Leseprobe
„Lesen lernt man nur durch Lesen“ – Ein Plädoyer für den Einsatz von Sustained Silent Reading Periods zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Zweit- und Fremdsprache
Die von Bamberger aufgestellte These „Viele Kinder lesen keine Bücher, weil sie nicht lesen können; sie können nicht richtig lesen, weil sie keine Bücher lesen“ (Bamberger 1967) beschreibt einen Circulus Vitiosus, der angesichts der Ergebnisse bei PISA für Schülerinnen und Schüler mit Migrationsgeschichte im besonderen Maße zutreffend ist. So stellen Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache einen großen Anteil an der Gruppe der so genannten Risikoschüler. Diese verfügen nur über mangelnde grundlegende Lesefertigkeiten, so dass das laute und leise sinnentnehmende Lesen von Texten, das Entschlüsseln von schwierigen Buchstabenverbindungen sowie die Wiedergabe der wichtigsten Gedanken eines Textes große Schwierigkeiten bereiten. Folglich benötigen diese Schüler die gesamte Aufmerksamkeit für das Entschlüsseln von Buchstaben und Wortgruppen. Kognitive Ressourcen stehen für die reflexive und wertende Auseinandersetzung des Gelesenen nur im geringen Umfang zur Verfügung. Das Verständnis des Textes bleibt als Ergebnis gering, so dass der Leseprozess zumeist wiederholt werden muss. Die Frustration und die Enttäuschung über den nur unter großer Anstrengung zu bewältigenden Leseprozess sowie die mangelhafte Aussicht auf Erfolg verhindern die sukzessive Auseinandersetzung mit Texten und bilden die Voraussetzung für den von Bamberger eingangs beschriebenen Teufelskreis.
In Anbetracht der publizierten Ergebnisse zum IST-Zustand der Lesekompetenz bei deutschen Schülerinnen und Schülern in nationalen und internationalen Vergleichsstudien (vgl. PISA, VERA, PISA-E, etc.) zählen die Unterstützung der Erwerbsprozesse und die Förderung von Lesekompetenz zu den zentralen Bildungszielen der schulischen Aus- und Weiterbildung.
In Folge dessen sind, basierend auf dem Kompetenzmodell von PISA 2000, vor allem Förderprogramme entstanden, die sich auf die technische Ausbildung und damit die äußerliche Arbeit, z. B. das Einüben verschiedener Lesetechniken, Übungen zum betonten und deutlichen Lesen und die Vermittlung von Texterschließungsstrategien konzentrieren. Interventionen für Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache zielen darüber hinaus vor allem auf die Ausbildung von schriftsprachlichen Fähigkeiten.
Fördermaßnahmen für Schülerinnen und Schüler sollten sich dabei jedoch nicht allein auf die Vermittlung technischer Lesefertigkeiten konzentrieren, sondern ebenso „(…) einen elementaren, aber professionellen und engagierten Leseförderunterricht (…)“ anbieten, „(…) der auf die Ausgangsbedingungen der Leser eingeht sowie Leseumwelten und Handlungskontexte schafft, an denen sie insgesamt erleben können, dass Lesen belohnend ist und auch im sozialen Zusammenhang Sinn macht“ (Hurrelmann 1998, 191).
Eine Möglichkeit, diesen vielseitigen Forderungen der Deutschdidaktik gerecht zu werden, bietet die Etablierung von Sustained Silent Reading-Periods (SSR). Hierbei können die Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Einsatzes ritualisierter stiller Lesezeiten, frei von weiterführenden Leseaufgaben, individuell das Lesemedium und die Lesegeschwindigkeit wählen. Basierend auf dem stabilen Zusammenhang zwischen Lesekompetenz und dem Umfang der für das Lesen investierten Zeit ist es das Ziel dieses Leserituals, Schülerinnen und Schüler dauerhaft zum Lesen zu motivieren und über die permanente lesende Konfrontation eine Automatisierung der basalen Lesefertigkeiten zu erreichen, dessen unzureichendes Beherrschen in der Forschung als zentraler Grund für mangelnde Lesekompetenz beschrieben wird.
„Wie sich im Wörtertest bestätigt hat, stolpern Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund über einfache Wörter und Satzstrukturen, weil sie in ihrem Sprachwortschatz kaum oder gar nicht vorkommen.“
(Konrad 2009, 29)
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