„Nichts ist endgültig geregelt, was nicht gerecht geregelt ist“
(Abraham Lincoln)
Diesen Leitsatz des 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zitierten die Vertriebenenverbände in diversen Publikationen der Nachkriegszeit, wenn sie rechtfertigen wollten, warum sie noch immer eine Notwendigkeit für die Wiedereingliederung ihrer Heimatgebiete östlich von Oder und Neiße sahen. Der in ihren Augen ungerechte Status Quo der deutsch-polnischen Grenze ließ die Vertriebenen bis in die 80er Jahre hinein darauf hoffen, doch nicht durch den Heimatverlust die großen Verlierer des Zweiten Weltkriegs in Deutschland zu bleiben. Die immer größer werdende Distanz zur politischen Realität war dabei spätestens seit dem Warschauer Vertrag Anfang der 70er Jahre offensichtlich. Eine Lösung der Grenzfrage, die auch für die Vertriebenen akzeptabel erschien, wurde immer unwahrscheinlicher. Da sie insgesamt die am stärksten betroffene Personengruppe der Grenzfrage waren und zugleich auch den hartnäckigsten Widerstand gegen eine endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze offenbarten, wird ihnen ein größeres Augenmerk gewidmet als in den meisten anderen Schriften zum Wiedervereinigungsprozess üblich.
Die Vertreibung als eines der schlimmsten menschlichen Schicksale im Kontext des Zweiten Weltkrieges lag Ende der 80er Jahre bereits mehr als vierzig Jahre zurück. Der Ostblock litt zunehmend unter einer wirtschaftlichen Instabilität und die Ideen Michail Gorbatschows von Perestroika und Glasnost begannen, sich auch in Mitteleuropa durchzusetzen, als die Diskussion über die deutsch-polnische Grenze in Deutschland neu entfacht wurde. Zurück lag zu diesem Zeitpunkt bereits ein jahrelanger Kampf der Vertriebenen um das Recht auf eine Rückkehr in die angestammte Heimat. Anfangs wurde dieser Kampf von der Bundesregierung noch energisch unterstützt, später fand sich der westdeutsche Teilstaat im Zuge der Neuen Ostpolitik mit der bestehenden Situation ab, ohne sie rechtswirksam und endgültig anzuerkennen. Auf dieses Provisorium bezogen sich die Gruppen in der Bundesrepublik, die bei der Neuordnung Deutschlands durch den inneren Zusammenbruch der DDR auf die Rechtskontinuität des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 setzten und die politisch umstrittene Wiedereingliederung Hinterpommerns, Ostbrandenburgs, Schlesiens und Ostpreußens forderten.
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Einleitung
- Die Entstehung der Oder-Neiße-Linie im Zweiten Weltkrieg
- Atlantik-Charta - Teheran - Jalta
- Die Konferenz von Potsdam im Sommer 1945
- Die deutsch-polnische Grenze im Zeichen des „Oder-Neiße-Konflikts“
- Nach dem Krieg: Grenzrevision? – Görlitzer Vertrag - Charta der Heimatvertriebenen
- Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970
- Die theoretische Phase
- Theo Waigel auf dem Schlesiertreffen im Juli 1989
- Zwischen 50. Jahrestag des Kriegsbeginns und UNO-Vollversammlung: Positionen Äußerungen - Standpunkte
- Die Entschließung des Bundestages vom 8. November 1989
- Helmut Kohl in Polen: Die erhoffte Wende im deutsch-polnischen Verhältnis?
- Bewertung
- Exkurs: Die Positionierung der anderen betroffenen Nationen
- Frankreich: Europäische Integration
- Großbritannien: Skeptische Abneigung
- Die Vereinigten Staaten von Amerika: Verlässliche Partnerschaft
- Sowjetunion: Stetige Annäherung
- Das Deutschlandbild Polens im Jahre 1989
- Die präventive Phase
- Das Zehn-Punkte-Programm Helmut Kohls am 28. November 1989
- Der fehlende „elfte Punkt“ und die neue Qualität der Diskussion
- Die innerdeutschen Reaktionen
- Die internationalen Reaktionen
- Bewertung
- Die innenpolitischen Forderungen nach den Äußerungen Rita Süßmuths am 29. Dezember 1989
- Außenpolitische Annäherungen
- Die Idee der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen in Ottawa
- Polnische Verhandlungsoffensive
- „Internationale Druckkulisse“ – Streit innerhalb der Regierung: Der Höhepunkt der Grenzdiskussion
- Helmut Kohl zu Gast bei George Bush in Camp David
- Frankreich revitalisiert historische Bindung zu Polen
- Scheitert die Koalition?
