Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: Wie viel Grammatik braucht der Mensch?
2. Schulbuchanalyse
2.1. Gesamtdidaktisches Konzept
Exkurs: Inwiefern sind grammatische Termini sinnvoll für den Unterricht?
2.2. Exemplarische methodische Analyse einer Grammatik-Einheit
2.2.1. Hinführung
2.2.2. Weiterführung und Übungsaufgaben
2.2.3. Sachliche Richtigkeit und Bewertung der Didaktisierung
2.2.3.1. Prädikat
2.2.3.1. Subjekt
2.2.3.2. Lehrplankonformität
3. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung: Wie viel Grammatik braucht der Mensch?
Wie viel Grammatik braucht der Mensch? – Diese weit gefasste Fragestellung versuchte Konrad Gaiser in seinem gleichnamigen Artikel (vgl. Gaiser 1950) zu beantworten und verwies dabei nicht zuletzt zum einen auf die Tradition und die Geschichte der Grammatikvermittlung wie auch auf den Deutschunterricht, in dem die Grammatik gelehrt werden soll. Eine pauschale und simple Antwort scheint jedoch nicht ohne weiteres möglich zu sein.
Schon in der Antike wurde die Grammatik als eine der „septem artes liberales“, der sieben freien Künste, angesehen und gelehrt (vgl. Steinig/Huneke 2003: 42). Über viele Jahrhunderte hinweg ist die Formung eines grammatischen Verständnisses bei Schülerinnen und Schülern ein zentraler Bildungsaspekt mit hohem Stellenwert geblieben, wie man an einem Zitat Herders ablesen kann:
„Eine Grammatik muß der Mensch lernen, denn Grammatik ist Philosophie der Sprache und Sprache ist ja der Umfang aller menschlichen Begriffe.“ (Steinig/Huneke 2003: 46 (nach Herder 1780))
Herder verknüpft grammatisches Wissen eng mit semantischem Wissen über die Sprache und impliziert damit ein anderes Verständnis der Grammatikvermittlung wie sie klischeehaft aus dem traditionellen Schulunterricht bekannt ist. Wolfgang Pfleiderer stellt sogar die These auf, dass „es […] psychologisch unmöglich [ist], dass der durchschnittlich begabte, geistig einigermaßen normal entwickelte Mensch ein echtes Interesse für die Grammatik seiner Muttersprache aufbringen kann.“ (Pfleiderer 1954: 48)
Ein solch resignatives Bild lässt sich nur vor dem Hintergrund der veralteten Grammatikvermittlung an der Orientierung des lateinischen Grammatikverstehens zeichnen, bei dem die Lehre der acht Wortarten nach Dinoysios Trax und Aelius Donatus „ohne Modifikationen auf das Deutsche übertragen“ (Steinig/Huneke 2003) wurde. Grammatik als Tradition der schulischen und vor allem der humanistischen Bildung muss aber mit modernen didaktischen Ansätzen zu einem schülerorientierten Konzept zusammengeführt werden.
Die formale Bildung muss mit der Nützlichkeit und der praktischen Verwertbarkeit im Alltag kombiniert werden, sodass sie einen Beitrag zur Bewältigung von Lebenssituationen liefert. Weiterhin soll die Grammatik auf der einen Seite die (hoch-) sprachliche Einheitlichkeit, andererseits aber auch die kontrastive Spracharbeit mit dem Ziel einer multiperspektivischen sprachlichen Bildung fördern. Jedoch sollten ebenso ideelle Werte vermittelt werden, um den Schüler zu einem mündigen Bürger der Gesellschaft zu erziehen, der sich individuell entfalten kann (vgl. Steinig/Huneke 2003: 55, 56).
