Die Platon-Deutung der "Tübinger Schule"


Magisterarbeit, 2000

126 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Verzeichnis der Abkürzungen

1. Einleitung

I. TEIL
2. Schleiermachers Platoninterpretation
2.1 Der Platon F. Schlegels
2.2 Der Platon F. Schleiermachers
2.3 Die Kritik der Schleiermacherschen Platon-Deutung durch H.-J. Krämer
2.4 Die Kritik der Schleiermacherschen Platon-Deutung durch K. Gaiser
2.5 Die Kritik T. A. Szlezáks an der modernen Dialogtheorie

II. TEIL
3. Die Schriftkritik in Platons Selbstzeugnissen
3.1 Die Interpretation der Phaidros-Stelle 274 B - 278 E durch die „Tübinger Schule“
3.2 Die Deutung der philosophischen Stelle im VII. Brief durch die „Tübinger Schule“
3.3 Der Streit um die chronologische Einordnung von Пер! xàya0oû
3.4 Die Kritik an einer Spätdatierung von Пер! xàya0oû durch H.-J. Krämer
3.5 K. Gaisers Plädoyer für eine Spätdatierung von Пер! xàya0oû
3.6 Eine Untermauerung der Gaiserschen These

III. TEIL
4. Von der Ideenlehre zur Prinzipienlehre
4.1 Die wichtigsten Zeugnisse der Ungeschriebenen Lehre Platons
4.2 Exkurs: Die Auseinandersetzung Platons mit Parmenides
4.3 Die obersten Prinzipien der platonischen Philosophie: то ëv und p àôpioroç 5uàç
4.4 Die Erzeugung der Idealzahlen aus den Prinzipien
4.5 Die Ableitung des Seins aus den Idealzahlen

IV. TEIL
5. Die Anwendung der Ungeschriebenen Lehre in den Dialogen Platons
5.1 Die Neuinterpretation der „Politeia“ im Lichte des neuen Paradigmas
5.2 Das Verhältnis des Einen und des Vielen im „Parmenides“
5.2.1 Die Ideenkritik im „Parmenides“
5.2.2 Die Hypothesen im „Parmenides“
5.2.3 Die Negationen der ersten Hypothese
5.2.4 Die Hypothesen zwei bis acht
5.3 War Platon Monist oder Dualist?

6.Schlußbemerkungen

Literaturverzeichnis

VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Über Platon und seine Philosophie scheint man sich seit der ersten vollständigen Übersetzung ins Lateinische durch Marsilio Ficino (1433 - 1499) nicht einig werden zu können.1 Die Flut an Büchern zu bestimmten Themata dieses wohl facettenreichsten Philosophen überhaupt will nicht abbrechen. Mit Beginn der Kontroverse um eine „Ungeschriebene Lehre“2 Platons läßt sich sogar eine Verschärfung der Debatte um die richtige Platon-Deutung konstatieren.

Hatte Ficino mit seiner ersten vollständigen Platonübersetzung ins Lateinische eine beachtliche Renaissance Platons eingeleitet, so bedeutete dieser wichtige Meilenstein der Platonforschung noch nicht deren Durchbruch. Die fundierte Platonkenntnis setzte - auf verschlungenen Pfaden - erst im 18. Jahrhundert ein.3 In dieser Zeit wurde Platon sukzessiv und von unterschiedlicher Seite neu entdeckt, denn im 17. Jahrhundert und zu Beginn des 18. Jahrhunderts war Platon wieder weitgehend in Vergessenheit geraten. Nur einzelne Dialoge lagen in lateinischer Sprache vor, und dem Griechischen waren nur wenige Forscher mächtig. Damit war vielen Forschern der direkte Zugang zur platonischen Philosophie verwehrt. Es nimmt deshalb nicht wunder, daß im Mittelalter und der Renaissance Platon und der Platonismus nur durch die christliche Theologie und den Neuplatonismus vermittelt wurde.

Maßgeblich in diesem Prozeß eines verbesserten Zugangs zur Philosophie Platons war das sechsbändige Werk von Jacob Brucker (1696-1770), dem eine unheimliche Breitenwirkung innerhalb der Welt der Gebildeten beschieden war. In seiner „Historia critica philosophiae" von 1742 - 444 versuchte er sich von der aus dem Mittelalter und der Renaissance überkommenen Gleichsetzung von Platon mit dem Neuplatonismus zu lösen. Er insistierte dabei auf eine Trennung zwischen genuin platonischer Philosophie und allen platonischen Strömungen bzw. Schulen, eingeschlossen der des Neuplatonismus.5 Damit schuf Brucker ein für die Philosophiegeschichte sehr folgenreiches alternatives Platonbild, das seinen Einfluß auf die Aufklärung und Romantik ausübte.

Die selbständige Betrachtung und Interpretation der platonischen Philosophie wurde aber erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch die Schleiermachersche Platonübersetzung auf eine qualitativ neue Stufe erhoben. Friedrich Schleiermacher stellte seiner Platonübersetzung eine „Einleitung" voran,6 die erstmals 1804 erschien und das Platonbild bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts außerordentlich beeinflußte. Er gibt in der „Einleitung" darüber Rechenschaft, wie die platonische Philosophie neu zu erschließen sei. Unter dem Einfluß der Romantik und mit anfänglicher Hilfe Friedrich Schlegels entwickelt er zu diesem Zweck eine neue Hermeneutik des Verstehens der platonischen Dialoge. Diese neue Hermeneutik betrachtet die platonischen Dialoge als Kunstwerke, bei denen das Zusammenspiel von literarischer Form und gedanklichem Inhalt ausschlaggebend ist. Angesichts dieses Neuansatzes ist ihm die Platonforschung noch heute verpflichtet.

Durch diesen an sich sehr fruchtbaren Ansatz Schleiermachers geriet aber die mündliche Überlieferung der platonischen Philosophie, die ihren Ursprung in der Alten Akademie hat,7 nahezu in Vergessenheit. Gerade diesen mündlichen Lehren sprach Platon aber bekanntlich einen besonders hohen Wert zu, was er in der Schriftkritik des „Phaidros" und im VII. Brief deutlich zum Ausdruck bringt. In diesen zwei Selbstzeugnissen teilt uns Platon unumwunden mit, daß er seine höchsten Lehrgegenstände nicht dem Medium der Schrift anvertraut hat.

Deshalb erhob sich Anfang des 20. Jahrhunderts seitens französischer Platonforscher Kritik gegen die Schleiermachersche Platon-Deutung. Vor allem Leon Robin8 verwies auf den Widerspruch, der sich dann ergibt, wenn man die platonische Philosophie der Dialoge mit den kritischen Referaten von Aristoteles über die platonische Philosophie vergleicht. Aristoteles scheine, wenn er von der platonischen Philosophie spricht, nicht die Philosophie der Dialoge zu meinen. Robin schloß daraus, daß Aristoteles, der immerhin 20 Jahre Platons Schüler war, sein Wissen aus einer anderen Quelle als den Dialogen schöpfen müsse. Damit rückte die Relevanz einer „Ungeschriebenen Lehre" Platons in den Mittelpunkt des Interesses der Platonforschung.

Dieser Hinweis von Robin wurde von zahlreichen Forschern vor allem im deutschsprachigen Raum aufgegriffen und näher beleuchtet. Trotz einiger vielversprechender Arbeiten von Julius Stenzel,9 Paul Wilpert,10 Heinrich Gomperz11 u. a. ordneten aber die meisten Platonforscher die uns durch Aristoxenos überlieferte mündliche Überlieferung xàya0oû an das Ende der Schaffensphase Platons. Dadurch sollten die mündlichen Gespräche innerhalb der Alten Akademie an Brisanz verlieren.

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhielt die Platonforschung durch das Buch von Hans- Joachim Krämer „Arete bei Platon und Aristoteles" (1959) eine neue Richtung. Aufbauend auf den Arbeiten von Robin, Stenzel u.a. gelang es Krämer, nachzuweisen, daß es keine Gründe gäbe, die Ungeschriebene Lehre ans Lebensende Platons zu plazieren. Krämers These, die Ungeschriebene Lehre stehe bereits hinter der „Politeia" und bestimme damit die gesamte platonische Philosophie spätestens seit dieser Zeit, war so revolutionär, daß man aufgrund dessen heute von einem Paradigmenwechsel in der Platonforschung spricht.12 Der Krämersche Ansatz zeigt, daß die „Ungeschriebene Lehre" die Matrize der platonischen Dialoge bildet und daß somit die Dialoge nur im Lichte dieser verständlich werden.

Diesem Ansatz schlossen sich anfangs wenige, aber mittlerweile immer mehr Platonforscher an. Die Anhänger dieses neuen Platonbildes faßt man unter die Bezeichnung „Tübinger Schule" zusammen. Die Vertreter der „Tübinger Schule" nehmen Platon in seiner kritischen Haltung gegenüber der schriftlichen Mitteilung philosophischer Erkenntnisse ernst. Ihr Ziel besteht darin, die innerakademischen Lehrgespräche Platons neu zu bewerten und für die Dialoge und damit für Platons gesamte Philosophie fruchtbar zu machen. Mündliche Überlieferung und Schriftwerk sollen sich gegenseitig aufhellen, was ein besseres Verständnis der platonischen Philosophie insgesamt verspricht.

Diese Arbeit stellt den Versuch dar, das neue Platonbild der „Tübinger Schule“ in seinen Grundzügen darzustellen. Da sich die Fronten der Diskussion zwischen den Gegnern und den Fürsprechern einer „Ungeschriebenen Lehre“ in den letzten Jahren verhärtet haben, und die meisten themenbezogenen Beiträge in Fachzeitschriften abgedruckt sind, hat eine Arbeit mit dem Grundanliegen einer systematischen Darstellung au]ch ihre Berechtigung. Diese Arbeit wird folglich die Themenschwerpunkte der gegenwärtigen Diskussion einzeln darstellen, um einen Überblick über den heutigen Forschungsstand zu vermitteln. Dabei geht es weniger um eine kritische Betrachtung der Auffassungen der „Tübinger Schule“, als vielmehr um eine aufgeschlossene Darbietung des neuen Platonbildes. Kritische Stimmen sollen zwar zu Wort kommen, aber in Anbetracht dessen, daß die Kritiker des neuen Platonbildes kaum Gelegenheiten auslassen gegen die Platon-Deutung der „Tübinger Schule“ vorzugehen, sollen in dieser Arbeit fast ausnahmslos die Vertreter der „Tübinger Schule“ zu Wort kommen.13

Dabei kann man sich einen Vorteil zunutze machen: Zu den wichtigsten Schwerpunkten der gegenwärtigen Diskussion nehmen die Hauptvertreter der „Tübinger Schule“ in ähnlicher Weise Stellung. Dies hängt damit zusammen, daß die Anhänger des neuen Platonbildes in den letzten Jahrzehnten ihre Arbeiten gegenseitig ergänzten und aufeinander bezogen, was insgesamt ein sehr ausgewogenes Gesamtbild ergibt. Deshalb ist es möglich, mehrere Vertreter gleichzeitig zu einem Themenschwerpunkt zu konsultieren, was in dieser Arbeit auch häufig praktiziert werden soll.

Die hier vorgelegte Arbeit kann sich in der Vorgehensweise schrittweise an den bereits dargestellten Entwicklungsgang der jüngeren Platonforschung halten. Zunächst soll deshalb im I. Teil die Schleiermachersche Platoninterpretation und deren Kritik durch die Vertreter der „Tübinger Schule" stehen. Die Basis dafür bildet die „Einleitung" Schleiermachers, die zuerst ihrem Inhalt und ihrer Intention nach untersucht wird. Die anschließende Kritik versucht die Schwachstellen und die Konsequenzen dieser Platon-Deutung herauszufinden.