- Die Argumente der Vertriebenen
- Die Bundestagsresolution vom 8. März 1990
- Bewertung
- Die kontroverse Phase
- Frankreichs missglückte Anwaltschaft für Polen - amerikanischer Beistand für die Bundesrepublik
- Offensive der DDR-Regierung
- Feindselige Töne aus Warschau
- Freundschaftliche Worte Weizsäckers und neuer polnischer Pragmatismus
- Trilaterale Verhandlungen zwischen Bundesrepublik, DDR und Polen
- Die Gleichlautende Erklärung von Bundestag und Volkskammer
- Innerparteiliche Debatte in der Union
- Die Gleichlautende Erklärung vom 21. Juni 1990
- Bewertung
- Die konstituierende Phase
- Polnische Reaktion auf Gleichlautende Erklärung
- Der letzte deutsch-polnische Disput zur Grenzfrage: Ein Junktim zwischen Grenzvertrag und deutscher Souveränität?
- Der Durchbruch in Paris am 17. Juli 1990
- Der abschließende Vertrag von Moskau vom 12. September 1990
- Der deutsch-polnische Grenzvertrag vom 14. November 1990
- Streit über die Reihenfolge der Verträge
- Konsens und Unterzeichnung des Grenzvertrages
- Ausblick: Der Freundschafts- und Nachbarschaftsvertrag
- Ergebnisse der Untersuchung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die deutsch-polnische Grenzdiskussion während des Wiedervereinigungsprozesses 1989/90. Ziel ist es, die verschiedenen Phasen dieser Diskussion, die beteiligten Akteure und ihre Positionen sowie die letztendlich erzielte Einigung zu analysieren. Die Arbeit beleuchtet den komplexen Verhandlungsprozess und die damit verbundenen innen- und außenpolitischen Herausforderungen.
- Die Entwicklung der Oder-Neiße-Linie und ihre historische Bedeutung
- Die Positionen der beteiligten Staaten (Bundesrepublik Deutschland, DDR, Polen, Frankreich, Großbritannien, USA, Sowjetunion)
- Die Rolle der Vertriebenenorganisationen
- Der Einfluss innerdeutscher und internationaler Politik auf den Verhandlungsprozess
- Der Abschluss des deutsch-polnischen Grenzvertrages
Zusammenfassung der Kapitel
Vorwort: Das Vorwort beschreibt die Entstehung der Magisterarbeit und die persönliche Motivation des Autors, sich mit der deutsch-polnischen Grenzfrage im Kontext der Wiedervereinigung zu befassen. Es wird die Verbindung zwischen dem persönlichen Hintergrund des Autors (familiäre Betroffenheit durch Vertreibung) und der akademischen Auseinandersetzung mit dem Thema hervorgehoben. Der Dank an diverse Personen, die den Autor während seines Studiums und bei der Erstellung der Arbeit unterstützt haben, wird zum Ausdruck gebracht.
Einleitung: Die Einleitung führt in das Thema ein und skizziert den zeitlichen Rahmen der Arbeit (Wiedervereinigungsprozess 1989/90). Sie benennt die zentrale Fragestellung und gibt einen kurzen Überblick über die Struktur der Arbeit. Die Einleitung legt den Fokus auf den komplexen und vielschichtigen Charakter der deutsch-polnischen Grenzfrage im Kontext der Wiedervereinigung.
