Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Was ist Macht?
2. Kernaussagen von Günther Ortmann und Erhard Friedberg
2.1 Ist Macht etwas Böses?
2.2 Die Beeinflussung von Strukturen und Regeln durch Macht
2.3 Die Bedeutung von Spielen für Macht
2.4 Die Symbiose von Macht und Mikropolitik
2.5 Die Beeinflussung von rationalen Entscheidungen durch Macht
3. Eine abstraktere und kritische Reflexion der Kernaussagen
4. Ein perspektivischer Ausblick für die betriebliche Praxis
Literaturverzeichnis
1. Was ist Macht?
Nach Max Weber ist ‚Macht’ klassisch definiert als die „Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“.[1]
Es handelt sich nicht um eine determinierte Größe, sondern eher um ein Potential, welches durch Aktivitäten beeinflusst werden kann.[2] Entgegen personenbezogener Konzepte beschreibt Macht dabei nicht eine Eigenschaft eines Einzelnen, sondern vielmehr ein relationales Attribut einer Beziehung zwischen mindestens zwei unterschiedlich positionierten Akteuren.[3]
Nach French und Raven sind folgende Machtquellen bekannt: Belohnung, Bestrafung, Legitimation, Identifikation, Expertentum und Information.[4] Aufgrund der Komplexität von Machtprozessen kommt es häufig auch zu einer Kombination der einzelnen Quellen.
2. Kernaussagen von Günther Ortmann und Erhard Friedberg
2.1 Ist Macht etwas Böses?
Friedberg betrachtet Macht als einen alltäglichen Mechanismus unserer sozialen Existenz und sieht sie als eine nicht zu vermeidende Dimension zwischenmenschlicher Beziehungen. Nichtsdestotrotz wird sie häufig auch als Eigenschaft gesehen, die von wenigen Machtvollen gegen viele Machtlose eingesetzt wird. Bei dieser Perspektive zählt man sich selbst meist zu den Machtlosen.[5]
In diesem Zusammenhang gilt es – Friedberg zufolge – sich kritisch mit Macht und Machtausübung auseinanderzusetzen, so z.B. in Verbindung mit Machtmissbrauch, Gewalt und anrüchiger Einflussnahme. Darüber zu sprechen mutet fast als Obszönität an, sodass man sagen kann: Macht ist etwas Böses.[6]
Nachdrücklich beschreibt Friedberg trotzdem, dass es menschliche Beziehungen ohne Macht nicht gibt. Er verweist aber auch darauf, dass der Mensch nicht grundsätzlich böse ist und sich nicht in einem „verdorbenen“ bzw. „entfremdeten“ System befindet. Der Mensch findet sich somit in einem stetigen Kampf wieder, in einer fortwährenden Auseinandersetzung um Autonomie, um sich das Recht nehmen zu können, sich anders zu verhalten, als man es von ihm erwarten würde. Der Spielraum für Handlungsmöglichkeiten wird damit vergrößert.[7]
2.2 Die Beeinflussung von Strukturen und Regeln durch Macht
Als widersprüchlich werden von Friedberg bestehende organisationale Strukturen und Regeln beschrieben, da sie ein Produkt aus Zwängen, sowie früherer Machtbeziehungen und Verhandlungen bilden. Aufgrund gegenseitiger, unausgeglichener Beziehungen entsteht ein nicht neutrales Kräfteverhältnis. Des Weiteren sind die Strukturen und Regeln auch nicht unangefochten, da jeder Akteur infolge des institutionalisierten Kräfteverhältnisses versucht, diese für seine eigenen Vorteile zu nutzen. Bestehende Strukturen und Regeln sind also nichts anderes als Einsätze anderer Machtbeziehungen, welche von anderen Spielen strukturiert wurden.[8]
Ortmann führt an, dass die Freiheit des einen eine machtvolle Restriktion der Handlungsmöglichkeiten des anderen bedeutet. Er verweist dabei auf Giddens, sowie auf Crozier und Friedberg, die darauf insistieren, dass Macht und Freiheit, Abhängigkeit und Autonomie, sowie Kontrolle und Konsens einander nicht nur bedingen, sondern auch konstituieren.[9]
2.3 Die Bedeutung von Spielen für Macht
Crozier und Friedberg definieren das Spiel als „ein Instrument, mit dessen Hilfe Individuen ihre Machtbeziehungen regulieren und strukturieren“[10]. Der Begriff des Spiels ist nach Ortmann folglich gut geeignet, um die seltsame Verschränkung von Kontrolle und Konsens, sowie von Zwang und Freiheit einzufangen.[11]
Durch die Existenz von verbindlich formellen und unverbindlich informellen Regeln wird das organisationale Handeln von Akteuren kanalisiert, sodass spezielle Strategien und Taktiken infolge bestimmter Spiele, Spielsituationen und Spielregeln verfolgt werden.[12]
Crozier und Friedberg weisen auch darauf hin, dass jeder einzelne Akteur normalerweise dazu gezwungen ist „mitzuspielen“, egal ob er dies möchte oder nicht. Sie sehen es als einen Zwang, „der um so größer ist, als die Spieler von diesem Spiel abhängig sind und es sich daher weniger leisten können zu verlieren“[13] bzw. das Spielfeld zu verlassen.