Diese Ziele erscheinen durchaus schlüssig für einen ganzheitlichen Grammatikunterricht, der sich nicht nur an Formenwissen, sondern vor allem an der praktischen Verwendbarkeit und der gesellschaftlichen Erziehung orientiert. Die Sprache darf daher nicht nur strukturell betrachtet werden, sondern primär als eine „Förderung des Sprachgebrauchs und des Sprachverstehens“ (Gornik 2003: 826). Es gilt hierbei vor allem einen Anknüpfungspunkt an der in jedem Menschen biologisch verankerten „inneren Grammatik“ zu finden, die es ermöglicht ohne fundierte grammatische Kenntnisse „grammatisch strukturierte Sätze zu bilden“ (Steinig/Huneke 2003: 142). Jedoch soll eine entsprechende Kenntnis über die Struktur der Sprache erworben werden, die sich scheinbar automatisch produzieren lässt. Um dies zu ermöglichen, kann man die Grammatik nicht als neues Thema proklamieren – da die interne Grammatik schon vorhanden ist – sondern man muss „zu etwas Distanz gewinnen, über das man schon verfügt“ (Gornik 2003: 815).
Gaiser resümiert in seinem Artikel, dass es für die „Grundlegung von Rechtschreibung und Zeichensetzung […] höchstens eines halben Dutzends von definitorischen Fachausdrücken und gar keiner Kenntnis der syntaktischen Strukturformen des deutschen Satzes brauche“ (Gaiser 1950: 6). Diese Einschätzung deckt sich allerdings weder mit dem humanistischen Bildungsideal, noch mit dem Lehrplan für das Gymnasium[1]. Auch andere wissenschaftliche Untersuchungen widersprechen diesem offenbar zu eng gefassten Rahmen. Ingendahl beispielsweise fordert eine „Abkehr vom Grammatikunterricht und eine Hinwendung zur Sprachreflexion“ (Bredel 2007: 259), bei der jedoch ein „Sprechdenken“ (Bredel 2007: 271) entwickelt werden soll, das über das eigene Sprechen reflektiert. Dies greift weiter als Gaisers Ziel einer Beherrschung der grundlegenden Rechtschreibung und Zeichensetzung. Auch die Arbeit von Neuland, die anders als Ingendahl eine „Reflexion und Grammatik“ (Bredel 2007: 272) fordert, strebt eine „kritische Reflexion des eigenen Sprachgebrauchs“ (Bredel 2007: 272) an, bei der mehr als nur ein Minimalverständnis von den Strukturen der Sprache vonnöten ist.
Die Anfangsfrage ist damit nicht allgemein zu klären. Die simplifizierte Antwort Gaisers zielt primär auf die Verwendbarkeit des strukturellen Sprachwissens im Alltag ab und berücksichtigt nicht die Kompetenzen, die ein Abiturient nach Schulabschluss besitzen soll. Ob der Erwerb eines komplexeren grammatischen Wissens fächerübergreifend für andere Sprachen sinnvoll ist, ist ebenfalls umstritten (vgl. Gaiser 1950: 10; Pfleiderer 1954: 49). Jedoch kann festgehalten werden, dass man den Grammatikunterricht nicht fälschlicherweise als trockenes Formenlernen, sondern, wie auch im Lehrplan festgehalten (Lehrplan 2008: 11), als „Reflexion über Sprache“ ansehen muss, und die Schülerinnen und Schüler damit eine „eigenaktive, neugierig-entdeckende und experimentelle Haltung gegenüber Sprache“ (Steinig/Huneke 2003: 162) entwickeln sollen um die Struktur dieser zu ergründen.
Dafür bedarf es auf der einen Seite verständlicherweise eines kompetenten Lehrers, der motivierend und schülerorientiert agiert. Nicht zu vernachlässigen ist auf der anderen Seite jedoch ebenso ein zuverlässiges, inhaltlich-korrektes und methodisch-sinnvolles Lehrbuch zur Unterstützung des Lehrers.
In dieser Arbeit wird eine Analyse des Lehrbuches „Kontext Deutsch. Das kombinierte Sprach- und Lesebuch für Gymnasien“ für die Klassen 5-7 durchgeführt. Dabei werden zunächst der Aufbau und die Struktur des gesamtdidaktischen Konzepts vorgestellt. Bevor daraufhin exemplarisch der Grammatikteil über Prädikat und Subjekt analysiert wird, erfolgt eine Untersuchung über die Legitimation von grammatischen Termini im Deutschunterricht. Nach der Überprüfung der Grammatikeinheit hinsichtlich Hinführung, Aufgabentypen, Weiterführung, sachliche Korrektheit, Didaktisierung und Lehrplankonformität wird am Ende der Arbeit ein Fazit stehen, in dem ein generelles Urteil und eine Einschätzung über die Schultauglichkeit des Buches abgegeben wird.