Die Entstehung der Oder-Neiße-Linie im Zweiten Weltkrieg: Dieses Kapitel analysiert die Entstehung der Oder-Neiße-Linie als Ergebnis der alliierten Konferenzpolitik im Zweiten Weltkrieg. Es werden die Entscheidungen von Jalta und Potsdam im Detail untersucht, wobei der Fokus auf den unterschiedlichen Interessenlagen der Alliierten und deren Konsequenzen für die Festlegung der polnischen Westgrenze liegt. Die historische Entwicklung der Grenzfrage wird nachvollziehbar dargestellt.
Die deutsch-polnische Grenze im Zeichen des „Oder-Neiße-Konflikts“: Dieses Kapitel behandelt die Entwicklung der deutsch-polnischen Grenzfrage nach dem Zweiten Weltkrieg. Es beschreibt die Diskussionen um eine mögliche Grenzrevision und die verschiedenen Verträge, die im Laufe der Zeit geschlossen wurden, beginnend mit dem Görlitzer Vertrag bis zum Warschauer Vertrag von 1970. Dabei wird die Perspektive der betroffenen Bevölkerungsgruppen – insbesondere der Vertriebenen – mit einbezogen.
Die theoretische Phase: Dieses Kapitel analysiert die ersten Diskussionen über die deutsch-polnische Grenze im Vorfeld der Wiedervereinigung. Es beleuchtet verschiedene Positionen und Äußerungen von Politikern (z.B. Theo Waigel, Helmut Kohl) und Institutionen. Der Fokus liegt auf der Entwicklung der öffentlichen Meinung und den politischen Strategien, die in dieser Phase verfolgt wurden. Die Entschließung des Bundestages vom 8. November 1989 wird eingehend untersucht.
Exkurs: Die Positionierung der anderen betroffenen Nationen: Dieses Kapitel beleuchtet die Haltungen und Positionen der internationalen Akteure (Frankreich, Großbritannien, USA, Sowjetunion) gegenüber der deutsch-polnischen Grenzfrage während des Wiedervereinigungsprozesses. Es zeigt die unterschiedlichen Interessenlagen und deren Einfluss auf den Verhandlungsprozess auf. Das Kapitel analysiert das Deutschlandbild Polens im Jahr 1989.
Die präventive Phase: Dieses Kapitel behandelt die ersten konkreten Schritte zur Regelung der deutsch-polnischen Grenzfrage nach dem Fall der Mauer. Es analysiert das Zehn-Punkte-Programm von Helmut Kohl und die darauf folgenden Reaktionen. Die Rolle der internationalen Druckkulisse, die inner- und außenpolitischen Konflikte und der Höhepunkt der Grenzdiskussion werden detailliert beschrieben. Die Bundestagsresolution vom 8. März 1990 wird analysiert.
Die kontroverse Phase: Dieses Kapitel beleuchtet die schwierigen und konfliktreichen Phasen der Verhandlungen. Es analysiert die Positionen Frankreichs und der USA, die Aktionen der DDR-Regierung, die Reaktionen aus Warschau und die Bemühungen um eine gemeinsame Lösung. Die trilateralen Verhandlungen sowie die gleichlautende Erklärung von Bundestag und Volkskammer werden eingehend betrachtet.
Die konstituierende Phase: Dieses Kapitel beschreibt den Prozess der endgültigen Einigung und des Abschlusses des deutsch-polnischen Grenzvertrages. Es beleuchtet den letzten Disput zur Grenzfrage, den Durchbruch in Paris und den Vertrag von Moskau. Die Bedeutung des Vertrags für die deutsch-polnischen Beziehungen wird hervorgehoben.
Der deutsch-polnische Grenzvertrag vom 14. November 1990: Dieses Kapitel fokussiert auf den endgültigen Grenzvertrag und die damit verbundenen Verhandlungen und Einigungen. Der Streit über die Reihenfolge der Vertragsabschlüsse und der Konsens zur Unterzeichnung werden im Detail dargestellt.
Schlüsselwörter
Deutsch-polnische Grenze, Oder-Neiße-Linie, Wiedervereinigung, Vertriebene, Helmut Kohl, Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, Internationale Beziehungen, Grenzvertrag, Ostpolitik, 1989/90.