Organisationen bestehen aus einem ganzen Konglomerat an Machtspielen, bei dem auf ganz merkwürdige Weise – wie Ortmann es beschreibt – „Spiel und Ernst, Vernunft und das Andere der Vernunft, Wirklichkeit und Wirklichkeitsflucht, schließlich: Freiheit und Zwang (Spielregeln)“[14] zusammenkommen: fast wie im Leben.[15] [16]
2.4 Die Symbiose von Macht und Mikropolitik
Eine der klassischen Definitionen liefert Horst Bosetzky, der Mikropolitik beschreibt als
„die Bemühungen, die systemeigenen materiellen und menschlichen Ressourcen zur Erreichung persönlicher Ziele, insbesondere des Aufstiegs im System selbst und in anderen Systemen, zu verwenden sowie zur Sicherung und Verbesserung der eigenen Existenzbedingungen“[17].
Von Bedeutung ist die Machtfrage dann, wenn es zu Situationen kommt in denen weder die Macht des Kapitals noch die Zwänge der Umwelt es schaffen einen Konsens herbeizuführen. Die Folgen sind politische Prozesse und Machtbeziehungen, welche sich aus offensiven und defensiven Komponenten zusammensetzen.[18]
Hiermit wird deutlich in welch engem Zusammenhang Macht und Mikropolitik zueinander stehen. Aufgrund der organisationalen Innenpolitik werden politische Auseinandersetzungen um Positionen, Besitzstände, Problemdefinitionen, Lösungen und Sanktionen geführt.[19] [20]
Jeder Akteur trachtet danach, einerseits seinen eigenen Spielraum zu schützen und aufzublähen und andererseits die Spielräume relevanter Gegenspieler einzuengen und deren Abhängigkeiten zu erhöhen. Im Extremfall führt dies sogar zu einer Monopolisierungstendenz. Die Akteure versuchen zumindest kurzfristig eine unersetzbare Position einzunehmen und anderen ihre Bedingungen zu diktieren.[21]
Diese spezifische Verhaltensdisposition von Individuen ist die Folge einer durch Sozialisierungsprozesse geprägten Motivationsstruktur, die dazu führt, dass der (innerorganisatorische) Persönlichkeitstyp des Mikropolitikers entsteht.[22]
2.5 Die Beeinflussung von rationalen Entscheidungen durch Macht
Das Erreichen von absoluter Rationalität in Entscheidungsprozessen ist nahezu unmöglich. Vollkommene Rationalität würde die Erfassung vollständiger Informationen über Ziele, Entscheidungsprobleme, denkbare Alternativen und aller ihrer Konsequenzen, sowie den Wert ihrer Folgen implizieren. Jedoch ist dies aufgrund kognitiver Beschränkungen nicht möglich, sodass ein gleichzeitiger Vergleich von allen Alternativen mit ihren wahrscheinlichen Folgen nicht gewährleistet werden kann.[23]
Der machtvolle Akteur ist nicht in der Lage eine optimierte Entscheidung zu treffen. Aus der Perspektive einer vorgegebenen Zielhierarchie sucht er lediglich nach einer zufriedenstellenden Lösung – angloamerikanisch spricht man dabei auch von „satisficing“. Im besten Fall führt dies zu einer subjektiv rationalen Entscheidung. Infolgedessen wird der Mikropolitiker im individuellen Sinne zweckrational handeln und versuchen Strategien und Taktiken anzuwenden, welche ihm gegenüber anderen Organisationsmitgliedern Vorteile verschaffen. March und Simon sprechen hierbei von der „begrenzten Rationalität“ (bounded rationality).[24]
3. Eine abstraktere und kritische Reflexion der Kernaussagen
Das Wesen menschlicher Vergesellschaftung wird durch die asymmetrische Verteilung von Macht von Grund auf bestimmt. Die Omnipräsenz der Machtkonflikte durchdringt die gesamte Gesellschaft und führt allgemein zu einer Freiheitsbegrenzung. Dieser Eingriff in die Selbstbestimmung anderer ist jedoch kritisch zu hinterfragen, denn durch die Ausübung von Macht über andere Menschen können diese verletzt bzw. ihre individuelle Existenz bedroht werden.[25]
In diesem Sinne wirkt Macht auch verhaltenssteuernd, da beispielsweise Hoffnungen langfristig manipuliert, sowie Versprechungen und Drohungen ausgebaut werden können, sodass eine „Macht des Angstmachens“ entsteht.[26]
Jedes Kind lernt bereits im Laufe des Sozialisationsprozesses mit Macht umzugehen, und dass seine Handlungen gute oder böse – funktionale wie dysfunktionale – Folgen haben können. Da die Machtausübung auch in alltäglichen sozialen Interaktionen eine Rolle spielt, gilt es immer wieder zu reflektieren, ob sie auf intentionaler und eklatanter Art und Weise eingesetzt und genutzt wird – oder nicht.[27] [28]
[...]