Der II. Teil thematisiert die Schriftkritik des „Phaidros" und des VII. Briefes und die damit einhergehende indirekte Bedeutungszunahme der mündlichen Überlieferung. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem Vortrag ???! xàya0oû, welcher uns explizit über die tatsächlich stattgefundene Lehrtätigkeit Platons und deren Inhalt Auskunft gibt.

Der III. Teil stellt sodann den Inhalt der Ungeschriebenen Lehre ganz in den Mittelpunkt. Die Nachricht von einer innerakademischen Lehrtätigkeit wurde uns durch die unmittelbaren Schüler Platons - allen voran Aristoteles - übermittelt. Deshalb sollen die wichtigsten Zeugnisse benannt und näher untersucht werden. Den Fragen, inwieweit und wodurch die Ungeschriebenen Lehren über die Dialoge hinausgehen, sollen dabei unser ganzes Augenmerk gelten. Deshalb kann es nicht ausbleiben, die Funktion und Bedeutung der obersten Prinzipien ëv und àÔQiaxoç 5uàç zu beleuchten. Der Anspruch Platons, mittels der Prinzipien eine Durchstrukturierung und Letztbegründung des Seins konzipieren zu wollen, wird hierbei näher untersucht.

Der IV. Teil unternimmt es, in zwei der wichtigsten Dialogstellen des platonischen Gesamtwerkes - dem Sonnengleichnis der „Politeia“ und der Dialektik des Einen im zweiten Teil des „Parmenides“ -, Spuren der Ungeschriebenen Lehre nachzuweisen und auszuwerten. Gerade diese inhaltlich und kompositorisch so bedeutenden Stellen des platonischen Œvres bleiben nämlich ohne die Kenntnis und Einbeziehung der Ungeschriebenen Lehre unverständlich. Deshalb soll hier gezeigt werden, wie die „Politeia“ und der „Parmenides“ im Lichte der Ungeschriebenen Lehre besser als im Schleiermacherschen Bezugsrahmen verständlich werden.

Abschließend wird noch gefragt, ob Platon seine Prinzipienlehre monistisch oder eher dualistisch konzipierte. Es handelt sich hier letztlich um die Frage, ob das erste Prinzip nicht doch eine höhere Dignität als das zweite hat, oder ob beide als gleichwertig einzustufen sind. Die Antwort darauf wirft bereits ein helles Licht auf die plotinische Konzeption des überseienden Einen. Deshalb soll in der

Schußbetrachtung auch die Nähe zwischen Platon und Plotin betreffs zentraler Inhalte ihrer Lehre angesprochen werden.

I. TEIL

2. Schleiermachers Platoninterpretation und die Kritik durch die „Tübinger Schule"

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834) genoß eine humanistische Ausbildung. Gewiß war die Übersetzung platonischer Dialoge und die eingehende Selbstlektüre derselben ein Bestandteil dieser Ausbildung. Bereits am Nieskyer Pädagogium, dem Gymnasium der dortigen Herrnhuter Brüdergemeinde, welches Schleiermacher von 1783-1785 besuchte, stand Platon regelmäßig auf dem Lehrprogramm. Obwohl Schleiermacher beim Antritt seines Studiums 1787 in Halle mit Platon vertraut war, wendete er sein Hauptinteresse vorerst Aristoteles zu. In einer aus dem Jahre 1802 stammenden Selbsteinschätzung schreibt er über sein Verhältnis zu Platon: „Wie wenig habe ich den Platon, als ich ihn zuerst auf Universitäten las, im Ganzen verstanden, daß mir oft wohl nur ein dunkler Schimmer vorschwebte, und wie habe ich ihn dennoch schon damals geliebt und bewundert."14

Im April 179915, Schleiermacher hatte gerade seine „Reden über die Religion" beendet, schlug Friedrich Schlegel Schleiermacher vor, mit ihm gemeinsam Platon übersetzen zu wollen. Schlegel war nicht der erste, dem die Idee einer Platonübertragung kam, denn schließlich wurden 1793 Homer, 1799 Shakespeare und Cervantes' Don Quijote ins Deutsche übertragen. Es schien nun an der Zeit zu sein, auch Platon, vollständig und mit diversen Kommentaren zu den einzelnen Dialogen versehen, neu herauszugeben. Schlegel hatte zu diesem Zweck sogar eine neue literar-historische Methode entwickelt, die darauf zielte, die innere Form eines literar-historischen Werkes zu erfragen und daraus eine entwicklungs-geschichtliche Betrachtung des jeweiligen Autoren abzuleiten.

Die neue Art der Deutung eines literarischen Werkes, welche Schlegel auf Platon anwenden wollte, markiert einen Wendepunkt der philologischen Arbeit mit Texten. Das Hauptinteresse Schlegels bestand darin, das platonische Denken mittels der überlieferten Dialoge zu rekonstruieren und einen systematischen Zusammenhang herauszuarbeiten. In diesem ganzheitlichen Verständnis ist ihm später auch Schleiermacher gefolgt, trotz verschiedenster Meinungsverschiedenheiten in anderen Punkten. Daß eine Platonübersetzung als systematisch-genetische eines Ganzen, nämlich der Dialoge, zu bewerkstelligen sei - so das programmatische Vorhaben der Vertreter einer „hermeneutischen Wende"16 - wurde späterhin Schleiermacher als Verdienst angerechnet, stammt aber als Konzept in wichtigen Punkten von Schlegel.17

2.1. Der Platon F. Schlegels

Schlegel sah in den Dialogen Platons authentische Zeugnisse seines Entwicklungsganges, wobei ein natürlicher Zusammenhang dadurch gewährleistet sei, daß Platon sich von Stufe zu Stufe, d. h. von Dialog zu Dialog, weiter entwickelt habe. Ein zweiter wichtiger Gedanke Schlegels bestand darin, daß er annahm, dieses sukzessive Fortschreiten kenne kein eigentliches Ende. Platon habe versucht, von bestimmten Fragestellungen ausgehend, auf dialektische Art und Weise eine Anschauung von seiner ganzen Philosophie zu geben. Dieser lebenslange Prozeß fand trotz des hohen Alters Platons kein Ende - seine Philosophie blieb unbeendet und damit unvollkommen. Die Dialoge können somit als Spiegelbild dieses ewigen Fortschreitens gelten, welches in letzter Konsequenz fragmentarisch und unabgeschlossen bleiben mußte.18

Einen Streitpunkt zwischen Schlegel und Schleiermacher bildete die Ideenkritik im ersten Teil des „Parmenides".19 Schlegel ordnete den „Parmenides" als Frühdialog ein, was aber mit einer radikalen Kritik an der eigenen Lehre Platons unvereinbar schien. Sokrates, so das Schlegelsche Argument, habe bereits die Ideenlehre vertreten, was eine Ideenkritik durch Platon auch in einem Frühdialog ermögliche. Diese These, Sokrates habe bereits die Ideenlehre konzipiert, kann aber weder durch die Quellen noch historisch belegt werden.

Die Frühdatierung des „Parmenides" ließ sich des weiteren nur schwer mit dem gänzlichen Fehlen der Ideenlehre in anderen Frühdialogen vereinbaren. Zwei mögliche Lösungswege boten sich an: Schleiermacher versuchte diese Unstimmigkeiten in der Chronologie der Dialoge mit den künstlerischen Absichten Platons zu erklären. Schlegel dagegen ging den radikaleren Weg: Er verwarf nach und nach sämtliche Frühdialoge und erklärte sie für unecht.20 Durch diese Platoninterpretation entstellte Schlegel nicht nur die Rolle des Sokrates, sondern verkürzte auch einen wesentlichen Zug der platonischen Philosophie.

Deshalb folgte dieser radikalen Platon-Deutung Schlegels kein Forscher. Außerdem konnte die Sprachstatistik eine ungefähre Reihenfolge der Dialoge ermitteln. So ergab sich die heute übliche Einteilung in drei Gruppen von Früh-, Mittel- und Spätdialogen. In diesem Zusammenhang zeigte es sich, daß Schlegel Urplatonisches als unplatonisch diskreditierte. Eine sokratische Phase Platons, die sich vor allem in den Frühdialogen niederschlägt, steht heute außer Zweifel.21

Obwohl Schlegel seine Ansichten niemals veröffentlichte, teilte er sie doch in den Grundzügen in Briefen und mündlichen Gesprächen Schleiermacher mit. Da Schlegel bei der öffentlichen Ankündigung der geplanten Übersetzung Schleiermacher nicht mit nannte, kam es zu ersten Verstimmungen, die durch Schlegels mangelnde Kooperationsbereitschaft und die immer deutlicher werdenden Divergenzen in den Auffassungen beider betreffs einer Platonübertragung noch verstärkt wurden. Im Mai 1803 kam es deshalb zum endgültigen Bruch der beiden, der zwar Schlegel von der weiteren Beschäftigung mit Platon abbrachte, Schleiermacher dagegen um so tatkräftiger ans Werk gehen ließ.22

Der gemeinsame Ausgangspunkt beider lag in der neuen wissenschaftlichen Philologie. Diese legte ihr Augenmerk vor allem auf die innere Form, die Komposition und die entwicklungsgeschichtliche Betrachtung eines literarischen Textes. In Abgrenzung zu W. G. Tennemann, der zwar wie Schlegel einen entwicklungsgeschichtlichen Standpunkt einnahm, diesen aber anhand äußerer Indizien für eine Chronologie der platonischen Dialoge nutzbar machen wollte, versuchten Schlegel und Schleiermacher die innere Form der Dialoge zu eruieren.23

2.2. Der Platon Schleiermachers

Schleiermacher entwickelte seine Ansichten über eine angemessene Interpretation Platons in der berühmten „Einleitung" zu den platonischen Dialogen, die er diesen voransetzte. Außerdem stellte er jedem von ihm übersetzten Dialog eine spezielle Einleitung inhaltlicher Art voran. Die Herausgabe des größten Teils der platonischen Schriften bewerkstelligte er von 1804 - 1828.

Die Bedeutung dieser Übersetzung war spätestens seit Boeckhs Rezension von 1808 unbestritten.24 Sie belebte die Platonforschung vor allem in Deutschland wieder neu. Die „Einleitung" spielte hierbei von Anfang an eine zentrale Rolle. Sie gab über die Grundsätze einer Platon-Deutung Rechenschaft.

Vor allem aber befreite sie die platonische Philosophie aus dem starren Denken der damals vorherrschenden Philosophiesysteme, indem sie vor allem den Gesprächsverlauf der Dialoge und die Verwendung künstlerischer Mittel zum Hauptkriterium der platonischen Philosophie erhob. Ihre Bedeutung läßt sich auch daran ablesen, daß viele Platonforscher noch heute die Grundzüge der Schleiermacherschen Interpretation teilen.25

Die Übersetzungsarbeit Schleiermachers wurde vor allem wegen ihrer Akribie, die „Einleitung" wegen ihrer neuen Sichtweise der platonischen Dialoge gelobt. Boeckh meint: „[...] noch Niemand hat den Platon so vollständig selbst verstanden und Andere verstehen gelehrt, wie dieser Mann [...]"26 Um die nahezu einhellig positive Einschätzung zu verstehen, die auch heute noch von vielen Forschern geteilt wird, muß man die in der „Einleitung" vorgestellten Auffassungen näher untersuchen. Betreffs unserer Themenstellung sollte dabei im Mittelpunkt die Schleiermachersche Auffassung von „Esoterik" stehen.

