, das die eigene Existenz in Frage stellt, die Selbsterhaltung und -verwirklichung bedroht. Umso erstaunlicher ist die Auskunft, die das KI-Chat-Programm ‚Microsoft-Copilot‘ erteilt:
„Das "Widersacherische" bezieht sich auf das Gegensätzliche oder das Wider-streitende. Im philosophischen Kontext kann es verschiedene Bedeutungen haben, je nach dem, wie es verwendet wird:
1. Dialektik: In der Dialektik, besonders bei Hegel, ist das Widersacherische ein wesentlicher Bestandteil des Fortschritts. Durch den Gegensatz (These und Antithese) entsteht eine höhere Einheit (Synthese). Das Widersacherische treibt den Denkprozess und die Entwicklung voran.
2. Moral und Ethik: Das Widersacherische kann sich auf die innere Auseinander-setzung zwischen verschiedenen moralischen und ethischen Prinzipien beziehen. Beispielsweise der innere Konflikt zwischen egoistischen und altruistischen Hand-lungen.
3. Religiöse Kontexte: In einigen religiösen Traditionen, insbesondere im Christentum, wird der Begriff des Widersachers oft mit dem Teufel oder satanischen Kräften in Verbindung gebracht, die gegen das Göttliche wirken.
4. Psychologie: Das Widersacherische kann auch innere Konflikte und Gegensätze innerhalb der Psyche einer Person beschreiben, wie zum Beispiel den Konflikt zwischen dem Bewusstsein und dem Unbewussten oder zwischen unterschiedlichen Teilen der Persönlichkeit.
5. Gesellschaft und Politik: In der Gesellschaft und Politik bezieht sich das Wider-sacherische oft auf den Gegensatz zwischen verschiedenen Interessen, Ideologien oder Machtgruppen, die im Widerstreit stehen.
Diese verschiedenen Perspektiven zeigen, wie zentral das Konzept des Widersacherischen für viele Bereiche des menschlichen Lebens und Denkens ist. Es trägt oft dazu bei, Dynamik und Entwicklung zu fördern.“
Was wie eine neutrale, wertungsfreie Darstellung anmutet. Negatives kommt kaum vor (außer in religiösen Kontexten: „Teufel“ etc.). Positives wird hervorgehoben: als „wesentlicher Bestandteil des Fortschritts“ bei Hegel oder auch als Mittel zur Förderung von „Dynamik und Entwicklung“ am Ende des Textes.
Im Gegensatz dazu betont Ernst Bloch das eingangs erwähnte Widerwärtige im Widersache-rischen, so in Experimentum Mundi (1975), S. 237:
„Das Widersacherische im objekthaften Prozeß, worauf der Widerstand im erkennba-ren Objekt erst hindeutet, darf aber nicht ausgegrenzt werden; denn der Widerstand im Erkennen würde bei allem Unterschied ohne den Hintergrund des Widersacherischen gar nicht bestehen. Gäbe es doch überhaupt keinen Prozeß, wenn in der Welt nicht etwas wäre, das nicht sein sollte, das so nicht sein sollte. Man sieht das Stockende, Hemmmende, noch Mächtig-Nichtige in tausend Erscheinungen scheußlich ausge-drückt. Das Gift der Krankheiten, die immer neu maskierte und ideologisierte Ausbeu-tung und Repression bis hin zur Anonymität des Kapitals, auf tausend Kriege kommen kaum zehn Revolutionen, so leicht gelingen alle Reichstagsbrände, so verblüffend können auch geglückte Revolutionen eines neuen Anfangs zum schlechten Alten dege-nerieren, so deutlich hat Marx die ganze bisherige Geschichte als bloße Vorgeschich-te deklariert, auf dieser schwierigen Erde steht am Ende jedes Lebens als einzige völ-lige Gewißheit der Tod, die stärkste Gegenutopie; dieser individuelle Tod wird noch überwölbt durch die Möglichkeit eines kosmischen Tods, des großen Umsonst durch Entropie.“
Was aber keineswegs Blochs letztes Wort zum Sinn der Geschichte war. Denn: Wäre der endgültige „Kältetod“ tatsächlich das unausweichliche Schicksal des Universums (wie gele-gentlich behauptet wird), erübrigte sich jegliche Frage nach dem Sinn des Ganzen ebenso wie jegliche Utopie, landete auch das „positiv auf sich selbst gestellte Positive“ (z.B. der Natur), von dem Marx sprach, auf dem Müllhaufen bzw. im Absurdistan der Geschichte.
Das Gegenteil wird von Bloch entwickelt, so wenn er die Kehrseiten des Widersacherischen mit einbezieht:
„Item, das X des Weltanstoßes insistiert in allem Existierenden immer wieder durch alle Geschichte hindurch, sie als Grundtrieb betreibend und von ihren bisherigen Objektivierungen noch unbetroffen. Darum eben wohnt der Anstoß allernächst in der völlig ungelichteten Ursprungs- oder Brunnenstube des Existere an sich, im Erzeugen- den der Subjekt-Objekt-, Objekt-Subjekt-Beziehung Welt. Aber wenn das sowohl treibende wie sich selber noch verborgenen Meinen dieses Anstoßes zur Sucht miß-raten kann, so meldet sich in ihm ebenso das unverbogene Original: Wille substanz-voller Sehnsucht, Richtung aufs Was. Letztere nicht erst in der menschlichen Geschichte, auch bereits in der vor- oder außermenschlichen; es ist der die Dialektik durchsetzende, das Nichts umlenkende Gegenzug zu Vernichtung und Nichts. Ganz tritt dieser Gegenzug: als Wille des substanzvollen Intendierens, erst menschlich-sub-jekthaft hervor in Tapferkeit und militanter Hoffnung. Darin meldet sich das utopische Gewissen und Eingedenken des Alles, die Mannschaft des Anti-Nichts, oder utopi-schen Totum.“5
Genau dies darf aber nicht zum Nichtstun, zum Quietismus, verleiten – und erst recht nicht zur Fehlschätzung des Widerwärtigen, Teuflisch-Bösartigen. Umso wertvoller erscheint der folgende Einwurf von René Tichy (Wien):
„Bloch hat sein Leben lang über Aufklärung, Religion, Atheismus und Teufelsglaube nachgedacht. Er kommt zu dem Schluss: „Wir haben das Widersacherische im Welt-prozess vergessen.“
Elias Canetti schreibt in seinen Aufzeichnungen: „Seit er an keinen Teufel mehr glaubt, ist der Mensch gefährlich geworden. Der Mensch sieht den Teufel nicht mehr: Er hat ihn geschluckt.“
Für die Wissenschaft gibt es nichts Böses und schon gar nicht den oder das Böse. Es verschlägt ihr die Sprache oder vielmehr, sie gebraucht eine unangemessene. Die Kategorie des Bösen wird unzulänglich durchdacht.
Denn was immer uns an profanen Verständnishilfen angeboten wird, erklärt für unser Gefühl weder den Wahnsinn des Selbstmordattentäters noch die Brutalität eines Schergen, der seinen Opfern vor laufender Kamera den Kopf abschneidet. Alle Erklärungen scheinen zu schwach.
Die Aufklärung glaubt, sie habe den Teufel hinter sich und erklärt solch abgrundtief Böses mit psychologisch-gespickten Aggressionstheorien.
Baudelaire hält dagegen: „Die schönste List des Teufels ist, das er uns überzeuge, er existiere nicht.“
Ist dem Teufel dieser Streich nicht niemals besser gelungen als in der gegenwärtigen Zeit?“6
Wie dem auch sei, an den Teufel kann man glauben oder auch nicht. Hingegen ist nicht zu leugnen, dass es Teuflisch-Bösartiges im Menschen gibt, wenn auch nicht ohne den Gegenpol des Guten, des Gemeinwohls (bonum commune) und des Höchsten Guts (summum bonum). Umso mehr kommt es darauf an, sich klarzumachen, wie sich der Kampf zwischen Gut und Böse, zunächst innerpsychisch, auswirkt. Zweifellos schlägt sich Widersacherisches, Wider-wärtiges und Widersinniges auch in den individuellen Gemütszuständen, Gefühlen und Emp-findungen nieder. Unklar scheint, ob es sich dabei um „negative“ Gefühle handelt, zumal die Existenz solcher Gefühle grundsätzlich bestritten wird, so von Tatjana Heidemann, die be-hauptet, es gebe keine positiven und negativen Gefühle, wohl aber „Rückführer und Voran-bringer“. Die gegenteilige Behauptung beruhe auf gewohnheitsmäßigen, willkürlichen Wer-tungen:
„Es gibt keine negativen und positiven Gefühle – es gibt Rückführer und Voranbringer
Negative & positive Gefühle
Wir neigen dazu, unsere Gefühle in negative/ schlechte und positive/ gute Gefühle zu kategorisieren. Das ist nichts anderes, als eine Bewertung dessen, was wir erleben.
Mit negativen Gefühlen meinen wir Gefühle, die uns runterziehen, uns Kraft und Zeit kosten, unsere Motivation rauben oder unseren Antrieb mindern. Als schlecht bewerten wir Gefühle dann, wenn wir nicht wissen, wie wir mit ihnen umgehen sollen. Wenn uns also ein Ventil fehlt und diese Gefühle sich so sehr in uns anstauen, dass sie uns aufzufressen drohen.
Typische Gefühle, die als negativ oder schlecht bewertet werden, sind Scham, Schuldgefühle, schlechtes Gewissen, Wut, Ärger, Zorn, Eifersucht, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Angst oder auch Traurigkeit.
Mit positiven Gefühlen meinen wir Gefühle, die „Spaß“ machen. Sprich Gefühle, die uns in unserem Alltag, bei unserem Tun, Erleben und Denken nicht stören. Es sind Gefühle, die uns beflügeln, uns Motivation, Antrieb und Kraft schenken. Als gut bewerten wir Gefühle, die uns also aktivieren und fördern. Mit guten Gefühlen scheinen wir uns in unserem Leben gleich ein ganzes Stück sinnvoller, gesünder und lebendiger zu fühlen.
Typische Gefühle, die als positiv oder gut bewertet werden, sind Freude, Dankbarkeit, Liebe, Neugier, Zufriedenheit, Leidenschaft, Vertrauen oder Erleichterung.
Diese Art, Gefühle zu bewerten, ist inzwischen gängig geworden. So heißt es in Blogartikeln „Wie du deine negativen Gefühle bewältigst“. Auch in der Fachliteratur lese ich oft von negativen und positiven Gefühlen. Das ist schade, denn dadurch verselbstständigt sich eine bewertende Sichtweise auf etwas ganz Wesentliches in unserem Leben. Und ich glaube, es hilft uns nicht weiter, wenn wir Prozesse der Bewertung so selbstverständlich werden lassen. Stattdessen dürfen wir uns fragen, inwiefern uns diese Bewertungen sogar schaden.“7
Dabei steht wohl außer Frage, dass Gefühle wie Wut, Schuld, Hass, Neid und Angst uns erheblich schaden können, zumal sie zu kriminellen Neigungen und Handlungen führen oder zumindest beitragen können.8
4. Gegenmittel
a) Erziehung und Sozialisation, Entwicklung zum Selbst
Feststeht, dass Säuglinge noch nicht in der Lage sind, Willensfreiheit und Moral bewusst an-zuwenden bzw. zu erproben. Der Hauptgrund hierfür liegt in der Tatsache, dass die für solche Aktivitäten erforderlichen Gehirn-Areale bei Säuglingen noch nicht herangereift sind.
Demgemäß lässt sich für die Situation im Säuglingsalter festhalten:
1. Obwohl die Fähigkeiten zu Willensfreiheit und Moral angeboren sind, spielen sie im Säuglingsalter noch fast gar keine Rolle, weil die erforderlichen Gehirn-Areale noch nicht herangereift sind.
2. Allerdings beginnt schon kurz nach der Geburt der Aufbau eines umfangreichen Netz-werks aus Neronenzellen (Neuronen) und deren Verbindungen (Synapsen).
3. Dadurch entsteht hohe neuronale Plastizität.
4. Das Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen beginnt.
5. „Säuglinge handeln primär aufgrund von Reflexen und grundlegenden Bedürfnissen, ohne die kognitive Reife, um zwischen komplexen moralischen Kategorien wie „gut“ und „böse“ zu unterscheiden.“ (In: Microsoft-Copilot 28.04.2025)
Zur Entwicklung des Selbst
Für die Entwicklung vom Säuglingsalter zum Kindes- und Jugendalter spielt das Selbst eine entscheidende Rolle. Erst das Selbst schafft Bewusstsein auf der Grundlage u.a. von Wahr-nehmung, Gedächtnis, Verstand und Selbstbewusstsein und damit den Zugang zu allen Ressourcen der Vernunft und des Geistes. Nietzsche hatte dieses Selbst irrtümlich noch mit dem Leib gleichgesetzt. Warum er sich damit im Irrtum befand, geht vor allem aus den For-schungsergebnissen hervor, die der Neurowissenschaftler Joachim Bauer u.a. in seinem Buch Wie wir werden, wer wir sind (2019) vorgetragen hat. Darin weist er auf, dass das Selbst – anders als Nietzsche es vermeinte – nicht mit dem Leib identisch, d.h. nicht angeboren ist, sondern erst durch zwischenmenschliche Beziehungen im Säuglingsalter zu entstehen be-ginnt:
„Der menschliche Säugling, obwohl ein fühlendes, mit der Würde des Menschen aus-gestattetes Wesen, verfügt über kein Selbst. Die neuronalen Netzwerke, in denen sich Letzteres einnisten wird, sind zum Zeitpunkt der Geburt noch unreif und funktions-untüchtig. Seine Entstehung und Grundstruktur verdankt das menschliche Selbst jenen Bezugspersonen, die uns – vor allem in den ersten Lebensjahren – als »Extended Mind«, das heißt, als eine Art externe Leitstelle gedient haben. An der Komposition des Selbst sind Resonanzvorgänge beteiligt, wie sie sich zum Beispiel zwischen zwei Gitarren beobachten lassen: So, wie der Klang der einen Gitarre die Saiten einer zwei-ten Gitarre zum Klingen bringen kann, so können Bezugspersonen ihre inneren Melo-dien – ihre Art zu fühlen, die Welt zu deuten und in ihr zu handeln – via Resonanz auf den Säugling übertragen. Da dieser Transfer sich – in reduzierter Form – lebenslang fortsetzt, ist unser Selbst eine Komposition aus entsprechend vielen Themen und Melodien.“ (a.a.O. S. 7)
Das Selbst ist also nicht einfach der Leib, sondern ein Gemisch, ein mixtum compositum, aus dem personalen Individuum – als Einheit aus Leib, Seele und Geist –, seinen Bezugspersonen, seiner Umwelt und der Gesamtheit seiner Erfahrungen. J. Bauer präzisiert:
„In Säuglingen und Kleinkindern komponiert sich ein Selbst, dessen Themen von ihren Bezugspersonen über Resonanzvorgänge in sie hineingelegt wurden. Je weiter wir heranwachsen und persönlich reifen, desto mehr wird das Selbst zu einem Akteur, der mitspricht und beeinflusst, was mit ihm geschieht. Wir entwickeln ein Gefühl, das uns spüren lässt, welche an uns herangetragenen Angebote zu uns passen und zu einem stimmigen Teil unseres Selbst werden könnten, und welche unserer Identität Gewalt antun würden. Der Mensch ist das einzige Wesen, das sich an der Konstruk-tion seiner selbst – und seines Selbst – beteiligen kann, ein Hinweis, der in dieser ex-pliziten Form erstmals durch den Renaissance-Philosophen Pico de la Mirandola gege-ben wurde.“ (a.a.O. S. 8, Hervorhebungen K.R.)
Näheres und Weiteres hierzu führt J. Bauer auf 255 Seiten in 15 Kapiteln aus, darunter spe-ziell zum Selbst-System in den Kap. 1-6, 10, 11, 13 und 14, daneben und zusammen mit Themen wie Resonanz (darunter dem „Resonanzraum der Gesellschaft“, wenn auch nur auf gut 6 Seiten), Pädagogik, Arbeit, Partnerschaft, Psyche und Neurobiologie.
Zur Entstehung des Selbst:
Der Säugling wirkt und ist zunächst einerseits völlig hilflos und unreif, zeigt aber andererseits schon frühzeitig Fähigkeiten zu Anteilnahme und Kommunikation mit seinen/ihren Bezugs-personen, und zwar u.a. dadurch, dass Säuglinge schon früh beginnen, z.B. die Mimik einer Bezugsperson nachzuahmen. Echte Spiegelung und Resonanz wird daraus allmählich auf Grund der sogenannten Spiegelneuronen oder auch: Spiegelnervenzellen. (Wobei sogleich daran zu erinnern ist, dass diese speziellen Nervenzellen für die Empathie zuständig sind.) Hier liegen nicht Echo-Effekte, sondern echte Resonanz-Funktionen vor, und zwar u.a. in Form von Signalen der Körpersprache bzw. des Gefühlsausdrucks sowohl beim Säugling als auch bei der Bezugsperson. Hierdurch werde sogar das Gehirn des Säuglings geformt (a.a.O. S. 24). Wobei sich das Selbst nach und nach u.a. als Ich-Du-Sinn herausbilde:
„ Der Mensch entwickelt seinen Ich-Sinn in einer absolut einzigartigen Art und Weise: Das Selbst des Menschen als »Ich-Du-Sinn«. Das Resonanzprinzip lässt die Ge-stimmtheiten, Haltungen und Handlungsweisen der primären Beziugsperson(en) zu den Gefühlen und inneren Einstellungen des Kindes werden.“ (J. Bauer a.a.O. S. 31, Hervorhebungen K.R.) Daher fordert der Autor auch für die Kleinsten „ein sozial in-telligentes Umfeld, also Eltern oder gut qualifizierte Bezugspersonen, die ihnen ein verlässliches, liebevolles, dabei aber nicht einengendes, sondern förderndes Du sind.“ (a.a.O. S. 57)
Im Zusammenhang damit beschreibt J. Bauer auch den frühkindlichen Spracherwerb, wobei er hervorhebt, dass von der Sprache auch psycho-physische Top-down-Bewegungen ausge-hen, und zwar mittels neurobiologischer Rezeptoren im Gehirn, wobei nicht nur die Sprach-zentren des Gehirns, sondern auch die Spiegelneuronen und das neuronale Selbst-System aktiv werden. Zwischen beiden Systemen gebe es eine Arbeitsteilung. Das Selbst-System ar-beitet vor allem mit kognitiven Geistesinhalten (Gedanken, Ideen, Begriffe, Theorien, Wer-tungen usw.), während Spiegelneuronen nach speziellen neurobiologischen Regeln funktio-nieren, und zwar auf Grund von „Informationen, die sich mit dem Körper ausdrücken oder am Körper ablesen lassen“ (S. 85). (Was natürlich ebenfalls eine Form von Resonanz ist.) Das Erstaunliche daran: Die durch das neurobiologische Resonanzsystem „übertragene Informa-tion ist nichtstofflicher Natur“ (S. 86)! Die Körpersprache wird dabei sozusagen „ausgelesen“, indem der Beobachter die beobachtete Handlung „sozusagen »heimlich, still und leise« simu-liert, das beobachtete Geschehen also intern als Kopie mitlaufen lässt“ (ebd.), was mit dem Phänomen der „emotionalen Ansteckung“ verbunden sein kann: Gemütszustände wirken dann wechselseitig:
„Das Lesen der Körpersprache kann durch Erfahrung und Übung optimiert werden. Menschen mit Autismus können die Körpersprache anderer nicht »lesen«. Besonders geübt im Entschlüsseln der Körpersprache sollten Menschen sein, die viel mit anderen zu tun habe: Pflegekräfte, Sozialarbeiterinnen uns Sozialarbeiter, Servicepersonal, Ärztinnen und Ärzte, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrkräfte, Anwältinnen und An-wälte, Richterinnen und Richter, Eltern und Großeltern.“ (S. 89)
Die Kehrseite: Es gibt auch das Leiden am Selbst, so in Phänomenen wie Narzissmus, Abhängigkeit, Depressionen, bis hin zu ‚Gaslighting‘ (Psychoterror durch Einschüchterung u.a.m.) und zur „Auflösung des Selbst“, z.B. in Erkrankungen wie Traumatisierung und Demenz. – Wogegen das Selbst sich jedoch zu wehren vermag:
„Das Selbst ist jedoch nicht machtlos. Es spürt nicht nur, welche Menschen und welche Ansagen ihm guttun oder nicht behagen, welche seine Kräfte vermehren oder schwächen. Es hat den Selbst-Beobachter an seiner Seite, der es ihm ermöglicht, sich über sich, über die eigenen Motive und über die Motive anderer Gedanken zu machen. Sein Sensorium und seine Analyseinstrumente befähigen das Selbst, Einfluss darauf zu nehmen, mit welchen Menschen es sich umgibt, welchen Menschen es sich an-schließt und was mit den Botschaften passiert, die von Mitmenschen im eigenen Selbst landen.“ (S. 161)
Insgesamt gesehen hält J. Bauer den Besitz des Selbst-Systems für ein Erkennungs- und Alleinstellungsmerkmal der menschlichen Spezies. Es befähigt sowohl zur Selbst-Fürsorge als auch zur Fürsorge für andere Menschen. Es verhilft zur Ich-Findung, zur inneren Ruhe und Gelassenheit, so auch in der Meditation, in Yoga und – falls erforderlich – durch Psycho-therapie. Worin J. Bauer auch Möglichkeiten und zugleich Verpflichtungen des ärztlichen Tuns erkennt, die weit über Diagnostik und Therapie hinausgehen:
„Wen adressieren Ärzte, wenn sie eine Diagnose mitteilen oder die Behandlung erklä-ren? Sie adressieren das Selbst-System ihrer Patienten, welches – parallel zu dem, was der Arzt tut – seinerseits, sozusagen als »innerer Arzt«, in den eigenen Körper hinein-wirkt. Optimale Heilerfolge erzielen nur solche Ärzte, die in der Kommunikation mit ihrem Patienten dessen Selbst-Kräfte und seine Zuversicht stärken und ihm erklären, dass es sich lohnt, den Lebensstil gesundheitsdienlich zu verändern, und die ihm Mut machen, der Krankheit die körpereigenen Heilkräfte entgegenzusetzen. Zu den Aufga-ben jedes guten Arztes gehört es, den »inneren Arzt« seiner Patienten anzusprechen und zu stärken.“ (S. 200 f.)
Und Bauers Schlusswort lautet:
„Der Umgang mit unserem Selbst – und mit dem unserer Mitmenschen – erfordert Sensibilität, Geduld, Bewahrung, manchmal aber auch einen mutigen Schritt hinein in Möglichkeits- und Entwicklungsräume. Mehr als alles andere aber braucht unser Selbst – und das unsere Mitmenschen – dieses eine: Liebe.“ (S. 209)
Dies ganz im Sinne meiner eigenen Darlegungen zum Thema „Liebe als Weltknoten“ (s.u.)9 Wobei allerdings zu bedenken ist, dass mit Liebe allein leider nicht alle Welt-Probleme zu lösen sind. (Vgl. Robra 2024 ebd.)
Willensfreiheit und Moral im Kindes- und Jugendalter
Erst unter den Aspekten des Selbst lässt sich verstehen, wie Kinder und Jugendliche Willens-freiheit und Moral zu aktivieren vermögen. Hierzu bemerkt Microsoft Copilot (a.a.O.):
„Kinder besitzen in gewissem Maße sowohl Ansätze von Willensfreiheit als auch einen angeborenen moralischen Kompass, doch beide Eigenschaften befinden sich in einem fortwährenden Entwicklungsprozess.
Schon im frühen Kindesalter treffen Kinder erste Entscheidungen – sie zeigen Eigen-initiative und reagieren impulsiv auf ihre unmittelbaren Bedürfnisse. Dieses frühe Entscheidungsverhalten kann als rudimentäre Form von Willensfreiheit betrachtet werden, auch wenn es noch stark von Emotionen, unmittelbaren Belohnungen und der eingeschränkten Fähigkeit zur Perspektivübernahme geprägt ist. Mit zunehmendem Alter und wachsender kognitiver Reife entwickeln sie zunehmend die Fähigkeit, bewusste und reflektierte Entscheidungen zu treffen, auch wenn externe Einflüsse wie Erziehung und kulturelle Normen weiterhin ihre Entscheidungsfreiheit mitbestimmen.
Parallel dazu beginnt sich schon früh ein moralisches Empfinden zu entwickeln. Bereits Kleinkinder reagieren auf ungerechte Situationen oder unfaire Behandlung mit Empörung – sie zeigen ein intuitives Verständnis von Gerechtigkeit und können zwischen „richtig“ und „falsch“ unterscheiden, wenn auch zunächst auf einer emo-tionalen und erfahrungsbasierten Ebene. Im Laufe der Zeit und unter dem Einfluss von Eltern, Erziehern und Gleichaltrigen lernen Kinder, moralische Normen zu verinner-lichen und diese in ihrem Verhalten zu berücksichtigen. Dabei spielt auch die Ent-wicklung kognitiver Fähigkeiten wie Empathie und Perspektivenübernahme eine zentrale Rolle, da sie es den Kindern ermöglicht, die Auswirkungen ihres Handelns auf andere Menschen besser einzuschätzen.