FAQ: Deutsch-Polnische Grenzdiskussion 1989/90
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die deutsch-polnische Grenzdiskussion während des Wiedervereinigungsprozesses 1989/90. Sie untersucht die verschiedenen Phasen dieser Diskussion, die beteiligten Akteure und ihre Positionen sowie die letztendlich erzielte Einigung. Der Fokus liegt auf dem komplexen Verhandlungsprozess und den damit verbundenen innen- und außenpolitischen Herausforderungen.
Welche Phasen der Grenzdiskussion werden unterschieden?
Die Arbeit gliedert die Grenzdiskussion in mehrere Phasen: die theoretische Phase (erste Diskussionen im Vorfeld der Wiedervereinigung), die präventive Phase (erste konkrete Schritte zur Regelung der Grenzfrage), die kontroverse Phase (schwierige und konfliktreiche Verhandlungen) und die konstituierende Phase (Abschluss des Grenzvertrages).
Welche Akteure spielten eine wichtige Rolle?
Wichtige Akteure waren die Bundesrepublik Deutschland, die DDR, Polen, Frankreich, Großbritannien, die USA, die Sowjetunion, sowie die Vertriebenenorganisationen und Persönlichkeiten wie Helmut Kohl und Theo Waigel.
Welche Themen werden im Detail behandelt?
Die Arbeit behandelt die Entstehung der Oder-Neiße-Linie, die Positionen der beteiligten Staaten, die Rolle der Vertriebenenorganisationen, den Einfluss innerdeutscher und internationaler Politik, das Zehn-Punkte-Programm Helmut Kohls, die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, die gleichlautende Erklärung von Bundestag und Volkskammer, und den letztendlichen deutsch-polnischen Grenzvertrag vom 14. November 1990.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit umfasst ein Vorwort, eine Einleitung, Kapitel zur Entstehung der Oder-Neiße-Linie, zur deutsch-polnischen Grenze nach dem Zweiten Weltkrieg, zu den verschiedenen Phasen der Grenzdiskussion 1989/90, einen Exkurs zu den Positionen anderer betroffener Nationen, ein Kapitel zum deutsch-polnischen Grenzvertrag und einen Ausblick. Zusätzlich enthält sie ein Inhaltsverzeichnis, die Zielsetzung und Themenschwerpunkte, Zusammenfassungen der Kapitel und Schlüsselwörter.
Was ist das Ergebnis der Untersuchung?
Das Ergebnis ist eine detaillierte Analyse des komplexen Verhandlungsprozesses zur Festlegung der deutsch-polnischen Grenze im Kontext der Wiedervereinigung. Die Arbeit zeigt die verschiedenen Interessenlagen, Herausforderungen und Kompromisse auf, die zum Abschluss des Grenzvertrages führten.
Welche Bedeutung hat der deutsch-polnische Grenzvertrag vom 14. November 1990?
Der Vertrag markierte den endgültigen Abschluss der Grenzfrage und bildete die Grundlage für die zukünftigen deutsch-polnischen Beziehungen. Er regelte die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Grenze.
Wie wird die historische Entwicklung der Oder-Neiße-Linie dargestellt?
Die Arbeit zeichnet die historische Entwicklung der Oder-Neiße-Linie von den alliierten Konferenzen im Zweiten Weltkrieg (Jalta, Potsdam) bis zum Abschluss des Grenzvertrages nach. Sie beleuchtet die verschiedenen politischen Entscheidungen und deren Folgen für die betroffene Bevölkerung.
Welche Rolle spielten die Vertriebenenorganisationen?
Die Arbeit berücksichtigt die Perspektive der Vertriebenen und deren Einfluss auf die politische Diskussion und den Verhandlungsprozess. Ihre Argumente und Forderungen werden analysiert.
Wie wird der Einfluss der internationalen Politik dargestellt?
Die Arbeit analysiert die Positionen und den Einfluss verschiedener internationaler Akteure (Frankreich, Großbritannien, USA, Sowjetunion) auf den Verhandlungsprozess. Sie zeigt, wie die internationalen Beziehungen den Verlauf der Grenzdiskussion beeinflussten.
- Arbeit zitieren
- Michael Weigand (Autor:in), 2004, Die Diskussion über die deutsch-polnische Grenze im Wiedervereinigungsprozess 1989/90, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168319