Der Einheitsgedanke von Form und Inhalt sowohl in jedem Dialog als auch im Gesamtwerk Platons ist für Schleiermacher von zentraler Bedeutung. Damit richtet er sich einerseits gegen eine fragmentarische Interpretation der platonischen Philosophie, wie sie Schlegel konzipierte. Schleiermacher wendet gegen die Schlegelsche Platon-Deutung ein, daß eine mit Willkür behaftete Einzelbetrachtung von „abgerissenen Stükken"27 des platonischen Gesamtwerkes diesem nicht gerecht werden könne. Aber auch einer systematischen Betrachtung28 des platonischen Gesamtwerkes schließt sich Schleiermacher nicht an. Er entgegnet, daß diese Art der Platon-Deutung die von ihm postulierte Einheit von Form und Inhalt zugunsten einer Aufspaltung in 'Esoterik' und 'Exoterik' Vorschub leisten würde. Er zweifelt nicht an einer innerakademischen Lehre, aber er bestreitet einen Mehrgehalt der mündlichen Lehre gegenüber dem Schriftwerk. Die Dialoge wichen in keinem Punkt, weder in der Themenwahl noch in der Tiefe philosophischer Lehre, von der mündlichen Lehre ab.29

Damit ist für Schleiermacher mündliche und schriftliche Lehre deckungsgleich. Dennoch nimmt er für das antike Griechenland bestimmte Arten der Esoterik an. Zum einen nennt er die Pythagoreer, bei denen bestimmte Lehren nur innerhalb der Verbindung besprochen und weitergegeben werden durften. Bei Nichtbefolgung dieser Regel drohte dem Delinquenten Ächtung und Gottesfluch.30 Diese Art der Esoterik ließe sich mit dem Begriff der Geheimhaltung näher umschreiben. Schleiermacher unterstellt aber den Pythagoreern, daß diese geheimgehaltenen Lehren eher politischer als metaphysischer Art waren.31 Die andere Art von Esoterik sieht Schleiermacher darin, daß im 4. Jahrhundert in öffentlichen Vorträgen die Redner sich vorbehielten, was sie der Mitteilung für wert erachteten und was nicht.

Beide Arten der Esoterik lassen sich nach Schleiermacher nicht auf Platon anwenden. Platons Schriften seien so schwer verständlich, daß er unbedenklich alles in ihnen mitteilen könne, ohne doch von allen Anwesenden bzw. Lesern verstanden zu werden. Gegen eine Esoterik im Sinne der Geheimhaltung könne bei Platon mangels geschichtlicher Quellen nicht mit Sicherheit gesprochen werden. Schleiermacher gesteht hier allerdings zu, daß ein großangelegtes Unternehmen mit dem Ziel „eine zusammenhängende Darlegung solcher Lehren"32 zu bewerkstelligen, doch ein wenig Aussicht auf Erfolg hätte.33 Schleiermacher scheint an dieser Stelle einer esoterischen Philosophie Platons nicht ganz zu widersprechen, wenn er diese auch bereits im Vorfeld mit einer Art Geheimhaltung, wie bei den Pythagoreern, gleichsetzt.

Bei seiner Ablehnung einer über die Dialoge hinausgehenden innerakademischen Lehre Platons stützt sich Schleiermacher vor allem auf die Hinweise von Aristoteles. Gerade die aristotelischen Kritikpunkte an der platonischen Philosophie bleiben aber allein auf der Basis der Dialoge im hohen Grade unverständlich.34 Schleiermacher gesteht Aristoteles sogar ein hohes Maß an Kompetenz bei der Beurteilung der platonischen Philosophie zu. Betreffs der Rezeptionstätigkeit von Aristoteles schreibt Schleiermacher dann: „Vielmehr beruft er (sc. Aristoteles) sich überall ganz unbefangen und einfach auf die uns vorliegenden Schriften, und wo auch hier und da andere verlorene oder vielleicht mündliche Belehrungen angeführt werden, da enthalten diese Anführungen keineswegs etwas in unseren Schriften unerhörtes oder gänzlich von ihnen abweichendes."35 Aristoteles wird durch dieses Urteil zum Kronzeugen einer antiesoterischen Platon-Deutung, was nur auf mangelnde Kenntnis der aristotelischen Ausführungen seitens Schleiermachers zurückgeführt werden kann. Heute ist man sich wohl darüber einig, daß Aristoteles eine platonische Lehre vorstellt, die so nicht in den Dialogen zu finden ist. Nicht umsonst beruft sich die „Tübinger Schule" gerade auf ihn, wenn es darum geht, die innerakademischen Lehren zu rekonstruieren und zu verstehen.

Schleiermacher verharrt aber nicht bei der Kritik einer Esoterik Platons, sondern geht nun dazu über, sein eigenes Konzept einer Platon-Deutung vorzustellen. Ausgehend vom allegorischen Vergleich eines Körpers (mit seinen Knochen und Gefäßen) mit dem platonischen Gesamtwerk,36 zieht er den Schluß, daß Form und Inhalt, Gesagtes und Gemeintes im platonischen Werk unzertrennlich sind. Nicht nur, daß jeder Satz im Dialog und jeder Dialog im Gesamtwerk nur in ihrem Kontext verstehbar sind, sondern die Tatsache, daß eine gewisse Notwendigkeit jedem Teil seine bestimmte Stelle zuweise, sei zu beachten. Deshalb begibt sich Schleiermacher auf die Suche nach diesem philosophischen Zusammenhang der Dialoge Platons.37 Dabei unterstellt er eine weitere Prämisse: Platon hat diesen Zusammenhang zwar nicht offen dargelegt, aber mit Hilfe der Beachtung der Kunstmittel läßt sich dieser herauslesen. Es kommt ihm somit darauf an, die chronologische Reihenfolge der platonischen Dialoge herauszufinden, um damit das platonische Denken transparent zu machen.38

Zu diesem Zweck stellt er anhand der Kriterien der Echtheit und der Wichtigkeit elf Dialoge in eine Rangordnung.39 Mit Hilfe dieser elf Dialoge möchte Schleiermacher über die Echtheit der anderen unbedeutenderen entscheiden, und jedem Dialog seine Stelle im Gesamtwerk Platons zuweisen.40 In einer generellen Dreiteilung aller Dialoge spricht er dem „Phaidros" die erste Stelle zu, vor allem deshalb, weil dieser zusammen mit dem „Protagoras" und dem „Parmenides" jugendliche Frische ausstrahle. Außerdem spreche für die Frühdatierung dieser drei, daß sich alle anderen Dialoge auf diese drei zu beziehen scheinen, und daß hier bestimmte Gedanken in ihrem ersten Glanz und jugendlicher Unbeholfenheit auftreten würden.41 In diesen drei Dialogen, die vom inneren Gehalt und von der äußeren Konstruktion sehr ähnlich seien, sieht Schleiermacher die gesamte platonische Philosophie in Ansätzen angelegt. Deshalb nennt er sie den „elementarischen Teil der platonischen Werke."42

Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei die im „Phaidros" besprochene Schriftkritik, da diese von Schleiermacher so folgenreich für die Platonforschung interpretiert wurde. Schleiermacher erkennt die im „Phaidros" aufgezeigte Differenz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit grundsätzlich an. Sie besage, daß der mündliche Unterricht eine Gewähr dafür sei, im Teilnehmer eine eigene „Ideenerzeugung" anzuregen, da der Lehrende und der Lernende in steter Zwiesprache stehen könnten. Diesen Vorteil des Mündlichen gegenüber dem Schriftlichen sieht aber Schleiermacher dadurch aufgehoben, daß Platon mittels der Dialogform beim Leser den selben Effekt erreichen könne. Außerdem verweist er darauf, daß Platon innerhalb der Akademie in sokratischer Manier gelehrt habe, wodurch die uns überlieferten Dialoge die besten Voraussetzungen mitbringen würden, vollkommene Abbilder dieser Gespräche zu sein.43 Mithin würde in der Akademie nichts anderes gelehrt, was nicht auch in den Dialogen nachlesbar sei.44

Schleiermacher möchte diese Thesen aber noch weiter stützen. Er weist darauf hin, daß Platon sein ganzes Leben hindurch geschrieben habe. Mit Hilfe der Dialogform habe er versucht, das Schriftliche so ähnlich wie möglich dem Mündlichen nachzuahmen - und dies sei Platon auch gelungen.45 Damit erkennt Schleiermacher in der Schriftkritik des „Phaidros" einen Beweis für seine ablehnende Haltung gegenüber einer platonischen Esoterik. Die Dialoge seien deckungsgleich mit dem in der Akademie Gelehrten. Durch die vollständige Überlieferung der platonischen Dialoge von der Antike bis in die Neuzeit sei es möglich, das platonische Denken vollständig nachzuvollziehen und zu verstehen.

Das Ziel Platons war es, so setzt Schleiermacher seine Analyse fort, mit Hilfe der dialektischen Methode, den Gesprächsteilnehmer bzw. den Leser entweder „zur eigenen inneren Erzeugung des beabsichtigten Gedankens"46 anzuregen oder sich seines Nichtwissens bewußt zu werden. Der Leser von Platons Dialogen soll sich nicht, so Schleiermacher, von den inneren Widersprüchen, den Nebenanalysen, oder den Aporien abschrecken lassen, sondern sukzessiv - quasi von Dialog zu Dialog - zu einem positiven Verständnis der platonischen Philosophie gelangen.

Damit erhebt Schleiermacher einen hohen Anspruch an den Leser: Ein selbständiges Herausfinden des inneren Zusammenhangs der platonischen Dialoge. Der Leser kann sich dabei nur auf seinen eigenen Verstand und die von Platon verwendeten Kunstmittel als Anzeiger des inneren Zusammenhangs verlassen.47 So wie das mündliche Gespräch zur philosophischen Selbständigkeit erzieht, um Mißverständnisse und Gegenargumente zu beseitigen, so kann und muß der platonische Dialog einem adäquaten Anspruch gewachsen sein. Der Leser der Dialoge wird gleichsam zum Gesprächspartner des Sokrates. Schleiermacher spricht in diesem Kontext doch wieder von einer Art Esoterik. Er versteht aber jetzt unter Esoterik die Beschaffenheit des Lesers „je nachdem er sich zu einem wahren Hörer des Inneren erhebt oder nicht."48 Damit wird die unliebsame Esoterik von Schleiermacher in den Leser hineinverlegt.49

Nachdem Schleiermacher diese Art von Esoterik vorgestellt hatte, versucht er eine Reihenfolge der Dialoge zu konzipieren. Er muß zu diesem Zweck auf bestimmte Kriterien zurückgreifen, da die Chronologie der Dialoge aus der Antike nicht bekannt ist.50 Zuerst teilt er die Dialoge in solche ein, die einen eher untersuchenden, und dann in solche, die einen unterrichtenden Charakter haben.51 Danach kritisiert er die bisherigen Ordnungsversuche,52 wobei er bemerkt, daß die rein historische Betrachtung Tennemanns nicht ausreiche, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Er räumt aber ein, daß die historische, äußere Betrachtungweise, seine innere bestätigen müßte.53 Dabei erhebt er nicht den Anspruch, beide Reihen müßten vollständig kongruent sein; ihr gegenseitiger Ergänzungscharakter ist für ihn ein hinreichendes Kriterium. Die historisch exakte Reihe ist aber seiner Meinung nach schwer überprüfbar, weil spätere Überarbeitungen oder Einschübe durch Platon nicht leicht zu identifizieren seien.54 Deshalb verlegt er den Schwerpunkt bei seiner Suche auf die „natürliche Folge"55, wobei sein anfängliches Augenmerk auf die Echtheit gerichtet ist, da nur echte Dialoge für sein Vorhaben in Frage kommen.56 Er konstatiert, daß bisher einige Dialoge zu unrecht für unecht und einige unechte zu Unrecht für echt erklärt wurden.57 Deshalb stellt er an jeden Dialog den Anspruch, daß er „aus eigenen Gründen sich als platonisch bewähren muss."58

