Der Schwerpunkt dieser Ausarbeitung liegt auf der analytischen und erschließenden Betrachtung mehrerer Miniaturen aus Walter Benjamins "Berliner Kindheit um neunzehnhundert".
Nachdem zunächst ein kurzer Einblick in die Textgenese und Editionsgeschichte gegeben wird, richtet sich das Augenmerk anschließend auf Benjamins Intention bei der Umarbeitung von der "Berliner Chronik" bis hin zur "Fassung letzter Hand" der "Berliner Kindheit um neunzehnhundert".
Abschließend werden anhand der Untersuchung einzelner Miniaturen für Benjamins Erinnerungsbilder charakteristische Eigenschaften sowie Motivparallelen erarbeitet. Die Textgrundlage hierfür bildet die 1987 im Suhrkamp-Verlag veröffentlichte Fassung letzter Hand.
Inhalt
1 Einleitung
2 Textgenese und Editionsgeschichte
2.1 Berliner Chronik
2.2 Drei Manuskripte der Berliner Kindheit um neunzehnhundert
2.2.1 Manuskript vom Februar 1933
2.2.2 Gieftener Fassung - April 1934
2.2.3 Fassung letzter Hand - 1938
2.3 Editionsgeschichte
3 Die Intention Walter Benjamins bei der Umarbeitung von der Berliner Chronik zur Berliner Kindheit
4 Ausgewahlte Einzeltexte der Fassung letzter Hand
4.1 Die Farben
4.2 Verstecke
4.3 Steglitzer Ecke Genthiner
5 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
DerSchwerpunkt dieser Ausarbeitung soil auf deranalytischen und erschlieftenden Betrachtung mehrerer Miniaturen aus Walter Benjamins BerlinerKindheit um neun- zehnhundert liegen.
Nachdem zunachst ein kurzer Einblick in die Textgenese und Editionsgeschichte gegeben wird, richtet sich das Augenmerk anschlieftend auf Benjamins Intention bei der Umarbeitung von der Berliner Chronik bis hin zur Fassung letzter Hand der Berliner Kindheit um neunzehnhundert.
Abschlieftend werden anhand der Unter-suchung einzelner Miniaturen fur Benjamins Erinnerungsbilder charakteristische Eigenschaften sowie Motivparallelen erar- beitet. Die Textgrundlage hierfur bildet die 1987 im Suhrkamp-Verlag veroffentlich- te Fassung letzter Hand.
2 Textgenese und Editionsgeschichte
2.1 Berliner Chronik
Nachdem Walter Benjamin 1929/30 eine Jugendrundfunkserie uber die „Groftstadt Berlin" gestaltet hatte, verpflichtete er sich 1931 gegenuber der Literarischen Welt eine Berliner Chronik zu verfassen. Es handele sich, so schrieb er kurze Zeit spater an seinen Freund Gershom Scholem, um „Niederschriften, [...] die die Geschichte [sjeines Verhaltnisses zu Berlin betreffen.1 "[2] In diese Berliner Chronik ubernahm er funf von sechs Texten die unter dem Titel „Vergrofterungen" bereits als zentrales Stuck in seinem Buch EinbahnstraRe (1928) veroffentlicht worden waren. Er ver- folgte den Plan in einem „Pharusplan" die labyrinthischen Spuren seiner Existenz in der Groftstadt nachzuzeichnen3. Im Jahre 1970 veroffentlichte Benjamins Freund Gershom Scholem die fertig gestellten Teile unter dem Titel Berliner Chronik.
2.2 Drei Manuskripte der BerlinerKindheit um neunzehnhundert
2.2.1 Manuskript vom Februar1933
Im Februar 1933 erklarte Benjamin seine Arbeit an der Berliner Kindheit erstmals als beendet und verkaufte ein 30 Stucke umfassendes Manuskript an die Frankfurter Zeitung. Zwolf Stucke wurden durch diese publiziert. Der Kiepenheuer Verlag lehnte die Veroffentlichung ab.
2.2.2 Gieftener Fassung - April 1934
Im Marz 1933 ging Benjamin ins Exil. Die politische Situation erschwerte Veroffentlichungen in Deutschland zunehmend. Er ubersetzte einige Stucke der Berliner Kindheit ins Franzosische und verfasste neue Texte, unter anderem die Miniatur Loggien, die er beschloss „an erste Stelle des Buches [zu] setzen"4 und Der Mond. Unter Pseudonymen wurden einige der neuen Stucke in der Frankfurter Zeitung und Vossischen Zeitung veroffentlicht. Im April 1934 sendete Benjamin schlieftlich ein zweites Manuskript an Gretel Adorno, welches eine groftere Anzahl an Texten in einer veranderten Reihenfolge umfasste. Wiederum wurde eine Publi- kation, dieses Mal vom Erich Reiss Verlag, abgelehnt.
2.2.3 Fassung letzter Hand - 1938
Aus Briefen geht hervor, dass Benjamin im Fruhjahr 1938 die Berliner Kindheit ein weiteres Mal uberarbeitet hat. Sieben Stucke wurden in dieser letzten Fassung im Sommer 1938 in der Exilzeitschrift Matt und Wert gedruckt.
In der Nationalbibliothek Paris wurden 19825 im Nachlass George Batailles unter anderem ein Typoskript mit der handschriftlichen Notiz Benjamins „Handexemplar komplett" und eine Vorrede entdeckt. Auf einem gesonderten Blatt fand sich die von Benjamin vorgesehene Reihenfolge der 30 Stucke, nach der Loggien an erster Stelle, Das Bucklichte Mannlein abschlieftend stehen sollten. In das Typoskript waren nach dem dreizehnten Text zwei weitere Miniaturen, Erwachen des Sexus und Das Karussell, eingeschoben worden, ansonsten folgte es der Anordnung auf dem gesonderten Blatt. Da die Texte des Typoskriptes detailgetreu mit den in Matt und Wert abgedruckten ubereinstimmen, geht man davon aus, dass dieses Typoskript das Ergebnis der letzten Uberarbeitung Benjamins in 1938 ist.