Die Weiterentwicklung von Willensfreiheit und moralischem Urteilsvermögen hängt eng mit der Reifung des Gehirns zusammen – insbesondere mit der Entwicklung des präfrontalen Kortex, der für Impulskontrolle, Planung und die Bewertung langfristiger Konsequenzen verantwortlich ist. Dieses neurologische Wachstum erklärt, warum ältere Kinder und Jugendliche in der Regel eine größere Unabhängigkeit bei Ent-scheidungsfindungen und ein differenzierteres moralisches Verständnis aufweisen als jüngere Kinder. Gleichzeitig bleibt die Frage, inwieweit Entscheidungen und morali-sche Urteile wirklich frei sind oder vielmehr von biologischen, sozialen und kultu-rellen Faktoren mitbestimmt werden – eine Diskussion, die Philosophen, Psychologen und Neurowissenschaftler bis heute beschäftigt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kinder erste Formen von Willensfreiheit und moralischem Empfinden besitzen, die aber im Laufe der Entwicklung durch kognitive Reifung, soziale Interaktionen und den Einfluss von Erziehung kontinuierlich verfei-nert und erweitert werden. Diese dynamische Entwicklung bildet die Grundlage für die spätere moralische Selbstbestimmung und die Fähigkeit, komplexe, ethisch fundierte Entscheidungen zu treffen.“
Erziehung und Lernen in der Krise
Die Aktivierung von Willensfreiheit und Moral im Selbst der Kinder und Jugendlichen ist anscheinend Grundlage und Voraussetzung für jegliche Form von Erziehung und Lernen. Von diesem Selbst her wird der Rahmen erahnbar, in dem Erziehung stattfindet. Es ist dies stets ein gesamtgesellschaftlicher, letztlich unüberschaubarer Rahmen. Dennoch kann man versu-chen, hier mehr Klarheit zu gewinnen, und zwar dadurch, dass man die speziellen gesell-schaftlichen Bedingungen berücksichtigt, unter denen Kinder aus ihren Erfahrungen lernen. Denn Lernen geschieht natürlich nicht im luftleeren Raum, sondern stets unter dem Einfluss bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse; die hierzulande inzwischen zu massiven Beein-trächtigungen der Grundvoraussetzungen jeglichen Lernens geführt haben, darunter vor allem von Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft, Sachbezogenheit und Sachlichkeit, Konzentration, Disziplin, Leistungsfähigkeit und -bereitschaft. So dass immer wieder nicht nur von „Bil-dungsnotstand“, sondern auch von Erziehungskrise und Erziehungskatastrophe die Rede ist. Weshalb anzunehmen ist, dass ‚Selbst-Erziehung nur durch Lernen‘ in unserer Gesellschaft nicht wirklich funktioniert, nicht funktionieren kann.
Fragt man nun nach den Ursachen der Fehlentwicklung, stößt man unvermeidlich auf ein Phänomen, das seit ca. drei Jahrzehnten immer weiter um sich greift: die Spaßgesellschaft. Gründliche Untersuchungen hierzu hat Albert Wunsch (2004) in seiner Arbeit Abschied von der Spaßpädagogik vorgenommen, somit also im Kontext des Erziehungsproblems. Aus einer repräsentativen Expertise eines Sozialforschungsinstituts zitiert Wunsch, dass „im Frühjahr 2001 64 % der Bundesbürger Spaß als Sinn des Lebens“10 angaben. Dies in auffälligem Kon-trast zu der Situation vor 1990, als noch „für die meisten Menschen der Lebenssinn in einer zufriedenstellenden Existenzabsicherung“ lag (ebd.). Wie erklärt sich diese schwer-wiegende Veränderung? Wunsch verweist auf die Verwöhn- und Verführungs-Mechanismen, die in der Konsum- und Spaßgesellschaft immer mehr die Oberhand gewonnen haben; wobei er allerdings den Begriff ‚Spaß‘ in problematischer, wenn nicht unzulässiger Weise definiert, nämlich zunächst korrekt als „Mix aus Witz, Scherz, Posse, Jux und Narretei“, dann aber – unverständlicherweise – daraus schließend: „kurz: verdichteter Unsinn“ (ebd.). Somit also Unsinn als Sinn für zwei Drittel der Bevölkerung? Das halte ich für kurzschlüssig. Denn Witze, Scherze, Jux usw. sind nicht per se unsinnig, im Gegenteil, seit jeher dienen sie dazu, Menschen zu unterhalten, aufzuheitern, ihnen das Dasein wenigstens zeitweise zu erleichtern. Kaiser, Könige und Fürsten hielten sich Hofnarren als sinnreiche Kritiker, die Späße machten, dabei manchen „Unsinn“ erzählten – aber durchweg mit raffiniertem Hintersinn.
All diese Sinngebungen sind aber in der heutigen Spaßgesellschaft anscheinend verflacht. Entstanden ist jedoch nicht „verdichteter Unsinn“, sondern Schlimmeres, nämlich u.a. die aktuelle Bildungs- und Erziehungs-Krise. Für die Albert Wunsch folgende Symptome nennt: 1. „Das Lebenskonzept von Spaß-Fixierten orientiert sich demnach an Herumhängen, viel Essen und Trinken, reichlich Fernsehen, im Internet surfen, Shopping, Sex und Super-Action. Giga-Geil muss es sein. Manchen Zeitgenossen macht selbst Mobbing, Diffamierung, Gewalt und Horror Spaß. Und weil derselbe Spaß auf Dauer keinen Spaß mehr macht, muss bald ein Mega-Plus-Programm her. Das Volk will mehr, bis hin zur Unerträglichkeit, wie manche TV-Formate offenkundig werden lassen.“ (ebd.). Wobei sich die Medien-Sucht in den letzten Jahren durch die rasante Entwicklung von Smartphones mit Internet-Zugang weiter verschärft hat. 2. In Misskredit geraten dagegen „Selbst- und Mitverantwortung, Anstrengung, Nutzbringendes, Leistung, soziale Werte und Zukunftstiftendes“ (ebd.). 3. In Mitleidenschaft gezogen werden nicht nur die Eltern, sondern in hohem Maße auch Kinder und Jugendliche. Was sich bei Kindern in Abwehrhaltungen gegenüber fundamentalen Aufgaben wie Spre-chen-Lernen, Regeln einhalten, Zimmer-Aufräumen, Hausaufgaben erledigen usw. äußert; bei Jugendlichen z.B. in Leistungsverweigerung und verantwortungslosem Umgang mit Drogen und Alkohol; bei Eltern u.a. in Scheu vor schwierigen Auseinandersetzungen und Problem-lösungen, mangelnder Verlässlichkeit, zu wenig Einsatz für das Gemeinwohl oder auch nur für die eigene Partnerschaft, sobald lästiges Problemlösen gefordert wird. 4. Folgen: fehlende Konflikt-Fähigkeit, Verwöhnung, Antriebslosigkeit, Gleichgültigkeit, Erziehungsnotstand.
Worauf aber ist all dies zurückzuführen? Welche konkreten Ursachen gibt es für solche Fehl-entwicklungen, für das „Schwinden zwischenmenschlicher Werte und Sinnstiftungs-System“, für das Propagieren von „Freiheit ohne die Pflicht zur Eigenverantwortung“ (a.O. S. 4)? Albert Wunsch führt überraschenderweise nur Folgendes an: „Es ist die zu große Sattheit und Versorgtheit vieler Menschen! Denn wenn die Existenzabsicherung als Herausforderung ent-fällt, konzentriert sich die Sinn-Suche allzu leicht auf eine ständige Glücks-Maximierung des eigenen Seins“ (ebd.).
Darin aber sehe ich einen Erklärungsversuch, der entschieden zu kurz greift. Für die Tatsache, dass sich die Spaß- und Vergnügungssucht seit ca. 30 Jahren immer mehr ausgebreitet hat, muss es tiefere Gründe geben. Ich sehe sie in dem ungehemmten, rücksichtslosen Vormarsch des neoliberalen Turbo-Kapitalismus, der den Konsumismus zum einzig maßgeblichen Sinn- und Glücksvermittler emporstilisiert hat und jegliche Alternative dazu für abwegig und hirnverbrannt erklärt.
Die Tatsache, dass A. Wunsch dies überhaupt nicht berücksichtigt, relativiert in hohem Maße die Relevanz der von ihm vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen, darunter die bloßen Hinweise auf die überragende Bedeutung der Erziehung, von „funktionsfähigen Schulen“, der zu jedem Lernen (auch dem spielerischen!) erforderlichen Aufmerksamkeit und Anstrengung und von Werten wie „Sozialkompetenz, Selbstverantwortung, Mut, Stärke, Motivation, Kreativität und Konfliktfähigkeit zur Bewältigung zukünftiger Herausforderungen in Partnerschaft, Familie, Beruf und Gesellschaft“ (a.O. S. 5).
Diese Forderungen sind zweifellos zu bejahen; doch es stellt sich die Frage, wie solche Werte Kindern und Jugendlichen in einer turbo-kapitalistischen Spaßgesellschaft vermittelt werden können. Nur durch deren eigene (Lern-) Erfahrungen? Sicherlich nicht (s.o.)! Und selbst die bestgemeinte qualifizierte Erziehung stößt an die Grenzen, die das Wirtschafts- und Gesell-schafts-System mit den genannten Symptomen ständig produziert. Ein System, das offen-sichtlich Menschen heranzüchtet, die nicht einmal in der Lage sind, sich ihrer eigenen Situa-tion totaler Entfremdung bewusst zu werden, geschweige denn jemals den Versuch zu unter-nehmen, sich aus dieser Lage zu befreien. Umso mehr sehe ich mich in meiner Auffassung bestätigt, dass eine Erziehung vonnöten ist, die Werte vermittelt und Grenzen setzt.
Werte vermitteln und Grenzen setzen. Eine „wasserdichte“ Lern- und Erziehungstheorie kann ich an dieser Stelle natürlich nicht vorlegen. Und auch in Bezug auf die Werte-Vermittlung und das Grenzen-Setzen muss ich mich auf einige grundsätzliche Überlegungen beschränken. In welchen Grenzen Werte vermittelt werden können, habe ich bereits angedeutet. Zu beach-ten sind aber nicht nur die System-Einflüsse (Konsum- und Spaßgesellschaft usw.), sondern auch – und zwar vorrangig – diejenigen Grenzen und Faktoren, die aus den unterschiedlich gearteten personalen Strukturen und Besonderheiten der jeweils Betroffenen entstehen; Besonderheiten, die in solchem Maße divergieren, dass sie weder theoretisch noch praktisch überschaubar sind. Bei den „Zöglingen“ ist stets deren Alter zu beachten. Kleinkinder müssen soziale Werte wie Mitgefühl und Respekt erst erlernen, d.h. größtenteils durch Erziehung vermittelt bekommen.11
Wohingegen dies – wie auch jede andere Form von Erziehung – bei Pubertierenden anschei-nend gar nicht mehr möglich ist. – Innerhalb dieser Grenzen muss über die Erziehungsziele Klarheit bestehen. Antje Bostelmann gibt hierzu an: „Kinder sollen stark werden, zur Verant-wortung fähig sein und mutige, selbst-aktive Mitglieder einer Gesellschaft werden, die in der Lage ist, jeden zu integrieren, zu respektieren und in seinen Grundrechten abzusichern.“12 – Schon dies sind freilich sehr ehrgeizige Ziele (zumal im Turbo-Kapitalismus, s.o.), über-treffbar durch den durchaus legitimen Anspruch, den Heranwachsenden Argumente an die Hand zu geben, die dazu dienen können, vorhandene Missstände zu beheben und eine bessere Zukunft vorzubereiten. Wozu sicherlich viel informierende und aufklärende Erziehungsarbeit zu leisten ist; wobei umstritten scheint, wie diese Arbeit vonstatten gehen soll: eher durch die Schaffung von Freiheitsräumen („gewähren lassen“) oder eher durch bewusste Grenzziehung? Entschieden werden kann hierüber nicht rein situativ und ad hoc, sondern stets wertorientiert, wobei die Rolle des Unterbewussten nicht zu unterschätzen ist. Wird dies missachtet, bleiben die Heranwachsenden ungeschützt den negativen Einflüssen der kapitalistischen Konsum- und Spaß-Ideologie ausgesetzt.
Welche Erziehungs-Werte anzustreben sind, haben Experten untersucht. Der Psychologe Wayne Dosick führt an: „Respekt, Wahrhaftigkeit, Fairness, Verantwortungsbewusstsein, Reife, die Fähigkeit, an etwas zu glauben“, ergänzbar z.B. durch „richtiges Handeln, Liebe und Gewaltlosigkeit“.13 Wobei die Werte der „Fähigkeit, etwas zu glauben“ und des „richti-gen Handelns“ leicht in gefährliches Terrain führen können. Fanatische, hass- und gewalt-bereite Glaubens-Attitüden sind entschieden abzulehnen und zu bekämpfen, und zwar mit Aussicht auf Erfolg wohl erst dann, wenn – wie auch gegenüber den anderen Erziehungs-werten – als oberster Grundsatz die Kantische Forderung nach unbedingtem Respekt vor der Menschenwürde (s.o.) beachtet und befolgt wird. Gleiches gilt für den Anspruch auf „richti-ges Handeln“; auch hier kann der Zweck nicht die Mittel heiligen.
Es ist eine Forderung, die sich erfahrungsgemäß nicht durch bloßes Gewährenlassen erfüllen lässt. Wie aber sollen stattdessen Grenzen gezogen werden? A. Bostelmann schlägt den Erziehenden im Wesentlichen vor: 1. Rituale, d.h. geregelte Abläufe, 2. altersgemäßes Einfor-dern der Regeln, 3. Vorbild sein, 4. keine falschen Versprechungen machen, 5. auf Beloh-nungssysteme („Mohrrüben-Pädagogik“) möglichst verzichten, 6. Konsequenzen erklären und situationsgemäß umsetzen, ohne Angst einzuflößen (Urheberprinzip: „Wer etwas kaputt macht, muss dies reparieren oder ersetzen.“ (A..a.O. S. 5), 7. Respekt und Gerechtigkeit im Umgang. Heranwachsende haben Anspruch auf Fairness und Gleichbehandlung. Frieden und Gewaltlosigkeit im Elternhaus und in der Schule hängen davon ab.
Ein besonders schwieriges Problem sehe ich darin, dass Erziehende und erst recht die ihnen anvertrauten Heranwachsenden teilweise auf Grund unbewusster Vorgaben und Prägungen handeln, ohne sich über das eigene Unbewusste wirklich im Klaren zu sein. Zumal ein Zu-gang zum Unbewussten oft erst im Traum, nach längerer Selbst-Beobachtung und -Reflexion oder durch hilfreiche Gespräche, z.B. mit Angehörigen, Psychotherapeuten, Seelsorgern oder anderen Vertrauens-Personen überhaupt möglich ist. Heranwachsende sind hierzu von sich aus kaum in der Lage. Ob überhaupt, sollte zumindest ansatzweise in vertraulichen Einzel- oder Gruppen-Gesprächen herauszufinden sein. Darüber hinaus gebe ich zu bedenken, dass Werte der Erziehung nicht isoliert, sondern in weiverzweigten, individuell unterschiedlichen Werte-Synthesen existieren; wozu ich Näheres und Weiteres in meiner 2020 erschienenen Arbeit Ethik der Verhaltenssteuerung – eine Neubegründung dargelegt habe, und zwar in dem Kapitel über ‚Werte-Synthesen, die das Verhalten steuern (können)‘, S. 212 ff., auch unter: https://www.grin.com/document/923015.14
KI in Unterricht und lebenslanger Bildung – das Allheilmittel?
Microsoft-Copilot habe ich am 11.05.2025 die Frage gestellt: Was leistet KI im Unterricht? Hier die Antwort:
„Künstliche Intelligenz (KI) verändert den Unterricht und bereichert Lehr- und Lern-prozesse auf vielfältige Weise. Sie eröffnet moderne, datenbasierte Ansätze, die den Unterricht individueller, effizienter und interaktiver gestalten. Hier einige zentrale Aspekte:
Individualisiertes Lernen und adaptive Systeme
KI-gestützte Lernplattformen analysieren kontinuierlich das Lerntempo, Vorwissen und die Interessen der Schülerinnen und Schüler. Anhand dieser Daten wird ein maß-geschneiderter Lernpfad erstellt, der es den Lernenden ermöglicht, in ihrem indivi-duellen Tempo voranzukommen. Dadurch können Schwächen frühzeitig erkannt und gezielt angegangen werden. Adaptive Systeme passen den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben dynamisch an und bieten so eine individuelle Förderung, die traditionell im Klassenverbund oft nur schwer zu realisieren ist.
Automatisierung von Routineaufgaben und Bewertungsprozessen
Ein großer Vorteil von KI im Bildungsbereich ist die Entlastung der Lehrkräfte von zeitaufwändigen Routineaufgaben. Automatisierte Systeme übernehmen das Korri-gieren von Tests, das Erfassen von Noten und das Erstellen von Berichten. Das ent-stehende Zeitbudget ermöglicht es den Lehrpersonen, sich verstärkt auf individuelle Förderung, kreative Unterrichtsplanung und persönliche Betreuung der Lernenden zu konzentrieren. Dabei bleibt zu betonen, dass die automatisierten Bewertungen als Un-terstützung dienen und die pädagogische Einschätzung durch erfahrene Lehrkräfte nicht vollständig ersetzen können.
Interaktive Unterstützung und digitale Kommunikation
Moderne KI-Anwendungen integrieren Chatbots und virtuelle Assistenten, die rund um die Uhr als Lernpartner agieren können. Sie beantworten Fragen, geben Hilfe-stellungen zu komplexen Themen und unterstützen beim Verfassen von Texten oder bei der Suche nach weiterführenden Informationen. Diese interaktive Kommunikation trägt nicht nur zu einer Steigerung der digitalen Kompetenzen bei, sondern fördert auch die Motivation und das selbstständige Lernen der Schüler.
Analyse von Lernfortschritten
KI-Systeme können große Mengen an Lerndaten in Echtzeit auswerten. Dies ermög-licht es, Lernmuster, -fortschritte und etwaige Schwierigkeiten präzise zu identifizie-ren. Durch solche Analysen können Lehrkräfte proaktiv intervenieren – etwa wenn ein Thema wiederholt Probleme bereitet –, was zu einer nachhaltigeren und zielgerich-teteren Unterstützung führt. Gleichzeitig liefern diese Daten wertvolle Einsichten, die zur Weiterentwicklung von Lehrmethoden und curricularen Inhalten genutzt werden können.
Ethik, Datenschutz und pädagogische Verantwortung
Trotz all der Potenziale birgt der Einsatz von KI im Unterricht auch Herausforde-rungen. Besonders im Hinblick auf Datenschutz, Datensicherheit und ethische Frage-stellungen ist ein sorgfältiger, verantwortungsvoller Umgang unumgänglich. Schulen und Bildungseinrichtungen sollten daher klare Richtlinien und Rahmenbedingungen schaffen, um die Privatsphäre der Lernenden zu schützen und sicherzustellen, dass KI-Anwendungen transparent und nachvollziehbar sind.
Fazit
KI leistet im Unterricht einen wesentlichen Beitrag zur Modernisierung der Bildung:
Individualisierung und adaptive Lernprozesse schaffen passgenaue Bildungsangebote.
Automatisierte Bewertungs- und Verwaltungsprozesse entlasten Lehrkräfte.
Interaktive Unterstützung fördert digitales Lernen und die Selbstständigkeit der Schüler.
Datenbasierte Analysen ermöglichen gezielte Förderung und Unterrichtsoptimierung.
Diese Potenziale bieten enorme Chancen, den Bildungsprozess zu verbessern, erfor-dern jedoch einen bewussten, ethisch fundierten Umgang, um die bestmöglichen Lernergebnisse zu erzielen.“
In Ergänzung hierzu habe ich Microsoft-Copilot am 11.5.2025 die Frage gestellt: Was leistet KI in der lebenslangen Bildung? Die Antwort hierauf:
„KI revolutioniert die lebenslange Bildung, indem sie den Zugang zu Wissen und Kompetenzen grundlegend neu gestaltet – weit über starre Bildungsangebote hinaus. Sie ermöglicht individuelle, flexible und fortlaufende Lernprozesse, die sich exakt an die Bedürfnisse und Lebenssituationen der Lernenden anpassen.
Individuelle Lernpfade und adaptive Systeme
KI-gestützte Plattformen analysieren kontinuierlich das Lernverhalten, Wissen und die Präferenzen einzelner Lernender. Auf dieser Grundlage können sie personalisierte Lernpfade entwickeln, die sich dynamisch an Fortschritte oder Schwierigkeiten anpassen. Egal, ob es um berufliche Weiterbildung, Umschulung oder persönliche Interessen geht – durch adaptive Algorithmen wird sichergestellt, dass Lernende genau das erhalten, was sie in ihrer aktuellen Lebensphase benötigen.
Flexibilität und ständiger Zugang zu Bildung
Die digitale Transformation ermöglicht es, Bildung jederzeit und überall zugänglich zu machen. KI-basierte Tools und Apps unterstützen ein flexibles Lernen, bei dem zeitliche und örtliche Beschränkungen nahezu aufgehoben werden. Lernende können so in ihrem eigenen Tempo und gemäß ihrem individuellen Zeitplan lernen – sei es nebenberuflich oder in persönlichen Freiräumen.
Interaktive und immersive Lernumgebungen
Moderne Anwendungen setzen auf interaktive Formate, die Theorie und Praxis verknüpfen. Mit Hilfe von Chatbots, virtuellen Mentoren und Simulationen können Lernende komplexe Sachverhalte in realitätsnahen Szenarien erproben. Diese immersive Herangehensweise fördert nicht nur das Verständnis, sondern motiviert auch, da Feedback und Hilfestellungen rund um die Uhr verfügbar sind.
Effiziente Datenanalyse und Lernfortschritt
Die Auswertung großer Datenmengen ermöglicht es, individuelle Fortschritte genau zu analysieren und Muster im Lernverhalten zu erkennen. Lehrende und Weiterbildner profitieren von automatisierten Analysen, die gezielte Interventionen und eine konti-nuierliche Optimierung der Lerninhalte erlauben. So wird der gesamte Bildungs-prozess transparent und nachvollziehbar, was zu nachhaltig besseren Lernergebnissen führt.
Fortlaufende berufliche Weiterbildung und Anpassung an den Arbeitsmarkt
In einer schnelllebigen Arbeitswelt ist es essenziell, dass Fachkräfte regelmäßig ihre Kompetenzen aktualisieren können. KI identifiziert Trends und zukünftige Anfor-derungen auf dem Arbeitsmarkt und unterstützt so die Entwicklung maßgeschnei-derter Weiterbildungsangebote. Dies sichert nicht nur die berufliche Wettbewerbs-fähigkeit, sondern fördert auch lebenslanges Lernen als integralen Bestandteil moderner Karrierepfade.
Inklusion und Barrierefreiheit
Ein weiterer Vorteil liegt in der verbesserten Zugänglichkeit von Bildungsinhalten. KI-basierte Tools, wie Spracherkennungs- und Übersetzungsprogramme, senken Barrieren für Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Durch diese Techno-logien werden auch bisher unterversorgte Gruppen in die Lage versetzt, sich unkompliziert weiterzubilden.
Ethik und Datenschutz in der lebenslangen Bildung
Neben den zahlreichen Chancen müssen auch ethische Fragen und der Schutz perso-nenbezogener Daten kritisch betrachtet werden. Es ist wichtig, klare Rahmen-bedingungen zu schaffen, die den verantwortungsvollen Umgang mit den gesam-melten Daten sicherstellen. So bleibt der Bildungsfortschritt stets im Einklang mit den individuellen Rechten der Lernenden.
Zusammengefasst eröffnet KI in der lebenslangen Bildung immense Möglichkeiten: Sie sorgt für ein maßgeschneidertes, flexibles und interaktives Lernen, das den ständig wandelnden Anforderungen der modernen Gesellschaft gerecht wird. Gleichzeitig legt sie den Grundstein für eine inklusivere Bildungslandschaft, in der kontinuierliche Lernprozesse zur Normalität werden.“
Im Gegenzug hierzu verweisen Experten auf bestimmte Risiken, die mit dem Einsatz von KI in Unterricht, Lernen und Bildung verbunden sind. So z.B. in der folgenden Expertise:
„Trotz der zahlreichen Potenziale von KI im Unterricht gibt es auch erhebliche Risiken, die nicht unterschätzt werden dürfen.
Täuschung und Betrug
Wie kann sichergestellt werden, dass Schüler:innen ihre Hausarbeiten wirklich selbst geschrieben haben? KI kann Texte auf hohem Niveau generieren, sodass es für Lehrkräfte schwer wird, echte Eigenleistung zu erkennen.
Fehlinformationen und fehlende Quellenangaben
KI-Modelle basieren auf riesigen Datenmengen, die sie nicht immer auf Korrektheit überprüfen lassen. Falschinformationen oder fehlerhafte Zusammenhänge können von Schüler:innen übernommen werden, wenn sie Inhalte nicht kritisch hinterfragen.
Verlust eigenständiger Denkleistung
Wenn KI immer die “richtige” Antwort liefert, besteht die Gefahr, dass Schüler:innen grundlegende Recherche- und Analysefähigkeiten verlernen. Der Einsatz von KI darf daher nicht dazu führen, dass die Entwicklung kritischen Denkens vernachlässigt wird.
Datenschutzprobleme
Viele KI-gestützte Tools speichern Daten auf Servern außerhalb der EU, wodurch Datenschutzprobleme entstehen. Schulen müssen sicherstellen, dass der Einsatz von KI nicht die Privatsphäre von Schüler:innen gefährdet.
Soziale Ungleichheit
Nicht alle Schüler:innen haben zu Hause die gleiche technische Ausstattung oder den gleichen Zugang zu digitalen Lernmitteln. KI im Unterricht könnte daher bestehende Bildungsungleichheiten verstärken, wenn nicht sichergestellt wird, dass alle Lernen-den gleichermaßen von den Vorteilen profitieren.
Besonders im Prüfungsbereich stellt sich die Frage, wie echte Leistungen noch fair bewertet werden können. Wenn Hausarbeiten mit KI erstellt werden, verlieren sie an Aussagekraft. Dies stellt Schulen vor die Herausforderung, neue Prüfungsformate zu entwickeln.
Verbote sind keine Lösung – aber Regeln sind nötig
Ein generelles Verbot von KI im Unterricht wäre kaum umsetzbar. Die Technologie ist längst Teil des Alltags vieler Schüler:innen. Ein Verbot würde zudem dazu führen, dass Schüler:innen KI außerhalb der Schule unkontrolliert nutzen, ohne zu lernen, wie sie sinnvoll damit umgehen können.