Schleiermacher bringt nochmals zum Ausdruck, daß sich an der Echtheit der von ihm benannten Dialoge nicht zweifeln lasse. Sie bilden für ihn die Basis für weitere Untersuchungen. Er teilt sie deshalb in drei Gruppen ein: die elementaren, die konstruktiven und die darstellenden. Die anderen Dialoge möchte er anhand der verwendeten Sprache, des Inhalts und der äußeren Gestalt diesen drei Gruppen zuordnen.59

Dabei weist er darauf hin, daß die alleinige Untersuchung der Sprache noch kein hinreichendes Kriterium dafür sei, Aufklärung über den Ursprung eines Dialogs zu schaffen. Das Fehlen der „zierlichen dialogischen Formeln"60 dagegen reiche aus, um einen Dialog als unecht zu erkennen. Dialoge also, die entsprechende Abweichungen in der Sprache aufweisen, könne man als unecht betrachten, der Umkehrschluß ist hieraus allerdings noch nicht ableitbar. Dialoge, welche die Sprachkriterien erfüllen, müsse man nicht schon deswegen als echt einstufen.61

Ähnlich verhält es sich betreffs des Inhalts der Dialoge. Hier müsse man Platon in seiner Freiheit als Autor das Recht zugestehen, Übergangsdialoge abweichenden bzw. nicht charakteristischen Inhalts geschrieben zu haben. In diese Reihe gehören auch die Gelegenheitsschriften, welche nicht von derselben Qualität sein können, wie solche Dialoge, die über Jahre hinweg ausgearbeitet wurden.62

Diese Schwierigkeiten, allein über die Sprache und den Inhalt zu einem endgültigen Ergebnis in der Frage der Echtheit der Dialoge und der Einordnung eines Dialoges im Gesamtwerk zu gelangen, führten Schleiermacher zu dem Schluß, daß einzig die Form und die Komposition des Ganzen darüber endgültig Aufschluß geben könnten.63 Für diesen Gedanke spreche außerdem, daß die Sprache und der Inhalt erst aus den größeren Dialogen abstrahiert werden müsse. Die Form dagegen entspreche dem Gedankengang Platons auf natürliche Weise und sei deshalb überall im Werk ablesbar. Was läßt sich aber über die Form sagen?

Eines wurde bisher recht deutlich: Die Schriften haben für Schleiermacher insofern mimetischen Charakter, als sie die mündlichen Lehren Platons in der Akademie sowohl ihres Inhalts als auch ihrer dialogischen Form nach widerspiegeln.64 Daneben entbehren die Dialoge nicht der Dramatik; selbst schwierigste Stellen seien hierdurch charakterisiert. Außerdem trage jeder Gesprächsteilnehmer individuelle Züge, die ihn unverwechselbar machen. Schließlich gehöre zur platonischen Form alles, „was für die Composition aus der Absicht die Seele des Lesers zur eigenen Ideenerzeugung zu nöthigen folgt."65 Hiermit meint Schleiermacher eine Reihe von Techniken bzw. Künsten, welche unbedingt in einem platonischen Dialog vorhanden sein müssen, damit er als echt gelten könne.66

Mit der Suche nach der inneren Form konzipierte Schleiermacher ein Kriterium, welches es ihm ermöglichte, Dialoge als echt oder unecht zu qualifizieren. Hat ein Dialog das richtige Verhältnis von Inhalt und Form, dann sei er, so Schleiermacher, trotz des Mangels an expliziten Zeugnissen darüber, als echt einzustufen. Entspricht ein Dialog nicht dieser Maßgabe, dann sei er mit hoher Wahrscheinlichkeit unecht.67 Bestehe aber trotzdem noch ein Zweifel darüber, dann sei dies kein allzu großes Problem für die Anordnung der Dialoge. Es könne sich in dem Falle nur um Gelegenheitsschriften Platons handeln, die gerade deshalb nicht maßgeblich für die Dialoganordnung seien.68

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Schleiermacher, indem er Gelegenheitsschriften und zweifelhafte Schriften ausschließt, sein Verfahren der Anordnung der Dialoge rechtfertigen kann. Da er nur die elf für ihn relevanten Dialoge mit in seine Untersuchung einbezieht, deren Echtheit und Wichtigkeit außer Zweifel stehen, kann er ihre natürliche Folge relativ risikolos aufstellen und argumentativ verteidigen. Daß ihm dabei durch die Frühdatierung des „Phaidros" ein gravierender Fehler unterlaufen ist, hat ihm bis 1959 kaum jemand übel genommen. Seine Theorie wurde trotz dieses Fehlurteils über die Einordnung des „Phaidros" nicht falsifiziert, sondern, ganz im Gegenteil, in veränderter Form immer wieder untermauert.69 Erst die „Tübinger Schule" setzte hier den Hebel der Kritik an. Die folgenden Untersuchungen werden dies zeigen. Erst dann kann erneut die Schriftkritik im „Phaidros" untersucht werden.

2.3. Die Kritik der Schleiermacherschen Platon-Deutung durch Hans-Joachim Krämer

In seinem epochemachenden Buch „Arete bei Platon und Aristoteles" wollte Krämer nachweisen, daß Platon mit Recht der Begründer der abendländischen Metaphysik ist. Metaphysik wird dabei von Krämer als ein Überschreiten des Schattenhaften 70 zum wahrhaft Seienden angesehen. Es handelt sich bei der platonischen Philosophie also darum, durch steten dialektischen Aufstieg zu den obersten Prinzipien das voraussetzungslose Unbedingte (Pol. 511 B 6: tò àvunó0£TOv) zu erreichen. Metaphysik ist beides - Aufstieg und Letztbegründung des Seins.71

Natürlich steht auch Platon nicht vorgängerlos im Raum der antiken Philosophie. Vor ihm suchten bereits die Vorsokratiker nach der àQXH- 72 Am Beginn der abendländischen Philosophie steht somit die Suche nach dem Ursprung des Seienden.73 Es wurden auf diese Frage die verschiedensten Antworten gegeben: für Thales war es das Wasser, für Anaximander das Unbegrenzte und für

Anaximenes war es die Luft.74 Was diese Denker trotz ihrer verschiedenen Lösungen verbindet, ist, daß sie sich über das von Hesiod und Homer geprägte mythologisch-theologische Weltbild hinwegsetzten. Diesem kurzen Hinweis sei hier nichts weiter hinzugefügt. Es wird sich im Laufe der Arbeit noch zeigen, daß Platon der Vorsokratik, vor allem dem Parmenides, sehr viel zu verdanken hat.75

Die Arbeit Krämers beschäftigte sich vor allem mit dem Begriff der Arete. Diesen untersuchte er innerhalb der Dialoge in seinen verschiedenen Erscheinungsweisen - der anthropologischen, der politischen oder technischen - um hier eine gemeinsame Grundstruktur zu definieren. Er stellte fest, daß die Wertstrukturen in den frühen und den späten Dialogen die gleichen seien. Da aber für Krämer die Spätphilosophie mit der esoterischen Lehre Platons in enger Verbindung steht, schloß er daraus, daß auch die früheren Dialoge auf dem Boden des Esoterischen verankert sein müßten.76 Daraus ergab sich für ihn die generelle Frage nach dem Verhältnis zwischen Esoterischem und Exoterischem bei Platon, die letztlich auf eine neue Sicht der Grundform des platonischen Philosophierens hinauslief. Die Verankerung des Arete-Begriffs in den mündlichen Lehrgesprächen Platons und die sich daraus ergebenden Konsequenzen führte Krämer schließlich zu einer Überwindung der Schleiermacherschen Position.77 Um seine eigene Argumentation fundiert darzulegen, brachte Krämer in seinem Buch zuerst einige Argumente gegen die Schleiermachersche Platon-Deutung vor, die er in zahlreichen Aufsätzen neu formulierte. Diese Kritik an Schleiermacher wurde von Konrad Gaiser78 und Thomas A. Szlezák79 bestätigt und zum Teil erweitert.

Daß die These eines esoterischen Platons seit Schleiermacher einer Rechtfertigung bedarf, gesteht Krämer bereitwillig zu. Krämer wirft Schleiermacher vor allem vor, daß er die Differenz zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit voreilig nivelliert habe. Die mimetische Funktion der Dialoge geht nicht so weit, daß sie das Mündliche adäquat ersetzen könne. Krämer ist der Meinung, daß die Dialoge nicht die in der Akademie geführten Lehrgespräche ersetzen können.80

Des weiteren setzte Krämer als selbstverständlich voraus, daß eine esoterische Lehre Platons seit dem Altertum durchgehend bis ins 18. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit war.81 Erst durch Schleiermacher wurde dies radikal in Frage gestellt. Deshalb wundert sich Krämer darüber, daß Schleiermacher „mit zehn Seiten [...] in der Einleitung seiner Platon-Übersetzung (es) vermocht hat, die Meinung der Sachverständigen für mehr als ein Jahrhundert zu bestimmen."82 Die Überraschung steigert sich noch bei Krämer, wenn er feststellt, daß die Arbeiten im 20. Jahrhundert, welche vor ihm für einen esoterischen Platon argumentativ plädierten, fast ausnahmslos ohne Widerhall blieben.83 Er verweist aber auch darauf, daß der Ansatz Schleiermachers bereits zu seiner Zeit Alternativvorschläge nahezu restlos verdrängt habe.84 Vor allem K.F. Hermann führt im Kern alle die Argumente für einen esoterischen Platon ins Feld, auf welche sich die Argumentation der „Tübinger Schule" noch heute stützt.85

Trotz dieser fundierten Arbeiten konnte sich das Verdikt Schleiermachers durchsetzen. Durch die Arbeiten führender Gelehrter86 wurde der esoterische Platon immer mehr in Zweifel gezogen. Die beweiskräftigen Dokumente87 wurden umgedeutet oder nicht beachtet. Dies äußerte sich u. a. dadurch, daß eine Absolutsetzung der Dialoge postuliert wurde, die der Schriftkritik im „Phaidros" widerspreche. Des weiteren wurde die durch Aristoxenos überlieferte mündliche Vorlesung ?£^1 xàya0oû88 in ihrer Bedeutung dadurch relativiert, daß man sie als einmalige Vorlesung ans Lebensende Platons setzte. Dadurch konnte behauptet werden, sie sage nichts wesentliches Neues und wäre zudem von Platon, hätte er noch länger gelebt, sicherlich auch schriftlich fixiert und veröffentlicht worden. Gegen diese Meinungen wehrt sich Krämer vehement, indem er vor allem mit Hilfe seines philologischen Scharfsinns, aber auch mittels philosophiegeschichtlich fundierter Kenntnisse aufzeigt, daß es sich bei ??^1 xàya0oû um eine regelmäßige Lehrtätigkeit Platons handeln müsse.89