2.3 Editionsgeschichte
Erstmals wurde die Berliner Kindheit um neunzehnhundert durch Theodor W. Adorno posthum im Jahre 1950 ediert. Die Texte dieser Edition sind sowohl aus Zeitungsabdrucken wie Manuskriptfassungen zusammengestellt und ihre Reihenfolge richtet sich teilweise nach der Chronologie in der sie in Zeitungen abgedruckt wurden, keineswegs aber der Intention Benjamins.
Im 1972 herausgegebenen IV. Band der Gesammelten Schriften wurde die Anordnung Adornos ubernommen, zusatzlich jedoch weitere Texte aus dem Frankfurter Nachlass, hinsichtlich inhaltlicher Zusammengehorigkeit, eingefugt. Der He- rausgeber ging hier auf die jeweils letzte ihm erreichbare Druckfassung zuruck.
Funf Jahre nachdem das Typoskript und die von Benjamin selbst vorgegebene Anordnung der Texte in Paris gefunden wurden, erschien 1987 die Fassung letzter Hand im Suhrkamp-Verlag. Diese halt sich genau an Benjamins Vorgaben zur Textfolge. Die beiden nicht im Verzeichnis aufgefuhrten, eingeschobenen Texte Erwachen des Sexus und Das Karussell wurden im Anhang abgedruckt.
3 Die Intention Walter Benjamins bei der Umarbeitung von der Berliner Chro- nik zur Berliner Kindheit
In Kindlers Neuem Literatur-Lexikon heiBt es uber die Berliner Kindheit um neun- zehnhundert:
„Will man Stil und Absicht dieser kleinen Publikation des bedeutenden Philosophen und Literators erfassen, muB man sie vor dem Hintergrund seiner philosophischen Schriften lesen [,..]“6
Dies wurde jedoch den Rahmen dieser Ausarbeitung sprengen. Daher soll hier le- diglich Benjamins Intention bei der Umarbeitung der BerlinerChronik in die Berliner Kindheit dargestellt werden.
In der Berliner Chronik erzahlt Walter Benjamin in chronologischer Reihenfolge au- tobiographische Ereignisse aus seiner Kindheit und Jugendzeit. Unmittelbar nach einertiefen personlichen Krise in 1932 begann er mit der Umarbeitung der Berliner Chronik zur Berliner Kindheit um neunzehnhundert.
Indem er schmuckende und anekdotische Elemente aus den Texten herausstrich, treten die biographischen Zuge - Familie und Freunde - in den Hintergrund. Zu- nehmend arbeitete Benjamin stattdessen den Vorgang des Erinnerns selbst heraus und stellte die Bilder dar, „in denen die Erfahrung der GroBstadt in einem Kinde der Burgerklasse sich niederschlagt" 7. So erklart es sich auch, dass TheodorAdorno im Nachwort der Fassung letzter Hand die Miniaturen der Berliner Kindheit als das „subjektive Gegengewicht"8 zu Benjamins Pariser Passagen bezeichnet. In diesen beabsichtigte Benjamin den Charakter des neunzehnten Jahrhunderts als eine ,Ur- geschichte der Moderne’ darzustellen.
Des Weiteren hob Benjamin in der Berliner Kindheit von Anfang an die in der Berliner Chronik bestehende chronologische Textfolge auf. Durch Kurzungen und Strei- chungen zerbrach er das erzahlerische Kontinuum. Dies lasst die Texte als Frag- mente oder Bruchstucke eines Ganzen erscheinen, deren fehlenden Teil man nur erahnen kann.
Um zu verstehen, wieso Benjamin fur seine Erinnerungen genau diese Form ge- wahlt hat, muss man einerseits den Entstehungskontext der Miniaturen berucksich- tigen, andererseits Benjamins philosophische Uberlegungen zum Vorgang des Erinnerns: Inspiriert wurde Walter Benjamin von Marcel Proust und dessen Kon- zept der memoire involontaire9.
[...]
1 Vgl. Witte, Bemd: Bilder der Endzeit. Zu einem authentischen Text der ,Berliner Kindheit’ von Walter Benjamin. In: Deutsche Vierteljahresschrift fur Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 58 (1984). S. 570-592.
2 Scholem, Gershom: Walter Benjamin - die Geschichte einer Freundschaft. Frankfurt am Main 1975. (=SV 467) S. 225.
3 Vgl. Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften. Hrsg. von RalfTiedemann und Hermann Schweppenhauser unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem. Frankfurt am Main 1972 -1989. Bd. VI S. 466 f.
4 Benjamin, Walter: Briefe. Hrsg. und mit Anmerkungen versehen von Gershom Scholem und Theodor Adorno. Frankfurt am Main 1961. Bd. II S. 591.
5 In Benjamin, Walter: Berliner Kindheit um neunzehnhundert. Fassung letzter Hand [und Fragmente aus fruheren Fassungen]. Mit einem Nachwort von Theodor W. Adorno. Frankfurt am Main 1987. S. 115 (,Editorisches Postskriptum’) heiht es 1981.
6 Henschen, Hans-Horst: Berliner Kindheit um neunzehnhundert. In: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Hrsg. von Walter Jens. Bd. 2: BA-BO. Munchen 1989. S. 490 f.
7 Benjamin, Walter: Berliner Kindheit um neunzehnhundert. Fassung Letzter Hand. S. 9.
8 Ebd., S. 111.
9 Vgl. Bernd Witte: Bilder der Endzeit. S. 573.
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