Stattdessen braucht es klare Regeln und Richtlinien, um den Umgang mit KI bewusst zu steuern:
Transparenz über die Nutzung:?
Schüler:innen sollten offenlegen, ob sie KI bei ihren Aufgaben genutzt haben und in welchem Umfang.
Kritische Reflexion der KI-generierten Inhalte?
Lehrkräfte sollten Schüler:innen dazu anleiten, KI-Texte auf Plausibilität zu prüfen und mit vertrauenswürdigen Quellen abzugleichen.
Prüfungsformate anpassen:?
Bewertet werden sollte nicht nur das Endprodukt, sondern auch der Denkprozess dahinter. Reflexionsaufgaben oder mündliche Prüfungen könnten klassische Klausuren ergänzen.
Fortbildung der Lehrkräfte:?
Lehrer:innen müssen sich mit den Möglichkeiten und Grenzen von KI im Unterricht auseinandersetzen, um Schüler:innen kompetent begleiten zu können.
Diese Maßnahmen könnten dazu beitragen, dass KI im Unterricht nicht zu einem Problem wird, sondern zu einer sinnvollen Ergänzung.“15
Nicht weniger differenziert äußert sich Prof. Dr. Ute Schmid. Ihr wurde die Frage gestellt:
„Wie können die KI-Anwendungen Schüler*innen und Lehrkräfte im Schulalltag unterstützen?“
Schmid:
„Intelligente Dashboards können Lehrkräfte beim Unterrichtsmanagement unter-stützen. Die dort zur Verfügung gestellten Daten können zum Beispiel für sogenannte predictive analytics genutzt werden. Diese Anwendungen sind meiner Meinung nach aber mit Vorsicht zu betrachten. Hier werden aus möglichst vielen Daten von Schüle-
rinnen und Schülern mit maschinellem Lernen Modelle gelernt, die schulischen Erfolg in einzelnen Fächern vorhersagen sollen. Erhoben werden können Abgabezeiten sowie Korrekturen für Hausaufgaben, Beteiligung an Diskussionsforen, Verweildauern auf digitalen Texten sowie bei entsprechender technischer Ausstattung auch Blick-bewegungen und im Extremfall sogar Videoaufnahmen. Probleme, die ich hierbei sehe, sind:
1. Es besteht die Gefahr der Verletzung von Privatsphäre und Datenschutz, insbesondere bei Videoaufnahmen, was aber wohl zumindest in Deutschland ohnehin nicht erlaubt wird.
2. Es besteht die Gefahr, dass das Primat der Didaktik zugunsten einer unreflektierten Bevorzugung digitaler Medien aufgegeben wird, da Training und Anwendung von Modellen darauf angewiesen sind, dass möglichst viel Information über die Lernenden digital vorliegt.
3. Mit maschinellem Lernen aus Daten trainierte Modelle sind nicht für Vorhersagen auf individueller Ebene vorgesehen und können entsprechend falsche Vorhersagen machen. So ist es etwa möglich, in einem Krankenhaus vorherzusagen, ob auf einer Station erhöhte Gefahr für einen Krankenhauskeim besteht. Die Vorhersage, ob ein bestimmter Patient infiziert wird, ist dagegen nicht zuverlässig möglich.
4. Selbst wenn es möglich wäre, mit hoher Genauigkeit vorherzusagen, welche Note ein bestimmter Schüler oder eine bestimmte Schülerin in einem Fach erhalten wird, wäre das problematisch, da Lehrkräfte sich wohl kaum von daraus entstehenden Einschätzungen freimachen könnten und Schülerinnen und Schüler damit einen Stempel aufgedrückt bekämen, der ihre Leistungen beeinflusst, denn wer schlecht eingeschätzt wird, wird auch keine gute Performanz zeigen.
Für Schülerinnen und Schüler werden bereits einfache Lernapps angeboten, die zum Beispiel mit Gamification arbeiten. Häufig steckt in diesen Angeboten wenig KI-Technologie. Eingegebene Lösungen werden schlicht mit einer Datenbank abge-glichen und als richtig oder falsch bewertet. Hier sehe ich die Gefahr eines Rückfalls in den Behaviorismus, also ein rein auf Optimierung des Outputs hin optimiertes Lernen.
Ein Intelligentes Tutorsystem kann bei Fehlern meist zielgenau diagnostizieren, welches Fehlverständnis die Ursache ist.
Deutlich sinnvoller sind sogenannte Intelligente Tutorsysteme (ITS), die als Ergän-zung zum Unterricht im Klassenverband individualisiertes Lernen ermöglichen. Ich illustriere das an einem Beispiel: Wenn Kinder in der dritten Klasse den Algorithmus für das schriftliche Subtrahieren lernen, haben einige Kinder Verständnisprobleme, zum Beispiel wie das Entbündeln funktioniert. Eine einfache App oder auch eine überlastete Lehrkraft würde zahleiche Rechenaufgaben stellen und bei fehlerhaften Lösungen schlicht mit „falsch“ oder vielleicht zusätzlich der richtigen Lösung reagieren. Egal, wie viele Aufgaben man gibt, einem Kind mit einem Verständnis-problem wird das nicht helfen. Ein ITS verfügt dagegen über Wissen über den Problembereich und kann bei Fehlern meist zielgenau diagnostizieren, welches Fehlverständnis die Ursache für einen bestimmten Fehler ist. Darauf basierend kann gezielt Feedback gegeben werden. Wir haben ein solches ITS in unserem Team ent-wickelt. Basierend auf der diagnostizierten Fehlerursache wird ein analoges Beispiel gegeben: „Deine Lösung ist noch nicht ganz richtig, ich zeige Dir an einem ähnlichen Beispiel, wie ich das rechne.“ Dadurch hat das Kind die Möglichkeit, sein Fehlkonzept aufzulösen, es lernt direkt im Problemlösekontext und erlebt Selbstwirksamkeit statt Frustration.
EDL: Welche Risiken bestehen beim Einsatz von KI im Schulalltag?
Schmid: Meine beiden größten Sorgen sind, dass der Zwang zum Datensammeln, um maschinelles Lernen nutzen zu können, wie erwähnt dazu führt, dass nicht mehr die Frage nach dem geeigneten didaktischen Instrument zur Vermittlung eines speziellen Inhalts im Zentrum steht, sondern standardmäßig immer digitale Medien genutzt werden. Häufig werden hier einfache Multiple Choice-Aufgaben zur Wissensdiagnose genutzt. Da die Art, wie ein Inhalt gelernt wird, immer auch davon beeinflusst wird, wie das Wissen abgeprüft wird, besteht das Risiko, dass – noch mehr – bloßes Auswendiglernen im Zentrum steht statt Verständnis und Problemlösekompetenz. Ich möchte auch noch mal darauf hinweisen, dass solche einfachen Aufgaben zur Kontrolle keine KI-Technologie nutzen – hier genügt eine einfache Datenbank.
Wichtig wäre, dass Vermittlung und Prüfung nicht ein bloßes Auswendiglernen abfragen.
EDL: Was müsste im Lehr-Lern-Prozess verändert werden, damit KI sinnvoll eingesetzt werden kann?
Schmid: Meiner Meinung nach ist eine der besten Auswirkungen der Einführung von ChatGPT, dass wir erstmals seit Langem einen breiten öffentlichen Diskurs über das Thema Bildung führen. Bereits seit es Suchmaschinen, Wikipedia, Erklärfilme und andere digitale Angebote gibt, wäre es Zeit gewesen, sich Gedanken zu machen, wie wir diese digitalen Technologien sinnvoll einsetzen können, um Kompetenzen zu erweitern und zu fördern. Natürlich geht es in kaum einem Fach ganz ohne Auswen-diglernen: Ohne Vokabeln zu können, kann ich keine Sätze formulieren, ohne das Einmaleins kann ich nicht rechnen und ohne Fakten fehlt mir jede Orientierung – sei es in Geschichte oder in Geografie. Wichtig wäre, dass Vermittlung und Prüfung nicht ein bloßes Auswendiglernen abfragen, sondern den Fokus vor allem auf Zusam-menhänge legen. Ich erlebe immer wieder, dass sonst kurzfristig etwas gewusst wird und danach nicht mal mehr, auf welchem Kontinent ein Land liegt, oder geschichtliche Ereignisse nicht auf der Zeitachse eingeordnet werden können.
In allen Fächern gilt: Wir brauchen die Kompetenz, um die Ausgaben von Systemen beurteilen zu können – ob die Rechtschreibkontrolle, ein Computerprogramm, ein Rechenergebnis, die Faktentreue eines Textes oder auch die argumentative Struktur, die Wortwahl oder die grammatische Formulierung korrekt beziehungsweise sinnvoll ist. Das heißt, diese Fertigkeiten müssen weiter vermittelt werden und dazu kommt eine stärkere Betonung von Beurteilung vorliegender Information als Ergänzung zur Fähigkeit, diese selbst zu produzieren.
Da die Art, wie geprüft wird, stark beeinflusst, wie gelernt wird, sollten hier einfache Wissensabfragen mit Lückentexten oder Multiple Choice-Aufgaben, wenn möglich, durch generative Formate ergänzt oder ersetzt werden. Dazu zählen Aufgaben, die Freitextantworten verlangen und die die Schülerinnen und Schüler veranlassen, Zusammenhänge herzustellen, wie beispielsweise Textaufgaben im Bereich Mathe-matik. Dadurch wird die Beurteilung aber aufwendiger und angreifbarer. Neben mehr Personal werden daher auch Strategien benötigt, die Lehrkräften helfen, dass ihre begründeten Notengebungen akzeptiert werden – bei Multiple Choice ist das einfach, bei komplexeren Aufgaben schwieriger.
Digitale Werkzeuge inklusive KI-Werkzeuge sollten als Erweiterung der didaktischen Möglichkeiten – zum Beispiel Arbeitsblatt plus Intelligentes TutorSystem, Unter-richtsgespräch plus Erklärfilm – und als neue Tools, die Kompetenzen erweitern und fördern – zum Beispiel ChatGPT als Ideengeber, automatische Datenanalyse bezie- hungsweise maschinelles Lernen als weiterer Zugang in der Mathematik –, verstanden und genutzt werden.“16 ,
Eher pessimistisch, wenn auch nicht weniger differenziert, wirkt dagegen die Stellungnahme von Sven Edmund Lennartz:
„Noch mehr Macht für Internetgiganten
Vom Start weg haben sich die Branchenriesen mit großem Geld bei den aufstrebenden KI-Firmen eingekauft und bestimmen nun mit. Microsoft bei OpenAI, Amazon bei Anthropic. Oder sie bringen gleich ihre eigene KI heraus, wie Facebook/Meta oder Google. So beherrschen sie den Markt, bevor der sich überhaupt entfaltet hat.
Wir machen uns abhängig
Und zwar voll und ganz. Wir werden uns nicht einmal wehren, es wird einfach geschehen. Man gewöhnt sich halt dran. Die Abhängigkeit kommt schleichend. Ich fürchte, ein Teil von uns wird sogar das Denken einstellen. Ich rede vom bewussten, reflektierenden und steuernden Denken; Ziele, Zukunftsplanung, solche Dinge. Den Weg zum Kühlschrank findet man auch mit dem Stammhirn. Der Verein der ano-nymen KI-Nutzer wird uns nicht retten können. Wir sind am Arsch, so oder so.
Betrüger werden KI im großen Stil nutzen
Einige tun es schon jetzt, das wird sich noch steigern, und die Tricks werden immer besser – KI optimiert und exekutiert. Es wird schwer, sich dagegen zu wehren. KI kann alles hochoptimieren, Texte fälschen, sodass sie von niemandem vom Original unterschieden werden können. Auch per Sprache, und bald Video. Organisierte Ban-den werden sich eigene Kunstintelligenzen bauen lassen, die weder Zurückhaltung noch Zensurfilter kennen. Im Gegenteil, sie werden wie Diebe, Lügner und Betrüger denken und die besten sinistren Ansätze und Lösungen finden. Schurkizität 100%! Aber hey, böse KI, warum nicht? In den richtigen Händen wird man viel Geld damit scheffeln können.
Überall Zensur, Filter und Falschinformationen
Computer, Netz und KI sind nicht so neutral, wie man vielleicht denken könnte. Überall wird reguliert, gefiltert, gesäubert, beobachtet und gedreht. Na gut, das hatten wir schon vor der KI, du erinnerst dich an die Tagesschau? Aber mit KI wird das alles noch mal eine Dimension krasser. Sie repliziert nicht nur die Fehler der anderen, sondern macht auch noch selbst welche. Was wird dann zukünftig noch stimmen? Ich weiß nicht, wem man überhaupt noch wird glauben können. Da hilft dann auch keine KI mehr. Möglicherweise folgt auf das Wissen eine neue Periode des Glaubens. Die Gewissheit wäre zurück. Und wir bei der armageddiösen Klimakatastrophe, die liefert das Beispiel.
Nicht nur das WWW vermüllt
Eine Welt, in der es möglich ist, quasi auf Zuruf komplette Bücher zu erzeugen, wird in Büchern ertrinken. Deren Inhalte werden immer ähnlicher und immer flacher, zwangsläufig, auch wenn das am Anfang nicht so scheinen mag. Es wird dann nicht Millionen, sondern Milliarden geben, die meisten werden nie gelesen. Auch das WWW wird zugemüllt, das kann keiner verhindern. Bald wird man komplette Websites, nicht nur einzelne Seiten oder Artikel, per Mausklick erzeugen können. Man wird Content nachmachen, immer wieder und wieder, weil es so einfach ist. Das alles wird niemand mehr indizieren und durchsuchen können, und niemand wird je darin surfen wollen.
Die Jugend verblödet weiter – wieder einmal
Schrankenloser Konsum und Wohlstand haben uns in die Dekadenz geführt. Das Handy war der dickste Sargnagel. Es zertrümmert die Jugend regelrecht. Wie soll man da nicht wahnsinnig werden? KI wird das nicht retten, sondern jungen Leuten mehr ermöglichen. Einige werden dadurch schlauer, die meisten aber leider eher nicht. Sie gehen den bequemen Weg, lassen die KI die Arbeit machen, um Party zu feiern. Warum auch nicht, solange es noch geht… Eine Zukunft allerdings baut man sich so nicht. Verübeln kann ich es ihnen nicht. Erwachsene waren es, die ihnen die Technik in die Hände gaben und sie damit allein ließen. Die gleichen Erwachsenen, die sich jetzt über TikTok beschweren.
Kreativität wird beliebig und damit entwertet
Wenn Maschinen alles vermögen und im Nu jedes erdenkliche Medium hervorzaubern können, warum sollte sich der Mensch dann noch damit befassen? Die Kunst, millionenfach reproduzierbar, jederzeit und überall zugänglich, würde schlichtweg ihren Wert verlieren. Wie Sand am Meer. Es hätte keine Bedeutung mehr, der Flut noch ein paar Körnchen hinzuzufügen. Einst erwarb man sich selten ein Album, und wenn doch, dann war es eine Kostbarkeit, die man mit Sorgfalt behandelte und beinahe feierlich dem Plattenspieler überantwortete. Doch was bedeutet heute ein Album oder ein Lied in Zeiten von Spotify? Selbst wenn es einem gefällt, es geht rasch verloren im Strom und durch etwas neues, noch cooleres ersetzt. Bald wird KI diesem Universum Milliarden Sterne hinzufügen. Wir werden wahrscheinlich weiterhin Musik hören, aber wozu sie noch selbst erschaffen? Das wäre nur öde, ohne Wert. Geld verdienen wird man damit auch nicht mehr können.
Geisteswissenschaften haben keine Zukunft
Philosophie, Geschichte, Literaturwissenschaft, Linguistik, Soziologie, Anthropologie, Kunstgeschichte, Theologie … kann nicht jeder, muss man studieren. Aber nicht mehr lange, denn was Geisteswissenschaftler erzeugen, kann die KI schon heute besser. So gut, dass auffällt, wie wenig die Geisteswissenschaftler tatsächlich beizutragen haben. Auf sie zu verzichten, wird Ressourcen sparen. Apropos Theologie … KIs werden auch die besseren Geistlichen. Predigten auf den Punkt, immer ein offenes Ohr, zu jeder Zeit, nie nachtragend, nie von Gefühlen und Zweifeln geplagt – und sie werden auch die Kinder in Ruhe lassen.
Die Jobs sind weg und kommen nicht wieder
Nicht alle, aber fast. Mancher findet das ja sogar gut. Endlich Ferien für alle und für immer. Was erstmal gut klingt, wird uns mittelfristig noch träger, noch fetter, noch unleidlicher machen. Natürlich, zuerst übernimmt die KI langweilige Routinearbeiten, so beruhigt man uns. Aber das ist nur der Einstieg, der Türöffner, so fixt man jemanden an. Wer etwas anderes glaubt, denkt naiv. Nach dem Routinekram kommen anspruchsvollere Arbeiten dran, und so wird es weitergehen. Dem Menschen bleiben hie und da Funktionen als Supervisor und KI-Betreuer, bis, ja bis auch das substituiert wird. Am Ende sind alle Jobs weg. Denkbar, dass KIs dann auch unsere Kriege führen und uns regieren werden.“17
Diese eher pessimistischen Einschätzungen teile ich jedoch nicht. Mein Fazit lautet:
Erschwert wird die weltweite Kontrolle der KI durch das Fehlen eines allgemeinen, inter-nationalen KI-Rechts. Umso mehr empfiehlt es sich, aus dem Vorliegenden die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Natürlich gibt es weltweit neben den Gesetzes-Vorlagen der EU, der USA und Chinas weitere, ähnliche Projekte. Wahrscheinlich aber nicht mit höherer inhaltlicher Re- levanz. An den drei Gesetzesvorlagen fällt auf, dass sie die Probleme der schwachen KI nur ansatzweise, die der starken kaum oder gar nicht behandeln. Weder der US-amerikanische Nietzsche-Kult und -Hype noch R. Kurzweils „Singularitäts“-Phantastereien noch die mon-ströse „Symbiose“ von Mensch und Technik werden analysiert. Die Gefahr einer Selbst-auslöschung der Menschheit durch KI wird ignoriert.
17 S. E. Lennartz in: https://bildungssprache.net/ki-nachteile-rant-kuenstliche-intelligenz-negativ/
Gravierend kommt hinzu, dass bisher anscheinend in keinem einzigen Gesetzes-Vorhaben die Tatsache erwähnt wird, dass die KI-„Singularität“ das Ende aller Bemühungen um sinnvolle Alternativen zum Bestehenden, d.h. zum globalisierten Neo-Liberalismus, bedeuten würde. An die Stelle eines Reichs der Freiheit würde eine hochexplosive, nicht funktionstüchtige „Symbiose“ von Menschen und Robotern treten.
Um die negativen Auswirkungen der schwachen und starken (generativen) KI wirksam zu bekämpfen, werden nationale Gesetze nicht ausreichen. Vielmehr bedarf es verbindlicher, internationaler Vereinbarungen, z.B. auf UN-Ebene. Dies hat auch Antonio Guterres, der UNO-Generalsekretär, bereits erkannt. Angesichts der existenziellen Bedrohung der Mensch-heit durch KI kritisierte er die Macht von Großunternehmen und -Staaten, von denen die Menschenrechte missachtet werden. In einem Positionspapier der UNO stellte er Vorschläge zum weltweiten Umgang mit KI vor und kündigte die Einrichtung entsprechender hoch-rangiger Beratergremien und die Gründung einer UN - Regulierungsbehörde an.18
Kaum einen Monat später nahm der UNO-Menschenrechtsrat in Genf eine Resolution an, in der Schutz- und Kontrollmaßnahmen zur KI beschlossen wurden. Die Transparenz entspre- chender Systeme soll gefördert werden, speziell zur Verwendung der für die KI-Technologie benutzten Daten, die „auf menschenrechtskonforme Weise gesammelt, verwendet, weiter-gegeben, archiviert und gelöscht werden“ sollen. Die Resolution wurde im Juli 2023 ein-vernehmlich angenommen.19
b) Anthropologie: die „Ressource Mensch“ im KI-Zeitalter
Ethik ist nicht Theorie der Gesellschaft, sondern der Moral. Diese aber ist stets gesellschaftliche bedingt und daher stets nur von relativer, nicht absoluter Gültigkeit und Dauer.
Woraus folgt, dass auch jede Ethik gesellschaftlich bedingt und daher nicht als absolut gültige konzipierbar ist, eine Tatsache, die Kant anscheinend unterschätzt hat. Folgt daraus etwa auch, dass es zwar Werte, aber keine Normen geben kann? Nicht, solange Gesetze – und nicht nur „Faktisches“ – normative Kraft haben. Aus Werten können, wie ich meine, auf jeden Fall dann Normen werden, wenn sie in Gesetzesform gebracht bzw. im individuellen Über-Ich verinnerlicht werden.
Daran hat sich seit Kant nichts geändert. Normen müssen deshalb jedoch nicht als „absolut gültige“ begründet werden; es genügt, dass sie rechtskräftig und gegebenenfalls auch natur-rechtlich korrigierbar sind. Dies aber verweist auf elementare geschichtsphilosophische, anthropologische und politische Dimensionen der Ethik. Wenn nicht nur im Naturrecht, sondern auch in der Alltagspraxis Solidarität herrschte und jede/r seinen/ihren Bedürfnissen entsprechend leben könnte, wäre dies Sozialismus, den es jedoch „in Reinkultur“ bisher nirgendwo gab. Wenn Ernst Bloch dementsprechend eine Veränderungsethik fordert, anerkennt er die gesellschaftliche Bedingtheit von Ethik und kann folglich nicht mehr, wie in seinem frühen Geist der Utopie (1923), die Ethik hoch über alles, über die „ganze Weltenzyklopädie“ stellen. Wie erklärt sich dieser Wandel? Wohl aus der Tatsache, dass Bloch nicht umhin konnte, seine frühe Gottgläubigkeit zu Gunsten des Atheismus (auch im Christentum!) auf-zugeben, und zwar in Folge der notwendigen Neubewertung dessen, was als das Höchste Gut anzusehen sei: nicht mehr Gott, sondern das Reich der Freiheit. Das es in „wachsendem Menscheinsatz“ (auch „ins religiöse Geheimnis“) zu erkämpfen gilt.20
Ethik kann sich nicht auf das Unbedingte und Absolute, wohl aber auf Geschichtsphilosophie und Anthropologie stützen. Dazu passt die Tatsache, dass Ethik zwar eine Wissenschaft, aber keine mathematisch-exakte ist. Ethik hat die Unwägbarkeiten und Zufälligkeiten der Geschichte und des Menschseins mit einzukalkulieren. Und: „Die Wirkungsbereiche und -möglichkeiten der Individuen und der Gesellschaften sind nicht überschaubar und reichen zuweilen nur so weit wie deren Urteilskraft. Es sind Wirkungsbereiche, die von keiner Ethik in allen Details bestimmt werden können.“ (s.o.). Schematisch lassen sich die Zusammen-hänge von Ethik, Geschichtsphilosophie und Anthropologie wie folgt darstellen:
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Dass Verhalten sich nicht nur auf Handlungen, sondern auch auf die Materie im Ganzen bezieht, mag verwundern, kann aber kaum bezweifelt werden. Schon Elementarteilchen verhalten sich in teils bestimmter, teils unbestimmbarer Weise. Solange dies der Fall ist, bleibt Raum für philosophische Spekulation und Hypothesen-Bildung. Auch wenn Ernst Bloch Kants Höchstes Gut durch das Reich der Freiheit ersetzt hat, bedeutet dies nicht, dass ein Höchstes Gut (= Gott bzw. Blochs „Natursubjekt“) ein für allemal als Postulat erledigt wäre. Gibt es ein Höchstes Gut als Urheber des Ganzen, beginnt die Entstehung von Werten tatsächlich schon in der anorganischen Materie, was als ein In-Möglichkeit-Sein (= Entelechie) zu beachten ist. Ohne dabei zu verkennen, dass die Natur nicht nur „unvollendet“, sondern auch unvollkommen ist. Naturkatastrophen, Seuchen, Tod, Krankheit und Gebrechen, Fehlbildungen, das anscheinend sinnlos Zerstörerische im Menschen und in der Natur – all dies erschüttert immer wieder den Glauben und das Vertrauen auf Sinn- und Zweckhaftigkeit des Ganzen.
Dennoch ist anzunehmen, dass an dessen Ursprung nicht ein „Handeln“, sondern ein Ge-schehen steht, aus dem sich vorwärtstreibende, entelechetische Faktoren entwickelt haben. Insofern enthalten Geschichtsphilosophie und Anthropologie nicht nur Referenz-Theorien der Ethik, sondern gehören auch zu deren Begründungs-Instanzen.
Zur Ethik des „Digitalen Humanismus“
In einer Veröffentlichung des Jahres 2023 stellen Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weiden-feld die Frage: „ Was kann und darf künstliche Intelligenz? “, mit dem Untertitel Ein Plädoyer für Digitalen Humanismus. Darin schreiben sie:
„Der digitale Humanismus plädiert für eine instrumentelle Haltung gegenüber der Digitalisierung: Was kann ökonomisch, sozial und kulturell nutzen, und wo lauern Ge-fahren? …
Der digitale Humanismus lässt die Kirche im Dorf. Er betont die weitgehende Unveränderlichkeit der Menschennatur und der Bedingungen einer humanen Entwicklung. Er verteidigt kulturelle Errungenschaften wie die Trennung von Privatem und Öffentlichem und das, was das Bundesverfassungsgericht als »informationelle Selbstbestimmung« bezeichnet hat. Er plädiert für eine Stärkung der Demokratie, auch unter Ein-satz der neuen digitalen Möglichkeiten, er warnt vor einem Verfall der zwischen-menschlichen Verständigung in Zeiten der zunehmenden Anonymisierung und Mani-pulation der Internetkommunikation. Er plädiert für eine Stärkung der Urteilskraft, um in dem Überangebot von Daten verlässliche Orientierung zu ermöglichen.