2. Schulbuchanalyse
2.1. Gesamtdidaktisches Konzept
Das Lehrbuch stammt aus dem Jahr 2002 und wird in hessischen Schulen oft verwendet. Es gliedert sich inhaltlich stringent durch Kapitel („Neue Schule – Neue Klasse“, „Verwechslungen“, „Eine schreckliche Entdeckung“, …), in denen jeweils unterschiedliche Themenkomplexe behandelt werden. Auffallend ist hier die übersichtliche Gliederung mithilfe von Farben für die einzelnen „Prisma Bausteine“: rot steht für „Nachdenken über Sprache“, grün für „Sprechen und Schreiben“, gelb für „Rechtschreibung“ und blau für „Umgang mit Texten“ (s. Grafik 1). Im Lehrplan sind für diese vier Bereiche nur drei vorgesehen: „Sprechen und Schreiben“/ „Münd-liche und schriftliche Kommuni-kation“, „Lesen/ Umgang mit Texten“, „Reflexion über Sprache“ (Lehrplan 2008: 6). In „Kontext Deutsch“ ist der Aspekt „Reflexion über Sprache“ in zwei Bereiche aufgeteilt, „Nachdenken über Sprache“ und „Rechtschrei-bung“. Grafik 1 (Kontext Deutsch 2002 Bd. 5: Innenseite Buchdeckel)
Diese Einteilung erscheint dahingehend sinnvoll, als dass in dem Abschnitt „Rechtschreibung“ konkrete, traditionell orientierte Formenlehre aufgeführt wird (z.B. „Adjektive – Wörter mit Eigenschaften“ (Kontext Deutsch 2002 Bd. 5: 21)), und damit die Grundlagen und Werkzeuge für die weitere Reflexion erarbeitet werden. Der Bereich „Nachdenken über Sprache“ bezieht sich mehr auf praktische Vorgehensweisen und das Anwenden von sprachlichen Fähigkeiten im Alltag (z.B. „Briefe schreiben“ (Kontext Deutsch 2002 Bd. 5: 27)). Die vorgesehene Methodik verlangt ein Vorgehen nach der Reihenfolge des Buches, da die einzelnen Themenkomplexe aufeinander aufbauen. Am Ende jeder Einheit steht eine zusammenfassende Übung, ein so genanntes „Prisma“. Dies besteht aus meist kreativen Aufgaben, die einer Wiederholung, Vertiefung und dem spielerischen Umgang mit einer theoretischen Einheit dienen. Im Band für die Klasse 5 sieht eine „Prisma-Einheit“ beispielsweise das Erstellen eines Zirkus-Quartetts vor (Kontext Deutsch 2002 Bd. 5: 158). Die behandelten grammatischen Themen in dieser Einheit beziehen sich auf die Satzglieder Subjekt, Prädikat und einzelne Objekte. In der „Prisma-Einheit“ werden diese nun mit dem inhaltlichen Thema der Einheit verbunden, dem Zirkus, und geben den Schülerinnen und Schülern eine Anleitung, ein Spiel zu basteln. Diese „Prisma-Einheit“ kann als sehr gelungen angesehen werden, da sie zum einen syntaktische mit semantischen Themen kombiniert und zum anderen methodisch variierend vorgeht, da die Schülerinnen und Schüler zuerst etwas basteln, mit dem sie dann spielend lernen können.
Weiterhin bietet das Buch im Anhang ein umfassendes Glossar mit kurzen Begriffserklärungen und Verweisen. Der Nachteil dabei ist allerdings, dass dieses Glossar in den folgenden Büchern nicht konsequent fortgesetzt wird, sondern neu ansetzt. Damit ist beispielsweise der Begriff „Prädikat“ nur im Glossar des Bandes für die Klasse 5 (Kontext Deutsch 2002 Bd. 5: 288) vorhanden, die Erläuterung für die Präposition wird in den Bänden für die Klasse 5 (Kontext Deutsch 2002 Bd. 5: 288) und 6 (Kontext Deutsch 2002 Bd. 6: 284), jedoch nicht für die Klasse 7 aufgeführt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Anschluss an das Stichwort-Glossar findet sich eine ausführlichere Zusammenfassung der wichtigsten behandelten Einhei-ten, bei dem unterschiedliche Themen knapp zusammengefasst sind, wie beispielsweise eine Anleitung für den Umgang mit Erzähltexten (Kontext Deutsch 2002 Bd. 5: 292) oder einen Überblick über das Verb und seinen Flexionen (Kontext Deutsch 2002 Bd. 5: 295) (s. Grafik 2).