[1] Weber, 1947, S. 28
[2] Vgl. Bosetzky, 1995, Sp. 1518
[3] Vgl. Friedberg, 1992, S. 41 f.; Sandner/Meyer, 2004, Sp. 759; vgl. auch Al-Ani, 2008, S. 90; Alt, 2001, S. 305; Mohr, 1999, S. 25
[4] Vgl. French/Raven, 1959, S. 150-167; Sandner/Meyer, 2004, Sp. 759
[5] Vgl. Friedberg, 1992, S. 41
[6] Vgl. Friedberg, 1992, S. 41 f.; vgl. auch Sandner/Meyer, 2004, Sp. 760
[7] Vgl. Friedberg, 1992, S. 40 ff.
[8] Vgl. Friedberg, 1992, S. 45 f.
[9] Vgl. Ortmann, 1992, S. 16 f.
[10] Crozier/Friedberg, 1993, S. 68; vgl. auch Ortmann, 1992, S. 21
[11] Vgl. Ortmann, 1992, S. 20 f.
[12] Vgl. Ortmann, 1992, S. 21
[13] Crozier/Friedberg, 1979, S. 326; vgl. auch Ortmann, 1992, S. 22
[14] Ortmann, 1992, S. 24
[15] Vgl. Ortmann, 1992, S. 24 f.
[16] Zur Vertiefung: Für einen Überblick über „mikropolitische Spiele“ vgl. Mintzberg, 1983,
S. 187 ff.; Mintzberg et al., 1999, S. 270 f.
[17] Bosetzky, 1972, S. 382; vgl. auch Ortmann, 1992, S. 18
[18] Vgl. Ortmann, 1992, S. 19; Friedberg, 1992, S. 43
[19] Vgl. Ortmann, 1992, S. 18
[20] Zur Vertiefung: Für einen ausführlichen Überblick über ein breites Spektrum von mikropolitischen Strategien und Taktiken vgl. Heinrich/Schulz zur Wiesch, 1998
[21] Vgl. Friedberg, 1992, S. 43
[22] Vgl. Friedberg, 1992, S. 19; vgl. auch Bosetzky, 1991, S. 287-300; Küpper, 2004, Sp. 862
[23] Vgl. Friedberg, 1992, S. 47 f.; vgl. auch March/Simon, 1976, S. 129 f.; Williamson, 1990,
S. 50 ff.; Berger/Bernhard-Mehlich, 2006, S. 177 f.
[24] Vgl. Friedberg, 1992, S. 47 ff.; March, 1994, S. 8 ff., 18 ff.; vgl. auch Bea et al., 2004, S. 154 f.; Berger/Bernhard-Mehlich, 2006, S. 177 f.
[25] Vgl. Popitz, 1992, S. 11, 15 ff., 25
[26] Vgl. Popitz, 1992, S. 26 f., 31 f.
[27] Vgl. Popitz, 1992, S. 34 f.
[28] Zur Vertiefung der „funktionalen und dysfunktionalen Folgen“ vgl. Bosetzky, 1992, S. 34 ff.; Schanz, 1994, S 34 f.; Bosetzky, 1995, Sp. 1519 ff.; Neuberger, 2006, S. 40 ff., Kap. 3