Der digitale Humanismus ist nicht defensiv, er möchte den technischen Fortschritt im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz nicht bremsen, sondern fördern, er spricht sich für eine Beschleunigung des menschlichen Fortschritts unter Einsatz der digitalen Möglichkeiten aus, um unser Leben reichhaltiger, effizienter und nachhaltiger zu machen. Er träumt nicht von einer ganz neuen menschlichen Existenzform wie Trans-humanisten, er bleibt skeptisch gegenüber utopischen Erwartungen, ist aber optimi-stisch, was die menschliche Gestaltungskraft der digitalen Potenziale angeht.“ (S. 253-255)
Kritische Anmerkungen
Der „Digitale Humanismus“, den J. Nida-Rümelin und N. Weidenfeld vortragen, wirkt anthropozentrisch, zumal beide Autoren heftig auf menschlicher Subjektivität und Bewusst-seins-Autonomie insistieren. Eher statisch wirkt dabei das Menschenbild, weil die Autoren von einer relativen Unveränderlichkeit der menschlichen Natur ausgehen, ohne jedoch den Umstand zu thematisieren, dass der Mensch nicht nur Natur-, sondern auch Kultur-Wesen ist. Nida-Rümelin wiederholt zwar nicht seine Kritik am naturalistischen Reduktionismus, erkennt aber auch keine Notwendigkeit, den Humanismus mit dem Naturalismus zu verbinden; wie es schon Marx vorschwebte und von Ernst Bloch in seiner Natur-Allianztechnik verwirklicht wurde (s.o.). Dem entspricht die Tatsache, dass Nida-Rümelin zu Marx ein eher zwiespältiges Verhältnis bekundet, attestiert er ihm doch einerseits einen „ethischen Humanismus“, andererseits aber auch einen „politischen Anti-Humanismus“; beides sei schon in Marxens Gesamtwerk enthalten, der „Anti-Humanismus“ also nicht erst durch totalitäre Verfälschungen nach seinem Tod entstanden. Unverständlich ist vor allem, dass Nida-Rümelin und Weidenfeld die Bedeutsamkeit und Notwendigkeit einer Synthese von Humanismus und Naturalismus – insbesondere angesichts der weltweiten Umwelt- und Kima-Krisen – offenbar nicht erkannt haben.
Künstliche Intelligenz – Fluch oder Segen der Menschheit?
Neue Synthesen aus Humanismus und Naturalismus zu erarbeiten, wird neuerdings dadurch erschwert, dass die Künstliche Intelligenz immer weiter um sich greift und dabei sogar zu einer Gefahr für den Fortbestand der Menschheit werden kann. – Nichtsdestoweniger forderte Bundeskanzler Merz vor kurzem, Deutschland müsse eine „KI-Nation“ werden. Auf die mit der KI verbundenen Gefahren ging er nicht ein. Zum Glück warf er auch nicht die Frage auf, ob etwa Deutschland auf dem Weg zur „KI-Nation“ mit Großmächten wie den USA und China in Konkurrenz treten soll, mit Großmächten, die anscheinend mittels KI die Welt-herrschaft an sich reißen wollen und dabei auch vor autokratischen, diktatorischen und faschi-stischen Maßnahmen und Methoden nicht zurückschrecken.
Umso mehr gewinnt die Menschenwürde höchste Bedeutung, zumal nicht klar ist, ob die KI sich letztlich als Segen oder als Fluch der Menschheit herausstellen wird. Häufig unterschätzt werden die Möglichkeiten, aber auch die Gefahren, die von dieser in immer weitere Bereiche des menschlichen Lebens vordringenden technischen Errungenschaft ausgehen. Dies gilt ins-besondere für die Gefahr der Selbstauslöschung der Menschheit, wie sie u.a. Ray Kurzweil, eher verharmlosend, als „Singularität“ für das Jahr 2045 voraussagt.21 Es gilt aber auch für die mannigfachen Quellen der Manipulation und des Versagens, die der KI, wie auch anderen Formen der Digitalisierung, innewohnen, z.B. durch Daten-Missbrauch, Fakes, Fehlinforma-tionen, technische Fehler, menschliches Versagen etc.. Rainer Mühlhoff schreibt dazu:
„KI ist also einerseits ein soziotechnisches Phänomen (wir alle sind Teil der Apparate) und beruht zugleich auf einer massiven Konzentration von Macht bei wenigen Tech-Konzernen, die exklusiven Informationszugriff auf uns haben. Diese Unternehmen verfügen über private Medien- und Dateninfrastrukturen, die sowohl neue Formen ka-pitalistischer Verwertung bzw. Extraktion als auch neuartige Mittel der Manipulation und Verhaltenslenkung ermöglichen. KI ist daher wesentlich eine Technologie zur An-sammlung, Sicherung und Ausübung von Macht und Kontrolle. Ohne staatliche Regu-lierung eignet sich diese Machttechnologie ideal für autoritäre oder gar faschistische Zwecke.“22
Wie der neue Faschismus geartet ist, beschreibt Mühlhoff ebenfalls. Er führt aus:
„KI-Technologie und techno-ideologische Managementprinzipien werden für einen antidemokratischen und antirechtsstaatlichen Umbau des Staatswesens genutzt. Dabei würde ein computerisierter, auf zentraler (und somit missbrauchsanfälliger) Datenspei-cherung und probabilistischem Entscheiden beruhender Verwaltungsapparat entstehen, der in der westlichen Welt ohne Beispiel wäre. Parallel dazu arbeitet die Trump-Regie-rung daran, ganze Wissenschaftsfelder – darunter die kritischen Geistes- und Kultur-wissenschaften – abzuwerten, finanziell kaltzustellen und die Wissenschaft als gesell-schaftliche Institution insgesamt zu diskreditieren. Das führt so weit, dass bereits wenige Monate nach Beginn von Trumps zweiter Amtszeit eine Abwanderung US-amerikanischer Wissenschaftler:innen ins Ausland zu verzeichnen ist, und das über alle Disziplinen hinweg – selbst in den Ingenieurwissenschaften.“ (a.a.O. S. 135)
Hinzu kommt die Tatsache, dass bei solcher Vereinnahmung der KI durch den Staat diesem nicht nur sämtliche KI-Daten – einschließlich der privaten – zur Verfügung stehen, sondern umgekehrt die Daten auch der Privatwirtschaft zufließen. Mühlhoff:
„Wir müssen davon ausgehen, dass es keine KI-basierte Digitalisierung des Staatswe-sens geben wird, ohne dass Daten in privatwirtschaftliche Hände fließen, wo sie ohne strenge Aufsicht und Regulierung zur systematischen Benachteiligung und Exklusion vulnerabler Bevölkerungsgruppen nicht nur durch den Staat, sondern auch durch die Privatwirtschaft eingesetzt werden können – wie schon jetzt etwa beim Credit Storing (wer erhält unter welchem Risiko einen wie hohen Kredit?), bei der Zuweisung von Pflegeheimplätzen oder der Bewilligung von lebenswichtigen Medikamenten oder Therapien durch private Krankenversicherungen.“ (a.a.O. S. 138)
Nicht weniger brisant erscheinen die Auswirkungen der KI auf dem Gebiet der Kunst. Catrin Misselhorn hält (2024) diesen Bereich nicht nur für besonders relevant, sondern für geradezu (über)lebenswichtig. Mehr denn je zuvor hätten wir es gegenwärtig nötig, „uns vermittelt über Kunst darüber klarzuwerden, wer wir sind und wie wir mit den neuen technischen Möglich-keiten leben wollen.“23 Umso gravierender sei die Gefahr, die von KI-erzeugter Fake-Kunst ausgeht. Denn diese
„kann ohne viel Aufwand und mit höchster Geschwindigkeit erstellt und über das In-ternet umstandslos weltweit an viele Menschen distribuiert werden. Auch die Ver-wendung der etablierten Verteilungswege schützt nicht vor der Invasion der KI-Kunst in die Kunstwelt, wie die Beispiele der preisgekrönten Werke zeigen. Doch wenn Fake-Kunst mit einem Mal massenhaft auftritt und wir auch wissen. dass dem so ist, dann ist unser Vertrauen, es mit einem echten Kunstwerk zu tun zu haben, wenn wir etwas sehen, das so wirkt, nicht mehr gerechtfertigt.“ (a.a.O. S. 124 f.)
Gegen Fake-Kunst Maßnahmen zu ergreifen, dürfte dringend erforderlich sein. Denn:
„Das Ende der Kunst droht im Unterschied zu Hegel nicht mehr deshalb, weil sie sich als Form menschlicher Selbstverständigung überlebt hätte. Entgegen Dantos Diagnose gelangt Kunst auch nicht erneut an die Grenzen ihrer Definierbarkeit. KI-Kunst stellt – anders als Warhols Brillo Box – nicht die Kunstdefinition in Frage, sondern die Kunst-praxis.“ (a.a.O. S. 127, letzte Hervorhebung K.R.).
Ein Ende der Kunst durch KI wäre auch gesellschaftlich eine Katastrophe. Denn das Politi-sche wird, wie C. Misselhorn erklärt, „nicht von außen an die Kunstpraxis herangetragen, son-dern liegt strukturell in ihr begründet.“ (S. 129) Darüber hinaus:
„Zudem eröffnet die Kunst die Möglichkeit, freundschaftliche Interaktion zumindest im metaphorischen Sinn über das Hier und Jetzt hinaus auf Personen auszudehnen, die man nie persönlich getroffen hat. Diese politische Seite kann auch als eine (wenn auch nicht die einzige) Begründung dafür verstanden werden, warum die Kunstförderung eine Aufgabe des Staates ist.“ (ebd.)
Wobei nicht mehr auszumachen ist, ob der Staat dieser Aufgabe stets gerecht werden kann, wenn er – z.B. zu diktatorischen bzw. undemokratischen Zwecken – mehr und mehr die KI für sich vereinnahmt, die – z.B. via Fake-Kunst – ihrerseits häufig negativ in die Kunstpraxis eingreift.
Wie kann und soll die Menschheit sich vor solchen Auswüchsen schützen? Sie kann es nicht, solange Unklarheit über die den Menschen auszeichnende Würde und damit die wahre Grund-lage seiner Identität besteht. Zu fordern sind daher verlässliche, nachprüfbare Begründungen der Menschenwürde. Hierzu müssen vor allem Wissenschaftler, Philosophen und Theologen befragt werden, Letztere jedoch nur, wenn es ihnen gelingt, Vermischungen von Glauben und Wissen zu vermeiden – was leider auch bei Philosophen wie Kant und Hegel nicht immer der Fall war.
Anthropologie – die „Ressource Mensch“
Angesichts der beschriebenen Lage erscheint es ratsam, sich auf die menschliche Natur zu besinnen, auch wenn deren Analyse wohl nie endgültig sein kann. Neue Erkenntnisse zwingen auch hier immer wieder zu neuen Überlegungen und Standortbestimmungen. Stets aufbauen kann man aber auf Faktoren wie Kommunikation, Kontakt und Kooperation, nachweisbar schon in der anorganischen Materie und in allen weiteren Seinsstufen bis hin zum individuellen Bewusstsein und zum gesellschaftlichen Sein; Grundlagen von Weiter- und Höherentwicklung.
Demgemäß gibt es auf die Frage, was der Mensch sei, mindestens drei einleuchtende Ant-worten: 1.) Der Mensch ist das, was er geworden ist; sein „Ge-wesenes“ ist sein Wesen. 2.) Er ist das, was er noch werden kann, noch nicht ist. 3.) Und das ist meine (vorläufige) Antwort: Er/sie ist Materie und Person zugleich. Bestimmbar daher sowohl materiell als auch geistig, sowohl vom „Gesamtumfang“ des Mensch-Seins als auch von der stofflichen und informa-tionell-entelechetischen Materie her. Wobei zu dem Gesamtumfang bekanntlich nicht nur das Körper-Sein und der Geist, sondern auch die Psyche, die Seele als Erlebnis-Grundlage, gehört. Der Versuch, die leib-seelische Einheit zu verstehen, ist oft unternommen worden und möglicherweise nie gelungen. Eine „endgültige“ Lösung kann es schon deshalb nicht geben, weil wir nicht wissen, welche Möglichkeiten, welches Noch-Nicht uns die Zukunft bescheren wird. Immerhin verhilft dialektisches Denken dazu, die prinzipielle Unüberschaubarkeit des Leib-Seele-Problems auf ein erträgliches Maß zu reduzieren und plausible Lösungsansätze bieten zu können, wie ich im Folgenden zu zeigen hoffe. Wobei ich natürlich auch auf die Antworten 1.) und 2.) zurückkommen werde, zurückkommen muss.
Zu Anwort 1.). Sie erheischt einen Rückgang in den Ursprung, den mutmaßlichen Anfang des Kosmos, zumindest aber zur materiellen Grundlage des menschlichen Seins – und damit zu der gigantischen Evolutionsgeschichte, die in uns, d.h. z.B. in unserem genetischen Erbe, nachwirkt. Schon auf subatomarer Ebene werden Informationen bzw. Strukturen vorgefun-den, die analysiert und als „bedeutsam“ interpretiert werden können. Es sind u.a. „dynamische Muster“ mit bestimmten Wellen-Funktionen bzw. raum-zeitlichen Symmetrien und Asym-metrien, denen Physiker bereits Zwecke zuordnen können.24
Eine Teleonomie, die sich in den Atomen in der Entwicklung des periodischen Systems der chemischen Elemente niederschlägt, wobei „syntaktische Zuordnungsprinzipien“ vorzuherr-schen scheinen.
Wie molekulare Codierung funktioniert, zeigt sich in der speziellen Semantik der genetischen Codes und damit des Lebens selbst, das zugleich das biologisch-materielle Substrat der natürlichen Wort-Sprachen enthält. Wiederum wirken Assoziations- und Zuordnungsprinzi-pien, die ein „Prinzip von Höherentwicklung und Transcodierung“ enthalten (a.O. S. 22). Und aus DNS-Molekülen bestehen auch die Pflanzen und die Lebewesen. Im Verhalten der Menschen führen die außerordentliche Vergrößerung des Neocortex und die Ausbildung des Bewusstseins u.a. zu immer besseren Formen des sprachlichen Ausdrucks und dessen Kom-munikation. Wobei primär bedeutsam allerdings nicht die bloße Kommunikation gewesen zu sein scheint, sondern die „ Konstruktion eines kohärenten Weltbildes, zusammengesetzt aus unterschiedlichen Sinnesmodalitäten“ (a.O. S. 29). Träger, Muster und Bedeutung sind Grundelemente jeglicher Sprache, wobei für die Entwicklung der Psyche bereits die Zell-sprache, d.h. die „Zeichengebung in den Zellen“ als maßgeblich gilt (ebd.). So dass sich erneut das Leib-Seele-Problem als Kernfrage der Anthropologie erweist.
Pionierarbeit hat hierzu die US-amerikanische Biomedizinerin Candace B. Pert (2001) geleistet. Um jeglichen Dualismus zu vermeiden, analysiert sie „das gesamte zelluläre (bzw. energetische) Geschehen in lebenden Organismen als dynamisches Informations-Geschehen “. Wahre Vermittlung zwischen Materiellem und Immateriellem erfolge dabei durch die Gefühle, repräsentiert u.a. in Neuropeptiden, die für die „informationelle Interaktion“ zwischen den Körperzellen und u.a. auch zwischen Psyche und Immunsystem sorgen. Es ist eine Einheit, die Pert auch als „Körpergeist“ bezeichnet, eine Definition, die mich jedoch nicht überzeugt, zumal man den Geist im Menschen mit Schelling als dialektische Subjekt-Objekt-Beziehung oder mit Gregory Bateson als „die Welt der Informationsverarbeitung“ verstehen kann, so dass sich der verwirrende Begriff „Körpergeist“ durch den der Körper-Geist-Information ersetzen lässt.
Woraus ich allerdings eine neue Hypothese zur Lösung des Leib-Seele-Problems ableite. Dialektisch-materialistisch analysierbare Information vermittelt zwischen Leib und Seele; dialektisch durchaus mit Schellings Subjekt-Objekt; dialektisch-materialistisch, weil Informa-tion auf der Basis der neurowissenschaftlich erklärbaren Trias Träger – Muster – Bedeutung als In-Form-Setzung verstanden werden kann. Das Gehirn – indirekt also der ganze Körper – dient als Träger von neuronal bestimmbaren (synaptischen) Mustern, die ihrerseits Träger von Symbolik sind, z.B. in sprachlichen und nicht-sprachlichen Bedeutungen.
Außerdem kann Information qua Kommunikation auch als ein Verhältnis von Subjekt-Objekt, Objekt-Subjekt verstanden werden. Was mich schließlich zu der Folgerung veranlasst hat: „Dialektik als Einheit von Identität und Nicht-Identität betrifft voll und ganz die leib-seelische Befindlichkeit des Menschen, wobei Grenzen der Erklärbarkeit, z.B. außerhalb der von Empfängnis und Tod begrenzten leib-seelischen Identität des Menschen, erkennbar werden. Anfang und Ende des Ganzen, dessen Teile wir sind, kennen wir ohnehin nicht. Damit sind auch die Grenzen benannt, in denen sich eine dialektisch-materialistische Theorie der leib-seelischen Existenz des Menschen bewegen kann.“25 – Überschaubar ist also nicht die Person als Ganze (Mouniers „volume total de l‘homme“), wohl aber ein Kern-Aspekt ihrer leiblich-seelischen Verfasstheit, ihrer „Grundbefindlichkeit“. Das Ganze des Person-Seins analysieren zu wollen, dürfte ohnehin ein aussichtsloses Unterfangen sein.26 Möglich ist jedoch eine Dis-kussion der Problematik im Rahmen einer
Theorie der Menschenwürde
Die zahlreichen hierzu bereits vorhandenen Abhandlungen hier zu referieren und zu disku-tieren, würde den Rahmen des Obigen sprengen. Übersichten vermitteln u.a. die Artikel
Menschenwürde auf dem Prüfstand (2007, https://www.jstor.org>stable>pdf) sowie
Heiner Bielefeldt: Menschenwürde. Der Grund der Menschenrechte, Berlin 2008, https://www.institut-fuer menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/studie_men-schenwuerde_2008.pdf.
Religiöse Begründungen?
In der Präambel des deutschen Grundgesetzes gibt es den sogenannten Gottesbezug. Er lautet:
„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
In der einschlägigen Sekundärliteratur wird mit diesem Gottesbezug durchweg auch die Men-schenwürde begründet, obwohl dies dem Text des Grundgesetzes nicht zu entnehmen ist. In Art. 1 GG heißt es – eher lapidar – die Menschenwürde sei „unantastbar“. Nicht erklärt wird dabei jedoch, worauf diese Unantastbarkeit beruht und wie sie zu begründen ist, und dies trotz des erwähnten Gottesbezugs in der Präambel.
Die renommierte Religions- und Politik-Wissenschaftlerin Tine Stein (geb. 1965) kommt zu dem Schluss, das Fundament der Aussage von Art. 1 GG über die Menschenwürde sei „nicht in einer empirischen Anthropologie zu suchen, sondern in dem Unbedingten einer transzen-dent („göttlich“) bestimmten Natur des Menschen oder einer transzendentalen Vernunftnatur … .“2 7 Tatsächlich geht T. Stein auf mögliche anthropologisch-empirische Begründungen der Menschenwürde fast gar nicht ein, referiert aber ausführlich die bekannten biblischen Mythen, in denen Glaube und Wissen immer wieder vermischt werden. Und auch philosophisch geht sie über die christlich inspirierten Denker Kant und Hegel kaum hinaus. Sie schreckt auch nicht davor zurück, die phantastischen Erzählungen der Genesis über Adam und Eva – Gott-ebenbildlichkeit – die Schlange – den „Sündenfall“ – Kain und Abel usw. ausgiebig heranzu-ziehen. Dazu schreibt sie:
„Was man auch tut, wer man auch ist, die unhintergehbare Auszeichnung der besonderen Würde als von Gott verliehenes Geschenk kann kein Mensch verlieren. Weder indem bestimmte Menschen anderen Menschen die Würde meinen absprechen zu können, noch durch eigene Taten. Denn jeder Mensch bleibt das Geschöpf Gottes und sein Ebenbild, auch wenn der gefallene Mensch die mit der Ebenbildlichkeit auf-gegebene Bestimmung zum Gut-sein als einer sittlichen Freiheit verfehlt hat. Aber dieser Mensch wird nicht aufgegeben, sondern bleibt aufgefordert, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen, zu bereuen und sich zu ändern.“ (a.a.O. S. 175)
Was zweifellos auch den Kern der christlichen Moral einbezieht. In Christus entstehe diese Moral durch die Menschwerdung Gottes, Jesu irdisches Wirken und nicht zuletzt durch den „Opfertod am Kreuz“. Und:
„In seiner Hinwendung zu den gesellschaftlich Schwachen gibt Jesus ein Beispiel, was die einzelnen einander als Menschen schulden sollen. Die Vorstellung, dass alle Men-schen Kinder Gottes sind, begründet nicht bloß eine kategoriale Gleichheit unter den Menschen, sondern auch eine geschwisterliche Verantwortungspflicht für den Näch-sten. Mithin liegt in der Ebenbildlichkeit als der gleichen Geschöpflichkeit auch ein Gebot für das soziale Miteinander begründet. Die Menschwerdung Gottes bezeugt zudem den unendlichen Wert eines jeden Individuums, für dessen Erlösung Jesus Christus am Kreuz den Opfertod erleidet … .“ (S. 176)
Der Wert des Individuums geht hier völlig in der Begründung durch einen bestimmten Glaubensinhalt auf – was zugleich ein weiteres erhellendes Beispiel für eine (unzulässige!) Vermischung von Glauben und Wissen darstellt; denn dem Individuum kommt empirisch nachweisbare Realität zu, dem Glaubensinhalt nicht !
Auch der Philosoph Kant vermag offenbar nicht, sich diesem Sog der tradierten Religion zu entziehen. Denn er sieht zwar zu Recht den „Geltungsgrund der Menschenwürde“ in der „Fä-higkeit des Menschen zur sittlichen Autonomie“ und versteht diese sogar als absoluten Wert, den er u.a. auch durch die Zweckformel des Kategorischen Imperativs abzusichern versucht, beantwortet aber trotzdem die Frage nach der Fundierung dieser Ethik mit der „Unbegreif-lichkeit dieser eine göttliche Abkunft verkündigenden Anlage“ – und unterwirft somit sein Gedankengebäude letztlich der christlich-religiösen Tradition, und zwar auch und gerade, wenn er einräumt, dass dies „unbegreiflich“ sei.28 Hierzu erklärt T. Stein:
„Die in den biblischen Erzählungen grundgelegte und in der christlichen Theologie begrifflich erstmalig entfaltete Idee einer in der sittlichen Freiheit der Person gründen-den Würde, die unbedingt zu verstehen ist, mithin auch jedem Menschen als Mensch zukommt und unverlierbar ist, ist in der vernunftmetaphysischen Vermittlung durch Kants Philosophie in das Grundgesetz eingegangen.“ (a.a.O. S. 179)
Woraus sich für die Autorin zwangsläufig das bereits zitierte Resultat ergibt, dass für die Begründung der Menschenwürde nicht eine empirische Anthropologie, sondern „das Gött-liche“ zuständig sei.
Worüber allerdings auch der Kant-Kritiker Hegel letztlich nicht hinausgekommen ist, wie Henning Ottmann in seiner Abhandlung über ‚Athen und Jerusalem – eine Umwertung anti-ker Werte durch das christliche-jüdische Denken?‘ feststellt.29 Hegel knüpft an ein Paulus-Wort an, indem er erklärt: „ Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katho-lik, Protestant, Deutscher, Italiener u. s. f. ist.“30 Die „christliche Verheißung von Freiheit und Gleichheit“ ist für Hegel geschichtliche Wirklichkeit geworden. In ihr sei, wie Ottmann er-klärt, „die Geschichte der Subjektivität … zu einer protestantischen Erfolgsgeschichte“ ge-worden. Und: „Ein gerader Weg führt von der Reformation zur Revolution.“ (a.a.O. ebd.)
Kritische Anmerkungen
a) negativ
Im Parlamentarischen Rat wurde 1949 der Vorschlag gemacht, die Menschenwürde gemäß der jüdisch-christlichen Tradition zu begründen. Dieser Vorschlag fand jedoch im Rat keine Mehrheit. Umso erstaunlicher wirkt die Tatsache, dass immer wieder auch renommierte Theoretiker sich auf die Religion berufen, um die Menschenwürde zu begründen (s.o. T. Stein, H. Ottmann). Dies ungeachtet der Tatsache, dass dabei unbestreitbare Grundsätze der Wissenschaftlichkeit, der Erkenntnistheorie und der Ethik missachtet werden. Denn anschei-nend werden in jeder Religion Glauben und Wissen in wissenschaftlich unzulässiger Weise vermischt, auch und gerade in Bezug auf die Menschenwürde; so jedenfalls in der jüdisch-christlichen Tradition.
Im Einzelnen:
Die Genesis-Erzählungen sind durchweg pure Erfindungen, in denen mangelndes Fakten-wissen durch Glaubensinhalte ersetzt wird. Den Nachweis hierüber hat nicht zuletzt Charles Darwin mit seinen Forschungsergebnissen erbracht. Vor dem Menschen hat es in der Evolu-tionsgeschichte Materie, Pflanzen und die Tiere gegeben, aus denen der Mensch sich ent-wickelt hat – wovon in der Genesis nirgendwo die Rede ist. Dem Menschen „Gotteben-bildlichkeit“ zuzusprechen, ist abwegig, weil weder die Existenz noch die Nicht-Existenz Gottes beweisbar ist.