Außerdem warf Krämer Schleiermacher vor, er überschätze den Schriftsteller Platon.90 Platon, so Krämer, lehrte und schrieb in erster Linie für seine Zeitgenossen. Es gleiche einer Entwurzelung Platons, wenn man ihn allein als Schriftsteller und nicht auch als Lehrer in der Akademie einordnen würde. Die Reduzierung auf den schreibenden Platon greife demzufolge zu kurz. Die Anekdote vom Landmann scheine dies zu belegen: nachdem dieser den „Gorgias" gelesen hatte, wollte er nicht etwa weitere Dialoge lesen, sondern umgehend in der Akademie vorstellig werden.91

Die von Schleiermacher aufgeworfene Frage, ob einer äußeren Abfolge der Dialoge eine innere Denkbewegung entspreche, sei bis heute umstritten. Krämer erkennt den Schleiermacherschen Vorschlag insoweit an, daß er ihm eine höhere Wahrscheinlichkeit als der rein genetischen Betrachtungsweise Hermanns zuspricht.92 Schleiermacher gehe von einer ursprünglichen Einheit aus, was der Krämerschen Platon-Deutung entgegenkomme. Daß Platon von Dialog zu Dialog denkerisch vorangeschritten sei, so wie Hermann es noch sah, glaubt heute kaum noch ein Forscher.93

Vielmehr scheint es so zu sein, als hätte Platon eine Art Grundkonzept bereits in früheren Jahren gehabt, das er in den verschiedenen Dialogen unter verschiedenen Aspekten mit diversen Gesprächspartnern zur allmählichen Entfaltung gebracht habe. Deshalb kann Krämer die Schleiermachersche Auffassung vordergründig akzeptieren. Dennoch unterschlage Schleiermacher, so Krämer, die innerakademische Lehre und beraube sich damit selbst einer fundierten Beurteilung der platonischen Philosophie. Die esoterische Lehre, so argumentiert Krämer, scheint nämlich von einer Abfolge der Dialoge nicht berührt zu werden. Ob das platonische Denken in seiner Genese allein aus den Dialogen heraus ablesbar ist, kann damit angezweifelt werden, zumal die Prinzipienlehre über Jahre hinweg relativ konstant geblieben ist.94 Die Dialoge wären nach der Krämerschen Deutung damit die schriftlich fixierten, möglichen Aspekte einer dahinterstehenden und diese Aspekte letztlich erst begründenden Einheitsmetaphysik.

Eine etwas allgemeinere Kritik Krämers richtet sich gegen solch einseitige Deutungen Platons, die ihn als Schulphilosoph, Künstler, Mystiker oder existentiellen Denker betiteln,95 wie dies viele neuzeitliche Autoren unternehmen. Erstens unterliegen diese Versuche einer unzulänglichen Modernisierungstendenz, und zweitens gehen sie allein vom Platon der Dialoge aus und folgen damit der Schleiermacherschen Vorgabe. Gegen diese Art der Titulierung möchte Krämer einen neuen Aspekt in die Platonforschung einführen: Platon als der Denker vom Ursprung, als Metaphysiker und Systematiker.96 Krämer konstatiert, daß in einer metaphysikfeindlichen Zeit den griechischen Philosophen nicht die moderne Denkungsart unterstellt werden darf.97

In einer späteren Kritik unternimmt Krämer den Versuch, die Wurzeln der in der Romantik verhafteten Platon-Deutung aufzudecken.98 Er möchte die Ursprünge des „romantischen Paradigmas"99 hinterfragen. Sowohl die Schlegelsche als auch die Schleiermachersche Platon­Deutung wurzeln, so Krämer, in spezifisch modernen Voraussetzungen, die daher ein inadäquates Platonverständnis bewirken. Krämer greift dabei vor allem die unberechtigte Übertragung der von Fichte konzipierten „unendlichen Reflexion" des Ich100 auf die Platon-Deutung an. Schlegel habe diesen insoweit radikalisiert, daß er einen Philosophiebegriff konzipierte, der vor allem durch seinen Infinitismus und einer ewigen Approximation gekennzeichnet sei. Der Begriff der „Entwicklung" würde dadurch auf doppelte Weise relevant: einmal geht es um die philosophische Methode der Weiterarbeit an einer nie zu erreichenden Wahrheit, zum zweiten geht es um die darstellende Mitteilung, die als dialektische definiert wird.101 Beide Aspekte habe Schlegel - mit ihm im Gefolge Schleiermacher - aufdie platonische Philosophie transferiert.

Krämer wendet ein, daß Unendlichkeitsvorstellungen dieser Art der antiken Philosophie fremd waren. Eine unendliche Reflexion hätte man als sich selbst aufhebenden Skeptizismus gedeutet. Der platonische Philosophiebegriff entbehre nicht der Dynamik, diese bedeute aber nicht ein unendliches Streben, sondern das unentwegte Bemühen darum, nicht hinter das einmal gewonnene Wissen zurückzufallen.102 Die Schau der Ideen durch die Philosophenkönige gilt für Krämer als der schlagende Beweis dafür, daß Platon die Philosophie teleologisch und nicht approximativ einstufte.103

2.4. Die Kritik der Schleiermacherschen Platon-Deutung durch Konrad Gaiser

Konrad Gaiser machte sich in der neueren Platonforschung durch die Bücher „Protreptik und Paränese bei Platon"104 und „Platons ungeschriebene Lehre"105 einen Namen. Im erstgenannten Buch versuchte er die Bedeutung der Dialoge sowohl für die Akademiemitglieder als auch für Außenstehende betreffs ihrer Funktion hin zu untersuchen. Neben der Analyse einzelner

protreptisch-paränetischer Gesprächsstellen in den frühen und mittleren Dialogen behält Gaiser auch die generelle Funktion der Dialoge im Auge. Sein zweites Buch ist noch bedeutsamer, stellt es doch eine großangelegte Untersuchung dar, die „Ungeschriebene Lehre" Platons aus den vorliegenden Zeugnissen zu rekonstruieren und zu deuten. Gaiser bezeugt selbst in der Einleitung dieses Buches, daß in einem Gesamtentwurf die Ungeschriebenen Lehren Platons „in ihrem ganzen Umfang umrissen und zusammenfassend gedeutet werden (sollen)."106 Bevor Gaiser diesen Programmentwurf in die Tat umsetzt, leitet er seine Ausführungen ebenfalls mit kritischen Bemerkungen zur Schleiermacherschen Platon-Deutung ein. Die Kritikpunkte aus beiden Büchern seien hier referiert.

Gaiser erkennt an der Schleiermacherschen Interpretation an, daß die Platonforschung ihr Augenmerk dadurch auf den Formbegriff lenken konnte. Dieser Formbegriff ermöglichte es, die Dialoge nicht als zerteiltes Stückwerk zu betrachten, sondern sie als lebendig wirkende Ganzheit zu begreifen.107 Gaiser konstatiert, daß dieser an sich fruchtbare Ansatz dennoch zugunsten einer inhaltlichen Analyse durch die spätere Forschung aufgegeben wurde.108

Laut Gaiser unterscheidet Schleiermacher bezüglich der Form zwischen einer äußeren und einer inneren. Die äußere insistiere auf Mimesis, die innere hauptsächlich auf Belehrung.109 Dadurch verkürzte aber Schleiermacher die Form des platonischen Dialogs einseitig auf die Funktion der schriftlichen Fixierung. Er würde hierdurch die subjektiven Absichten Platons überbewerten und unterschlage die Ebene der mündlichen Gespräche innerhalb der Akademie gänzlich. Diese würden von ihm unterbelichtet und ins Abseits gedrängt, obwohl sie die Basis der Dialoge seien. Dadurch entkopple er die Dialoge von ihrer geschichtlichen Grundlage.110 Gaiser möchte auf Grund dessen über das von Schleiermacher Entdeckte hinaus „die tiefere, eigentlich wahre Realität (und 'Lehre') erkennen, durch deren 'Nachahmung' und Andeutung der platonische Dialog erst wirklich zu einer dichterischen Kunstform wird."111 Wie Platon die traditionellen Weisen des Schriftgebrauchs „umwertet, aufhebt und tiefer begründet"112, dies möchte Gaiser demonstrieren.

Die Entdeckung des mimetischen Charakters der Dialoge hatte zur Folge, daß die Ungeschriebenen Lehren Platons immer weniger beachtet, schließlich auch gänzlich bestritten werden konnten. Daß aber dieser Unterschied zwischen esoterisch-mündlicher und exoterisch-schriftlicher Lehre erst durch eine einseitige und unhistorische Überbewertung der Dialoge zustande kam, dagegen möchte Gaiser und mit ihm die „Tübinger Schule" Kritik anmelden.

Dabei geht es ihnen, wie Gaiser explizit betont, nicht um eine „Entwertung der literarischen Dialoge."113 Vielmehr plädieren sie für eine Neubewertung des Verhältnisses von mündlicher und schriftlicher Lehre. Gaiser schreibt dazu: „Es handelt sich vielmehr darum, eine für die Interpretation der platonischen Schriften selbst wichtige Dimension wieder neu zu gewinnen, nachdem sie im Lauf der Jahrhunderte dem Bewußtsein fast ganz entschwunden war."114 Um Platons Gedankengang vollständig nachvollziehen zu können, bedürfe es einer gegenseitigen Ergänzung bzw. Beleuchtung von geschriebener und mündlicher Lehre. Dabei bestehe zwischen beiden Ebenen keine starre Grenze, da einerseits das Gespräch in der Akademie geübt wurde und andererseits die Lehrvorträge anfangs öffentliche Lehrvorträge waren. Der Schleiermacherschen Interpretation sei es anzulasten, dieses dialektische Wechselverhältnis einseitig auf die schriftstellerische Dimension reduziert zu haben.115

Mit der Bezugnahme auf Szlezák wird sich im folgenden zeigen, daß die Schleiermachersche Sichtweise von vielen Platonforschern gegenwärtig immer noch geteilt, wird aber nicht auf ihre Ursprünge und Konsequenzen hin befragt wurde.

2.5. Die Kritik Szlezáks an der modernen Dialogtheorie

In seinem Buch „Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie"116 versucht Szlezák zu zeigen, daß die platonischen Dialoge über sich selbst hinausweisen. Die Philosophie Platons insistiere auf eine „Umkehrung der Seele", was er gerade der Schrift nicht zutraue. Deshalb ließ Platon im schriftlichen Werk Aussparungsstellen, die entweder durch andere Dialoge oder durch die mündliche Lehre ergänzt werden müssen. Diese Art des Ausfüllens bzw. Ergänzens nennt Szlezák ßo^0£ia-Situation.117 Sie taucht immer wieder in den Dialogen auf und wirkt somit strukturbildend. In Analogie zum Schriftwerk, wo ein Dialog befähigt ist, dem anderen zu 'helfen', ist auch das Verhältnis von Schriftwerk und mündlicher Lehre verständlich. An entscheidenden Stellen der Dialoge, wo Sokrates die Argumentation unter Vorwänden abbricht,118 kann nur noch ein Wissen um die Ungeschriebene Lehre weiterführen. Daß mit 'Hilfe' ein tieferer Logos gemeint ist, versteht sich für Szlezák von selbst.119

Szlezák analysiert somit nicht die Ungeschriebenen Lehren als solche, sondern zeigt den Verweisungscharakter der Dialoge auf dieselben. Ohne das Verständnis und das systematische Einbinden der Ungeschriebenen Lehren, so resümiert Szlezák, bleiben zentrale Stellen des Schriftwerks schlichtweg unverständlich. Die Dialoge sind somit auf die mündliche Lehre angewiesen, denn diese kann dem Schriftwerk eine tiefgreifende Hilfe sein.120 Wie diese Hilfeleistungen erbracht werden können, zeigen die Dialoge unentwegt, denn dort praktiziert es Sokrates dem Leser vor. Für Szlezák sind somit die Dialoge eine Quelle darüber, wie sich Platon die Hilfeleistung der mündlichen Lehre für die Dialoge vorgestellt hat.121

Im Anhang I122 seines Buches legt Szlezák eine Kritik an den modifizierten und präzisierten Dialogtheorien zahlreicher Forscher vor, die Schleiermacher weithin in dessen Ansatz gefolgt sind. Die meisten dieser Vertreter stimmen hinzukommend darüber ein, die Schriftkritik im „Phaidros" zu verharmlosen und die Ungeschriebenen Lehren Platons für irrelevant zu erklären. Szlezák subsumiert alle diese Ansätze unter den Begriff der „modernen Dialogtheorie".123 Die Kritik Szlezáks ist deshalb so allumfassend und fundamental, weil die bis dahin vorgebrachten Kritiken an der Schleiermacherschen Platon-Deutung durch Krämer und Gaiser kaum Veränderungen in der Forschung bewirkt haben.

