Eine Frage der Ethik - Mediale Integration zwischen Aufklärungsverantwortung und journalistischer Freiheit


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2010

16 Pages, Note: 1,70


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Über die mediale Konstruktion von Realität

3. Die Darstellung von Migranten in den deutschen Mehrheitsmedien
3.1. Das mediale Bild vom Ausländer
3.2. Analyse der möglichen Gründe für eine negative Berichterstattung über Migranten
3.3. Analyse der möglichen Auswirkungen der negativen Berichterstattung auf den Integrationsprozess

4. Externe Einflussmöglichkeiten auf das mediale Migrantenbild
4.1. Der Pressekodex
4.2. Der nationale Integrationsplan

5. Eine Frage der Ethik. Mediale Integration zwischen Aufklärungsverantwortung und journalistischer Freiheit

6. Literaturverzeichnis
6.1. Quellen
6.2. Darstellungen

1. Einleitung

Die deutsche Gesellschaft schrumpfe und verdumme, weil bildungsferne Deutsche sowie bildungsferne muslimische Migranten mehr Kinder bekämen als autochthone Bundesbürger. Das ist die Kernthese in dem neu erschienenen Sachbuch „Deutschland schafft sich ab“1, in dem Thilo Sarrazin, zum Veröffentlichungstermin noch Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, erneut aufs schärfste gegen Zuwanderung und vor allem gegen die Zuwanderung von Muslimen argumentiert. Das passiert 49 Jahre nach dem ersten Gastarbeiter- Anwerbeabkommen der Bundesrepublik mit der Türkei, fünf Jahre nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes, nach zwei Integrationsgipfeln und in einer Zeit, in der sich langsam die Erkenntnis in der Gesellschaft durchzusetzen scheint, dass der Staat sogar Migration braucht, um den demographischen Wandel wenigstens im Ansatz auszugleichen.

Dennoch wird den Thesen Sarrazins in den Mehrheitsmedien Plattform geboten: mit Vorabveröffentlichungen, Zusammenfassungen und Interviews und für eine Debatte, die auch drei Wochen nach Publizierung der ersten Passagen noch nicht verstummen will. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung stieg Sarrazins provokantes Werk bereits auf Platz 2 der Spiegel Bestseller-Liste für Sachbücher ein, nach wenigen Tagen war die gesamte serste Auflage vergriffen und kurz darauf ergab eine Emnid-Umfrage für die Bildzeitung, dass 18 Prozent der Deutschen eine von Sarrazin neu gegründete Partei wählen würden2.

Wie lässt sich diese breite Medienaufmerksamkeit für derartig kulturalistisch wirkende Aussagen interpretieren? Wie reagiert die Bevölkerung auf diese Thesen? Ist die Akzeptanz der Zuwanderung überhaupt im öffentlichen Diskurs angekommen? Welche Auswirkungen haben solche Diskurse auf die Integration von Ausländern im alltäglichen Leben?

In den letzten zehn Jahren erregte das Thema, wie Medien Integration beeinflussen, verstärkt die Aufmerksamkeit der kommunikations-, politik- und sozialwissenschaftlichen Forschung. Es stellte sich die Frage nach der Rolle, die Zeitungen, Radio, Internet und Fernsehen im Identitätsfindungsprozess der Einwanderer einnehmen. Inwieweit sind Massenmedien aktiv an der Eingliederung von Migrantinnen und Migranten beteiligt oder behindern diesen Vorgang eventuell sogar? Welche Nachrichtenfaktoren sind für eine Berichterstattung über Einwanderer entscheidend und warum? Wieso sind es auch heute noch vor allem negative Themen, die es in Bezug auf diese Bevölkerungsgruppe auf die Agenda der Mainstream-Medien schaffen? Und, nicht zuletzt, wie können Medien einen positiven Einfluss auf die Eingliederung von Migranten in die deutsche Gesellschaft bewirken?

Dies sind nur einige der Fragestellungen, mit denen sich auch eine Forschergruppe unter der Leitung von Horst Pöttker und Rainer Geißler im Rahmen des Projektes „Mediale Integration ethnischer Minderheiten“ beschäftigte. Drei Sammelbände3, die in den vergangenen Jahren von der Forschungsgruppe zu dieser Thematik publiziert wurden, sollen nun auch Grundlage der vorliegenden Seminararbeit sein.