Gleiches gilt für den Schöpfungsbericht. Einen „Sündenfall“ hat es mit Sicherheit nicht gegeben. Wir leben nicht mehr im Paradies, können hierfür aber – empirisch – keine göttli-chen Willen verantwortlich machen. Im Alten Testament gehen Glaube und Wissen immer wieder ineinander über. So bei Mose, der angeblich nicht nur – auf „Gottes Befehl“ hin – das Volk Israel aus Ägypten ins Gelobte Land geführt, sondern auch von Gott die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten ausgehändigt bekommen hat. Ähnlich bei Abraham der – wiederum auf „Gottes Befehl“ hin – seinen Sohn zunächst „opfern“ soll und dann aber doch wieder nicht.
Analoges zeigt sich in den Glaubenslehren Jesu, die teilweise an die altjüdische Tradition an-knüpfen. Eine ihrer zentralen Aussagen lautet: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Wege sind durchweg irdisch, Jesus ver-bindet sie aber mit dem Weg zu seinem „himmlischen Vater“ und gibt dies als die Wahrheit, folglich als Absolutum aus, was sich als unhaltbar herausgestellt hat. Auch „das Leben“ kennt man in der Realität als irdisches; bei Jesus kommt das „Ewige“ Leben hinzu, vermittelt durch den „Vater“, von dem Jesus behauptet, er selbst sei dessen einzig möglicher Vermittler – ob-wohl dies durch die anderen Religionen und insbesondere durch die vorgängige jüdische mas-siv in Frage gestellt wird.
Als Bindeglied zwischen Jesus und dem Grundgesetz gilt Kants Philosophie (s.o. T. Stein). Woher aber rührt das „Unbegreifliche“ dieser Philosophie und somit der Verlust ihrer Plausi-bilität? Hierzu konnte ich nachweisen: Kant leugnet das An-sich, nämlich die Materie als Grundlage der Realität. Stattdessen operiert er mit der transzendentalen Reflexion, die er – wiederum in einer Vermischung von Glauben und Wissen – mit der Transzendenz des Abso-luten, i.e. mit Gott verbindet. Eine Verbindung, mit der er auch die unbedingte Gültigkeit des Kategorischen Imperativs sicherstellen will. Wie dies möglich sein soll, hält er aber für „un-begreiflich“ (wohl wissend, dass das göttliche Absolute nicht nachweisbar ist!).31
Viel weiter ist auch der Kant-Kritiker Hegel nicht vorgedrungen. Anders als Kant will er das Problem des An-sich durch sein Konstrukt eines dialektischen „An-und-für-sich“ lösen, ver-absolutiert dabei aber letztendlich das Für-sich, d.h. die eigene Subjektivität, und zwar durch apodiktische Konstrukte wie den „Absoluten Geist“ und das „Absolute Wissen“ – wohl wis-send, dass er damit erneut Glauben und Wissen vermischt – was er in seiner Abhandlung über ‚Glauben und Wissen‘ vehement zu rechtfertigen versucht. Wie und warum aber der Geist des Menschen immer schon aus dem höchsten, d.h. aus dem Geist Gottes hervorgegangen sein soll, vermag auch Hegel nicht zu erklären.
Ferner: Ob die Geschichte des Kapitalismus „aus dem Geist des Protestantismus“ wirklich eine „Erfolgsgeschichte“ war, ist zumindest fraglich. Jedenfalls wurde der „Weg von der Re-formation zur Revolution“ durch eine Vielzahl negativer Faktoren und Ereignisse verdüstert. Angefangen bei dem Reformator Luther mit seiner Buchstabengläubigkeit, seinem Antisemi-tismus, seiner Opposition gegen den berechtigten Aufstand der Bauern 1525, seiner (größten-teils von Augustinus übernommen) „Erbsünden“-Lehre, seiner Frauenverachtung usw. Weder Luther noch die Französische Revolution waren in der Lage, die kapitalistische Klassengesell-schaft zu beseitigen und durch ein Reich der Freiheit zu ersetzen. All dies wirkt bis heute nach, stellt die Menschenwürde teilweise massiv in Frage.
b) positiv
Glücklicherweise ist damit nicht das letzte Wort der Geschichte gesprochen. Vielmehr: Audi-atur et altera pars. Auch die Gegenseite möge angehört werden, gemäß einer alten Devise der Justiz. Tatsächlich findet sich bei den genannten Autorinnen und Autoren, bzw. auf den genannten Gebieten von Philosophie und Religion, nicht nur Negatives, Inakzeptables, son-dern auch viel Positives, Aufbauendes. Insbesondere dort, wo nicht Glauben und Wissen ver-mischt, sondern Nachprüfbares, auf überprüfbaren Fakten und Erkenntnissen Beruhendes dar-geboten wird.
So schon im Falle der Zehn Gebote. Nur in den ersten drei Geboten gibt es einen klaren Gottesbezug. Zwar spricht „Gott“ auch in den Geboten 4 bis 10, er könnte aber unschwer durch eine andere Koryphäe – wie z.B. Mose oder Abraham – ersetzt werden. Die Forderun-gen: die Eltern zu ehren, nicht zu töten, ehebrechen, stehlen, verleumden, den Mitmenschen ihr Hab und Gut streitig zu machen – sie sind weithin in die Gesetzbücher und in die geschrie-benen und ungeschriebenen Sittengesetze der Völker eingegangen. Menschenwürde ist ohne Befolgung dieser ethischen Forderungen nicht möglich. Anerkannt werden sie allenthalben, befolgt nicht immer.
Ähnlich im Falle Jesu, insoweit er an die mosaische Aufforderung zur Nächstenliebe anknüpft und daraus sogar ein neues, elftes Gebot ableitet. Jesu Lehre von der Gleichheit aller Menschen vor Gott impliziert nicht nur die Gleichheit vor dem Gesetz, sondern auch Willens-freiheit und liebevolle Solidarität: „Was ihr getan habt diesem einen meiner geringsten Brü-der, das habt ihr mir getan!“ Womit Jesus klar zu Gunsten der Ärmsten der Armen, der Elen-den, unter Not und Ausbeutung Leidenden Stellung bezieht. (Was einige illustre Geister, unter ihnen Nietzsche, zuweilen nicht beachtet haben.)
Auch Kant und Hegel, die angeblichen Vermittler zwischen Transzendenz und Grundgesetz, haben Wertvolles zum Verstehen der Menschenwürde beigetagen. Gescheitert ist zwar Kants Versuch, den Kategorischen Imperativ als Ganzen für absolut gültig zu erklären, die Zweck-formel dieses „Imperativs“ hat sich jedoch als nach wie vor relevant erwiesen: Man soll keinen Menschen nur als Mittel zum Zweck, sondern jeden stets als Selbstzweck, d.h. als Rechtsperson behandeln.32
Auch ohne „Gottebenbildlichkeit“ gibt es einen Kern des Menschen und des Menschlichen, der auf jeden Fall allseits zu schützen ist. Ohne Recht und Gerechtigkeit gibt es keine Men-schenwürde. Dazu bemerkt Theo Kobusch:
»Deutlich geht das aus jener Philosophie hervor, die den Begriff des Menschen als Menschen zum ersten Mal ins Zentrum des Denkens rückte. … Der „homo moralis“ ist der eigentliche Mensch, der Mensch als Mensch. Es ist eine der großen Errungen-schaften des Naturrechts, diese Abstraktion, oder wie Wolff selbst sagt, diese nützliche Fiktion des moralischen Menschen, d.h. des Menschen als Menschen oder des Men-schen als eines Freiheitswesens geleistet zu haben und die Bestimmungen zu benen-nen, die ihm als solchem zukommen (Wolff, Ius naturae § 70). Das dem Menschen als Menschen zukommende Recht muss ein angeborenes, universales Recht sein, denn es ist nicht abhängig von irgendeinem hinzu erworbenen Status oder vom Alter oder von Umständen anderer Art, sondern „was dir ein angeborenes Recht ist, dasselbe ist es auch für mich“ (I, § 31).«33
Hegel s Beitrag hierzu liegt nicht zuletzt in seinen Bestimmungen des menschlichen Bewusst-seins. Diese leitet er u.a. aus Wahrnehmung und Verstand ab, lässt sie wirksam werden im Selbst-Bewusstsein und in dessen Anerkennung bei allen Menschen, ferner im Zugang zur Vernunft und zu allen möglichen dialektischen Bezügen zwischen Subjekt und Objekt (bzw. Für-sich und An-sich), undenkbar ohne die von Hegel selbst entwickelte Methode der Dialek-tik. (Die Bestimmung des Geistes als Dialektik von Subjekt und Objekt gibt es allerdings schon bei Schelling.)
Ferner: Unbestreitbar ist wohl die Tatsache, dass der von Hegel beschworene Geist des Kapi-talismus aus dem Geist des Protestantismus der Menschheit keineswegs nur Elend beschert hat. In unvergleichbarer Weise wurden im Kapitalismus die materiellen, ökonomischen und geistigen Ressourcen aktiviert, dabei weite Teile der Bevölkerungen von Armut und Elend be-freit. (Jüngstes schlagendes Beispiel: der Aufschwung Chinas seit Deng s Reformen im späten 20. Jahrhundert!) –
Unberührt davon bleibt allerdings die Tatsache, dass der Kapitalismus, zumal in seinen neoli-beral-globalisierten Dimensionen, bisher nicht in der Lage war, die zunehmende Verschär-fung der sozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten und mit ihnen die Klassengesell-schaften und die „Dauerkrise des Kapitalismus“ (Marx) zu beenden. Ebenso unbestreitbar ist auch die Öko-Krise, d.h. Tatsache, dass der Kapitalismus Natur und Umwelt weiterhin nach-haltig schädigt.
In der Sekundärliteratur relativ wenig beachtet wurde die Tatsache, dass Ernst Bloch die Idee der Menschenwürde wesentlich bereichert hat, so mit seinen Konzepten des Aufrechten Gangs, der Gelehrten Hoffnung, der Veränderungsethik, der Allianztechnik mit der Natur und der Konkreten Utopie (dazu auch: Schein und Vorschein in der Kunst). Grundlegendes findet sich zudem in seinem Werk Naturrecht und menschliche Würde (1961/1977), und zwar vor allem in folgenden Äußerungen:
1. „Vom Kern der Freiheit. Freisein bedeutet zunächst, daß einem Menschen nichts mehr von außen her aufgetragen wird. Er ist vielmehr in den Stand gesetzt, zu tun, was er zu tun gewillt ist, was ihm sein eigener Wille zu sein scheint. Die psychologische Freiheit des Willens ist hierbei nur in der Art vorausgesetzt, als dem Menschen die Kraft zugestanden wird, zwischen widerstreitenden Antrieben wählen zu können. Sie ist als diese Wahlfreiheit vorausgesetzt, nicht etwa als Erzeugungsfreiheit, dergestalt, daß der freie Wille aus kausalen Zusammenhängen austreten oder gar sie zerreißen könnte. Die Nötigung durch kausale Umstände besteht, der menschliche Entscheid ist, auf die verschiedenste Weise, organisch wie sozial determiniert; jedoch: auch die vorhandene Person ist eine kausale Nötigung. In dieser letzteren aber liegt das zureichende Moment zur Wahlfreiheit, dann nämlich, wenn die Nötigung des subjektiven Faktors die Nötigung durch andere Umstände überwiegt.“ (a.a.O. S. 176 f.)
2. „Ist doch – was überhaupt noch bei keinem der bisherigen Freiheitsbegriffe expliziert wurde – Freiheit in jeder Schicht als Wahl-, als Handlungsfreiheit, als ethische und re-ligiöse, überhaupt nur contra fatum fundierbar, also in Sicht einer noch offenen, noch nicht zu Ende determinierten Welt.34 Von daher auch der ständig revolutionäre Akzent in der Freiheit, von daher ihre wesentliche Unvereinbarkeit mit geschlossener Deter-miniertheit (als in welcher es ja auch keine subjekthaft-eingreifenden Determinanten geben könnte, keine Wahl-, gar Handlungsfreiheit). Nur parziale Determiniertheit der Welt, noch ungeschlossene Möglichkeit also, macht Freiheit in der Welt selber möglich.“ (a.a.O. S. 186)
3. „Als letztlich freies wurde stets ein Leben jenseits der Arbeit gemeint. Was aber damit erstrebt war, erschien nur als Traum an den geschichtlichen Rändern. Rückwärts im Zeitalter, das deshalb ein Goldenes genannt wird, vorwärts im Reich der Freiheit. Das Recht auf ein solches Leben klingt daher zweifellos utopisch, so wurde auch Natur-rechtliches insgesamt, als sozusagen Freischwebendes, zuweilen eine Rechtsutopie genannt.“ (S. 233)
4. „Das naturrechtliche Anliegen war und ist das Aufrechte als Recht, so daß es an den Personen geehrt, in ihrem Kollektiv gesichert werde. Und wenn die Person nur eine wäre, um die Würde des Menschen in ihr zu ehren, so ist auch diese tragend umfas-sende Würde Quintessenz am Naturrecht genug. Das genau im Sozialismus, indem er sich auf Person und Kollektiv gleich gut verstehen möchte und das eine im anderen – fern vom genormten Massenmenschen, nahe zur unentäußerten Solidarität – enthalten zu machen hat.“ (S. 237 f.)
5. „Moral ideologiefreien Stils, nämlich endlich klassenlos intendierte, ist zu gut, um dem radikalen Naturrecht auszuweichen, zu zentral, um es zu ersetzen. Das radikale subjektive Naturrecht und sein Anspruch: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen, das radikale objektive Naturrecht: Solidarität, diese reichen zum Steuer der Rechte postulativ aus, werden konkret ausreichen.“ (S. 269)
6. „ … es gibt keine Ausführung (Herausführung) der Moral ohne gleichzeitige Verän-derung im Verhältnis der Menschen zu den Produktionsmitteln, also ohne Bestreben zur institutionellen Abschaffung des Eigennutzes, dieses amoralischen Erbfeinds. Aber auch: Gerade Politik, die diese Bedingungen zur menschlichen Reinheit schaffen will, wird eben als solche keinen Schritt tun können, ohne ihr human Rechtes mit dem human Sittlichen in intentionierter Übereinstimmung zu erblicken. Jeder wechsel-seitige Ersatz von Politik und Moral ist unecht, wohl aber gilt: Moral, damit sie ohne Heuchelei und Ideologie sein könne, verlangt den Bau des öffentlich Rechten, und dieser Bau hat nicht nur sein Richtfest, sondern seine notwendig präparierende Heimbildung selber in der Moral.
Hier also muß neu verknüpft werden, in Sachen des zu erringenden Rechten wie Guten.“ (S. 274)
7. „Radikales Naturrecht setzt menschliche Freiheit in möglich gewordener Solidarität, echte Moral intendiert auf dem Weg zu solcher Herstellung wie im glückenden klas-senlosen Zustand selber auf die Lichtung jener Art menschlicher Entfremdung und Ungefundenheit, die nicht nur oder nicht mehr aus der Klassengesellschaft stammt. Das positiv vorhandene Recht freilich wird primär vom radikalen Naturrecht revoluti-onär »berichtigt«, gerichtet; echte Moral sagt dazu Ja und hält das Amen offen.“ (S. 276)
Außerdem lässt sich Folgendes konstatieren: Das Grundgesetz enthält keine Begründung, wohl aber Ansätze zur Erklärung der Menschenwürde. In Art. 2 GG werden die Freiheit der Person und die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert. Was aber ist die Person? Wer ist eine Person? Für Emmanuel Mounier ist es „le volume total de l’homme“, ‚der ganze Umfang des Menschen‘. Da aber „das Ganze“ unüberschaubar geworden ist, sind weitere Bestim-mungen von Merkmalen und Eigenschaften des Person-Seins erforderlich: Als Person ist der Mensch zugleich Individuum und zoon politikon, geselliges Gemeinschaftswesen. Und dies wohl auch auf Grund der Tatsache, dass schon der ungeborene Mensch in inniger Gemein-schaft mit einem anderen Menschen, seiner Mutter, lebt und heranwächst, ausgestattet mit dem genetischen Erbgut seiner Eltern.35
Unabdingbare Voraussetzung für jegliche Entwicklung der Person und der Persönlichkeit ist aber die Herausbildung des Selbst von der frühen Kindheit an. Erst das Selbst schafft Be-wusstsein auf der Grundlage u.a. von Wahrnehmung, Gedächtnis, Verstand und Selbst-bewusstsein und damit den Zugang zu allen Ressourcen der Vernunft und des Geistes. Nietzsche hatte dieses Selbst irrtümlich noch mit dem Leib gleichgesetzt. Warum er sich damit im Irrtum befand, geht vor allem aus den Forschungsergebnissen hervor, die der Neuro-wissenschaftler Joachim Bauer u.a. in seinem Buch Wie wir werden, wer wir sind (2019) vorgetragen hat.
Zur vollen Ausbildung, Konkretisierung und Erprobung kann die schon vorgeburtlich vorhan-dene Menschenwürde – und mit ihr die Freiheit der Person und die freie Entfaltung der Persönlichkeit – erst im Erwachsenenalter gelangen. Es ist ein Prozess, der nicht immer pro-blem- und reibungslos verläuft. Immerhin konnte ich mir schon 2003 Klarheit darüber ver-schaffen, was man unter einer Person verstehen kann. In der Zusammenfassung:
1. Der Mensch ist Person, d.h. zunächst gemäß den ursprünglichen, aus panim, phersu und prósopon hervorgegangenen Bedeutungen des lateinischen Begriffs persona. Das hebräische, schon im Alten Testament verwendete panim bedeutet „sowohl das Gesicht des Menschen als auch die Vorderseite unbelebter Gegenstände“. Etruskisch phersu: „Maske, Schauspieler, Maske des Schauspielers“. Altgriechisch prósopon: „Gesicht, Angesicht, Antlitz; a) Miene(n), Blick, Auge, Aussehen, Gestalt; Ober-fläche, b) Maske, Rolle, c) Person“.36
2. Als solche kann die Person aufgefasst werden als ein Wesen mit aufrechtem Gang, das seinen Artgenossen als Mitmenschen begegnet bzw. begegnen kann.
3. Die Personalität des Einzelmenschen beginnt mit dem Augenblick der Empfängnis (Zeugung), allerdings zunächst in vorpersonaler Form.
4. Person als Charakter: individuelle Prägung (Geprägtheit) schon durch den individuel-len genetischen Code.
5. Die Person ist u.a. Teil der Natur und als solche mit bestimmten Umwelt-Situationen konfrontiert.
6. Die Herausbildung der vollen Personalität ist an die Entwicklung von Bewusstsein, Sprache und Erkenntnisfähigkeit (nicht nur im Sinne „reflexiver Rationalität“) gebun-den.
7. Die voll entwickelte Person ist zugleich voll entwickeltes Subjekt und daher in hohem Maße fähig zu Objekt-Bezügen (Sachbezogenheit), Objektivität, Sachlichkeit und dia-lektischen Subjekt-Objekt-Bezügen.
8. Personen sind zugleich natürliche und geistbestimmte Wesen.
9. Personalität ist nicht durch vollständige Determinierung, sondern durch relative Frei-heit gekennzeichnet.
10. Volle Personalität kann ein kosmisches Bewusstsein beinhalten.
11. Personen sind durchweg auch religiös bzw. zumindest durch den Bezug zu einer Art von Ehrfurcht vor Natur, Leben und Geist bestimmbar. Menschenwürde kann und muss jedoch nicht religiös begründet werden; sie kommt sowohl den Gläubigen als auch den Nicht-Gläubigen zu.
12. Personales Bewusstsein führt zur Achtung vor der als Leiblichkeit bestimmbaren Körperlichkeit des Menschen.
13. Ebenso zur Achtung vor der leib-seelischen Identität und Individualität der Person und damit vor der Person als Rechtsperson.
14. Unklar ist, wann der Status der Rechtsperson beginnt (in Frankreich potenziell bereits nach der 22. Schwangerschaftswoche, in Deutschland zum Zeitpunkt der Geburt).
15. Ebenfalls unklar ist, ob nicht nur Embryonen, sondern auch Genetische Programme rechtlichem Schutz zu unterstellen sind.
16. Personalität bedeutet Mitmenschlichkeit, d.h. Kommunarität im Sinne von Fähigkeit zu Gemeinschaft, Gemeinschaftlichkeit und Solidarität – statt Isolation, Ausgrenzung oder gar „räuberischer Vereinzelung“.
17. Als Rollenträger/in: Funktionen in Familie, Gesellschaft, Beruf, Freizeit, Staat, öffent-lichem Leben, und zwar als Rechtspersonen.
18. Die Person verfügt über relative Willens-, Entscheidungs-und Handlungsfreiheit. Relativ, d.h. bedingt und begrenzt, ist ihre Freiheit durch die ihrer Mitmenschen. Inso-fern verfügt die Person auch über das Recht auf Selbstbestimmung.
19. Problematisch scheint es, den Geltungsbereich des Personenbegriffs über den der Menschen hinaus auszuweiten (auch wenn damit gängige Kollektivbezeichnungen wie die der Juristischen Person nicht in Frage gestellt werden).
20. Person-Sein bedeutet Verantwortung und Verantwortlichkeit im Sinne einer ge-schichtsbewussten Ethik, die u.a. mit Kants Kategorischem Imperativ – wenn auch nicht in dessen universalistischer Grundform, so doch in seiner personenbezogenen (personalistischen) Zweckformel – durchaus vereinbar ist.
21. Kreativität: freie Entfaltung der Person und der Persönlichkeit.
22. Fähigkeit zur Sinnstiftung: Personen vermögen es, Sinn zu stiften, z.B. dadurch, dass sie objektiven (bzw. verborgenen) Sinn erkennbar werden lassen.
23. Person = „Maske“, letztlich aber nur im Sinne eines „Noch-Nicht“ der Utopien, die wir selbst durch möglichst freie, schöpferische Tätigkeit in unseren Verbindungen mit Natur, Kunst, Technik, Politik und Geschichte gestalten können.
24. Keine Politik ohne Moral. „Jeder wechselseitige Ersatz von Politik und Moral ist unecht, wohl aber gilt: Moral, damit sie ohne Heuchelei und Ideologie sein könne, verlangt den Bau des öffentlich Rechten, und dieser Bau hat nicht nur sein Richtfest, sondern seine notwendig präparierende Heimbildung selber in der Moral. … Das positiv vorhandene Recht freilich wird primär vom radikalen Naturrecht revolutionär »berichtigt«, gerichtet; echte Moral sagt dazu Ja und hält das Amen offen.“ (Bloch, s.o.)37
Durch einen solchen Personen-Begriff lässt sich die Menschenwürde konkretisieren.
Zum Verhältnis von Person und Persönlichkeit
Der Begriff Person wurde durch den der Persönlichkeit erweitert. Dies birgt jedoch die Gefahr in sich, dass der Mensch auf seine Individualität bzw. sogar auf seine individuelle Tüchtigkeit reduziert wird, was beim Begriff Person nicht der Fall ist (s.o.). Der Begriff Person kann nicht durch den der Persönlichkeit ersetzt werden. – Einen Überblick bietet u.a. der Wikipedia-Artikel ‚Persönlichkeit‘, in dem allerdings ein umfassender, neurowissenschaftlich geprägter Beitrag fehlt, der von Gerhard Roth (1942-2023): Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern. Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten (Stuttgart 2007/2019). Roth leugnet darin allerdings die Willensfreiheit, die er durch einen „Motivdeterminismus“ zu ersetzen versucht; was durch andere, einschlägige Forschungsergebnisse widerlegt wird (vgl. u.a. Libet 2005, Kiefer 2015).
Höher als die Selbstzweck-Gebundenheit der Person veranschlagt Kant die rationale Selbst-Gesetzlichkeit der Persönlichkeit. Die Person lebt demnach sozusagen von ihren eigenen Zwecken, die Persönlichkeit gemäß ihren eigenen Gesetzen, vermittelt durch den Kategori-schen Imperativ als Ganzem. – Zu bedenken ist hier aber, wodurch die Person zur Persönlich-keit wird, nämlich nicht nur durch Zwecke und Ziele, sondern auch und vor allem durch den Einsatz bestimmter Mittel, wie z.B. Können, Wissen, Erkenntnis-, Kommunikations-, Kon-takt- und Redefähigkeiten, Durchsetzungsvermögen, Raffinesse u.a.m. Benutzt eine Person eine andere Person ausschließlich als Mittel zum Zweck, macht sie sich, so Kant, schuldig, und zwar sowohl der anderen als auch der eigenen Person gegenüber. Als Persönlichkeit steht die Person allerdings in erhöhter Gefahr, insofern schuldig zu werden, weil u.a. durch steten, routinemäßigen Umgang mit bestimmten Mitteln – z.B. der „Amtsautorität“ – Vorgesetzten und anderen „Autoritäten“ nicht selten das Gespür für die Verhältnismäßigkeit der Mittel verloren geht, mithin bestimmte persönliche (personale) Interessen von Untergebenen verletzt werden. Beispiele aus dem Berufs- und Alltagsleben gibt es zur Genüge. Man denke nur an die immer noch bestehenden Beamten-Hierarchien oder auch die gelegentlich äußerst rabiaten Methoden und Gepflogenheiten in der sogenannten „freien Wirtschaft“. Fraglich scheint dabei, ob solche Entgleisungen und Verletzungen den „rein praktischen Gesetzen der eigenen Vernunft“ entspringen, oder auf Fremdsteuerung, z.B. durch ökonomische und gesell-schaftliche System- und Sachzwänge, zurückzuführen sind. Grundsatzfragen solcher Art können allerdings – ausschließlich an Hand der Begriffe Person und Persönlichkeit – gar nicht hinreichend diskutiert werden, da hierzu u.a. von Fall zu Fall ausführliche Sachanalysen durchzuführen wären. Auch eine noch so rationale Diskussion über Personalität findet hier anscheinend schon ihre Grenzen.38
c ) Die Liebe – oder auch: der Weltknoten
Als den „Weltknoten“ bezeichnete Schopenhauer das Leib-Seele-Problem, das er für unlösbar hielt. Wenn ich nun die Liebe als den Weltknoten ausgebe, dann aus folgenden Gründen:
Das Thema Liebe gilt gemeinhin als „Thema Nummer 1“, wodurch aber das Phänomen Liebe auf die Beziehungen zwischen Mann und Frau reduziert wird. Schon an den Grundbedeutun-gen Nächstenliebe (caritas), Agape (der völlig selbstlosen Fürsorge für den Mitmenschen), Eros und Sexus wird jedoch erkennbar, dass der Begriff Liebe weitaus umfassender ist, ja, sogar den Weltknoten, den Kern des Weltgeschehens betrifft, das, was „die Welt im Innersten zusammenhält“. Denn Vorformen der Liebe können – zumindest hypothetisch – schon in den im Big Bang entstandenen Elementarteilchen der Materie festgestellt werden. Die E-Teilchen streben danach, sich mit anderen zu verbinden, um in neuen (sub)atomaren und molekularen Verbindungen das eigene Überleben zu sichern. Dahinter stecken diejenigen Faktoren, die Aristoteles ‚energeia‘ und ‚entelechia‘, Wirklichkeit, Wirksamkeit, Ziel- und Zweckgerichtet-heit nannte, Faktoren, deren Ursprung wir nicht kennen, die sich aber relativ problemlos auf die Liebe übertragen lassen.