Die Minimalform der modernen Dialogtheorie ist bereits dann gegeben, wenn man erstens zugesteht, daß der Dialog das Gespräch adäquat ersetzen kann; zweitens, wenn man versichert, Platon habe zwar die systematische Darstellung der Philosophie abgelehnt, aber gerade aus diesem Grund die Dialogform gewählt. Diese beiden Punkte hatte bereits Schleiermacher betont. Heute werden sie von vielen Forschern entweder stillschweigend oder ausdrücklich vorausgesetzt.124 Szlezák sieht bereits in diesen beiden Prämissen das Grundübel angelegt: Die Nichtbeachtung der Schriftkritik im „Phaidros" und im VII. Brief. Nachdem Szlezák dazu übergegangen ist, die Präzisierungen und Modifizierungen der modernen Dialogtheorie darzustellen, gelangt er zur Kritik derselben, die er in zehn Punkten formuliert:125

1. ) Platon wollte gerade nicht die Mängel der Schrift mittels der Dialogform beheben bzw. überwinden.126
2. ) Platon suchte keine spezielle Darstellungsform, um die Schwächen der Schrift aufzuheben. Das Verdikt des „Phaidros"127 zeigt, daß alle Arten der Schrift mit impliziert sind. Jede Mißachtung dieses Sachverhaltes führt mit Notwendigkeit zur Willkür in der Textauslegung.128
3. ) Die Frühdialoge allein, die durch ihre Aporetik und ihren hohen Grad an Diskursivität gekennzeichnet sind, geben ein einseitiges Bild des platonischen Gesamtwerkes. Der dialogische Charakter nimmt in den Spätdialogen dramatisch ab; außerdem wird der Gesprächsfluß noch durch lange Monologe unterbrochen.129 Den „Timaios" kann man bereits nicht mehr als Dialog bezeichnen. Die „Apologie" und die Briefe zeigen einen Platon, der völlig ohne Dialogform Wissen vermitteln kann.130
4. ) Der Dialog als Ausdrucksmittel wird von den Vertretern der Dialogtheorie mystifiziert. Sie interpretieren den Dialog so, als sei er die einzig legitime Form, die alle Vorteile des mündlichen Gesprächs kompensieren könnte. Eine besonders einprägsame Formel dafür entwickelte Friedländer: „Der Dialog ist die einzige Form des Buches, die das Buch selber aufzuheben scheint."131 Die offensichtlichen Mängel bzw. Nachteile der Schrift sollen so mit Hilfe einer Ausnahmereglung für nichtig erklärt werden.132
5. ) Damit geht einher, daß dem Dialog Eigenschaften zugesprochen werden müssen, die im Grunde auch andere Arten der Schrift aufweisen. Szlezák zieht einen Vergleich: „[...] auch ein Gedicht von Hölderlin 'schweigt' gegenüber den Ungeeigneten, auch Nietzsches Zarathustra 'wählt' sich seit jeher seine Leser selbst, ebenso wie Hegels Phänomenologie des Geistes."133 Genau mit diesen Techniken des 'Verschweigens' vor Ungeeigneten oder des 'Auswählens' der Leserschaft arbeitet angeblich der Dialog, laut den Befürwortern der Dialogtheorie.134
6. ) Einer permanenten selektiven Textauslegung, - aber zumeist mit dem Zusatz, eine kontextbezogene Gesamtinterpretation vorzulegen135 - wie es die Vertreter der Dialogtheorie betreiben, unterlaufen notwendigerweise verschiedenste Fehler. So weist Szlezák mittels philologischer Akribie nach, daß das Wort oúyyQa^^a136 bei Platon, genau wie bei anderen griechischen Autoren, alles Schrifttum involviert. Wenn also Platon im „Phaidros" alle auyyçà^^axa gegenüber der mündlichen Rede abwertet, so kann es nicht richtig sein, daß die Vertreter der Dialogtheorie den Dialog von diesem Urteil ausnehmen wollen. An diesem Vorwurf reihen sich weitere ähnlicher Art, die Szlezák den Vertretern der modernen Dialogtheorie vorhält: Sie nehmen das Beweisziel a priorisch vorweg, sie deuten platonische Begriffe metaphorisch um, ohne dabei auf die Intention des Textes zu achten und lassen die historische Realität sträflichst außer Acht.136 137
7. ) Auch Szlezák kritisiert die Absolutsetzung der Dialoge durch Schleiermacher. Er macht geltend, daß dies nur aus einer Unkenntnis der mündlichen Lehre heraus zu erklären sei. Noch überraschter zeigt er sich aber, daß noch heute, trotz des detaillierten Wissens um die Ungeschriebenen Lehren, die Schleiermachersche Bahn von vielen nicht verlassen wird.138
8. ) Schleiermacher lehnte es ab, eine esoterische Sonderlehre zu akzeptieren. Der Begriff 'Esoterik' war damit aber nicht einbegriffen. Unter Esoterik verstand Schleiermacher eine „Beschaffenheit des Lesers".139 Die Leserschaft der Dialoge wird somit in esoterische und exoterische getrennt; je nachdem, ob ein Leser die Art, wie die indirekte Darstellungsweise funktioniert, erfaßt hat oder nicht, wird er eingestuft. Schleiermacher hat damit folgendes erreicht: „Die Forderung des esoterischen Lesens der Dialoge ersetzt die 'äußere' Esoterik der Überlieferung durch eine 'innere' Esoterik der Dialogform."140 Die künstliche Erzeugung einer inneren Esoterik gleicht einem makaberen Abbild dessen, was Schleiermacher zu bekämpfen versuchte. Diese Art der Esoterik trennte die Leserschaft Platons in die ewig Hoffnungslosen, die Verständigen und die eigentlichen Platonkenner. Bei den letztgenannten wird auch das Ziel der „eignen inneren Erzeugung des beabsichtigten Gedankens"141 erreicht.
9. ) Denkt man diesen Ansatz erkenntnistheoretisch konsequent zu Ende, dann führt die 'innere' Esoterik in einen Solipsismus. Pointiert meint Szlezák: „Was als 'wahrer Hörer des Inneren' zu gelten hat, darüber kann niemand entscheiden als der wahre Hörer des Inneren selbst."142
10. ) Als letztes wirft Szlezák den Vertretern der Dialogtheorie vor, daß sie einer petitio principii erliegen.143 Platon wird nämlich die Freiheit abgesprochen, selbst zu entscheiden, welche Themen in den Dialogen und welche in den Gesprächen der Akademie behandelt werden. Nur wer von vorn herein davon ausgeht, daß die Dialoge die gesamte Philosophie Platons enthalten, kann die indirekte Mitteilungsart innerhalb der Dialoge als Nichtvorhandensein Ungeschriebener Lehren deuten.

Szlezák und die „Tübinger Schule" nehmen Platon aber beim Wort. Deshalb achten sie die freie Entscheidung Platons, bestimmte Sachverhalte der mündlichen Ebene vorzubehalten. Die Motive und die schriftlichen Belege dafür sollen nun besprochen werden.

II. TEIL

3. Die Schriftkritik in Platons Selbstzeugnissen

Der Übergang von der Mündlichkeit zur Literatur bei den alten Griechen ist ein komplexer Prozeß, der viele Faktoren beinhaltet und sich über einen Zeitraum von ca. vierhundert Jahren erstreckte. Die Rekonstruktion dieses Prozesses fällt deshalb sicherlich schwer und kann hier nur kurz angesprochen werden.

An der Schwelle zur Schriftlichkeit stehen zweifellos die Homerischen Epen144, am anderen Ende die hellenistischen Bibliotheken. Zwischen diesen beiden Eckpunkten bedeutet die Verbreitung der Alphabetschrift wohl den bemerkenswertesten Schritt in Richtung zur Schriftkultur. Aber auch die Revolutionierung der Schreibunterlagen von einfachen Tonscherben, Schreibtafeln und Lederrollen im 8. Jahrhundert v. Chr. hin zu den Papyrusrollen, die im 5. Jahrhundert weitverbreitet waren, ist kennzeichnend für diese Übergangszeit. Ein weiteres Merkmal: Waren im 8. und 7. Jahrhundert die Techniken des Schreibens und Lesens nur bestimmten Berufsgruppen vorbehalten, so wurden sie im ausgehenden 6. Jahrhundert Bestandteile des Elementarunterrichtes und im 5. Jahrhundert konnten bereits die meisten Polisbürger lesen und schreiben.145

In diesem Prozeß der allmählichen Verdrängung der Mündlichkeit durch die Schrift146 steht Platon mit seiner Schriftkritik bereits am Ende einer Entwicklung, die auch er nicht mehr rückgängig machen kann. Außerdem wird niemand bezweifeln, daß Platon sein ganzes Leben über - sein letztes Werk, die „Nomoi", fiel ihm buchstäblich aus den Händen - schrieb.147

Über diesen Schriften, die Platon selbst für die Veröffentlichung bestimmte, scheint ein günstiges Schicksal gewaltet zu haben.148 Kein antiker Autor zitiert eine Stelle aus dem Œvre Platons, die wir nicht selbst überprüfen könnten. Demzufolge besitzen wir die Dialoge in ihrer Vollständigkeit und dies hinzukommend in einem auffallend guten Zustand. Außerdem wurden uns noch zahlreiche Kommentare zu den verschiedensten Dialogen aus der Antike überliefert. Schließlich dürfen auch nicht die zwei Biographien von Diogenes Laertius149 und Olympiodor150 vergessen werden. Auch Plutarch schrieb über Dions Leben151, wobei Platon natürlich nicht unerwähnt blieb. Außerdem können wir die fast 1000-jährige intensive Beschäftigung mit Platon innerhalb seiner Akademie bis auf seine unmittelbaren Schüler zurückverfolgen. Trotz dieser äußerst günstigen Voraussetzungen scheint einer exakten Platon-Deutung einiges im Wege zu stehen:

a. ) Platons Traum vom Schwan, der von Baum zu Baum entflieht, will man ihn fangen, deutete Olympiodor so, daß Platons Philosophie nicht mit den Netzen der Spezialisten für Ethik, Physik oder Theologie zu fangen sei.152
b. ) Das persönliche Zurücktreten Platons in seinen Dialogen bereitete vielen Interpreten seit der Antike Schwierigkeiten. Die weitverbreitete Meinung war, daß aus den Äußerungen des Sokrates, eines Pythagoreers, eines Eleaten, eines Fremdlings, Diotimas o. a. könne man unmöglich die echte Philosophie Platons herauslesen.153
c. ) Die weitaus größten Schwierigkeiten bereitet allerdings die Schriftkritik in den Selbstzeugnissen Platons. Der „Phaidros" wurde von Schleiermacher als Frühdialog eingestuft, was die dortige Schriftkritik nahezu bedeutungslos machte, da Platon ihr offensichtlich selber nicht gefolgt sei. Der VII. Brief wurde lange Zeit als unecht und damit wenig aussagekräftig gehandelt. Die Sprachstatistik ergab allerdings, daß der „Phaidros" ein Spätwerk sei, was die Relevanz der Schriftkritik schlagartig erhöhte. Der VII. Brief wurde nach langen Forschungsdebatten durch die philologischen Arbeiten Wilamowitz' als echt eingestuft. Die Hauptfrage, ob Platons eigene Schriften unter das von ihm postulierte Verdikt fallen würden, rückte nun in den Brennpunkt der Forschung.154