In dieser soll zusammenfassend erörtert werden, welches Bild in den vergangene Jahren von Migranten in den deutschen Massenmedien entworfen wurde, welche möglichen Gründe es für die Darstellung geben könnte, inwiefern das Medienbild in Veränderung begriffen ist und welchen nachweisbaren Einfluss dies auf eine Akzeptanz der Einwanderungssituation im öffentlichen Diskurs ausübt. Außerdem gilt es zu klären, welche politischen Einflussmöglichkeiten bei gleichzeitiger Respektierung der journalistischen Freiheit in Bezug auf die gesetzten Medienrealitäten bestehen können.

Das Hauptaugenmerk der Seminararbeit liegt hierbei auf den deutschsprachigen Massenmedien und ihrem Einfluss auf die Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung.

2. Über die mediale Konstruktion von Realität

Medien werden oft metaphorisch als „Fenster zur Welt“ bezeichnet, denn in der unübersichtlichen, globalisierten und sich ständig verändernden Realität eröffnen sie den Blick auf Zustände, Vorgänge und Menschen, die dem Rezipienten sonst verborgen blieben. Doch eigentlich ist diese Metapher missverständlich. Im Gegensatz zum Wohnzimmerfenster präsentieren Medien einen in seiner Komplexität reduzierten Ausschnitt auf das Dargestellte, also eine durch die vorgenommene Auswahl vorgefärbte Version, eine bereits gefilterte Wirklichkeit.

Da sich aber nun im heutigen Informationszeitalter die Vorstellung einzelner Menschen von der Welt vor allem durch die Medienrezeption konstruiert, hat die Auswahl der Massenmedien letztendlich entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung des Einzelnen vom Weltgeschehen. Dies wiederum wirkt sich in der Konsequenz auf Entscheidungen, Meinungen und Erwartungen der Rezipienten aus.

Kriterien zur Einschätzung des Wertes bestimmter Themen für die mediale Betrachtung werden in der Kommunikationswissenschaft als Nachrichtenfaktoren bezeichnet. In ihrem 1965 veröffentlichten Grundlagenmodell untersuchten Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge die Struktur ausländischer Nachrichten. In jenem Aufsatz stellen die Wissenschaftler „Negativity”, „Unexpectedness”, „Unambiguity” und „Personalization” als wesentliche Merkmale von Ereignissen mit einem hohen Nachrichtenwert heraus. Wenn das Thema bereits im öffentlichen Diskurs etabliert wurde und es sich außerdem von den weiteren im Medium präsentierten Nachrichten abhebt, wird es nochmals wahrscheinlicher, dass das Ereignis in einem journalistischen Beitrag verarbeitet wird. Außerdem verstärkten der Bezug zu sogenannten „elite nations“ und „elite persons“ das Identifikationspotenzial des Rezipienten mit dem Thema sowie die Konsonanz mit gängigen Erwartungen der Konsumenten die Möglichkeit medialer Beachtung.4

Im Folgenden soll dieses nur grundlegend erklärte Modell zu einem besseren Verständnis bei der Analyse der Entstehung des Bildes von Ausländern in den deutschen Medien dienen.

3. Die Darstellung von Migranten in den deutschen Mehrheitsmedien

3.1. Das mediale Bild vom Einwanderer

Die Darstellung von Ausländern in den deutschen Massenmedien insbesondere im Printbereich gehört zu den am besten erschlossenen Bereichen des zu erörternden Forschungsfeldes. In einer Auswertung von Daniel Müller zu verschiedenen Untersuchungen, die sich mit der Berichterstattung über Migranten seit den 60er-Jahren auseinandergesetzt haben, zeigt sich, dass Migration im allgemeinen Mediendiskurs vor allem negativ konnotiert wird. Einwanderer werden im hohen Maße mit Kriminalität, im Speziellen mit Drogen- und Gewaltdelikten in Verbindung gesetzt und zwar proportional häufiger als es dem tatsächlichen Anteil ausländischer Krimineller in der Polizeistatistik entspricht. Ansonsten treten sie in der Regel in als charakteristisch geltenden, stigmatisierenden Rollen auf, wie z.B. als türkischer Gemüsehändler. Positives Verhalten von Migranten erscheint als untypische Ausnahme. Auch agiert der Migrant in der medialen Darstellung nur selten selbst. Er erscheint vielmehr als behandeltes Objekt, wird bewertet oder zu einer Handlung aufgefordert. Er selbst kommt nur selten zu Wort, und wenn, dann wiederum nur im Zusammenhang mit Themen, die als zu Ausländern zugehörig betrachtet werden, also z.B. in Bezug auf Integration, Asylrecht, Zuwanderung oder auch Kriminalität.5