Was womöglich in der Nächstenliebe seine markanteste Ausprägung fand. Warum fordert Jesus: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“? Inwiefern wird er damit seinem Anspruch gerecht, die Zehn Gebote zu ergänzen und zusammenzufassen? Nun, unmöglich kann man seine/n Nächste/n lieben, ohne sich selbst zu lieben. Man muss sich selbst erhalten, bei guter Gesundheit sein, um anderen helfen zu können. Warum aber muss dies eingefordert werden, wie Jesus es tut? Weil im Menschen – wie neuere Forschungsergebnisse bestätigen – nicht nur Gutes, sondern auch Böses anzutreffen, angeboren ist. Und: Das Böse, Kriminelle, kann Überhand nehmen, die eigene Person und die anderer Menschen schädigen oder gar zerstören. Im Kampf zwischen Gut und Böse benötigt der Mensch Orientierung; was anscheinend die Grundlage jeglicher Religion und jeglicher Ethik geworden ist. Von Jesu Liebesgebot führt eine direkte Linie zu Kants Ethik mit deren Grundpfeilern der Anerkennung der Rechtsperson und der ebenso unveräußerlichen Menschenwürde.
Darüber hinaus kann das Wesen der Liebe, können ihre charakteristischen Eigenschaften und Merkmale näher bestimmt werden, so schon – in kaum zu übertreffender Art und Weise – im Hohenlied der Liebe, das der Apostel Paulus in seinem 1. Korintherbrief, Kap. 13, angestimmt hat:
„13,1 Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete,
hätte aber die Liebe nicht,
wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.
2 Und wenn ich prophetisch reden könnte
und alle Geheimnisse wüsste
und alle Erkenntnis hätte;
wenn ich alle Glaubenskraft besäße
und Berge damit versetzen könnte,
hätte aber die Liebe nicht,
wäre ich nichts.
3 Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte
und wenn ich meinen Leib opferte, um mich zu rühmen
hätte aber die Liebe nicht,
nützte es mir nichts.
4 Die Liebe ist langmütig,
die Liebe ist gütig.
Sie ereifert sich nicht,
sie prahlt nicht,
sie bläht sich nicht auf.
5 Sie handelt nicht ungehörig,
sucht nicht ihren Vorteil,
lässt sich nicht zum Zorn reizen,
trägt das Böse nicht nach.
6 Sie freut sich nicht über das Unrecht,
sondern freut sich an der Wahrheit.
7 Sie erträgt alles,
glaubt alles,
hofft alles,
hält allem stand.
8 Die Liebe hört niemals auf.
Prophetisches Reden hat ein Ende,
Zungenrede verstummt,
Erkenntnis vergeht.
9 Denn Stückwerk ist unser Erkennen,
Stückwerk unser prophetisches Reden;
10 wenn aber das Vollendete kommt,
vergeht alles Stückwerk.
11 Als ich ein Kind war,
redete ich wie ein Kind,
dachte wie ein Kind
und urteilte wie ein Kind.
Als ich ein Mann wurde,
legte ich ab, was Kind an mir war.
12 Jetzt schauen wir in einen Spiegel
und sehen nur rätselhafte Umrisse,
dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.
Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk,
dann aber werde ich durch und durch erkennen,
so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.
13 Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ (Einheitsübersetzung 2016)
Was demnach das Wesen der Liebe auszeichnet, sind vor allem Güte und Langmut, mithin das Gute im Menschen und die Toleranz gegenüber den Mitmenschen. Dies entspricht voll und ganz meinen Analysen, insbesondere im Hinblick auf die unzerstörbare Bindung der Liebe an Recht und Menschenwürde: Die Liebe meidet das Unrecht und „freut sich an der Wahrheit“; dies wohl in Anspielung an das Jesuswort, wonach er „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ sei und folglich einzig den Zugang zu Gott, dem Vater, ermögliche.
Beachtlich und beeindruckend ist Paulus‘ Aufzählung von negativen, sündigen Eigenschaften, denen er die Liebe als heilendes Gegenmittel entgegenstellt. Denn ohne Liebe bleiben auch alle positiven Charakter- und Verhaltenseigenschaften unwirksam, angefangen von „prophe-tischer“ und anderer Beredsamkeit über die Erkenntnis- und Glaubenskraft bis hin zur Selbst-aufopferung. Schon die Liebe allein vermittelt Standhaftigkeit, Toleranz und Hoffnung. Als in und über dem gesamten Universum stehend werde die Liebe sogar das Ende der Zeiten über-stehen und sodann von Ewigkeit zu Ewigkeit höchste Erkenntnis und höchstes Glück gewäh-ren. (Was natürlich ein Glaube und kein Wissen ist!) –
Dass hingegen Liebe in der Reduktion auf Eros und Sexus nicht bestehen kann, zeigt das folgende Beispiel aus meinen Lebenserinnerungen:
„Wenn Jean-Jacques Rousseau Recht hat, kann man die Frauen ungestraft weder suchen noch meiden. Einer meiner Fehler bestand vielleicht darin, dass ich die Frauen zuweilen zu sehr gesucht und zu wenig gemieden habe. Nicht verwunderlich ist es jedenfalls, dass meine Bemühungen auf diesem Gebiet immer wieder gescheitert sind, was mir heute – lange nach jenen turbulenten Zeiten – sehr leid tut.
...
Eigentlich widerstrebt es mir, sämtliche „Wechselfälle“ zu schildern. Einen besonders kurio-sen, vielleicht teilweise tragi-komischen Fall möchte ich dennoch nicht unerwähnt lassen, den der glutäugigen Katalanin S. Sie war wirklich ein Prachtexemplar, eine gelungene, kupfer-braune Mischung aus iberischem und arabischem Blut, dunkelhaarig, gut gebaut, gut gelaunt und sehr charmant. Wohl an einem ihrer Heimatstrände hatte sie einen blonden Deutschen kennengelernt, den sie nun in Düsseldorf (oder Umgebung, 1980?) besuchen wollte. Zu ihrer furchtbaren Enttäuschung wollte der Verehrte aber plötzlich nichts mehr von ihr wissen. In dieser Situation lernte sie zufällig einen meiner Bekannten kennen, so dass ich selbst bald in den Genuss kam, die mediterrane Schönheit in Augenschein zu nehmen und kennen zu lernen. Wahrlich ein Vergnügen! Und vergnüglich gestalteten sich auch die ersten Tage mit ihr, obwohl ich ihr sprachlich wenig zu bieten hatte, nämlich mein eher mäßiges Spanisch. Leider musste ich der Ärmsten erneut eine Enttäuschung zumuten. Aus mir selbst unerklärlichen Gründen fühlte ich mich nämlich plötzlich der lieben, attraktiven S. ganz und gar nicht gewachsen, so dass ich keine dauerhafte Beziehung mit ihr eingehen konnte. Kurz nach ihrer Abreise sah ich mich sogar veranlasst, erneut einen Psychotherapeuten zu konsultieren, der mich aber relativ schnell beruhigen konnte.“
Fazit: Wer eine dauerhafte Liebesbeziehung anstrebt, kann sich nicht auf Eros und Sexualität allein verlassen. Es bedarf viel weiter gehender Verankerungen in den Tiefen des Gemüts. Zu-mindest muss Nächstenliebe in dem beschriebenen Sinne vorhanden sein, ferner auch die Be-reitschaft zur Agape, der völligen Selbstlosigkeit (ohne das eigene Selbst preiszugeben!). –
Davon abgesehen, stellt sich im KI-Zeitalter eine ganz andere Frage: nämlich die, ob es, wenn nicht Liebe, die ja die typisch menschliche Einheit von Körper, Seele und Geist impliziert, so doch wenigstens Eros und Sexus mit künstlichen Gebilden, wie z.B. Sexrobotern, geben kann. Hierzu passen die folgenden beiden Internet-Artikel, der erste aus dem Jahr 2021, der zweite von 2024:
„Liebe und Nähe in der Zukunft – die sexuelle Revolution wird kommen.
Die Entwicklung begann bereits vor Jahrzehnten und bereits damals schien es schon ein tiefes Bedürfnis zu sein. Technische Hilfsmittel, wie der in 100 Variationen verstellbare Dildo zum Beispiel, sind heute schon echte Hightech Spielzeuge, die auf gewisse Art und Weise ihren Dienst verrichten. Ist es die Sehnsucht oder Begierde nach Sex? Was bevorzugen die Kunden? Den puren Sex ohne Gefühle und ohne Versagen? Denn eine Maschine kann bekanntlich immer und stellt auch sonst keine Fragen. Tabus und Grenzen sind auch nicht wirklich zu erwarten. Denn es ist ja letztendlich nur eine Maschine.
Die modernen Sex-Roboter setzen auf ein menschliches Äußeres, auf eine Beschich-tung, die der menschlichen Haut bereits sehr ähnelt. Gefühle und Kommunikation, Lernfunktion und bereits programmierte Grundprogramme. Die Palette der techni-schen Features ist groß und die modernen Sexdiener sind in ein paar Jahren durchaus annehmbare Alternative. Die Zukunft lässt sich nicht aufhalten, das ist der Tenor aller Entwickler und Befürworter der neuen Sex-Roboter mit künstlicher Intelligenz.
Über Smalltalk direkt ins Bett – niemand braucht mehr Zeit investieren
Sympathiewerte abchecken, diese Zeit kann sich Mann und Frau sparen. Wer mag, der kann gerne im Vorfeld noch eine Runde Smalltalk zur Auflockerung einfließen lassen, doch es wird keine Notwendigkeit sein. Sex mit einem Roboter kann von einmalig bis immer durchgeführt werden. Doch wie sieht eigentlich die moralische Seite aus? Die Maschine wird diesen inneren Konflikt mit Sicherheit niemals ausfechten müssen. Wie sehen es die Menschen, die nun eventuell ihre ganz persönlichen Neigungen ausleben können? Ohne Tabu und ohne Reue? Sex auf Knopfdruck, denn das wird Sex mit einem Roboter nun einmal sein.
Die Zukunft hat begonnen, das gilt für alle Ebenen. Maschinen und Roboter nehmen immer mehr Platz in unserem Leben ein. Vom Saugroboter bis hin zum Sex-Roboter ist es noch ein langer Weg. Aber dieser Weg wird kommen und die Zukunft wird eine sexuelle Revolution bereithalten. Und wer weiß, eventuell werden in 50 Jahren die Damen und Herren aus der Konserve unglaublich Fähigkeiten entwickelt haben. Auf Knopfdruck zum Orgasmus und das mit einer Perfektion, die abgestimmt auf den jeweiligen menschlichen Partner unvergleichbar ist. Letztendlich wird der technische Fortschritt fast nur Vorteile anbieten. Nachteile? Die moralischen Aspekte und dass eine Neue sexuelle Freizügigkeit entstehen könnte. Tabus sucht Mann oder Frau dann vergebens. Denn es wird ja nur eine Maschine zu Schaden kommen.“39
Und im Jahr 2024 heißt es:
„ Sexroboter: Darum geht’s.
«Im Jahr 2050 werden wir mehr Sex mit Robotern haben als mit Menschen», prognostiziert der Zukunftsforscher Ian Pearson.
Die neuesten Sexroboter sollen nun mitfühlen und mit Menschen eine tiefe Bindung eingehen können. Sexroboter mit Gefühlen verspricht etwa die chinesische Firma Starpery Technology, der CEO spricht von «Sexpuppen der nächsten Generation».
Würdest du eine sexuelle Beziehung mit Robotern eingehen? Laut einer Studie der Trent University wollen das vor allem Männer, in Japan gibt es bereits einen grossen Markt dafür. Die Hersteller der Roboter versprechen mehr als bloss körperliche Befriedigung: Sie sprechen von einer neuen Form von Beziehung, die glücklich mache und grosse Gefühle auslöse.“40
Hiergegen ist die grundsätzliche Kritik an Sexrobotern zu beachten, die schon 2016 in einem Artikel der ‚Neuen Zürcher Zeitung‘ unter dem Titel Sex, Liebe und Roboter vorgebracht wurde. In Kernsätzen zusammengefasst lautet diese Kritik:
1. Sex-Roboter können dazu beitragen, dass Menschen zu Objekten degradiert werden.
2. Mit Robotern werden auch Gender-Stereotype zementiert. So zeigen Studien, dass wir Maschinen meist intuitiv Männer-Namen geben.
3. Ein weiteres Argument der Kritiker ist die drohende Vereinsamung. Mit dieser Art von Sextechnologie würden sich Menschen, die bereits zu Zurückgezogenheit neigen, gänzlich in die Isolation manövrieren.
4. Sex-Roboter-Befürworter wie David Levy, der mehrere Chatbots entwickelt hat, hal- ten dagegen: Viele einsame Menschen ohne Aussicht auf Liebe und Partnerschaft wer- den wenigstens eine Simulation von Partner haben. Glück ist relativ. Und im gleichen Zug würde das Problem mit der Prostitution gelöst.
5. «Menschliche Beziehungen sind reichhaltig, chaotisch und anstrengend», schreibt Turkle in «Reclaiming Conversation». Technologie hilft uns aufzuräumen, doch damit umgehen wir echte Gespräche und Konfrontationen, die uns mental weiterbringen würden. Stattdessen reduzieren wir unsere Kontakte auf ein Minimum, in der Folge verkümmern Fähigkeiten wie Empathie und Selbstreflexion. Aber warum können wir nicht von diesen Maschinen lassen? «Wir sind dort am empfänglichsten, wo wir am verwundbarsten sind: Wir sind allein, aber wir haben Angst vor Intimität», sagte Turkle in einem TED-Talk. «Wir entwickeln eine Technologie, die uns die Illusion von Freundschaft gibt, ohne die Forderungen von Freundschaft. Wir glauben, Intimität kontrollieren zu können. Dabei geht die Befriedigung verloren, die wir empfinden, wenn wir ein Erlebnis teilen.»
6. Oliver Bendel ist überzeugt, dass Sex-Roboter ein Nischen-Phänomen bleiben werden. «Vielleicht wird es in jedem Land ein Bordell mit solchen Maschinen geben, aber sicher keine robophile Bewegung. Nachdem Homosexualität als legal erklärt wurde, gab es auch keine Bewegung, denn entweder ist man homosexuell, oder man ist es nicht.»
7. Schwieriger zu beantworten ist die andere Frage: Werden Roboter eines Tages aus den Millionen Datensätzen, aus denen ihre Identität geformt ist, ein eigenes Bewusstsein entwickeln, wie das der Chatbot Samantha in «Her» tut? Werden sie sich in uns ver-lieben? «Dazu brauchte es Gefühle», sagt Bendel. «Roboter wie Pepper und andere KI-Systeme können Gefühle zeigen, aber sie können sie nicht haben. Sie können ler- nen, viele unserer Gefühle zu erkennen. Aber beim Verliebtsein und der Liebe spielen biochemische Prozesse eine zentrale Rolle, die eine Maschine nie haben wird.»
8. Eine Einschränkung macht Bendel: Falls es gelingen sollte, technische Strukturen mit biologischen – wie Hirnzellen – überwuchern zu lassen, dann könnten in diesen «umgekehrten Cyborgs» vielleicht Gefühle erwachen. «Aber nur mit Nullen und Ein- sen gelingt das nicht.“41
Darüber hinaus:
Wenn Sexualität mit Liebe verbunden sein soll, müssen zumindest die Kriterien Verstehen, Empathie und Verantwortung erfüllt sein. Schon dies ist aber bei Robotern nicht der Fall, da sie weder über menschliches Bewusstsein noch über die Empathie verfügen, die auf der typisch menschlichen Einheit von Körper, Seele und Geist beruht. Wäre Letzteres bei Robo-tern der Fall, wären sie keine Roboter mehr, sondern „humanoide“, menschenähnliche Wesen. Überzeugende Gründe dafür, solche Wesen zu erschaffen, gibt es anscheinend nicht.
Fazit: Angesichts solcher Kritik wirkt die Prognose von Ian Pearson: «Im Jahr 2050 werden wir mehr Sex mit Robotern haben als mit Menschen.» zumindest unglaubwürdig, wenn nicht abwegig. Dies gilt auch für die Behauptung, derzufolge „die neuesten Sexroboter sollen nun mitfühlen und mit Menschen eine tiefe Bindung eingehen können.“ (s.o.) Merke: Roboter können helfen (oder schaden), aber nicht Menschen ersetzen.
d) Politische Gegenmittel
gegen das Widersacherische hat schon Karl Marx (1818-1883) gefunden, als er die kapita-listische Klassengesellschaft analysierte, dabei eine „Dauerkrise des Kapitalismus“ konsta-tierte und hieraus eine Ethik des angemessenen Lebens ableitete.
Um nun aber die ethischen Konzepte und Überzeugungen von Marx und Engels verstehen und würdigen zu können, gilt es zunächst, einen scheinbaren Widerspruch zu klären. Denn die beiden „Gründungsväter“ haben – anders als später Lenin – kein gebrochenes Verhältnis zum Recht und zur Notwendigkeit der Gesetzgebung, obwohl sie beide den bürgerlichen Staat heftig kritisieren. Hermann Klenner stellt fest:
„Marx hatte eine Normativkonzeption und keine Tatsächlichkeitskonzeption des Rechts. Anders als Lassalle, der ja Verfassung als tatsächliche Machtverhältnisse definiert, hat Marx Verfassung definiert als Gesetz für die Gesetzgebende Gewalt. Er hat das Gesetz definiert als Einschränkung der Regierungsmacht, und er hat das Recht definiert als Maßstab, nicht als Willkür der herrschenden Klasse, widerspiegelnd die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Aber insofern das Recht Recht ist, hat es Maßstabfunktion.“.42
Aus dieser Grundposition, von der Marx nie abgewichen ist, werden auch fast alle weiteren Unterschiede erklärlich, die hinsichtlich der Diktatur des Proletariats zwischen Marx und Engels einerseits und Lenin andererseits bestehen.
Marxens neues Konzept eines humanistischen Naturalismus bzw. naturalistischen Humanis-mus liegt auch dem zu Grunde, was Matthias Möhring-Hesse als Marxens „erkennbare Ethik des angemessenen Lebens, Arbeitens und Zusammenlebens“43 bezeichnet. Diese Ethik setzen Marx und Engels an die Stelle der Klassenmoral der Kapitalisten, mit der diese stets die Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber den Lohnabhängigen gerechtfertigt haben.
Die wesentlichen Komponenten der von Marx und Engels in ihren Werken – durchweg impli- zit – entwickelten Ethik des angemessenen Lebens lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1. Entfremdung, Ausbeutung, Ungleichheit und Unterdrückung sind Kennzeichen kapitalistischer Herrschaft.
2. Alle bisherige Moral ist Klassenmoral, in der entweder die Herrschaft der herrschenden Klasse oder die Auflehnung der Unterdrückten gegen diese Herrschaft gerechtfertigt wurde.
3. Marx fordert in seiner Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie den kategorischen Imperativ , „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“.
4. Das normative Nahziel des Sozialismus lautet: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“
5. Um wahre Freiheit für alle Menschen zu erringen, muss die kapitalistische Produktionsweise und mit ihr die Klassengesellschaft abgeschafft werden.
6. Erst in einer Klassenlosen Gesellschaft kann die Ethik des angemessenen Lebens voll zum Tragen kommen und ein Reich der Freiheit in einer „freien Assoziation freier Individuen“ errichtet werden.44
Zur Ethik von Ernst Bloch
Vielfältige Gegenmittel gegen das Widersacherische finden sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auch im Gesamtwerk von Ernst Bloch (1885-1977), dessen Grund-Elemente ich bereits genannt habe (s.o. S. 8). Die Ausnahmen: Blochs Leninismus und sein Buch ‚Atheismus im Christentum‘, mit dem der Autor im ereignisreichen Jahr 1968 offensichtlich den atheistischen Marxismus-Leninismus salonfähig und geschichtsmächtig machen wollte – was schon daran scheiterte, dass der Religionsstifter Jesus Christus, „Gottes Sohn“, keines-wegs ein Atheist war. Was man von ihm nicht verlangen würde, kann man von seinen Anhän-gern, den gläubigen Christen, schlechterdings ebenfalls nicht erwarten.45 – Zum Leninismus schreibt Bernhard Mankwald:
„Für Lenin war die „Diktatur des Proletariats“ gleichbedeutend mit der Diktatur seiner Partei, in der wiederum nach den Grundsätzen des „demokratischen Zentralismus“ das „Zentralkomitee“ eine Diktatur ausübte. … Die Diktatur der Bolschewiki war … in der Praxis die Diktatur Lenins, der allerdings auf die Spitzengremien seiner Partei Rücksicht nehmen mußte.“ Und:
„Lenin definierte die Diktatur nicht gerade in Übereinstimmung mit der historischen Wortbedeutung als: „eine sich unmittelbar auf Gewalt stützende Macht, die an keiner-lei Gesetze gebunden ist.“ … „Zur Ausübung der Macht bediente er sich folglich nicht nur seiner Bürgerkriegsarmeen, sondern auch einer sehr mächtigen Geheimpolizei, die sich in der Tat an keine Gesetze hielt.“46
Dementsprechend hat sich der Leninismus als Wegbereiter von Stalinismus, Maoismus und anderen Formen des Autokratismus erwiesen. Wie Blochs Haltung vom Kritiker Lenins zu dessen Verehrer und tatkräftigem Unterstützer sich entwickelt hat, ist u.a. nachzulesen bei: Arno Münster: Ernst Bloch. Eine politische Biographie, Berlin Wien 2004, S. 113-122.
Zum Widersacherischen schreibt Bloch in Experimentum Mundi (1975), S. 237:
„Das Widersacherische im objekthaften Prozeß, worauf der Widerstand im erkennba-ren Objekt erst hindeutet, darf aber nicht ausgegrenzt werden; denn der Widerstand im Erkennen würde bei allem Unterschied ohne den Hintergrund des Widersacherischen gar nicht bestehen. Gäbe es doch überhaupt keinen Prozeß, wenn in der Welt nicht etwas wäre, das nicht sein sollte, das so nicht sein sollte. Man sieht das Stockende, Hemmmende, noch Mächtig-Nichtige in tausend Erscheinungen scheußlich ausge-drückt. Das Gift der Krankheiten, die immer neu maskierte und ideologisierte Ausbeu-tung und Repression bis hin zur Anonymität des Kapitals, auf tausend Kriege kommen kaum zehn Revolutionen, so leicht gelingen alle Reichstagsbrände, so verblüffend können auch geglückte Revolutionen eines neuen Anfangs zum schlechten Alten dege-nerieren, so deutlich hat Marx die ganze bisherige Geschichte als bloße Vorgeschich-te deklariert, auf dieser schwierigen Erde steht am Ende jedes Lebens als einzige völ-lige Gewißheit der Tod, die stärkste Gegenutopie; dieser individuelle Tod wird noch überwölbt durch die Möglichkeit eines kosmischen Tods, des großen Umsonst durch Entropie.“
Was aber keineswegs Blochs letztes Wort zum Sinn der Geschichte war. Denn: Wäre der endgültige „Kältetod“ tatsächlich das unausweichliche Schicksal des Universums (wie gele-gentlich behauptet wird), erübrigte sich jegliche Frage nach dem Sinn des Ganzen ebenso wie jegliche Utopie, landete auch das „positiv auf sich selbst gestellte Positive“ (z.B. der Natur), von dem Marx sprach, auf dem Müllhaufen bzw. im Absurdistan der Geschichte.
Das Gegenteil wird von Bloch entwickelt, so wenn er die Kehrseiten des Widersacherischen mit einbezieht:
„Item, das X des Weltanstoßes insistiert in allem Existierenden immer wieder durch alle Geschichte hindurch, sie als Grundtrieb betreibend und von ihren bisherigen Objektivierungen noch unbetroffen. Darum eben wohnt der Anstoß allernächst in der völlig ungelichteten Ursprungs- oder Brunnenstube des Existere an sich, im Erzeugen- den der Subjekt-Objekt-, Objekt-Subjekt-Beziehung Welt. Aber wenn das sowohl treibende wie sich selber noch verborgenen Meinen dieses Anstoßes zur Sucht miß-raten kann, so meldet sich in ihm ebenso das unverbogene Original: Wille substanz-voller Sehnsucht, Richtung aufs Was. Letztere nicht erst in der menschlichen Geschichte, auch bereits in der vor- oder außermenschlichen; es ist der die Dialektik durchsetzende, das Nichts umlenkende Gegenzug zu Vernichtung und Nichts. Ganz tritt dieser Gegenzug: als Wille des substanzvollen Intendierens, erst menschlich-sub-jekthaft hervor in Tapferkeit und militanter Hoffnung. Darin meldet sich das utopische Gewissen und Eingedenken des Alles, die Mannschaft des Anti-Nichts, oder utopi-schen Totum.“47
Genau dies darf aber nicht zum Nichtstun, zum Quietismus, verleiten – und erst recht nicht zur Fehlschätzung des Widerwärtigen, Teuflisch-Bösartigen.