Die Schriftkritik ist trotz dieser positiven Akzente noch immer ein umstrittenes Terrain der Forschung. Einige Grundeinstellungen, die als Alternativen zur Deutung der „Tübinger Schule" gelten können und von dieser vehement angegriffen werden, seien hier kurz vorgestellt:

1. Isolierung der Schriftkritik:

Die von Schleiermacher gemachten Voraussetzungen einer Platon-Deutung, die fehlerhafte Einordnung des „Phaidros" als Frühdialog und vor allem die Isolierung des Schlußteils des „Phaidros" führen, so die Kritik von Szlezák, zu einer „fast schon kanonisch geworden(en) Verengung des Blickwinkels."155

2. Leugnung der Schriftkritik:

Vor allem im deutschsprachigen156 aber auch im englischsprachigen Raum157 wurde von einer Großzahl der Forscher behauptet, die Schriftkritik in den Selbstzeugnissen betreffe die platonischen Dialoge keineswegs. Der Angriff Platons richte sich vielmehr gegen aùyyça^^a, was mit „systematische Lehrschrift" übersetzt werde. Da aber der Dialog keine aùyyça^^a sei, spreche die Schriftkritik sogar für den Dialog, da ihm von Platon beglaubigt würde, er könne die Schwächen der Schrift als einziger überwinden.158 Bezeichnend für diese Auffassung ist der Verweis auf den Mimesischarakter der Schrift.159 Diese Art der Interpretation wird von den Vertretern der „Tübinger Schule" deshalb abgelehnt, weil sie dem Sinn und dem Wortlaut der Schriftkritik im „Phaidros" und im VII. Brief widerspricht.

[...]


1 Marsilius Ficinus, Plotini Opera. Latina interpretatio. Florentiae 1492.

2 Maßgeblich hierfür waren: Hans-Joachim Krämer, Arete bei Platon und Aristoteles. Zum Wesen und zur Geschichte der platonischen Ontologie, Heidelberg 1959. Konrad Gaiser, Platons ungeschriebene Lehre. Studien zur systematischen und geschichtlichen Begründung der Wissenschaften in der Platonischen Schule, Stuttgart 1963. Thomas A. Szlezák, Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie. Interpretation zu den frühen und mittleren Dialogen, Berlin - New York 1985. Ders., Platon lesen, Stuttgart - Bad Cannstatt 1993. Jens Halfwassen, Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Platon und Plotin, Stuttgart 1992. Giovanni Reale, Zu einer neuen Interpretation Platons. Eine Auslegung der Metaphysik der großen Dialoge im Lichte der „ungeschriebenen Lehren", Paderborn etc. 1993. Diese Autoren trugen zu speziellen Problemen der „Ungeschriebenen Lehre“ Platons ihre Auffassungen in zahlreichen Aufsätzen vor. Einige dieser Aufsätze werden an den entsprechenden Stellen angegeben.

3 Vgl. Max Wundt, Die Wiederentdeckung Platons im 18. Jahrhundert, Blätter für deutsche Philosophie, 15 (1941/42), S. 149 - 158.

4 Jacob Brucker, Historia critica philosophiae, Bd. 2. Leipzig 1742, S. 189 - 462.

5 Brucker interpretierte den Neuplatonismus negativ und unterstellte ihm, er verderbe den Zugang zu Platon. Diese Deutung Bruckers wird dem Neuplatonismus nicht gerecht, was gerade jüngere Forschungsarbeiten zeigen. Siehe Halfwassen, AE, S. 17 - 33.

6 Friedrich Schleiermacher, Platons Werke. Einleitung, Bd. I 1, Berlin 1804 (3. Aufl. 1855). Jetzt in: Das Platonbild, K. Gaiser (Hrsg.), S. 1 - 32. (Nach dieser Ausgabe von Gaiser wird auch zitiert).

7 Siehe dazu Halfwassen, AE, S. 197 - 209.

8 Leon Robin, La théorie Platonicienne des Idées et des Nombres d'après Aristote, Paris 1908.

9 Julius Stenzel, Studien zur Entwicklung der platonischen Dialektik von Sokrates zu Aristoteles, Breslau 1917. Ders., Zahl und Gestalt bei Platon und Aristoteles, Leipzig 1924.

10 Paul Wilpert, Zwei aristotelische Frühschriften über die Ideenlehre, Regensburg 1949.

11 Heinrich Gomperz, Platons Selbstbiographie, Berlin - Leipzig 1928.

12 Reale, S. 25 - 131.

13 Wichtige Bücher, welche gegen die Positionen der „Tübinger Schule“ Stellung bezogen, finden sich jeweils in den Anmerkungen und natürlich in der Literaturliste, wobei diese keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

14 An Henriette Herz, 10.8.1802, Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen. Bd. 1, Berlin I860 - 1863, S. 312.

15 Biographisches findet sich bei W. F. Katzenbach, Friedrich Daniel Schleiermacher, Hamburg 1967.

16 Dazu im folgenden Peter M. Steiner, Über die Philosophie Platons, Hamburg 1996, S. VII - LVIII.

17 Ebd., S. XII.

18 Die Platonische Philosophie ist nach Schleiermacher weder systematisch noch fragmentarisch. Sie ist im wesentlichen nur als Einheit zu verstehen.

19 Vgl. Schleiermacher, Einleitung..., S. 4 f.

20 Wilhelm Dilthey, Leben Schleiermachers, Bd. I.2, 3. Aufl., Berlin 1970, S.47.

21 Zur Deutung der Ideenkritik im „Parmenides“ siehe Kap. 5.2.1 S. 91 ff.

22 Dilthey, Leben Schleiermachers, S. 49.

23 Ebd., S. 49.

24 Steiner, Über die Philosophie Platons, S. XVII f.

25 Dilthey, Leben Schleiermachers, S. 45 f.

26 August Boeckh, Kleine Schriften, Bd. VII, Leipzig 1872, S. 1 - 38.

27 Die erste fundamentale Kritik erhielt die Einleitung Schleiermachers erst durch das Buch von Hans-Joachim Krämer, Arete bei Platon und Aristoteles. Der hier eingeschlagene Weg einer neuen Platon-Deutung war so richtungsweisend, daß sich noch heute die Vertreter der „Tübinger Schule“ ausnahmslos auf dieses Buch berufen.

28 Boeckh, Kleine Schriften, S. 3.

29 Schleiermacher, Einleitung..., S. 4.

30 Unter systematischer Philosophie versteht Schleiermacher in Anschluß an den deutschen Idealismus einen Erklärungsversuch, der das gesamte Sein unter eine Idee subsumiert. Er steht diesem Ansatz der Welterklärung skeptisch gegenüber.

31 Schleiermacher, Einleitung..., S. 6 f.

32 Siehe dazu Szlezák, Pl, S. 152 - 155.

33 Schleiermacher, Einleitung..., S. 7.

34 Ebd., S. 8.

35 Schleiermacher setzt hier „Geheimhaltung“ von Wissen vor Außenstehenden mit „Esoterik“ im platonischen Sinn (als personenbezogenes Philosophieren) gleich. Zur Aufklärung dieses Mißverständnisses siehe Szlezák, Pl, S. 152 - 155.

36 Dies wird sich im Laufe der Arbeit herausstellen. Siehe dazu Kap. 4.1 ff.

37 Schleiermacher, Einleitung..., S. 9.

38 Ebd.

39 Ebd., S. 24 f.

40 Tatsächlich ging es in den Auseinandersetzungen zwischen Schlegel und Schleiermacher vor allem um das Thema der Chronologie der Dialoge und der sich daraus ergebenden Konsequenzen sowohl für einzelne Dialoge als auch Platons Gesamtwerk. Vgl. Steiner, Über die Philosophie Platons, S. VII-XXII.

41 Schleiermacher zählt konkret dazu „den Phaidros, den Protagoras, den Parmenides, den Theätetos, den Sophist und Politikos, den Phaidon, den Philebos, und den Staat, nebst dem damit in Verbindung gesezten Timaios und Kritias.“ Siehe Schleiermacher, Einleitung..., S.

42. Vgl. auch Boeckh, Kleine Schriften, S. 11.

43 Schleiermacher, Einleitung..., S. 22.

44 Ebd., S. 30 f.

45 Ebd., S. 31.

46 Ebd., S. 11.

47 Ebd.

48 Ebd.

49 Ebd., S. 12.

50 Ebd.

51 Ebd., S. 13.

52 Dies ist einer der wichtigsten Kritikpunkte von Szlezák an der Platon-Deutung Schleiermachers. Siehe dazu Kap. 2.5 S. 23

53 Schleiermacher, Einleitung..., S. 14.

54 Ebd., S. 15.

55 Ebd., S. 16.

56 Ebd., S. 17.

57 Ebd.

58 Ebd., S. 13 f.

59 In dieser Frage folgte ihm die Platonforschung lange Zeit und ist ihm zu Dank verpflichtet.

60 Dies ist natürlich auch als Seitenhieb gegen F. Schlegel zu werten. Schleiermacher, Einleitung..., S. 19 f.

61 Ebd., S. 20.

62 Ebd., S. 31 f.

63 Ebd., S. 23. Schleiermacher zielt hiermit wohl auf sprachstilistische Kriterien ab.

64 Ebd., S. 23.

65 Ebd., S. 24.

66 Ebd.

67 Ausnahmen sind die „Apologie“ und der „Timaios“.

68 Schleiermacher, Einleitung..., S. 26.

69 Die Künste wären: wiederholtes Beginnen der Diskussion an einem anderen Punkt; entschuldigendes Fortschreiten des Gesprächs; Verbergen des eigentlichen Ziels; das Herausgreifen von Einzelproblemen und schließlich der dialektische Gebrauch von Begriffen.

70 Vgl. Ebd., S. 26.

71 Ebd.

72 Ebd.

73 Siehe dazu in Kap. 3 S. 28 - 31.

74 Dies ist eine Anspielung auf das Höhlengleichnis der „Politeia“ (509 C - 518 C), in dem die Höhle für die sinnenfällige Welt, die Schatten künstlicher Gegenstände für gemalte Bilder und die Schatten natürlicher Dinge für mathematische Gegenstände stehen.

75 Vgl. Thomas A. Szlezák, Das Höhlengleichnis. Buch VII 514 a - 521 b und 539 d - 541 b, in: Klassiker Auslegen, Otfried Höffe (Hrsg.), S. 211 f.

76 Dieser Aufstieg (Avo&oç) wird durch einen Abstieg (kA0o&oç) von den Prinzipien in die sinnenfällige Welt ergänzt. Die Philosophenkönige der „Politeia“ kehren deshalb nach der Schau der Ideen immer wieder in die Werdewelt zurück, um den Staat zu regieren.