Grafik 2 (Kontext Deutsch 2002 Bd. 5: 295)
Sehr übersichtlich konzipiert sind auch die Verweise auf weitere Übungsseiten im hinteren Teil des Buches. Wird eine neue Einheit vorgestellt, gibt es im Abschluss Übungen dafür, es wird jedoch am unteren linken Rand durch Seitenzahlen auf weitere vertiefende Aufgaben hingewiesen. (z.B. bei der Einführung des Akkusativ-objekts (Kontext Deutsch 2002 Bd. 5: 151).
Grafik 3 (Kontext Deutsch 2002 Bd. 5: 151)
Exkurs: Inwiefern sind grammatische Termini sinnvoll für den Unterricht?
„Die Kenntnis der Operation erscheint wichtiger als die Benennung“ (Müller 2003: 470); dies beschreibt die weit verbreitete Meinung, dass das Erlernen der sprachlichen Vorgehensweisen wichtiger ist, als die penible Bezeichnung jeglicher grammatischer Einheiten. Doch um dem Anforderungsbereich „Reflexion über Sprache“ gerecht zu werden, ist es unabdingbar, dass Schülerinnen und Schüler eine Metasprache mit Werkzeugcharakter erlernen, mit der sie über das System ihrer Sprache diskutieren können (vgl. Müller 2003: 470; Pfleiderer 1954: 45). Allerdings stellt sich dabei die grundlegende Frage, welche Terminologien, deutsche oder lateinische, verwendet werden sollen. Da man über ein System von Sprache reflektieren möchte, ist einer der wichtigsten Aspekte die Konstanz (vgl. Müller 2003: 470). Der metasprachliche Umgang ist für die Schülerinnen und Schüler neu und erfordert daher den höchsten Grad an Verbindlichkeit (vgl. Müller 2003: 471). Pfleiderer empfiehlt hier „von Anfang an mit den lateinischen Fachausdrücken zu arbeiten und die deutschen ganz fallen zu lassen“ (Pfleiderer 1954: 51), da sie für die Schülerinnen und Schüler nicht genug abstrahieren und neben einer grammatischen Bedeutung auch eine „Alltags-bedeutung“ (Pfleiderer 1954: 51) haben, die zu unnötigen Missverständnissen führen können. Auch Müller spricht sich für die Verwendung von eindeutigen lateinischen Termini aus, da es zum einen keine andere praxistaugliche Alternative gebe, und die Termini zum anderen weitgehend international vergleichbar und gültig seien (vgl. Müller 2003: 468).
Dies sah auch die Kultusministerkonferenz (KMK) so und erstellte 1982 ein „Verzeichnis grundlegender grammatischer Fachausdrücke“, in der eine simple Auflistung verbindlicher Fachausdrücke aufgeführt ist (vgl. Bredel 2007: 244). Diese wird jedoch vielfach kritisiert, da sie u. a. den zu überwindenden Benennunterricht fördere (vgl. Bredel 2007: 249), verschiedene Kategorien (vgl. Müller 2003: 466) und auch den Wandel durch neue wissenschaftliche Entwicklungen nicht berücksichtige (vgl. Bredel 2007: 245).
Zusammenfassend müssen die Terminologien „widerspruchsfrei, ökonomisch, eindeutig, international und wissenschaftlich sein […] [sowie] den Anspruch auf Anwendbarkeit sowie Lehr- und Lernbarkeit einlösen“ (Müller 2003: 465). Und dies können momentan nur eindeutige lateinische Termini erfüllen.
[...]
[1] Die Arbeit bezieht sich exemplarisch auf den Lehrplan für den gymnasialen Bildungsgang des Landes Hessen.