Konträr: Ernst Blochs Veränderungsethik knüpft an Marx und Engels an, aber auch an die von Kant vorgetragenen Konzepte zu ethischen Begriffen und Postulaten wie Wert, Würde, höchstes Gut, Tugend und Verantwortung.
Für höchst bedeutsam halte ich Blochs Wert-Begriff, ermöglicht dieser doch, wahrscheinlich erstmals, nicht nur die subjektiven, sondern auch die objektiven Komponenten des Begriffs – und damit das Wert-Problem überhaupt –einleuchtend zu erklären. Bloch definiert: „ Erst Arbeit plus Rohstoff und Stoffgehalt erzeugt alle Werte; es gibt keine Werterzeugung, vor allem auch in höherer Klimax, durch isolierte Subjektseite ohne hereinwirkende Wert-materien.“48 Wird so die menschliche Arbeit am Stoff zum entscheidenden Kriterium, gibt die Objektseite zwar „das Material zum Wert“, aber erst durch die Arbeit an diesem Material ergeben sich Wertdifferenzierungen und -staffelungen, und zwar aufgrund von Zweck-setzungen und zweckdienlicher Tätigkeit: „Überall geht so der Wert auf ein Begehren zurück, samt dessen subjektiv intendiertem, objektiv konkretisierbarem Wert-Zweck-Inhalt.“ (S. 1570). So dass auch Gebrauchs-, Tausch- und Mehrwert selbstverständlich auf die mensch-liche Arbeit zu beziehen sind, wobei Bloch nachdrücklich auf die Marxschen Definitionen hinweist: Wert = „verdichtete Arbeit“, Maß des Wertes = die „gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“ (S. 1571 f.), um schließlich auch die Grenze jeglicher Werttheorie anzugeben: „ ... die subjektive wie die objektive Werttheorie hört, gleich dem gesamten voneinander noch abgehaltenen Subjekt-Objekt-Verhältnis, am höchsten Augenblick des höchsten Guts auf “ (S. 1577).
Und das macht letztlich auch den Inhalt von Blochs Veränderungsethik aus, die ja nicht nur darauf drängt, „daß homo homini lupus sich nicht mehr rentiert“49, dass Menschen endlich einander nicht mehr wie Wölfe gegenüberstehen und zerreißen. Vielmehr soll diese Ethik dazu dienen, reale Freiheit zu erkämpfen, wozu Bloch in seinen Politischen Messungen (1977, S. 252) schreibt: „Einzig diese Veränderungs-Ethik hebt so die bloße Wandelgalerie der bisherigen Ethik-Geschichte auf.“ Wodurch nicht alle vorherige Ethik obsolet, sondern kritisch beerbbar wird, und zwar nicht zuletzt auch zu Gunsten konkreter politischer Praxis, wozu Bloch anmerkt:
„Eine wirklich ermunternde Ethik kann so anfangen, gegen Entmenschung gerichtet, mit Theorie-Praxis hin zum Citoyen. Vermutet man mit Kant, die wahre Politik könne keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben, so ist das richtig, aber nur, weil auch die wahre Moral in dieser unserer Zeit keinen Schritt tun kann, ohne Politik zu sein, revolutionäre.“ (ebd.)
Was nicht bedeutet, dass Moral endgültig in Politik aufzugehen habe, denn: „Politik löst weder die Individualkonflikte unterhalb ihrer vollständig auf (etwa das >kommunistische Vergißmeinnicht< der Geschlechtsliebe) noch erläutert und erhellt sie das Wozu, das Summum bonum und gar das Dunkel des Todes.“ (a.a.O. S. 253). Auch und gerade in der Veränderungsethik verleiht erst die Moral der Einzelperson ihre Würde, und zwar sowohl in der Klassengesellschaft als auch in einem zukünftigen Reich der Freiheit einer Klassenlosen Gesellschaft: „Man stirbt nicht für ein durchorganisiertes Produktionsbudget; unsere Totalität ist keine nur politisch abmachbare, geschweige bloß ein Rat- und Lehrinhalt der Politik. Dem Kämpfer fürs Reich der Freiheit fällt die Sittlichkeit von selber zu, doch daß er ein Kämpfer sei, dies steht nicht in der kommunistischen Politik, sondern nur in der kommunistischen Moral geschrieben. “ (ebd. Hervorhebungen durch mich.)
Vom Selbst zur Demokratie
Da der Mensch als Person und Rechtsperson Individuum und Gemeinschaftswesen zugleich ist, liegt es nahe, dementsprechend das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft transpa-rent zu machen. Wie kann das Selbst als Teil des großen Ganzen – oder besser: als Teil der größeren sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Gemeinschaften – verstanden werden?
Da das Selbst-System zur Ich-Findung, Selbst-Fürsorge und Fürsorge für andere Menschen befähigt, hat das Individuum – das personale Selbst – einen Rechtsanspruch auf Selbst-bestimmung, und zwar auch deshalb, weil der Mensch das einzige Wesen ist, „das sich an der Konstruktion seiner selbst – und seines Selbst“ beteiligt bzw. beteiligen kann, soll und muss. Beteiligt ist der Mensch vom Säuglingsalter an. Beteiligen muss er sich später daran, wie sein Selbst konkret gestaltet wird, dabei auch im gesamtgesellschaftlichen Rahmen. Dieser darf seinem Anspruch auf Selbstbestimmung nicht im Wege stehen, was nur dann möglich zu sein scheint, wenn der Anspruch auf Selbstbestimmung tatsächlich auch gesamt-gesellschaftlich gewährleistet wird. Jedes Volk hat das Recht auf Selbstbestimmung, wobei jedes personale Individuum, die Einzelperson, an der individuellen Inanspruchnahme und Wahrnehmung dieses Rechts nur dann gehindert werden darf, wenn es dabei die Rechte seiner Mitmenschen verletzt oder missachtet.
Politisch besagt dies: Demokratie bedeutet nicht nur „Herrschaft des Volkes für das Volk und durch das Volk“, sondern auch Selbstbestimmung des Volkes. Demgemäß erstrebenswert er-scheint eine Mischung aus direkter und repräsentativer Demokratie, weil in beiden Formen – und erst recht in ihrer Kombination und effektiver Kooperation – sowohl das Gemeinwohl als auch die Rechte der Einzelpersonen gewahrt werden. – Dieser gesamtgesellschaftliche Aspekt des Selbst-Systems sollte in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden.
Allerdings: Weder mit Liebe noch mit Demokratie allein oder zusammen können sämtliche akuten und latenten Welt-Probleme gelöst werden. Hierzu bedarf es weiterer Anstrengungen – nicht nur ethischer, sondern vor allem auch politischer Natur.
Als aktuelle Probleme mit höchstem Bedrohungspotential lassen sich herausstellen:
1. Die Öko-Katastrophe, d.h. die Zerstörung von Lebensgrundlagen in Umwelt, Natur und Klima, greift um sich, auch wenn gelegentlich Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
2. Der neolíberale Turbo-Kapitalismus verschärft in seiner globalisierten Form weltweit die sozialen Ungleichheiten, Gegensätze und Konflikte und lässt dabei u.a. Rechts-radikalismus, Nationalismus und Populismus in gefährlichem Ausmaß erstarken.
3. Die Digitalisierung droht in eine „Digitale Diktatur“50 umzuschlagen, z.B. in Folge von zunehmendem Daten-Diebstahl und -Missbrauch, Cyberkrieg, illegalem Drohnen-Einsatz u.a.m.
4. Die Ideologie des Transhumanismus 51 begünstigt ebenfalls den Missbrauch von Digi-talisierung („Big Data“) und Künstlicher Intelligenz.
5. Posthumanismus. Wie u.a. Ray Kurzweil behauptet, gibt die Menschheit sich in der „Singularität“ des Jahres 2045 selbst auf, und zwar zu Gunsten superintelligenter, „unsterblicher“ Roboter.52
6. Nicht zu vergessen ist auch die Tatsache, dass die Menschen seit 1945, d.h. seit Hiroshima und Nagasaki, in der Angst vor der Atomkriegsgefahr leben.
7. Durch den Ukraine-Krieg (seit 2022) ist eine neue Ost-West-Konfrontation entstanden, vergleichbar mit dem Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts.
5. Öko-Marxismus
„ »Wir brauchen einen ökologischen Marxismus«
Der Mensch in der Natur, die Natur im Menschen: Marx hatte fruchtbare Ansätze für einen Ökosozialismus. Ein Gespräch mit Jan Rehmann.
Max Grigutsch
Sie schreiben den Beitrag zum Thema »Ökomarxismus« für das »Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus«. Der nächste Band wird gleich mehrere Einträge zum Thema Ökologie enthalten. Warum diese Schwerpunktsetzung?
Dass wir inmitten lebensbedrohlicher ökologischer Krisen leben, brauche ich nicht näher zu begründen. Von den neun »planetarischen Grenzen« haben wir bereits fünf bis sechs überschritten. Ein Marxismus ohne die Ökologie an zentraler Stelle ist also nicht realitätstauglich, auch wenn das in der marxistischen Tradition oft nicht gesehen wurde. Ein Beweggrund liegt aber auch in meiner eigenen politischen Erfahrung, dass Marxismus und Ökologiebewegung in den 1970er und 1980er Jahren und auch danach nicht zusammen-gefunden haben. Das hat zum Hegemonieverlust des Marxismus beigetragen. Man kann das etwa daran ablesen, dass die vom Club of Rome 1972 veröffentlichte Studie »Grenzen des Wachstums« von den Hauptrichtungen des Marxismus in Ost und West pauschal zurück-gewiesen wurde. Sicherlich gab es auch kluge marxistische Überlegungen zur Ökologiefrage, sowohl im Westen, zum Beispiel im Umkreis der Kritischen Theorie, als auch im Osten, zum Beispiel 1966 im sogenannten Richta-Report oder auch in Wolfgang Harichs »Kommunismus ohne Wachstum?« von 1975. Aber das waren eher Ausnahmen. Die Herausbildung eines Ökomarxismus ab den 1980er und 1990er Jahren kann als verspätete Reaktion auf dieses Rendez-vous manqué angesehen werden und stellt insofern eine überfällige Selbstkritik dar.
Der Begriff Ökomarxismus beinhaltet ja die Annahme, dass Marx überhaupt relevante Einsichten zur Ökologie bereithält.
Der frühe Marx verstand sich ausdrücklich als Naturalist. Nur der Naturalismus sei fähig, »den Akt der Weltgeschichte zu begreifen«, heißt es in den »Ökonomisch-philosophischen Manuskripten« von 1844. Die Entgegensetzung von Mensch und Natur, die ihm oft unterstellt wird, ist für ihn das Ergebnis kapitalistischer Entfremdung. Dagegen entwickelt er die Perspektive eines Kommunismus als Zusammenfallen von Naturalismus und Humanismus, von Menschheit und Natur. Erst im Kommunismus komme es zur Resurrektion der Natur. Das ist die romantische Sprache eines 26jährigen Philosophen, aber sein dialektischer Naturalismus ist auch in seinem Spätwerk noch deutlich.
Wie drückt sich das beim späten Marx aus?
In den Vorbereitungen zum »Kapital« greift Marx aus der Naturwissenschaft, vor allem vom deutschen Chemiker Justus von Liebig, den Begriff des Stoffwechsels auf und bezieht ihn auf das Verhältnis zwischen Menschen und nichtmenschlicher Natur, das vornehmlich über die Arbeit vermittelt ist. Er formuliert den berühmten Vergleich zwischen der Biene, die eine perfekte Wabe baut, und dem schlechtesten menschlichen Baumeister, der das Ergebnis seiner Arbeit schon vorab im Kopf hat und sich durch die Fähigkeiten der Antizipation, zielgerichteten Planung und bewussten Kooperation auszeichnet. Das ist von vielen als anthropozentrische Entgegensetzung von Mensch und Natur kritisiert worden. Aber wenn man sich die einschlägigen Textstellen im »Kapital« anschaut, sieht man, dass Natur auf allen Seiten der Mensch-Natur-Dialektik zu finden ist. Auch der Mensch ist eine Naturmacht, seine Arme, Beine, sein Kopf sind Naturkräfte, die er einsetzt. Selbst die spezifischen Fähigkeiten der langfristigen Antizipation und gezielten Planung gehören zur Natur des Menschen – sie haben sich als Ergebnis der biologischen Evolution herausgebildet. Die dialektische Herausforderung besteht darin, die beiden Seiten dieser Beziehung zusammenzudenken: dass wir Menschen nicht außerhalb der Natur stehen, sondern Naturwesen sind, und dass wir als menschliche Naturwesen spezifische Gattungseigenschaften entwickelt haben.
Manche Theorieströmungen werfen Marx vor, anthropozentrisch an einer herausgehobenen Sonderstellung des Menschen festzuhalten.
Spezifische Merkmale der Menschheit festzustellen ist nicht dasselbe, wie ihre Höherstellung zu postulieren. Die von Marx dargestellte Dialektik wird auch innerhalb des Ökomarxismus unterschiedlich ausgelegt. Der Weltökologie-Ansatz von Jason Moore betont besonders das Ineinander von Menschen und nichtmenschlicher Natur im sogenannten Lebensnetz. Wolfdietrich Schmied Kowarzik prägte die Metapher eines doppelten Übergreifens: Zum einen ist die menschliche Arbeit das Übergreifende über die Natur, zum anderen ist sie in die Natur eingebunden und wird von der Natur übergriffen. Wolfgang Fritz Haug konkretisiert das dahingehend, dass die Natur das »umfassend Übergreifende«, der Mensch das »initiativ Übergreifende« ist – in diesem Sinne ist dieses wechselseitige Übergreifen asymmetrisch. Das offenbart eine grundlegende Ambivalenz der menschlichen Existenz. Die enorme Produktivität der menschlichen Arbeit kann sich im Rahmen einer zerstörerischen instrumentellen Vernunft betätigen, wie Horkheimer und Adorno betonten. Produktivkräfte können in Destruktivkräfte umschlagen, und dies auch schon vor dem Kapitalismus.
Aber es war ja der Kapitalismus, der sowohl die Produktivkräfte als auch die Destruktivkräfte in einem unbekannten Ausmaß entwickelt hat. Inwieweit konnte Marx das im 19. Jahrhundert überhaupt wahrnehmen?
Es gibt vieles, was Marx und Engels noch nicht wahrgenommen haben. Im »Kapital« analysiert Marx in erster Linie die zerstörerischen Auswirkungen der Ausbeutung auf die Arbeiterklasse. Aber in einem Bereich, nämlich dem der modernen Landwirtschaft, nimmt er sehr genau wahr, dass der Kapitalismus die Springquellen alles Reichtums untergräbt, nämlich den Arbeiter und die Erde. Hier stellt er also die kapitalistische Zerstörung beider auf eine Stufe. Er sieht, dass die kapitalistische Landwirtschaft »einen unheilbaren Riss« im Stoffwechsel erzeugt. Dies ist der Ausgangspunkt der wohl einflussreichsten ökomarxisti-schen Schule, der sogenannten Metabolic Rift School um John B. Foster, Paul Burkett und anderen, die argumentieren, dass dieser Stoffwechselriss nicht nur die Nährstoffe der kapitalistisch übernutzten Erde betrifft, sondern beispielsweise auch den Kohlenstoffkreislauf.
Hat Marx selbst denn die Perspektive eines ökologischen Sozialismus entwickelt?
Ein Gesamtmodell eines ökologischen Sozialismus hat er nicht entwickelt. Aber wenn er etwa eine rationelle Behandlung des Bodens fordert, dann ist das ein Gegenbegriff zur Ausbeutung der Bodenkräfte – gemeint ist eine nachhaltige Landwirtschaft, die mit den gesamten Lebens-bedingungen »der sich verkettenden Menschengenerationen« zu wirtschaften hat. Nicht einmal eine ganze Gesellschaft sei Eigentümerin der Erde, sondern nur Nutznießerin mit dem Auftrag, sie »den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen«, schreibt Marx. Hier wird also nicht nur das kapitalistische Privateigentum, sondern jeder Eigentumsbegriff als Verfügungsgewalt in Frage gestellt. Es ist bedeutsam, dass der späte Marx nicht mehr von der Herrschaft über die Natur spricht, sondern davon, dass die assoziierten Produzenten ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln. Das ist etwas ganz anderes. Es bezieht sich auf das, was wir tatsächlich nachhaltig regulieren können, nämlich unseren Stoffwechsel mit der Natur.
Der japanische Philosoph Kohei Saito hat Marx einen Degrowth-Kommunismus attestiert. Was ist da dran?
Saito bezieht sich auf die naturwissenschaftlichen und ethnologischen Exzerpte, die Marx nach der Veröffentlichung des ersten »Kapital«-Bands gemacht hat. Und tatsächlich zeigen seine umfangreichen Notizen zu Carl Nikolaus Fraas und Georg Maurer sowie die Briefentwürfe an Wera Sassulitsch ein Interesse an vorkapitalistischen Genossenschaften, die ein Allmendesystem mit nachhaltiger Bodenbewirtschaftung kombinierten. Allerdings halte ich Saitos Schlussfolgerung, der späte Marx sei ein Postwachstumskommunist gewesen und habe einen Bruch mit dem historischen Materialismus vollzogen, für nicht haltbar. Sicherlich hat es bei Marx Tendenzen gegeben, die man aus heutiger Sicht als fortschrittsoptimistisch problematisieren kann. Aber es wäre verfehlt, diese Tendenzen mit der Methode des historischen Materialismus im Ganzen gleichzusetzen.
Sind Begriffe wie »Degrowth« überhaupt eine geeignete Orientierung für die ökologischen Kämpfe von heute?
Ich finde das Schlagwort ungeeignet, weil es zu sehr auf die quantitative Problematik fixiert und gerade bei den Lohnabhängigen nicht hegemoniefähig ist. In den zugrundeliegenden inhaltlichen Analysen wird in der Regel betont, dass es nicht um Degrowth allgemein geht, sondern um eine grundlegende Umorientierung der Wirtschaft vom kapitalistischen Akkumu-lationsprinzip und Konsumismus zur Herstellung nachhaltiger Gebrauchsgüter für alle. Und das trifft sich ja mit einem marxistischen Gebrauchswertstandpunkt. Es ist auch unbestreitbar, dass eine Verringerung des biophysikalischen Durchsatzes von Materialien und Energie-flüssen vor allem im globalen Norden dringend erforderlich ist. Nur müssen die Degrowth-Theoretiker oft große Mühen auf sich nehmen, um zu erklären, dass sie nicht meinen, was das Schlagwort suggeriert. Eine ökosozialistische Strategie sollte sich auf eine klassenpolitische Mobilisierung der Ökologiefrage konzentrieren, die ökonomische und ökologische Forde-rungen auf überzeugende Weise verbindet, wie dies kürzlich beim Wahlsieg von Zohran Mamdani bei den Vorwahlen der Demokraten in New York gelungen ist.
Das ist ein bemerkenswerter, aber doch kleiner Sieg eines linken Sozialdemokraten. Ande-rerseits sehen wir einen globalen Rechtsruck und zunehmende Kriegstreiberei, während die Ökologiefrage selbst bei Linken in den Hintergrund rückt.
Ja, die Herrschaft des Kapitals bedeutet zunehmend die Bedrohung der menschlichen Existenz und der Biosphäre. Andreas Malm und das Zetkin-Kollektiv diagnostizieren die Tendenz eines Fossilfaschismus, bei dem sich das Fossilkapital mit der Rechten verbündet. Ein Beispiel ist die Trump-Regierung, die offenbar entschieden hat, den Systemkonflikt mit China nicht mehr im Bereich einer ökologischen Modernisierung zu führen, sondern ganz auf den Ausbau der Fossil- und Atomenergie zu setzen. Die Satellitenprogramme und andere Hightech- und KI-Projekte haben einen riesigen Energiebedarf und sind eng mit dem Fossilkapital und der Atomkraftlobby verflochten. Gegenüber der Bereitschaft herrschender kapitalistischer Klassenfraktionen, die Erde und ihre Lebewesen durch Kriege und Klimaerhitzung regelrecht zu verbrennen, brauchen wir einen ökologischen Marxismus, der die Befreiung der arbeitenden Menschen mit dem Überleben der menschlichen Gattung und der Biosphäre verbindet.
Ein Marxismus ohne Ökologie ist realitätsfern. Aber für viele Klimaaktivisten ist ja keines-wegs klar, warum die Ökologie überhaupt den Marxismus brauchen sollte.
Kein anderer theoretischer Ansatz zeigt so systematisch und so umfassend, wie in der Tiefenstruktur unserer Gesellschaft ein grenzenloser Akkumulationstrieb herrscht, der immer mehr in Gegensatz gerät zu den Grenzen der natürlichen Ressourcen und Kreisläufe. Dieser Trieb ist zu einer Art Todestrieb geworden. Konsumkritik allein kann den Zusammenhang von Produktions- und Konsumnormen nicht erfassen.“53,
6. Zur ethischen Fundierung eines freiheitlichen, demokratischen Öko-Sozialismus
Hier gilt zunächst wohl das, was ich in dem Abschnitt „ Vom Selbst zur Demokratie“ (s.o. S. 67) herausgestellt habe. Wichtigste Grundsätze: 1. „Jedes Volk hat das Recht auf Selbst-bestimmung, wobei jedes personale Individuum, die Einzelperson, an der individuellen Inan-spruchnahme und Wahrnehmung dieses Rechts nur dann gehindert werden darf, wenn es dabei die Rechte seiner Mitmenschen verletzt oder missachtet.“ 2. „Demgemäß erstrebens-wert erscheint eine Mischung aus direkter und repräsentativer Demokratie, weil in beiden Formen – und erst recht in ihrer Kombination und effektiver Kooperation – sowohl das Gemeinwohl als auch die Rechte der Einzelpersonen gewahrt werden.“ – Es sind Grundsätze, die auch bei der folgenden Frage stets zu beachten sind:
Freiheitlicher Sozialismus?
Der Forderung nach einem freiheitlichen Sozialismus entspricht anscheinend am meisten Sartre s Konzept eines ‚ socialisme libertaire‘, das er schon in seiner Frühzeit, erst recht aber in seinen letzten Lebensjahren (1972-1980) propagiert hat. Aber: Mit der Kritik der dialek-tischen Vernunft von 1960 will Sartre seine Freiheits- und Sozialismus-Konzepte in den Marxismus integrieren, erkennt aber schon bald, dass dies missverstanden wird, nämlich als Parteinahme für den z.B. in der UdSSR und in China herrschenden autokratisch-bürokra-tischen Marxismus-Bolschewismus; zumal auch Sartres Konzept einer „revolutionären Avant-Garde“ als Befürwortung des Leninismus verstanden wurde. Schon nach dem brutal nieder-geschlagenen Ungarn-Aufstand von 1956 kann aber davon bei Sartre keine Rede mehr sein. Erst recht führt Sartres aktive Teilnahme an der Mai-Revolte 1968 ihn dazu, die Forderung nach Freiheit und Befreiung nicht nur vom Kapitalismus, sondern auch vom Bolschewismus zu erheben. Konsequenterweise bekennt Sartre sich spätestens seit 1972 als „Marxianer“ und „freiheitlicher Sozialist“ (‚socialiste libertaire‘), wohl wissend, dass er sich damit dem Anarchismus annähert (zumal die Konnotation ‚anarchisch‘ im französischen ‚libertaire‘ mitschwingt). Einer anarchistischen politischen Bewegung haben sich Sartre und Beauvoir jedoch nie angeschlossen. Sie verstehen ‚Anarchie‘ im ursprünglichen Sinne, nämlich als Herrschaftsfreiheit. Unerträglich ist für sie, von anderen Menschen beherrscht und befehligt zu werden. Herrschaft von Menschen über Menschen – wie sie sowohl im Kapitalismus als auch im Bolschewismus üblich ist – lehnen sie generell ab. Sie wollen „Marxianer“, nicht aber „Marxisten“ (wie im Ostblock und in China) sein und bekräftigen daher das Marxsche Fernziel eines Reichs der Freiheit mit einer „freien Assoziation freier Individuen“, durch die endlich jegliche Ausbeutung und Unterdrückung beendet würde – und natürlich auch der Marxsche Determinismus, der sich auf die andauernde Vorgeschichte der Menschheit bezieht, in der letztlich alles noch durch die gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse bestimmt wird. – Hierzu seien gründliche Umgestaltungen der bürgerlich-kapitalistischen, aber auch der bolschewistischen Gesellschaftsordnungen erforderlich. Wie diese „Umgestal-tungen“ vonstatten gehen sollen, erklären Sartre und Beauvoir jedoch nicht.
Befremdlich ist auch, dass Sartre und Beauvoir – wohl im Bewusstsein der eigenen völligen Freiheit als Schriftsteller und Künstler – die Freiheit verabsolutieren, nicht jedoch beachten, dass a) die Willensfreiheit zwar angeboren ist, in ihrer Entwicklung jedoch von dem Umgang der Kinder und Jugendlichen mit ihren Bezugspersonen abhängt, und b) dass sie auf der Klassen-Herrschaft beruhende Hauptgründe der Unfreiheit nicht berücksichtigen, sich aber darüber wundern, dass viele ihrer Mitmenschen angeblich von ihrer Freiheit „keinen Ge-brauch“ machen.
In Sartres und Beauvoirs Begriffen von Subjekt und Humanismus fehlen außerdem die unent-behrlichen naturalistischen Komponenten, die bei Marx und auch in Ernst Blochs Natur-Allianztechnik vorhanden sind. Sartre zog (wohl unter dem Einfluss von Baudelaire) auch im Alltag das Künstliche dem Natürlichen vor – was wahrscheinlich zu seinen gravierenden gesundheitlichen Problemen beigetragen hat. In ähnlicher Weise leugnete Beauvoir jeglichen natürlichen bzw. biologischen Determinismus, so vor allem in ihrem Feminismus (‚Le deuxième sexe‘). – Von Öko-Sozialismus kann jedenfalls bei Sartre und Beauvoir nicht die Rede sein.