77 Vgl. Ebd. S. 218.

78 Man muß «QXH immer in seiner dreifachen Bedeutung sehen: Anfang, Grund/Ursprung und Herrschaft. Siehe Greek- English Lexicon, compiled by H.G. Liddell and R. Scott, Oxford 1968, S. 252.

79 Deshalb läßt sich diese Art der Metaphysik auch als „Ursprungsmetaphysik“ bezeichnen. In Abgrenzung davon prägten das griechische Denken noch die „Einheitsmetaphysik“ Platons/Plotins, die „Seinsmetaphysik“ Aristoteles' und die „Geistmetaphysik“ Plotins. Siehe Der Neue Pauly, Hubert Cancik und Helmuth Schneider (Hrsg.), Bd. 8, Stuttgart - Weimar 2000, S. 81 - 85.

80 Diese Aufzählung erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Siehe Michael Grünwald, Die Anfänge der abendländischen Philosophie. Fragmente der Vorsokratiker, München 1991, S. 47 - 61.

81 Siehe Kap. 4.2 S. 66 - 68.

82 Krämer, APA, S. 41 - 145.

83 Dies deutlich genug aufzuzeigen, ist ein Grundanliegen dieser Arbeit.

84 Siehe S. 4 Anm. 2.

85 Ebd.

86 Krämer, APA, S. 17 ff.

87 Ebd., S. 381 f. Siehe auch Halfwassen, AE, S. 197 - 209

88 Krämer, APA, S. 18.

89 Er meint vor allem die Arbeiten von L. Robin, J. Stenzel, W. Jaeger, W. Ross., H. Comperz und P. Wilpert. Ebd., S. 380 ff.

90 Hier spielt Krämer auf die Arbeiten von W. G. Tennemann, K. F. Hermann und Ch. A. Brandis an. Ebd., S. 282 f.

91 Vgl. Karl Friedrich Hermann, Über Platos schriftstellerische Motive, in: Das Platonbild, S. 33 - 57. In diesem Aufsatz aus dem Jahre 1849 (!) akzeptiert Hermann grundsätzlich die Bedeutung der Schriftkritik im „Phaidros“ und im VII. Brief. Außerdem beurteilt er die Aussagen des Aristoteles zugunsten einer Esoterik bei Platon (S. 35 f). Schließlich erkennt er die obersten Prinzipien der mündlichen Lehre als Begründungsebene für die Ideen der Dialoge an (S. 44).

92 Gemeint sind vor allem E. Zeller, G. Teichmüller, P. Shorey, P. Natorp, U. v. Wilamowitz-Moellendorff und C. Ritter. Gerade Zeller räumte dem esoterischen Platon ein Minimum an Berechtigung ein. Die mündlichen Lehrgespräche Platons wurden von ihn ans Lebensende Platons gesetzt. Darin sind Zeller wiederum viele Forscher gefolgt. Vgl. dazu Krämer, APA, S. 384 f.

93 Siehe dazu ausführlich Kap. 4.1 S. 61 - 66.

94 Siehe Testimonia Platonica. Quellentexte zur Schule und mündlichen Lehre Platons, ed. K. Gaiser, PUL, S. 441 - 557. Hier: Test. Plat. 22 A. Siehe dazu ausführlich Kap. 3.3 ff.

95 Siehe dazu ausführlich Kap. 3.4 S. 48 - 50.

96 Krämer, APA, S. 20 Anm. 15 a.

97 Ebd.

98 Krämer, APA, S. 29 f.

99 Ebd., S. 31.

100 Ebd., S. 30.

101 „In der Tat ist der Protreptiker, Problematiker und Aporetiker Platon, als den wir ihn uns angesichts der Dialoge ausschließlich vorzustellen gewöhnt haben nur der halbe Platon.“ Ebd., S. 479.

102 Ebd., S. 38.

103 Krämer, Platons Ungeschriebene Lehre, in: Platon. Seine Dialoge in der Sicht neuer Forschungen, T. Kobusch und B. Mojsisch (Hrsg.), Darmstadt 1996, S. 268 - 272.

104 Vgl. dazu im folgenden: Krämer, Fichte, Schlegel und der Infinitismus in der Platon-Deutung, Deutsche Vierteljahresschrift 62 (1988), S. 583 - 621.

105 Ebd., S. 583.

106 Ebd., S. 585 - 588.

107 Ebd., S. 592.

108 Ebd., S. 608.

109 Hierzu ist maßgebend die Arbeit von Karl Albert, Über Platons Begriff der Philosophie, Sankt Augustin 1989. Hier wird der Philosoph als Fährmann beschrieben, der zwischen dem Ufer der Menschen und der Götter pendelt. Sein Wissen um die obersten Ideen bzw. und die Idee des Guten macht ihn, wenn auch immer nur kurzzeitig, göttergleich. Im Grunde aber bleibt er Mensch, denn zu ihnen kehrt er stets zurück, um sein Wissen praktisch anzuwenden (S. 45 ff). Vgl. auch dazu Krämer, Zur aktuellen Diskussion um den Philosophiebegriff Platons, Perspektiven der Philosophie 16 (1990), S. 85 - 107.

110 Konrad Gaiser, Protreptik und Paränese bei Platon. Untersuchungen zur Form des platonischen Dialogs, Stuttgart 1959.

111 Siehe S. 4 Anm. 2.

112 Gaiser, PUL, S. 3.

113 Ebd.;

114 Vgl. auch Thomas A. Szlezák (Hrsg.), Der Staat. Politeia, Düsseldorf - Zürich 2000, S. 929. Hier zeigt Szlezák exemplarisch wie die „Politeia“ durch die Ungeschriebene Lehre nicht entwertet, sondern inhaltlich bereichert wird.

115 Gaiser, Protreptik..., S. 13.

116 Siehe S. 4 Anm. 2.

117 Szlezák, PSP, S. 21 f., 60 f., 67 - 71, 80, 104, 168, 172, 234, 279 f., 289., 293., 296 f., 328 f.

118 Siehe dazu die Vorgehensweise von Sokrates in der „Politeia“ und ihre Bewertung in Kap. 5. 1 S. 84 ff.

119 Dies zeigt schon die enge Verbindung zwischen und |3or|0Eiv. Siehe Szlezák, PSP, S. 19 - 23.

120 Ebd., S. 330.

121 Ebd. S. 20 - 22, S. 327 - 330.

122 Ebd., S. 331 - 385.

123 Ebd., S. 331. Einen anderen Ausdruck, den Szlezák dafür verwendet, ist „Dialogformtheorie“. Ebd., S. 331 Anm. 2.

124 Ebd., S. 332.

125 Ebd., S. 331 - 385.

126 Ebd., S. 339 - 342.

127 Zur Schriftkritik siehe vor allem Kap. 3.1 und 3.2.

128 Szlezák, PSP, S. 342 - 347.

129 Ders., Pl, S. 137.

130 Ders., PSP, S. 347 - 352.

131 Paul Friedländer, Platon, Bd. I, Berlin 1964, S. 177.

132 Szlezák, PSP, S. 353 - 358.

133 Ebd., S. 339.

134 Z.B. Hermann Gundert, Der platonische Dialog, Heidelberg 1968, S. 16 und Theodor Ebert, Meinung und Wissen in der Philosophie Platons. Untersuchungen zum 'Charmides', 'Menon' und 'Staat', Berlin 1974, S. 23 - 31. Platon verwende, so Ebert, deshalb die Dialogform, um „die Mängel der geschriebenen Rede dadurch aus dieser zu tilgen, (so) daß das mimetische Gespräch der Dialogpersonen zum Medium eines Fragens und Antwortens zwischen Autor und Leser wird“ (S. 31). Vgl. auch Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 5. Aufl., Bd. II.1, Leipzig 1922, S. 569 - 578.

135 Z.B. Heitsch bei seiner Interpretation des „Phaidros“. Siehe Ernst Heitsch, Platon über die rechte Art zu reden und zu schreiben, Stuttgart 1987, S. 3 f. Siehe auch Kap. 3 S. 29 f.

136 Vgl. Szlezák, PSP, S. 376 - 385.

137 Ebd., S. 361.

138 Ebd., S. 364 - 368.

139 Schleiermacher, Einleitung..., S. 13.

140 Szlezák, PSP, S. 368.

141 Schleiermacher, Einleitung..., S. 12.

142 Szlezák, PSP, S. 370.

143 Ebd., S. 374 f.

144 Dazu im folgenden: Egert Pöhlmann, Zur Überlieferung griechischer Literatur, in: Der Übergang von der Mündlichkeit zur Literatur bei den Griechen, W. Kullmann, M. Reichel (Hrsg.), Tübingen 1990, S. 11-16.

145 Bengtson schildert die langwierige Methode des Lesen- und Schreibenlernens im Zeitalter des Perikles. Siehe Hermann Bengtson, Griechen und Perser. Die Mittelmeerwelt im Altertum, Augsburg 1998, S. 133 f.

146 Natürlich kann man in vielen Gattungen der Literatur von einem zeitweisen Nebeneinander von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ausgehen. Krämer meint z.B., daß das laute Lesen bei den Griechen ein Zeichen der Dominanz der Mündlichkeit sei. Siehe Krämer, Die platonische Akademie und das Problem einer systematischen Interpretation der Philosophie Platons, Kant-Studien 55 (1964), S. 78 f.

147 Dieses Argument ist sehr beliebt bei den Gegnern einer Ungeschriebenen Lehre Platons, da es Platons eigenes Urteil über die Schrift zu widerlegen scheint.

148 Vgl. im folgenden: Emst Hoffmann, Die literarischen Voraussetzungen des Platonverständnisses, ZphF 2 (1947), S. 465 - 480.

149 Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, 3. Aufl. Hamburg 1990, III. Buch (1 - 109).

150 Hoffmann, Die literarischen..., S. 466.

151 Ebd., S. 465.

152 Ebd., S. 466.

153 Ebd., S. 467.

154 Ebd.

155 Szlezák, PSP, S. 7.

156 Vgl. Gundert, Der platonische Dialog, S. 7 - 18.

157 Siehe W. K. C. Guthrie, A history of Greek philosophy, Bd. IV, Cambridge 1975, S. 64.

158 Gundert sagt: „Der Dialog ist die einzig legitime Form, in der der philosophische Logos sich in der Schrift fixieren läßt.“ Siehe Gundert, Der Platonische Dialog, S. 16.

159 Ebd.

Ende der Leseprobe aus 126 Seiten

Details

Titel
Die Platon-Deutung der "Tübinger Schule"
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Philosophische Fakultät)
Note
1,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
126
Katalognummer
V167815
ISBN (eBook)
9783640847556
ISBN (Buch)
9783640843435
Dateigröße
1197 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit gibt einen detaillierten Überblick über das Platonbild der Tübinger Philosophen. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Platon neben seinen Dialogen noch eine Ungeschriebene Lehre hatte, die in wesentlichen Punkten über das im Schriftwerk fixierte hinausgeht und die Henologie Plotin in zentralen Punkten vorwegnimmt. Die Vielheit der Ideen wird in der Ungeschriebenen Lehre durch zwei Prinzipien begründet: die unbestimmte Eine und das absolute Eine, das seinstranszendent ist.
Schlagworte
Platon, Ungeschriebene Lehre, Alte Akademie;, Antike
Arbeit zitieren
Detlef, Dr. Thiel (Autor:in), 2000, Die Platon-Deutung der "Tübinger Schule", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/167815

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