In der Gesamttendenz hat sich diese Darstellung bis hin zu aktuellsten Studien nicht wesentlich verändert. Nur auf lokaler Ebene zeichnet sich anscheinend ein neuer Trend ab. Diese Entwicklung konnte die Forschungsgruppe um Rainer Geißler und Horst Pöttker zumindest für zwei Siegener Regionalzeitungen zwischen 1996 und 2006 nachweisen.6 Auffällig ist diese Entwicklung vor allem im Gegensatz zu der nach wie vor relativ unveränderten nationalen Negativberichterstattung zum Thema, die am Beispiel der Bildzeitung sowie des Magazins Spiegel im Rahmen des Projektes „Mediale Integration ethnischer Minderheiten“ genauer untersucht wurde.7

[...]


1 SARRAZIN, Thilo: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. München 2010.

2 FUNK, Albert: Protestpotenzial. Die Nichtpartei der Grummeldeutschen, der Tagesspiegel, 05.09.2010. Unter: http://www.tagesspiegel.de/politik/die-nichtpartei-der-grummeldeutschen/1919102.html (Letzter Zugriff: 12.09.2010).

3 GEISSLER, Rainer; PÖTTKER, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss, Forschungsstand, Bibliographie. Bielefeld 2005 (Medienumbrüche 9). GEISSLER, Rainer; PÖTTKER, Horst (Hrsg.): Integration durch Massenmedien. Mass Media Integration. Medien und Migration im Internationalen Vergleich. Media and Migration: A Comparative Perspective. Bielefeld 2006 (Medienumbrüche 17). GEISSLER, Rainer; PÖTTKER, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Forschungsbefunde. Bielefeld 2009 (Medienumbrüche 30).

4 FRERICHS, Stefan: Grundlagen der Nachrichtenforschung. Eine allgemein verständliche Einführung für Laien. Unter: http://www.stefre.de/Grundlagen_der_Nachrichtenforschung.pdf (Letzter Zugriff: 29.08.2010).

5 MÜLLER, Daniel: Die Darstellung ethnischer Minderheiten in deutschen Massenmedien. In: GEISSLER, Rainer; PÖTTKER, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss, Forschungsstand, Bibliographie. Bielefeld 2005 (Medienumbrüche 9), S. 83-126.

6 FICK, Patrick: Der Wandel der Darstellung von Migranten am Beispiel Siegener Lokalmedien in den Jahren 1996 und 2006. In: GEISSLER, Rainer; PÖTTKER, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Forschungsbefunde. Bielefeld 2009 (Medienumbrüche 30), S. 235-269.

7 NAMIN, Parisa Javadian: Die Darstellung des Islam in den deutschen Printmedien am Beispiel von Spiegel und Bild. In: GEISSLER, Rainer; PÖTTKER, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Forschungsbefunde. Bielefeld 2009 (Medienumbrüche 30), S. 271-296.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Eine Frage der Ethik - Mediale Integration zwischen Aufklärungsverantwortung und journalistischer Freiheit
Université
University of Rostock  (Institut für Politikwissenschaften)
Cours
Gastarbeiter- oder Einwanderungspolitik? - Zuwanderung nach Deutschland
Note
1,70
Auteur
Année
2010
Pages
16
N° de catalogue
V167986
ISBN (ebook)
9783640848621
Taille d'un fichier
442 KB
Langue
allemand
Mots clés
Sarrazin, Integration, Medien, Integrationspolitik, mediale Integration
Citation du texte
Elisabeth Woldt (Auteur), 2010, Eine Frage der Ethik - Mediale Integration zwischen Aufklärungsverantwortung und journalistischer Freiheit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/167986

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