Zum Begriff Sozialismus
Im Gegensatz zu meinen Ergebnissen gilt Sozialismus vielerorts nicht nur als gescheitert, sondern als geradezu verpönt oder gar nicht mehr diskutabel. Umso mehr halte ich es für erforderlich, klarzustellen, was ich darunter verstehe, und zwar unter Berufung vor allem auf Marx, Engels, Ernst Bloch und den ‚Projet Socialiste‘, versucht im Frankreich der Jahre 1980-1983.
Bloch erklärt: „Die Wahrheit des Sozialen ist der Sozialismus.“ Und er konkretisiert diese Definition mit seinem Konzept Substanzziel Sozialismus, womit er eine (noch) utopische Einheit von Substanz und Subjekt meint, Substanz als geschichtsphilosophische Kategorie im Hegelschen Sinn. Die Substanz der Geschichte kann „Subjekt“ werden in einer Endsubstanz von An- und Für-sich-sein, d.h. in Marxens Reich der Freiheit der „freien Assoziation freier Individuen“ in einer Klassenlosen Gesellschaft. Mit anderen Worten: „Die Wahrheit des Sozialen“ besteht nicht einfach in der Identität mit dem Sozialismus, sondern, darüber hinaus, im Kampf für den Sozialismus.
„Vive la sociale!“ so lautete der Kampfruf der Pariser Communarden des Jahres 1871 (wobei sich die weibliche Form ‚la sociale’ wohl dadurch erklärt, dass hier vor allem an die ‚révolution sociale’ gedacht wurde). Ohne die Pariser Commune wäre der Marxismus nicht „sub- stanziell“ im Sinne einer revolutionären Subjekt-Substanzialität geworden. Denn: Vor allem durch die Pariser Commune wissen wir, dass direkte Demokratie, Arbeiterkontrolle und ten- denziell herrschaftsfreie Solidarität möglich sind, solange solche Errungenschaften nicht durch Feinde zerstört werden. – Wobei ich daran erinnere, dass in der Pariser Commune das Prinzip der Rätedemokratie und nicht das der Diktatur des Proletariats galt, was Marx als „humanste und rationellste“ Regierungsform anerkannte, zumal er ohnehin parlamentarisch- demokratische demokratische Wege zum Sozialismus unter bestimmten Voraussetzungen für möglich hielt.
Dennoch stellt sich die Frage, wie solche Ziele unter heutigen Bedingungen erreicht werden können. – Als Vorbild für einen humanen Sozialismus, einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz, gilt mir seit 1980, neben dem ‚Prager Frühling‘ des Jahres 1968, der französische Projet socialiste der Jahre 1980 bis 1983. Wirklich human war dieser sozialistische Versuch, weil er sich nicht auf Gewalt, Unterdrückung und Meinungsterror, sondern auf soziale, frei-heitliche und demokratische Prinzipien gründete. Man wollte endlich das in arroganten Herrschaftsallüren erstarrte kapitalistische Ausbeutungs-System durch ein neues Humanum in Freiheit, Gleichheit und Solidarität = Brüder-/Schwesterlichkeit ersetzen. – Woraus folgt, dass ein Demokratischer Öko-Sozialismus per se und stets ein humaner sein muss.
„Ethischer Sozialismus“?
Wenn ein Sozialismus ethisch fundiert werden soll, scheint es nahe zu liegen, auf die Errun-
genschaften des im späten 19. Jahrhundert entstandenen „Ethischen Sozialismus“ zurückzu-
greifen. Autoren wie Hermann Cohen (1842-1918), Paul Natorp, F. A. Lange, Karl Vorländer
und Max Adler entwickelten den Ehrgeiz, die Lehren von Kant und Marx in einer neuen, so-
zialistischen Synthese miteinander zu verbinden. Für Cohen ist Kant „der wahre und wirk-
liche Urheber des deutschen Sozialismus“ 54, und der Kategorische Imperativ sei nicht nur der
oberste Leitsatz für jeglichen Sozialismus, sondern enthalte auch „das sittliche Programm der
neuen Zeit und aller Zukunft der Weltgeschichte“.
Infolgedessen unterscheidet sich Cohens Sozialismus-Begriff grundlegend von dem von Marx und Engels entwickelten. Cohen lehnt nicht nur den Atheismus, sondern auch den dialek-tischen Materialismus und die Klassenkampf-Theorie ab. Sein auf einem „Idealismus der Ethik“ basierender Sozialismus kann sich nicht auf Materialismus gründen. An die Stelle des Klassenkampfes soll ein alle Konflikte ausgleichender „Ethischer Staat“ treten.
Genau dies hat aber wohl entscheidend zum Scheitern des von Cohen konzipierten Ethischen Sozialismus beigetragen. Kein Staat kann die – letztlich materiell bedingten – Klassen-Gegensätze verhindern; ein sozialistischer Staat als „Gottesstaat“ (wie er Cohen vorschwebt) dürfte ein Unding sein, zumal Gott zwar wie bei Kant als Glaubenspostulat, nicht jedoch als Garant für sozialen Ausgleich fungieren kann. Woran auch Cohens zusätzliches Konzept eines „genossenschaftlichen Sozialismus“ nichts ändert. – Umso dringlicher ist es erforder-lich, mehr auf Marx als auf Cohen und dem Ethischen Sozialisten aufzubauen (s.o. S. 62 f.)
Sozialistische Öko-Ethik
Zum sozialistischen Revolutionsbegriff
Laut Lenin ist eine „revolutionäre Situation“ dann gegeben, wenn „die Oberen nicht mehr können wie bisher und die Unteren nicht mehr wollen wie bisher“. Genau dies ist aber – zumindest in den hochentwickelten Industriestaaten – gegenwärtig nicht der Fall. So gibt es z.B. in Deutschland zwar eine Unterklasse, die aber nur ca. ein Drittel der Gesellschaft ausmacht und in der Klassen-Bewusstsein allenfalls sporadisch anzutreffen ist, während die oberen zwei Drittel anscheinend keine Mühe haben, jegliche von der Unterklasse ausgehende Rebellion in Schach zu halten. Außerdem bleibt den Herrschenden im Zeitalter des Überwachungskapitalismus praktisch nichts verborgen. Revolutionäre würden ertappt, noch ehe sie zur Tat schreiten könnten.
Gravierend kommt hinzu, dass sich die Anmaßung einer selbsternannten „Avant-Garde“, die Revolution mittels einer „an kein Gesetz gebundenen Diktatur des Proletariats“ (Lenin) durchzuziehen, häufig als krimineller Irrweg erwiesen hat, so z.B. von Lenin zu Stalin, Mao und Pol Pot.
Nichtsdestoweniger bin ich inzwischen zu der Auffassung gekommen, dass eine Revolution (bzw. ein Volksaufstand) dann gerechtfertigt ist, wenn sie in kollektiver Notwehr als Antwort auf menschenunwürdige, unerträglich gewordene Zustände herbeigeführt wird. Sie wäre dann wohl auch mit dem Kategorischen Imperativ vereinbar, könnte also stets jedermann Gerechtigkeit widerfahren lassen – ohne Terror, Willkür, Machtmissbrauch und Gesetz-losigkeit.
Erweiterte Öko-Ethik
Liest man Ray Kurzweil (z.B. von 2005), könnte man zu dem Schluss kommen, der Mensch müsse sich seiner eigenen Natur schämen und daher baldmöglichst auf sie verzichten – zu Gunsten von KI und „superintelligenten“ Robotern. Dagegen ist doch nicht zu leugnen, dass wir schon als Teil der Natur – und nicht erst als frei-schöpferische Kultur-Wesen – Selbstzweck und Eigenwert in uns tragen. Was für jedwede Öko-Ethik von entscheidender Bedeutung ist. Wenn Öko-Ethik dem Schutz der Natur dient, dann dient sie erst recht der Selbsterhaltung und Selbstachtung des Menschen. Ohne diese „Erweiterung“, die in Wirk-lichkeit eine unabdingbare Voraussetzung ist, kann Öko-Ethik nicht bestehen. Demgemäß möchte ich zeigen, inwiefern Öko-Ethik als Grundlage einer Ethik der Verhaltenssteuerung anzusehen ist. Wobei ich gern auch auf meine Erörterung des Verhältnisses von Ethik, Anthropologie und Geschichtsphilosophie verweise (Robra 2020, S. 202 ff.).
In der Natur folgt anscheinend auf jedes Vergehen ein neues Entstehen, wobei zu beachten ist, dass Materie und Natur als solche weder gut noch böse sind. Bedeutung gewinnen solche Schwarz-Weiß-Kategorien vielmehr erst in unseren Wertungen. Als böse empfinden und bezeichnen wir das sinnwidrig Zerstörerische, die sinnlose Vernichtung vermeintlicher Feinde, wie sie sich z.B. in der puren Mordlust zeigt, die angeblich, d.h. laut Wilhelm Reich und anderen, bereits in grauer Vorzeit im Tierreich begonnen hat.
Verständlich und wissenschaftlich bestätigt wird jedenfalls, warum Kant es für aus-geschlossen hielt, Ethik auf Neigungen gründen zu können. Es gibt keinerlei Garantie dafür, dass die tief im Unterbewussten und Körperlichen verankerten Neigungen automatisch das Gute bewirken, für das wir normalerweise schon aus Gründen der Selbsterhaltung – spontan oder nach mehr oder weniger reiflicher Überlegung – uns zu entscheiden bereit sind. Wobei es natürlich nicht nur um uns selbst, um unser eigenes Person-Sein geht, sondern ebenso um dasjenige unserer Mitmenschen So dass hier nicht nur das „radikal Böse“, sondern auch die Frage nach dem Person-Sein eine Rolle spielt. Es sind existenziell bedeutsame ethische Probleme, die Kant vor allem im Zusammenhang mit seinen Erörterungen des Kategorischen Imperativs behandelt hat, den ich allerdings zu einer legitimen Forderung umformuliere – so dass der Kat. Imp. zwar weitgehend seine Gültigkeit behält, jedoch nicht als Pflicht- und Sollensethik mit Absolutheitsanspruch, sondern als personale Wertethik (s. Robra 2020, S. 3-16).
Meine legitime Forderung lautet:
Achte bei allem, was Du tust, darauf, Dich selbst und Deine Mit-Menschen als Rechts-personen und Persönlichkeiten zu respektieren und möglichst stets das Sittengesetz zu befolgen.
„Möglichst“ deshalb, weil es Ausnahmesituationen gibt, wie z.B. die der Notwehr, in denen die Rechte der eigenen Person gegen existenzielle Bedrohungen und Rechtsbrüche jeder Art zu verteidigen sind.
Natur-, Öko- und Tier-Ethik.
Wie ich bereits erwähnte, fordert Karl Marx, den „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“. Durch diesen Bezug auf den quasi allumfassenden Objektbereich der „Verhältnisse“ verliert der Kantische Person-Begriff seine latent anthropozentrische Begrenztheit. Auch die von Menschen verursachten Umwelt-Katastrophen, Misshandlung von Tieren, Naturverachtung u.a.m. erniedrigen den Menschen, verletzen sein Ehrgefühl und sein Recht auf ein menschenwürdiges Leben. – Marx nimmt dagegen schon das vorweg, was Hans Jonas den „ökologischen Imperativ“ genannt hat: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden!“ (Jonas 1979, S. 36)
Natur-, Tier- und Öko-Ethik lassen sich unmittelbar aus dem Eigenwert der Natur ableiten. Als Hauptkriterium für die Öko-Ethik nennt Klaus Sojka die „Verträglichkeit mit der Lebenseinheit“ und erklärt dazu: „Das bedeutet: Die zur Pflicht erhobene Selbsterhaltung gebietet die Erhaltung der in Gemeinschaft mit dem Menschen lebenden Tiere jedweder Art und Beschaffenheit, ferner den Verzicht auf den Verbrauch vorhandener Stoffe, sofern er nicht unbedingt zur Notbedarfs-Deckung erforderlich ist. Die vordergründigen Maßnahmen bewirken, Beeinträchtigungen von Lebewesen jedweder Erscheinungsform, insbesondere durch Quälerei, Verstümmelung oder Vernichtung abzuwenden, weil sie als Teil der Einheit und Schicksalsgemeinschaft Solidarität beanspruchen.“55,– Jedermann muss sich fragen, ob sein/ihr Verhalten sich nützlich, schädlich oder neutral auf Natur und Umwelt auswirkt. Alles Schädliche muss vermieden werden.
Speziell in der Tier-Ethik ist seit langem umstritten die Frage, ob auch Tieren ein Personen-Status zuerkannt werden sollte. Was unmöglich ist, wenn das Person-Sein als „der totale Umfang des Menschen“ (Mounier) definiert wird. Dagegen schlägt der kalifornische Ethik- und Wirtschaftsforscher Thomas White vor, Personen von Sachen folgendermaßen zu unter-scheiden: Eine Person ist ein Wer?, eine Sache ein Was?, so dass die Tiere, die ja keine Sachen sind, wahrscheinlich ausnahmslos als Personen zu bezeichnen wären. Eine Möglich-keit, auf die White jedoch nicht eingeht. Stattdessen entwirft er einen speziellen Katalog von Kriterien für ein Person-Sein, das Tieren und Menschen gleichermaßen zuzubilligen wäre. Demnach sind Personen gekennzeichnet durch Faktoren wie Leben, Bewusstsein, Wahr-nehmung, Gefühle, „eine Vorstellung von sich selbst“, Kontrolle des eigenen Verhaltens, Anerkennung der anderen Personen, hoch entwickelte kognitive Fähigkeiten (z.B. zur Lösung von Problemen), Gedächtnis und die Fähigkeit zur Kommunikation von Gedanken.56 Diese Kriterien seien, so White, auf alle Menschen anwendbar, nicht jedoch auf alle Tiere, sondern nur auf Elefanten, „Wale und Delfine, Große Menschenaffen, Vögel, Reptilien und bei Bedarf sogar auf Außerirdische“ (wo es dann leider etwas unseriös wird ...). – Es stellt sich zu dieser Klassifizierung jedoch sofort die Frage, wo mit ihr die genauen Grenzen des Person-Seins im Tierreich zu ziehen wären. Zeigen nicht auch z.B. Ameisen, Bienen, Hunde, Katzen und Pferde Intelligenzleistungen und andere Fähigkeiten, die den genannten Kriterien in etwa entsprechen? Ein Dilemma, für dessen Lösung ich vorschlage, der gesamten außermensch-lichen Welt und allen Menschenkindern im vorgeburtlichen Stadium vorpersonale Eigen-schaften zuzubilligen, wobei graduelle Unterschiede gemacht werden können.
Unter dieser Voraussetzung halte ich es für möglich, die Ethik der Person durch eine Ethik der Natur zu ergänzen, wofür ich eine Naturformel des Kategorischen Imperativs vorge-schlagen habe, in der die Tatsache berücksichtigt wird, dass im Umgang mit der Natur legitime Interessenabwägungen erforderlich sein können.
Es ist eine Formel, die nicht die noch im Gange befindlichen Diskussionen über (mögliche) Rechte der Natur, der Umwelt, der Tier- und Pflanzenwelt (Natur-, Öko-, Tierrechte) präjudizieren kann oder soll. Sie lautet:
Verhalte Dich so, dass Du die Natur in jeder Person und in jeder anderen Erscheinungsform stets als Zweck – und als Mittel nur zu ethisch begründbaren und moralisch vertretbaren Zwecken – behandelst.
Wenn nun zu klären ist, welche konkreten Rechte und Pflichten sich mit dieser neuen Formel begründen lassen, stellt sich die Frage nach der Legitimierung entsprechender gesetzgebe-rischer Maßnahmen. Was ist legitim? Rechtspositivistisch zweifellos das aktuelle geschriebe-ne und gesprochene Recht. Und in Fällen staatlicher Willkür? Oder gar in Unrechtsstaaten? Da hilft zunächst wohl nur die naturrechtliche Anerkennung des Eigenwerts der Natur und des Selbstzwecks der Person, die auch in Kants Zweckformel des Kategorischen Imperativs enthalten ist, wozu meine Naturformel lediglich als Ergänzung dient.
Wenn mit Schelling die schöpferische Natur (‚natura naturans‘) als ihre „eigene Gesetz-geberin“ anzunehmen ist, gilt dies sowohl für die Natur im Menschen als auch für die außer-menschliche Natur. „Was „legitim“ ist, muss ethisch und moralisch überprüft und begründet werden. Es sind allgemeine, naturrechtlich verankerte Grundrechte (wie z.B. die Menschen-würde, die Freiheit der Person, die Natur- und Umweltrechte), die jedem Öffentlichen Recht vorzuordnen sind.“57 – Den Anspruch der Inhalte dieser Zitate aus dem Jahre 2015 kann ich nur erneut bekräftigen. Mögen sie zu beherzigen sein!
7. Demokratischer Öko-Sozialismus
All dies sind unabdingbare Voraussetzungen für einen Demokratischen Öko-Sozialismus, des- sen Dimensionen ich schon mehrfach vorgetragen habe (GRIN-Verlag 2017, 2018, 2021), so dass ich diese hier nicht erneut zu wiederholen brauche. Als Stichpunkte nenne ich nur: Digitaler Sozialismus, sozialistische Planung, Direkte Demokratie, Marktsozialismus, Nah- und Fernziele eines Demokratischen Öko-Sozialismus, Reich der Freiheit. Verwirklichung: Teleo-Logik des Sozialismus in Übergangsgesellschaften.
Wenn ich in der folgenden Übersicht zwischen Nahzielen und Fernzielen von Ökologie, Demokratie und Sozialismus unterscheide, so dient dies vor allem der besseren Verständ-lichkeit. In Wirklichkeit bedingen die fünf Begriffe sich wechselseitig, stellen die Rubriken keine „fensterlosen Monaden“ dar.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
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Mühlhoff, Rainer 2025: Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus, Stuttgart
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Ziegler, Jean 2025: Trotz alledem! Warum ich die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht aufgebe, München
[...]
1 Ernst Habermann: Evolution und Ethik. Skeptische Gedanken eines Ethik-Kommissars (1996), in: www.geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2013/9705/pdf/GU1996_S?9_38..., S. 31. Hervorhebungen durch mich.
2 In: https://www.hs-niederrhein.de/fileadmin/dateien/FB06/Dozenten/Brueckner/
Burkhart_Brueckner_2011_Geschichte_Psychiatrie_Moral_Freiheit__Natur.pdf
3 In: https://www.mpg.de/23959571/freier-wille Hierzu auch: Robra 2024a).
4 „Hoffnungsbilder gegen den Tod“ hat Ernst Bloch entworfen in Das Prinzip Hoffnung (1959), S. 1297 ff. Andere Philosophen und Philosophinnen sind weniger bis gar nicht optimistisch.
,
5 Bloch 1970, S. 258 f.
6 René Tichy: Eine Philosophie des Teufels, in: www.pfarre-nepomuk.at › nepweb › nordbahnviertel
7 Tatjana Heidemann, in: https://hph-psychologie.de/es-gibt-keine-negativen-und-positiven-gefuehle-es-gibt-rueckfuehrer-und-voranbringer/
8 Vgl. Robra 2024, S. 44 ff.
9 Robra 2024, S. 36 ff.
10 In: Albert Wunsch: Abschied von der Spaßpädagogik! – oder: wie nachhaltiger auf die Herausforderungen des Lebens vorbereitet werden kann.
www.familienhandbuch.de/babys-kinder/erziehungsfragen/allgemein/abschiedvonderspasspaedagogik.php, S. 1
11 Konkrete Vorschläge hierzu finden sich unter: www.rtl.de/diese-werte-sollten-jedem-kind-nahegelegt-werden-4124195.html, S. 2
12 Antje Bostelmann: Erziehung braucht Grenzen. www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/paedagogik/2412, S. 2
13 Vgl. Robra 2021 sowie Robra o.J. (2020)
14 Vgl. Robra 2021 sowie Robra o.J. (2020)
15 In: https://www.bnw.de/service/blog/allgemein/ki-im-unterricht-bildung-2-0-oder-gefahr-fuer-das-lernen/nd Herausforderungen: KI als Stolperfalle?
16 https://www.einfachdigitallernen.de/lehrkraefte/ki-in-der-schule-chancen-und-risiken-ein-interview-mit-ki-expertin-professorin-dr-ute-schmid/
Dr. Ute Schmid ist Professorin für Kognitive Systeme an der Fakultät Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik der Universität Bamberg.
17 S. E. Lennartz in: https://bildungssprache.net/ki-nachteile-rant-kuenstliche-intelligenz-negativ/
18 UNO-Generalsekretär Guterres für Regulierungsbehörde zu KI (2023) , https://www.deutschlandfunk.de/generalsekretaer-guterres-fuer-regu...
19 UNO-Menschenrechtsrat-Resolution zu Kontrolle von KI angenommen (2023), https://www.deutschlandfunk.de/resolution-zu-kontrolle-von-ki-an Vgl. Robra 2023, S. 41 f.
20 Vgl. Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, S. 1392 ff.
21 Vgl. Kurzweil 2005
22 Mühlhoff 2025, S. 35
23 Misselhorn 2024, S. 127 f.
24 Vgl. Robra 1991, S. 18 ff. (auch für das Folgende)
25 K. Robra: Kann das Leib-Seele-Problem durch einen dialektisch-materialistischen Informationsbegriff gelöst werden? in: VorSchein Nr. 30 (2008), S. 151
26 Robra, Klaus o.J. (2020), S. 202 ff.
27 T. Stein, in: Brocker/Stein (Hrsg.) 2006, S. 179
28 Vgl. T. Stein a.a.O. S. 178 f. Dazu auch K. Robra o.J. (2020), S. 7 ff.
29 In: Brocker/Stein (Hrsg.) 2006, S. 29-37
30 Hegel in: Brocker/Stein (Hrsg.) 2006, S. 35
31 Dazu auch K. Robra o.J. (2020), S. 7 ff.
32 Vgl. K. Robra o.J. (2020), S. 7 ff.
33 Kobusch in: Brocker/Stein (Hrsg.) 2006, S. 42 f. Christian Wolffs Äußerungen stammen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.
34 Blochs Begriff der Offenheit ist nicht zu verwechseln mit Karl Poppers Konzept der „Offenen Gesellschaft“. Anders als Bloch stellt Popper den real existierenden Kapitalismus nicht in Frage.
35 Näheres und Weiteres hierzu in: Robra 2003
36 Vgl. Robra 2003, S. 17 f., 168
37 Vgl. Robra 2003, S. 168 f.
38 Vgl. Robra 2003, S. 67 f.
39 In: https://planet-zukunft.com/sex-mit-robotern-ist-das-unsere-zukunft/
40 In: https://www.20min.ch/story/ki-sexpuppen-es-fuehlt-sich-real-an-sexroboter-haben-nun-gefuehle-103132199
41 Vgl. https://www.maschinenethik.net/wp-content/uploads/2016/10/Artikel_Sexroboter.pdf
42 Hermann Klenner,: Demokratie, Rechtsstaat und Gesellschaft (1998), in:
www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/91_z_klenner.pdf, S. 91
43 Möhring-Hesse, in: www.ethik-und-gesellschaft.de>article>domnload>1-2018-ast-4; s. auch Robra 2020, S. 121-125
44 Vgl. Robra o.J. S. 19 f.
45 Näheres hierzu bei K. Robra: Ist das Christentum am Ende? Zu den Kritiken von Marx, Nietzsche, Dawkins, Kahl und Bauer. München o.J., https://www.grin.com/document/ https://www.grin.com/document/1246983, S. 90-93
46 Bernhard Mankwald: Die Diktatur der Sekretäre. Marxismus und bürokratische Herrschaft, Norderstedt 2006, S. 126, 128
47 In: Bloch, Ernst 1970: Tübinger Einleitung in die Philosophie, Frankfurt a.M., S. 258 f.
48 Bloch 1977a) S. 1568, Hervorhebungen K.R.
49 Bloch in: Experimentum Mundi, Frankfurtg a.M. 1977, S. 196; vgl. Robra 2020, S. 171-178
50 Aust, Stefan / Ammann, Thomas: Digitale Diktatur, Totalüberwachung, Datenmissbrauch, Cyberkrieg. Berlin 2014
51 s. u.a. Arnsburg, René: Maschinen ohne Menschen? Industrie 4.0: Von Schein-Revolutionen und der Krise des Kapitalismus. Berlin 2017, sowie: Schnetker, Max Franz Johann: Transhumanistische Mythologie. Rechte Utopien einer technologischen Erlösung durch künstliche Intelligenz. Münster 2019
52 Vgl. Robra, Klaus: Rettung durch Diktatur? Über Wege und Irrwege zum Reich der Freiheit. München 2019
53 In: https://www.jungewelt.de/artikel/503824.philosophie-wir-brauchen-einen-ökologischen-marxismus.html Der Philosoph Jan Rehmann ist Visiting Professor am Union Theological Seminary, New York, Privatdozent am Philosophischen Institut der Freien Universität Berlin und Redakteur des »Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus«.
54 Cohen in: Sandkühler, Hans Jörg u.a. (Hg.) 1974: Marxismus und Ethik. Texte zum neukantianischen Sozialismus, Frankfurt a.M., S. 71. Näheres zum Ethischen Sozialismus in: Robra 2020, S. 125-127
55 Klaus Sojka: Öko-Ethik, Göttingen 1987, S. 59
56 Vgl. Karsten Brensing: Persönlichkeitsrechte für Tiere, Freiburg 2013, S. 198 f.
57 Vgl. Robra 2015, S. 518, s. auch Robra 2017, S. 133-143
58 Vgl. Ziegler 2025
- Quote paper
- Klaus Robra (Author), 2025, Anthropologische Fundierung eines Demokratischen Öko-Sozialismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1660656